Immanuel Kants philosophischer Entwurf für den ewigen Frieden

Friedensideal zwischen Realität und Utopie


Hausarbeit (Hauptseminar), 2021

12 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Friedenstheorie nach Kant

Die Verwirklichung der Theorie

Theorie-Praxis-Debatte

Fazit

Literaturverzeichnis

„Der Geist, den die Kantische Schrift zum ewigen Frieden atmet, muß jedem Freunde der Gerechtigkeit wohltun, und noch die späteste Nachwelt wird auch in diesem

Denkmale die erhabene Gesinnung des ehrwürdigen Weisen bewundern."

- Friedrich Schlegel1

Einleitung

Immanuel Kant wird im Westen als ein überragender Denker geehrt. Seinen Ruhm als politischer Autor bestritt er durch seine philosophische Abhandlung „Zum ewigen Frieden“. Historiker streiten über den Anlass seines Textes. Ausgangpunkt könnte der Frieden von Basel zwischen Preußen und Frankreich von 1795 sein.2 Der genaue Anlass ist jedoch nicht bekannt. Es ist allerdings festzustellen, dass seine Abhandlung von historischem und sozialgeschichtlichem Wissen inspiriert, von Erfahrungen geprägt und konzeptionell sehr differenziert ist.3 Während zu seiner Zeit der Begriff und die Idee des Friedens lediglich ein Wunschdenken, aber kein greifbares Objekt der Philosophie war, bildet Kants Abhandlung eine Ausnahme dar. Die beiden Worte "ewig" und "Frieden" in der Überschrift seiner Abhandlung hätten Kant als Kenner der politischen Wirklichkeit und seinen Rang als politischer Denker schmälern können, aber beide Befürchtungen treffen nicht zu.4 In dieser Arbeit soll zunächst Kants philosophische Auseinandersetzung mit dem Frieden in seiner Friedensschrift untersucht werden. Dabei werden der von Kant angestrebte Typus der Friedenstheorie, die Beziehungsstruktur und der Zweck seiner Abhandlung näher beleuchtet. Im zweiten Teil der Arbeit werden Praxisbezüge hergestellt, wozu das internationale Recht näher betrachtet wird, um den Grad der

Umsetzung nachzuvollziehen. Im Anschluss wird die Theorie-Praxis-Debatte beleuchtet, um den Inhalt der Verwirklichung bzw. das Utopische in der Friedenstheorie zu identifizieren. Zuletzt folgt ein Fazit über das Spannungsverhältnis des utopischen Ansatzes mit den realistischen Verwirklichungschancen.

Friedentheorie nach Kant

Der Friedenswille der Menschheit ist so alt wie die Menschheitsgeschichte selbst.5 Auch Immanuel Kant widmete sich der Philosophie des Friedens und veröffentlichte seinen philosophischen Entwurf: "Vom ewigen Frieden" im Jahr 1975. Diese Friedensschrift ist die Grundlage der vorliegenden Arbeit. Die von ihm formulierten Vorüberlegungen werden in diesem Werk aufgegriffen und daraufhin untersucht, inwieweit seine Ideen heute friedensfördernd oder -stiftend sein könnten.

Der erste Abschnitt Kants befasst sich mit den bereits erwähnten Präliminarien, die den Frieden begründen und Regeln zu seiner Erhaltung aufstellen. Anschließend werden zunächst die Artikel 1, 5 und 6, die sogenannten "leges strictae", ausgearbeitet. Diese Artikel bestehen auf einer sofortigen Abschaffung, um Frieden zu schaffen. Die anderen drei Artikel, nämlich die Artikel 2, 3 und 4, sind die so genannten "leges latae". Diese sind den vorhergehenden Artikeln untergeordnet. Zunächst sieht Kant vor, dass die leges strictae umgesetzt werden, bevor die leges latae zum Tragen kommen.

Leges strictae

Artikel 1: „Es soll kein Friedensschluß für einen solchen gelten, der mit dem geheimen Vorbehalt des Stoffs zu einem künftigen Kriege gemacht worden.“

Der erste Artikel bezieht sich auf die Absicht eines Friedensabkommens. Nach Kant müsse ein solcher Vertrag die uneingeschränkte Absicht des Friedens für die Gegenwart und die Zukunft enthalten. Eine Annäherung ohne diese Absicht wäre ein bloßer Waffenstillstand, ein Hinausschieben der Kampfhandlungen und kein Frieden, so Kant. Das Bestehen eines geheimen Vorbehalts (reservatio mentalis) sei für die Regenten und Minister unwürdig, so Kant.

Arikel 5: „Kein Staat soll sich in die Verfassung und Regierung eines andern Staats gewalttätig einmischen.“

Das Recht eines Staates, sich in die Angelegenheiten eines anderen einzumischen oder gar einzugreifen, ist ausgeschlossen. Dies ist eine Domäne der Souveränität und Autonomie eines jeden Staates. Sie ist von allen zu achten. Würde dies nicht geachtet, befänden sich die internationalen Staaten in einer permanenten Gefahrenlage der (gewaltsamen) Einflussnahme und die internationale Staatengemeinschaft wäre gekennzeichnet von Angst, Aufrüstungen und konstanten Konfrontationen (eigene Interpretation).

Arikel 6: „Es soll sich kein Staat im Kriege mit einem anderen solche Feindseligkeiten erlauben, welche das wechselseitige Zutrauen im künftigen Frieden unmöglich machen müssen: als da sind, Anstellung der Meuchelmörder (percussores), Giftmischer (venefici), Brechung der Kapitulation, Anstiftung des Verrats (perduellio) in dem bekriegten Staat etc.“

Diese Handlungen wären unehrenhaft. Der Einsatz solcher Kriegsmittel würde das Vertrauen in den Feind auch für die Nachkriegszeit so beschädigen, dass nie ein Frieden zustande käme und ein Vernichtungskrieg (bellum internecinum) ausbrechen würde. Das wären höllische Künste, da sie abscheulich wären und sich nicht in den Grenzen des Krieges halten ließen. Deshalb muss auf solche Maßnahmen verzichtet werden, und selbst mitten im Krieg muss das Vertrauen in dieser Beziehung aufrechterhalten werden.

Leges latae

Artikel 2: „Es soll kein für sich bestehender Staat (klein oder groß, das gilt hier gleichviel) von einem andern Staate durch Erbung, Tausch, Kauf oder Schenkung erworben werden können.“

Der Grund für diesen Artikel ist das Verständnis, dass ein Staat kein Gut ist, das man besitzt (patrimonium). Es ist mehr als ein Territorium. Er besteht aus einer Gesellschaft von Menschen, die in Selbstbestimmung leben und über die niemand alleine zu gebieten und zu disponieren hat. Diese Art, sich einen Staat anzueignen, stellt daher einen gewaltsamen Angriff dar. Diese Gewalt würde durch einen Wechsel des "Eigentümers" den im Staat lebenden Menschen ausgesetzt werden. Aus diesem Artikel lässt sich also Kants Abneigung gegen Gewalt ableiten, weshalb auch Eroberungskriege abgelehnt werden.

Artikel 3: „Stehende Heere (miles perpetuus) sollen mit der Zeit ganz aufhören.“

Die Bereitschaft oder die bloße Existenz einer Armee stellt eine Bedrohung für andere Staaten dar, die stets bewaffnet und zum Angriff gewappnet sind. Diese ständige Bedrohung führt zu einem Teufelskreis, der dadurch gekennzeichnet ist, dass Armeen sich weiter aufrüsten, um der Bedrohung wirksam begegnen zu können. Kant fordert einen demilitarisierten Staat, in dem die Bürger von Zeit zu Zeit freiwillig von ihren Waffen Gebrauch machen, um sich und ihr Vaterland vor Angriffen anderer Staaten zu schützen.

Artikel 4: „Es sollen keine Staatsschulden in Beziehung auf äußere Staatshändel gemacht werden.“

Für die Förderung und ggf. Beschaffung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Landes, wie z.B. die Besiedlung, den Kauf von Magazinen, den Ausbau von Straßen usw., ist die Aufnahme von Schulden zulässig. Die Aufnahme von Schulden zu Kriegszwecken ist jedoch nicht zulässig. Die Gläubiger, wie z.B. andere Staaten oder Banken, könnten ihre

Macht und ihren Einfluss auf den Schuldner geltend machen und ihn damit in seiner Handlungsfreiheit einschränken.

Es ist erkennbar, dass Immanuel Kant den Krieg für alle Staaten bestreiten will. Damit knüpft Kant an Grotius' Werk "De jure belli ac pacis" (1625) an, das ein Naturrecht auf Frieden nicht auf Christen beschränkt, sondern auf alle Menschen ausdehnt.6 Die Schlussfolgerung aus diesem Verständnis ist, dass Frieden nicht wie im Mittelalter im Sinne des menschlichen Interesses oder des Gewissens verstanden wird, sondern als weltlicher Frieden für alle Menschen auf der Welt.7 Für das weitere Verständnis von Kants Theorie ist es wichtig zu wissen, dass Kant von einer realistischen Sicht des Menschen ausgeht. In diesem Menschenbild nimmt Kant die Gebrochenheit der menschlichen Freiheit in Kauf und rechnet damit auch mit den asozialen Kräften und Trieben des Menschen.8 In seinem Menschenverständnis könnte auch seine Befürchtung vor der Unrealisierbarkeit seiner philosophischen Auseinandersetzung liegen, denn er selbst schreibt schon zu Beginn von einem "süßen Traum".9 Hierbei strebte Kant eine philosophische Auseinandersetzung mit dem Frieden und dem Friedensbegriff an, der von einer Illusion (süßer Traum) ausgeht, aber gleichzeitig sehr konkret mit klaren Verordnungen und Regelungen für das internationale Staatensystem zu sehen ist. Sein Werk gleicht also einem Gesetzesentwurf und enthält damit Kants Realisierungswunsch. Daher wird im nächsten Abschnitt die Beziehung zwischen Theorie und Praxis der Kant'schen Theorie untersucht, um den Grad der Verwirklichung zu ermitteln.

[...]


1 Gablentz, Otto Heinrich von der: Immanuel Kant: Politische Schriften, Wiesbaden, Deutschland: Vs Verlag Fur Sozialwissenschaften. S. 1, 1965.

2 Höffe, Otfried: Immanuel Kant: Zum ewigen Frieden (Klassiker Auslegen, Band 1), 2., durchges., Berlin, Deutschland: De Gruyter Akademie Forschung. S. 1, 2004.

3 Vgl. Höffe, 2004.

4 Vgl. Höffe, 2004.

5 Vgl. Höffe, Vorwort.

6 Höffe, Otfried: Immanuel Kant: Zum ewigen Frieden (Klassiker Auslegen, Band 1), 2., durchges., Berlin, Deutschland: De Gruyter Akademie Forschung. S. 34, 2004.

7 Vgl. Höffe.

8 FU Berlin: in: Das Menschenbild der Anfänger, o. D., http://userpage.fu-berlin.de/%7Eroehrigw/ss97/GRUNDEIN/teil1/4_2.htm#:%7E:text=Ein%20realistisches%20Menschenbi ld%20akzeptiert%20die,sich%20einfach%20mit%20ihnen%20abzufinden.&text=wird%20allen%20jenen %20undurchf%C3%BChrbar%20oder,von%20Natur%20aus%20faul%22%20seien. (abgerufen am 09.10.2021).

9 Kant, Immanuel: Zum ewigen Frieden: Ein philosophischer Entwurf, 4. Aufl., Berlin, Deutschland: CreateSpace Independent Publishing Platform. S. 4, 2016.

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Immanuel Kants philosophischer Entwurf für den ewigen Frieden
Untertitel
Friedensideal zwischen Realität und Utopie
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn  (Politikwissenschaften)
Note
1,7
Autor
Jahr
2021
Seiten
12
Katalognummer
V1189416
ISBN (eBook)
9783346620910
ISBN (Buch)
9783346620927
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Diese Hausarbeit wurde im Hauptseminar geschrieben. Das Thema ist sehr aktuell und interessant.
Schlagworte
Immanuel Kant, Kant, Theorie, Frieden, Entwurf, Ewiger Frieden, Ideal, Realität, Utopie, Philosophie, Vergleich
Arbeit zitieren
Emre Sönmez (Autor:in), 2021, Immanuel Kants philosophischer Entwurf für den ewigen Frieden, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1189416

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