Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Verzeichnis der Anhänge
Einleitung
1. Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung bei Kindern
1.1 Klassifikation und Diagnostik
1.2 Prävalenz
1.3 Komorbidität
2. Multimodale Behandlungsformen bei Kindern mit Aufmerksamkeitsdefizit- /Hyperaktivitätsstörung
2.1 Psychoedukation
2.3 Psychotherapie
2.3 Pharmakotherapie
3. Multisite Multimodal Treatment Study of Children with ADHD
3.1 Methodenteil
3.3 Ergebnisteil
4. Diskussion und Ausblick
Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Diagnosen nach ICD-10 und DSM-
Abbildung 2: Kurzzeiteffekte von ADHS-Behandlungen mit Stimulanzien
Verzeichnis der Anhänge
Anhang 1: Tabelle über Ausschlusskriterien des Subjekts bzw. der Testperson
Anhang 2: Tabelle des vier-phasigen Eintrittsverfahrens und Ausschlussgründe
Anhang 3: Tabelle über Ergebnisse von Analysen der MTA-Studie
Einleitung
Die vorliegende Arbeit geht ansatzweise der Frage nach, inwiefern Wirkungen anhand von unterschiedlichen Therapiestrategien bei Kindern mit einer diagnostizierten Aufmerksam- keitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) erzielt werden. Die Frage nach der adäquaten Behandlung von ADHS bei Kindern steht fortwährend im Zusammenhang mit kontrovers geführten Diskussionen um die Frage, ob die Pharmakotherapie der Psychotherapie bezüglich ihrer Wirkung überlegen ist. Mehrere empirische Befunde münden in dem Konsens, dass die effektivste Behandlung aus der Kombination der Pharmako- und Psychotherapie besteht (vgl. Gawrilow 2016: 150).1 Bachmann et al. (2008) arbeiten in ihrer Überblicksarbeit2 den derzeitigen Stand der Therapiewirksamkeitsforschung bei den häufigsten psychischen Störungen im Kindes- und Jugendalter heraus: Neben Angststörungen, depressiven Störungen und Störungen des Sozialverhaltens gehört auch die ADHS (vgl. ebd.: 321) mit Prävalenzraten zwischen 3 und 5 % zu den häufigsten Störungen (vgl. Matthäus/Stein 2016:11). Während bei den ersten drei Störungen psychotherapeutische Methoden am effektivsten seien, ermittelten die Autorinnen bei der ADHS, dass die Behandlung mit Stimulanzien eine effektivere Methode darstellt (vgl. Bachmann et al. 2008: 321). Ferner merken sie an, dass die Kombination beider Methoden eine wichtige Alternative in der Therapie von ADHS bei Kindern bietet. Ob die simultane Nutzung beiderTherapiestrategien zusätzliche Vorteile bringt, ist bereits Gegenstand der Multisite Multimodal Treatment Study of Children with ADHD (MTA) gewesen (vgl. MTA Cooperative Group 1999: 1073). Die MTA-Studie wurde als erste große Therapievergleichsstudie3 im Auftrag des National Institute of Mental Health (NIMH) in den USA durchgeführt (vgl. Gawrilow 2016: 153). Sie besitzt für die vorliegende Arbeit insofern Relevanz, als dass „[b]ei keiner anderen Therapiestudie im Kindes- und Jugendalter, auch nicht an einem anderen Störungsbild [...] ein vergleichbarer Aufwand hinsichtlich Stichprobengröße, Therapieintensität, Mess - und Evaluationsmethodik betrieben [wurde], wie in dieser Studie“ (Döpfner/Frölich/Lehmkuhl 2013: 35).
Durch den Rückgriff auf eine zeitlich zurückliegende Studie soll verdeutlicht werden, dass die Forschung sich seit jeher „auf Fragen im Zusammenhang mit ADHS-Ätiologie, -Prävention und -Intervention" (Gawrilow 2016: 20) fokussiert und von Fragen nach der Existenz bzw. NichtExistenz der ADHS absieht. Angesichts dessen kann die in der Öffentlichkeit kursierende Annahme, dass die ADHS lediglich eine „Modediagnose" (ebd.) und nicht in dem Ausmaß vertreten sei, relativiert und mithin der Stellenwert von Interventionsmöglichkeiten unterstrichen werden (vgl. ebd.). Hintergrund der MTA-Studie sind frühere (kürzere) Untersuchungen zur Wirksamkeit von Pharmakotherapie und Verhaltenstherapie in der Behandlung von ADHS bei Kindern. Daran knüpft die MTA-Studie an und stellt langfristige Vergleiche sowohl zwischen unterschiedlichen Therapiestrategien als auch zwischen den jeweiligen Strategien und deren Kombination an (vgl. MTA Cooperative Group 1999: 1073). Unter Berücksichtigung der Relevanz der Referenzstudie soll folgende Gliederung ausgearbeitet werden: Einführend werden wesentliche Aspekte des Störungsbildes ADHS bei Kindern durch eine Definition und Klassifikation erläutert (1.1). Zudem wird Aufschluss über die Häufigkeit der ADHS bei Kindern und Jugendlichen (1.2) sowie überdie Bedeutung von komorbiden Störungen innerhalb dieses Störungsbildes gegeben (1.3). Anschließend wird sich dem - in der Behandlung von ADHS bewährten - „multimodalen Behandlungsalgorithmus" (Matthäus/Stein 2016: 20) genähert (2.), indem dessen wesentliche Säulen - die Psychoedukation (2.1) sowie die Psychotherapie (2.2) und die Pharmakotherapie (2.3) (vgl. ebd.) - differenzierend dargelegt werden. Sodann wird anknüpfend an die Rahmung des Untersuchungsthemas, die MTA-Studie in Kapitel 3 vertieft. Hierfür werden Aspekte mit Hinblick auf das Untersuchungsdesign, die Stichprobenauswahl und -beschreibung sowie das Auswertungsverfahren umfassend behandelt (3.1). Daraufhin werden die zur Beantwortung der Fragestellung relevanten Ergebnisse ausgeführt (3.2). Abschließend sind die Ergebnisse im Diskussionsteil dieser Arbeit zu interpretieren, Konsequenzen zu beleuchten und ein Ausblick auszusprechen (4.).
1. Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung bei Kindern
ADHS ist gekennzeichnet durch die Kardinalsymptome der „Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität" (Gawrilow 2016: 21). Die Störung der Aufmerksamkeit zeigt sich überwiegend zu Hause, in der Schule und im Kontakt mit Peers. Betroffene Kinder leiden unter Konzentrationsschwierigkeiten und sind mithin im Spiel und im Unterricht stark beeinträchtigt. Dieses Kernsymptom umfasst ebenso die Vergesslichkeit, Ablenkbarkeit und das Begehen von Flüchtigkeitsfehlern (vgl. ebd.). Das zweite Symptom Hyperaktivität äußert sich oftmals im „[ü]bermäßige[n] Zappeln mit Händen und Füßen, Herumrutschen auf dem Stuhl, Herumlaufen und Klettern" (ebd.: 22). Das mit Hyperaktivität häufig zusammen auftretende Kernsymptom Impulsivität (vgl. ebd.) beschreibt, dass Betroffene dazu neigen, vorschnell und unüberlegt zu handeln (vgl. Matthäus/Stein 2016:13). Sie können die Folgen ihrer Handlungen nicht erkennen und „platzen häufig mit Antworten oder Fragen heraus [...]. Sie können nur schwer abwarten, bis sie an der Reihe sind und unterbrechen andere häufiger als Kinder ohne ADHS“ (Gawrilow 2016: 22). Neuere empirische Befunde bestätigen, dass diese ADHS-Symp- tome stark fluktuieren, weshalb die Erfassung der Symptome nicht lediglich zu einem Zeitpunkt stattfinden sollte, wie es innerhalb der ADHS-Diagnostik üblich sei, sondern an mehreren Tagen (vgl. ebd.). Die Diagnose der ADHS wird nach dem Diagnostischen und Statistischen Handbuch Psychischer Störungen (DSM)4 und/oder der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD)5 durchgeführt. Während in Deutschland Diagnosen nach der ICD durchgeführt werden, würden in den Wissenschaften oftmals Diagnosen nach dem DSM verwendet (vgl. ebd.: 23). Im Folgenden werden die wesentlichen Kriterien und Unterschiede zwischen den beiden gültigen Klassifikationssystemen mit Hinblick auf die Diagnose von ADHS genannt.
1.1 Klassifikation und Diagnostik
Die Kriterien der ADHS werden in den beiden Klassifikationssystemen weitgehend ähnlich formuliert.6 Sie divergieren allerdings insofern, als dass sie eine unterschiedliche Anzahl und Kombination dieser Kriterien für die Diagnose einer ADHS erfordern. Bei beiden müssen die Symptome mindestens sechs Monate lang vorliegen und das Ausmaß der Symptome darf mit dem Entwicklungsstand des Kindes nicht vereinbar sein. Die Hyperkinetische Störung, wie sie laut ICD-10 bezeichnet wird, muss bereits vor dem 6. Lebensjahr in mehreren unterschiedlichen Lebensbereichen vorliegen, während für eine Diagnose nach DSM-5 einige Symptome vordem 12. Lebensjahrvorliegen müssen (vgl. Matthäus/Stein 2016: 13). Bei beiden müssen die Symptome „zu einer Beeinträchtigung des psychosozialen Funktionsniveaus führen“ (ebd.). Nach der ICD-10 müssen Kriterien aller Kernsymptome (Aufmerksamkeitsstörung, Hyperaktivität und Impulsivität) erfüllt sein, damit die Diagnose einer „einfachenAktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung (F90.0)“ (Döpfner/Frölich/Lehmkuhl 2013: 2, Hervorheb. im Orig.) vorgenommen werden kann. Kommen zusätzlich Kriterien einer Störung des Sozialverhaltens hinzu, so wird die Diagnose für eine „Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens (F90.1)“
(ebd.) gestellt. Ein gestörtes Sozialverhalten zeichnet sich z.B. dadurch aus, dass das Kind zusätzlich „dissoziales, aggressives oder aufsässiges Verhalten an den Tag leg[t]" (Gawrilow 2016: 26). Sind lediglich Kriterien der Unaufmerksamkeit erfüllt, so kann eine „Aufmerksamkeitsstörung ohne Hyperaktivität [F98.8]" (ebd. 27, Hervorheb. ÖG) diagnostiziert werden. Dagegen werden im DSM-5 drei Subtypen anhand der Kernsymptome der ADHS voneinander unterschieden:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Diagnosen nach ICD-10 und DSM-5 (vgl. ebd.: 3)
Die Zusammenfassung von Hyperaktivität und Impulsivität in eine Dimension sei empirisch genauso nachweisbar wie ihre separate Auflistung; die separate Betrachtung wird von der ICD10 empfohlen (vgl. ebd.: 4). Folgendes Schaubild veranschaulicht die Unterschiede zwischen den Klassifikationssystemen bezüglich der ADHS:
Für die Diagnose von ADHS ist neben dem Aspekt, dass die Symptome über mindestens sechs Monate vorhanden sein müssen, die Kooperation des Arz- tes/der Ärztin mit den Eltern sowie der Schule bzw. dem Kindergarten erforderlich. Die Diagnosestellung wird ausschließlich auf Grundlage von sorgfältiger Exploration des kindlichen Verhaltens durch Eltern, Erzieherinnen bzw. Lehrerinnen für möglich gehalten (vgl. Döpfner 2003: 5). Hierfür können Fragebögen7 als Orientierungshilfe fungieren, sichern die Diagnose allerdings in keiner Weise ab (vgl. ebd.: 5f.). Da bisher keine neuropsychologischen Testverfahren zur Sicherung der ADHS-Diagnose existieren, stützt sich die Diagnose auf „eigen- und fremdanamnestische^..] Daten“ (Matthäus/Stein 2016: 18), die die Symptomatik und den Verlauf in allen Lebensbereichen sowie auch komorbide Störungen beinhalten. Bewährt hat sich hierfür die multiaxiale Klassifikation, d.h. eine Erfassung der Störung auf sechs verschiedenen Achsen.8 Zudem wird der „fundierte[n] differenzialdiagnostische[n] Abgrenzung zu anderen Störungen, wie zum Beispiel Lernstörungen [oder] einer Intelligenzminderung“ (Döpfner 2003: 6), eine große Bedeutung beigemessen. Nicht selten (70 % der Fälle) komme zusätzlich eine Intelligenz- und Leistungsdiagnostik zum Einsatz (vgl. ebd.). Ebenso ist die Abgrenzung der ADHS „gegenüber der entwicklungsbedingten Hyperaktivität [zu beachten]: Kleinkinder dürfen eine vermehrte motorische Aktivität zeigen als ältere Kinder“ (von Gontard 2010: 24). Unter genannten Voraussetzungen sei die ADHS ab einem Alter von zwei Jahren eine valide Diagnose nach DSM-5 (vgl. ebd.).
1.2 Prävalenz
Gawrilow (2016) veranschaulicht weltweite Prävalenzraten der ADHS anhand einer Tabelle (vgl. ebd.: 46f.). Diese indiziert fluktuierende Raten, die aufgrund von unterschiedlichen Erhebungsmethoden zustande gekommen sein könnten (vgl. Matthäus/Stein 2016: 14). Die Vergabe einer ADHS-Diagnose hänge stark davon ab, ob sie nach „offeneren DSM-Kriterien“ (Gawrilow 2016: 49) oder nach „strengeren ICD-Kriterien“ (ebd.) erfolgt. Letztere würden von europäischen Forscherinnen im Rahmen ihrer Studien herangezogen, während nordamerikanische Forscherinnen zu den offeneren Kriterien des DSM tendieren. Mithin sind Abweichungen der ADHS-Prävalenz auf diese Unterschiede zurückzuführen (vgl. ebd.).9 Der Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGGS)10 zufolge, haben 4.8 % der Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren in Deutschland eine diagnostizierte ADHS. Während im Vorschulalter die Prävalenz 1.5 % beträgt, ist im Grundschulalter eine Prävalenz von 5.3% zu konstatieren. Bei elf bis 13-Jährigen beträgt sie 7.1 % und bei den 14- bis 17-Jährigen 5.6 %. Somit ist im Übergangvom Vorschul-zum Grundschulalter ein deutlicher Zuwachs an diagnostizierten ADHS-Fällen zu verzeichnen (vgl. ebd.: 47). Die von Polanczyk et al. (2007)
[...]
1 Für eine Übersicht über die wesentlichen Therapievergleichsstudien zur Behandlung der ADHS vgl. auch Gawrilow 2016: 151f.
2 Die Autorinnen konstatieren eine rege, unübersichtliche Forschungslage bezüglich der Thematik und intendieren mit ihrer Arbeit, vorhandene Reviews und Metaanalysen auszuwerten und systematisch zusammenzufassen (vgl. Bachmann et al. 2008: 321).
3 Therapievergleichsstudien liegt die Intention zugrunde, „verschiedene Therapien, die zur Behandlung von einer Störung entwickelt wurden, miteinander zu vergleichen" (Gawrilow 2016: 151).
4 Das DSM ist ein seit 1952 von der American Psychiatric Association herausgegebenes Klassifikationssystem (vgl. Gawrilow 2016: 23).
5 Die ICD findet weltweite Anerkennung und wird von der Weltgesundheitsorganisation herausgegeben (vgl. ebd.).
6 Auf eine ausführliche Auflistung der Symptomkriterien wird aufgrund des gegebenen Rahmens dieser Arbeit verzichtet (vgl. hierzu auch Döpfner/Frölich/Lehmkuhl 2013: lf.).
7 Für eine Auswahl an standardisierten Fragebogenverfahren vgl. auch Matthäus/Stein 2016: 19.
8 Vgl. hierzu auch Remschmidt/Schmidt/Poustka 2016.
9 Angesichts dessen ist davon abzusehen, die ADHS als typisch für bestimmte Regionen zu erklären (vgl. Gawrilow 2016: 51).
10 KiGGS-Studien werden als eine vom Robert Koch-Institut durchgeführte, große Studie beschrieben, die bundesweit repräsentative Daten zur (physischen und psychischen) Gesundheit von Kindern und Jugendlichen unter
18 Jahren ermöglicht (vgl. ebd.: 46). In Zeiten der Basiserhebung, die zwischen den Jahren 2003 bis 2006 stattgefunden hat, wurde die KiGGS-Studie auch als Kinder- und Jugendgesundheitssurvey bezeichnet (vgl. Robert Koch-Institut o.J.: o.S.).