Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Einführung in die psychologische Klettertherapie
2.1 Geschichte der psychologischen Klettertherapie
2.2 Psychologische Anwendungskontexte Klettertherapie
2.3 Was macht Klettertherapie besonders?
3 Systemisches Fragen in der Klettertherapie
3.1 Reflektiertes Klettern für das Selbstwirksamkeitserleben
3.2 Gedanklicher Ausblick
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Systemische Methoden werden bereits erfolgreich in Klettertherapien angewendet. Klettertherapie ist eine methodische Ergänzung zu einer Psychotherapie. In der Klettertherapie kommen insbesondere systemische Fragetechniken zum Einsatz. In der Klettertherapie wird gebouldert oder am Seil geklettert, wobei Klienten in einem geschützten Rahmen Erfahrungen machen können. Seilklettern als Sportart kann technisch in einem Kurs gelernt und danach eigenständig geübt werden. Dabei werden Handlungsweisen wie das korrekte Sichern, Topropen oder Vorsteigen trainiert. Der menschliche Körper wird sich mit der Zeit an die physiologischen Anforderungen anpassen, indem zunächst Muskeln wachsen, sich dann Sehnen und Bänder den Belastungen anpassen und später Knochen stabiler werden.
Kognitive Schemata werden gebildet und das Gelernte so automatisiert. Weitere kognitive Verbesserungen wie Energieeinteilung, Angstmanagement („huch ist das hoch“) und Zielfokussierung („ich will da `rauf!“) können durch gezieltes mentales Training unterstützt werden. So kann es auf der psychologischen Ebene mittels beispielsweise Autosuggestionen oder Visualisierungen hilfreich sein, den größten Muskel beim Klettern – das Gehirn – zu trainieren. In der Klettertherapie geht es nicht unbedingt darum das Kletterkönnen zu verbessern. Das ist ein schöner Nebeneffekt. Es geht eher darum, die Erlebnisqualitäten des Kletterns zu verdeutlichen und in den Alltag mitzunehmen und so ein vorhandenes Störungsbild unterstützend zu einer Psychotherapie zu lindern.
Wie wird Klettertherapie nach der Lern- und Einübungsphase als therapeutisches Medium genutzt und wie werden dabei systemische Fragen verwendet? Klettern für sich genommen hat auf mehreren erlebnispädagogischen Ebenen wie Erleben von Selbstwirksamkeit, Erfahren von Verantwortung und Erleben von Getragenwerden vielfältige Erlebenswerte anzubieten. Psychologisch therapeutisches Klettern geht weiter. In diesem Setting wird versucht, Menschen mit Auffälligkeiten oder psychiatrischen Erkrankungen in einem besonders geschützten Rahmen zu ermöglichen, Erlebniswerte wie bspw. Selbstvertrauen und Selbstwirksamkeit zu erleben. Ohne den geschützten Rahmen des psychologisch therapeutischen Kletterns unter Anleitung eines Klettertherapeuten würden sich Klienten möglicherweise nicht der Klettererfahrung und ihren Effekten aussetzen.
2 Einführung in die psychologische Klettertherapie
Sport und Bewegung helfen bei seelischen Erkrankungen (Markser und Bär, 2015). Klettern als konkrete sportliche Betätigung in der Therapie ist effizient. Probanden fühlten sich nach dem Klettern im Vergleich zu vorher wacher, sicherer, wohler in der Gruppe, vertrauten sich selber mehr und konnten anderen in der Gruppe mehr vertrauen (Lukowski et al., 2013). Man kann also sagen, dass die Psyche durch die Förderung von Selbstvertrauen, Selbstwirksamkeitserfahrungen, sozialen Kompetenzen und Verantwortungsbewusstsein gestärkt wird (Kowald und Zajetz, 2014). Ein Klettertherapeut ausgebildet in Sicherungs- und Klettertechnik und kann so sicherstellen, dass die grundsätzliche Sicherheit beim Klettern gewährleistet ist. Von Berufs wegen ist ein Klettertherapeut psychologisch therapeutisch tätig. Durch eine Zusatzausbildung in psychologisch therapeutischem Klettern stellt ein Klettertherapeut sicher, den bei Auffälligkeiten oder psychiatrischen Erkrankungen förderlichen Rahmen für Klienten in der Klettertherapie herzustellen (Lukowski, 2017b). Systemisches Fragen als weitere Intervention wird in Klettertherapie-Fortbildungen gelehrt (ITK, 2021). Klettertherapie erfährt aus psychologischen und psychiatrischen Kreisen immer mehr Aufmerksamkeit, wie die zunehmende Zahl an Studien zeigt.
2.1 Geschichte der psychologischen Klettertherapie
Adventure Therapy (AT) als ein therapeutisches Konzept, das sich durch Grenzerfahrungen in der Natur auszeichnet, gab es in gedanklichen Auslegungen bereits 1964 (Bennis, 1964; Gilsdorf, 2004). Klettern wurde früher nur in kleinen Kreisen betrieben. Es war eine Sportart, die ausschließlich in der Natur durchgeführt wurde. Nur wenige Menschen interessierten sich dafür und wer es tat, musste sich durch viel eigenes Ausprobieren seine Sporen hart verdienen (Brunnert, 2016). In späteren Jahren wurde Klettern der Allgemeinheit immer mehr zugänglich gemacht. Kletterhalten wurden gebaut. Damit wurde Klettern wetterunabhängig vor Ort für die Allgemeinbevölkerung möglich. Gegenwärtig gibt es in Deutschland 220 Kletteranlagen mit insgesamt 200.000 m2Kletterflächen inklusive Boulderflächen (Deutscher Alpenverein, 2021). Dadurch wurde Klettern als unterstützende Methode in der Therapie immer attraktiver.
2.2 Psychologische Anwendungskontexte Klettertherapie
Mittlerweile wird Klettern in der Therapie eingebunden bei vielen psychiatrischen Erkrankungen (Lukowski, 2017a). Aufgabe des Therapeuten ist es unter anderem, einen für den Klienten passenden Rahmen zu gestalten (Lukowski, 2017b). Ein Klettertherapeut ist psychologisch-therapeutisch vorgebildet, hat eine Ausbildung als Klettertrainer und eine Fortbildung als Klettertherapeut absolviert.
2.3 Was macht Klettertherapie besonders?
Das Bewegungsmuster beim Klettern ist seit Anbeginn des aufrechten Ganges beim Menschen abgespeichert (Kowald und Zajetz, 2014). Früher mussten sich Menschen recken und auf Bäume klettern, um an leckere Beeren oder Früchte zu gelangen. Beim Klettern werden diese archaische Bewegungsmuster berührt. Den meisten Menschen fällt es daher relativ leicht, erste Kletterversuche zu unternehmen. Es bringt ihnen meistens sogar sehr viel Spaß. Leichtigkeit und Freude an Kletterbewegungen schaffen einen guten Rahmen, um sich auszuprobieren, darüber angeleitet zu reflektieren und die Erkenntnisse mit in den Alltag zu nehmen. Klettertherapie bietet nochmal einen besonders geschützten Rahmen für Menschen mit psychiatrischen Störungen, in dem der Klettertherapeut darauf achtet, die Klienten nicht zu überfordern bzw. nur in eine förderliche Richtung zu fordern (Lukowski, 2017b). Beispielsweise wird eine Klientin mit einer Angststörung eher darin bestärkt werden, achtsam in die Klettersituation hineinzugehen und ihre Grenzen sorgsam zu erweitern in der Zeit, die sie dafür braucht. Der Klettertherapeut wird zusammen mit dem Klienten die Klettererfahrung reflektieren. So kann die Erfahrung bewusst verarbeitet werden und ihre positiven Effekte und negativen Erlebnisse besser in den Alltag eingeordnet werden.
3 Systemisches Fragen in der Klettertherapie
Systemische Fragetechniken finden im psychologisch therapeutischen Klettern Anwendung (ITK, 2021). Ein gut in systemischem Fragen ausgebildeter Klettertherapeut wird seine Fragen wertschätzend und wertungsfrei, offen und zum Nachdenken anregend, gezielt in Richtung Zukunft und Lösung, Unterschiede schaffend, Ausnahmen findend, nach Ressourcen suchend, Kompetenzen und Fähigkeiten stärkend, das Bewusstsein aktivierend, hypothetisch annehmend und nicht wissend, Erleben und Denken konstruierend, Sinn und Lösungserleben schaffend, Selbstwirksamkeit und Handlungsfähigkeit unterstellend, Schweigen erzeugend und Muster unterbrechend und nach Möglichkeiten in der Zukunft suchend stellen (Hänseroth, 2021). Beispiele für systemische Fragetechniken (Schlippe und Schweitzer, 2013) adaptiert auf eine Klettertherapie sind: Was denkst du würde dein Sohn sagen, wenn du angstfrei die Wand hochklettern würdest (Zirkuläres Fragen)?; auf einer Skala von 1 bis 10 wobei 1 nicht die Füße vom Boden bekommen und 10 bis oben hochklettern bedeutet, wo würdest du sagen stehst du heute (Unterschiede verdeutlichen, Skalierungsfrage)?; wann beim Klettern ist deine Angst nicht aufgetreten (Möglichkeitskonstruktion)?; wie könntest du klettern, damit es dir mit deiner Angst besser geht (Lösungsszenario, lösungsorientierte Frage/ Verbesserungsszenario)?; wenn das Problem (Angst) über Nacht nicht mehr da wäre, woran würdest du das beim nächsten Klettern als erstes merken (Wunderfrage)?; wo gab es das schon mal, dass du dich mit deiner Angst erfolgreich auseinandergesetzt hast (Ressourcenfrage)?; wie müsste das heutige Klettern laufen, damit es deine Angst richtig anheizen würde (Verschlimmerungsfrage)?; ist dir deine Angst beim Klettern eher von Nutzen oder im Weg (Problem behalten)?; angenommen du hättest keine Angst mehr, wie würde sich das auf das Klettern auswirken (als ob-Frage)?
3.1 Reflektiertes Klettern für das Selbstwirksamkeitserleben
Mithilfe des Klettertherapeuten und systemischem Fragen wird das Selbstwirksamkeitserleben des Klienten gestärkt. Durch die Fragetechniken des Klettertherapeuten wird der Klient ermutigt, Fremdsichten zuzulassen (zirkuläres Fragen), Unterschiede deutlicher wahrzunehmen (Skalierungsfragen), out of the box zu denken also in noch nicht erwägten Möglichkeiten (Möglichkeitskonstruktionen, als-ob Fragen), nach Verbesserungen zu suchen (Verbesserungsszenarien), ein gedankliches Wunder zuzulassen (Wunderfrage), Ressourcen und Copingstrategien bewusst zu machen (Ressourcenfragen), das Jetzt zu relativieren durch eine Konstruktion des schlimmsten Falls (Verschlimmerungsfragen) und sich des (Un-) nutzen des Problems klar zu werden (Problem behalten). Mittels der angeleiteten Erfahrung in der Klettertherapie erlebt sich ein Klient unmittelbar im Handeln. Aufgedeckt, begleitet und bestärkt durch den Klettertherapeuten ist es für den Klienten leichter, Erkenntnisse zu erlangen, anzunehmen und im Alltag weiter auszuprobieren, wenn beim Klettern bereits erste positive Erfahrungen gemacht worden sind.
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