Veränderungen für junge Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung durch die Corona-Pandemie


Masterarbeit, 2021

89 Seiten, Note: 7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1 Einleitung

2 Forschungsstand

3 Persönlichkeitsstörungen
3.1 Allgemeine Informationen zu Persönlichkeitsstörungen
3.2 Borderline-Störungen
3.3 Kinder und Jugendliche mit einer Borderline-Störung - Herausforderungen
3.3.1 In der Familie
3.3.2 In Heim/Wohngruppe/Betreutem Wohnen

4 Die Forschungsziele und der Feldzugang

5 Qualitative Forschung
5.1 Qualitative Sozialforschung
5.2 Die fünf Postulate qualitativen Denkens
5.3 Die 13 Säulen des qualitativen Denkens
5.3.1 Einzelfallbezogenheit
5.3.2 Offenheit
5.3.3 Methodenkontrolle
5.3.4 Vorverständnis
5.3.5 Introspektion
5.3.6 Forscher*in-Gegenstands-Interaktion
5.3.7 Ganzheit
5.3.8 Historizität
5.3.9 Problemorientierung
5.3.10 Argumentative Verallgemeinerung
5.3.11 Induktion
5.3.12 Regelbegriff
5.3.13 Quantifizierbarkeit

6 Methodik
6.1 Theoretische Einführung in die Erhebungsmethode
6.1.1 Interview
6.1.2 Experteninterview
6.2 Methodische Vorgehensweise der Untersuchung
6.3 Vor- und Nachteile der Methode
6.3.1 Vorteile
6.3.2 Nachteile
6.3.3 Gesamteinschätzung der Vor- und Nachteile

7 Auswertung
7.1 Theoretische Einführung in die Auswertungsmethode
7.2 Methodische Vorgehen beim Auswerten
7.3 Beschreibende Zusammenfassung der Ergebnisse

8 Darstellung der Forschungsergebnisse
8.1 Analyse der Veränderungen durch die Pandemie
8.1.1 Verhalten von jungen Menschen mit Borderline-Störung vor der Corona- Pandemie und Verhaltensänderungen durch die Corona-Pandemie
8.1.2 Wohlergehen der Borderline-Betroffenen seit der Corona-Pandemie
8.1.3 Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Gesprächsthemen und Sorgen der Betroffenen
8.1.4 Pandemiebedingte Veränderungen in der stationären Versorgung wie in Heim/Wohngruppe/Betreutem Wohnen
8.1.5 Die Rolle der pädagogischen Fachkräfte im Umgang mit Menschen mit Borderline-Störungen vor und seit der Corona-Pandemie
8.1.6 Pädagogische Herausforderungen in der stationären Versorgung durch Nähe und Distanz
8.1.7 Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie in der stationären Versorgung
8.2 Gesamtdarstellung der wichtigsten Kernergebnisse

9 Bedarfe von Menschen mit einer psychischen Erkrankung
9.1 Aus Sicht der Pädagogin

10 Schluss
10.1 Zusammenfassung
10.2 Ausblick

Literaturverzeichnis

Internetquellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabellenverzeichnis

Tab.1 : ICD-10/BLS (Sendera, A. & Sendera, M. 2011, S. 90)

Tab. 2 : Diagnostische Kriterien ICD-10/BLS (Sendera, A. & Sendera, M. 2011, S. 90)

Tab. 3 : Diagnostische Kriterien DSM-IV/BLS (Saß, H. et al. 1996 zit. nach Sendera, A. & Sendera, M. 2011, S. 91)

1 Einleitung

Im Dezember 2019 wurde in Wuhan (China) ein neues Virus entdeckt. Zu Beginn nahm man an, dass es sich dabei um eine virale Lungenentzündung handelt, deren Ursache unbekannt war (vgl. Rehmann-Sutter, C. 2021, S. 13). Am 9. Ja­nuar 2020 bekam das unbekannte Virus den Namen Coronavirus. Das Virus brei­tete sich sehr rasch in China aus. Nach kurzer Zeit wurden die ersten Fälle auch in den USA gemeldet. Ende Januar wurde noch eine Epidemie durch das Virus angenommen, doch da es sich rasch verbreitete und mit bekannten medizini­schen Maßnahmen nicht eindämmen ließ, sodass immer mehr Menschen davon betroffen waren, sprach die WHO ab März 2020 von einer Pandemie (vgl. Reh­mann-Sutter, C. 2021, S. 13). Virologen hatten unterschiedliche Meinungen zum Umgang mit der Pandemie, denn es handelte sich um eine neuartige Krisensitu­ation. Diese wurde sehr genau beobachtet und sämtliche Maßnahmen wurden gründlich durchdacht, geplant und umgesetzt. Dennoch verbreitete sich das Virus über die ganze Welt und so kam es zu Reisebeschränkungen und Ausgangs­sperren sowie vielen weiteren Beschränkungen. So fand z.B. die Kommunikation der Menschen hauptsächlich über Medien statt (vgl. Kröll, W. et al. 2020, S. 7). Alle Menschen waren somit in irgendeiner Weise von der Pandemie betroffen.

Vor diesem Hintergrund greift die vorliegende Arbeit mit dem Thema „Menschen mit Persönlichkeitsstörungen: Borderline-Störung“ eine spezielle Gruppe von Menschen heraus und beschäftigt sich mit der Fragestellung: „Welche Verände­rungen haben sich für junge Menschen mit einer Borderline- Persönlichkeitsstö­rung durch die Corona- Pandemie ergeben?“, die anhand einer qualitativen em­pirischen Analyse mittels Experteninterviews beantwortet werden soll. Dieser Ge­genstand wurde ausgesucht, da die Corona-Pandemie sowie ihre Auswirkungen und die damit verbundenen Herausforderungen ein sehr aktuelles Thema sind, das die gesamte Bevölkerung betrifft. Doch obwohl seit Beginn der Corona-Pan- demie viele Untersuchungen zu diesem Thema durchgeführt wurden, gibt es in vielen Bereichen noch große Forschungslücken. Von einer solchen Forschungs­lücke betroffen sind Menschen mit Persönlichkeitsstörungen. Dies könnte daran liegen, dass diese Personengruppe nicht die Mehrheit der Bevölkerung darstellt und Forscher*innen daher andere Bereiche für wichtiger erachten. Doch sind Menschen, die an psychischen Krankheiten leiden, wie Menschen mit einer

Persönlichkeitsstörung wie der Borderline-Störung, von der Pandemie und ihren Auswirkungen besonders betroffen, denn der Konflikt mit sich und ihrer Umwelt, den sie schon vorher austragen mussten, verschärft sich durch die coronabe- dingten Veränderungen.

Immer mehr Forscher*innen untersuchen mittlerweile den Umgang, die Erfahrun­gen sowie das Verhalten von (jungen) Menschen mit der Corona-Pandemie. Ei­nige dieser Untersuchungen sind die „JuCo“ (Jugend und Corona) (Andresen, S. et al. 2020, o. S.) und die „KiCo“ (Kindheit und Corona) (Andresen, S. et al. 2020, o. S.) sowie die „COPSY“ (Corona und Psyche) (Ravens-Sieberer, U. et al. 2021, o. S.). Es handelt sich bei diesen Untersuchungen jedoch nicht um Langzeitstu­dien. Die JuCo sowie KiCo entstanden zeitgleich und verliefen in zwei Zeitab­schnitten: Die erste Erhebung fand im April 2020 und die zweite im November 2020 statt (vgl. Andresen, S. et al. 2020, o. S.). Die JuCo untersucht die „Erfah­rungen und Perspektiven von jungen Menschen während der Corona-Maßnah- men“ und die KiCo betrachtet „Kinder, Eltern und ihre Erfahrungen während der Corona-Pandemie“ (Andresen, S. et al. 2020, o. S.). Die COPSY geht auf „die Auswirkungen und Folgen der COVID-19-Pandemie auf die psychische Gesund­heit von Kindern und Jugendlichen“ (Ravens-Sieberer, U. et al. 2021, o. S.) ein und wurde zum ersten Mal im Mai 2020 durchgeführt.

Diese Arbeit ist wie folgt gegliedert: Nach der Einleitung wird in Kapitel 2 der aktuelle Forschungsstand zu diesem Thema mit den momentanen Debatten und Konflikten im Forschungsgebiet dargestellt. Kapitel 3 gibt daraufhin in drei Unter­kapiteln eine theoretische Einführung zu Persönlichkeitsstörungen, zur Border- line-Persönlichkeitsstörung und der entsprechenden Pädagogik sowie deren Zu­sammenhang und Schnittstellen basierend auf Fachliteratur wieder. Das Kapitel schließt mit den Herausforderungen durch Kinder und Jugendliche mit Border- line-Störung in deren Familien sowie in speziellen stationären Wohnformen für diese Klientel.

Kapitel 4 beschäftigt sich mit den Forschungszielen, den Gründen für das Zu­standekommen dieser Arbeit und dem Feldzugang unter den erschwerten Corona-Bedingungen. Anschließend thematisiert das fünfte Kapitel die qualita­tive Forschung und ihre Grundlagen, wie die fünf Postulate und die 13 Säulen 7 des qualitativen Denkens. Darauf aufbauend beschreibt das Kapitel 6 die Metho­dik dieser Arbeit, beginnend mit einer theoretischen Einführung in die Erhebungs­methode, das Interview im Allgemeinen sowie das Experteninterview im Speziel­len. Nachdem dann die methodische Vorgehensweise erläutert wurde, erfolgt eine kritische Reflexion der Vor- und Nachteile des Experteninterviews, die in einer Gesamteinschätzung der Vor- und Nachteile dieser Methode seitens der Forscherin mündet.

Im Kapitel 7 findet dann die Auswertung der für diese Arbeit durchgeführten Un­tersuchung mithilfe eines induktiven Kategoriensystems statt. Hier erfolgt zu Be­ginn eine theoretische Einführung in die Auswertungsmethode der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring. Dann werden die methodische Umsetzung der Auswertung und die Ergebnisse beschrieben. In Kapitel 8 findet eine ausführliche Analyse aller coronabedingten Veränderungen, die durch die Pandemie zu­stande gekommen sind, statt. Die Ergebnisse werden anhand acht wichtiger As­pekte differenzierter analysiert, belegt und interpretiert, um zum Schluss eine Ge­samteinschätzung aller wichtigen Ergebnisse zu präsentieren. Bevor die Arbeit endet, werden noch die Bedarfe der jungen Menschen aus der Sicht der Fach­experten genannt. Zum Schluss erfolgen eine Zusammenfassung sowie eine Re­flexion der gesamten Forschungsarbeit und ein Ausblick auf mögliche weiterfüh­rende Forschungsfragen.

2 Forschungsstand

Dieses Kapitel widmet sich dem aktuellen Forschungsstand zu jungen Menschen in der Corona-Pandemie. Ein Schwerpunkt wird die COPSY-Studie sein, die „die Auswirkungen und Folgen der COVID-19-Pandemie auf die psychische Gesund­heit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland“ (Ravens-Sieberer, U. et al. 2021, o. S.), also veränderte Verhaltensweisen junger Menschen seit der Pande­mie, untersucht. Pandemiebedingte Veränderungsprozesse bezüglich der psy­chischen Gesundheit betreffen Kinder und Jugendliche mit und ohne Borderline- Störung gleichermaßen. Auch die Auswirkungen sowie die Folgen ähneln sich oder entsprechen einander. Daher werden die Ergebnisse der COPSY-Studie sowie weitere Studien im Folgenden aufgeführt.

Die COVID-19-Pandemie wird als ein multidimensionaler sowie potenziell toxi­scher Stressfaktor verstanden, da sie fünf Charakteristika kennzeichnen (vgl. Brakemeier, E.-L. et al. 2020, S. 1ff.):

„Globale Verbreitung von unvorhersehbarer Dauer, individuelle Auswir­kungen auf verschiedene Lebensbereiche, subjektiv erlebter Kontrollver­lust, systemische Auswirkungen auf die Gesellschaft, Einschränkungen des Zugangs zu Schutzfaktoren und Hilfesystemen.“ (ebd., S. 3)

Aus der Sicht verschiedener Fachexpert*innen unterschiedlicher Disziplinen, be­sonders von Mediziner*innen und Psycholog*innen, hat die Pandemie Auswir­kungen auf Menschen aller Lebensspannen, von der Kindheit bis zum höheren Lebensalter. Das Kindes- und Jugendalter ist der sensibelste Lebensabschnitt eines Menschen, denn in dieser Zeit sind die Menschen besonders vulnerabel und neigen daher mehr zu psychischen Störungen. In einer repräsentativen Un­tersuchung im Jahre 2008 „zur psychischen Gesundheit von Kindern und Ju­gendlichen in Deutschland“ fanden die Forscher*innen heraus, dass „15% der 7- bis 17-Jährigen“ bereits psychische Probleme haben (Ravens-Sieberer, U. et al. 2008 zit. nach Brakemeier, E.-L. et al. 2020, S. 6). Ergebnisse aus der „Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland“ (Brakemeier, E.- L. et al. 2020, S. 6) zeigen ebenfalls mit 20% in der ersten Erhebung und 17% in der zweiten Erhebung, dass „Kinder und Jugendliche zwischen 3 und 17 Jahren“ psychische Auffälligkeiten aufweisen (Klipker, K. et al. 2018 zit. nach Brakemeier, E.-L. et al. 2020, S. 6).

Untersuchungen verschiedener Forscher*innen zeigen, dass sich die Kindheit und Jugend seit der Corona-Pandemie sehr verändert haben. Sie haben sich so stark gewandelt, dass bereits Kinder und Jugendliche unter schwerwiegenden psychischen Auswirkungen und Folgen leiden (vgl. Andresen, S. et al. 2020, o. S./Ravens-Sieberer, U. et al. 2021, o. S.). Neben den negativen Effekten kommt es jedoch auch zu positiven Effekten ebenfalls, auch wenn diese seltener sind. Um die Auswirkungen und Folgen voneinander abzugrenzen, wurden unter­schiedliche Untersuchungen mit vielfältigen Schwerpunkten mithilfe quantitativer Forschungsmethoden, wie (Online-)Fragebögen, durchgeführt (vgl. Ravens-Sie- berer, U. et al. 2021, o. S.). Dazu gehören die COPSY-Studie (Corona und Psy­che), die „JuCo (Jugend und Corona) [und] KiCo (Kinder und Corona)“ (Andresen, S. et al. 2020, o. S.). Im Rahmen von JuCo wurden Jugendliche und Erwachsene zwischen 15 und 30 Jahren befragt. KiCo ist die zu JuCo parallel durchgeführte Untersuchung, die Kinder unter 15 Jahren betrachtet hat (vgl. ebd., o. S.). Bei KiCo wurden die Kinder mit ihren Eltern und Personensorgeberechtig­ten befragt. Somit ergab sich ein breites Befragtenspektrum von 12.500 jungen Menschen zwischen 0 und 30 Jahren, die zwischen April und November 2020 an der Befragung teilgenommen haben. In beiden Untersuchungen ging es um die Erfahrungen der Befragten mit der Pandemie (Andresen, S. et al. 2020, o. S.).

Die COPSY-Untersuchung betrachtet genau diesen Lebensbereich, die psychi­schen Auswirkungen, detaillierter. Es ist eine Längsschnittstudie, die von mehre­ren Forscher*innen in Kooperation durchgeführt wurde. Das Design sowie die Methodik wurden in Anlehnung an die „repräsentative longitudinale BELLA-Stu­die“ (Ravens-Sieberer, U. et al. 2021, o. S.) konzipiert. Die BELLA-Studie ist ein Modul der KIGGS-Studie, in dem es um „die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland“ (ebd., o. S.) geht. Beide Untersuchungen un­terstützen sich gegenseitig, indem die Datensätze der BELLA-Studie als Refe­renzdaten dienen. Das heißt, diese Daten liefern die Ergebnisse für die Zeit vor der Corona-Pandemie und die Ergebnisse der COPSY-Studie zeigen die aktuelle Entwicklung seit der Pandemie auf. Beide werden am Ende der Untersuchungen miteinander verglichen (vgl. ebd., o. S.). Die bundesweit in Deutschland durch­geführte COPSY-Studie wurde von Mai bis Juni 2020 als Online-Befragung durchgeführt. Die „repräsentative Stichprobe umfasste insgesamt mehr als 1.000 11- bis 17-jährige Kinder und Jugendliche sowie 1.500 Eltern von 7- bis 17-Jäh­rigen“ (ebd., o. S.). Dabei wurden Krisensituationen in verschiedenen Lebensbe­reichen erforscht. Eine Folgebefragung fand von Dezember 2020 bis Januar 2021 statt, eine weitere Folgebefragung war für den Sommer 2021 geplant, um den Entwicklungsstand zu überprüfen (vgl. Ravens-Sieberer, U. et al. 2021, o. S.).

Bei einer differenzierten Betrachtung der Ergebnisse der drei Studien, fällt auf, dass alle drei unterschiedliche Items in den Fokus gestellt und abgefragt haben. Die ersten beiden Studien, die parallel liefen, bei denen einmal Eltern für sich und für ihre Kinder befragt wurden, haben unterschiedliche Themenbereiche behan­delt. So hat sich KICo mit den vier großen Themenblöcken „1. Geteilte Erfahrun­gen - Zwei Pole des Erlebens, 2. Familien und ihre Abhängigkeit von der funkti­onierenden Infrastruktur, 3. Die Situation zu Hause sowie 4. Familienleben als Seismograph sozialer Folgen der Pandemie“ beschäftigt (Andresen, S. et al. 2020, S. 3). Die JuCo-Studie dagegen hat die „Erfahrungen und Perspektiven von jungen Menschen während Corona und [die] direkten Botschaften der Ju­gendlichen und jungen Erwachsenen“ abgefragt und behandelt (vgl. ebd.). Im ersten Themenbereich bzw. Item, geteilte Erfahrungen, wurden die „Zufrieden­heit und Sorgen“ vor und seit Corona ermittelt. Dabei sollten die Eltern zuerst für sich, dann für ihre im Haushalt lebenden Kinder eine Einschätzung auf einer Skala zwischen „0 = total unzufrieden“ bis „10 = zu 100%“ zufrieden abgeben (vgl. ebd., S. 9). Die Eltern antworteten, dass sie selbst weniger zufrieden seit Corona sind als ihre Kinder.

Die Streuung zwischen der Zeit vor und seit Corona ist gering. Der Wert für die Zeit vor Corona liegt zwischen 1,466 bis 1,970, der Wert seit Corona und den damit verbundenen Einschränkungen zwischen 2,521 und 2,786. Der Aussage, dass die Sorgen von den Politikern wahrgenommen werden, stimmen 13% sehr zu, 31,9% stimmen gar nicht zu und 29% stimmen kaum zu (vgl. ebd.). Beim Item Differenzierung, zu dem sich die Eltern offen sich äußern konnten, beschreiben sie unterschiedliche Situationen, aus denen unterschiedliche Meinungsbilder und Erkenntnisse hervorgehen, denn je nach Situation sind die einen zufrieden, an­dere nicht zufrieden oder teilweise zufrieden (vgl. ebd., S. 11ff.).

Im zweiten Themenblock zu „Familien und ihre[r] Abhängigkeit von der funktio­nierenden Infrastruktur“ (Andresen, S. et al. 2020, S. 15) wurden zwei wichtige Unterthemen behandelt: „Der Kontakt zu Kita und Schule“. Corona hat zum „Wegbrechen der Infrastruktur“ geführt. Außerdem kam es zum „Homeschooling“ und damit verbundenen unterschiedlichen „Perspektiven der Familien“ (ebd., S. 15f.). An der Befragung nahmen Eltern teil, von denen ein bis drei Kinder eine Kita oder Schule besuchen. Haushalte mit vier bzw. fünf Kindern nahmen kaum an der Studie teil. Daher wurden diese Familien nicht in die Stichprobe mitaufge­nommen. 98% der befragten Eltern leben mit ein bis drei Kindern im Haushalt, nur 2% mit vier oder fünf Kindern. Da die erste Gruppe fast die Grundgesamtheit von 100% darstellt, wurde die Minderheit nicht mitberücksichtig (vgl. Andresen, S. et al. 2020, S. 15f). Insgesamt ergaben sich daraus sechs Kurven, die mit K (Kind) und der Zahl, um das wievielte Kind es sich handelt, beschriftet sind (K1 Schule, K1 Kita, K2 Schule, K2 Kita, K3 Schule und K3 Kita). Bei allen sechs Kurven sieht die Kurvenverteilung tendenziell gleich aus, was bedeutet, dass die Anzahl der Unzufriedenen sehr hoch ist, da sie den Wert 1 angegeben haben. Eine weitere tendenziell gleich verteilte Kurve liegt bei dem Wert 5 und bei dem Wert 10 vor. Die Werte unterscheiden sich nach dem Alter des Kindes oder der Kinder, die im Haushalt sind. 14,7% der Familien mit einem zweijährigen Kind sind vollkommen unzufrieden mit der aktuellen Situation. Dagegen sinkt der Wert bei den Familien, deren Kind oder Kinder 14 Jahre alt ist bzw. sind, auf 4,8% Unzufriedenheit. 11,1% der Familien sind gänzlich zufrieden.

Daraus lässt sich schließen, dass das Alter der Kinder eine wichtige Rolle für die Belastung und Zufriedenheit Eltern spielt. Je älter die Kinder sind, desto selbst­ständiger sind sie und desto weniger Hilfe durch die Eltern brauchen sie in ihrem Alltag.

Die Ergebnisse der KiCo-Studie weisen eine Verbindung zu der parallel durch­geführten JuCo-Studie auf, bei der die Jugendlichen befragt worden sind (vgl. Andresen, S. et al. 2020, S. 16).

Im dritten Themenblock, in dem es um Homeschooling ging, antworteten die El­tern eher neutral, d.h. sie waren weder unzufrieden noch zufrieden mit der aktu­ellen Situation. Dabei lag der Mittelwert „für das erste Kind bei 4,38, für das zweite Kind bei 4,55 und für das dritte Kind bei 4,57“ (Andresen, S. et al. 2020, S. 17). Somit sind keine Unterschiede unter den Kindern zu erkennen. Wenn die Frage­stellung erweitert wird und „die Zufriedenheit mit der Unterstützung der Lehr­kräfte“ behandelt, sind die Befragten uneinig. Jedoch zeigen sich Tendenzen eher im negativen Bereich, was bedeutet, dass die Befragten unzufrieden sind. Beide Ergebnisse zusammengefasst lässt sich schließen, dass die Eltern die Lernerfolge sowie die positiven Ergebnisse ihrer Kinder nur diesen selbst zurech­nen und nicht der Unterstützung der Lehrkräfte sowie deren Vermittlung. Außer­dem sind ca. 60% der Eltern mit dem Informationsaustausch seitens der Schulen sehr unzufrieden. Nur ca. 30% sind mit dem Informationsaustausch zufrieden und 10% sind weder zufrieden noch unzufrieden (vgl. Andresen, S. et al. 2020, S. 17). Der letzte und somit dritte Themenblock behandelt das Thema „Fehlende Passungen: Erwerbstätigkeit und Homeschooling“ (Andresen, S. et al. 2020, S. 18). Eltern haben neben den Veränderungen in den betreuenden Systemen noch weitere Veränderungen seit der Corona-Pandemie erlebt, wie z.B. beruflich be­dingte Veränderungen.

Die Ergebnisse der Studien zeigen aufschlussreiche Unterschiede zwischen den unterschiedlichen Familien bzw. Familienstrukturen auf. Durch die Schließung der Kinder- und Jugendtageseinrichtungen, wie von Kitas und Schulen, erlebten Familien erhebliche Auswirkungen auf das Familien- und Berufsleben. Zusam­menfassend kann gesagt werden, dass die Eltern sehr massive Belastungen er­fahren, was sich in vielerlei Hinsicht bemerkbar macht. Diese vielfältigen und wechselhaften Herausforderungen für die Eltern führen zu Überforderung, Über­lastung und Unzufriedenheit, aufgrund derer die Eltern oftmals Schuldgefühle ge­genüber unterschiedlichen Akteuren, wie dem Arbeitgeber, empfinden (vgl. ebd.). Im Themenblock „Die Situation zu Hause“ wurden zwei Bereiche, Stimmung zu Hause sowie finanzielle Ressourcen, abgefragt. Es ging um „die allgemeine Stim­mung zu Hause“ sowie die Wahrnehmung der Zeit im eigenen Zuhause, das heißt, ob das Zuhause als Rückzugsort erlebt wurde. Von den Befragten sind nur wenige zu 100% zufrieden, die Mehrheit der Eltern bewertet die Situation mit ei­ner Fünf oder mit einer Sieben, also etwa mittelmäßig. Allerdings bewerten die Eltern für ihr Kind oder für ihre Kinder die gleichen Items mit acht, d.h. fast 100% zufrieden. Es fällt aber auf, dass bei Fragen bezüglich der Zeit zu Hause und der Fürsorge die Zufriedenheit sehr hoch bewertet wird. Dies deutet darauf hin, dass die Fragebögen zu 90% von den Müttern beantwortet wurden. Mütter sind im Haushalt allzuständig und verantwortlich für viele wichtige Lebensbereiche, was sich in den Antworten widerspiegelt (vgl. Andresen, S. et al. 2020, S. 19).

Womöglich am auffälligsten sind die Unterschiede zwischen den Eltern und ihren Kindern, wenn es um die Frage nach den Rückzugsorten bzw. dem eigenen Zu­hause als Rückzugsort geht. Für 90% der Kinder ist das eigene Zuhause ein Rückzugsort. Bei den Erwachsenen, also bei den Eltern, sinkt der Wert auf über 40% (vgl. Andresen, S. et al. 2020, S. 20).

Auf die Fragen bezüglich finanzieller Ressourcen, d.h. Geldsorgen, seit der Pan­demie haben die Eltern unterschiedlich geantwortet. Je nach den Familienstruk­turen sind die Eltern mehr oder weniger belastet und somit mehr oder weniger auf Unterstützung angewiesen. 33,9% der Eltern gaben an, dass sie seit der Corona-Pandemie sehr unter Geldknappheit leiden. Auch hierbei ist die Gruppe der Ein-Eltern-Haushalte deutlich mehr von Geldsorgen betroffen als die anderen Haushalte. Wenig überraschend kam wieder sehr deutlich zum Vorschein, dass Familien, die vor der Pandemie bereits strukturelle Benachteiligungen und mul­tiple Belastungen erfahren haben, seit der Pandemie noch mehr benachteiligt und belastet sind. Denn zu den bereits vorhandenen sind weitere Faktoren hin­zugekommen, was dazu geführt hat, dass die Herausforderungen sich verdoppelt haben (vgl. ebd., S. 21).

Das nächste und somit das letzte Thema ist das Wohlbefinden von „Familien sowie deren Erfahrungen mit und Deutungen der Corona-Maßnahmen“ (Andresen, S. et al. 2020, S. 22). Im Fokus standen hier nicht nur Problemsitua­tionen, sondern auch die Gestaltung der Familienzeit. Dabei spielen die passge­nauen Unterstützungen seitens des Staates für die vielfältigen Familienstrukturen und -bedarfe sowie Faktoren wie Zeit, Geld und Infrastruktur eine zentrale Rolle. Auch hier haben die Erwachsenen ihre Zufriedenheit insgesamt niedriger bewer­tet als die ihrer Kinder. Eltern versuchen, ihren Kindern Dinge zu ermöglichen, z.B. Spielräume, auch wenn sie dabei auf die Erfüllung ihrer eigenen Bedürfnisse oftmals oder immer verzichten (vgl. ebd.). Für viele Familien hat sich durch die Pandemie vieles plötzlich verändert. Menschen, die bereits vor der Pandemie wenige Kontakte hatten, kamen mit den Lockdowns besser zurecht. Anderen wiederum fiel es sehr schwer, plötzlich nicht mehr viel unter Menschen zu sein. Vor diesem Hintergrund gingen die Meinungen in diesem Bereich auseinander (vgl. Andresen, S. et al. 2020, S. 22). Festgehalten werden kann jedoch, dass sich in vielen Familien „die sozialen Folgen der Regulationen der Pandemie bün­deln“ (ebd., S. 23). Familien sind wie ein Seismograph geworden, über den man von außen die gesellschaftlichen Probleme beobachten kann, d.h. wer sich ein genaues Bild über die Herausforderungen und Folgen der Pandemie verschaffen will, muss den Blick auf die sozialen Systeme wie die Familien richten. Denn sie sind „zum Ort der Aushandlung sozialer Zufriedenheit und der Bewältigung der sozialen Ungleichheit“ (ebd.) geworden.

Die COPSY-Studie hatte insgesamt sechs zentrale Themen, zu denen neue Er­kenntnisse gewonnen worden sind. Diese Themen sind: „Belastungserleben in der ersten Welle der COVID-19-Pandemie, Lebensqualität in der ersten Welle der COVID-19-Pandemie, Psychische Auffälligkeiten in der ersten Welle der CO- VID-19-Pandemie, Risiken, Gesundheitsverhalten in der ersten Welle der CO- VID-19-Pandemie, Unterstützungsbedarfe“ (Ravens-Sieberer, U. et al. 2021, o. S.). Die Ergebnisse zeigen, dass insgesamt 70,7% der Kinder und Jugendlichen sowie 75,4% der Eltern die aktuellen Veränderungen als sehr belastend bewer­teten. Kinder und Jugendliche belasteten drei Faktoren: zu 64,4% Homeschoo­ling, zu 82,8% die Kontakteinschränkung, d.h. fehlende soziale Kontakte zu Freunden, und zu 27,6% Streitigkeiten innerhalb der Familie. 79% der Eltern da­gegen belasteten die Veränderungen im beruflichen Kontext.

40,2% der 11- bis 17- jährigen gaben an, dass sich ihre Lebensqualität deutlich verschlechtert habe. Vor der Pandemie lag der Wert laut der BELLA-Studie bei 15,3%. 41,9% der Eltern bewerteten für ihre Kinder, dass die Pandemie zu einer Verschlechterung der Lebensqualität geführt habe. Etwa 54,9% beurteilten die Lebensqualität als mittelmäßig und 3,2% bewerteten die Lebensqualität als hoch (vgl. ebd.).

Es fällt auf, dass die Prävalenz für psychische Auffälligkeiten massiv gestiegen ist, denn der Wert liegt 30,4%. Vor der Pandemie lag dieser Wert noch bei 17,6%. Hinzu kommt, dass die Kinder sowie die Jugendlichen seit der Pandemie über generalisierte Angststörungen berichten. Hier ist der Wert von 14,9% auf 24,1% gestiegen. Darüber hinaus berichten die Kinder und Jugendlichen über weitere Symptome, wie „Niedergeschlagenheit, Schwermut sowie Hoffnungslosigkeit“ (Ravens- Sieberer, U. et al. 2021, o. S.), die vor der Pandemie nicht oder sehr gering vorhanden waren.

Von all diesen Belastungen sehr massiv betroffen sind die Familien, in denen die Eltern einen sehr niedrigen Bildungsabschluss haben. Denn sie können ihre Kin­der beim Homeschooling nicht unterstützen. Oftmals haben diese Familien auch einen Migrationshintergrund, was diese zusätzlich belastet, denn viele von ihnen haben sehr geringe Sprachkenntnisse im Deutschen. So sind diese Kinder und Jugendlichen doppelt belastet (vgl. ebd.).

Außer den bereits oben dargestellten Bereichen wurde das Gesundheitsverhal­ten ebenfalls abgefragt. Das Gesundheitsverhalten hat sich stark verschlechtert. So nutzen 33,3% der Kinder und Jugendlichen sehr viel Medien über mehrere Stunden pro Tag, 19,3% treiben keinen Sport und 26,3% essen viel öfter Süßig­keiten (vgl. Ravens- Sieberer, U. et al. 2021, o. S.).

63% der Eltern gaben an, dass sie Unterstützung für ihre Kinder wünschen, damit sie mit den Belastungen der Pandemie zurechtkommen. Am häufigsten aber wünschen sich die Eltern Unterstützung bei der Bewältigung der schulischen As­pekte, wie des Homeschoolings. Darüber hinaus haben die Eltern weitere Be- darfe und Wünsche, wie z.B. Online-/telefonische Unterstützung, d.h. Beratung durch Experten, schriftliche Materialien oder Ratgeber, die bei der Bewältigung des Alltags von Nutzen sein könnten (vgl. ebd.).

Eine weitere Studie mit dem Titel „Die COVID-19-Pandemie als Herausforderung für die psychische Gesundheit“ (Brakemeier, E.-L. et al. 2020, S. 1) beschäftigt sich ebenfalls mit den Auswirkungen der Pandemie auf die Menschen. Auch diese Studie kam zum Ergebnis, dass die Pandemie die psychische Gesundheit sehr belastet. Eine weitere wichtige Erkenntnis aus der Studie ist, dass die Symp­tomatik der psychisch Vorerkrankten sich in den meisten Fällen verschlimmert hat (vgl. Brakemeier, E.-L. et al. 2020, S. 11).

Das heißt, dass Angstzustände, Anpassungsstörungen und weitere Symptome sich erheblich verschlechtert haben. Bei Personen mit Substanzabhängigkeit ist die Rückfallquote gestiegen (vgl. ebd., S. 11ff.).

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die ersten Ergebnisse von den drei Studien COPSY, KiCo und JuCo sowie die Studie die COVID- 19- Pandemie als Herausforderung für die psychische Gesundheit zeigen zum größten Teil die negativen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Kinder und Jugendliche in unterschiedlichen Lebensbereichen. Davon betroffen sind ebenfalls auch die El­tern, also auch die Erwachsenen. Eines der am meisten und negativsten betroffe­nen Lebensbereiche ist die Gesundheit, vor allem die psychische Gesundheit (vgl. Andresen, S. et al. 2020, o. S./Ravens-Sieberer, U. et al. 2021, o. S./Brake- meier, E.-L. et al. 2020, S. 2ff.).

3 Persönlichkeitsstörungen

Die Frage, ob bereits Kinder und Jugendliche an der Borderline-Persönlichkeits- störung erkranken können oder ob die Störung erst im späteren Lebensalter di­agnostiziert werden kann, ist ein viel diskutiertes Thema unter den Expert*innen aus unterschiedlichen Professionen. Die einen sagen, „die Kindheit und Jugend­zeit ist die Zeit, in der sich die Persönlichkeit erst einmal ausbildet“ (Schäfer, U. et al. 2011, S. 114). Andere wiederum meinen, dass bereits im Kindes- und Ju­gendalter die ersten Symptome auftreten können. Bekannt ist, dass Störungen wie ADHS im Kindesalter sowie im Jugendalter vorkommen können, die ähnliche Symptome wie Borderline zeigen. Untersuchungen zeigen, dass bereits im Ju­gendalter deutlich erkennbare Hinweise auf eine spätere Borderline-Störung zu sehen sind (vgl. ebd.).

Kapitel drei widmet sich dem großen und facettenreichen Thema der Persönlich­keitsstörungen. Beginnend mit den allgemeinen Informationen zu Persönlich­keitsstörungen folgt das spezielle Störungsbild der Borderline-Störung. Dabei wird die Borderline-Persönlichkeitsstörung aus Sicht von zwei Fachbereichen, der Medizin sowie der Sozialen Arbeit, definiert. Im letzten Abschnitt dieses Ka­pitels wird das Thema etwas spezifiziert, indem die Herausforderungen von Kin­dern und Jugendlichen mit einer Borderline-Störung in der Familie sowie in einem Heim bzw. in einer Wohngruppe aufgegriffen werden.

3.1 Allgemeine Informationen zu Persönlichkeitsstörungen

Unter einer Persönlichkeitsstörung versteht man Verhaltensweisen, was kulturell als unerwünscht angesehen wird. Dabei verhalten sich die Betroffenen nicht nach den in der Gesellschaft als normal angesehenen Normen und Werten. Persön­lichkeitsstörungen, die im Erwachsenenalter diagnostiziert werden, sind Störun­gen, die in die Kindheit zurückreichen. Sie entstehen durch negative, traumati­sche oder bindungsgeschichtliche Erlebnisse und Ereignisse, die bereits im Kindesalter gemacht wurden, aber nicht verarbeitet worden sind (vgl. Höwler, E. 2020, S. 209).

Störungen in „der Regulation von Affekten und der Kontrolle von Impulsen“ (Schmid, M. & Schmeck, K. 2013, S. 513) gehören zu den wichtigsten Merkmalen von Persönlichkeitsstörungen, denn durch die Störungen haben die Betroffenen Schwierigkeiten in der Interaktion mit anderen Menschen, da die Menschen mit einer Persönlichkeitsstörung „relativ stabile und unflexible Handlungsmuster und Einstellungen“ (ebd.) gegenüber sich selbst und den anderen Menschen im Um­feld haben (vgl. Schmid, M & Schmeck, K. 2013, S. 513).

Betroffene mit solchen Erfahrungen leiden, wenn sie im Kindesalter nicht erkannt und behandelt werden, meist bis ins Erwachsenenalter (vgl. Höwler, E. 2020, S. 209).

Betrachtet man die Gesamtbevölkerung, so leiden etwa 10% unter Persönlich­keitsstörungen. Um eine genaue Diagnose festzulegen, muss das Verhalten min­destens seit zwei Jahren bestehen. Wichtige Merkmale für die Feststellung der Persönlichkeitsstörung sind gestörte Verhaltensweisen in den Lebensbereichen des Sozialen, des Beruflichen sowie im privaten Alltag (vgl. ebd., S. 210).

In den nächsten Abschnitten wird eine der Persönlichkeitsstörungen, die Border- line-Störung, genauer dargestellt.

3.2 Borderline-Störungen

„Borderline heißt übersetzt Grenzfall, gemeint ist damit ein Grenzfall zwischen Neurose und Psychose“ (Heinemann, E. & Hopf, H. 2015, S. 293). Außerdem ist die Borderline-Persönlichkeitsstörung eine Diagnose, die auf zwei Aspekten, der Ich-Struktur und den Abwehrmechanismen, basiert (vgl. ebd.). Bereits bei der Begriffsentstehung beschrieben die Expert*innen die Störung als ein Störungs­bild, das sowohl neurologische als auch psychologische Symptome aufweist. Das Befinden der Betroffenen ist „im Grenzbereich zwischen Neurose und Psy­chose“ (Höwler, E. 2020, S. 212). Daher sehen die Betroffenen sich selbst als „Grenzgänger“ (ebd.).

Im Kindes- und Jugendalter spricht man von Borderline-Störungen, „wenn sich die Symptomatik der Betroffenen nicht nur auf eine Entwicklungsstufe begrenzen lässt“ (Sendera, A. & Sendera, M. 2016, S. 194) und sonstige Erkrankungen, die ähnlichen Symptome haben könnten, ausgeschlossen sind. Dennoch muss im Rahmen der psychischen Diagnostik sehr vorsichtig verfahren werden, denn jede zu schnelle Handlung kann sich sowohl sehr „negativ auf die Entwicklung des Kindes, sein Selbstkonzept als auch auf sein familiäres Umfeld auswirken“ (Sen- dera, A. & Sendera, M. 2011, S. 84f.).

Hierbei müssen auch die negativen Auswirkungen auf die Zukunft mitberücksich­tig werden, denn Kinder sind sehr sensibel, gerade in den ersten Jahren sind sie sehr vulnerabel (vgl. ebd., S. 85). Dennoch ähneln die Grundannahmen bei der Diagnostik den Grundannahmen der Erwachsenendiagnostik (vgl. ebd., S. 194).

Untersuchungen zeigen, dass die Prävalenz im Jugendalter bei etwa 1,5% liegt. In der Adoleszenz steigt die Prävalenz von 1,5% auf 5%. Die Geschlechterver- teilung liegt bei etwa 60% weiblichen und 40% männlichen Betroffenen. Das heißt, Mädchen bzw. Frauen neigen eher dazu, eine Borderline-Störung zu ent­wickeln (vgl. Höwler, E. 2020, S. 215). Borderline-Störungen gehören zu den meist untersuchten Persönlichkeitsstörungen, da die Prävalenz in den späteren Lebensjahren immer mehr steigt. Im Jugendalter tritt das Störungsbild mit weite­ren Störungen, wie „Depressionen, Angststörungen, Substanzgebrauchsstörun­gen, Essstörungen, Zwangsstörungen“ (ebd., S. 213) und noch vielen weiteren Erkrankungen auf.

Die Diagnose wird heutzutage vermehrt gestellt. Eine Ursache ist ein zunehmen­der Wandel familiärer Strukturen. Das wiederum führt zu verschiedenen Folgen wie etwa Beziehungsstörungen. Außerdem verändern sich die Entwicklungsauf­gaben sowie Verantwortungsbereiche der Kinder und Jugendlichen, so dass von ihnen oftmals Aufgaben verlangt werden, denen sie biologisch, kognitiv sowie sozial-emotional nicht gewachsen sind (vgl. Höwler, E. 2020, S. 213).

Jedoch sind diese Konflikte nicht die einzigen, mit denen sie zurechtkommen müssen. Auch in außerfamiliären Lebensbereichen kommen weitere Konflikte und Probleme hinzu, wie der schulische Leistungsdruckt, d.h. das Mithalten mit anderen, um in der Gesellschaft anerkannt zu werden. Diese doppelte und mehr­fache Belastung führt zu inneren Krisen, was dann mit verschiedenen 19

Auffälligkeiten oder Störungen, wie etwa der Borderline-Störung, endet (vgl. ebd.). Darüber hinaus gibt es auch die Fälle von etwa 60-90% der Betroffenen, die durch traumatische Ereignisse wie „emotionale Vernachlässigung, Misshand­lungen oder sexuelle[n] Missbrauch“ (ebd., S. 215) eine Borderline-Störung ent­wickeln.

Als Symptom beobachtet man „Instabilität“. Diese zeigt sich in nicht funktionie­renden zwischenmenschlichen Beziehungen sowie in einem negativen Selbst­bild. Junge Frauen wechseln oft zwischen Idealisierung und Abwertung ihrer selbst. 75% der Borderline-Betroffenen neigen zu selbstverletzendem Verhalten (ebd., S. 214).

Einige Jugendliche ab dem 14. Lebensjahr, aber auch vereinzelt Kinder unter 12 Jahren verletzen sich selbst (vgl. Brunner, R. et al. 2007/Resch, F. 2001. zit. nach Petermann, F. et al. 2009, S. 36). Jedoch sind die Selbstverletzungen meist nur oberflächlich. Dabei wird die Haut oftmals mit scharfen Gegenständen wie Mes­sern, Klingen oder anderen Gegenständen geritzt, aufgeschnitten oder mit den Fingernägeln aufgekratzt. Außerdem gibt es noch andere Verletzungsmethoden, wie z.B. das Verbrennen der Haut mit Zigaretten. Untersuchungen belegen, dass die häufigste Selbstverletzung „Sich-Schneiden“ ist (vgl. Petermann, F. et al. 2009, S. 36).

Auch wenn Kinder teils autoaggressives Verhalten zeigen, beginnt das Phäno­men des Selbstverletzens, das schwerwiegende Folgen haben kann, zumeist im Pubertätsalter (vgl. Höwler, E. 2020, S. 214). „Das Ritzen mit scharfen Gegen­ständen gibt dem Betroffenen zum einen das Gefühl: ,Ich lebe noch‘“ (ebd.). Da­bei fällt von den Borderliner*innen der ganze „körperlich-psychische Spannungs­druck“ ab. Zum anderen empfinden die Betroffenen eine gewisse Entlastung bzw. Entspannung, was mit dem Fließen des Blutes zusammenhängt. Es kommt zu einer ,Regulation‘, wodurch die Betroffenen sich emotional befriedigen. Die Borderliner*innen entwickeln dabei das Gefühl, die Kontrolle über sich zurückzu­erhalten (vgl. ebd.).

„Nach ICD-10 enthält die Borderline-Störung Merkmale des F60.30 impulsiven Typus und des F60.31 Borderline-Typus“ (Sendera, A. & Sendera, M. 2011, S. 90). Mindestens drei der unten ( s. u. Tab. 1 ) genannten Kriterien müssen erkennbar zutreffen (vgl. ebd.).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tab.1 : „ICD-10/BLS“ (Sendera, A. & Sendera, M. 2011, S. 90)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tab. 2 : „Diagnostische Kriterien ICD-10/BLS“ (Sendera, A. & Sendera, M. 2011, S. 90)

Im DSM-IV werden neun Items als diagnostische Kriterien aufgeführt, davon müssen mindestens fünf vorliegen ( s. u. Tab. 3 ).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tab. 3 : „Diagnostische Kriterien DSM-IV/BLS“ (Saß, H. et al. 1996 zit. nach Sendera, A. & Sendera, M. 2011, S. 91)

„Schwere Persönlichkeitsstörungen manifestieren sich fast immer als in­terpersonelle Störungen, nicht nur als individuelle Beeinträchtigungen, sondern als Beeinträchtigungen des Sozialen.“ (Streeck, U. 2001, S. 99. zit. nach Göttsche, B. et al. 2009, S. 263)

Nachdem nun die allgemeinen Aspekte der Persönlichkeitsstörungen sowie der Borderline-Persönlichkeitsstörung näher beleuchtet worden sind, beschäftigen sich die folgenden Unterkapitel mit den Herausforderungen von Kindern und Ju­gendlichen im familiären Umfeld sowie unter Gleichgesinnten im Rahmen des stationären oder teilstationären Settings mit einer pädagogischen Betreuung und Begleitung, wie beispielsweise in einem Heim oder in einer Wohngruppe.

3.3 Kinder und Jugendliche mit einer Borderline-Störung - Herausforderungen

Es gibt viele Herausforderungen mit Kindern und Jugendlichen mit einer Border- line-Persönlichkeitsstörung. Borderliner*innen haben in allen Lebensbereichen, vom familiären Umfeld über Kinder- und Jugendtageseinrichtungen bis hin zu stationären oder teilstationären Betreuungseinrichtungen, Schwierigkeiten, sich anzupassen. Besonders das Zusammenleben in einer Familie und das Arbeiten mit Kindern und Jugendlichen, die an einer Borderline-Störung leiden, bringt viele Herausforderungen mit sich. Davon am meisten betroffen ist das pädagogische Handlungs- und Arbeitsfeld, denn dort sind diese Herausforderungen noch viel deutlicher zu sehen und zu spüren als in den anderen Handlungsfeldern. Immer mehr steigt die Zahl der Borderliner*innen in der ambulanten und stationären Versorgung (vgl. Göttsche, B. et al. 2009, S. 263f.). Die Verteilung liegt bei ca. 10-15% ambulant und ca. 15-25% stationär betreuten Fällen (vgl. Bohus, M. 2002, S. 10/vgl. Gunderson, J. G. 2005, S. 27, zit. nach Göttsche, B. et al. 2009, S. 264).

Im Vergleich zu den anderen Fachkräften wie Therapeut*innen oder Medizi- ner*innen arbeiten pädagogische Fachkräfte sehr eng mit ihren Klient*innen. Pä­dagogische Fachkräfte übernehmen viele Rollen, wie Begleiter*innen, Mitgestal- ter*innen, Familienersatz, Unterstützer*innen und noch viele mehr, für die Be- wohner*innen in den pädagogischen Institutionen (vgl. Schlüter-Müller, S. et al. 2009, S. 288ff.). Bereits die Beziehung zwischen den Fachkräften und den Kli- ent*innen bzw. Bewohner*innen ist anders aufgebaut als die Beziehung in ande­ren Settings, denn in einem stationären oder teilstationären Setting sind die Be­ziehungen emotionaler untereinander, da die Akteur*innen zusammenleben und vieles miteinander teilen. Daher ist die Beziehung zwischen den Pädagog*innen und den Bewohner*innen oftmals emotionaler als die Beziehung zwischen ande­ren Fachkräften und ihren Klient*innen. Es beginnt bereits bei der Benennung der Hauptakteur*innen, der Bewohner*innen bzw. Klient*innen. Auch die Anspra­che und die Wortwahl unterscheiden sich sehr (vgl. ebd.). Diese Beispiele sind nur einige von vielen.

[...]

Ende der Leseprobe aus 89 Seiten

Details

Titel
Veränderungen für junge Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung durch die Corona-Pandemie
Hochschule
Justus-Liebig-Universität Gießen  (Allgemeine Erziehungswissenschaften)
Veranstaltung
Masterarbeit
Note
7
Autor
Jahr
2021
Seiten
89
Katalognummer
V1185607
ISBN (eBook)
9783346618009
ISBN (Buch)
9783346618016
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Pädagogik, Psychologie, Boderline- Persönlichkeitsstörungen, Corona
Arbeit zitieren
Bachelor of Art Funda Yazici (Autor:in), 2021, Veränderungen für junge Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung durch die Corona-Pandemie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1185607

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