Kultursemiotik der Moskau-Tartu Schule


Hausarbeit, 2003

16 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhaltverzeichnis

1. Kultursemiotik der Moskau-Tartu Schule
1.1 Semiotische Schule von Moskau und Tartu. Ihre Vertreter, Forschungsrichtungen und Methoden
1.1.1 Kultursemiotische Forschung der Schule
1.2 Begriff des sekundären modellbildenden Systems
1.3 Kultur als semiotischer Mechanismus
1.3.1 Einführung des Begriffs des “kulturellen Textes“
1.4 Semiotischer Mechanismus der Textproduktion und kulturelles Gedächtnis
1.5 Das Problem der typologischen Beschreibung der Kultur
1.5.1 Die Typologie der russischen Kultur der klassischen Periode (XI-XIX) nach Ju.Lotman

Literaturverzeichnis:

1. Kultursemiotik der Moskau-Tartu Schule.

1.1 Semiotische Schule von Moskau und Tartu. Ihre Vertreter, Forschungsrichtungen und Methoden

Die semiotische Schule von Moskau und Tartu, auch sowjetische semiotische Schule genannt, war seit Anfang der 60-er bis in die Mitte der 80-er in zwei Zentren – Moskau und Tartu tätig. Zu den wichtigsten Vertretern der Schule zählen: Ju.Lotman, Z.Minc, I.Černov (Tartu); V.V.Ivanov, B.Uspenskij, V.Toporov, D.Segal, I.Revsin, J.Lekomcev, A.Žolkovskij, S.Šaumjan, A. Pjatigorskij (Moskau).

Die Semiotik in der Sowjetunion entwickelte sich Anfang der 60-er Jahre zwar gleichzeitig, aber erst unabhängig voneinander in Moskau und Tartu (1962 tritt in Moskau das Semiotik-Projekt in Erscheinung: Symposium zur strukturellem Erforschung von Zeichensystemen). 1964 schließen sich beide Zentren zusammen (Erste Sommerschule über sekundäre modellbildende Systeme, Kjaeriku, Estland, 1964). Ab dem Moment kann man von der semiotischen Moskau-Tartu Schule sprechen.

1964 beginnt man mit der Veröffentlichung von den Sammelbänden „Trudy po znakovym sistemam“(„Arbeiten über Zeichensysteme“), die sämtliche Materialien der Sommerschulen, Tagungen und Konferenzen sowie Aufsätze der Teilnehmer und Vertreter der Schule enthalten.[1]

Eine „Vorbereitungsphase“ der Entwicklung von sowjetischer Semiotik lässt sich jedoch bereits in den früheren 50-er Jahren beobachten: Kybernetik und eine sehr intensive Forschung der maschinellen Übersetzung einerseits und strukturelle Linguistik andererseits, die damals im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses standen, kann man mit Sicherheit als Anstoßpunkte der sowjetischen Semiotik gelten lassen. In ihrer weiteren Entwicklung hat die sowjetische Semiotik aus diesen Gebieten einige wichtige Punkte übernommen, die sich in den Werken der Schule von Moskau und Tartu mehr oder weniger konsequent während der ganzen Zeit ihrer Existenz durchziehen: z.B. die Nutzung mathematischer Methoden zur Erforschung von Zeichensystemen, eindeutige Dominanz der Linguistik oder das Problem der Übersetzung, der Übersetzbarkeit und der Korrelierbarkeit verschiedener Zeichensysteme (Fleischer 1989:55).

Die Schule selbst sah sich in gewisser Weise als Nachfolger des russischen Formalismus. Von vornherein wurde auch das besondere Interesse der Schule für die interdisziplinäre Forschung betont, die Gruppen-Mitglieder kamen aus verschiedenen Wissenschaftengebieten. Viele Termini und Methoden der semiotischen Schule von Moskau und Tartu stammen aus dem Bereich der Mathematik, Logik, Kybernetik, Informations- und allgemeinen Systemtheorie, Kulturanthropologie und Ethnologie. Die ungewöhnliche Breite des Forschungsfeldes streckte sich von der Linguistik und Poetik bis zur Mythologie und Kulturwissenschaft aus. Dabei zeichnet sich jedoch die Moskau-Tartu Schule durch den expliziten Verzicht auf die Herausarbeitung einer Basistheorie aus (im Unterschied zu westlichen semiotischen Strömungen); man entschied sich für analytische oder angewandte Semiotik (Fleischer 1989:87).

M. Fleischer, der in seinem Buch „Die sowjetische Semiotische Schule“ einen Versuch unternimmt, implizite theoretische Grundlagen der Schule zu rekonstruieren, nennt vier Phasen der Entwicklung, die die Schule durchlaufen hat:

- Organisationsphase (1960-1964);
- Phase der angewandten Semiotik (1964-1970),
- Kultursemiotik (1970-1979);
- Ausklangsphase (1980-er).

1.1.1 Kultursemiotische Forschung der Schule

Schon seit 1967 gilt ein starkes Interesse der Schule der Erforschung der semiotischen Mechanismen der Kultur (vor allem dem Problem der Kulturtypologie). Seit 1968 (3. Sommerschule über sekundäre modellbildende Systeme) beginnt die Phase, in der Probleme der Kultursemiotik in den Mittelpunkt rücken.

In der Einleitung zu Thesen der 4. Sommerschule (1970) wurde das Programm einer

kultursemiotischen Forschung präsentiert.

Unter Kultursemiotik versteht man eine „Wissenschaft von funktionellen Korrelationen verschiedener Zeichen-Systeme“ (Revzina. zit. nach Fleischer 1989:118).

Das Interesse der Forschung wird unter anderen auch folgenden Problemen und Fragestellungen gewidmet:

- das Herausfinden der minimalen Menge von Zeichensystemen/ kulturellen Sprachen, die für das Funktionieren der Kultur als Ganzes unabdingbar sind, und das Herstellen eines Modells der Kultur;
- der Platz eines semiotischen Systems im Komplex der Kultur;
- der Platz der Kunst im allgemeinen System der Kultur. Dominanz verschiedener Kunsttypen;
- das Problem der Kulturtypologie. Die Methoden typologischer Beschreibungen;
- Kultur und Nicht-Kultur: der Kampf mit der Kultur als kulturelles Problem;
- Kultur als Gedächtnis des Kollektivs. Die Möglichkeit der Analyse der Kultur als organisiertes Gedächtnis;
- das Problem der Evolution der Kultur,
- das Problem der Metakultur. Typologie der Selbstbeurteilung der Kulturen in verschiedenen Epochen:
- der Begriff der Norm und Regeln in der Kultur

(Einleitung zit. nach Fleischer 1989:116-117).

Mit diesem Problemkreis lässt sich das Forschungsfeld der kultursemiotischen Phase der Schule umreißen. Im Jahre 1973 erscheinen „Thesen zur semiotischen Erforschung der Kultur“ – ein Manifest der kultursemiotischen Forschung der Schule. Im Sammelband XVII „Trudov po znakovym sistemam“ (1984) stellt Lotman eine neue Konzeption der Kultursemiotik auf („O semiosfere“). In weiteren Jahren beschäftigt sich Lotman sehr intensiv mit dem Herausarbeiten dieses Konzepts (siehe dazu zahlreiche Aufsätze in Lotman 2001).

1.2 Begriff des sekundären modellbildenden Systems.

Der Begriff des sekundären modellbildenden Systems ist einer der Schlüsselbegriffe der Moskau-Tartu Schule.

In „Thesen zur semiotischen Erforschung der Kultur“ (1973), die von den wichtigsten Vertretern der Schule (Lotman, Uspenskij, Toporov, V.V.Ivanov und Pjatigorskij) gemeinsam herausgearbeitet und von Uspenskij aufgezeichnet wurden, findet man folgende Definition dieses Begriffs:

„Unter „sekundären modellbildenden Systemen“ versteht man solche semiotische Systeme, mit denen Modelle der Welt bzw. ihrer Fragmente konstruiert werden. Diese Systeme sind in Bezug auf das primäre System der natürlichen Sprache sekundär, da sie auf diesem unmittelbar (wie das übersprachliche System der künstlerischen Literatur) beruhen oder zu ihm als Parallelform (Musik oder Malerei) in Erscheinung treten.“ (Thesen 1986:108)

Diese Definition impliziert, dass sowohl primäre, als auch sekundäre modellbildende Systeme die gleiche Funktion haben, nämlich das Konstruieren der Modelle der Welt bzw. ihrer Fragmente (Das Modell repräsentiert nie das ganze Objekt, sondern nur bestimmte Seiten von ihm, Funktionen und Zustände... Modelle treten in allen Fällen als Analoga auf (Lotman. zit. nach Fleischer 1989:75).

Die Hauptfunktion einer natürlichen Sprache – eines primären modellbildenden Systems, besteht darin, die wahrgenommene nicht-semiotische Realität in Zeichen umzusetzen (in die sprachliche Realität zu „übersetzen“).[2] Das modellbildende System „arbeitet“ an der strukturellen „Organisierung“ der Welt (schafft die „Ordnung“ aus dem „Chaos“). Die primären und die sekundären modellbildenden Systeme sind also beide Generatoren der Struktur (vgl. Lotman 2001:487). Von dem Blickwinkel der strukturgenerierenden Funktion könnte man ein sekundäres modellbildendes System (Literatur, Kunst, Kultur) als „sekundäre Sprache“ bezeichnen. Es wird immer wieder betont, dass die Kultur ein Zeichensystem ist und als ein System mit kommunikativer Funktion den gleichen Gesetzen wie anderer Kommunikationssysteme (Sprachen) unterliegt. Dies erlaubt, die Methoden und Kategorien der strukturellen Linguistik (Kode, Text, Struktur, langue und parole, syntagmatische und paradigmatische Reihen usw.) bei Erforschung der Kultur als eines sekundären modellbildenden Systems einzusetzen.

Bei der Gleichsetzung „Kultur = Sprache“ muss man jedoch berücksichteigen, dass es sich in der Tat nicht um eine „sekundäre Sprache“ handelt, sondern um ein komplexes System, das Konglomerat von verschiedenen „Sprachen“/ semiotischen Systemen , die eine Hierarchie oder ein Symbiose der einzelnen Systeme darstellen.

[...]


[1] Es sind bis 1986 insgesamt 19 Ausgaben der „Trudy …“erschienen.

[2] Zugleich mit ihrer kommunikativen Funktion.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Kultursemiotik der Moskau-Tartu Schule
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Institut für Slavische Philologie)
Veranstaltung
Aktuelle Methoden der Literatur und Kulturwissenschaft
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2003
Seiten
16
Katalognummer
V12123
ISBN (eBook)
9783638180924
ISBN (Buch)
9783638937283
Dateigröße
526 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Dichter Text - einzeiliger Zeilenabstand.
Schlagworte
Kultursemiotik; Kulturtypologie
Arbeit zitieren
Elena Hoffmann (Autor:in), 2003, Kultursemiotik der Moskau-Tartu Schule, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/12123

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