Am Ende der Welt


Classic, 2008

18 Pages

Elisabeth von Heyking (Author)


Excerpt


Am Ende der Welt

Durch die trägen blauen Fluten gleitet seit Tagen schon südwärts das Schiff. In dem traumhaften Flimmern und Verschwimmen von Himmel und Wasser ist alles nur Wiegen und Wallen, Ineinanderströmen und Sichlösen. Sonnenlicht, das, mit blendenden Strahlen Wogen durchleuchtend, in des Ozeans Abgrund erlischt, - Wassertropfen, die, von Sehnsucht getrieben, aufwärts sich heben und als bläulicher Dunst in den heißen Lüften zerfließen. Meereseinsamkeiten voll schimmernder Farbenflecken, die spielend wechseln, ehe das Gedächtnis ihren Namen noch fand, - Himmelsunendlichkeiten, die die Blicke in sich aufsaugen, wo das Bewußtsein sich verliert im Ahnen vergangener und werdender Welten.

Und inmitten dieser opalisierenden Ungreifbarkeiten, dieser umrißlosen Gegenwarten verflattern auch die Erinnerungen, entweichen die Begriffe, vergeht alles Festgewähnte. Altgewohnte Vorstellungen versinken, werden verdrängt durch ein Schwanken zwischen wimmelnden Möglichkeiten. Und plötzlich taucht der Gedanke auf, daß alles je Gedachte auch umdenkbar sein müßte.

Andere Augen und alles würde anders erscheinen, denn nicht zwei Wesen sehen das gleiche Bild. Verschiedene Welten schafft sich ja ein jedes einzelne Leben in seinem kurzen Laufe, wechselnde Glauben hegte es hoffend, nur um ihnen enteilend zu sagen: »Ihr wart nicht die wahren, denn ich selbst erdachte euch ja.« Sollten sie mehr gelten, weil einst viele sich zu ihnen bekannten?

Weiter, weiter! Denn nichts ist. Nur selbst ersonnene Bilder umgeben uns, und nichts, was vergänglichem Gehirne entstammt, darf dauernden Einfluß heischen. Unrecht heißt heute, was morgen zu erkämpftem Rechte wird. Und ist eines so trügerisch wie das andere. Denn was wäre nicht Irrtum? Recht und Unrecht, Lohn und Strafe? Vergängliche Formen, in die wir zerschmelzenden Schaum zu bannen trachten; Worte, die etwas länger bestehen als die undeutlichen Begriffe, denen sie Namen waren; Worte, die kommende Sprachen vielleicht nicht enthalten werden, und deren vergessenen Sinn künftige Grübler dann mühsam enträtseln werden. Wandelbar ist alles, weil wir selbst dem Wandel entstammen, und die Träne, die wir heute weinen, vielleicht einst aus regenschwerer Wolke auf dürstende Erde herniedersank.

Ja, bei solch traumähnlichen Fahrten auf südlichen Meeren, da gibt es sonderbare Stunden, wo die Dinge, in übermäßigem Lichte sich lösend, vor uns zu entweichen scheinen, und wir nicht genau mehr wissen: wird unser Schiff noch wie von altersher von Wasser getragen, oder sind wir es selbst, die, aller gewohnten Fesseln und Zusammenhänge bar, in neuen Möglichkeiten frei durch den Raum fluten? - Stunden, wo sich dann solch fragendes Zweifeln an allem Bestehenden wie ein Mittagsgespenst hervorwagt!

Doch schwindelnd suchen die Augen gar bald wieder einen Halt in der flimmernden Leere, schwindelnd auch tastet der Geist aus der Welt der Unwirklichkeit sich zurück nach irgendeiner der wohlvertrauten Stützen, der altehrwürdigen Unumstößlichkeiten, die Sicherheit gewähren.

Und neben all diesen umrißlosen Gegenwarten, diesem Sein, das ein Zergehen ist, bleibt ja doch immer ein Ruhepunkt: dort, die scharf gezeichnete Küste des langgezogenen Kontinents, dessen Lauf das Schiff schon seit Tagen folgt, sie gewährt ihn. Denn das ist Wirklichkeit, das ist Festland. Und wie auch die gedehnten Wogen der Dünung, in nimmer rastendem Anschwellen und Zurückebben, auf und nieder schwanken, wie es auch flimmern und zittern mag, dort wo Himmel und Erde in trügerischer Ferne sich vereinen, dies feste Land steht während der ganzen Fahrt da, als müsse seine unerschütterliche Tatsächlichkeit Ziel und Richtung weisen. Unbeweglich der schmale Streifen öden gelben Sandes mit der kahlen, steinigen Küstenkordillere dahinter, unbeweglich auch die schneeigen Gipfel der fernen, höchsten Gebirgskette, die, wie ungeheure Last, auf den starr ragenden Felsen lagern. An jedem Frühmorgen seit Äonen haben sie so dagestanden, die eisigen Riesen, in fahler Bläue, kalt und unabänderlich wie mathematische Formeln - und immer noch liegt ihre nie wechselnde Gegenwart hinter dem verwirrenden Zauber des zitternden Mittagslichtes, wie hinter dem beklemmenden Dunkel der Nächte, die der Schimmer des südlichen Kreuzes nur schwach erhellt. Der Gesetzmäßigkeit gleicht die starre Berglinie und leitet sicher jene, die ihr folgen.

Auf dem Schiffe, das dem Festland entlang durch die Fluten gleitet, fahren viele Leute. Alltäglich ausschauende, gelangweilt dreinblickende Menschen sind es zumeist, die, Karten spielend oder Zigaretten rauchend, in der Hitze auf dem Verdeck herumlu]ngern und die Tage vergähnen. Menschen, die die Dinge sehen und hören, ohne je zu trachten, ihren geheimen Sinn zu deuten.

Doch eine ist auf dem Schiff, die das wechselnde Wellenspiel in seiner Symbolik ewig unfaßbaren Schwankens und Wandelns ebenso versteht wie die Stimme des Gebirges, die mit eherner Sprache unerbittliche Gesetze zu künden scheint. Eine, die auffällt, inmitten all der übrigen gleichgültig wirkenden Passagiere mit den nichtssagenden Gesichtern, die, kaum gesehen, auch schon wieder vergessen sind. Nicht daß diese Eine besonders schön wäre. Vielleicht sogar eher das Gegenteil. Aber es hält überhaupt schwer, zu erraten, wie sie einst gewesen sein mag. Jetzt ist sie wie erloschen und verwischt. Als sei aus des Schicksals schlimmster Wetterecke ein Sturm über sie dahingefegt und habe sie entblättert zurückgelassen. Und seltsam still ist sie, spricht mit niemand und scheint doch allen Angestellten des Schiffes wohl bekannt. Abseits sitzt sie zumeist, regungslos, mit halb gesenkten Lidern, als solle niemand in ihre Augen blicken, Augen, in denen unabänderliche Trostlosigkeit wohnt, Nie beteiligt sich die Eine an den stumpfen, gähnend geführten Gesprächen der anderen Passagiere, noch belästigt sie wie diese den alten Kapitän mit den stets wiederkehrenden Fragen über Dauer der Fahrt, über Land und Leute da drüben. Vielleicht kennt sie die Antworten zur Genüge.

Der Kapitän aber läßt sich nie lang bitten und wiederholt für die Neulinge unter seinen Fahrgästen wohl zum hundertstenmal das bißchen, was sich über diese öde Küste sagen läßt. Eine Küste ist es ja, die zwar dem ausgesogenen ermüdeten Boden der alten europäischen Welt alljährlich viele tausend Tonnen künstlicher Nahrung liefert, auf daß er von neuem Pflanzen erzeugen könne, die selbst aber keinen Halm, kein Blättchen trägt. Leer, wie leblos liegt sie da. Nur stellenweise erheben sich Lehmhüttenverbände aus der einförmigen gelben Sandmasse. Der Kapitän deutet auf sie und nennt die Namen dieser armseligen Siedelungen, die hier Städte heißen. Und an einem ganz besonders trostlos blickenden Orte weist er auf ein Haus, das eine leuchtend grün gestrichene Haustür besitzt - das einzige Grün weit und breit. Dazu erzählt er: Ein armesMaultier, das einst hier vorbeigekommen, nachdem es seit Jahrenkein frisches Grasfutter mehr erhalten, habe sich in irrtümlicherWiedersehensfreude auf diese grüne Tür gestürzt und versucht, dieFarbe abzufressen.

[...]

Excerpt out of 18 pages

Details

Title
Am Ende der Welt
Author
Year
2008
Pages
18
Catalog Number
V119658
ISBN (eBook)
9783640226627
ISBN (Book)
9783640227846
File size
627 KB
Language
German
Keywords
Ende, Welt
Quote paper
Elisabeth von Heyking (Author), 2008, Am Ende der Welt, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/119658

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Title: Am Ende der Welt



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