Jugendkriminalität. Theoretische und empirische Erkenntnisse sowie kriminalpräventive Hilfen


Diplomarbeit, 2008

154 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. EINLEITUNG

II. JUGENDKRIMINALITÄT – BEGRIFFLICHKEITEN SOWIE THEORETISCHE UND EMPIRISCHE ERKENNTNISSE
1. Begrifflichkeiten
1.1 Jugendliche – Heranwachsende: Altersphaseneinteilung aus verschiedenen Perspektiven
1.2 Kriminalität, Verbrechen, kriminell, abweichendes Verhalten – Jugendkriminalität und -delinquenz: Eine inhaltliche Annäherung an diese Begrifflichkeiten
2. Die Jugendphase im menschlichen Lebenslauf – Ein Exkurs
2.1 Entdeckung der Jugend als eigenständige Lebensphase
2.2 Merkmale und Entwicklungsaufgaben der Jugendphase
2.3 Resümee
3. Ausmaß und Struktur jugendlicher Kriminalität
3.1 Polizeilich registrierte Kriminalität Jugendlicher in Deutschland
3.1.1 Kriminalstatistische Erkenntnismittel
3.1.2 Ausmaß jugendlicher Kriminalität
3.1.3 Jugendspezifische Delikte
3.2 Polizeilich registrierte Kriminalität versus Kriminalitätswirklichkeit
3.3 Aktuelles Bild von Jugendkriminalität
4. Ausgewählte Kriminalitätstheorien
4.1 Personenbezogene Theorien und Ansätze – Ätiologisch-individualisierende Ansätze
4.1.1 Psychoanalytischer Ansatz
4.1.2 Theorie des sozialen Lernens
4.1.3 Die Theorie der differentiellen Kontakte
4.2 Soziologische Kriminalitätstheorien – Ätiologisch-sozialstrukturelle Ansätze
4.2.1 Anomietheorie
4.2.2 Subkulturtheorien
4.3 Etikettierungsansätze – Kriminalität als Zuschreibung und Selektion

III. JUGENDKRIMINALITÄT – EIN SOZIALPÄDAGOGISCHES AUFGABENFELD
1. Jugendkriminalität begünstigende Einflüsse
1.1 Familienstruktur und familiale Situation
1.2 Einfluss der Bildungsinstitutionen
1.3 Einfluss der Peer-Group
1.4 Einfluss der Massenmedien
2. Kriminalprävention – Begriff und Dimensionen
2.1 Der Begriff ‚Kriminalprävention’
2.2 Dimensionen der Kriminalprävention
2.2.1 Systematisierung der Kriminalprävention
2.2.2 Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention
2.2.3 Weitere Kategorien der Kriminalprävention
2.2.4 Grenzen und Möglichkeiten der Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention
3. Soziale Arbeit und Kriminalprävention
3.1 Kriminalprävention als interdisziplinäres Aufgabenfeld
3.2 Kriminalpräventive Maßnahmen der sozialen Arbeit
4. Sozialpädagogische Hilfen und Angebote für junge Menschen unter dem Aspekt der Kriminalprävention am Beispiel der Stadt Halle/Saale
4.1 Begegnungszentrum der Jugendwerkstatt „Frohe Zukunft“ Halle/Saalkreis e.V.
4.2 Begegnungsstätte „Dornröschen“ des Arbeiterwohlfahrt Regionalverbandes Halle-Merseburg e.V.
4.3 JUBP – Jugendberatungsstelle bei der Polizei in Halle/Saale
4.4 FachZentrum Gegen-Gewalt des Vereins UN-art-IG e.V. in Halle/Saalkreis
4.5 TOA –Täter-Opfer-Ausgleich des Arbeiter-Samariter-Bundes Regionalverband Halle/Saalkreis e.V.
4.6 Jugendgerichtshilfe und Bewährungshilfe
4.7 Resümee

IV. SCHLUSSBEMERKUNGEN

QUELLENVERZEICHNIS

Bücher, Zeitschriften

Konzeptionen, Selbstdarstellungen und Jahresberichte der vorgestellten Einrichtungen

ANHANG – Adressen der vorgestellten Einrichtungen

Danksagung

I. EINLEITUNG

Jugendkriminalität ist ein stets aktuelles und brisantes Thema. Im Jahr 2007 entfachte aufgrund gewaltsamer Übergriffe Jugendlicher eine Diskussion um kriminelle junge Menschen. Damit einher ging die Forderung der Verschärfung des Jugendstrafrechts, welche bis heute jedoch nicht durchgesetzt wurde. Einer der Gründe hierfür könnte darin gesehen werden, dass normabweichendes oder gar straffälliges Verhalten von Jugendlichen insofern kein ‚neues’ Thema ist, da dies schon immer beobachtet wurde. Heinz (2008) konstatiert in diesem Zusammenhang, dass Jugendliche zwar quantitativ häufiger auffallen, die Straftaten, die von ihnen begangen werden, jedoch meist spontan sind und überwiegend als Bagatelldelikte gelten.[1] Auch Kaiser äußerte sich bereits 1989 wie folgt: „Soweit unsere Erfahrung reicht, gab es zu allen Zeiten und in allen Gesellschaften ein von den Erwartungen abweichendes Verhalten junger Menschen. Jugendliche müssen im langgestreckten Übergangsstadium zum Erwachsenenalter einerseits ihre eigene Identität finden, andererseits sehen sie sich verstärkt den Ansprüchen der Gesellschaft ausgesetzt.“[2]

Insbesondere die im Jahr 2007 aufkommenden mehr oder weniger wissenschaftlich geführten, teilweise durch die Medien stark publizierten Diskussionen, aber auch das Wissen, dass Jugendkriminalität ein immer existentes Thema ist, veranlassten mich zu einer intensiven Auseinandersetzung mit dieser Thematik. Dabei möchte ich jedoch nicht erneut die Diskussion um eine Verschärfung des Jugendstrafrechts aufgreifen, da dies meines Erachtens keine adäquate Lösung sein kann, denn es bleibt fraglich, inwiefern eine Herabsetzung des Strafmündigkeitsalters sowie härtere und längere Strafen junge Menschen vor dem erstmaligen Begehen einer strafrechtlich sanktionierten Handlung abschrecken beziehungsweise davon abhalten können, erneut straffällig zu werden. Ziel dieser Arbeit soll es vielmehr sein, pädagogische Hilfen im Umgang mit straffälligen und von Straffälligkeit bedrohten jungen Menschen in den Blick zu nehmen.

Eigene Praxiserfahrungen im Umgang mit Jugendlichen und Heranwachsenden in der Jugendarrestanstalt Halle/Saale verstärkten mein Interesse an dieser Thematik. Aus diesem Grund ist es für mich bedeutsam, andere Einrichtungen der Stadt Halle/Saale, die kriminalpräventive Hilfen für junge Menschen anbieten, kennen zu lernen und einen Einblick in die unterschiedlichen Hilfeformen zu erhalten. Welche Institutionen bieten speziell diese Hilfen für Jugendliche und Heranwachsende und wie sehen diese Angebote aus?

Um dieser Kernfrage nachgehen zu können, erachte ich es als sinnvoll, ein allgemeines Verständnis basierend auf Erläuterungen wichtiger Begrifflichkeiten zu schaffen. Von besonderer Bedeutung sind hierbei die Begriffe ‚Jugendliche und Heranwachsende’ sowie ‚Kriminalität, Verbrechen, Delinquenz, kriminell und abweichendes Verhalten’, auf welche im ersten Kapitel des zweiten Abschnittes näher eingegangen werden soll.

Eine konkrete Definition der Begriffe ‚Jugendliche und Heranwachsende’ ist aufgrund einer Vielzahl unterschiedlicher Ansätze und Sichtweisen der verschiedensten Wissenschaften und der daraus resultierenden Menge von Differenzierungen bezüglich der Altersphaseneinteilung wenig sinnvoll. Aus diesem Grund soll auf den Versuch, allgemeingültige Definitionen herzuleiten, verzichtet werden. Vielmehr sollen im Folgenden Alterseinteilungen aus der Sicht der Entwicklungspsychologie, der Pädagogik und der Soziologie und solche des Kinder- und Jugendhilfegesetzes sowie des Jugendgerichtsgesetzes in den Blick genommen werden, da sie für diese Arbeit von Bedeutung sind und zu einem Grundverständnis beitragen. Da altersbezogene Abgrenzungen und Bezeichnungen für Menschen in der Lebensphase Jugend in den Wissenschaften variieren, sollen zur Vereinfachung und zum besseren Verständnis in den Ausführungen vorrangig die Begriffe ‚Jugendliche’ und ‚junge Menschen’ verwendet werden, wobei Heranwachsende oder junge Erwachsene, wenn nicht gesondert aufgeführt, stets mit eingeschlossen sind. Für diese Ausführungen soll insbesondere die durch das Jugendgerichtsgesetz festgelegte Alterseinteilung für Jugendliche und Heranwachsende, die eine Altersspanne vom 14. bis zum 21. Lebensjahr umfasst, grundlegend sein, wobei aufgrund der sich ausdehnenden Lebensphase Jugend bedingt durch gesellschaftliche Veränderungen auch für diese Arbeit die über 21-jährigen jungen Menschen bei der Betrachtung nicht ausgeschlossen werden können.

In der Literatur findet man Begriffe wie ‚Kriminalität, Verbrechen und Delinquenz’, welche oft synonym gebraucht werden, da sie grundlegend versuchen, das Gleiche zu beschreiben. Bei genauerer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass sie bezüglich ihrer Offenheit und Begrenztheit leicht variieren.

Während sich der Begriff ‚Kriminalität’ und der strafrechtliche Verbrechensbegriff stark auf das Strafgesetz beziehen, beinhaltet der soziologische Verbrechensbegriff neben strafbaren Handlungen auch sozialabweichendes Verhalten, welches im eigentlichen Sinne noch nicht als strafbares Verhalten gedeutet werden kann. Der Begriff ‚Delinquenz’ wird von einigen Autoren als Synonym für Kriminalität von Kindern und Jugendlichen verwendet, wird aber bei anderen Autoren weiter gefasst und beinhaltet sozialabweichendes Verhalten im Vorfeld von gesetzabweichenden Verhaltensweisen. Die Nuancierungen der Begrifflichkeiten machen es erforderlich, diese näher zu beleuchten, wobei in dem Zusammenhang auch auf die Bezeichnung ‚kriminell’, auf den Begriff ‚Jugendkriminalität’ und auf das Verständnis von abweichendem Verhalten kurz eingegangen werden soll.

Im Verlauf dieser Arbeit soll vorwiegend zur Vereinfachung der Begriff ‚Kriminalität’ Verwendung finden. Die Bestimmung des Begriffes von Kriminalität nach Kaiser (1993b) soll grundlegend sein, da sie den Kern dessen, was auch andere Autoren unter Kriminalität verstehen – Handlungen, die nach dem Strafgesetz mit Strafe bedroht sind – prägnant fasst und die Abhängigkeit der per Gesetz als strafbar definierten Handlungen von gesellschaftlichen Veränderungen impliziert. In diesem Zusammenhang finden Begrifflichkeiten wie straffälliges oder strafbares Verhalten, gesetzwidrige oder gesetzabweichende Handlungen Verwendung, um bezugnehmend auf die der Arbeit zugrundeliegenden Definition von Kriminalität nach Kaiser (1993b) zu verdeutlichen, dass mit solchen Verhaltensweisen und Handlungen Verstöße gegen das Strafgesetz gemeint sind.

Im Anschluss an die Begriffsbestimmungen soll im Kapitel zwei des zweiten Abschnittes ein Exkurs ein besseres Verständnis der nachfolgenden Ausführungen ermöglichen. In diesem werden grundlegende Aspekte über die Jugendphase im menschlichen Lebenslauf veranschaulicht. Nach einer einführenden Darstellung über die Entdeckung der Jugend als eigenständige Lebensphase soll der Versuch erfolgen, wesentliche Merkmale und Entwicklungsaufgaben dieses Lebensabschnittes aufzuzeigen. Zudem sollen Veränderungen, die der gesellschaftliche Wandel der letzten Jahrzehnte auch für diese Phase mit sich brachte sowie dadurch entstandene Chancen und Risiken und deren mögliche Einflussnahme auf den Entwicklungsverlauf und die Zukunftsperspektiven junger Menschen näher in den Blick genommen werden.

Um einen Überblick über das Ausmaß der von jungen Menschen begangenen Straftaten zu erhalten, können kriminalstatistische Erkenntnismittel herangezogen werden. Die Polizeiliche Kriminalstatistik besitzt als ein solches Erkenntnismittel hohen öffentlichen Bekanntheits-grad, weshalb ich mich in meinen Ausführungen im Kapitel drei des zweiten Abschnittes primär auf diese beziehen werde. Andere Statistiken sollen nur peripher erwähnt werden, da sie aufgrund ihrer Spezifität und der damit einhergehenden zunehmenden Ausfilterung von Taten und Tatverdächtigen an Aussagewert hinsichtlich der erfassten Jugendkriminalität verlieren. In der Darstellung zum Umfang und der Struktur jugendlicher Kriminalität werden die Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik herangezogen. Sie ermöglichen es, das Ausmaß über die registrierten Straftaten junger Menschen einzusehen sowie diese hinsichtlich Alter, Geschlecht und Nationalität zu vergleichen und jugendspezifische Delikte herauszustellen. Da diese Statistik die von der Polizei registrierten und aufgeklärten Fälle wiedergibt, bleiben nicht zur Anzeige gebrachte oder der Polizei unbekannte Straftaten unberücksichtigt. Infolgedessen besteht ein Dissens zur Kriminalitätswirklichkeit. Die Aussagekraft der Polizeilichen Kriminalstatistik ist somit begrenzt und kann das tatsächliche Ausmaß der Kriminalität nur bedingt abbilden. Aus diesem Grund sind Schätzungen zum Dunkelfeld einzubeziehen. Die Analyse der Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik und der Angaben über Schätzwerte des Dunkelfeldes sollte nicht leichtfertig erfolgen. Eine kritische Reflexion ist insofern geboten, da die Angaben zum Ausmaß von Jugendkriminalität von verschiedenen Faktoren abhängig sind und von diesen beeinflusst werden. Die Auswertung und Interpretation der Daten kann folglich nur dann gelingen, wenn Hintergründe und bedingende Faktoren angemessen Berücksichtigung finden.

Im weiteren Verlauf der Ausführungen möchte ich im Kapitel vier des zweiten Abschnittes anhand ausgewählter Kriminalitätstheorien verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen mögliche Hintergründe, Ursachen und Erklärungen für kriminelles Verhalten junger Menschen anführen. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Entstehungsmöglichkeiten und denkbaren Auslösern von Kriminalität sowie die immer weiter voranschreitenden Forschungen führten zu zahlreichen Ansätzen und Theorien in der Kriminologie. Eine Aufzählung und Darstellung dieser in ihrer Gesamtheit wäre im Rahmen meiner Ausführungen nicht möglich. Infolgedessen sollen einige mit hohem Bekanntheitsgrad und von mir als bedeutsam erachtete grundlegende theoretische Erkenntnisse dargestellt werden. In den Fokus rücken dabei personenbezogene und soziologische Ansätze und Theorien sowie Ansätze, die Kriminalität als Zuschreibung und Selektion kennzeichnen, die sogenannten Etikettierungsansätze.

Für die pädagogische Arbeit ist es vorteilhaft, einen Einblick in die Dimensionen jugendlicher Kriminalität zu gewinnen, um die Notwendigkeit entsprechender Hilfen zu erkennen und diese gezielt anbieten zu können. Über dieses Wissen hinaus bieten Kenntnisse über die Besonderheiten der Jugendphase, alterstypische Verhaltensweisen und Bewältigungsstrategien sowie Kenntnisse über grundlegende Theorien und Ansätze, welche mögliche Entstehungsbedingungen von Kriminalität beleuchten, die Möglichkeit, pädagogisch-präventive Hilfen bereitzustellen und anzupassen. Aus diesem Grund werden der Arbeit eben diese bedeutsamen theoretischen und empirischen Befunde vorangestellt, um im weiteren Verlauf auf mögliche pädagogisch-präventive Angebote im Allgemeinen und auf Hilfen im Umgang mit kriminalitätsgefährdeten oder straffälligen Jugendlichen und Heranwachsenden einzugehen.

Dazu ist es notwendig, zu klären, inwiefern die Arbeit mit straffälligen und von Straffälligkeit bedrohten jungen Menschen ein sozialpädagogisches Aufgabenfeld darstellt. Deshalb möchte ich versuchen, im Kapitel eins des dritten Abschnittes problematische Konstellationen in der Lebenswelt junger Menschen anzuführen, die einen begünstigenden Einfluss auf das Zeigen strafrechtlich relevanten Verhaltens in der Jugendphase haben können und damit die Notwendigkeit sozialer Arbeit implizieren.

Sofern die Sozialpädagogik Jugendkriminalität als ein Aufgabenfeld bestimmt, ergeben sich Handlungsmöglichkeiten aber auch die Notwendigkeit sozialer Arbeit in Form von speziellen Hilfsangeboten, die auf dem Präventionsgedanken basieren und zu unterschiedlichen Zeitpunkten einsetzen können. Folglich ist es notwendig, im Kapitel zwei des dritten Abschnittes den Begriff ‚Kriminalprävention’ zu klären und bezugnehmend auf eine mögliche zeitliche Einteilung kriminalpräventiver Hilfen diese Dimensionen voneinander abzugrenzen. Obgleich für die Vorbeugung von gesetzwidrigen Handlungen und für die Vermeidung weiterer Straftaten neben dem Begriff der Kriminalprävention zahlreiche andere Begriffe Verwendung finden, soll in dieser Arbeit der Begriff der Kriminalprävention präferiert werden, da dieser in der Literatur häufig gebraucht wird und da insbesondere der Begriff ‚Prävention’ in unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen allgemein anerkannt ist.

Im darauf folgenden Kapitel soll bezugnehmend auf die Ausführungen zu dem Begriff und den Inhalten der Kriminalprävention der Zusammenhang zwischen sozialer Arbeit und kriminalpräventiven Maßnahmen dargestellt werden.

Im weiteren Verlauf dieser Arbeit möchte ich ausgewählte Einrichtungen in der Stadt Halle/Saale vorstellen, welche in öffentlicher oder freier Trägerschaft sozialpädagogische Hilfen und Angebote für junge Menschen unter dem Aspekt der Kriminalprävention anbieten. Ziel soll es sein, durch einen Einblick in Konzeptionen, Selbstdarstellungen oder Jahresberichte, die Hilfsangebote des Begegnungszentrums der Jugendwerkstatt „Frohe Zukunft“, der Begegnungsstätte „Dornröschen“, der Jugendberatungsstelle bei der Polizei, des FachZentrums Gegen-Gewalt sowie der Fachstelle des Täter-Opfer-Ausgleiches zu skizzieren.

Ferner soll das Aufgabenfeld der Jugendgerichtshilfe sowie der Bewährungshilfe dargestellt werden. Da es nicht möglich war, Konzeptionen oder Jahresberichte dieser Hilfen in der Stadt Halle/Saale einzusehen, werde ich hier auf entsprechende Literatur zurückgreifen, um ein grundlegendes Verständnis der Tätigkeitsbereiche zu schaffen. Gerade die Jugendgerichtshilfe wie auch die Bewährungshilfe richten sich an bereits straffällig gewordene junge Menschen, weshalb ich es als sinnvoll erachte, diese Tätigkeitsbereiche anzuführen, um die Darstellung der sozialpädagogischen Hilfen im Hinblick auf Kriminalprävention abzurunden.

Bei der Betrachtung der Angebote des Begegnungszentrums der Jugendwerkstatt „Frohe Zukunft“ und der Begegnungsstätte „Dornröschen“, welche sich an Menschen verschiedener Altersgruppen wenden, wird der Fokus auf Angebote aus dem Kinder- und Jugendbereich und hier speziell auf solche für Jugendliche gerichtet. Die Zielgruppe der Jugendberatungsstelle bei der Polizei beschränkt sich im Gegensatz zu den Zielgruppen des Begegnungszentrums und der Begegnungsstätte auf junge Menschen. Somit kann das gesamte Tätigkeitsfeld der Jugendberatungsstelle überblickartig dargestellt werden. Bei der Vorstellung der Tätigkeit des FachZentrums Gegen-Gewalt soll das Anti-Gewalt-Training als präventive Maßnahme im Mittelpunkt der Betrachtung stehen. Der Täter-Opfer-Ausgleich wird in der Stadt Halle/Saale sowohl vom Sozialen Dienst der Justiz Halle/Saale als auch vom Arbeiter-Samariter-Bund Regionalverband Halle/Saalkreis e.V. angeboten. In dieser Arbeit werde ich mich auf den Täter-Opfer-Ausgleich des Arbeiter-Samariter-Bundes beziehen.

In einem abschließenden Resümee soll der Versuch erfolgen, hinsichtlich der Zielgruppe und des Zeitpunktes der Hilfen die Angebote der Einrichtungen den zuvor in Anlehnung an Northoff dargestellten Dimensionen der Kriminalprävention zuzuordnen.

Im Schlussteil meiner Arbeit werde ich erworbene Erkenntnisse zusammenfassend darstellen und mit einer Reflexion meinerseits abschließen.

Zusätzlich sei angemerkt, dass in dieser Arbeit auf die Unterscheidung der männlichen und weiblichen Schreibweise weitestgehend verzichtet wird und überwiegend die männliche Form Verwendung findet.

II. JUGENDKRIMINALITÄT – BEGRIFFLICHKEITEN SOWIE THEORETISCHE UND EMPIRISCHE ERKENNTNISSE

1. Begrifflichkeiten

1.1 Jugendliche – Heranwachsende:
Altersphaseneinteilung aus verschiedenen Perspektiven

Entwicklungspsychologie

Aus entwicklungspsychologischer Perspektive wird die Lebensphase Jugend als ein Entwicklungsabschnitt gefasst, der mit dem Begriff ‚Adoleszenz’ beschrieben wird. Dieser Lebensabschnitt zwischen Kindheit und Erwachsenenalter umfasst den Zeitraum zwischen dem vollendeten zehnten und 21. Lebensjahr. Die Altersangaben geben lediglich einen zeitlichen Orientierungsrahmen. Genaue altersbezogene Abgrenzungen sind aus der Sicht der Entwicklungspsychologie nicht möglich, da diese Disziplin insbesondere die Bewältigung von bestimmten Entwicklungsaufgaben und das damit einhergehende Erreichen nächst höherer Entwicklungsstufen als bedeutsam erachtet. Dennoch findet man bei Oerter/Dreher (1998) eine grobe Untergliederung der Adoleszenz. Die Autoren unterscheiden zwischen Jugendalter und später Adoleszenz. Das Jugendalter erstreckt sich über die Zeitspanne vom elften bis zum vollendeten 18. Lebensjahr und untergliedert sich in die Phasen der Transeszenz und der frühen Adoleszenz.[3] Während Transeszenz „für den Übergang von der Kindheit in die frühe Adoleszenz“[4] steht und die Phase der Geschlechtsreife im Alter von elf bis 14 Jahren bezeichnet, umfasst letztere die Altersspanne vom 14. bis zum 18. Lebensjahr. Ferner konstatieren die Autoren, dass insbesondere die „altersbezogene Abgrenzung ‚Späte Adoleszenz’ (18.-21. Lebensjahr) und ‚Junges Erwachsenenalter’ (21.-25. Lebensjahr) relativ willkürlich“[5] erscheint, da der Übergang vom Jugendlichen zum Erwachsenen nicht durch einen solch biologisch prägnanten Reifungsprozess wie die Pubertät beim Übergang von der Kindheit zum Jugendalter gekennzeichnet ist. Das 21. Lebensjahr wird dennoch aufgrund der Volljährigkeit häufig als markante Altersgrenze angenommen und ist somit in den gesellschaftlichen Vorstellungen als allgemeine Grenze zwischen Jugendlichen und Erwachsenen verbreitet.[6] Aufgrund sich verändernder gesellschaftlicher Strukturen, wie beispielsweise verlängerte Schul- und Ausbildungszeiten sowie Mangel an Arbeitsplätzen ist für viele junge Menschen der Übergang in den Status eines Erwachsenen mit dem 21. Lebensjahr nicht möglich, da die Bewältigung bestimmter Entwicklungsaufgaben, die aus entwicklungspsychologischer Sicht kennzeichnend für das Ende dieser Lebensphase sind, noch nicht vollständig abgeschlossen ist.[7]

Pädagogik

„Die gesellschaftliche Konstruktion des Jugendalters und der Lebensabschnitt Jugend werden in der historischen erziehungswissenschaftlichen Literatur zwischen dem 16./17. und dem 25. Lebensjahr, in der neueren Zeit vom 11./12. bis zum 27./29. Lebensjahr – mit unterschiedlichen Phasen von der Pubertät; mit adoleszenten Etappen, die ins junge Erwachsenenalter reichen – markiert.“[8]

Versuche einer Abgrenzung der Lebensphase Jugend von anderen Lebensphasen und der damit einhergehenden Bestimmung von Begriffen wie ‚Jugendliche oder Heranwachsende’ werden primär anhand rechtlicher, psychologischer oder soziologischer Kriterien, die sich am Alter oder an Reifungsprozessen orientieren, vorgenommen, an welche sich auch die Pädagogik anlehnt.[9] Nach Böhnisch (1997) ist dies notwendig, da aus pädagogischer Sicht in der Auseinandersetzung mit dem Jugendalter insbesondere die Bewältigungsstrategien der jungen Menschen in dieser Lebensphase bei der Übernahme neuer Rollen sowie der Umgang mit möglichen Konfliktsituationen von Bedeutung sind, die über eine gelingende soziale Integration in die Erwachsenengesellschaft entscheiden können. Dadurch ergeben sich je nach Situation und Kompetenzen der Jugendlichen ganz individuelle Variationen der Biografieverläufe, die nicht nur durch zeitliche Verschiebungen bei der Bewältigung bestimmter Aufgaben, sondern auch durch voneinander abweichende Möglichkeiten und Übergänge der Integration in die Gesellschaft der Erwachsenen herbeigeführt werden und konkrete Alterseinteilungen und -abgrenzungen nur schwer möglich machen.[10]

In diesem Zusammenhang verweist auch Münchmeier (2001) darauf, dass für eine Definition der Lebensphase Jugend das Alter zwar ein wichtiges, jedoch nicht ausreichendes Merkmal ist, um diese hinreichend zu bestimmen. Dies liegt darin begründet, dass diese Lebensphase sich zunehmend entstrukturiert und insbesondere der Übergang vom Jugendalter in das Erwachsenenalter so unklare Konturen aufzeigt, dass Altersangaben hierfür kaum mehr möglich und sinnvoll sind.[11]

Soziologie

Die altersbezogene Abgrenzung der Jugendphase wird auch in der Soziologie diskutiert. Hier hat sich „eine Sichtweise durchgesetzt, die Jugend als eine zeitlich ausgedehnte Lebensphase begreift, die weder mit dem biologisch und psychodynamisch fundierten Erwachsenwerden noch mit der vollen Rechtsmündigkeit endet.“[12] Eine konkrete Altersangabe für den Übergang vom Kind zum Jugendlichen ist aus soziologischer Perspektive nur schwer möglich, da der Statuswechsel fließend und weniger augenfällig verläuft und sich an keinem charakteristischen Ereignis festmachen lässt. Ähnlich verhält sich dies bei dem Übergang vom Jugendlichen zum Erwachsenen. Der Statuswechsel verläuft auch hier fließend und ist weitestgehend unabhängig vom Alter. Der Erwachsenenstatus gilt dann als erreicht, wenn der junge Mensch ein gewisses Maß an Selbstständigkeit gemessen an der Bewältigung bestimmter Entwicklungsaufgaben ähnlich denen aus entwicklungspsychologischer Sicht erworben hat.[13] Dennoch versucht man bezugnehmend auf biologische Reifungsvorgänge die Jugendphase in drei größere aufeinanderfolgende Abschnitte zu unterteilen. Dies scheint notwendig, da sich analog zum Alter zunehmend Reifungs- und Entwicklungsprozesse in der Jugendphase vollziehen, die jungen Menschen selbstständiger und verantwortungsbewusster werden, auch wenn ein gewisser Grad an Autonomie, der für den Übergang in den Erwachsenenstatus kennzeichnend ist, noch nicht erreicht wurde. Folglich werden Jugendliche, Heranwachsende und junge Erwachsene unterschieden. In der sogenannten pubertären Phase im Alter von zwölf bis 17 Jahren werden junge Menschen als Jugendliche bezeichnet. Die sich daran anschließende nachpubertäre Phase erstreckt sich über eine Zeitspanne vom 18. bis zum 21. Lebensjahr. Personen in diesem Alter werden entsprechend als Heranwachsende bezeichnet. Junge Erwachsene sind Personen im Alter von 21 bis etwa 29 Jahren.[14] Diese letzte Jugendphase ist durch das „Erreichen der vollen Rechtsmündigkeit bis zum Abschluss der Erstausbildung“[15] definiert.[16] Ähnliche altersbezogene Abgrenzungen finden sich auch bei Hurrelmann (2004), wobei er neben den von Schäfers/Scherr (2005) angegebenen Bezeichnungen für die jeweiligen Phasen auch die Begriffe frühe, mittlere und späte Jugendphase verwendet.[17]

Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII)

Im §7 Absatz 1 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes werden folgende Altersphasen-einteilungen und Begrifflichkeiten unterschieden:

„Im Sinne dieses Buches ist 1. Kind, wer noch nicht 14 Jahre alt ist, (...) 2. Jugendlicher, wer 14, aber noch nicht 18 Jahre alt ist, 3. junger Volljähriger, wer 18, aber noch nicht 27 Jahre alt ist, 4. junger Mensch, wer noch nicht 27 Jahre alt ist (...).“[18]

Jugendgerichtsgesetz

Das Jugendgerichtsgesetz kommt nach §1 Absatz 1 JGG dann zur Anwendung, „wenn ein Jugendlicher oder ein Heranwachsender eine Verfehlung begeht, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist.“[19]

Gemäß §1 Absatz 2 JGG gilt, „Jugendlicher ist, wer zur Zeit der Tat vierzehn, aber noch nicht achtzehn, Heranwachsender, wer zur Zeit der Tat achtzehn, aber noch nicht einundzwanzig Jahre alt ist.“[20]

1.2 Kriminalität, Verbrechen, kriminell, abweichendes Verhalten –
Jugendkriminalität und -delinquenz:
Eine inhaltliche Annäherung an diese Begrifflichkeiten

„Vom Wortstamm her ist Kriminalität auf das lateinische ‚crimen’, das heißt Verbrechen, Vergehen, Schuld zurückzuführen.“[21]

„Das Verbrechen (…) als Sozialerscheinung bezeichnet man als ‚Kriminalität’. Dieser Begriff meint die Summe der strafrechtlich missbilligten Handlungen. Sie werden gewöhnlich nach Raum (national, regional, lokal) und Zeit sowie Umfang (Zahl der Delikte), Struktur (Art und Schwere der Delikte) und Entwicklung beschrieben. (…) Kriminalität ist aber keine Wirklichkeit für sich, sondern abhängig von gesellschaftlichen und staatlichen Einrichtungen, die auf Verbrechen antworten, sie verfolgen oder ahnden.“[22]

Schwind (2001) verweist auf den synonymen Gebrauch der Begriffe ‚Verbrechen’, ‚strafbare Handlung’ und ‚Kriminalität’ und verwendet in seinen Ausführungen den ‚Verbrechensbegriff’. Dabei differenziert er zwischen dem strafrechtlichen (formellen), dem ‚natürlichen’ und dem soziologischen (materiellen) Verbrechensbegriff.[23]

„Nach dem strafrechtlichen Verbrechensbegriff (Kriminalitätsbegriff) sind alle solche Handlungen ‚kriminell’, die durch ein Kriminal-Gesetz mit Strafe bedroht sind.“[24] Damit sind solche Handlungen gemeint, die von strafrechtlicher Relevanz sind. Die Rechtsfolgen können unterschieden werden gemäß der §§38ff und der §§61ff StGB in sogenannte Strafen und Maßregeln. Strafbare Handlungen können einerseits mit Freiheitsstrafe, Geldstrafe, Fahrverbot und Ähnlichem geahndet werden, andererseits können sowohl zusätzlich zur Strafe aber auch ausschließlich ‚Maßregeln zur Besserung und Sicherung’ angeordnet werden. Dies entspricht der ‚Zweispurigkeit’ des Strafrechts. Da sich dieser Verbrechensbegriff auf das Strafrecht bezieht, werden ordnungswidrige Handlungen von diesem ausgeschlossen. Welche Handlungen in einer Gesellschaft strafrechtlich geahndet werden, wird durch den Gesetzgeber festgelegt. Die Kriminalisierung bestimmter Handlungen ist dabei von verschiedenen Faktoren wie Zeit und Raum und somit von gesellschaftlichen sowie kulturellen Entwicklungen abhängig. Diese Variabilität führt unausweichlich zur ‚Neukriminalisierung’ und ‚Entkriminalisierung’ bestimmter Handlungen. Dem strafrechtlichen Verbrechensbegriff steht der ‚natürliche’ Verbrechensbegriff gegenüber, welcher gewisse Handlungen unabhängig vom Strafgesetz und von möglichen strafrechtlichen Veränderungen als gesellschaftsschädigend fasst.[25] „Gemeint ist damit, dass es Handlungen gibt (einen ‚Kernbestand’ des Verbrechens), die zu allen Zeiten und in allen Kulturen als verwerflich eingestuft und entsprechend bestraft werden: etwa Mord, Raub, Vergewaltigung, Diebstahl (...).“[26]

Diese Handlungen, die der ‚natürliche’ Verbrechensbegriff beinhaltet, werden auch vom strafrechtlichen gefasst, wobei dieser weitaus mehr Handlungen als kriminell bestimmt und somit umfassender als der ‚natürliche’ ist. Aus soziologischer Sicht wird dennoch ein Verbrechensbegriff befürwortet, der neben den im ‚natürlichen’ und strafrechtlichen Verbrechensbegriff definierten Handlungen zusätzlich ‚sozialschädliches’ oder ‚sozial-abweichendes’ Verhalten mit einbezieht.[27]

Der Begriff ‚Kriminalität’ wird im Alltagsverständnis wie auch bei verschiedenen Autoren vorwiegend im Zusammenhang mit Verstößen gegen das Strafgesetz gesehen. Ähnlich dem strafrechtlichen Verbrechensbegriff nach Schwind (2001) und dem Kriminalitätsbegriff nach Kaiser (1993b) versteht Pongratz (2000) unter Kriminalität Handlungen, die mittels gesetzlicher Regelungen mit Strafe bedroht sind, wobei dies unabhängig von Verfolgung, Verurteilung und Sanktionierung der widerrechtlich handelnden Person gilt. Im Unterschied dazu, ist die Bezeichnung ‚kriminell’ erst dann folgerichtig, wenn ein richterlicher Schuldspruch erfolgt. Dies beruht auf der im Grundgesetz Artikel 20 Absatz 3 implizierten ‚Unschuldsvermutung’, wobei man davon ausgeht, dass jede Person solange als unschuldig angesehen wird, bis ein Richter sie verurteilt. Demnach ist die Beurteilung, ob ein bestimmtes Verhalten als ‚kriminell’ bezeichnet werden kann, für einen Nichtfachmann nur begrenzt möglich und beruht weitestgehend auf einer richterlichen Entscheidung, denn erst, wenn ein rechtskräftiges Urteil ausgesprochen wurde, kann ein Verhalten als ‚kriminell’ gewertet werden.[28]

Das Verständnis von abweichendem Verhalten ist abhängig von den vorherrschenden gesellschaftlichen Normen. Normative Vorstellungen und Erwartungen einer Gesellschaft sind lokal, temporal und situativ verschieden und zudem an bestimmte gesellschaftliche Gruppen gebunden. Das Verletzen allgemein gültiger Normen einer Gesellschaft oder Gruppe wird als Abweichung verstanden.[29] „Damit ein Verhalten als abweichend betrachtet werden kann, muss es als ein Verhalten bewertet werden, das gegen verbindliche, sozial definierte Standards verstößt. Und da eine Reihe derartiger Standards in Gesetzen kodifiziert sind, andere jedoch nicht, beinhaltet Abweichung sowohl kriminelles Verhalten, aber auch solches, das zwar nicht illegal ist, aber doch allgemein als unethisch, unmoralisch, eigenartig, unanständig oder einfach als ‚krank’ angesehen wird.“[30] Norm- oder sozialabweichendes Verhalten aber auch gesetzabweichendes Verhalten lassen sich nicht absolut definieren und sind stets bezogen auf den gesellschaftlichen Kontext zu betrachten.[31]

Spricht man von Jugendkriminalität, beinhaltet dies gesetzwidriges Verhalten von Jugendlichen und Heranwachsenden. Aus rechtlicher Sicht sind damit Personen gemeint, die zur Zeit der Tat 14 bis unter 18 Jahre oder bezogen auf die Heranwachsenden 18 bis unter 21 Jahre sind. Da Personen ab dem 14. Lebensjahr nach dem Gesetz als strafmündig gelten, können diese Jugendlichen und Heranwachsenden für ihre Taten verantwortlich gemacht werden. Zu beachten ist dabei, dass Jugendliche nur bedingt strafmündig sind. Gemäß §3 JGG muss geklärt werden, inwiefern der Jugendliche aufgrund seines Entwicklungstandes straf-rechtlich verantwortlich ist. Insofern keine Schuldunfähigkeit nach den §§20, 21 StGB besteht und eine Verantwortlichkeit festgestellt wird, ist das Jugendstrafrecht in vollem Umfang anzuwenden. Liegt eine Schuldunfähigkeit vor oder kann der Jugendliche für seine Tat straf-rechtlich nicht verantwortlich gemacht werden, gelten gesonderte Regelungen. Heranwachsende sind voll strafmündig. Das hat zur Konsequenz, dass im Regelfall für diese Personengruppe das Erwachsenenstrafrecht anzuwenden ist. Dabei ist zu entscheiden, ob zur Tatzeit eine Schuldunfähigkeit nach den §§20, 21 StGB vorliegt oder ob nach Einschätzung der Persönlichkeit und der Tat des Heranwachsenden gemäß §105 JGG das Jugendstrafrecht noch angewendet werden kann.[32]

Neben dem Begriff ‚Jugendkriminalität’ findet man insbesondere in den Sozialwissenschaften auch den Begriff ‚Jugenddelinquenz’.[33] Um eine mögliche stigmatisierende Wirkung des Begriffs ‚Kriminalität’ zu umgehen, welcher vorwiegend auf strafbare Handlungen und Verhaltensweisen Erwachsener ausgerichtet ist und somit die Eigenheiten und besonderen Charakteristika, die das Verhalten und Handeln junger Menschen in der Lebensphase Jugend oftmals leiten und kennzeichnen, nicht ausreichend berücksichtigt, wird im Zusammenhang mit Verhaltensweisen von Kindern und Jugendlichen, die gegen Strafrechtsnormen verstoßen, auch der Begriff ‚Delinquenz’ verwendet.[34] Die inhaltliche Bestimmung des Begriffs ‚Delinquenz’ ist jedoch variabel. So setzen einige Autoren den Begriff mit dem der Kriminalität gleich. Andere Autoren hingegen definieren den Begriff ‚Delinquenz’ weniger stark begrenzt auf Verstöße gegen Strafrechtsnormen. Nach dieser Auffassung impliziert der Begriff ‚Delinquenz’ zudem sozialabweichendes Verhalten, wie beispielsweise Schule-schwänzen, von zu Hause weglaufen oder Suchtmittelmissbrauch.[35] Delinquenz umfasst in diesem Sinne „(...) neben der Kriminalität noch eine Reihe von Verhaltensweisen, die im weiteren Vorfeld eigentlichen kriminellen Verhaltens auftreten und ihre Besonderheit darin finden, dass sie ausschließlich von Kindern und Jugendlichen aufgrund deren besonderen Situation gezeigt werden können.“[36] Da sich junge Menschen in einem Entwicklungs- und Sozialisationsprozess befinden, ist ihr Handeln häufig leichter beeinflussbar und wird nicht selten geleitet von Neugierde; dem Begehren gewisser Statussymbole der Erwachsenenwelt sowie dem Drang, Neues auszuprobieren, sich zu testen und Grenzen zu erfahren. Mittels der begrifflichen Differenzierung und der Verwendung des neutraleren Begriffs ‚Delinquenz’ soll eine Stigmatisierung von Kindern und Jugendlichen vermieden werden.[37]

2. Die Jugendphase im menschlichen Lebenslauf – Ein Exkurs

2.1 Entdeckung der Jugend als eigenständige Lebensphase

Blickt man in der deutschen Geschichte weiter zurück, so lässt sich konstatieren, dass bis ins 18. Jahrhundert für die Mehrzahl der jungen Menschen nach der Kindheit das Erwachsenenalter folgte, indem sie in sehr jungen Jahren und meist nach einem kurzen beziehungsweise unregelmäßigen Schulbesuch einer Arbeit nachgehen mussten, um für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Für die Kinder aus armen Familien gab es folglich keine Jugendzeit. Generell existierte bis zu Beginn des 18. Jahrhunderts auch keine Bezeichnung für die Menschen, die sich im Übergang von der Kindheit zum Erwachsenenalter befanden. Lediglich für wenige junge männliche Personen aus gehobeneren Schichten entstanden zu dieser Zeit Benennungen wie ‚junge Herren’ und später ‚Jünglinge’. Der Begriff des Jugendlichen fand gegen Ende des 19. Jahrhunderts Einzug in den deutschen Sprachgebrauch.[38] „Tatsächlich fand sich der Ausdruck zum ersten Mal in einer Ausgabe der ‚Blätter für Gefängniskunde’ von 1875.“[39]

Zu dieser Zeit war die Bezeichnung ‚Jugendlicher’ negativ besetzt, da er einen jungen Menschen bezeichnete, der schwierig, kriminell, verwahrlost oder in sonstiger Weise auffällig war. Wenige Jahre vor dem ersten Weltkrieg vollzog sich schließlich eine positive Umdeutung dieses Begriffes, die vorwiegend politisch motiviert war. Die Jugendpflege wurde ausgebaut mit dem Ziel, besonders die männliche Proletarierjugend zu ‚jungen Staatsbürgern’ zu erziehen, die arbeitswillig, leistungsstark und gehorsam sein sollten.[40] „Theoretisch bezeichnete der ‚Jugendliche’, als der Begriff auftauchte, zwar nur die Heim- und Gefängnisinsassen, praktisch aber strahlte der Begriff auf jeden jungen Proletarier ab (...). Nur wenn man die Proletarierjugend aus der Pauschalverdächtigung, ‚Jugendliche’ zu sein, entließe, konnte man erwarten, dass sie sich für die Interessen der privilegierteren Stände einsetzten (...). Kurz: der ‚Jugendliche’ wurde aufgewertet, weil der Kaiser Soldaten brauchte (...).“[41]

Der unspezifische Begriff des Jugendlichen setzte sich somit zu Beginn des 20. Jahrhunderts für alle jungen Menschen durch und findet zunehmend Verwendung, wobei auch von der Jugend als eigenständiger Lebensphase gesprochen wird.[42] Die Phase Jugend im menschlichen Lebenslauf entwickelte sich allmählich, wobei besonders die Kinder aus Familien mit einem höheren sozialen Status diesen Lebensabschnitt als individuelle Entwicklungs- und Reifungsphase beziehungsweise als Übergangs- und Orientierungsphase im Hinblick auf das Leben als Erwachsener weit intensiver nutzen konnten als Kinder aus ärmeren Herkunftsfamilien.[43]

Die immer weiter fortschreitende Industrialisierung im Laufe des 19. Jahrhunderts bedingte neben zahlreichen Erneuerungen in technischen und wirtschaftlichen Bereichen auch Veränderungen der Lebensumstände. Für viele Tätigkeitsbereiche wurde der Erwerb neuer erforderlicher Kompetenzen aufgrund steigender Anforderungen im Berufsleben unabdingbar. Den Jugendlichen wurde eine Phase zugesprochen, in der sie diese Kompetenzen erwerben konnten, um den gesellschaftlichen Anforderungen gerecht zu werden.[44]

Obwohl noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Biografieverläufe der Jugendlichen bedingt durch Region, sozialen Status und Geschlecht stark variierten, wurden durch die Einführung der allgemeinen Schulpflicht im 19. Jahrhundert und die Erweiterung der Pflichtschulzeit im 20. Jahrhundert Bedingungen für die Jugendlichen geschaffen, die es ihnen ermöglichten, frei von Erwerbsarbeit Kompetenzen und Fähigkeiten zu erwerben sowie sich zu erproben und zu orientieren. Auch wenn die völlige Freistellung von Erwerbsarbeit nicht für alle Kinder und Jugendliche in gleichem Maße galt, da besonders diejenigen aus Familien der unteren sozialen Schichten weiterhin dazu angehalten waren, einen Beitrag zum Familieneinkommen zu leisten, stellte die Einführung der allgemeinen Schulpflicht eine einschneidende Veränderung für junge Menschen in dieser Lebensphase dar.[45]

Während bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts Jugend eher eine kurze Übergangsphase war, die vorwiegend zur Vorbereitung auf das Erwachsenenalter und die Erwerbsarbeit diente, brachte die Bildungsreform der folgenden Jahre eine zeitliche Ausdehnung dieses Lebensabschnittes mit sich.[46] „Die Verlängerung der Pflichtschulzeit, die Ausweitung qualifizierter Schulabschlüsse und schließlich der Einsatz von Beschulungsmaßnahmen (...) führte zu einer deutlichen lebensgeschichtlichen Ausdehnung des Schulbesuches.“[47] Die starke Ausrichtung an der Erwachsenenwelt wird zunehmend durch eine Bildungs- und Ausbildungsorientierung abgelöst. In dieser Phase kommt es zu einer verstärkten Individualisierung der Bildungslaufbahnen, da diese nicht mehr so nachhaltig wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch Region, sozialen Status und Geschlecht vorgeschrieben werden. Ferner bilden sich zunehmend spezielle Lebensstile heraus, wobei Konsum und Freizeit insbesondere für den Statuserwerb immer bedeutsamer werden. Diese Veränderungen und die neu hinzugewonnenen Freiräume wie Bildungs- und Individualisierungsmöglichkeiten sind auch gegenwärtig kennzeichnend für die Lebensphase Jugend. Die Dauer dieser Phase ist jedoch auch heute von zahlreichen Faktoren abhängig und demzufolge bleibt dieser Lebensabschnitt im unterschiedlichen Umfang den Jugendlichen zugänglich.[48]

2.2 Merkmale und Entwicklungsaufgaben der Jugendphase

Aus den vorangegangenen Darstellungen lässt sich konstatieren, dass die Jugendphase allgemein den Lebensabschnitt zwischen Kindheit und Erwachsenalter bezeichnet, wobei Beginn und Ende dieser Phase in der Literatur je nach wissenschaftlichem Hintergrund der Autoren variieren können. An dieser Stelle präzise Abgrenzungen bezüglich des Alters vorzunehmen und einen konkreten Zeitraum für diesen Lebensabschnitt zu bestimmen, ist ohne den Bezug zu den entsprechenden Wissenschaftsdisziplinen wenig fruchtbar. Doch selbst in den unterschiedlichen Ausrichtungen der Wissenschaften werden Abweichungen hinsichtlich expliziter Bestimmungen der Lebensphase Jugend deutlich. Zugleich muss immer auch der gesellschaftliche Hintergrund mit einbezogen werden, wenn man den Versuch macht, diesen Lebensabschnitt näher zu bestimmen. „Die Lebensphase Jugend ist nicht frei vom gesellschaftlichen Kontext definierbar. Sie muss, da sie in ihrer Struktur durch ökonomische, soziale und kulturelle Wandlungsprozesse beeinflusst wird, in ihrem konkreten historischen Zusammenhang betrachtet werden.“[49]

Gesellschaftliche Veränderungen finden fortwährend statt und wirken mehr oder weniger auf menschliche Biografieverläufe. Wie alle Lebensabschnitte kann somit auch die Lebensphase Jugend nicht allein anhand von biologischen Merkmalen definiert werden, sondern sämtliche, die jungen Menschen umgebenden gesellschaftlichen Bereiche wie beispielsweise Kultur und Wirtschaft sowie der zeitliche Rahmen und die Umgebung, in der sie aufwachsen, müssen Beachtung finden, da diese einen prägenden Einfluss auf die Jugendlichen und die Gestaltung ihrer Lebensläufe haben.[50]

Sich verändernde demografische Entwicklungen, die einerseits durch das Absinken der Geburtenrate sowie andererseits durch das Ansteigen der Lebensdauer bedingt sind, hatten eine Umstrukturierung der Lebensphasen zur Folge. Die Jugendphase gewinnt seit Beginn des 20. Jahrhunderts und in den folgenden Jahren zunehmend an Bedeutung und nimmt einen höheren Stellenwert in den Biografien ein. Ihre zeitliche Ausdehnung führte zu einer Verkürzung der Phase Kindheit und zu einem späteren Eintritt in das Erwachsenenalter.[51] Hurrelmann (2004) konstatiert, dass die Jugendphase gegenwärtig gekennzeichnet ist durch ein früheres Einsetzen, das heißt durch einen zeitlich früheren Beginn der Pubertät, welche den Übergang von der Kindheit in das Jugendalter primär durch biologische aber auch durch soziale Reifungsprozesse anzeigt. Weiterhin verweist er auf die zeitliche Aufschiebung zum Ende der Jugendzeit, die vordergründig ein Resultat immer länger andauernder Schul- und Ausbildungszeiten ist. Der spätere Eintritt in das Berufsleben und der dadurch verzögerte Übergang in den Erwachsenstatus ist eine Folge der prekären Arbeitsmarktsituation. Der im Zuge der fortschreitenden Modernisierung und Rationalisierung entstandene Mangel an Arbeitsplätzen sollte dadurch kompensiert werden, indem junge Menschen bewusst länger im Erziehungs- und Bildungssystem gehalten wurden. Hieraus ergibt sich, dass sich die jungen Menschen immer wieder in widersprüchlichen Konstellationen, wie Selbstständigkeit versus Abhängigkeit, Selbstbestimmung versus Fremdbestimmung befinden.[52]

Die Jugendphase ist somit im soziologischen Sinne geprägt von einer Diskrepanz der möglichen sozialen Positionen und Rollen. Das bedeutet, wenn sich die ökonomische Unabhängigkeit in Folge von weiteren schulischen und anderen Qualifizierungen hinauszögert, dann kann der Übergang zum Status eines Erwachsenen nicht gelingen, da weiterhin eine finanzielle Abhängigkeit und damit eine partielle Unselbstständigkeit bestehen bleiben. In anderen Bereichen jedoch, die sowohl die Lebensgestaltung als auch die Lebensplanung betreffen, ist den Jugendlichen mit zunehmendem Alter trotz ökonomischer Abhängigkeit ein relativ hohes Maß an Selbstbestimmung und Selbstständigkeit gegeben. Durch diese Entwicklung wird aus der Übergangsphase Jugend eine eigenständige Lebensphase.[53]

In der 12. Shell Jugendstudie (1997)[54] wird konstatiert: „Jugend bedeutet ein Doppeltes: sie ist einmal eine subjektive biografische Lebensphase, in der Aufgaben der inneren Entwicklung, des Lernens, der Identitätsbildung anstehen; sie ist zum anderen eine gesellschaftlich bestimmte Lebenslage, abhängig von gesellschaftlichen Bedingungen und Erwartungen, vor allem aber von der Zukunft und Zukunftsfähigkeit der zentralen Regelungen und Grundlagen unserer Arbeitsgesellschaft.“[55] Die Jugendphase bietet den jungen Menschen demzufolge die Möglichkeit, sich selbst zu finden und sich zu orientieren, sich aber auch mit entsprechenden Forderungen und Aufgaben in der Erwachsenenwelt vertraut zu machen und sich darauf vorzubereiten. Demgemäß bleibt die Jugendphase von gesellschaftlichen Veränderungen und ihren Resultaten nicht unberührt. So stellen beispielsweise gegenwärtige Probleme, Schwierigkeiten und Unsicherheiten auf dem Arbeitsmarkt, welche den Einstieg in die Erwerbsarbeit und die Ausübung eines geeigneten und lukrativen Berufes komplizieren, nicht mehr nur Belastungen und Sorgen der Erwachsenen dar, sie betreffen zunehmend auch junge Menschen. Auch Veränderungen in anderen Bereichen, die beispielsweise Arbeitslosigkeit und finanzielle Nöte vermehrt zur Folge haben können oder durch zunehmende Modernisierung und Technisierung immer mehr Kompetenzen und Wissen erforderlich machen, können dazu führen, dass viele junge Menschen im Hinblick auf ihre Zukunftsperspektiven und -chancen verunsichert sind.[56]

Eine Bezeichnung der Lebensphase Jugend als ‚Schonraum’ ist vor dem Hintergrund gegenwärtiger gesellschaftlicher Verhältnisse nur bedingt zutreffend, da Probleme der Erwachsenenwelt und der Gestaltung des eigenen Lebens auch die Jugendlichen beschäftigen. Jugend ist in diesem Sinne nicht mehr einfach eine Übergangsphase vom Kindsein in den Erwachsenenstatus. Die Modernisierungsprozesse der letzten Jahrzehnte machen es unerlässlich, dass sich die jungen Menschen in dieser Lebensphase bereits mit den für eine gelingende Biografie unentbehrlichen und geforderten Ansprüchen auseinandersetzen. Die Planung des eigenen Lebens und dessen Bewältigung sowie vor allem das Streben nach möglichst hohen Bildungsabschlüssen; das Erwerben bedeutender sozialer Kompetenzen; das beharrliche Nutzen sich bietender Möglichkeiten; aber auch der damit einhergehende Zwang, den Erwartungen der Anderen, aber auch sich selbst gegenüber zu entsprechen, sind kennzeichnende Merkmale dieser Lebensphase geworden. Den jungen Menschen wird somit bereits in dieser Phase ein hohes Maß an Verantwortlichkeit übertragen. Gewisse Entscheidungen bereits in jungen Lebensjahren treffen zu müssen, die für das zukünftige Leben als Erwachsener mitbestimmend sind, können mitunter eine Überforderung darstellen.[57]

Die Ergebnisse der 12. Shell-Studie haben gezeigt, dass sich insbesondere die 18- bis 24-jährigen Heranwachsenden verstärkt mit problematischen gesellschaftlichen Themenbereichen, wie beispielsweise Arbeitslosigkeit, Mangel an Lehrstellen und Zunahme der in Armut lebenden Menschen auseinandersetzen. Zentrale jugendtypische Probleme im Zusammenhang mit der Identitätsfindung, der Suche nach einem Partner und dem Streben nach Selbstbestimmung sind zwar ebenso bedeutsam, aber für diese Altersgruppe eher nachrangig. Die Wahrnehmung von gesellschaftlichen Problembereichen und die Beschäftigung mit diesen sowie das Wissen über nur geringe oder fehlende Einflussmöglichkeiten verursachen nicht selten Angst vor einer ungewissen Zukunft und geben vielen jungen Menschen Anlass zur Sorge. Die in der quantitativen Untersuchung der Shell-Studie (1997) eingangs gestellte Frage nach den ‚Hauptproblemen der Jugendlichen heute’, zeigt deutlich, dass von insgesamt 2102 befragten Jugendlichen 63 Prozent der 22- bis 24-Jährigen das Thema Arbeitslosigkeit anführten, selbst bei den 12- bis 14-Jährigen nannten 18 Prozent der Befragten dies als Hauptproblem.[58] „Dies zeigt die neue Schwierigkeit der Jugendphase an: problematisch wird es, sie beenden zu können, wenn der Arbeitsmarkt den Übergang in die Selbstständigkeit des Erwachsenenseins ökonomisch nicht mehr zuverlässig sichert.“[59] Dies hat zur Folge, dass sich die Jugendphase immer weiter ausweitet und sich die jungen Menschen selbst viel länger als Jugendliche ansehen, denn je mehr der Übergang vom Jugendlichen zum Erwachsenen als unsicher empfunden wird, desto schwieriger gestaltet es sich, mit der Jugendphase abzuschließen.[60] „Erwachsenwerdenwollen, aber – angesichts der Erschwernisse des Übergangs – Jugendlicher bleiben zu müssen (d.h. in Lern-, Ausbildungs-, Qualifikations- und Weiterqualifikationsphasen zu leben), scheint gegenwärtig die paradoxe Aufgabe der Bewältigung der Jugendphase zu sein.“[61]

Trotz dem die Jugendphase sich als eigenständige Lebensphase etabliert hat, ist es notwendig, dass junge Menschen bereits Vorbereitungen und Entscheidungen treffen sowie Qualifikationen erwerben, die für die folgende Phase des Erwachsenseins von Bedeutung sein können beziehungsweise einen Übergang in diese überhaupt erst ermöglichen. Inwiefern die in der Jugendphase genutzten Möglichkeiten und getroffenen Entscheidungen für das zukünftige Leben als Erwachsener in der Gesellschaft nutzbringend und sinnvoll sind und somit eine erfolgreiche Biografie möglich machen, ist neben solchen Faktoren wie Bildungschancen, Lebensumstände und -umfeld mitentscheidend für die Qualität dieser Lebensphase. Für die meisten Jugendlichen bilden beispielsweise Erwerbsarbeit und ein regelmäßiges Einkommen die Grundvoraussetzungen für den Eintritt in die Phase des Erwachsenseins, das heißt, für ein Leben als Erwachsener, der wirtschaftlich unabhängig ist und eigenständig Entscheidungen treffen kann. Die gegenwärtige Arbeitsmarktsituation scheint jedoch viele junge Menschen zu beunruhigen und den Übergang in eine gesicherte Erwachsenenexistenz zu erschweren.[62] „Ist die gesellschaftliche Zukunft bedroht und verunsichert, so bedroht und verunsichert dies auch junge Menschen in ihren Möglichkeiten, ihre Jugend zu gestalten und ihr Leben zu planen.“[63]

Der Mangel an Ausbildungs- und Arbeitsplätzen sowie das Wissen darüber, dass bestimmte Qualifikationen die Chancen auf dem Arbeitmarkt erhöhen können, führten dazu, dass sich eine neue Lebensphase etabliert hat. Der in der Literatur dafür verwendete Begriff der ‚Postadoleszenz’ ist bezeichnend für die Lebensphase der jungen Menschen, die die eigentliche Jugendphase bereits vollendet haben und relativ selbstständig und eigenverantwortlich handeln und Entscheidungen treffen, die jedoch aufgrund einer weiterhin bestehenden ökonomischen Abhängigkeit noch nicht vollständig als Erwachsene anerkannt werden und sich selbst auch nicht als solche wahrnehmen. Daraus ergibt sich, dass besonders diese jungen Menschen, denen der Wechsel in den Erwachsenenstatus aufgrund wirtschaftlicher, regionaler oder individueller Bedingungen noch nicht gelungen ist, es als sinnvoll erachten, ihre Jugendzeit auszudehnen, um ihre Fähigkeiten auszubauen und um weitere Qualifikationen zu erhalten, die das Erreichen des Erwachsenenstatus einfacher machen können.[64]

Münchmeier (1997) formuliert prägnant die Widersprüchlichkeiten zwischen der indivi-duellen Gestaltungsmöglichkeit und der Abhängigkeit von gesellschaftlichen Vorgaben und Notwendigkeiten, die für die Jugendphase gegenwärtig kennzeichnend sind. „Jugend ist eben nicht nur etwas Persönlich-Biografisches, das man mit Hilfe seiner Begabungen und seines Fleißes selbst gestalten kann. Jugend ist in unserer Zeit auch ein gesellschaftliches Muster, eine ‚vergesellschaftete’ Lebensphase, gesellschaftlichen Regeln, Institutionen und Standards unterworfen. Insofern ist Jugend abhängig von den gesellschaftlichen Bedingungen des Jugendalters, von Lern- und Qualifikationschancen, Erfahrungs- und Möglichkeitsräumen, von öffentlichen Ressourcen.“[65] Bedacht werden muss dabei immer, dass die Jugend keine einheitliche Gruppe ist, sondern dass sie sich aus vielen Individuen zusammensetzt, die zwar mit ähnlichen gesellschaftlichen Bedingungen konfrontiert werden und sich damit auseinandersetzen müssen, allerdings je nach Herkunft bessere oder schlechtere Voraussetzungen erhalten und sich ihnen Chancen und Möglichkeiten für eine gelingende Biografie in unterschiedlichem Maße bieten.[66] Opp (2006) konstatiert in diesem Sinne „Kindern und Jugendlichen standen noch nie so viele Möglichkeiten offen wie heute – ihnen wurden jedoch auch noch nie so viele Entscheidungen abverlangt. Um sich dieser Verantwortung selbst-bewusst stellen zu können, bedarf es der Unterstützung durch Familie und Gesellschaft. (...) Der Graben zwischen denen, die in hohem Maße von Ressourcen profitieren, und denen, die in schwierigen Lebenswelten aufwachsen, wird immer größer.“[67]

In jeder Lebensphase ist es bedeutsam, bestimmten Ansprüchen und Anforderungen der Umwelt zu entsprechen. Es wird davon ausgegangen, dass die Bewältigung gewisser Entwicklungsaufgaben in bestimmten Lebensabschnitten leichter gelingen kann, als in einem früheren oder späteren Alter. Das schließt aber nicht aus, dass diese zu anderen Zeitpunkten, wenn auch meist mit höherer Anstrengung und verstärktem Einsatz erfolgreich bewältigt werden können. Insbesondere in der Phase der Kindheit und Jugend werden spezifische Entwicklungsaufgaben an die jungen Menschen gestellt, welche von ihnen bewältigt werden sollten. Dabei wird ersichtlich, dass die Auseinandersetzung mit den Entwicklungsaufgaben der Jugendphase und die Bewältigung dieser keineswegs zeitlich auf das Jugendalter begrenzt bleiben. Bestimmte Entwicklungsaufgaben von Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter bauen aufeinander auf und durchziehen die verschiedenen Lebensphasen. Entwicklungsaufgaben in der Jugendphase können somit eine Fortführung von Aufgaben aus der Kindheit darstellen. Andere dagegen, die erst für die Adoleszenz kennzeichnend sind, können bis in das frühe Erwachsenenalter reichen und in dieser Phase erst bewältigt werden.[68]

Sowohl aus entwicklungspsychologischer als auch aus soziologischer Sicht können solche elementaren Entwicklungsaufgaben beschrieben werden, welche oft eng miteinander verknüpft sind. Für junge Menschen, die sich in der Jugendphase befinden, ist eine erfolgreiche Auseinandersetzung mit den spezifischen Anforderungen sowie die Bewältigung dieser bedeutsam, um den Status eines Erwachsenen zu erlangen. Dabei ist von einer Dynamik auszugehen. Das heißt, dass die im Folgenden aufgeführten Entwicklungsaufgaben des Jugendalters stets miteinander verbunden und nicht isoliert zu denken sind.[69]

Aus entwicklungspsychologischer Sicht können in Anlehnung an Havighurst (1982) und Hurrelmann (2004) folgende Entwicklungsaufgaben skizziert werden:

Ausbildung elementarer Fähigkeiten in kognitiven und sozialen Bereichen

Damit junge Menschen eigenverantwortlich handeln, ökonomisch unabhängig werden und den Status eines Erwachsenen erreichen, der in der Lage ist, sich eine sichere Existenz selbstständig aufzubauen, ist es bedeutsam, im Jugendalter geforderte Kompetenzen und Qualifikationen zu erwerben. Der regelmäßige Schulbesuch und das Bemühen um angemessene Leistungen sowie eine daran anschließende berufliche Ausbildung, die es möglich macht, in die Erwerbsarbeit einzutreten, zählen zu den grundlegenden Aufgaben, die in der Jugendphase bewältigt werden müssen.

Identitätsfindung und Akzeptanz des eigenen Geschlechts

Die aktive Auseinandersetzung junger Menschen mit der eigenen Persönlichkeit und die Akzeptanz des eigenen Geschlechts sowie individueller Besonderheiten und Wesens-merkmale sind für den Aufbau zwischenmenschlicher Beziehungen bedeutend. Dabei ist die Fähigkeit, Kontakte zu Gleichaltrigen verschiedenen Geschlechts aufzubauen, Freundschaften entstehen zu lassen und aufrecht erhalten zu können ebenso wichtig wie das Sammeln von Erfahrungen mit Partnerschaften sowie die Fähigkeit, ernsthafte Paarbeziehungen einzugehen und damit die Basis für die Gründung einer Familie zu schaffen.

Herausbildung eines für die Beteiligung am Konsumwarenmarkt angemessenen Verhaltens

Um ein weitgehend selbstbestimmtes und ökonomisch unabhängiges Leben führen zu können, ist es wichtig, dass bereits im Jugendalter Kompetenzen im Umgang mit Geld erworben werden. Damit einher geht in dieser Lebensphase die Herausbildung eines kontrollierten und zweckmäßigen Verhaltens in Bezug auf Medienkonsum und Nutzung möglicher Angebote der Freizeitgestaltung.

Internalisierung von Werten und Normen sowie die bewusste Ausrichtung des Handelns und Verhaltens an diesen

In der Lebensphase Jugend ist es bedeutsam, Werte und Normen zu verinnerlichen, sich an diesen zu orientieren und sein eigenes Verhalten und Handeln entsprechend daran auszurichten. Die Entwicklung eines normativen, moralischen und politischen Bewusstseins ist im weiteren Lebenslauf entscheidend darüber, welche Positionen und Rollen die Person im gesellschaftlichen Leben einnimmt und inwiefern sie diese gewissenhaft und mit ent-sprechender Verantwortung übernehmen kann.[70]

Aus Sicht der Soziologie sind die in der Jugendphase zu bewältigenden Entwicklungs-aufgaben ähnlich denen der Entwicklungspsychologie. Im Vordergrund stehen dabei Veränderung und Weiterentwicklung des jungen Menschen zu einem selbstständigen, selbst-bestimmten und verantwortungsbewusst handelnden Subjekt in der Gesellschaft. Von zentraler Bedeutung für den Übergang in den Erwachsenenstatus sind daher die Ausdehnung möglicher Handlungsspielräume sowie die Ausweitung und Übernahme vielfältiger Rollen und Positionen. Entwicklungsaufgaben in der Jugendphase aus soziologischer Sicht sind das verantwortungsvolle Übernehmen der Schülerrolle, Steigerung der eigenen Leistungsfähigkeit sowie Herausbildung eines Bewusstseins, dass durch eigenes Bemühen gesetzte Ziele verfolgt und schließlich auch erreicht werden können.[71]

Ferner ist die Jugendphase durch eine Ablösung der jungen Menschen von der Familie und der verstärkten Zuwendung zur Gruppe der Gleichaltrigen gekennzeichnet. Insbesondere das Ablösen von den Eltern nimmt aus soziologischer Perspektive eine wichtige Stellung ein, da dies mit der verstärkten Übernahme sozialer Rollen einhergeht und somit ein bedeutender Schritt für die Weiterentwicklung verantwortungsbewussten und autonomen Handelns darstellt. Die zunehmende Distanzierung von der Familie ermöglicht den jungen Menschen, verschiedene Positionen innerhalb der Gesellschaft zu erkennen und wahrzunehmen. Verstärkte Kontakte zu Gleichaltrigen erleichtern den Ablösungsprozess, da sich Personen gleichen Alters in nahezu identischen Lebenssituationen befinden, ähnliche Anforderungen und Aufgaben bewältigen müssen und sich somit gerade bei aufkommenden Problemen und Ängsten gegenseitig stärken können.[72]

Eine weitere Entwicklungsaufgabe im Jugendalter ist die Ausbildung eines ausgewogenen und bewussten Konsumverhaltens, wobei eine angemessene Beteiligung am Konsum- und Warenmarkt sowie der Erwerb damit einhergehender Kompetenzen grundlegend sind. Aufgrund der bestehenden Angebotsvielfalt des Marktes gilt es, nicht den Überblick zu verlieren. Gleichaltrige spielen dabei eine entscheidende Rolle, da sie einen wichtigen Orientierungsrahmen geben und somit bei der Bewältigung dieser Entwicklungsaufgabe eine unterstützende Funktion einnehmen.[73]

In der Jugendphase ist es erforderlich, dass junge Menschen die Fähigkeit erwerben, selbstbestimmt zu handeln und gesellschaftliche Aufgaben sowie Rollen und Positionen verantwortungsbewusst zu übernehmen. Die moralische, religiöse und die politische Verortung der eigenen Person wird nicht mehr primär von den Eltern beeinflusst, da sich die elterliche Einflussnahme mit zunehmendem Alter der jungen Menschen verringert. Dies ist eine Notwendigkeit und bildet gleichzeitig die Grundlage, um den Status eines autonomen und selbstbestimmten Gesellschaftsmitgliedes zu erreichen.[74]

2.3 Resümee

Durch diesen Exkurs wurde ersichtlich, dass die Jugendphase vorwiegend eine Übergangsphase war, die den jungen Menschen zur Orientierung und Vorbereitung auf die Erwerbsarbeit zugesprochen wurde, um den Statuswechsel vom Kind zum Erwachsenen zu vollziehen. Während diese Phase vorerst nicht allen jungen Menschen in gleichem Maße zugänglich war, so etablierte sich die Jugendphase nicht zuletzt durch gesellschaftliche und bildungspolitische Veränderungen als eine eigenständige Lebensphase. Diese Entwicklung wurde durch die zeitliche Ausdehnung der Jugendphase begünstigt. Den jungen Menschen stehen seither verschiedene Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten offen, die sie in dieser Phase gezielt nutzen sollten, um den Erwachsenenstatus zu erreichen. Der Status des Erwachsenen ist gekennzeichnet durch finanzielle Unabhängigkeit infolge von Erwerbsarbeit; verantwortungs-bewusste Rollenübernahme; Autonomie; Paarbeziehungen, die zu Heirat und Familiengründung führen; Identitätsfindung; Herausbildung eines ethischen und politischen Bewusstseins sowie angemessene Beteiligung am Konsummarkt. Insbesondere gesellschaftliche Veränderungen und damit einhergehende Bedingungen bewirken jedoch, dass die Bewältigung der entsprechenden Entwicklungsaufgaben des Jugendalters, die den Übergang in das Erwachsenenalter markiert, individuell variieren kann. Viele junge Menschen befinden sich somit in einer kontroversen Situation. Sie beteiligen sich vergleichsweise früh am Konsummarkt und teilweise durch Ferienjobs auch am Arbeitsmarkt, bleiben aber aufgrund der längeren Schul- und Ausbildungszeiten sowie der prekären Arbeitsmarktsituation länger ökonomisch abhängig. Sie gehen bereits in jungen Jahren Partnerschaften ein, wobei Heirat und Familiengründung zeitlich hinausgezögert werden oder bei der eigenen Lebensplanung bewusst unberücksichtigt bleiben. Sie nutzen sehr früh sich bietende Mitbestimmungs- und Einflussmöglichkeiten in unterschiedlichen gesellschaftlichen Teilbereichen wie Familie, Schule, Gleichaltrigengruppe und Vereinen, wobei ihnen die Beteiligung an gesamt-politischen Entscheidungen erst mit 18 Jahren durch das Wahlrecht zugesprochen wird. Hier wird deutlich, dass sich junge Menschen in einem ständigen Widerspruch zwischen Selbstständigkeit und Abhängigkeit, Selbstbestimmung und Fremdbestimmung befinden. In diesem Zusammenhang spricht man auch von einer ‚Statusinkonsistenz’.[75]

Der Exkurs verdeutlichte, dass die Lebensphase Jugend gesellschaftlichen Veränderungen unterworfen ist. Neben einer enormen zeitlichen Ausdehnung und dem Wandel von einer reinen Übergangs- und Durchgangsphase zu einer eher eigenständigen Lebensphase mit eigenem Charakter haben sich neue Herausforderungen und Veränderungen bezüglich der Anforderungen an die jungen Menschen in der Jugendphase ergeben. Die Zunahme von Freiheiten und Wahlmöglichkeiten, welche charakteristisch für ein soziales, fortschrittliches und demokratisches Gesellschaftssystem sind, räumen jedem Individuum die Handhabe ein, selbst sein Leben zu planen und über seinen eigenen Biografieverlauf zu bestimmen. Für eine gelingende Biografie setzt dies jedoch voraus, dass das Individuum schon sehr früh die Fähigkeiten besitzt, eigenverantwortlich Entscheidungen zu treffen und sich an dafür wichtigen gesellschaftlichen Mustern zu orientieren sowie Veränderungen zu erkennen, angemessen damit umzugehen und darauf zu reagieren. Für die jungen Menschen in der Jugendphase ist es bedeutsam, dass sie frühzeitig über Gestaltungsmöglichkeiten ihrer Biografie nachdenken und entsprechend ihrer Kompetenzen aber auch ihrer Bedürfnisse einen Lebensplan entwerfen und angestrebte Ziele verfolgen. Dazu gehört aber auch, mit Problemen und Widersprüchen, die sich durch die ‚Statusinkonsistenz’ insbesondere in dieser Lebensphase ergeben, umzugehen, denn nur dann kann es gelingen, eine starke und autonome Persönlichkeitsstruktur zu entwickeln.[76]

Die Jugendphase ist demnach gegenwärtig keine Phase, in der die Mehrheit der jungen Menschen verhältnismäßig unbekümmert und sorglos heranwächst, denn sie wissen, dass bestehende gesellschaftliche Probleme auch sie betreffen können. Zwar haben sich im Vergleich zu früheren Generationen zahlreiche neue Freiräume, Möglichkeiten und Chancen für Menschen in der Jugendphase eröffnet, die Planung und Gestaltung des eigenen zukünftigen Lebens war jedoch auch noch nie so schwer wie heute, da ein Mangel an Sicherheiten sowie Beständigkeiten kennzeichnend für derzeitige Biografieverläufe ist und damit nicht begrenzt auf die Jugendphase bleibt.[77]

3. Ausmaß und Struktur jugendlicher Kriminalität

3.1 Polizeilich registrierte Kriminalität Jugendlicher in Deutschland

3.1.1 Kriminalstatistische Erkenntnismittel

Zur Gewinnung von Erkenntnissen über das Ausmaß und die Struktur von Kriminalität sowie über die Kontrolltätigkeiten verschiedener Instanzen, wie zum Beispiel Polizei, Staatsanwaltschaft oder Gericht sind Kriminalstatistiken eine wichtige Informationsquelle, in denen solche Daten erfasst werden. Diese Statistiken werden über einen längeren Zeitraum geführt und ermöglichen somit einen Vergleich der aktuell erfassten Daten mit denen aus vorangegangenen Erhebungen.[78]

Die Polizeiliche Kriminalstatistik wird seit 1953 vom Bundeskriminalamt jährlich herausgegeben. Seit 1991 wird die Statistik bundeseinheitlich geführt. In ihr werden die in der gesamten Bundesrepublik Deutschland zur Anzeige gebrachten, amtlich entdeckten oder auf andere Weise bekannt gewordenen Taten aufgenommen, die gegen die Strafgesetze der Bundesrepublik verstoßen.[79] „Nicht enthalten sind Staatsschutzdelikte, Verkehrsdelikte (mit Ausnahme der Verstöße gegen §§315, 315b StGB und §22a StVG), Straftaten, die außerhalb der Bundesrepublik Deutschland begangen wurden und Verstöße gegen strafrechtliche Landesgesetze, mit Ausnahme der einschlägigen Vorschriften in den Landesdatenschutzgesetzen.“[80]

Der Polizeilichen Kriminalstatistik ist die für das jeweils vorangegangene Jahr registrierte Gesamtkriminalität in der Bundesrepublik Deutschland zu entnehmen. Zusätzlich sind die Verteilung der Kriminalität auf Länderebene sowie die registrierten Fälle diverser Städte einsehbar. Weiterhin werden alters- und geschlechtsbezogene Angaben über Opfer bestimmter Straftaten sowie prozentuale Angaben über die Aufklärungsraten, die sich ebenso auf einzelne Arten von Straftaten beziehen, gemacht. Die Polizeiliche Kriminalstatistik gibt einen Überblick über Eigenschaften der Tatverdächtigen, indem sie um eine straftatbezogene Darstellung ergänzt wird, welche beispielsweise Alter, Geschlecht und Staatsangehörigkeit berücksichtigt.[81] „Tatverdächtig ist jeder, der nach dem polizeilichen Ermittlungsergebnis aufgrund zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte verdächtig ist, eine rechtswidrige (Straf-) Tat begangen zu haben. Dazu zählen auch Mittäter, Anstifter und Gehilfen.“[82] Da in die Polizeiliche Kriminalstatistik alle von der Polizei registrierten Fälle aufgenommen werden, umfasst die Tatverdächtigenzahl auch solche Personen, die beispielsweise aufgrund von Strafunmündigkeit, Schuldunfähigkeit oder Flucht nicht verurteilt werden können. In den Berichtsjahren bis 1983 wurden Täter, die mehrere Straftaten begangen hatten auch mehrfach in die Statistik aufgenommen. In den darauf folgenden Jahren wurde eine ‚Echttäterzählung’ eingeführt und damit die Gesamtzahl der Tatverdächtigen korrigiert.[83] Dies bedeutet, dass eine Person, die in einem Bundesland mehrfach aufgrund gleichartiger Straftaten aufgefallen ist, nur einmal als Tatverdächtiger in der Statistik gezählt wird. Mehrfachzählungen sind dennoch nicht ausgeschlossen, insbesondere dann, wenn eine Person in unterschiedlichen Bundesländern registriert wird oder in einem Bundesland strafbare Handlungen verschiedener Straftatenarten begeht. Bezogen auf die Straftatengruppen und die Gesamtzahl der Tat-verdächtigen wird eine Person, die mehrfach registriert wurde, jedoch nur einfach gezählt.[84]

Ergänzende Informationsquellen zur Analyse und Beurteilung der Kriminalitätslage sind beispielsweise die Strafverfolgungsstatistik, die Strafvollzugsstatistik und die Bewährungshilfestatistik. Die Strafverfolgungsstatistik wird seit 1950 vom Statistischen Bundesamt herausgegeben. Sie umfasst alle Personen, gegen die ein Strafverfahren eingeleitet und ein gerichtliches Urteil ausgesprochen wurde. Damit spiegelt diese Statistik die Tätigkeit der Staatsanwaltschaft und Gerichte wider. Da die von der Polizei bereits abgeschlossenen und im Vorverfahren durch die Staatsanwaltschaft eingestellten Fälle nicht in die Strafverfolgungsstatistik aufgenommen werden, ist sie in ihrer Aussagekraft beschränkt auf die gerichtlich registrierte Kriminalität.[85] Die Strafvollzugsstatistik, die seit 1961 vom Statistischen Bundesamt veröffentlicht wird, gibt Auskunft über die bestehenden Justizvollzugs- und Verwahrungsanstalten, über ihre möglichen Kapazitäten sowie ihre tatsächliche Auslastung. Die Statistik der Bewährungshilfe, welche seit 1963 vom Statistischen Bundesamt herausgegeben wird, enthält Angaben über die Anzahl der hauptamtlich tätigen Bewährungshelfer und ihrer Klientel.[86]

[...]


[1] vgl. Heinz 2008, S.87f

[2] Kaiser 1989, S.717

[3] vgl. Oerter/Dreher 1998, S.312

[4] Oerter/Dreher 1998, S.312

[5] Oerter/Dreher 1998, S.312

[6] vgl. Oerter/Dreher 1998, S.312

[7] vgl. Fend 2000, nach Hurrelmann 2004, S.29

[8] Hafeneger 1995, S.20f

[9] vgl. Schilling 1995, S.208

[10] vgl. Böhnisch 1997, S.132

[11] vgl. Münchmeier 2001, S.816ff

[12] Schäfers/Scherr 2005, S.24

[13] vgl. Hurrelmann 2004, S.34f

[14] vgl. Schäfers/Scheer 2005, S.23f

[15] Schäfers/Scherr 2005, S.24

[16] vgl. Schäfers/Scherr 2005, S.24

[17] vgl. Hurrelmann 2004, S.41

[18] Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2000, S.42

[19] Eisenberg 1995, S.19

[20] Eisenberg 1995, S.19

[21] Pongratz 2000, S.15

[22] Kaiser 1993b, S.238f

[23] vgl. Schwind 2001, S.2

[24] Schwind 2001, S.3

[25] vgl. Schwind 2001, S.4f

[26] Schwind 2001, S.5

[27] vgl. Schwind 2001, S.5

[28] vgl. Pongratz 2000, S.15f

[29] vgl. Sack 2007, S.184f

[30] Sack 2007, S.184

[31] vgl. Sack 2007, S.185

[32] vgl. Eisenberg 1995, S.41ff, 851ff

[33] vgl. Northoff 1997, Kapitel 1.1.1, S.4

[34] vgl. Kreuzer 1993, S.182

[35] vgl. Pongratz 2000, S.19

[36] Pongratz 2000, S.19

[37] vgl. Pongratz 1975, nach Kreuzer 1993, S.188

[38] vgl. Roth 1983, S.32ff

[39] Roth 1983, S. 107

[40] vgl. Roth 1983, S.114ff

[41] Roth 1983, S.132f

[42] vgl. Grunert/Krüger 2000, S.193

[43] vgl. Mansel/Hurrelmann 1991, S.10

[44] vgl. Mansel/Hurrelmann 1991, S.10

[45] vgl. Grunert/Krüger 2000, S.192f

[46] vgl. Grunert/Krüger 2000, S.199

[47] Grunert/Krüger 2000, S.200

[48] vgl. Grunert/Krüger 2000, S.200ff

[49] Mansel/Hurrelmann 1991, S.10

[50] vgl. Hurrelmann 2004, S.13

[51] vgl. Hurrelmann 2004, S.13ff

[52] vgl. Hurrelmann 2004, S.8

[53] vgl. Hurrelmann 2004, S.8f

[54] Die Shell Jugendstudien werden in regelmäßigen Abständen seit 1953 von dem Jugendwerk der Deutschen Shell herausgegeben. Bezugnehmend auf gesellschaftliche Veränderungen werden Situationen Jugendlicher jeweils unter anderen Schwerpunktsetzungen in den Blick genommen. Die im Jahr 1997 erschienene 12. Shell Jugendstudie analysiert mittels unterschiedlicher Methoden ‚Zukunftsperspektiven, gesellschaftliches Engagement und politische Orientierungen’ Jugendlicher.

[55] Fischer/Münchmeier 1997, S.13

[56] vgl. Fischer/Münchmeier 1997, S.13

[57] vgl. Opp 2006, S.23f

[58] vgl. Fischer/Münchmeier 1997, S.14

[59] Fischer/Münchmeier 1997, S.14

[60] vgl. Fischer/Münchmeier 1997, S.15

[61] Fischer/Münchmeier 1997, S.15

[62] vgl. Münchmeier 1997, S.277ff

[63] Münchmeier 1997, S.278

[64] vgl. Münchmeier 1997, S.288f

[65] Münchmeier 1997, S.290

[66] vgl. Münchmeier 1997, S.291f

[67] Opp 2006, S.21

[68] vgl. Oerter/Dreher 1998, S.327f

[69] vgl. Hurrelmann 2004, S.26f

[70] vgl. Hurrelmann 2004, S.27f; Havighurst 1982, nach Oerter/Dreher 1998, S.328

[71] vgl. Hurrelmann 2004, S.33

[72] vgl. Hurrelmann 2004, S.33

[73] vgl. Hurrelmann 2004, S.33f

[74] vgl. Hurrelmann 2004, S.34

[75] vgl. Hurrelmann 2004, S.37f

[76] vgl. Hurrelmann 2004, S.40ff

[77] vgl. Hurrelmann 2004, S.41f

[78] vgl. Göppinger 1997, S.466

[79] vgl. Göppinger 1997, S.467

[80] Bundesministerium des Innern 2007, S.2

[81] vgl. Bundesministerium des Innern 2007, S.2

[82] Bundeskriminalamt 2007, S.19

[83] vgl. Bundeskriminalamt 2007, S.19

[84] vgl. Göppinger 1997, S.471

[85] vgl. Pongratz 2000, S.46; Schwind 2001, 21

[86] vgl. Schwind 2001, S.18f; Kerner 1993, S.295

Ende der Leseprobe aus 154 Seiten

Details

Titel
Jugendkriminalität. Theoretische und empirische Erkenntnisse sowie kriminalpräventive Hilfen
Hochschule
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Note
1,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
154
Katalognummer
V118567
ISBN (eBook)
9783640213542
Dateigröße
1241 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Jugendkriminalität, Theoretische, Erkenntnisse, Hilfen, Jugendliche, Heranwachsende, Verbrechen, kriminell, abweichendes Verhalten, Delinquenz, Jugend, Entwicklungsaufgaben, Jugendphase, registrierte Kriminalität, polizeiliche Kriminalstatistik, Delikte, Kriminalitätstheorien, Psychoanalytischer Ansatz, Theorie des sozialen Lernens, Theorie der differentiellen Kontakte, Anomietheorie, Subkulturtheorie, Etikettierungsansätze, Familie, Schule, Peer-Group, Medien, Kriminalprävention, soziale Arbeit, sozialpädagogische Hilfen, Täter-Opfer-Ausgleich, Jugendgerichtshilfe, Bewährungshilfe
Arbeit zitieren
Nadine Heß (Autor:in), 2008, Jugendkriminalität. Theoretische und empirische Erkenntnisse sowie kriminalpräventive Hilfen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/118567

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