Der Zusammenhang zwischen Langeweile und Aggression

Eine empirische Untersuchung zum Zusammenhang von Langeweile und Aggression - Durchgeführt an einer ausgewählten Schulklasse


Examensarbeit, 2008

101 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Theoretische Vorüberlegungen
2.1 Überblick über die Erkenntnisse der Verhaltensbiologie
2.1.1 Konrad Lorenz und seine Theorie der Triebe
2.1.2 Verwöhnung und Aggression
2.2 Die Triebtheorie bei Tier und Mensch
2.2.1 Triebsystem und Reflexion als Quelle menschlichen Verhaltens
2.2.2 Triebstärke und Reizstärke
2.2.2.1 Das Prinzip der doppelten Quantifizierung bei Tieren
2.2.2.2 Das Prinzip der doppelten Quantifizierung beim Menschen
2.2.3 Spontaneität der Triebe: das Appetenzverhalten
2.2.3.1 Das Appetenzverhalten bei Tieren
2.2.3.2 Das Appetenzverhalten beim Menschen
2.3 Triebtheorie der Aggression
2.3.1 Triebtheorie der Aggression bei Tieren
2.3.2 Triebtheorie der Aggression beim Menschen
2.4 Andere Aggressionstheorien
2.4.1 Frustrations-Aggressions-Theorie
2.4.2 Lerntheorie der Aggression
2.5 Verwöhnung als Ursache von Aggressionen
2.5.1 Definition Verwöhnung
2.5.2 Folgen der Verwöhnung
2.5.2.1 Steigende Ansprüche und aggressive Langeweile
2.5.2.2 Überhöhtes Aktionspotential
2.5.2.3 Überhöhtes Aggressionspotential
2.5.3 Der Neugiertrieb und Verwöhnung
2.5.3.1 Verhaltensbiologischer Sinn der Neugier
2.5.3.2 Neugier als Trieb
2.5.3.3 Unbefriedigte Aktionspotentiale
2.5.4 Massenmedien als Endstadium der Verwöhnung
2.5.4.1 Fernsehen
2.5.4.2 Computer
2.6 Ausblick auf die Untersuchung zum Zusammenhang zwischen Langeweile und Aggression

3 Empirische Untersuchung zum Zusammenhang zwischen Langeweile und Aggression
3.1 Aufbau der Studie
3.1.1 Zielsetzung
3.1.2 Hypothesengenerierung
3.2 Methodik
3.2.1 Wahl der Datenerhebungsmethode
3.2.1.1 Befragung als dominantes Datenerhebungsverfahren
3.2.1.2 Die Vorund Nachteile einer Fragebogenerhebung
3.2.2. Konstruktion des Fragebogens
3.2.2.1 Formulierung der Items
3.2.2.2 Itemformate
3.2.2.3 Antwortkategorien
3.2.2.4 Aufbau des Fragebogens
3.2.3 Gütekriterien
3.2.4 Pretest
3.2.5 Durchführung der Untersuchung
3.2.6 Datenanalyse und -auswertung
3.3 Ergebnisse
3.3.1 Hypothese
3.3.1.1 Einteilung in hypothesenspezifische Gruppen
3.3.1.2 Untersuchung der Hypothese
3.3.2 Hypothese
3.3.2.1 Einteilung in hypothesenspezifische Gruppen
3.3.2.2 Untersuchung der Hypothese
3.3.3 Hypothese
3.3.3.1 Einteilung in hypothesenspezifische Gruppen
3.3.3.2 Untersuchung der Hypothese
3.3.4 Hypothese
3.3.4.1 Einteilung in hypothesenspezifische Gruppen
3.3.4.2 Untersuchung der Hypothese

4 Diskussion und Ausblick
4.1 Diskussion der Ergebnisse
4.2 Ausblick

5 Abbildungsverzeichnis

6 Literaturverzeichnis

7 Anhang
7.1 Fragebogen
7.2 Ergebnisse der Fragebogenuntersuchung

1 Einleitung

„Übergriff noch brutaler als in München“ (Przybilla, 2008, S. 37). Am 2. September diesen Jahres konnte diese Schlagzeile in der Süddeutschen Zeitung gelesen werden, und die Vorkommnisse, die in diesem Artikel beschrieben werden, sind erschütternd. Ein 15-jähriger Schüler hatte zwei Tage zuvor in der Nacht einen Mann in einem Fürther U-Bahnhof brutal zusammengeschlagen. Der 34-Jährige wollte dem Jugendlichen, der nach vorne übergebeugt auf einer Bank saß, nur helfen. Doch dieser ging ohne Vorwarnung auf sein Opfer los, stieß es gegen den Fahrkartenautomaten und trat mehrmals ins Gesicht des am Boden liegenden Opfers. Resultat dieser Attacke waren diverse Brüche an Nase, Jochbein und Kiefer sowie Hämatome und Schürfwunden im Gesicht. Dieser Vorfall weckt nicht nur aufgrund des Vergleichs in der Schlagzeile Erinnerungen an den Dezember des vergangenen Jahres, als zwei ausländische Jugendliche einen Rentner in der Münchner U-Bahn krankenhausreif prügelten. Die beiden Jugendlichen fingen an, auf ihr Opfer loszugehen, nachdem dieser sie gebeten hatte, ihre Zigarette auszumachen (Thurau, 2008). Kurze Zeit spä- ter ereignete sich ein erneuter Fall körperlicher Gewalt in der Münchner U-Bahn, als drei Jugendliche drei Passanten verprügelten, die sie baten, ihre Musik leiser zu stellen.

In Augsburg erschütterte der Angriff eines 26-Jährigen auf zwei Türsteher im Mai vergangenen Jahres die Bevölkerung. Der Angreifer ging mit einem Messer auf seine beiden Opfer los und verletzte diese schwer, da sie ihm keinen Einlass in eine Diskothek an der Maximilianstraße gewähren wollten. Nicht nur durch diesen Zwischenfall ist die Maximilianstraße in Augsburg in den Blickpunkt der Öffentlichkeit geraten. In den letzten vier Jahren stieg die Zahl der Gewalttaten in der Maximilianstraße um 25 Prozent (Prestle, 2008).

Doch dies ist nicht nur ein Problem der Stadt Augsburg. Beinahe täglich liest man Berichte über Gewalttaten von Jugendlichen1 in ganz Deutschland. Die weit verbreitete Jugendkriminalität kann also als schwerwiegendes Problem angesehen werden.

Doch was ist die Ursache dieses erhöhten Aggressionspotentials? Die Ursachenforschung zur Entstehung von Aggressionen und zur erhöhten Gewaltbereitschaft wird schon seit längerer Zeit betrieben und die Ergebnisse sind sehr unterschiedlich. Eines ist den meisten dieser Studien jedoch gemein, sie alle ziehen die verhaltensbiologischen Ansätze bei ihren Ursachenforschungen nicht in Betracht. Allerdings kann eben genau dieser Ansatz der Verhaltensbiologie dazu beitragen, eine Erklärung für ein erhöhtes Aggressionspotential zu liefern.

In der vorliegenden Arbeit sollen diese Ansätze der Verhaltensbiologie näher durchleuchtet werden. Zuerst wird dem Leser die Triebtheorie von Lorenz aufgezeigt. Anhand dieser Theorie wird erklärt, wie es zu dem vermehrten Aufkommen von Aggressionen kommen kann. Die theoretischen Erkenntnisse sollen abschließend in einer empirischen Studie über den Zusammenhang zwischen Langeweile und Aggression überprüft werden. Diese Studie und die daraus abgeleiteten Ergebnisse werden im dritten Teil der vorliegenden Arbeit erläutert und dargestellt.

2 Theoretische Vorüberlegungen

In diesem Abschnitt der Arbeit liegt der Schwerpunkt auf der Theorie der Triebe von Konrad Lorenz und der darauf gestützten Aggressionstheorie. Daneben soll anhand dieser Triebtheorie und den Erkenntnissen der Verhaltensbiologie versucht werden, eine plausible Erklärung für die Entstehung von Aggressionen zu geben. Dem Leser werden die Quellen von Aggression und Aggressivität aufgezeigt und deutlich gemacht, welche Konsequenzen diese für den Menschen haben. Im Laufe der Vorüberlegungen wird gezeigt werden, dass sich ein Zusammenhang zwischen Langeweile und der Entstehung von Aggressionen anhand der Erkenntnisse der Verhaltensbiologie demonstrieren lässt.

2.1 Überblick über die Erkenntnisse der Verhaltensbiologie

2.1.1 Konrad Lorenz und seine Theorie der Triebe

Der Ethologe Konrad Lorenz prägte und entwickelte eine Trieblehre, die im Jahre 1963 veröffentlicht wurde und danach rasch Verbreitung fand. Hier wird nun ein kurzer Überblick über die Triebtheorie von Lorenz und der durch die Triebtheorie gestützten Ursachenforschung von Aggression gegeben, der im Laufe der Arbeit noch vertieft ausgeführt wird.

Lorenz war der Annahme, dass das stammesgeschichtliche Programm des Menschen nicht nur in seiner Anatomie, also seinem Körperbau und seinen Sinnesorganen besteht, sondern in seinen Trieben und Instinkten. Diese dem Menschen angeborenen Triebe sind nicht nur einfach im Menschen verankert. Sie sind überdies hinaus auch noch spontan, d.h. dass das Potential der Triebe unabhängig von den äußeren Einflüssen der Umwelt zunimmt. Dies leuchtet ein, wenn man bedenkt, dass wir zum Beispiel auch ohne jede Einwirkung von außen hungrig werden. Werden die Triebe nun allerdings stärker, kommt es zum so genannten Appetenzverhalten. Der Begriff stammt von Wallace Craig, der damit beschrieb, dass lang angestaute Triebe Tiere und Menschen „als Ganzes in Unruhe […] versetzen und […] nach den sie auslösenden Reizen suchen […] machen.“ (Lorenz, 1998, S. 58) Mit anderen Worten: ein angeborenes Streben, eine Situation herbeizuführen, in der sich ein gestauter Instinkt entladen kann. Dies kann im Extremfall, wenn auslösende Reize für eine längere Zeit ausbleiben, zu einer Schwellenerniedrigung für Auslösereize führen, bis hin zu Leerlaufhandlungen. Diese „fänden auch in Abwesenheit adäquater Reizsituationen statt.“ (Biedermann, 2001, S. 19) Im Falle des Aggressionstriebs würde dies bedeuten: „Die Aggressionen laufen ohne erkennbaren äußeren Reiz ab.“ (Selg, 1974, S. 26)

Zwei Gründe sprechen für die Behauptung von Lorenz, dass auch die Aggression ein spontaner Trieb ist. Erstens widersprechen die anderen Theorien zur Entstehung von Aggression, die Frustrations-Aggressions-Theorie und die Lerntheorie der Aggression, der Theorie der Triebe nicht, sondern lassen sich anhand der Triebtheorie erklären. So stellt sich Frustration als ein auslösender Reiz dar. Ebenso löst ein aggressives Modell keinen Lernprozess aus, sondern stellt nur einen hohen auslösenden Reiz dar. Zweitens untermauern die von Lorenz angegebenen Gründe des Triebcharakters der Aggression, nämlich Reviercharakter, Rivalenkämpfe und Rangordnungskämpfe, dessen Wahrscheinlichkeit (Cube, 1989). Die Spontaneität der Aggression bezieht sich auch auf diese Gründe. In der natürlichen Umwelt kann es jederzeit zu Revierverteidigungen, Rivalenkämpfen und Rangordnungskämpfen mit Kontrahenten kommen. Ein überhöhtes Triebpotential ist in diesem Sinne zweckmäßig, da ein Überleben so eher gewährleistet werden kann als wenn das vorhandene Triebpotential nicht ausreicht. Cube (1989) spricht in diesem Zusammenhang vom verhaltens-ökologischen Gleichgewicht.

2.1.2 Verwöhnung und Aggression

Cube (1989) sieht in der Verwöhnung ein zentrales Problem im Zusammenhang mit erhöhter Aggression. Er definiert Verwöhnung wie folgt: „Unter Verwöhnung verstehen wir rasche und leichte Triebbefriedigung (mit dem damit verbundenen Lusterlebnis) ohne Anstrengung." (Cube, 1989, S. 11) Der Mensch muss also nicht mehr auf anstrengende Nahrungssuche und Jagd gehen, um seinen Nahrungstrieb zu befriedigen, und er muss sich nicht mehr unter Anstrengung und Gefahr aufmachen, die Welt zu erforschen, um seinen Neugiertrieb zu befriedigen. Die schnelle und leichte Befriedigung der menschlichen Triebe zieht allerdings nach dem Gesetz der doppelten Quantifizierung eine immer höhere Reizintensität nach sich. Dieses Gesetz besagt, dass ein Lusterlebnis ausgelöst durch eine Triebhandlung nur dann zustande kommt, wenn entweder die Triebstärke oder die Reizintensität ausreichend hoch ist. Ist die Triebstärke gering, bedarf es dementsprechend einem hohen Reiz. Da sich der Mensch auf Dauer an Reize gewöhnt, werden aufgrund dessen immer stärkere Reize für ein Lustempfinden benötigt. Das Verlangen, sich durch immer höhere Reize zu verwöhnen und dabei jeglicher Anstrengung aus dem Weg zu gehen, ist laut Cube (1989) ein Charakteristikum des Menschen im Allgemeinen. Zusätzlich zu höheren Ansprüchen bringt die Verwöhnung auch eine Steigerung des Aggressionspotentials mit sich, da das menschliche Aktionsund Aggressionspotential immer wieder spontan aufgebaut wird und keinerlei Anforderungen mehr bestehen, durch die diese Potentiale abgebaut werden können. „Der verwöhnte

Mensch […] ist aggressiv. Es kommt zu einer »Schwellenerniedrigung« aggressionsauslösender Reize oder gar zum Appetenzverhalten.“ (Cube, 1989, S. 12) Verwöhnung kann auf verschiedene Art und Weise erfolgen, entweder durch Technik, die jegliche Anstrengung übernimmt, oder durch die Sinne, die uns mit einer schnellen und einfachen Triebbefriedigung verwöhnen. Der dadurch entstehende Mangel an Anstrengung oder auch Abenteuer und Spannung führt zu einem Aktivitätsund Aggressionsstau, der wiederum nach auslösenden Reizen sucht. Die Folgen dieser Verwöhnung oder auch von erzwungenem Nichtstun sind gerade bei Jugendlichen deutlich sichtbar. Diese so genannte „aggressive Langeweile kann durch Schwellenerniedrigung zu Gewalt führen […], durch dogmatische Überzeugungen abgebaut werden […], sie kann sich gegen die eigene Person richten […] oder für andere Zielsetzungen genutzt werden.“ (Cube, 1989, S. 12-13) Ein beachtenswerter Teil des aggressiven Verhaltens Jugendlicher kann also auf Verwöhnung zurückgeführt werden, wie später noch gezeigt wird. Um dieses Problem zu lösen, muss der Mensch seine Ansprüche reduzieren und seine angehäuften Aktionsund Aggressionspotentiale abbauen. Allerdings scheint dies nicht so einfach zu sein, da sich der Mensch offensichtlich nur anstrengt, wenn es die Triebbefriedigung verlangt. Wird ihm das Essen serviert, der Sieg ohne Kampfhandlung geschenkt oder sexuelle Aktivität leicht gemacht, hat er keine Motivation und keinen Drang mehr, das vorhandene Aktionsund Aggressionspotential einzusetzen und abzubauen. Selbst wenn er einsieht, dass verhaltensökologisch gesehen Anstrengung von Nöten ist, wird niemand freiwillig auf Lustbefriedigung verzichten wollen. Bestimmt ist jedoch genau diese Einsicht in die Notwendigkeit, dass der Mensch sich selbst fordern muss, wichtig, um der Verwöhnung aus dem Weg zu gehen.

Nach diesem kurzen Einblick in die Thematik der Triebtheorie und die Problematik der aggressiven Langeweile wird im nächsten Abschnitt vertieft auf die Triebtheorie von Lorenz eingegangen.

2.2 Die Triebtheorie bei Tier und Mensch

Will man sich an der Triebtheorie orientieren, muss als Grundlage angenommen werden, dass der Mensch als Säugetier zur Ordnung der Primaten gehört und damit sehr eng mit Schimpanse, Orang-Utan oder Gorilla verwandt ist.

Trotzdem unterscheiden wir Menschen uns wesentlich von unseren Verwandten, den Primaten, und allen anderen Tierarten durch „die Fähigkeit, auf uns selbst zu reflektieren, auf unsere eigene Existenz, unsere Gefühle, Wünsche, Verhaltensweisen.“ (Cube, 1989, S. 23) Der Mensch besteht also aus Körper und Geist oder auch Leib und Seele, und dieser Gegensatz zwischen Triebsystem und Reflexion hat die Konsequenz der Eigenverantwortung des Menschen und somit das Ende seiner Evolution zur Folge (Cube, 1989). Im Folgenden wird diese Konsequenz näher erläutert und die Triebtheorie bei Tier und Mensch genauer beschrieben.

2.2.1 Triebsystem und Reflexion als Quelle menschlichen Verhaltens

Ein direkter Analogieschluss vom tierischen auf das menschliche Verhalten wäre mehr als unsinnig. Ein Tier bringt seine Aggression stets zum Ausdruck, durch Drohen, Zähnefletschen, Aufplustern, Stoßen etc.. Dies kann beim Menschen auch der Fall sein, wenn Aggression zum Beispiel spontan zum Ausdruck kommt. Man spricht dabei auch von im Affekt handeln. Allerdings hat der Mensch auch die Möglichkeit sein Verhalten zu reflektieren und sich zu beherrschen, bevor seine Aggression zum Ausdruck kommt. Dies zeigt sich beispielsweise am Verhalten von Untergebenen, die vielleicht innerlich vor Wut kochen, sich trotzdem aber nichts anmerken lassen. „Der Unterschied zum tierischen Verhalten liegt also nicht darin, daß der Mensch nicht ebenfalls aggressiv sein kann; der Unterschied liegt darin, daß er seine Aggressivität nicht unbedingt zeigt, allgemein: daß er sein Verhalten mit dem Großhirn steuern, daß er bewußt handeln kann.“ (Cube, 1989, S. 24) Deutlich wird dies auch, wenn man Kinder beobachtet, deren Triebverhalten noch unreflektiert hervortritt oder durch das Verhalten Betrunkener, die die Kontrolle des Großhirns verloren haben. Ferner zeigt sich die Tatsache, dass menschliches Verhalten durch ein spontanes Triebsystem einerseits und durch reflexive Steuerung andererseits zustande kommt, in der Umgangssprache. Ausdrücke wie sich beherrschen oder sich zügeln beschreiben sowohl die Reflexion als auch die Gegebenheit, dass „die treibende Kraft von einer reflektierenden Instanz gesteuert wird – oder zumindest gesteuert werden kann.“ (Cube, 1989, S. 25) Allerdings ist die Beherrschung nicht die einzige reflexive Möglichkeit, der Mensch hat auch die Möglichkeit der Aufschauklung der Reize zum Zwecke der vermehrten Lustempfindung. Dies kann beim Nahrungstrieb beispielsweise durch bewusstes Aufsuchen hoher Reize in Form eines erstklassigen Nachtisches geschehen.

„Das Verhalten des Menschen resultiert also aus zwei Quellen: aus dem Triebsystem in seiner Vernetzung mit den auslösenden Reizen der Umwelt und der Reflexion als Fähigkeit, die triebhaft bedingten Verhaltenstendenzen bewußt zu steuern.“ (Cube, 1989, S. 25-26) Einerseits macht diese Tatsache klar, dass nicht einfach und unreflektiert von tierischem auf menschliches Verhalten geschlossen werden darf, andererseits zeigt dies aber auch, dass in der Tierforschung gewonnene Erkenntnisse für das Verständnis der Triebkomponente des menschlichen Verhaltens von Nutzen sein können.

Als Frage bleibt bestehen, was der Mensch von Natur aus an Triebpotential mitgegeben bekommt und wie sein stammesgeschichtliches Programm aussieht. Ein Teil dieses Programms ist die äußere Form des Menschen, sein Körper, der sich von den Körpern seiner Verwandten vor allem durch das große Hirn unterscheidet. „Er hat bestimmte Sinnesorgane, mit denen er die Welt in charakteristischer Weise wahrzunehmen vermag […]; er hat bestimmte Bewegungsorgane mit (programmierten) Bewegungsinstinkten […], und er hat […] angeborene Ausdrucksformen wie Lachen, Weinen, Drohen, Schmollen.“ (Cube, 1989, S. 27) Des Weiteren gehört zu diesem Programm auch die Lernfähigkeit, durch die der Mensch sehr flexibel in seiner Anpassung wird. In diesem Programm sind auch überlebensnotwendige Verhaltensmuster enthalten. Der Mensch und das Tier sind nicht nur mit Bewegungsorganen ausgerüstet, sondern auch mit Aktionspotentialen, um die Bewegungsorgane zu gebrauchen. Am Beispiel des Hundes wird dies besonders deutlich. Die spontanen Potentiale sind durchaus noch zahlreich vorhanden, weswegen es auch notwendig ist, den Hund regelmäßig auszuführen, um diese abzubauen.

Hierbei ist zu beachten, dass die Begriffe Instinkt, Trieb und Werkzeuginstinkt unterschieden werden. Bei einem Instinkt handelt es sich um ein angeborenes Verhaltensmuster, wie zum Beispiel das Saugen. Unter Trieb versteht man „die endogen (nicht durch äußere Reize) erzeugte Bereitschaft, ein bestimmtes Verhalten, z.B. Nahrungsaufnahme oder sexuelles Verhalten, durchzuführen. Als angeborene Verhaltenspotentiale können Triebe auch als besondere Instinkte angesehen werden.“ (Cube, 1989, S. 28) Bei den Werkzeuginstinkten handelt es sich um die Instinkte, die im Dienste von Triebhandlungen stehen. Als Beispiel wären hier beim Nahrungstrieb Werkzeuginstinkte wie Laufen, Beißen oder Springen zu nennen, und beim Sexualtrieb Werkzeuginstinkte wie Balzen, Werben oder Begatten (Cube, 1989). Bedeutsam ist vor allem der Fakt, dass die Tiere und auch der Mensch nicht nur über vorprogrammierte Verhaltensmechanismen verfügen, sondern auch über eine spontane Produktion. „Der Mensch ist (wie andere »Tiere« auch) mit Trieben und Werkzeuginstinkten ausgerüstet, die nach Funktion und Spontaneität einer natürlichen Umwelt angepaßt sind.“ (Cube, 1989, S. 29) Dies zeigt, dass die Sonderstellung des Menschen nicht auf dem Instinktsystem beruht, sondern auf der Entwicklung eines Ich-Bewusstseins, das in Teilen auch bei höher entwickelten Tieren vorhanden ist, und der vorher schon erwähnten Möglichkeit zur Reflexion, die charakteristisch für den Menschen ist. Durch sie erhält der Mensch die Fähigkeit, sein Verhalten durch das Großhirn zu steuern. „Der reflektierende Mensch ist nicht einfach aggressiv, er weiß, daß er aggressiv ist; er hat nicht nur Hunger, er weiß, daß er Hunger hat, und er weiß auch, daß er immer wieder Hunger haben wird. Damit stößt der Mensch in völlig neue Verhaltensdimensionen vor.“ (Cube, 1989, S. 30) Ob diese neuen Verhaltensdimensionen jedoch immer von Nutzen für den Menschen waren beziehungsweise sind sei dahingestellt. Durch die Steuerung durch das Großhirn hat sich der Mensch die Natur untertan gemacht und dadurch sein stammesgeschichtliches Programm immer mehr aus den Augen verloren. Die Folgen wie Zivilisationskrankheiten, Verhaltensstörungen, destruktive Aggression und Umweltzerstörung sind ersichtlich. Als Möglichkeit, diese Folgen in den Griff zu bekommen, sieht Cube nur „die Wiederherstellung der Rückkopplung zu unserem evolutionär gewordenen Triebsystem“ (Cube, 1989, S. 31), da uns, weil wir nicht mehr mit der Natur eins sind, keine andere Wahl bleibt.

„Wir können unsere Ansprüche nicht ins Unermeßliche steigern, und wir können uns den Anforderungen, für die wir von Natur aus geschaffen sind, nicht auf Dauer entziehen; wir müssen die vorgesehenen Aggressionpotentiale einsetzen, sonst richten sie sich gegen uns selbst; wir müssen uns für unser Lusterlebnis anstrengen, sonst kommt es zu aggressiver Langeweile, zu positiver Rückkopplung von Anspruchshaltung und Aggression.“ (Cube, 1989, S. 32)

2.2.2 Triebstärke und Reizstärke

Wie bereits geschildert, versucht der Mensch, seine Triebe im Sinne der Verwöhnung rasch und einfach zu befriedigen und dabei ein möglichst hohes Lustgefühl zu empfinden. Dadurch steigen seine Erwartungshaltung und sein Anspruch, wodurch der Mensch zum Lustempfinden immer größere Reize benö- tigt. Steigt die Triebstärke allerdings immer weiter an, reichen auch kleinere Reize aus, um den Trieb zu befriedigen. Im Falle des Nahrungstriebes lässt sich dies verdeutlichen. Wenn ein Mensch längere Zeit nichts mehr gegessen hat und sich ein großes Hungergefühl einstellt, wird jegliche Form von Essen bei dieser Person zur Triebbefriedigung führen, anders als wenn das Hungergefühl nicht so akut ist. Nicht zu Unrecht sagt der Volksmund ja auch: „Hungerist der beste Koch.“ Dies kann aber auch in umgekehrter Richtung funktionieren. Ein sehr schmackhafter Nachtisch wird die meisten Leute, selbst wenn sie schon satt sind, doch noch zum Essen bewegen. Dies gilt natürlich nicht nur für den Nahrungstrieb, sondern gleichermaßen für alle Triebebenen. Diese Verführung durch einen Nachtisch wird nicht nur gerne angenommen, sondern vom Menschen absichtlich aktiv aufgesucht. „So greifen wir in unser Triebsystem ein und unterwerfen es unseren eigenen Absichten.“ (Cube, 1989, S. 33) Wie es überhaupt zu diesem Eingreifen und Manipulieren des Triebsystems kommen kann, nämlich durch das Prinzip der doppelten Quantifizierung, wird im Folgenden beschrieben.

2.2.2.1 Das Prinzip der doppelten Quantifizierung bei Tieren

Konrad Lorenz beschreibt in seinem Buch Das sogenannte Böse (1974) Versuche, die mit männlichen Lachtauben durchgeführt wurden. Dem Lachtaubenmännchen wurde in abgestufter Folge das Weibchen für immer längere Zeit entzogen. Untersucht wurde, welche Objekte nach einem bestimmten Zeitraum in der Lage waren, beim Tauber das Balzverhalten hervorzurufen. Anfangs ignorierte der Lachtauber noch eine ihm vorgeführte weiße Haustaube, nach ein paar Tagen war er jedoch bereit sie anzubalzen. Noch ein paar Tage später führte er seine Balzbewegungen vor einer ausgestopften Taube aus und noch später reichte sogar ein zusammengeknülltes Tuch aus, um ihn zum Gurren und Verbeugen zu reizen. Nach einigen Wochen der Einzelhaft waren die leere Raumecke seines Kistenkäfigs und der optische Anhaltspunkt, den die zusammenlaufenden Kanten des Käfigs lieferten, Ziel seines Balzverhaltens (Lorenz, 1998). „In die Sprache der Physiologie übersetzt, besagen diese Beobachtungen, daß bei längerem Still-Legen einer instinktiven Verhaltensweise, im geschilderten Falle der des Balzens, der Schwellenwert der sie auslösenden Reize absinkt .“ (Lorenz, 1998, S. 57) Aus dieser Verhaltensweise lassen sich drei Sachverhalte ableiten.

Als Erstes wird auch hier wieder die Spontaneität der Triebe bestätigt. „Die Triebstärke nimmt in Abhängigkeit von der Dauer des stillgelegten Triebverhaltens zu.“ (Cube, 1989, S. 34) Besonders fällt dies auf, wenn der Reiz konstant bleibt. Im Falle des Lachtaubers heißt das, dass anfangs der Reiz (weiße Haustaube) keine Reaktion ausgelöst hat, nach ein paar Tagen allerdings derselbe Reiz zu einer Reaktion geführt hat. Auch am Beispiel eines Hundes, der eben erst getrunken hat, lässt sich dies zeigen. Hat er gerade getrunken, wird er durch das Wasser nicht mehr gereizt, jedoch kann einige Zeit später der gleiche Reiz (Wasser) die Triebhandlung (Trinken) erneut auslösen. Hassenstein schreibt in diesem Zusammenhang, dass diese Reaktion, genau wie die große Mehrzahl aller Reaktionen, zu ihrer Auslösung jeweils bestimmte äußere Reize und daneben bestimmte innere Bedingungen benötigt (Hassenstein, 1980).

Als Zweites kann man feststellen, dass auslösende Reize verschiedene Stärkegrade aufweisen können. Hält man die Triebstärke annähernd konstant indem man unmittelbar nacheinander unterschiedliche Reize anbietet, ist dies deutlich sichtbar. Beim Beispiel des Lachtaubers war zu Beginn der Versuchsreihe die weiße Haustaube oder das zerknüllte Tuch noch kein auslösender Reiz, wohl aber das artgleiche Weibchen. Diese unterschiedlichen Stärken der auslösenden Reize führen zur Erkenntnis der „Reiz-Summen-Regel“ (Lorenz, 1978, S.

94) Diese besagt, dass „die Gesamtwirkung eines komplexen auslösenden Reizes […] in etwa der Summe der Wirkungen der Einzelreize entspricht.“ (Cube, 1989, S. 34) Doch inwiefern kann ein Objekt oder nur Teile eines solchen überhaupt zum Reiz werden? Woher weiß das Tier von Geburt an, welche Objekte beziehungsweise Teile eines Objekts für eine Triebhandlung von Nöten sind? Verhaltensforscher sind der Ansicht, dass Tiere einen „angeborenen auslösenden Mechanismus (AAM)“ (Hassenstein, 1980, S.22) besitzen, der beim Auftreten der passenden Objekte die dazugehörigen Instinkthandlungen auslöst. Als Beispiel lässt sich hier der blutrote Rachen des Kuckucks nennen, der als AAM für die Pflegeeltern fungiert. Diejenigen „Objekte, die über einen AAM bestimmte Reaktionen auslösen, nennt man Schlüsselreize.“ (Cube, 1980, S. 35) Diese Schlüsselreize können schon bei Tieren mit Hilfe von Konditionierung durch andere Reize ersetzt werden. Wichtig für das Prinzip der doppelten Quantifizierung ist die Tatsache, dass unterschiedliche Reizstärken Triebhandlungen auslösen können und dass bei konstanter Triebstärke die Intensität der Triebhandlung mit wachsender Reizstärke zunimmt.

Als Drittes lassen sich aus der Versuchsreihe mit dem Lachtaubenmännchen Schlüsse über die Beziehung zwischen Triebstärke und Reizstärke ziehen. Eine Instinkthandlung, die auf einem Trieb beruht, wird als Triebhandlung bezeichnet. Diese kann auf drei unterschiedliche Arten zustande kommen. Entweder wenn eine hohe Triebstärke auf einen geringen Reiz trifft, oder umgekehrt eine niedrige Triebstärke auf einen hohen Reiz trifft, oder wenn eine hohe Triebstärke auf einen hohen Reiz trifft. Zusammenfassend kann auch davon ausgegangen werden, dass eine Triebhandlung dann zustande kommt, wenn die Summe der Quantitäten von Reizund Triebstärke ausreichend hoch ist. Je höher diese Summe ist, desto intensiver ist die Handlung, und umso lustvoller ist das Erlebnis (Cube, 1989). Eine hohe Triebstärke kann also eine niedrige Reizstärke ausgleichen, und umgekehrt. Je höher die Triebstärke, umso weniger wählerisch sind die Tiere, was sich klar am Beispiel des Lachtaubers zeigt (Hassenstein, 1980). Die Triebstärke ist am Schluss so groß, dass sie sogar ausreicht, die Triebhandlung auszulösen, obwohl die Reizstärke gleich Null ist (leere Raumecke des Kistenkäfigs). Lorenz beobachtete dieses Phänomen, dass „die Schwellenerniedrigung auslösender Reize […] in Sonderfällen gewissermaßen den Grenzwert Null erreichen [kann], insbesondere nämlich, als unter Umständen die betreffende Instinktbewegung ohne nachweisbaren äußeren Reiz »losgehen« kann“ (Lorenz, 1998, S. 58), an einem von ihm aufgezogenen Star, der, ohne es jemals gelernt oder beobachtet zu haben, in der Wohnung auf Insektenjagd ging. Obwohl keinerlei Insekten in der Wohnung vorhanden waren, führte der Star Triebhandlungen wie Schnappen, Schlucken und Schütteln aus (Lorenz, 1998). Auch die andere Möglichkeit, eine Triebhandlung bei extrem hoher Reizstärke und einem gleichzeitig gegen Null gehenden Trieb, kann vorkommen, zum Beispiel bei völlig gesättigten Haustieren, die durch fressende Artgenossen dazu verleitet werden können, sich zu überfressen.

Das Prinzip der doppelten Quantifizierung hat zwei Selektionsvorteile. Auf der einen Seite können Triebhandlungen selbst unter schlechten Bedingungen, also niedriger Reizstärke, durch hohe Triebstärke ausgeführt werden. Auf der anderen Seite kann unter guten Bedingungen zum Beispiel die leckerste Nahrung gefressen und der beste Sexualpartner ausgesucht werden.

Inwieweit das Prinzip der doppelten Quantifizierung beim Menschen greift und welche Unterschiede in diesem Punkt zwischen Tier und Mensch bestehen, wird im nächsten Abschnitt geklärt.

2.2.2.2 Das Prinzip der doppelten Quantifizierung beim Menschen

Im Kapitel 2.2.1 wurde bereits erläutert, dass der Mensch einerseits, wie andere Säugetiere auch, ein angeborenes Instinktsystem innehat, dass er andererseits jedoch mit diesem mit Hilfe seines Großhirns reflektierend umgehen kann. Beim Prinzip der doppelten Quantifizierung zeigt sich die Möglichkeit des Menschen zur Reflexion besonders deutlich. Aus eigener Erfahrung kann jeder Mensch dieses Prinzip bestätigen. Niemand wird bestreiten können, dass er bei sehr starkem Hunger selbst nur trockenes Brot essen würde, genauso wie er trotz Sättigung noch einen sehr delikaten Nachtisch essen würde. Auch für die Menschen trifft zu, dass die Triebhandlung und somit auch das Lustempfinden besonders stark sind, wenn die Triebund Reizstärke sehr hoch sind. Allerdings kann der Mensch durch die Reflexion in sein Triebsystem eingreifen. Somit sind seine Handlungen nicht mehr vorhersagbar und gesetzmäßig, wie dies bei den Tieren der Fall ist. Deswegen wird bei Menschen auch vom Prinzip und nicht von der Gesetzmäßigkeit der doppelten Quantifizierung gesprochen.

Durch Lernfähigkeit und Kreativität ist es den Menschen gelungen, Objekte zu schaffen, die auf dem Wege der Konditionierung zu erlernten Reizen werden können, wie zum Beispiel kulinarische Genüsse der Kochkunst, Mode, Prestigeobjekte etc. (Cube, 1989). Durch das Auftreten dieser Reize im Zusammenhang mit den Schlüsselreizen in besonders sensiblen Phasen kann es so zur Prägung kommen.

Durch die Möglichkeit der Reflexion hat der Mensch auch die für ihn charakteristische „Fähigkeit, das Prinzip der doppelten Quantifizierung zur Steigerung seiner Lust einzusetzen.“ (Cube, 1989, S. 38) Für sein Streben nach Lust und immer weiterer Lustmaximierung hat der Mensch zwei Strategiekomplexe verfolgt: die Erhöhung der Triebstärke und die Erhöhung der Reizstärke. Eine Strategie zur Erhöhung der Triebstärke ist zum Beispiel, die Triebhandlung absichtlich aufzuschieben. Obwohl dies anfangs mit Unlust verbunden ist, stellt sich bei Vollzug der Triebhandlung durch Nutzung der angestauten Triebstärke ein erhöhtes Lustgefühl ein.

Die zweite Möglichkeit, die Erhöhung der Reizstärke, ist hingegen viel bequemer und wirkungsvoller, da hierbei kein Triebverzicht geleistet werden muss. Diese Strategie zum Lustgewinn funktioniert also auch bei geringer Triebstärke, solange der Reiz entsprechend groß ist. Solche Reize sind in unserer heutigen Gesellschaft keine Mangelware. Um die Luststeigerung zum Beispiel beim Essen voranzutreiben, werden immer höhere Reize in Form von erlesenen und immer ausgefalleneren Delikatessen zubereitet und verkauft. Im Bereich der Sexualität funktioniert das Prinzip der Lustmaximierung ähnlich. Hier werden immer neue Reize erprobt und vermarktet, zum Beispiel sexuelle Abwechslung, Partnertausch, Gruppensex oder Perversitäten verschiedenster Art.

Abschließend lässt sich über den Umgang des Menschen mit dem Prinzip der doppelten Quantifizierung Folgendes festhalten: „Der Mensch nutzt mit seiner »Vernunft« das Prinzip der doppelten Quantifizierung seit jeher zum Lustgewinn durch hohe Reize aus. Da Reize abflachen, müssen sie immer höher und höher geschraubt werden. Die Ansprüche steigen ins Unermeßliche.“ (Cube, 1989, S. 40) Die Problematik der immer weiter ansteigenden Ansprüche wird später im Kapitel zur Verwöhnung erneut aufgegriffen.

2.2.3 Spontaneität der Triebe: das Appetenzverhalten

Nicht nur das Prinzip der doppelten Quantifizierung gilt gleichermaßen für Mensch und Tier, auch das Appetenzverhalten lässt sich beim Menschen beobachten. Am Beispiel des Nahrungstriebs lässt sich dies zeigen. „Wenn ein Lebewesen lange Zeit hungern oder dursten muß, so steigt seine Bereitschaft, auf Nahrung oder Wasser zu reagieren.“ (Hassenstein, 1980, S. 24) Ist bei Hunger jedoch keine Nahrung vorhanden – das Gleiche gilt natürlich auch für den Durst

– muss das Lebewesen aktiv die Nahrung aufsuchen. Beim Tier kann sich dies im Umherstreifen und der Nahrungssuche zeigen, beim Menschen zeigt sich dies durch den Gang zum Kühlschrank, in den Supermarkt oder ins Restaurant. Laut Cube handelt es sich beim Appetenzverhalten „um ein stammesgeschichtliches Programm, das sich zwangsläufig aus der Spontaneität der Triebe und dem Gesetz der doppelten Quantifizierung ergibt.“ (Cube, 1989, S. 41) In diesem Kapitel soll nun erst das Appetenzverhalten bei Tieren erläutert und definiert werden, wobei im Anschluss noch auf das Appetenzverhalten beim Menschen eingegangen wird.

2.2.3.1 Das Appetenzverhalten bei Tieren

Wenn ein Tier über längere Zeit nicht in der Lage ist, eine Instinkthandlung durchzuführen, „senkt sich nach längerem Nichtgebrauch nicht nur die Schwelle der Reize, die eine bestimmte Bewegungsweise auslösen, vielmehr versetzt die ungebrauchte Verhaltensweise den Organismus als Ganzes in Unruhe und veranlaßt ihn, aktiv nach den sie auslösenden Reizkombinationen zu suchen.“ (Lorenz, 1978, S. 104) Da die Triebstärke ja bekanntlich spontan zunimmt, braucht das Tier also einen auslösenden Reiz um zur Triebbefriedigung zu gelangen, der dann aktiv aufgesucht wird. Dies kann mitunter lange dauern, und je länger der Triebaufschub dauert, desto stärker wird das Appetenzverhalten. Lorenz spricht hier vom „urgewaltigen Streben, jene erlösende Umweltsituation herbeizuführen, in der sich ein gestauter Instinkt entladen kann.“ (Lorenz, 1998, S. 71) Das Appetenzverhalten darf nicht mit der Triebhandlung per se verwechselt werden. Deshalb wird es nun im Zusammenhang mit dem gesamten Triebverhalten, welches gemeinhin in vier Stufen abläuft, dargestellt (Cube, 1989). Die erste Stufe des Triebverhaltens ist die wachsende Triebstärke. Endogene Reizquellen wie ein leerer Magen oder ein erhöhter Testosteronspiegel informieren das Tier objektiv über die wachsende Triebstärke. Subjektiv werden diese Reize in Form von Gefühlen wie Hunger oder sexuellem Bedürfnis wahrgenommen, die mit Unlust und Unzufriedenheit verbunden sind und Unruhe und Unrast erzeugen. Jetzt ist das Tier bereit, eine Triebhandlung durchzuführen.

Wenn das Tier trotz der Handlungsbereitschaft auf keinen auslösenden Reiz trifft, kommt es zur zweiten Stufe, dem Appetenzverhalten, das in zwei Phasen abläuft. Die erste Phase besteht darin, dass „das Lebewesen durch sein Verhalten […] die Begegnung mit den Gegenständen (Nahrung, Nistmaterial) oder Lebewesen, auf die sich der betreffende Antrieb (= die Bereitschaft) bezieht, wahrscheinlicher macht.“ (Hassenstein, 1980, S. 25) Die zweite Phase des Appetenzverhaltens besteht „in der Regel in der gezielten Annäherung an den Gegenstand oder das Lebewesen, auf das das Verhalten zugeschnitten ist.“ (Hassenstein, 1980, S. 25) Wird relativ schnell ein auslösender Reiz gefunden, der dann aufgrund der noch geringen Triebstärke sehr hoch sein muss, bleibt die Anstrengung relativ gering. Im Gegensatz dazu kann es auch vorkommen, dass das Tier große Anstrengungen auf sich nimmt, wenn die Triebstärke höher wird. Dann richtet sich das Suchverhalten auch auf Auslöser mit geringerer Intensität.

Die Triebhandlung wird als dritte Stufe des Triebverhaltens bezeichnet. Das Ziel des Appetenzverhalten ist es, einen Reiz zu finden, der als Auslöser für die Triebhandlung fungiert. Die Aktivitäten dieser sind durch Erbkoordination, „eine fest programmierte Folge von Einzelbewegungen“ (Hassenstein, 1980, S. 26), programmiert und münden dann in der vierten Stufe des Triebverhaltens, der Endhandlung. Diese schließt die Triebhandlung ab. Durch sie wird eine mehr oder weniger schlagartige Reduktion der Triebstärke gewährleistet und die innere Bereitschaft zur Triebhandlung verschwindet. Ganz sicher ist nicht, ob sich beim Tier nach der Endhandlung auch ein Lustempfinden und ein Zufriedenheitsgefühl einstellen, jedoch gibt es hierfür Anzeichen (Cube, 1989).

Nochmals sei darauf hingewiesen, da es später zur Analyse und Steuerung menschlichen Verhaltens von essentieller Bedeutung ist, dass sowohl die Instinktbewegungen des Appetenzverhaltens als auch diejenigen der Triebhandlung selbst spontan sind. Bei Tigern im Zoo ist das so genannte Tigern zu beobachten. Der Tiger läuft hierbei ständig von der einen Seite des Käfigs an den Gitterstäben entlang zur anderen Seite und zurück. Dies ist ein nicht benötigtes Appetenzverhalten, das nachträglich absolviert wird, da er sein Futter nicht mehr jagen muss, sondern von den Wärtern verabreicht bekommt. Dieses Phä- nomen lässt sich folgendermaßen erklären: „Wird […] das Appetenzverhalten nicht abgerufen, so bleibt trotz Triebbefriedigung Spannung übrig; durch den mangelnden Einsatz von vorgesehenen Instinktbewegungen bleiben Aktionspotentiale erhalten, es bleiben Unruhe, Unlust und Unzufriedenheit.“ (Cube, 1989, S. 44)

2.2.3.2 Das Appetenzverhalten beim Menschen

Auch beim Menschen gilt Folgendes: „Die Spontaneität der Triebe und Instinkte führt – beim Fehlen auslösender Reize – zwangsläufig zum Appetenzverhalten.“ (Cube, 1989, S. 44) Weit vor der heutigen Zivilisation, als der Mensch noch als Jäger und Sammler lebte, hatte das Appetenzverhalten eine ähnliche Funktion beim Menschen wie bei den Tieren. Im Gegensatz dazu ist in unserer heutigen Gesellschaft das Appetenzverhalten im Sinne eines urgewaltigen Strebens nach auslösenden Reizen (Lorenz, 1998) hinfällig geworden. „Wir brauchen uns nicht mehr anzustrengen, um unsere Triebe zu befriedigen. Das Appetenzverhalten reduziert sich auf die von den Psychologen schon seit langem entdeckte »selektive Wahrnehmung«“ (Cube, 1989, S. 44) Dies bedeutet, dass wir zum Beispiel bei Hunger eher Reize wahrnehmen, die auf Nahrung hindeuten und wenn wir sexuell gestimmt sind vor allem sexuelle Hinweisreize. Die einzigen Reize, die von uns noch aufgesucht werden, sind besonders hohe Reize, die uns selbst bei geringer Triebstärke Lustempfinden bereiten können.

„Insgesamt haben uns […] technische Zivilisation und Wohlstandsgesellschaft die Anstrengung des Appetenzverhaltens abgenommen. Das ist ja auch der erklärte Sinn von Technik und Zivilisation: rasche und leichte Triebbefriedigung, Lust ohne Anstrengung.“ (Cube, 1989, S. 45) Die Spontaneität des Triebund Instinktsystems wurde hier jedoch nicht berücksichtigt. Das Problem liegt nämlich darin, dass die Aktionspotentiale nicht mehr eingesetzt werden und so Unlust und Unzufriedenheit erzeugen. Nachträgliches Appetenzverhalten, wie das Tigern , funktioniert gerade noch bei Kindern, „Erwachsene brauchen andere Motive, um sich selbst zu fordern“ (Cube, 1989, S. 45), um ihre freien Aktionspotentiale abzubauen. Dies kann zum Beispiel durch Sport oder andere körperliche Aktivitäten geschehen.

2.3 Triebtheorie der Aggression

Bis jetzt wurde dem Leser ein Überblick über die Erkenntnisse der Verhaltensbiologie und die Triebtheorie im Allgemeinen dargeboten. In den beiden nächsten Kapiteln soll nun die Triebtheorie der Aggression geschildert werden. Zunächst wird die diese bei Tieren erklärt und danach beim Menschen. Zuerst auf die Theorie beim Tier einzugehen, ist deshalb wichtig, da „die Triebtheorie der Aggression beim Menschen – um die es […] ja eigentlich geht – nur im Zusammenhang mit dem »Kontinuum« des Triebsystems verständlich (nicht ableitbar!) ist.“ (Cube, 1989, S. 46)

2.3.1 Triebtheorie der Aggression bei Tieren

Bei den meisten Tierarten lassen sich Kämpfe zwischen einzelnen Vertretern ihrer Art beobachten, wobei die Tiere die ihnen gegebenen Waffen, zum Beispiel Hörner, Schädel, Krallen oder Zähne benutzen. Zweck dieser Kämpfe ist es, den Gegner zu unterwerfen, zu vertreiben, zu verletzen oder zu töten. „Zusammenfassend kann man sagen: Zweck der Aggression ist es, den Gegner zu besiegen, der Sieg ist die Endhandlung der Aggression.“ (Cube, 1989, S. 46) Diese Kampfhandlungen werden genauso als aggressiv tituliert wie solche Handlungen, die die Kämpfe vorbereiten oder auch nur einen Kampf androhen. Zu diesen aggressiven Handlungen werden zum Beispiel das Zähnefletschen, Knurren, Fauchen oder Drohhaltungen gezählt. Bei den Tieren sind solche Haltungen für den Menschen nicht immer eindeutig zuzuordnen, jedoch ist davon auszugehen, dass die Tiere immer genau wissen, ob Handlungen ihrer Gegner aggressiv gemeint sind oder nicht.

Bei Tieren unterscheidet man zwei verschieden Erscheinungsformen der Aggression: die extraund die intraspezifische Aggression. Die extraspezifische Aggression richtet sich gegen Tiere einer anderen Art, zum Beispiel gegen Fressfeinde oder Beutetiere, und die intraspezifische Aggression gegen Tiere der gleichen Spezies und wird daher auch als „innerartliche Aggression“ (Cube, 1989, S. 46) beschrieben. Diese beiden Erscheinungsformen müssen streng auseinander gehalten werden. Lorenz ist sogar der Meinung, dass sich „der Begriff der Aggression […] somit […] auf intraspezifische Auseinandersetzun- gen beschränkt [wird]. Die Auseinandersetzungen zwischen Tieren verschiede- ner Arten werden als »zwischenartliche Kämpfe« davon getrennt.“ (Selg, 1978, S. 47) Zusätzlich zur Unterscheidung zwischen extraund intraspezifischer Aggression schreibt er dem aggressiven Verhalten von Tieren auch vier verschiedene Funktionen zu, die allesamt für die Erhaltung der eigenen Art notwendig sind.

Bei der ersten Funktion des Aggressionstriebs handelt es sich um Revierverteidigung durch Drohverhalten oder Kampf. Diese ist lebensnotwendig, da es sich beim anderen Tier der gleichen Spezies um einen Konkurrenten auf der Suche nach Nahrung handelt, diese aber im Revier nur begrenzt vorhanden ist. Durch die Revieraggression „verteilen sich die Lebewesen einer Art in dem zur Verfü- gung stehenden Raum so, daß die Möglichkeiten zur Nahrungssuche etc. optimal genutzt werden können.“ (Selg, 1978, S. 47) Lorenz hält diese Funktion für die wichtigste: „Dies ist, in dürren Worten, die wichtigste arterhaltende Leistung der intraspezifischen Aggression.“ (Lorenz, 1998, S. 37)

Die zweite Funktion besteht darin, „die jeweils stärksten Tiere für die Weiterzucht und die Verteidigung gegen außerartliche Feinde auszulesen.“ (Selg, 1978, S. 47) Im Normalfall sind es die Männchen, die sich vor der Fortpflanzung im Kampf gegen den Rivalen beweisen müssen.

Im Gegensatz zur eben beschriebenen Funktion spielen bei der dritten Funktion, der Brutverteidigung, häufig die weiblichen Vertreter die Hauptrolle. Es gibt natürlich auch Ausnahmen, zum Beispiel betreibt der männliche Stichling Brutpflege und verteidigt die Brut gegen Angriffe von Artgenossen. Bei Tieren, bei denen ausschließlich ein Geschlecht die Brutpflege übernimmt, ist dieses auch das bedeutend aggressivere.

Die letzte Funktion der intraspezifischen Aggression ist die des Kampfes um einen höheren Rang und somit die Bildung einer Rangordnung, die für die gesamte Sozietät und für jedes einzelne Individuum von dieser von großer Bedeutung ist. Tiere mit hohem Rang sichern sich so Fressund Fortpflanzungsprivilegien und Tiere mit niedrigerem Rang werden oft von Ranghöheren beschützt. Durch Kämpfe, die die Rangordnung festlegen, werden Aggressivitäten innerhalb der Sozietät eingeschränkt, da „der Unterlegene den Sieger nun für längere Zeit nicht mehr bekämpft, ihm überall den Vortritt läßt, kurz, ihn als Überlegenen anerkennt.“ (Hassenstein, 1980, S. 157) Das freie Aggressionspotential der Sozietät kann nun stattdessen nach außen gerichtet werden, sei es zum Zwecke des Angriffs oder der Verteidigung.

„Aggression steht also im Dienste des Überlebens des einzelnen Tieres und der gesamten Art; Aggression ist notwendig zur Sicherung des Lebensraumes, zur Sicherung der Fortpflanzung, zur Verbesserung der eigenen Lebensbedingungen und derjenigen der Sozietät.“ (Cube, 1989, S. 48)

Die oben genannten Funktionen bestätigen die zuvor schon erwähnte Spontaneität der Triebe, somit auch die des Aggressionstriebs. Reviere werden nicht nur verteidigt, sondern auch einzunehmen versucht und Rivalen im Kampf um Weibchen und Rangordnung werden aktiv angegriffen. Ein weiteres Indiz für die Spontaneität der Aggression sind zahlreiche Beobachtungen der Schwellenerniedrigung aggressiver Reize. Lorenz meint in diesem Zusammenhang:

„Schwellenerniedrigung und Appetenzverhalten sind nun, leider muß es gesagt werden, bei wenigen instinktmäßigen Verhaltensweisen so deutlich ausgeprägt wie gerade bei denen der intraspezifischen Aggression.“ (Lorenz, 1998, S. 58- 59)

Überdies hinaus zeigt sich die Spontaneität des Aggressionstriebs auch bei den zugehörigen Werkzeugaktivitäten. Tiere, die über einen längeren Zeitraum nicht zu Kämpfen oder zum Erlegen von Beute gezwungen waren, wurden dabei beobachtet, wie sie die dazugehörigen Werkzeugmechanismen wie Springen, Bei- ßen, Stoßen etc. spontan ausführten. Bei wild lebenden Tieren geschieht dies in der Regel nur im Spiel unter Jungtieren.

„Die Triebtheorie der Aggression steht also nicht nur mit zahlreichen Beobachtungen im Einklang; sie erklärt auch viele unterschiedliche Verhaltensweisen und erlaubt – was für eine Theorie entscheidend ist – unter bestimmten Bedingungen, z.B. Tierhaltung im Zoo, recht exakte Vorhersagen.“ (Cube, 1989, S. 50) Aus diesen Gründen wird diese Theorie nun im folgenden Kapitel weiterhin verwendet und „mit den erforderlichen Ergänzungen und Abweichungen auf den Menschen“ (Cube, 1989, S. 50) angewendet.

2.3.2 Triebtheorie der Aggression beim Menschen

Auch der Mensch kann aggressives Verhalten zeigen. Ähnlich wie beim Tier können auch hier verschiedenste Handlungen als aggressiv bezeichnet werden, wie Drohen, Ballen der Fäuste etc.. Andere Handlungen können wiederum nicht eindeutig als aggressiv bezeichnet werden, was zu Definitionsschwierigkeiten führen kann. Ein wichtiges Kriterium von Aggression ist die Intention der Schä- digung, die beim Ausführenden vorhanden sein muss, um die Handlung als aggressiv zu bezeichnen. „Als Aggression soll solches Verhalten bezeichnet werden, bei dem schädigende Reize gegen einen Organismus (oder ein Organismussurrogat) ausgeteilt werden. Dieses Verhalten muß als gerichtet interpretiert werden (vom Wissenschaftler, nicht vom Opfer und nicht vom Täter).“ (Selg, 1997, S. 7)

Mehrere Untersuchungen mit Primaten können als Anhaltspunkt gesehen werden, dass auch beim Menschen der Aggressionstrieb weiterhin Bestand hat (Cube, 1989). Weitere Indizien dafür sind bei Menschen zu finden, deren Groß- hirnsteuerung entweder noch nicht ausgereift ist oder gestört ist, auch wenn dies nur vorübergehend der Fall ist. Bei Kleinkindern wurde beobachtet, dass, nachdem sie längere Zeit alleine verbracht hatten, Kinder im Alter von zwei bis drei Jahren beim Zusammentreffen mit anderen Kindern auffallend leichter zu aggressivem Verhalten neigten als ohne die vorausgegangene Isolationszeit (Cube, 1989). Dies kann als weitere Bekräftigung der Spontaneität des Aggressionstriebs beim Menschen angesehen werden. In diesem Zusammenhang sei noch angefügt, dass die spontane Produktion von Aggression auch beispielsweise bei betrunkenen Erwachsenen beobachtet werden kann, bei denen die Großhirnsteuerung und die eigene kognitive Kontrolle zeitweise durch den Alkohol beeinträchtigt ist. Aber auch ohne eine Störung der Großhirnfunktion kann es beim Menschen zum Appetenzverhalten kommen. Natürlich lässt sich durch diese Beobachtungen ein angeborener Aggressionstrieb beim Menschen nicht beweisen, es gibt jedoch wie dargestellt eine Reihe starker Indizien, die dafür sprechen. Cube (1989) verweist in diesem Zusammenhang auf Studien über Buschmannkinder, in denen beobachtet wurde, dass diese Kinder schon im Alter von einem Jahr spontan auftretende aggressive Verhaltensweisen zeigten. Doch wie kann der Mensch, wenn ihm sein Aggressionstrieb angeboren ist, diesen beherrschen? Aus den bisherigen Überlegungen zur Triebtheorie wissen wir, dass die Beherrschung, also der Triebaufschub, langfristig für keine Entspannung der Situation sorgt. Die Triebstärke bleibt vorhanden und wächst beim Zusammentreffen mit aggressionsauslösenden Reizen weiterhin an. Sich diesen zu entziehen ist mitunter schwierig, weswegen dann Ersatzobjekte gesucht werden sollten (Cube, 1989). Das Lernen des Umgangs mit Aggression bezieht sich auf die „kognitive Steuerung der Aggression, auf das tatsächlich ausgeübte Verhalten, es bezieht sich nicht auf die Aggression als solche“ (Cube, 1989, S. 55), da diese ja angeboren und immer vorhanden ist. In Situationen, in denen Aggressionen durch plötzlich auftretende Reize aktiviert werden, fällt es schwer, durch Reflexion die Reaktion zu steuern. Hier kann man sich nicht mehr auf die Fähigkeit zur Reflexion verlassen, das „erwünschte Verhalten muß vielmehr durch Erziehung »bereitgestellt« sein.“ (Cube, 1989, S. 55)

Ohne Zweifel kann die menschliche Aggression viel grausamer sein als die der Tiere, jedoch widerlegt dieser Fakt Lorenz Theorie nicht, eher im Gegenteil. Auch der Aggressionstrieb funktioniert nach dem Prinzip der doppelten Quantifizierung, das besagt, dass der Mensch durch Steigerung der Reize, die die Triebhandlung auslösen versucht, sein Lusterlebnis zu steigern. So kann der Mensch auch Aggression lustvoll erleben, da Reflexion nicht immer positiv abläuft, sie kann auch böse und destruktiv geprägt sein. „Es geht hier um Fakten und nicht um Moral.“ (Cube, 1989, S. 56)

Um die Möglichkeiten des kognitiven Umgangs mit der Aggression beim Menschen zu verstehen, muss klar sein, worin der Zweck aggressiven Handelns liegt. Beim Tier besteht die Triebhandlung aus Kampf und die Endhandlung aus der Unterwerfung, Vertreibung oder Vernichtung des Gegners, also dem Sieg. Die Endhandlung ist beim Menschen gleich, aber der Mensch kann sie auch auf anderem Wege, mit kognitiven Waffen erreichen, nicht nur durch die Triebhandlung Kampf. Darüber hinaus kann der Mensch aufgrund seiner kognitiven Strategien auch „angeborenen Hemmungen zuwiderhandeln, wenn er zukünftige Zwecke höher einstuft.“ (Cube, 1989, S. 57)

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich „die aggressiven Handlungen des Menschen […] als eine Kombination von Trieb und Großhirnsteuerung erklären [lassen]. Die Triebtheorie der Aggression beim Menschen ist also keine »naive Übertragung« vom Tier auf den Menschen.“ (Cube, 1989, S. 51)

[...]


1 Um das Lesen der Arbeit zu erleichtern, werden im Verlauf ausschließlich männliche Formen verwendet, die jedoch auch die weibliche Form beinhaltet. Wird die weibliche Form eingesetzt, so soll dies explizit erwähnt werden.

Ende der Leseprobe aus 101 Seiten

Details

Titel
Der Zusammenhang zwischen Langeweile und Aggression
Untertitel
Eine empirische Untersuchung zum Zusammenhang von Langeweile und Aggression - Durchgeführt an einer ausgewählten Schulklasse
Hochschule
Universität Augsburg  (Institut für Sportwissenschaft Universität Augsburg)
Veranstaltung
Erste Prüfung für das Lehramt an Gymnasien in Bayern - Sportpsychologie
Note
1,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
101
Katalognummer
V120806
ISBN (eBook)
9783640243402
ISBN (Buch)
9783640246571
Dateigröße
1053 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Zusammenhang, Langeweile, Aggression, Erste, Prüfung, Lehramt, Gymnasien, Bayern, Sportpsychologie
Arbeit zitieren
Simon Challier (Autor:in), 2008, Der Zusammenhang zwischen Langeweile und Aggression, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/120806

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