Die Optimierung der Redeleistung im Rhetorik- und Kommunikationstraining

Eine geschlechtsdifferenzierte Untersuchung


Doktorarbeit / Dissertation, 2008

224 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

THEORETISCHER TEIL

1 Einführung
1.1 Problemstellung
1.2 Zielsetzung
1.3 Aufbau der Arbeit
1.4 Abgrenzung des Untersuchungsgegenstandes

2 Historischer Überblick: Rhetorikschulung von der Antike bis heute
2.1 Antike Rhetorik
2.1.1 Erste antike Rhetorik-Epoche: Die Gründer der Rhetorik – Die Sophisten
2.1.1.1 Methodik und Inhalte der sophistischen Rhetoriklehre
2.1.1.2 Schulungsorte der sophistischen Rhetoriklehre
2.1.2 Zweite antike Rhetorik-Epoche Epoche: Die Philosophen Griechenlands
2.1.2.1 Methoden und Inhalte der Rhetoriklehre der griechischen Antike
2.1.2.2 Schulungsorte der Rhetoriklehre in der griechischen Antike
2.1.3 Dritte antike Rhetorik-Epoche: Römische Rhetorik
2.1.3.1 Methodik und Inhalte der Rhetoriklehre der römischen Antike
2.1.3.2 Schulungsorte der Rhetoriklehre in der römischen Antike
2.1.4 Weitere Entwicklungen der antiken Rhetorik
2.1.5 Zusammenfassung: Antike Rhetorik
2.2 Rhetorik des Mittelalters
2.2.1 Methodik und Inhalte der mittelalterlichen Rhetoriklehre
2.2.2 Schulungsorte der mittelalterlichen Rhetoriklehre
2.3 Rhetorik des Humanismusund Barockzeitalters
2.2.3 Zusammenfassung: Rhetorik des Mittelalters
2.3.1 Methodik und Inhalte der Rhetoriklehre im Humanismus und Barock
2.3.2 Schulungsorte der Rhetoriklehre im Humanismus und Barock
2.3.3 Zusammenfassung: Rhetorik des Humanismusund Barockzeitalters
2.4 Rhetorik der Aufklärung
2.4.1 Methodik und Inhalte der Rhetoriklehre in der Aufklärung
2.4.2 Schulungsorte der Rhetoriklehre in der Aufklärung
2.4.3 Zusammenfassung: Rhetorik der Aufklärung
2.5 Rhetorik im 19. Jahrhundert – Bürgerliches Zeitalter
2.5.1 Methodik und Inhalte der Rhetoriklehre im 19. Jahrhundert
2.5.2 Schulungsorte der Rhetorik des 19. Jahrhunderts
2.5.3 Zusammenfassung: Rhetorik im 19. Jahrhundert
2.6 Rhetorik seit dem 20. Jahrhundert
2.6.1 Methodik und Inhalte moderner Rhetoriktrainings
2.6.2 Schulungsorte der modernen Rhetoriklehre
2.6.3 Rhetorik im neuen Kontext: Bestandteil der Personalentwicklung in Unternehmen
2.6.4 Zusammenfassung: Rhetorik seit dem 20. Jahrhundert
2.6.5 Kommunikationstrainings: Aktuelle Zahlen
2.7 Vergleich der gegenwärtigen und antiken Rhetoriklehre

3 Optimierungsmethodik in Präsentationstrainings
3.1 Das menschliche Ausdrucksverhalten – Die Wirkung eines Sprechers
3.1.1 Stellgrößen des Ausdrucksverhaltens
3.1.2 Der verbale Ausdruck
3.1.3 Der paraverbale Ausdruck
3.1.4 Der nonverbale Ausdruck
3.1.5 Exkurs: Weiterführende Erkenntnisse zum nonverbalen Ausdrucksverhalten
3.2 Die Zugänge zur Optimierung der Redeleistung
3.2.1 Schwächen schwächen – Schwächen über Stellgrößen ausgleichen
3.2.2 Stärken stärken – Stärken über persönlichen Präsentationsstil ausbauen
3.2.3 Mentaltechniken – Sicherheit über mentale Einstellung gewinnen
3.2.3.1 Reflektierte Selbstbeobachtung
3.2.3.2 Spontane Selbstbeeinflussung
3.2.3.3 Positives Denken
3.2.3.4 Autosuggestion – Vorsatzbildungen
3.2.3.5 Die paradoxe Intention
3.2.3.6 Imagination
3.2.3.7 Das ABC-Schema
3.2.3.8 Atmung
3.2.3.9 Entspannungstechniken

4 Geschlechtsdifferenziertes Kommunikationsverhalten
4.1 Begriffsklärung
4.2 Soziologischer Abriss
4.3 Entstehung von verhaltensbedingten Geschlechtsunterschieden
4.3.1 Geschlechtsrollen – erlernt
4.4 Untersuchungen zu Verhaltensunterschieden zwischen den Geschlechtern
4.5 Merkmale der Geschlechtersprache
4.5.1 Verbales Ausdrucksverhalten der Geschlechter
4.5.2 Paraverbales Ausdrucksverhalten der Geschlechter
4.5.3 Nonverbales Ausdrucksverhalten der Geschlechter
4.6 Geschlechtsdifferenziertes Kommunikationsverhalten in Gruppen
4.7 Zusammenfassende Betrachtung kommunikativer Geschlechtsunterschiede

EMPIRISCHER TEIL

5 Methodologische Vorgehensweise – Erhebung der Befunde
5.1 Beschreibung der Untersuchung
5.2 Instrumente
5.2.1 Quantitative Datenerhebung – Fragebogen
5.2.2 Qualitative Datenerhebung – Videoanalyse
5.3 Stichprobenkonstruktion
5.4 Beschreibung der Untersuchungsdurchführung

6 Ergebnisse der Gesamtauswertung (Gruppe I-V)
6.1 Teilnehmer (Gruppe I-V)
6.2 Fragebogenauswertung – Selbstbild (Gruppe I-V)
6.2.1 Fragebogenitem 1 – Schwächen über Stellgrößen ausgleichen (Gruppe I-V)
6.2.2 Fragebogenitem 2 – Stärken über persönlichen Präsentationsstil ausbauen (Gruppe I- V)
6.2.3 Fragebogenitem 3 – Sicherheit über mentale Einstellung gewinnen (Gruppe I-V)
6.2.4 Fragebogenitem 4 – Wenn nur ein Zugang möglich wäre (Gruppe I-V)
6.2.5 Auffälligkeiten (Gruppe I-V)
6.3 Auswertung Videoanalyse – Fremdbild (Gruppe I-V)
6.4 Selbstbildund Fremdbildabgleich (Gruppe I-V)

7 Ergebnisse der Gesamtauswertung Gruppe VI
7.1 Teilnehmer (Gruppe VI)
7.2 Fragebogenauswertung Selbstbild (Gruppe VI)
7.2.1 Fragebogenitem 1 – Schwächen über Stellgrößen ausgleichen (Gruppe VI)
7.2.2 Fragebogenitem 2 – Stärken über persönlichen Präsentationsstil ausbauen (Gruppe VI)
7.2.3 Fragebogenitem 3 – Sicherheit über mentale Einstellung gewinnen (Gruppe VI)
7.2.4 Fragebogenitem 4 – Wenn nur ein Zugang möglich wäre (Gruppe VI)
7.2.5 Auffälligkeiten (Gruppe VI)
7.3 Auswertung Videoanalyse – Fremdbild (Gruppe VI)
7.4 Selbstbildund Fremdbildabgleich (Gruppe VI)

8 Diskussion der Ergebnisse
8.1 Diskussion der Ergebnisse Gruppe I-V
8.1.1 Optimierungszugang: Schwächen über Stellgrößen ausgleichen (Gruppe I-V)
8.1.2 Selbstbild-Fremdbildabgleich: Schwächen über Stellgrößen einstellen (Gruppe I-V)
8.1.3 Optimierungszugang: Stärken über persönlichen Präsentationsstil ausbauen (Gruppe I-V)
8.1.4 Selbstbild-Fremdbildabgleich: Stärken über persönlichen Präsentationsstil ausbauen (Gruppe I-V)
8.1.5 Grad der Deckungsgleichheit (Gruppe I-V)
8.1.6 Optimierungszugang: Sicherheit über mentale Einstellung gewinnen (Gruppe I-V)
8.1.7 Kombination der Nennungen: Fragebogenitem Sicherheit über mentale Einstellung gewinnen – Zugangspräferenz Schwächen über Stellgrößen ausgleichen (Gruppe I- V)
8.1.8 Wenn nur ein Zugang möglich wäre (Gruppe I-V)
8.1.9 Kombination der Nennungen: Fragebogenitem Sicherheit über mentale Einstellung gewinnen – Schwäche Partikel/Floskeln und/oder Tempo/Pausen (Gruppe I-V)
8.2 Diskussion der Ergebnisse Gruppe VI
8.2.1 Optimierungszugang: Schwächen über Stellgrößen ausgleichen (Gruppe VI)
8.2.2 Selbstbild-Fremdbildableich: Schwächen über Stellgrößen ausgleichen (Gruppe VI) und Grad der Deckungsgleichheit
8.2.3 Optimierungszugang: Stärken über persönlichen Präsentationsstil ausbauen (Gruppe VI)
8.2.4 Selbstbild-Fremdbildabgleich: Stärken über persönlichen Präsentationsstil ausbauen und Grad der Deckungsgleichheit (Gruppe VI)
8.2.5 Optimierungszugang: Sicherheit über mentale Einstellung gewinnen (Gruppe VI)
8.2.6 Wenn nur ein Zugang möglich wäre (Gruppe VI)

9 Zusammenfassung und Ausblick

10 Anhang

11 Abbildungsverzeichnis

12 Literaturverzeichnis

THEORETISCHER TEIL

1 Einführung

1.1 Problemstellung

Seit der Antike haben sich unterschiedliche Methoden in der Vermittlung von Kompetenzen im Bereich Kommunikation und Rhetorik etabliert. Die Rhetorik definiert sich dabei als Erfahrungswissenschaft (Ueding 2000b, S. 7), welche bewährte Konzepte und Methoden dieser weiter vermittelt. Lange Zeit hielten sich didaktische Ansätze der frühen antiken Rhetoren, welche ihre Schüler anhielten ihre Redeleistung durch Nachahmung von Vorbildern zu optimieren. Nach Einbruch der Rhetorik im 19. Jahrhundert und ihrer Renaissance im 20. Jahrhundert wird nun stärker an der Person des Redners selbst gearbeitet, als sich an Vorbildern zu orientieren. Die individuelle Persönlichkeit des Redners soll in der Rede unterstützend wirken und im Optimierungsprozess der Redeleistung beachtet werden. Die Didaktik der Rhetoriklehre hat sich damit von einer sehr starren Form der Nachahmung von Vorbildern zu einer sehr offenen, freien Form entwickelt, indem der individuelle Ausdruck des Redners mit Hilfe der Analyse von Stärken und Schwächen sowie neue Methoden der Mentaltechniken unterstützend wirken, welche zum Optimierungsprozess der Redeleistung einen wesentlichen Beitrag leisten. Die Form der Nachahmung eines Vorbilds der Rednerschulung wurde Jahrhunderte lang in Anlehnung an die Theorien und pädagogischen Ansätze der antiken Rhetoren gelehrt. Die konkrete Arbeit mit den individuellen Stärken und Schwächen kann nur auf einige Jahrzehnte zurückblicken. Es stellt sich nun die Frage, wie die die Arbeit an den Stärken und Schwächen sowie die Arbeit mit Mentaltechniken von Seminarteilnehmern empfunden werden, wo ihre Präferenzen bezüglich des Optimierungszugangs (Stärken stärken, Schwä- chen schwächen oder Zugang über die mentale Einstellung) liegen, und ob Stärken und Schwächen im Selbstbild mit dem Fremdbild übereinstimmen. Ferner gestaltet sich die Frage interessant, inwiefern sich oben genannte Aspekte nach Geschlecht getrennt hin unterscheiden oder an welchen Schnittstellen es Gemeinsamkeiten gibt.

1.2 Zielsetzung

Ziel der vorliegenden Arbeit ist es im ersten Schritt einen groben Überblick über die historische Entwicklung der Rhetorik, speziell in der Rhetorikschulung, was Inhalte, Methodik und Schlungsorte angeht, zu bieten, um daraufhin Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Schulung von moderner Rhetorik und Rhetorik der letzten Jahrhunderte bis zurück in die Antike erkennen zu können. Dieser Bestandteil soll Basis der Arbeit sein, um ein Verständnis für die Weiterentwicklung in Methodik und Didaktik der Rhetorikschulung generieren und so Unterschiede aufzeigen zu können. Im Anschluss daran soll die Erläuterung der drei Ausdrucksebenen – verbal, paraverbal und nonverbal – als wesentlicher Bestandteil des Optimierungsprozesses der Redeleistung definiert werden, woraufhin die drei Optimierungszugänge ausführlich dargestellt werden. Eine Betrachtung des derzeitigen Standes der Gender-Forschung im Kontext Kommunikation soll für die Untersuchung, welche nach Geschlecht getrennt ausgewertet wurde, unterstützend wirken.

Auf der Basis dieser theoretischen Grundlagen soll mit Hilfe eines erstellten Fragebogens sowie einer Videoanalyse das Optimierungsverhalten von Teilnehmern eines Präsentationstrainings mit Powerpoint untersucht werden. Hierzu werden selbst identifizierte Schwächen und Stärken im Fragebogen mit beobachtetem Verhalten aus einer Videoanalyse abgeglichen, um eine Aussage zu Selbstund Fremdbild im Optimierungsprozess seitens der Teilnehmer zu erhalten. Ferner wird mit Unterstützung des Fragebogens eruiert, welcher Optimierungszugang seitens der Teilnehmer präferiert wird. Die Daten werden jeweils nach Geschlecht getrennt ausgewertet, welche Aussage über geschlechtstypisches bzw. geschlechtsspezifisches Verhalten im Optimierungsprozess der Redeleistung geben sollen.

1.3 Aufbau der Arbeit

Das erste Kapitel beinhaltet eine kurze Hinführung zum Thema, indem Problemstellung und Zielsetzung beschrieben werden. Im Anschluss daran folgen Aufbau der Arbeit sowie Abgrenzung des Untersuchungsgegenstandes. Das zweite Kapitel gibt einen historischen Überblick über Methoden, Inhalte, Didaktik und Schulungsorte der Rhetorik von der Antike bis zur Gegenwart, welcher Basis für ein einheitliches Verständnis für die Entwicklung und die Arten unterschiedlicher didaktischer und methodischer Ansätze in Schulungskontexten der Rhetorik bieten soll. Im dritten Kapitel wird näher auf die Methodik des Optimierungsprozesses der Redeleistung im Präsentationstraining eingegangen. Im ersten Schritt werden die drei Ausdrucksebenen verbal, paraverbal und nonverbal ausführlich erläutert, welche Basis der Stärken- sowie Schwächenanalyse im Optimierungsprozess bilden. Daraufhin wird auf die Methodik mit der Arbeit an den drei Optimierungszugängen eingegangen, indem diese detailliert beschrieben werden. Um einen Überblick über den derzeitigen Stand der Gender-Forschung im Kontext Kommunikation zu erhalten, werden in Kapitel vier die für die vorliegende Untersuchung relevante Erkenntnisse kurz umrissen. Das fünfte Kapitel umfasst die Beschreibung der methodologischen Vorgehensweise der explorativen Untersuchung zu den drei Optimierungszugängen im Präsentationstraining. Es werden Instrumente, Stichprobenkonstruktion die Beschreibung der Untersuchungsdurchführung erläutert. In Kapitel sechs werden die Ergebnisse der Gruppen I bis V hinsichtlich quantitativer Erhebung durch Fragebogen und qualitativer Erhebung durch Videoanalyse festgehalten und gegenübergestellt werden. Die Auswertung der Untersuchung wird nach einer Gesamtbetrachtung nach Geschlecht getrennt ausgewertet. Ebenso wird im siebten Kapitel mit den Ergebnissen der Gruppe VI verfahren, welches eine detaillierte Beschreibung enthält. Im achten Kapitel werden die Ergebnisse der Untersuchung diskutiert und zusammenfassend in sich aus den Untersuchungsergebnissen entstehenden Thesen dargestellt, welche Anstoß für weitere Untersuchungen geben sollen.

1.4 Abgrenzung des Untersuchungsgegenstandes

In vorliegender Arbeit bilden den Untersuchungsgegenstand das Optimierungsverhalten von Teilnehmern in Kommunikationsund Präsentationstrainings. Diese Teilnehmer sind alle Angestellte eines bayerischen Versicherungsunternehmens1 und haben sich bereit erklärt, Fragebögen zu bearbeiten sowie Videomaterial für die Untersuchung zur Verfügung zu stellen. In der Beschreibung der Teilnehmer und anderer Personen, wird zu Gunsten der Lesbarkeit, die männliche Form verwendet, während jedoch weibliche Personen nicht ausgeschlossen sind. Der Begriff Rhetorik wird im Folgenden vor allem in Kontext der Rede verwendet. Schriftsprachliche Komponenten werden weitgehend außer Acht gelassen. Im Mittelpunkt steht die Rhetorik als Lehre der Rede und des Dialogs. Seminar und Training werden dabei Synonym verwendet.

2 Historischer Überblick: Rhetorikschulung von der Antike bis heute

Die Rhetorik ist eine der ältesten Wissenschaften der Welt und doch gewinnt sie erst seit wenigen Jahren erneut mehr und mehr Ansehen sowie Relevanz unterschiedlicher Lebensbereiche. In der Antike gelang es den bedeutendsten Rhetoren, wie Platon, Aristoteles, Cicero und Quintilian die „[…] Redekunst zu einem umfassenden humanistischen Bildungssystem [zu] erweitern, das neben der Philosophie zu dem wichtigsten, differenziertesten und wirkungsmächtigsten der europäischen Kulturgeschichte wurde, bis es gegen Ende des 18. Jahrhunderts seine Geltung scheinbar unaufhaltsam einzubüßen begann“.

(Ueding / Steinbrink 1994, S. 1)

Danach erfuhr die Rhetorik einen Einbruch. Im 17. und 18. Jahrhundert entwickelte sich die Rhetorik in Nischen weiter, bis im 20. Jahrhundert ihre Relevanz und Wichtigkeit wieder entdeckt, ausgebaut wurde und für aktuelle Bedürfnisse, wie wirtschaftliche Verbindungen, neue Medien, Reisen, Kommunikationsmedien sowie Globalisierung (Wiersing 2004, S. 121), eingesetzt wird, wodurch die Rhetorik in unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen, wie in der Psychologie, Psycholinguistik, Soziologie, in den Wirtschaftswissenschaften und auch in der Pädagogik, Raum gefunden hat.2

Im schulischen Kontext konnte die Rhetorik bis heute jedoch nicht wirklich Fuß fassen:

„[…] die Rhetorik [ist] seit dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts in Deutschland – und weniger stark im europäischen Ausland – einer harten Kritik und Ablehnung ausgesetzt […], sie sich im Gymnasium des 19. Jahrhunderts zum Zwecke der Einführung in die literarische Rhetorik zwar noch teilweise als Fach erhält, im 20. Jahrhundert aber ganz aus dem Lehrplan der allgemeinbildenden Fächer herausfällt.“ (Wiersing 2004, S. 117)

Indirekt konnte sich die Rhetorik in der Methodik der Vermittlung im Lehrsystem halten: Vorträge bilden das Grundelement des Unterrichts an Schule und Universität, was die Rhetorik zumindest indirekt im schulischen Kontext erhält. (Wiersing 2004, S. 118)

Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die Rhetorik ausgehend von der Hochzeit in der Antike einen stetigen Relevanzund Wertigkeitsabfall in der allgemeinen Schulung erleben musste, bis sie seit dem letzten Jahrhundert wieder mehr Ansehen erfährt. Die Rhetorik hatte Relevanz, sowohl in der Schulung der Rede und des Vortrags als auch in schriftlichen Belangen, je nach Epoche mit unterschiedlicher Gewichtung. Die Rhetorik hatte in den Anfängen – in der Antike – ihren Platz in der Schulung des Redens, woraufhin sie sich in den darauf folgenden Epochen vielmehr in die Schriftsprachlichkeit zurückzog – „An den Universitäten verlor sie ihr angestammtes Heimatrecht; an den Schulen verkümmerte sie zur Stilistik. Die Möglichkeiten ihrer öffentlichen Wirksamkeit wurden nur noch selten reflektiert.“ (Plett 1993, S. 1) –, um im 20. Jahrhundert wieder in ihren ursprünglichen Tätigkeitsbereich des Sprechens zurückzukehren: Es fand grob zeitlich gesehen ein Wandel von einer Rhetorik der Rede zu einer Rhetorik des Schreibens und wiederum zu einer Rhetorik der Rede statt.

Bei der Rhetorik handelt es sich um eine wissenschaftliche Disziplin, welche die sprachlichen Vorkommnisse analysiert und Werkzeuge daraus generiert. Jedoch verfügt die Redekunst früher wie heute über keinen festen Regelkanon, welcher bestimmte Techniken vorschreibt, sondern ist immer frei interpretierbar und die Anwendung vom Redner selbst abhängig.

„Die rhetorische Methode schließlich bezeichnet das Verfahren, sämtliche Konstituenten eines Werkes aus einem sie alle übergreifenden Wirkungszusammenhang mit Hilfe des überlieferten, doch geschichtlich variabeln und offenen, also weiterzuentwickelnden Systems der Rhetorik zu erklären und diesen selber historisch jeweils unterschiedlich und nach Maßgabe aller gesellschaftlichen und kulturellen Bedingungen zu begreifen.“ (Ueding / Steinbrink 1994, S.6)

Um einen Überblick über die Inhalte, Methoden und Schulungsorte der Rhetorik in den einzelnen Epochen zu erhalten, sollen diese im Folgenden einleitend umrissen werden und so eine Basis für die darauf folgenden methodischen Ausführungen und die Untersuchung bilden.

2.1 Antike Rhetorik

Jahrhunderte vor der Geburt Christus beschäftigten sich hochintelligente, gelehrte sowie wohl angesehene Personen mit der Lehre der Rede. Ihre Wurzeln hat die Rhetorik in der Antike (etwa 500 v. Chr. - 100 n. Chr.). In der Antike drang die Rhetorik in alle Teilgebiete der Kultur ein (Calboli 1991, S. 16). Diese Hochzeit der Beredsamkeitslehre untergliedert sich grob in drei Entwicklungsstufen:

1. Die vorsokratische Zeit und die Sokraten kennzeichnen die Anfänge der Rhetorik. Diese Epoche nahm den Zeitraum des vierten und fünften Jahrhunderts ein. Die Vorsokratiker, vielmehr unter dem Namen Sophisten bekannt, beherrschten diese Anfangszeit der Rhetorik. Aus Wanderlehrern entstanden so die ersten ansässigen Rhetoriklehrer, welche eigene Schulen gründeten.3
2. Die zweite Epoche ist durch die griechischen Philosophen Platon und Aristoteles bestimmt, welche unter dem Einfluss Sokrates standen.
3. Römische Rhetoren kennzeichnen die dritte Epoche. Etwa um die Jahrtausendwende nahmen sich römische Gelehrte die griechischen Rhetorikkenntnisse zum Vorbild. Die wichtigsten Rhetoren dieser Zeit sind Cicero, welcher als Politiker fungierte, und Quintilian, welcher seinen Beruf als Rhetorikprofessor sehr ernst nahm.

Da die Erkenntnisse und Methoden der antiken Rhetorik über die Epochen hinweg bis heute relevant sind und auch immer noch Anwendung finden sowie die Basis jeder epochalen Rhetoriklehre bilden, sollen diese im Folgenden ausführlich dargestellt werden.

2.1.1 Erste antike Rhetorik-Epoche: Die Gründer der Rhetorik – Die Sophisten

Die Epoche um etwa 500 v. Chr. war für das Land Griechenland von großer Bedeutung: Fremde Länder wurden bereist, der Handel expandierte, andere Tugenden, Gebräuche, Sitten, etc. konnten zum ersten mal wahrgenommen werden und ließen so eine kritische Perspektive auf die eigenen Göttergeschichten zu. Eine wachsende Rationalität und plausible Aufklä- rungsversuche dominierten diese Umbruchszeit.

Der politische Umbruch gestaltete sich insofern, dass in Athen und Sizilien die Tyrannenherrschaft keinen Platz mehr fand und abgeschafft wurde. Ein neues Gesetzesverständnis entstand (Ueding 2000a, S. 14). Volksversammlungen gaben so den Bürgern4 dieses neu geordneten Landes die Möglichkeit, Entscheidungen zu beeinflussen. So mussten Privatpersonen ihre Anliegen selbst vor Gericht tragen oder sie mussten Frauen, Unmündige, Kinder oder Ausländer, welche der Sprache des Landes nicht mächtig waren, in Rechtsangelegenheiten vertreten. Nicht Juristen entschieden über ein Urteil, sondern bürgerliche Personen in der Volksversammlung. Daher war es für den Vortragenden von erheblicher Bedeutung, die Kunst der Rede und des Argumentierens zu beherrschen, um seinen Zuhörer zu überzeugen (Ockel 1991, S. 364; Baumhauer 1986, S. 101). Daraus entstand der Beruf des Logographen/Gerichtschreibers, welcher die Gerichtsrede mit geeigneten Mitteln der Überzeugung aufsetzte oder als Privatlehrer Privatunterricht gegen Honorar erteilte (Baumhauer 1986, S. 108; Ockel 1991, S. 364).

In dieser Umbruchszeit entwickelte sich die Rhetorik. Erfahrung mit Argumentation, Angemessenheit von Sprache und Sache, sowie Gliederung eines Vortrags bildeten die Grundbelange des Bürgers, welcher sich vor Gericht zu behaupten hatte (Ockel 1991, S. 364). Es war vor allem in Volksversammlungen und in überaus großem Maße vor Gericht von Bedeutung, ein guter Redner zu sein, um die Zuhörer zu überzeugen und so weitere Maßnahmen eines Vorgangs/Prozesses zu beeinflussen (Kegel / Kipfelsberger 2005, S. 2; 11). „Beredsamkeit in öffentlicher Rede als Form individueller kommunikativer Kompetenz wurde mit der Entwicklung der Demokratie in Athen für jeden Bürger zur lebensnotwendigen Kulturtechnik: […]“ (Baumhauer 1986, S. 109).

Diese Zeit, die Epoche der „Aufklärung der Antike“ um etwa 500 v. Chr., ist geprägt vom Rationalismus, welcher die damaligen durch Götterbilder beherrschten Vorstellungen kritisch hinterfragte. Es folgte ein Übergang vom „Gegebenen“, dem Göttlichen, zum „Erlernbaren“, den Methoden die Welt zu erklären und zu begreifen. Plötzlich hatten Wissenschaften neben der Religion in der Gesellschaft einen Platz. (Kegel / Kipfelsberger 2005, S. 12)

Die erste Epoche der Entwicklung der Rhetorik, war von den Sophisten (griech.: sophistes = der Weisheitsbringer) geprägt, welche auch oft unter dem Begriff „Vorsokratiker“5 geführt werden.

2.1.1.1 Methodik und Inhalte der sophistischen Rhetoriklehre

Die Sophisten, sahen sich als Philosophen und Rhetoren, wobei sie beide Bereiche strikt voneinander trennten: Die Philosophie bildete den theoretischen Teil der Beredsamkeit, während die Rhetorik für die praktische Redeleistung stand. Die Anweisungen für die Redekunst wurden zu jener Zeit vor allem aus Musterreden gezogen, welche beobachtet, gelesen oder vorgelesen wurden. Durch Lesen und Nachahmen dieser Musterreden wurde den Schülern das rhetorische Wissen theoretisch vermittelt und praktisch eingeübt (Kegel / Kipfelsberger 2005, S. 11-13). Das Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler war durch die Rollen Meister und Lehrling definiert: Der Schüler hatte sich am Vorbild des Lehrers zu orientieren, individuelle Fertigkeiten des Schülers wurden dabei in den Hintergrund gedrängt. Schulungsinhalte der sophistischen Lehre waren:

„[…] die Vermittlung der Fülle der Wissensgegenstände und der Werte, die Übung in den gegensätzlichen meinungshaften Perspektiven auf die Probleme und Sachen, die systematisch geprobten Kontroversreden und dialektischen Beratungssituationen und schließlich die kritische Methode, jede Situation, jedes Problem auf die Interessen zurückzuführen, welche die Menschen in ihrer Lebenswelt praktisch bewegen.“ (Ueding 2000a, S. 22)

Gutes Sprechen war für die Sophisten der „Höhepunkt und Ausweis menschlicher Bildung“ (Ueding 2000a, S. 19), womit sowohl Sprachdenken und -handeln gemeint ist. Rhetorische Fähigkeiten und die Kompetenz gut zu sprechen waren somit gleichbedeutend mit fundierter Bildung.

Die Sophisten unterschieden zwischen politischen Reden, Plädoyers vor Gericht und Festreden (epideiktische Rede), wobei die Lehre ihrer Rhetorik von gerichtlichen Situationen geprägt war. Ihre Reden zeichneten sich durch Subjektivität aus und wurden nach dem Grundsatz gelehrt, dass Rhetorik als Kunst des Streitens zu sehen sei und als Ziel den eigenen Nutzen habe. (Ueding / Steinbrink 1994, S. 13-16)

Korax6 und Teisias (500 v. Chr.), beide Sizilianer, waren zwei der Ersten welche sich theoretisch mit dem Überzeugungsgehalt einer Rede auseinandersetzten. Die Rhetorik hat damit ihre Wurzeln in Süditalien, genauer in Sizilien (Baumhauer 1986, S. 95). Der Wandel von einer Tyrannenherrschaft zur Demokratie, in welcher plötzlich das Volk sprechen durfte, gab der Rhetorik fruchtbaren Boden, um sich zu entwickeln. Plötzlich war es für die Bürger notwendig, selbst vor Gericht überzeugend sprechen zu können. Diese Fähigkeit konnte folgenschwere Auswirkungen auf das Urteil haben. Die Bürger standen also vor dem Problem, sich selbst vor Gericht sprachlich überzeugend darzustellen. Die Rhetorik hatte für dieses Problem die Lösung, indem sie in ihrer Lehre Mittel der Überzeugung beinhaltete. So konnte die Rhetorik, aufgrund der neuen sprachlichen Bedürfnisse der Bürger, einen breiten Raum im Bildungssegment einnehmen. Aus diesem Grund waren die ersten rhetorischen Theorien stark vom Kontext Gericht beeinflusst. Aus dieser Frühzeit der Rhetorik sind jedoch keine systematischen Methoden bekannt. (Kegel / Kipfelsberger 2005, S. 14; 17)

Gorgias von Leontini (ca. 480-380 v. Chr.) war der bekannteste Vertreter aus den Reihen der Sophisten, welcher aus der Schule von Korax und Teisias, eine der ersten Schulen, stammte (Baumhauer 1986, S. 96). Er kam an der Spitze einer Gesandtschaft nach Athen, wo neue Entscheidungsund Beratungsinstitutionen entstanden waren, welche den Bürgern eine neue Form der Beredsamkeit mit dem Schwerpunkt der Argumentation abforderte (Ueding 2000a, S. 17). Gorgias von Leontini entwickelte und lehrte die Kunst der doppelten Beweisführung: Ziel war es eine These argumentativ zu vertreten und im nächsten Schritt mit schlagenden Argumenten das Gegenteil zu beweisen. Als Begründer der rhetorischen Stilistik widmete er sich in großem Umfang dem Rhythmus und dem Klang der Sprache. Methoden der Rhetorik und der Verbesserung sowie Optimierung der Redekunst wurden durch Gorgias entwickelt. Er selbst lehrte und erkannte sehr früh, dass Rhetorik sowohl gut und schlecht angewendet werden kann. Daher vertrat er die Meinung in seiner Lehre, das Ziel der Rede müsse der eigene Nutzen sein, jedoch immer mit dem Grundsatz der Gerechtigkeit im Hinterkopf. (Kegel / Kipfelsberger 2005, S. 17-19)

„Das partikulare Interesse des Individuums wird in der Schule vom ‚Recht des Stärkeren’ als allgemeines, natürliches dargestellt; gesetzliches Recht ist Konvention und deshalb unverbindlich; es ist gegen die Natur, die nur das Recht des Stärkeren kennt. Die Lehre vom ‚Recht des Schwachen’ versucht den Begriff der ‚Gerechtigkeit’ vom Interesse des Stärkeren zu lösen und mit der Forderung nach der Möglichkeit der Glückseligkeit für alle zu verbinden, unter Gesetzen, die die Schwachen schützen.“ (Ueding / Steinbrink 1994, S.16)

Die Sophisten hatten sehr viele Gegner.7 Zum einen aus den Reihen der traditionellen Bürger Griechenlands, welche stets am Götterglauben festhielten und die Sophisten der Gottlosigkeit anklagten, und zum anderen, diejenigen, die Sophisten als Betrüger, Taugenichtse und Meister der Manipulation bezeichneten (Ueding 2000a, S. 17), da sie durch die Verbreitung ihres Wissens, vor allem der Kenntnisse der Rhetorik, sehr viel Geld verdienten und so die Missgunst vieler auf ihrer Seite hatten (Kegel / Kipfelsberger 2005, S. 14). Auch die damaligen Philosophen hatten selten ein gutes Wort für die Lehre der Sophisten übrig, da diese sich, ebenso wie die Dichter und Sophisten, als geistige Führer des Volkes verstanden und damit in ihren Tätigkeitsbereichen in direkter Konkurrenz zu den Sophisten standen (Baumhauer 1986, S. 105). Die Philosophen zeigten als Reaktion auf die emanzipatorische Bewegung der Sophisten im neuen demokratischen Griechenland, Ablehnung gegen die sophistische Lehre, und forderten die Zurückweisung der sophistischen Lehre, da nur durch Rückkehr zu Religion und Mythos die Polis wieder zu Heil gelangen konnte (Ueding 2000a, S. 24).

2.1.1.2 Schulungsorte der sophistischen Rhetoriklehre

Als Wanderlehrer zogen die Sophisten in den Anfängen durch Griechenland und verbreiteten die Lehre der Rhetorik, verknüpft mit umfassender Allgemeinbildung zum Nutzen des Mitspracherechts der Bürger. Korax und Teisias gründeten eine der ersten Rhetorikschulen. Beide fungierten in den Anfängen der Rhetorik selbst als Wanderlehrer8, bis sie endlich sesshaft wurden.

„Die Sophisten verstanden sich als Lehrer der Weisheit, durch sie erreichte die griechische Bildung jenen hohen Stand, von dem wir heute noch leben. Sie zogen von Polis zu Polis und unterrichteten ihre Schüler in den Wissenschaften und Künsten, machten sie zu selbstverantwortlichen Individuen und handlungsfähigen Staatsbürgern, die sich durch Analyse und Reflexion ihrer Entscheidungsgründe vergewisserten. Geleitet von dem Bewußtsein [sic], daß [sic] Praxis und Politik Felder rationaler Gestaltung sind, lehrten sie die Mittel erfolgreichen zweckbestimmten Handelns, und diese Mittel waren in erster Linie rhetorische Strategien.“ (Ueding 2000a, S. 18)

In Griechenland selbst konnten die meisten Bürger schreiben und Gymnasien wurden errichtet, so dass der Bildungsstand des griechischen Bürgers hoch anzusiedeln war (Baumhauer 1986, S. 101).

2.1.2 Zweite antike Rhetorik-Epoche Epoche: Die Philosophen Griechenlands

Platon und sein Schüler waren zwei der bedeutendsten Philosophen des antiken Griechenlands. Ihre Erkenntnisse zur Rhetorik und Methodik haben bis heute hohen Stellenwert und Gehalt. Die griechischen Rhetoren unterschieden terminologisch nicht zwischen praktischer und theoretischer Rhetorik: Praktische und theoretische Rhetorik wurde unter dem Begriff techne rhetorica zusammengefasst (Ueding 2000a, S. 12).9

2.1.2.1 Methoden und Inhalte der Rhetoriklehre der griechischen Antike

Der griechische Philosoph Platon (427-347 v. Chr.) war Kritiker der sophistischen Lehre und warf den Sophisten verantwortungslosen Umgang mit der Sprache, Subjektivität sowie Manipulation vor. Er selbst war Schüler des Sokrates und hinterließ viele schriftliche Werke10, welche mehr der philosophischen Disziplin zugeordnet werden müssen, als der Rhetorik. In dieser Epoche gab es im Gegensatz zur sophistischen Lehre keine klare Trennung zwischen Philosophie und Rhetorik. Vielmehr galt die Rhetorik als Unterdisziplin der Philosophie und hatte weniger Handlungsanweisungen als in größerem Maße Ansichten, Tugenden und Werte einer Rede oder der Person des Redners (Kegel / Kipfelsberger 2005, S. 23).

Platon entwickelte aus Redner, Hörer und Redegegenstand die drei Redegattungen juristische Rede, Beratungsrede und Festrede, welche Einfluss auf die Lehre der kommenden Epochen hatte (Ockel 1991, S. 364).

Platon forderte Objektivität und erwartete von einem guten Redner, dass dieser die Wahrheit, den Kern des Redegegenstandes erkennen müsse, bevor er mit der Ausarbeitung seiner Rede beginnt. Die Rhetorik ist somit Instrument zur Wahrheitsfindung. Hat der Redner das wahre Wesen des Wortes erkannt, so kann er dieses Wort als Werkzeug für das Sprechen und auch für Benennungen verwenden. Wobei er darauf hinwies, dass „die Wörter bloß Schein der Dinge sind, die deren a priori festgelegtes Wesen nur verzerrt nachahmen“ (Ueding / Steinbrink 1994, S.17). Wörter bezeichnen also nur die „Oberfläche“ der Dinge und nicht das eigene Wesen. In seinem Werk Phaidros beschrieb er die Lehre und die Inhalte der Rhetorik: Aufbau der Rede mit Ausdifferenzierung einzelner Redeteile, Wahrscheinlichkeitsbeweise, logos, Beweisführung, Argumentation, Stil, Stimmungen und Leidenschaften (Baumhauer 1986, S. 130). Ziel des Redners ist es, sich von der Oberflächlichkeit des Wortes abzusetzen und das wahre Wesen des Wortes zu erkennen.

Die Anforderungen an einen Redner waren nach Platon eine gute Veranlagung sowie das Erleben und Erkennen der Wahrheit einer Sachlage. Zudem forderte er einen schlüssigen und zusammenhängenden Aufbau der Rede sowie das Einstellen des Redners auf sein Publikum. Platons idealer Redner sollte Dialektiker sein (Ueding / Steinbrink 1994, S. 17ff.).

Platons Schüler Aristoteles (384-322 v. Chr.) stellt einen der bedeutendsten Philosophen seiner Zeit dar. Als 17-jähriger Waise begann er an Platons Athener Akademie seine Arbeiten und studierte und lehrte dort 20 Jahre lang – als Günstling Platons. Nach Platons Tod gründe te er eine Art „Zweigstelle“ der Athener Akademie in Myrien. Nach zwei Jahren wanderte er auf die Insel Lesbos aus, wo er mit Theoprastus, einem seiner Schüler, weitere Forschungen anlegte. Philipp von Makedonien machte ihn 343 v. Chr. zum Erzieher seines Sohnes Alexanders, welchen er vor allem in der Kunst des Regierens erzog. 335 v. Chr. konnte Aristoteles seine eigene Rhetorikschule Peripates in Athen gründen (Kegel / Kipfelsberger 2005, S. 51). Aus der Zeit, in welcher er mit Alexander arbeitete entstand sein Werk Rhetorica ad Alexandrum, welches als Lehrbuch für den Unterricht von ihm geschrieben wurde (Ueding 2000a, S. 29). Seine Lehre an Platons Akademie unterstützte er durch ein Manuskript, das er im Unterricht benutzte (Ueding 2000a, S. 30).

Aristoteles’ Verständnis der Funktion von Rhetorik definiert sich folgendermaßen:

„Aristoteles bemerkt […], es gehe der Rhetorik um die Beratung, ergänzen darf man, es ging in all den Erscheinungen, die vom Wort geleitet waren, um eine Beratung der öffentlichen und privaten Angelegenheiten.“ (Helmer 2004, S. 11)

Aristoteles’ Arbeitsweise war empirisch. Philosophieren heißt bei ihm wissenschaftlich tätig zu sein und Ableitungen aus Beobachtungen des Alltagsgeschehens zu ziehen. Er wendet sich mehr und mehr dem Wesen der Philosophie und dem Götterglauben ab und beschäftigt sich vielmehr mit empirischen Ansätzen. Im Gegensatz zu Platon „verlegt er das Wesen der Dinge in die Dinge selbst, er holt den ‚Himmel der Ideen’ auf die Erde zurück“ (Ueding / Steinbrink 1994, S. 23). Er geht von der Form und Stofflichkeit der Dinge aus und versucht die innewohnenden Wahrscheinlichkeiten offen zu legen. Durch die wissenschaftliche Beweisbarkeit wollte Aristoteles seinen Wissenschaften eine fundierte Basis bieten und wenig Angriffsflä- che für Kritiken geben (Kegel / Kipfelsberger 2005, S. 53).

Im Gegensatz zu Platon ging Aristoteles davon aus, dass das Wesen der Dinge nicht im Göttlichen begründet sei, sondern irdischen Charakter besitze. So ging er nicht von der Wahrheit der Dinge aus, sondern von der Wahrscheinlichkeit (Kegel / Kipfelsberger 2005, S. 67).

Er legt in seiner Rhetoriklehre, aufgrund seiner Theorie der Wahrscheinlichkeiten (Ueding 2000a, S. 30), großen Wert auf Dialektik. Sein idealer Redner ist daher Dialektiker. Ähnlich wie die Sophisten betonte er, dass nicht nur eine logische Aufeinanderfolge von Argumenten für Erfolg wichtig sei, sondern noch mehr die emotionale Darstellung der Redeinhalte, welche sich in Ethos und Pathos wiederfinden. Ethos ist die überzeugende Darstellung der eigenen Person und Pathos stellt die Affekterregung beim Publikum dar. Das Hauptziel einer Rede ist daher, das Publikum zu überzeugen und nicht zu überreden (Ueding 2000a, S. 36-37). Er geht von der Trias Redner – Sache – Hörer aus, welche psychologische Untersuchungen und Erkenntnisse notwendig für die Lehre der Rhetorik machten. Seine Lehre der Rhetorik ist daher immer noch sehr aktuell: Aristoteles geht nicht nur von der Bildung des Redners aus, sondern bezieht das Publikum und die Inhalte der Rede in seine rhetorischen und auch psychologischen Untersuchungen mit ein. Ziel der Rhetorik ist es, dem Redner Mittel an die Hand zu geben, mit welchen er in der Lage ist, sein Publikum zu überzeugen. Aufgabe des Redners ist es jedoch nur in zweiter Linie zu überzeugen. Um zu überzeugen, forderte Aristoteles den Einsatz von Affekten, um wiederum Affekte beim Publikum hervorzurufen, denn nur so kann seiner Meinung nach, ein Publikum überzeugt werden (Kegel / Kipfelsberger 2005, S. 68-72). Aristoteles Rhetorikansatz ist von einer starken Hörerorientierung geprägt: Er ging davon aus, dass eine Rede immer für ein bestimmtes Publikum konzipiert sei, welches in der Vorbereitung der Rede analysiert und die jeweiligen Eigenschaften des Publikums mit einbezogen werden sollen. Er unterschied zwischen arm und reich, alt und jung und wies darauf hin, dass die Rede je nach soziodemographischer Zusammensetzung des Publikums dementsprechend unterschiedlich gestaltet werden muss (Kegel / Kipfelsberger 2005, S. 69-70).

In der Bildung eines guten Redners berücksichtigte Aristoteles stimmliche und körperliche Aspekte, wobei der verbale Ausdruck eines Redners stets dominant ist (Kegel / Kipfelsberger 2005, S. 78; 88). Dieser moderne Ansatz der Berücksichtigung der Parameter des Sprechens hat bis heute in der Schulung der Rhetorik hohes Gewicht und bildet die Voraussetzung für gutes und überzeugendes Sprechen.

Seine dialektischen und psychologischen Erkenntnisse der Rhetorik sowie moralische Vorstellungen fasste Aristoteles in seinem Werk Rhetorik zusammen, welches als Lehrschrift seiner Schüler galt und bis heute nicht an Wichtigkeit und Ansehen verloren hat.

Aristoteles Buch Rhetorik lässt keine Ansätze seines Lehrverhaltens klar erkennen. Es ist vielmehr als Theorie-Werk zu betrachten (Ueding 2000a, S. 30). Aus seinen biografischen Daten kann zum pädagogischen Aspekt folgendes abgelesen werden: Aristoteles lernte und lehrte an der Athener Akademie und gründete später selbst eine Schule. Die Lehrer waren in diesen Schulen angewiesen, ihren Wissensschatz als erfahrener Redner weiterzugeben. Gro- ßen Wert wurde auf eine gute Allgemeinbildung und einen Überblick über andere Wissenschaften gelegt. Auch ein moralisch reiner Charakter war essentiell für einen guten Redner. Über die Methodik ist nahezu nichts bekannt. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass die Schüler sehr viel Wissen über Bücher, wie Aristoteles’ Rhetorik, vermittelt bekommen haben, Musterreden gelehrt wurden und zur Nachahmung angeleitet wurden (Kegel / Kipfelsberger 2005, S. 87-89).

Aus der Epoche der griechischen Philosophen und der Epoche der Sophisten verfügt die heutige Wissenschaft über sehr viele überlieferte Werke. Aus der darauf folgenden Zeit des Hellenismus (bis 100 v. Chr.) kann auf kein einziges schriftliches Werk der Rhetorik zurückgegriffen werden.

In den folgenden Jahren musste die Lehre der Rhetorik mit Einbußen zurecht kommen: Philipp von Makedonien siegte über Athen und Demokratie sowie die Volksversammlungen in den Poleis verschwanden aus dem griechischem System. Nach der Auflösung der griechischen Stadtstaaten hatte die Rhetorik keinen Platz mehr in der Öffentlichkeit und verlor ihre Existenzberechtigung, wurde von der praktischen Politik getrennt, hielt sich jedoch im Rahmen von Schulen und war wesentlicher Bestandteil der griechischen Allgemeinbildung (Clarke 1968, S. 16).

Hermagoras von Temnos systematisierte zur Zeit des Hellenismus um etwa 150 v. Chr. die Redekunst vor Gericht in Form der Statuslehre. Er traf Unterscheidungen zwischen Thesen (infinite Fragen) und Hypothesen (finite Fragen). Thesen in Form allgemeiner und abstrakter Art (philosophische Fragestellungen) zogen immer Hypothesen mit konkretem Inhalt mit sich, so seine Theorie. Durch die Statuslehre sollten Fälle vor Gericht systematisiert und die Bestimmung des jeweiligen Streitpunktes erleichtert werden. Der Redner sollte dadurch Hilfestellung zur Zielrichtung und Strategie seiner Argumentationen erhalten. Die Statuslehre hat bis heute ihre Spuren im juristischen Denken hinterlassen (Ueding / Steinbrink 1994, S. 28- 29).

2.1.2.2 Schulungsorte der Rhetoriklehre in der griechischen Antike

Die Schulungsorte der Rhetorik waren in der griechischen Antike eigens für die Lehre der Rhetorik errichtete Schulen. Das Modell des Wanderlehrers war verschwunden und eigene Organisationen und Komplexe entstanden, welche die Rhetoriklehre durch Lehrer wie Platon und Aristoteles weitergaben. Rund ums Mittelmeer entwickelten sich Rednerschulen, welche miteinander in Konkurrenz standen und nach dem Modell privater Schulen mit Tutorenprinzip der athenischen Privatlehrer die Kenntnisse der Rhetorik weitergaben. Schwerpunkte in der Ausbildung bildete inventio und elocutio, welche an Phantasiethemen geübt wurden und mit denen unter den Schülern Wettbewerbe durchgeführt wurden (Ockel 1991, S. 365). Im Hellenismus hingegen verschwand die Eigenständigkeit der Rhetorik als eigene Disziplin. Die Rhetorik wurde zur Erziehung genutzt. Ziel war es, den Schülern einer Schule durch die Rhetorik Bürgertugenden beizubringen (Schulte 1935, S. 42). In dieser Zeit, in welcher die Rhetorik nur innerhalb der Schulbildung gelehrt und zur Allgemeinbildung gezählt wurde, war es Bedingung, dass die Schüler in Folge des Erlernens der Grammatik, Sprache, Literatur und Kenntnisse der Rhetorik lernten. Die Rhetorik fand keine praktische politische Anwendung mehr, sondern existierte lediglich in theoretischen Techniken weiter und ohne Beachtung der Wirkungsformen der Redekunst (Ueding / Steinbrink 1994, S.28).

2.1.3 Dritte antike Rhetorik-Epoche: Römische Rhetorik

Viele Gelehrte Athens flohen nach der Besetzung Philipps von Makedonien nach Rom, wo stets Demokratie herrschte. So konnten philosophische sowie rhetorische Erkenntnisse der Griechen, den Römern überliefert werden und sich auf demokratischen römischen Boden weiterentwickeln, wo sich Rom vom Stadtstaat zum großen römischen Reich ausweitete. In A- then waren die Entscheidungsträger die Volksversammlungen, in Rom hingegen waren es Senat und Volk, welche die Weiterentwicklung des Staates beeinflussten (Kegel / Kipfelsberger 2005, S. 92-93; Ueding 2000a, S. 38).

„Die Römer nehmen [die Rhetorikausbildung] zu einer Zeit auf, wo die Auseinandersetzung zwischen den Bevölkerungsschichten in Rom zu ständigen Machtwechseln führt und jeder ehrgeizige Römer infolgedessen rhetorische Bildung für seine Karriere braucht. Ihre Pflichtethik verbindet jedoch wieder praktische Philosophie mit Redekunst: Der Redner müsse Kenntnisse haben, und seine Glaubwürdigkeit hänge von seiner Moral ab.“ (Ockel 1991, S. 365)

Vor allem in der Politik, wie bei Ansprachen vor dem Senat, fand die Rhetorik einen großen Anwendungsbereich.11 In der römischen Rhetoriklehre fand eine Differenzierung zwischen praktischer und theoretischer Rhetorik statt: rhetorica bezeichnet die rhetorischen Theorie und oratoria (eloquentia) die Beredsamkeit (Ueding 2000a, S. 12).

2.1.3.1 Methodik und Inhalte der Rhetoriklehre der römischen Antike

Die beiden wohl bekanntesten Rhetoren des römischen Reiches waren Cicero (106-43 v. Chr.) und Quintilian (ca. 35-100 n. Chr.). Beide waren als hervorragende Redner und angesehene Lehrer bekannt. Ciceros Rhetorik war sehr von den Anforderungen der Politik geprägt und unterschied zwischen praktischer und nichtpraktischer Rhetorik. Die praktische Rhetorik bezog sich auf die gesprochene Rede an sich, während die nichtpraktische Rhetorik philosophische Reden in schriftlicher Form darstellte. Eines seiner ersten Lehrbücher war De inventione. Ciceros Rhetoriklehre ging von einer jahrlangen systematisch aufgebauten und anspruchsvollen Ausbildung des Schülers aus. Er forderte sowohl ausführliche theoretische Kenntnisse sowie praktische Übungen, verbunden mit sehr viel Fleiß und Motivation. Gute Lehrer sollten die Entwicklung eines Rhetorikschülers unterstützen. Das Idealbild eines Redners nach Cicero war auf ein unerreichbares Niveau gestellt – der orator perfectus –, was somit lebenslanges Lernen und Weiterbildung für den Redner zur Folge hatte. Er vertrat in seinem Werk De oratore, welches ein umfassendes Bildungsprogramm beinhaltete (Koch 2004, S. 61), die Ansicht, dass ein guter Redner in erster Linie über natürliche Begabung (klangvolle Stimme, Ausstrahlung, Körpergröße, etc.) und Allgemeinbildung verfügen sollte, um überzeugende Reden halten zu können. Sind diese Voraussetzungen gegeben, gilt es für den angehenden Redner sich in weitem Maße weiterzubilden, wie im Bereich der Gesetze, des Staatswesens, der Naturwissenschaften, der Philosophie, der Dialektik, der Ethik und der Geschichte, welche ihm einen großen Fundus an Beispielen gibt (Cicero / Merklin 2003, S. 69). Der Redner im Gesamtbild soll also Kenntnisse der Bedürfnisse der Bürger und der menschlichen Gepflogenheiten haben, das normale Leben, die Politik und die Gesellschaft sowie über allgemeine Kenntnisse, über die Natur und dem Wesen des Menschen, sowie deren Relationen und Verknüpfungen verfügen (Cicero / Merklin 2003, S. 245). Cicero vertrat die Meinung, dass die Rhetorik als Universalkompetenz allen anderen Fähigkeiten übergestellt sei und in ihr alle wissenschaftlichen Errungenschaften entspringen. Ciceros eklektische wissenschaftliche Arbeitsweise bestand darin, alle für die Redekunst wichtigen Aspekte aus den anderen Wissenschaften zu ziehen (vgl. Ueding / Steinbrink 1994).

Inhaltlich gliederte Cicero die Redekunst in fünf Aspekte: die Stoffsammlung (inventio), die Anordnung des Stoffes (dispositio), die eindrucksvolle Formulierung (elocutio), das Einprä- gen (memoria) und der Vortrag (actio). Von seinen Schülern forderte er eine genaue Kenntnis dieser fünf Aspekte, welche in Verbindung von Praxisübungen einstudiert wurden (Ottmers 1996, S. 50ff.).

Er erwartete einen tugendhaften verantwortungsbewussten und ehrenhaften Redner: den vir bonus. Um dies zu erreichen und sittsam sowie tugendhaft zu handeln, war es notwendig, Kenntnisse der Philosophie zu besitzen (Kegel / Kipfelsberger 2005, S. 111). Er nahm hier in der Arbeit am vir bonus eine Dreiteilung der Philosophie vor: „[…] so wollen wir, da sich die Philosophie in drei Teile gliedert – Erforschung des geheimen Wesens der Natur, die feine Kunst der Dialektik und die Lehre von der Lebensführung und den Sitten –, die beiden ersteren beiseite lassen und das unserer Bequemlichkeit zugute halten; doch was den dritten Teil betrifft, für den Redner stets zuständig war, so lassen wir dem Redner, wenn wir nicht an ihm festhalten, kein Feld übrig, auf dem er seine Größe zeigen kann.“ (Cicero / Merklin 2003, S. 81)

Obwohl sich der Redner Kenntnisse in sämtlichen Bereichen aneignen solle, muss dieser nicht allwissend sein. Es sei ihm gestattet Experten zu bestimmten Fachbereichen zu Rate zu ziehen, jedoch solle er in der Lage sein jederzeit über ein Thema souverän sprechen zu können. Cicero forderte die induktive Vorgehensweise: Der Redner muss in der Lage sein, spezielle Fälle zu allgemeinen Fällen umzuformen (vgl. Kegel / Kipfelsberger 2005). Um dem Missbrauch der Rhetorik entgegenzuwirken, forderte Cicero Kenntnisse der Philosophie, da er die Meinung vertrat, dass bei Nichtkenntnis der Philosophie und Kenntnis rhetorischer Techniken, schlechte Sachverhalte als besser dargestellt werden können (Ueding / Steinbrink 1994, S. 31-36).

Als bedeutende Methodik der Rednerschulung galt es die objektive Argumentationsfähigkeit durch Diskussionen aus verschiedenen Perspektiven zu fördern, um damit das Publikum zu überzeugen. Nach Cicero war es Ziel einer Rede zu bewegen (lat. movere) und zu lehren (lat. docere). Um dies zu erreichen, war es für den Redner essentiell, Grundkenntnisse der Ethik zu beachten und die rhetorischen Mittel, welche er in der Rhetorikschule erlernt hatte, zu beherrschen und sinnvoll einzusetzen. Zu diesen rhetorischen Mitteln zählten die Stile der Rede: schlicht, gemäßigt und stürmisch. Diese galt es dem Redeziel gemäß sinnvoll zu verwenden.

Cicero legte überaus großen Wert auf regelmäßige praktische Übung in der Rednerschulung, neben den theoretischen Rhetorikkenntnissen. Die Beschäftigung mit Vorbildern und deren Texten solle die textliche Modellierung schulen (Rezitieren, Paraphrasieren, Auswendiglernen, Verfassen von Texten). Auch besteht wie bei seinen Vorgängern ein Meister-Lehrling- Verhältnis in der Rednerschulung. Neben der regelmäßigen praktischen Übung in Form von Stegreifreden, Übungsreden und Zufallsreden, schien es Cicero wichtig, besonders gute Redner nachzuahmen – nach dem orator-perfectus-Ideal – und sich als Ziel zu setzen, diese zu übertreffen (Cicero / Merklin 2003, S. 125). Cicero unterschied in seiner Lehre zwischen verbaler und nonverbaler Kommunikation. Verbale Aspekte sollten die Regung des Gemüts, die dem Redeinhalt innewohnenden Emotionen sowie die Emotionen beim Publikum hervorrufen. Die nonverbale Kommunikation galt der Vermittlung des Inhalts und der Redeintention durch Mimik und Gestik. Vor allem durch die Stimme wurden Emotionen – Jähzorn, Jammer, Trauer, Kraft – ausgedrückt. Die Gestik sieht Cicero als sprechbegleitend, sie strukturiert und akzentuiert den Vortrag. Die Mimik ist jedoch der wichtigste Teil, da sich in ihr die Emotionen des Redners unverfälscht widerspiegeln. Vor allem die Augen sind die Träger der Wahrheit (Kegel / Kipfelsberger 2005, S. 136-139).

„Es sind die Augen, durch deren bald gestrengen, bald gelassen, bald finsteren, bald heiteren Ausdruck wir unsere Empfindungen je nach dem Stil der Rede zu erkennen geben. Der Vortrag ist ja gleichsam die Sprache unseres Körpers, und umso mehr muß [sic] er dem Geist entsprechen. Die Augen aber hat uns die Natur gegeben wie dem Pferd oder dem Löwen Mähne, Schweif und Ohren, damit wir unsere Empfindungen zum Ausdruck bringen können.“ (Cicero / Merlin 2003, S. 587)

Von den Rhetoriklehrern forderte Cicero das Bewusstsein, dass Schüler unterschiedlich sind und vor allem unterschiedlich begabt sind. Es stand in der Verantwortung des Lehrers, den Schüler über seine Begabung aufzuklären und ihm Vorschläge, jedoch keine Befehle, für das weitere Schulungsvorgehen und seine Weiterentwicklung als Redner zu machen. Die Ansichten und Meinungen des Lehrers sollten von den Schülern nicht einfach akzeptiert, sondern in der Gemeinschaft diskutiert werden, um Optionen sowie Lösungen zu generieren (Kegel / Kipfelsberger 2005, S. 122). Damit wurden individuelle Fähigkeiten des Redners gefördert, während er sich trotzdem noch an Vorbildern in der Arbeit an seiner Redeleistung orientieren sollte. Ciceros Ansicht des Lehrverhaltens wirkt somit sehr modern, da er den Schülern Mitsprachrecht einräumte und so die Grenzen zur Weiterentwicklung der jeweiligen Wissenschaft aufhob, indem er neue Ideen seitens der Schüler zuließ.

Quintilian (Marcus Fabius Quintilianus, ca. 35-100 n. Chr.) ist neben Cicero einer der bedeutendsten Vertreter der römischen Rhetorik. Seine Lehre hat, wie die meisten seiner Vorgänger, politischen Charakter. Die Rhetorik ist für ihn die Wissenschaft vom guten Reden und war im römischen Reich ein Mittel zur Ausbildung von Personen mit Führungsverantwortung. Für ihn war die Rhetorik die Regina Artis, die Königin aller Wissenschaften. Er war der berühmteste Rhetorikprofessor Roms und war der erste, welcher einen öffentlich besoldeten Lehrstuhl hatte. In dieser Zeit entstanden zwölf Bücher zum Thema „Ausbildung des Redners“, welche auch als Grundlage für die Rhetorik im Mittelalter dienten (Kegel / Kipfelsberger 2005, S. 153; 163). Eines seiner Ziele war, dem Verfall der Sitten entgegenzuwirken, welchen er unter anderen Ursprungsorten in den Schulen sah. Daraus entwickelte sich sein stark pädagogisch geprägtes Rhetorik-Lehrwerk (Ueding 2000a, S. 48).

In seiner Lehre knüpfte er an das Idealbild eines Redners nach Cicero an, war jedoch weniger von der Politik geprägt, da seiner Ansicht nach, die Ausbildung eines Redners bereits in der Kindheit beginnt, weil der Geist noch empfänglicher ist (Ueding 2000a, S. 50). Wie Sokrates, hat seine Auffassung der Entwicklung eines guten Redners mehr erzieherischen als lehrenden Charakter. Quintilian gibt in seinen Schriften keine Anweisungen und Regeln der Redekunst an, sondern beschreibt den Vorgang der Erziehung eines idealen Redners. So schreibt er beispielsweise, dass bereits die Amme und auch Lehrer in der Schule fehlerlos sprechen sollten, um ein gutes Beispiel darzustellen. Zudem ist der soziale Aspekt in der Klassengemeinschaft erheblich wichtig für einen Redner, da dieser nicht menschenscheu sein darf. Dies sind nur wenige Beispiele, die den stark pädagogischen, erzieherischen Charakter der Werke Quintilians – wie z.B. Institutio oratoria, welches Bildungstheorie des Redners und Charaktereigenschaften des Menschen darstellt (Lutz 2004, S. 61) – demonstrieren (Ueding / Steinbrink 1994, S. 41). Die Arbeit bzw. das Lernen solle für den Schüler eine Freude darstellen und keine Last. Spielerisch sollen die Schüler die Inhalte erlernen und dafür möglichst viel gelobt werden. Individuelle Stärken des Schülers müssen erkannt werden, woraufhin der Lehrer auf diese eingehen und Stärken fördern kann. Quintilian gibt zwar Richtlinien für den Rhetorikunterricht vor, jedoch muss der Lehrer selbst in der Lage sein, den Unterricht an die individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten seiner Schüler anzupassen. Das Alter der Schüler, in welchem sie mit der Lehre der Rhetorik beginnen, ist unwichtig. Bedeutend sind Motivation und Wissensstand des Schülers. Er geht wie Cicero neben natürlichen Anlagen und Fleiß, von einer hohen Allgemeinbildung aus, welche die Grundlage der Ausbildung darstellt.

Quintilian hat einen detaillierten Lehrplan für seine Rhetorikschüler erstellt. Der Redner muss Kenntnisse der artes liberales besitzen: Philosophie, Grammatik, Astronomie, Musik und Geometrie. Die Philosophie schult das ethische Verständnis, die Grammatik den Umgang mit Wörtern, welche durch Studien der Dichtkunst präzisiert werden, die Astronomie ist aufgrund der Berechnung von Orten und Zeiten unabdingbar, die Musik schult den künftigen Redner in Affektenlehre und erleichtert ihm den paraverbalen Ausdruck seines Vortrags, die Geometrik verschafft dem Schüler einen Überblick über Zahlen und Figuren und hilft somit den Scharfsinn zu entfalten. Erst wenn der Redner sich diese Fähigkeiten angeeignet hat, darf er in die Rhetorikschule aufgenommen werden (Ueding / Steinbrink 1994, S. 42).

Ist der Schüler in die Rhetorikschule aufgenommen, so beschäftigt er sich mit dem Auffinden des Stoffes, mit der Ordnung dessen, dem Ausdruck, der Gedächtnisschulung und der Körpersprache des Redners. Vor allem das Üben von Redeleistungen und das Nachahmen guter Redner bringen den Schüler zum Erfolg. Auch das Lesen und insbesondere das Vorlesen von bekannten Rednern schulen die rednerische Kompetenz. Die Regeln und Anweisungen, welche Quintilian in seinen Schriften gibt, sind jedoch frei einsetzbar und interpretierbar. Sie sind kontextspezifisch zu betrachten und anzuwenden.

„Die Natur des Menschen schafft also die besten Voraussetzungen; Aufgabe der Erziehung ist es, diese zu entwickeln und zu ihrem Ziel zu führen. Anlage und Begabung (ingenium) jedoch sind verschieden, […]“ (Ueding / Steinbrink 1994, S. 45)

Quintilian geht von der Tugendhaftigkeit eines Redners aus. Der Redner muss die Ordnung des ethisch Guten erkennen und selbst Teil dieser Ordnung werden. „Gut zu sein genügt alleine nicht, es muß [sic] auch erkennbar sein, daß [sic] man gut ist.“ (Ueding / Steinbrink 1994, S.4) Der Redner soll dem vir-bonus-Ideal entsprechen, welcher die Eigenschaften eines guten römischen Bürgers leben solle und mit diesen im Stande sein, ein Publikum zu überzeugen und dem Publikum mit seinen Eigenschaften Vorbild zu sein (Quintilianus / Rahn 1996, S. 685). Die guten Eigenschaften eines Menschen, welche für die Rede unabdingbar sind, sind bereits im Menschen angelegt, müssen jedoch durch gezielte Schulung und Kenntnisse der Philosophie entfaltet werden. Ziel des Redners ist es daher, sich selbst als tugendhaft darzustellen und nicht Geld durch die eigenen Ausführungen zu verdienen. Ein Redner sollte danach streben, gerecht zu sein und nicht mit seiner Rede zu überreden. Er muss überzeugen. Die Rede stellt somit eine Herausforderung für den Redner dar, sittlich zu handeln (Ueding / Steinbrink 1994, S. 40-45).

Ebenso wie Cicero betont Quintilian die nonverbalen und paraverbalen Aspekte eines guten Redners in seinem Vortrag, besonders hinsichtlich der Affektenlehre. Er treibt seine Schüler dazu an, die Stimme durch Übungen zu schulen. Besonders die Mimik ist ihm, wie Cicero, wichtig, da durch sie die Emotionen des Redners sichtbar werden. Dies ist besonders in den Augen erkennbar, „durch die am stärksten das Innere nach Außen dringt“ (Quintilianus / Rahn 1996, S. 637). Gestik ist bei ihm sprechbegleitend und sprechunterstützend, wobei er betont dass die Bewegungen immer den Worten entsprechen müssen, um eine überzeugende und erfolgreiche Rede halten zu können. Diese Forderung ist uns heute unter dem Ausdruck Kongruenz des Ausdrucksverhaltens bekannt.

Nach Quintilian muss der Redner wesentlich über eine natürliche Begabung verfügen, die Regeln der rhetorischen Theorie kennen, mit Fleiß und viel Übung arbeiten und letztendlich durch Nachahmung von Vorbildern und durch deren Überbietung zum optimalen Redeergebnis gelangen (Ueding / Steinbrink 1994, S. 45). Quintilian setzt bei der Nachahmung von Vorbildern literaturgeschichtliche Kenntnisse voraus, da der Redner darin für die Nachahmung relevante Muster und Modelle findet. Um seine Redeleistung zu optimieren, setzt Quintilian damit voraus, sich am Ideal des vir bonus zu orientieren, die Lektüre der besten Werke und Autoren zu kennen sowie diese Modelle und Muster nachzuahmen (Ueding 2000b, S. 68- 69).

Die römische Rhetorik hatte zusammenfassend folgende Kernsegmente: die Redegattungen (Gerichtsrede, politische Rede und Festrede), die Produktionsstadien der Rede (inventio, dispositio, elocutio, memoria, actio), Beweisgründe (loci a re, loci a persona), die Redeteile (exordium, narratio, argumentatio, peroratio/conclusio) und die Wirkungsfunktionen (docere, delectare, movere) (Ueding 2000a, S. 53-78). Die römische Rhetorik konnte damit auf ein komplexes System zurückgreifen, welches sich sowohl mit der inhaltlichen Vorbereitung der Rede, dem Vortrag selbst, der Hörerführung bzw. -orientierung und der Wirkung des Redners beschäftigte.

2.1.3.2 Schulungsorte der Rhetoriklehre in der römischen Antike

Ein institutionalisiertes Bildungssystem existierte in den Anfängen der römischen Rhetorik noch nicht. Die Auszubildenden lernten durch praktische Arbeit.

„Die Bildung stieß dort also in ein Vakuum. Sie fand nichts vor, was sie erst hätte zerstö- ren oder verdrängen müssen. Somit wurde das römische Schulwesen ein Abklatsch des griechischen.“ (Fuhrmann 1984, S. 45)

Als sich 300 v. Chr. öffentliche Schulen entwickelten, welche anfangs schulgeldpflichtig waren und während der Kaiserzeit vom Staat finanziert wurden, entwickelte sich ein komplexes Bildungssystem. Mit sieben Jahren wurden die Kinder in die Elementarschule geschickt. Danach folgte die Grammatikschule. Männer hatten darauf folgend die Möglichkeit, sich nach Beendigung der Militärausbildung in Rhetorik, Philosophie und in Rechtsgrundlagen schulen zu lassen. Um Karriere im römischen Reich zu machen bildete die Rhetorik das grundlegende Fundament, und eine Ausbildung zum guten Redner war unabdingbar für eine Karriere. All gemein gesehen entwickelte sich das römische Schulsystem von Privatlehrern an der Hochschule oder dem gelehrten Sklaven daheim, zu öffentlichen Rednerschulen (Ockel 1991, S. 365).

Die Römer stellten sich zu dieser Zeit noch als weniger fortschrittlich und mehr religiös als ihre griechischen Zeitgenossen dar, was zu Akzeptanzproblemen der Griechen führte und die Neuartigkeit, Bildung zu vermitteln und Rhetorik zu lehren, kritisch betrachtet wurde. Von vielen römischen Bürgern wurde die Ansicht vertreten, dass Reden jeder beherrsche und dieses nicht sonderlich gelehrt werden müsse. Jedoch legten die Familien der Patrizer hohen Wert auf die Redekunst und schickten ihre Söhne auf Rhetorikschulen, manchmal sogar nach Griechenland, so dass die Rhetorik in den oberen Schichten großes Ansehen hatte und dieser damit auch weitgehend vorbehalten war.

„Die Rhetorik wurde damals zur Schule, in einem Staate, wo die Schulbildung der Elite von grundsätzlicher Bedeutung war, um einer solchen Elite die Kommunikationsmittel zu liefern.“12 (Calboli 1991, S. 13)

Hauptkritikpunkt bildete die Vermittlungssprache der Redekunst: Rhetorik wurde ausschließ- lich in griechischer Sprache im römischen Reich unterrichtet. Anfang des zweiten Jahrhunderts vor Christus eröffnete die erste Rhetorikschule, welche die Lehre in lateinischer Sprache vermittelte, was der Lehre der Rhetorik einen erheblichen Akzeptanzzuwachs und vor allem leichtere Zugänglichkeit für mehr römische Bürger bescherte. Im Gegensatz zur eher theoretischen griechischen Rhetorik forderten lateinische Rhetoriklehrer wie Quintilian sehr viel Praxis von ihren Schülern: Begleitung erfolgreicher Redner, Nachahmung dieser, Sammeln von Themen und Beispielen, etc.

2.1.4 Weitere Entwicklungen der antiken Rhetorik

Nach der Einschränkung der Rhetorik im Hellenismus wurde die Lehre der Redekunst 92 v. Chr. als Lehrgegenstand ausnahmslos verboten. Aufgrund der Gründung von Rhetorikschulen, in welchen nicht mehr in griechischer Sprache sondern in der Sprache Latein unterrichtet wurde, wurde die Rhetorik der breiten Masse des römischen Bürgertums zugänglich (Ueding 2000a, S. 38). Die Rhetorik wurde als Mittel zur Machterlangung gesehen und man fürchtete, dass das Volk durch Erlangung von Rhetorikkenntnissen die Macht Roms bedrohen könnte (Ueding / Steinbrink 1994, S. 28-30). Es fand somit ein Perspektivenwechsel in der römischen Rhetorik statt: Während in den Anfängen die Rhetorik als nicht relevant gesehen wurde, da Sprechen ja schließlich jeder könne, wandelte sich das Verständnis der Rhetorik von Irrelevanz über einen Teil der Allgemeinbildung und Bedingung für eine erfolgreiche Karriere bis hin zur Bedrohung. Weiterhin wurde jedoch – trotz Verbot – auf Lateinisch gelehrt und Lehrbücher verfasst. Die Entwicklung der Republik stellte die Rhetorik wieder ins Rampenlicht, wobei zwischen 86 und 82 v. Chr. das Werk Rhetorik an Herennius entstand. Der Autor dieser Schrift ist unbekannt. Dieses Werk gibt Anweisungen zur praktischen Verwendung der Rhetorik. Es forciert die allgemeine Verständlichkeit der Rede (Ueding / Steinbrink 1994, S. 30).

Der Niedergang des römischen Reiches forderte, wie bereits in Griechenland, die Reduzierung der rhetorischen Relevanz in der praktischen Politik. Wieder fand die Rhetorik ihren Platz an Schulen, wo sie in theoretischer Form fortbestehen konnte. Zudem drang die Rheto rik in den Bereich des Theaters ein, wo Redner als Schauspieler erheiterten. Einer der Kritiker am Verfall der Beredsamkeit während der Kaiserzeit (100 n. Chr.) war Petronius, der die Ursache des Verfalls der Rhetorik darin sah, dass die Schüler zu theoretisch und mit praxisfernen Themen gelehrt wurden und so die Rhetorik nicht mehr richtig fortbestehen konnte. Seneca hingegen gibt dem allgemeinen Verfall der Sitten und dem Luxus die Schuld am Schwinden der Rhetorik. Zudem wird auch beklagt, dass es nur noch wenige Redner mit natürlicher Veranlagung zu jener Zeit gab und darin der Rückgang der Rhetorik aus der politischen Praxis begründet lag (Ueding / Steinbrink 1994, S. 37-40).

2.1.5 Zusammenfassung: Antike Rhetorik

Zusammenfassend kann man festhalten, dass die sich Orte der Rhetorik in der Antike gefestigt haben: vom Wanderlehrer zu einem sesshaften Lehrer haben sich die Rhetoren entwickelt, wodurch sie durch die Generierung fester Schulen und Bestandteil der allgemein akzeptierten Wissenschaften, großes Ansehen erhielten. Die Lehre der Rhetorik war weitgehend modern und ist mit den heutigen Ansätzen vergleichbar: Die Lehrer waren angewiesen, im Schüler die Freude am Lernen zu wecken und ihn gemäß seiner individuellen Stärken zu fördern, während das Nachahmen von Vorbildern den didaktischen und methodischen Schwerpunkt bildetet. Es bestand dementsprechend kein fester Regelkanon bezüglich der Förderung des Schü- lers. Die Nachahmung von Vorbildern in der Rede durch Vorlesen stellte, nach heutiger Sicht, wider das relativ freie Lehrkonzept, eine Einschränkung für die Entfaltung der rednerischen Persönlichkeit des Schülers dar.

2.2 Rhetorik des Mittelalters

Die Kultur und die Rhetorik des Mittelalters (ca. 350-1500) waren geprägt von antikheidnischer, christlicher und einheimischer, vorund außerchristlicher Bestandteile (Brandt 1986, S. 2). Die Rhetorik des Mittelalters war vor allem geprägt vom Einfluss des Christentums und der Kirche. Die antiken Lehren an sich galten anfangs als verabscheuungswürdig und heidnisch, da diese keinen christlichen Hintergrund hatten und man fürchtete, das Volk würde sich durch die antiken Lehren an der Gottlosigkeit infizieren. Doch schon bald erkannte man den Nutzen der antiken Lehre für die eigenen Belange, wie die Schriftauslegung der Bibel (Ueding 2000a, S. 89-91). Schnell war eine „Legitimation“ der Verwendung der heidnischen Wissenschaften gefunden:

„Mit den heidnischen Wissenschaften verhalte es sich ebenso wie mit dem Gold, dem Silber und den Kleidern der Ägypter, die das Volk Israel auch nicht verschmäht habe. Nicht anders sollten sich die Christen die Weisheiten der Alten zum richtigen Gebrauche aneignen […].“(Ueding 2000a, S. 91)

So gelangten antike Erkenntnisse in die Lehre des Mittelalters. Diese Lehre wurde von den Kirchenvätern über Generationen hinweg tradiert und beeinflusste diese nachhaltig, was sich auch in deren Schriften widerspiegelt (Ueding 2000a, S. 91).

„Die Kirche betrachtete sich im Mittelalter […] als einzig legitime ‚Nachlaßverwalterin’ [sic] der antiken Traditionen, und bildungsmäßig ist sie auch zunächst die einzige Institution, die für diese Aufgabe geeignet ist. Da das Christentum in allgemein ästhetischer wie auch speziell poetologischer Hinsicht anfänglich kaum eigene Traditionen entwickeln konnte/wollte, mußte [sic] es hier auf die Antike zurückgreifen. Die Verwertung antiker Quellen vollzog sich eklektizistisch oder neutraler formuliert: in Form einer Verarbeitung und eines Zuschneidens auf den eigenen Bedarf.“ (Brandt 1986, S. 2)

Die Rhetorik wurde als Teil des Triviums (Grammatik, Dialektik, Rhetorik) in der Schule und an Universitäten gelehrt. Dadurch fand sie nach Beendigung der Schule bei vielen Schülern in unterschiedlichen Tätigkeiten Platz. Da die meisten Schulen kirchliche Einrichtungen waren und diese auch hauptsächlich Schüler für kirchliche Ämter ausbildeten, fand die Rhetorik ihren größten Einfluss in der Kirche, wobei auch die Politik ihren Nutzen aus der Lehre der Rhetorik zog (Fried 1996, XVI).

Die Rhetorik fand ihren Hauptplatz in christlichen Kontexten und wurde daraufhin auch angepasst, woraufhin diese zwei Anwendungsbereiche hatte: Hilfestellung bei der Interpretation der Heiligen Schrift und Anweisungen für das Redeideal in der Person wichtiger christlicher Amtsmänner, welche in Predigten die christlichen Botschaften wirkungsvoll darstellen sollten. Während in der Antike sich die neuen Wissenschaften von der Religion abwandten und nach der Wahrheit suchten, so diente im Mittelalter die Rhetorik in erster Linie der Religion (Ueding / Steinbrink 1994, S. 46ff.). Es entstand eine neue Form der Rede: die Predigt. Die Predigt bildete einen Schwerpunkt der rhetorischen Lehre und verhalf dieser im „inneren E- xil“, in der Predigt, über die Jahrhunderte hinweg zu überleben (Ueding 2000a, S. 94).

Die Lehre der Rhetorik wurde in lateinischer Sprache abgehalten, und das in allen Ländern. Man orientierte sich inhaltlich an den Erkenntnissen der antiken Rhetorik. Durch diese Einheitlichkeit in Lehre und Lehrsprache konnte überregional Vergleichbarkeit und eine einheitliche Linie in der Rhetoriklehre hergestellt werden (Fried 1996, X-XI).

Die Rhetorik verschwand mehr und mehr aus der Lehre des Sprechens und Redens und siedelte sich zunehmend in der Schriftsprache an, z.B. im Grammatikunterricht (Fried 1996, XIII).

„Nach allgemeiner Ansicht hat sich die Rhetorik, die Königin im römischen Ausbildungssystem, schon in der Spätantike zu einem unspezifischen Allgemeinbildungsfach verdünnt. Unter der Ägide der Grammatiker ist sie zu einer von den übrigen partes rhetoricae abgelösten elocutio-Mehtodik geworden, zu einer simplen propädeutischen Schreibstillehre zusammengeschrumpft.“ (Moos 1996, S. 133)

2.2.1 Methodik und Inhalte der mittelalterlichen Rhetoriklehre

Aurelius Augustinus (354-430 n. Chr.) war der bedeutendste Vertreter der mittelalterlichen Rhetorik. Sein Vater, ein römischer Veteran und seine Mutter, eine gläubige Christin legten den Grundstein für Augustinus Bildungsansichten. Seine Lehre orientierte sich an den Grundkenntnissen der Rhetorik nach Quintilian (Tornau 2006, S. 357). Er war als Rhetoriklehrer, unter anderem in Rom und Mailand, tätig, so dass ihn die Lehre der römischen Rhetorik sehr beeinflusste. Sein Buch De doctrina christiana, welches in vier Teile untergliedert war, beschreibt, wie sich die christliche Lehre die antiken Kenntnisse zu Nutzen machen konnte.13 Insbesondere ging er im vierten Buch auf die Rhetorik ein. Die ersten drei Bücher beschäftigen sich mit der Auffindung und der Lehre der heiligen Schrift und das vierte Buch, in dem auch genauer auf die Redekunst eingegangen wird, beschreibt „die Darstellung aus der Schrift gewonnene[r] Lehren“ (Ueding / Steinbrink 1994, S. 49). In diesem vierten Buch schildert Augustinus eine Art System der christlichen Rhetorik. Wichtig ist ihm in seiner Lehre der Rede, Wahrheit zu verteidigen und zu verkünden und er behandelt dabei spezifische christliche Sprechsituationen. Die Predigt steht dabei im Mittelpunkt, jedoch bezieht er seine Ausführungen zudem auf die anderen, einem christlichen Autor zur Verfügung stehenden Gattungen (Tornau 2006, S. 354).

Augustinus sah die Notwendigkeit der Rhetorik bei der Bibelinterpretation darin, dass durch Kenntnis der Tropen Zweideutigkeiten in Bibeltexten entschlüsselt und aufgelöst werden können. Augustinus betonte in seinem Werk die Wichtigkeit der Rhetorik, wobei er keine Regeln angab. Für das Erlernen der Redekunst, sei nicht zu viel Zeit zu investieren, da der Redner neben Fleiß, Übung und Nachahmung auch über Talent verfügen müsse, und wenn letzteres vorhanden sei, die Redekunst in einem gewissen zeitlichen Rahmen erlernbar sei. Er stellte also die Techniken und Regeln der Lehre in den Hintergrund, betonte dass das Talent unabdingbar sei und maß der Nachahmung hohen Wert in der Rednerausbildung bei. Die individuellen Fähigkeiten treten auch hier, aus methodischer und didaktischer Perspektive, hinter das Prinzip der Nachahmung. Die Nachahmung wird im Unterricht vornehmlich durch Lesen und Vorlesen (lectio) vollzogen. Daher sieht Augustinus die Rhetorik als Erfahrungswissenschaft. Wie Cicero legte Augustinus Wert auf einen hohen Bildungsstand, wobei sich dieser hauptsächlich auf die Kenntnis der heiligen Schrift bezog. Nach dem vir-bonus-Ideal solle der Redner tugendhaft sein, da dieser als Vorbild in der christlichen Gemeinde fungiere. Aufgabe des Redners sei es zu lehren, zu ergötzen und zu rühren (vgl. Cicero: docere, delectare, flectere). Inhalte des Lehrens waren von christlicher Art. Ziel der Rede ist es nach Augustinus zu überreden (Ueding / Steinbrink 1994, S. 48-52). Ein guter Stil ist für Augustinus ein biblischer Stil (Tornau 2006, S. 354). In seiner Vortragslehre ist ihm die Argumentationstechnik besonders wichtig, welche besagt, dass mögliche Einwände seitens der Zuhörer bereits in der Rede vorweggenommen werden und beantwortet werden sollen, um so die Wirkung der Argumentation nicht zu beeinträchtigen.14 Als Grund für diese weitreichende und umschweifige Argumentationstechnik – welche die Gefahr beinhaltet, den Faden zu verlieren – gibt er einen pastoralen an:

„Jeder Einwand den man selbst nicht anspricht, kann später im Gespräch unter den Zuhörern oder auch etwa in der Diskussion eines katholischen Christen mit einem Häretiker oder Heiden auftauchen; und da der Hörer in dieser Situation auf sich allein gestellt ist, kann sie bei ihm zu Verlegenheit oder im schlimmen Fall zu Glaubenszweifel führen.“ (Tornau 2006, S. 356)

Weitere bedeutende Vertreter für die Rhetorik waren Boethius, Marius Victorinius und Melanchthon hervor. Boethius gab in seinem Werk De differentiis topicis der Rhetorik Platz in einem der vier Bände, in welchem er sich hauptsächlich an den Lehren Aristoteles orientierte. Die anderen drei Bände waren der Dialektik gewidmet, was das geringere Ansehen der Rhetorik hinter der Dialektik widerspiegelt. Marius Victorinius beschäftigte sich mit den rhetorischen Erkenntnissen nach Cicero und fokussierte dabei die Argumentationslehre, deren Relevanz er für politische Belange herausarbeitete (Moos, S. 138-139). Melanchthon legte seinen Schwerpunkt auf Argumentation und Stilistik und fügte zu den drei Redegattungen des Aristoteles eine vierte, die lehrende (didaskalicon), hinzu (Ockel 1991, S. 367).

Auch wenn die Rhetorik im Mittelalter kritisch beäugt wurde, so hatte sie ihren festen Bestandteil im Bildungssystem. Die Lehre nach Cicero hatte im Mittelalter den höchsten Stellenwert bezüglich der Redekunst. Speziell distanzierte man sich von der prunkvollen Rede und ließ schmückende Mittel der Rede in der Beredsamkeitslehre fast gänzlich außer Acht. Neben den drei antiken Redegattungen politische Rede (genus deliberativum), Gerichtsrede (genus iudicale) und Festrede (genus demonstrativum) kann die Kunst der Predigt, welche unterteilt war in „homiletische“ Predigtkunst (ars predicandi) und Briefeschreiben (ars dictaminis), hinzu (Wiersing 2004, S. 114). Man forderte, dass die Rhetorik in erster Linie der christlichen Erziehung und Bildung dienen sollte, welche in Form von Lesungen (lectio) abgehalten wurde. Diese Lektüre war von so genannten „Autoritäten“ verfasst, wie Ciceros De inventione rhetorica und Quintilians Institutio oratoria, welche es galt nachzuahmen (Ueding / Steinbrink 1994, S. 59-61).

Wie alle Wissenschaften im Mittelalter war die Rhetorik der lateinischen Sprache zugeschrieben und orientierte sich somit auch an den römischen Rhetoren. Auch Hebräisch und Griechisch wurden gelehrt, wobei die meisten Lehrbücher in lateinischer Schrift verfasst wurden, welche in den meisten Fällen stark auf die Kirchenväter und die heiligen Schriften Bezug nahmen (Ockel 1991, S. 366). Die Redekunst wurde im Hinblick auf ihre angrenzenden Disziplinen Dialektik und Grammatik gelehrt, wobei es auch oft Überschneidungen zwischen diesen gab. Im Mittelalter waren diese unter dem Begriff Trivium bekannt, wobei die Grammatik immer den beiden anderen übergestellt war, da sie die Basiskenntnisse für alle anderen Wissenschaften innehatte. Diese drei Disziplinen waren in die Ordnung der sieben artes liberales (Ueding 2000a, S. 84) eingeordnet, welche im Mittelalter gelehrt wurden.15 Sie bildeten die Basis für die weitere Wissensvermittlung und wurden durchwegs akzeptiert (Luscombe 1996, S.1; 13). Die vier weiteren Künste der artes liberales, das Quadrivium, waren dem mathematischen Bereich zugeordnet und im Einzelnen: Geometrie, Arithmetik, Astronomie und Musik. Diese sieben Disziplinen mussten die weisen Männer des Mittelalters erlernen (Brandt 1986, S. 3; Ueding / Steinbrink 1994, S. 54).

Hauptaufgabe der Rhetorik war es, Mittel zur Unterstützung zur Interpretation lateinischer Bibeltexte bereitzustellen. Während unter Methodik in der Rhetorik Jahrhunderte lang die imitatio mit dem Hintergrund Nachsprechen und Kommentieren festgelegter gültiger Aspekte verstanden wurde, so erfährt die imitatio eine weitere Aufwertung, da diese nun im Sinne der Fähigkeit sich eines bestimmten Redestils zu bedienen, verstanden wird (Ockel 1991, S. 366).

2.2.2 Schulungsorte der mittelalterlichen Rhetoriklehre

Die Erfindung des Buchdrucks hatte erheblichen Einfluss auf das Lehrsystem im Mittelalter (Kintzinger 1996, S. 10). Als Bestandteil des Triviums zählte die Rhetorik zum elementaren Wissen des Mittelalters und wurde an Universitäten und an Schulen unterrichtet. Kirchliche Einrichtungen hatten im Mittealter den Bildungsauftrag. Anfangs wurden hauptsächlich Geistliche von Mönchen in rhetorischen Fähigkeiten ausgebildet, welche zum Ziel hatten, „Kämpfer für das Christentum, der die Klassiker und die heiligen Schriften studiert und sich wichtige Muster gemerkt hat, um sie in eigene Predigt zu übertragen“ (Ockel 1991, S. 366) hervorzubringen. Später übertrug sich diese Bildungsaufgabe auf die Bischofsschulen, an welchen auch ausgewählte Adelige für Beraterpositionen in rhetorischen Fähigkeiten ausgebildet wurden (Ockel 1991, S. 366). Die städtische Verwaltung sowie die schriftliche Form der Geschäftsführung und die Beherrschung unterschiedlicher Redestile forderten nun auch von nicht-geistlichen Personen der Gesellschaft eine zureichende Schulbildung (Ockel 1991, S. 366). So entstanden die ersten städtischen Schulen, welche nicht nur, im Gegensatz zu kirchlichen Einrichtungen, in lateinischer Sprache unterrichteten, sondern auch in niederdeutsch. Zudem entstanden Privatschulen, welche lediglich geduldet waren, und welche auch Kindern aus niederen Schichten die Möglichkeit gaben sich weiterzubilden (Kintzinger 1996, S. 4-7). Reformation und Gegenreformation bewirkten, dass die Klosterschulen zugrunde gingen.

„Da jedoch von allen die Bekenntnisformeln der gegnerischen Konfessionen gelernt werden sollen, werden wieder Bildungseinrichtungen geschaffen, aber die Aufsicht wird den Fürsten und damit der staatlichen Instanz zugewiesen.“ (Ockel 1991, S. 367)

Die Universitäten haben ihre Geburtsstunde im Mittelalter, welche meist aus den Bischofsschulen hervorgingen (Ockel 1991, S. 366). Anfänglich traten Universitäten in Form freier Gemeinschaften auf. Später erhielten die Universitäten kaiserliche und päpstliche Anerkennung und somit auch Vorrechte. Sie etablierten sich zu einer großen Macht des Landes. Die internationale Ausrichtung, aufgrund Austausches von Wissen und Personen zwischen den Universitäten der unterschiedlichen Länder, das Streben nach Wissen der Erkenntnis willen und die Selbstständigkeit gegenüber Kirche und Staat prägten den Charakter der Universität im Mittelalter (vgl. Kintzinger / Lorenz / Walter 1996).

2.2.3 Zusammenfassung: Rhetorik des Mittelalters

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich die Rhetorik des Mittelalters in Methodik an der Rhetoriklehre der römischen Antike orientierte und auch in Originalsprache – Latein – vermittelt wurde. Im Vordergrund stand das Nachahmen von Vorbildern. Die Orte der Lehre waren kirchliche Einrichtungen, da diese im Mittelalter den Bildungsauftrag hatten, und vor allem Universitäten. Folglich wurden hauptsächlich Themen der Kirche, wie Bibelinterpretationen und Glaubensfragen, im Fokus der rhetorischen Lehre behandelt. Zudem hatte die Rhetorik einen breiten Raum in der Predigtlehre.

2.3 Rhetorik des Humanismusund Barockzeitalters

Die Epoche des Humanismus (15. und 16. Jahrhundert) entdeckte die wissenschaftlichen Erkenntnisse neu, welche auf die Gegebenheiten und Zielsetzungen dieser Zeit ausgerichtet waren. Die Zeit des Humanismus war geprägt vom Handelskapitalismus, dem Bankwesen und der Technik, auf deren Bedürfnisse, die bisher bekannten wissenschaftlichen Theorien modifiziert wurden und die für die gegenwärtigen Zielerreichung wichtigen Mittel wurden aus den Wissenschaften gezogen – so auch in der Rhetorik.

„Das erneute Studium der antiken Autoren, deren wahren Sinn man wiedergefunden hatte, wurde zur Entdeckung der Bedeutung des Gesprächs und der menschlichen Zusammenarbeit, zur Initiation der Menschen in die Wirklichkeit. Wenn man die Jugend mit den Klassikern erzog, so half man ihr damals wirklich, die gemeinsame Menschlichkeit in ihrer Entwicklung und in ihrer Einheit zu erkennen.“ (Garin 1966, S. 12)

Ziel war es, die Rhetorik zur Leitwissenschaft zu etablieren und innerhalb des Triviums der Grammatik, welche noch immer die höchste Stellung der artes liberales hatte und als Voraussetzung für jede wissenschaftliche Ausrichtung galt, Konkurrenz zu bereiten (Ueding 2000a, S. 99-101).

Das Barock-Zeitalter (17. Jahrhundert) trat hingegen aus der vom Humanismus generierten Nüchternheit und Sachlichkeit heraus und brachte Schwulst, Prunk in Kunst und Literatur, geprägt durch Übersteigerungen.

2.3.1 Methodik und Inhalte der Rhetoriklehre im Humanismus und Barock

Um die antiken Werke richtig aus dem Lateinischen ins Deutsche zu übersetzen, war es wichtig, Entstehungsbedingungen, Situation, Ort, Zeit, Raum und Adressaten zu beachten und diese nicht zu verändern. Nur wenn man die Entstehung und Entwicklung der antiken Texte versteht, dann kann man auch ihren Inhalt verstehen. Eine richtige Interpretation bedarf nach Ansicht der Humanisten literarischer, historischer und kulturgeschichtlicher Kenntnisse. Hauptaufgabe der Humanisten war es daher, antike Begriffe in die Gegenwart zu transferieren und diese richtig zu benennen (Ueding / Steinbrink 1994, S. 75). Angelehnt an die Lehre Aristoteles’, war das Ziel der Rhetorik, Wahrheit zu vermitteln und damit zu überzeugen (Stolt 2000, S. 42). In der Rhetorik wird in diesem Kontext zwischen res (konkreter Gegenstand) und verba (Gedankeninhalt) unterschieden. Zielsetzung im Humanismus und auch im Barock war es nun, dass der Redner die richtigen Worte für den konkreten Gegenstand fand. Hilfsmittel sind dafür in der Lehre der Rhetorik (z.B. Dreistillehre) zu finden (Ueding / Steinbrink 1994, S. 89-91). Luther unterscheidet res und verba wie folgt: „’Es ligt alles am Wort’ […] meint die res, das Wort Gottes selbst, hinter dem die verba, die das Wort auslegen, zurückbleiben können […]“ (Gutzen 1991, S. 235). Res erhält hier vor verba eine übergeordnete Stellung.

Man orientierte sich an den antiken Rhetoren, wobei Quintilian mit seinem Werk De doctrina Christiana besondere Aufmerksamkeit zukam, da dieses theologische Ansätze beinhaltete, was vor allem dem christlichen Geist der Zeit und im Zuge der Bibelübersetzung Luther entgegenkam (Shuger 1993, S. 122).

Bei den zeitgenössischen Übersetzungen bekommt die Rhetorik mehr Wichtigkeit als die Philosophie. Denn nur wenn man rhetorische Kenntnisse besitzt, rhetorische Mittel im Ursprungstext erkennt, kann man diese in der zu übersetzenden Sprache wiedergeben und so den richtigen Inhalt in die gegenwärtige Sprache übertragen (Ueding / Steinbrink 1994, S. 76). Zusätzlich ist aus heutiger Sicht zu beachten, wie Autoren, z.B. Luther, mit der lateinischen Sprache in der Übersetzung umgingen.

„Das Gefühl für sprachliche Form war bei den frühneuhochdeutschen Verfassern anders ausgebildet und erstreckte sich auf andere Prinzipien als heute. Etliches, was auf den ersten Blick als sprachliches Unvermögen oder Ungeschick erscheinen mag – wie etwa die Aneinanderreihung von Argumenten ohne uns ersichtliches Prinzip – kann sich als völlig beabsichtigt herausstellen.“ (Stolt 2000, S. 27-28) Zudem konnte die Rhetorik nur unter dem Verständnis verwendet werden, wie es die damalige historische Situation zuließ: Orientierung an Autoritäten sowie Tradition waren Faktoren, welche die Verwendung und Anwendung der antiken rhetorischen Kenntnisse beeinflusste (Dyck 1991, S. 99).

Im Zuge dieser „Übersetzungswelle“ unterlag die Sprache des 17. Jahrhunderts einer regelrechten Reinigung: Fremdwörter versuchte man aus dem Sprachgebrauch zu verbannen, Orthographie- und Grammatiklehrbücher wurden verfasst und hochdeutsche Wörter, welche nicht umgangssprachlich oder von regionalen Dialekten gefärbt waren, versuchte man in Lexika zusammenzufassen. Im 18. Jahrhundert ist dieser „Reinigungsprozess“ der Sprache, die Normierung der Literatursprache abgeschlossen, welche bis heute Basis aller öffentlichen Reden aller nicht-dialektalen Literatur ist (Ueding / Steinbrink 1994, S. 99).

Die Ausbildung des Redners folgte im Humanismus in erster Linie dem Erziehungsideal nach Quintilian. Vor allem Martin Luther (1483-1546) hielt dessen Ansichten für essentiell und empfahl dessen Lehre an der Wittenberger Universität in einem Brief von 1518 an Johann Lang. Quintilians Rhetoriklehre mit Schwerpunkt auf Nachahmung von Vorbildern, aber auch der individuellen Förderung der Fähigkeiten der Schüler, wurde daraufhin an der Wittenberger Universität eingeführt (Stolt 2000, S. 43). Nach dem Fund einer Handschrift Quinitlians Institutio oratoria im Jahre 1416 in St. Gallen, erhielt Quintilian besonders hohes Ansehen. Sein Werk wurde eines der wichtigsten der Epoche. Quintilians Ansätze beeinflussten das Bildungssystem bis ins 18./19. Jahrhundert. Neben Quintlian fanden auch Ciceros De oratore und Aristoteles Rhetoric Ansehen in dieser Epoche. Theologen orientierten sich hauptsächlich an Augustinus Werk De doctrina christiana, welcher in seinem 4. Buch speziell auf die Predigt eingeht (Stolt 2000, S. 43; Ueding / Steinbrink 1994, S. 81). Luther kann trotz seiner Vorliebe zu Qunitilians Lehre – vor allem seiner Affektenlehre – keinem eindeutigen Autor der antiken Rhetoriklehre zugeordnet werden: Luther verwendete Ansätze unterschiedlicher antiker Rhetoren in seiner Arbeit und auch das Werk Augustinus, welchem er als Augustinermönch verpflichtet war (Stolt 2000, S. 48). Luther selbst wurde nach den Regeln der lateinischen Grammatik und Rhetorik im Schulunterricht ausgebildet.

Charakteristisch für seine Werke ist die vermehrte Verwendung von Stilmitteln in seinen Schriften (Gutzen 1991, S. 229; Stolt 2000, S. 30-31). Vor allem für die Predigtlehre wurden die Kenntnisse der antiken Rhetorik im Humanismus genutzt. Die Disziplinen Dialektik und Rhetorik können bezüglich der Predigtlehre nicht sauber getrennt werden. Luther betonte in seiner Predigtlehre, dass sich der Prediger bei seinen Ausführungen auf die Zuhörer, die Gemeinde konzentrieren solle, denn sie sind die Urteilsträger und diejenigen, welche überzeugt werden sollen. Um dies zu erreichen, ist der einfache Stil zu verwenden, damit Verständlichkeit bei der Gemeinde aufgrund unterschiedlicher sozialer Schichten erreicht wird (Ueding / Steinbrink 1994, S. 81-82).

„Ein Blick in Luthers Redepraxis lehrt, welche Bandbreite solche ‚Wohlredenheiten’ für ihn besaß, daß [sic] auch seine Bauernpredigten reichhaltig von den (freilich meist sanft) bewegenden und rührenden Mitteln der Rhetorik Gebrauch machten, er also etwas die Exordialtopik der Sympathie-Erregung, alle Möglichkeiten der direkten und indirekten Anrede, der amplificatio, des fingierten Dialogs, des illustrierenden Exempels benutzte und sich durchaus nicht vor pathetischem Aufschwung, der heftigen Gemütserregung scheute: […]“ (Ueding / Steinbrink 1994, S. 82)

Rhetorik war für Luther mehr der Rede als der Schrift verpflichtet. Luthers Schriftsprache ist deshalb Kanzelsprache, welche zum Zwecke des Vorlesens gedacht war. Schriftstücke fielen in der damaligen Zeit mehr zuhörerorientiert und mundartlich aus. Nach Luther war das gesprochene Wort wertvoller als das geschriebene und begründete dies mit der Gottesebenbildlichkeit des Menschen durch die Fähigkeit zu sprechen: Gott wirkt durch sein Wort. Schweigen Gottes ist damit gleichzusetzen mit Hilfe verweigern. Aus diesem Grunde räumt Luther der gesprochenen Sprache mehr Relevanz ein als der schriftlichen und orientierte sich in seinen Schriftstücken an der gesprochenen Sprache (Stolt 2000, S. 46-47).

Um möglichst viele Zuhörer mit den eigenen Worten zu erreichen, ist es notwendig, verständlich zu sprechen, aber auch abwechslungsreich. Der Humanismus war geprägt vom Stil elegantia, welcher maßvolles, geistreiches und klares Sprechen – auch im höfischen Leben16 – forderte (Ueding / Steinbrink 1994, S. 95).

Die Schulbildung im Humanismus orientiert sich noch immer an den sieben artes liberales, wobei die sprachlichen Bereiche, das Trivium, besonders hervorgehoben wurden und die griechische Sprache zu den bisherigen Disziplinen hinzugefügt wurde. Die sprachlichen Künste hatten aus dem Grunde – die Eloquenz sei das höchste Ziel der Bildung – den wichtigsten Gehalt im Bildungssystem. Die Rhetorik wurde somit sowohl an Schulen als auch an Universitäten gelehrt. Innerhalb der Rhetorik orientierte man sich an den drei Redegattungen: gerichtliche Rede, politische Rede und Festrede. In den geistlichen Ausbildungswegen trat die Gattung der Predigt hinzu bzw. wurde aus den mittelalterlichen Lehren beibehalten (Ueding 2000a, S. 110). Die Grundlage bildete noch immer die Grammatik, welche ganze vier Jahre gelehrt wurde, bevor Kenntnisse der Rhetorik und Dialektik vermittelt wurden. Danach konnte man erst die Disziplinen des Quadriviums erlernen (Ueding / Steinbrink 1994, S. 77).

„In der im Spätmittelalter entstehenden Differenzierung der Universitäten fiel der Rhetorik zusammen mit den anderen freien Künsten (in der Artistenfakultät) die Vorbereitung auf das Studium in den drei höheren Fakultäten Theologie, Jurisprudenz und Medizin zu, was aber über ihren wahren Einfluß [sic] noch nicht genug verrät: zumindest Jurisprudenz und Theologie müssen gerade unter humanistischem Einfluß [sic] als rhetorische Domäne gelten. Da die humanistische Bewegung ein gesamteuropäisches Phänomen war, gibt es keine nationalen Sonderentwicklungen von Belang. Erst die Reformation mit einer neuen Betonung der Muttersprache sollte auch hier eine Änderung bringen.“ (Ueding / Steinbrink 1994, S. 77)

Die Humanisten griffen auf die klassischen Lehrbücher der Antike sowie Stilübungen zurück, wodurch schriftliche und mündliche Lateinkenntnisse vermittelt wurden, welche wiederum Basis des Philosophiestudiums bildeten (Wiersing 2004, S. 112) und erkannten dabei die praktische Komponente in der Bildung, welche sich von der scholastischen Auffassung abgrenzte (Ueding / Steinbrink 1994, S. 87).

Im Barock wurden diese Grenzen überschritten und der niedere Stil fand wenig Anerkennung. Das Barockzeitalter bildete vorläufig die letzte Hochzeit der Rhetorik. Es entwickelte sich ein Verständnis von der unbedingten Verbindung zwischen Dichtung und Rhetorik: Ein guter Dichter war automatisch ein guter Redner, ein guter Redner war zugleich ein guter Dichter (Ueding 2000a, S. 113). Ferner sprach man im Zeitalter des Barocks vom Gesamtkunstwerk, was bedeutete, das die Künste nicht voneinander zu trennen sind und immer miteinander wirken: Malerei geht in Plastik über, „[…] Emblem-Bücher überschreiten die Grenze zwischen Wort und Bild, in der musikalischen Satzgestaltung und Instrumentierung werden topoi oder loci bestimmend, die bei den Hörern sofort bestimmte Bilder oder Szenen evozieren, Lied, Arie, Oper avancieren zu den Modellen des rhetorisch geleiteten Willens zur Vereinigung der Künste.“ (Ueding 2000a, S. 117)

Der hohe Stil wurde in der Literatur vor allem im höfischen Leben bevorzugt. Besonders Stilmittel und sprachliche Ausschmückungen sowie Steigerungen und Übertreibungen wurden verwendet und die Sprache dadurch schwulstig und exzentrisch gemacht, wie es auch das Wesen dieses Zeitalters in allen Lebensbereichen demonstrierte (Ueding / Steinbrink 1994, S. 92).

„Bei den Autoren der sogenannten Zweiten schlesischen Dichterschule überschwemmt der hohe Stil die ihm gesetzten Grenzen, er verliert also die Abgestimmtheit mit Sache und Publikum. Die Stilmittel, schon immer ungeheuer wichtig für Barockautoren, verselbständigen sich zum Schwulst. Und im selben Augenblick vermag das Sprachkunstwerk nicht mehr zu überreden, zu überzeugen, sondern allenfalls noch zu überwältigen.“ (Ueding / Steinbrink 1994, S. 93)

Diese Vorliebe für Stilmittel und deren wachsende Relevanz im Barockzeitalter prägten den Aufbau der zeitgenössischen Lehrschriften zur Rhetorik. Es wurden nicht nur Stilmittel aufgeführt, sondern auch darauf hingewiesen, dass und wie Stilmittel bezüglich der emotionalen Wirkung der Redeabsicht, verwendet werden sollen (Ueding / Steinbrink 1994, S. 95). Affekterregung war das Hauptziel einer rhetorischen bzw. dichterischen Äußerung (Ueding 2000a, S. 114).

Der Redner sollte im Humanismus sowie im Zeitalter des Barock nach dem vir-bonus-Ideal leben.17 Tugendhaftigkeit und der Vorbildcharakter standen an erster Stelle, vor allem in der Predigtlehre. Weisheit (sapientia) stand vor dem Wissen (scientia) und beide waren von hoher Bedeutung für einen guten Redner. Besonders das äußere Aptum, die Angemessenheit der Rede bezüglich Hörer, Ort, Zeit, Situation und des Redners selbst, musste beachtet werden, um das Publikum zu überzeugen. Denn beispielsweise kann ein sehr junger Redner nicht mit Lebensweisheiten überzeugen, da diese über Jahre hinweg angeeignet werden müssen (Ueding / Steinbrink 1994, S. 86-89).

2.3.2 Schulungsorte der Rhetoriklehre im Humanismus und Barock

Rhetorik wurde sowohl an Schulen als auch an Universitäten als Teil der sieben artes liberales gelehrt. Der Religionsunterricht wurde als eigenständiges Schulfach eingeführt, welcher gegen Ende des 16. Jahrhunderts vor der Grammatik ihren Platz im Lehrplan erhielt. Dialektik und Rhetorik hatten keine Einbußen bezüglich ihrer Stellung. Zu Geometrie, Astronomie und Geographie kamen Arithmetik und Geschichte hinzu (Ueding / Steinbrink 1994, S. 77-78).

Rhetorik war elementar:

„Rhetorik [war] bis zur Aufklärung des 18. Jahrhunderts in multipler Funktion zugleich ein zentraler Gegenstand des Unterrichts, eine in Schule und Universität angewandte Lehrmethode, ein wichtiges Fach des Weltwissens und schließlich auch noch ein bevorzugter Ort der pädagogischen Reflexion.“ (Wiersing 2004, S. 112)

Konrad Celtis betonte 1492 in einem Brief an die Universität Ingolstadt die Wichtigkeit der Rhetorik für die Lehrer im akademischen Dienst. Bisher war die Rhetorik weitgehend vernachlässigt, da die Wichtigkeit nicht bewusst war und es zudem keine Lehrbücher darüber gab. Die rhetorischen Kenntnisse fanden sich in einer Einheit von Gelehrsamkeit, Eloquenz und Dichtkunst wider (Ueding / Steinbrink 1994, S. 84).

2.3.3 Zusammenfassung: Rhetorik des Humanismusund Barockzeitalters

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Rhetorik im Humanismus und Barock die Hauptaufgabe hatte, Instrumente für richtige Übersetzungen zu liefern, um so – meist wissenschaftliche – Texte, welche in der Regel griechisch oder lateinisch verfasst waren, in hochdeutscher Sprache sinngemäß, argumentationsstark und korrekt wiedergeben zu können, ohne dabei die ursprünglichen Stilmittel zu verfälschen. Schlüsselfigur bildete Luther, welcher zu dieser Zeit die Bibel ins Deutsche übersetzte. Dadurch fand die Rhetorik, welche sich an der Lehre Quintilians in dieser Epoche orientierte, großen Einfluss in der Predigtlehre und, wie auch im Mittelalter, bei anderen kirchlichen Themen. Zwischen Humanismus und Barock fand eine Verschiebung der Geschmäcker bezüglich der Stile statt: Während der Humanismus klares, geistreiches und maßvolles Sprechen bevorzugte, wurde der Ausdruck im Barock weitaus schwulstiger und ausladender. Die Verwendung von Stilmitteln gewann hier an Bedeutung. Allgemein kann man sagen, dass sich die Rhetorik des Humanismus und Barock bezüglich der Methodik, aufgrund der Orientierung Luthers an Quintilians Lehre, an den antiken Ansichten und am vir-bonus-Ideal – welches auch Einzug im höfischen Kontext hielt – eng orientierte. Die Orte der Rhetoriklehre blieben Schulen und Universitäten, vornehmlich mit kirchlichem Charakter.

2.4 Rhetorik der Aufklärung

Die Zeit der Aufklärung (18. Jahrhundert) war geprägt vom Begriff der Vernunft. Die Vernunft wurde als Energie gesehen, welche sich durch ihre Funktionalität messen lässt. Durch die Vernunft sollten Wahrheiten aufgedeckt werden. Die Funktionalität liegt im Wesen der Sprache begründet: Die Sprache ist fester Bestandteil der Vernunft, da sie notwendig ist, um die Wirkung der Vernunft hervorzurufen, durch sie Gedanken zum Ausdruck gebracht werden und sie als Werkzeug dient, die Philosophie in die Lebenspraxis zu transferieren. Daher wurde die Rhetorik als Lehre der Beredsamkeit zur Zeit der Aufklärung fester Bestandteil der Wissenschaften (Ueding /Steinbrink 1994, S. 100-101).

„An die Stelle der Kirche tritt der Optimismus der menschlichen Selbsterziehung: der Mensch bedarf der Bildung zur Entwicklung seiner in ihm grundgelegten Begabung […].“ (Ockel 1991, S. 368)

Während sich die Verwendung der rhetorischen Kenntnisse der Antike in den Epochen vor der Aufklärung stark an der gesellschaftlichen Ausrichtung orientierte, so wird „[…] im 18. Jahrhundert […] die antike Rhetorik wieder in ihre alten Rechte eingesetzt, weil die veränderte gesellschaftliche Situation für eine Wirkungsästhetik Raum schafft, die sich an der Ursprünglichkeit des rhetorischen Irrationalismus orientieren kann […]“. (Dyck 1991, S. 100)

Die rhetorische Kultur der Aufklärung ist trotz mehrerer Schriften dieser Zeit immer noch wenig bekannt (Dyck 1991, S. 101).

2.4.1 Methodik und Inhalte der Rhetoriklehre in der Aufklärung

Die bedeutendsten Vertreter dieser Epoche waren Gottfried Willhelm Leibniz (1646-1716) und Christian Thomasius (1655-1728). Ihre Hauptinteressen lagen zum einen in der deutschen Sprache selbst und zum anderen in der Verbreitung des Wissens. Diese zwei Interessenslagen waren streng miteinander verknüpft: nach Leibniz’ Ansicht sei für eine Verbreitung von Wissen eine Basis in Form einer guten deutschen Sprache von Nöten, um am wissenschaftlichen Austausch teilnehmen zu können. Da die meisten wissenschaftlichen Disziplinen in lateinischer Sprache dominierten, setzte man sich zum Ziel, die deutsche Sprache in die Wissenschaften als „Hauptsprache“ einzuführen und das Lateinische in den Hintergrund drängen. Die deutsche Sprache sollte aus ihrer Funktion des alltäglichen Gesprächs ausbrechen und am wissenschaftlichen Diskurs teilnehmen (Ueding / Steinbrink 1994, S. 102).

Die Rhetorik des 18. Jahrhunderts war, wie der Zeitgeist es verlangte, von Rationalität geprägt. Hinsichtlich der Methodik und Didaktik der Rhetoriklehre orientierte man sich an den antiken Vorbildern, wodurch das Nachahmen von Vorbildern (imitatio) als Schwerpunkt der Rhetoriklehre zu sehen ist. Das Nachahmen von Vorbildern galt als gängige Methode im Schulunterricht. Man setzte individuell bei den Erfahrungen der Schüler an und versuchte, diese bestmöglich zu optimieren. Das in den vorhergehenden Epochen vorherrschende Meister-Lehrling-Verhältnis blieb damit in der Rhetoriklehre weiter bestehen. Im Vordergrund der Lehre stand die Wirkungsintention, welche durch Vernunft verstärkt wurde. Das Hauptziel einer Rede war es zu überzeugen. Erst an zweiter Stelle standen die Unterhaltung des Publikums und die lebhafte Darstellung der Redeinhalte. Der Redner sollte über Geschicklichkeit verfügen, die richtigen Worte zu verwenden und durch die Struktur und Verwendung der Worte sollte das Verständnis beim Publikum verbessert werden (Fabricius 1724, S. 2-4; nach Ueding / Steinbrink 1994, S. 104).

Aufgrund der Verschriftlichung von Prozessen im juristischen Bereich verlor die Gerichtsrede in der Aufklärung an Praxisrelevanz, wurde jedoch in den Lehrschriften stets erläutert. Die politische Rede fand weiterhin im höfischen Leben und anderen politischen Einrichtungen (Bsp. englisches Parlament) Anklang, aber auch in gesellschaftsund hofkritischer Literatur. Die Festrede hatte weiter die Funktion, Personen zu loben, zu tadeln und wurde in unterschiedlichen Kontexten eingesetzt. Ebenso blieb die Predigt als Redegattung bestehen und wurde im Zusammenhang mit der Kanzelberedsamkeit genannt (Ueding 2000b, S. 29-40). Johann Christoph Gottscheds18 Ausführliche Redekunst (1736) wurde zum bedeutendsten rhetorischen Lehrwerk der Epoche. Seine Lehrschriften wurden im Rhetorikunterricht an Schulen und Universitäten genutzt (Ueding 2000b, S. 23). Er lehnte sich an die Theorie und Methodik Quintilians an, welcher forderte, dass ein Redner sein Publikum überreden und zu Taten bewegen solle. Mit Hilfe der Vernunft ist Quintilians Redeziel nur bei einem gebildeten Publikum zu erreichen, das Laienpublikum müsse mit Hilfe von Emotionen überredet werden. Ü- berzeugung durch Erregung der sanften oder heftigen Gefühle, war also Mittel, um ungebildetes Publikum zu bewegen. Das Hauptanliegen der aufklärerischen Rhetorik bestand in der rationalen Wirkungsintention, was die antike Rhetorik unter docere verstand. Schwulst war verpönt und Stilfiguren traten in den Hintergrund. Die Rhetoren der Aufklärung vertraten die Meinung, dass durch ausschmückende Elemente, der eigentliche Inhalt der Rede verdrängt, das Wesentliche auf Kosten der Klarheit und Deutlichkeit verloren geht. Somit war der mittlere Stil, mit mäßiger Ausschmückung, (Ueding 2000b, S. 18) der Stil der Aufklärung, wobei die Dreistillehre ihre Gültigkeit nicht verlor19 (Ueding / Steinbrink 1994, S. 103-112). Die Bearbeitungsphasen der Rede richteten sich nach dem antiken Vorbild: inventio, dispositio, elocutio und pronuntiatio (Ueding / Steinbrink 1994, S.108-113). Der Redner sollte ein gebildeter, verantwortungsvoller und rechtschaffener Mensch sein. Das Ideal des Redners orientierte sich nach dem antiken vir bonus.20 (Ueding / Steinbrink 1994, S. 116-120) Die Grundlagen der Rhetorik wurden im 18. Jahrhundert in Einzeldisziplinen aufgesplittet und einzeln weiterbearbeitet, wie z.B. Literaturwissenschaft, Poesie, Philosophie, Grammatik, Geschichte. Hier findet eine klare Unterscheidung zwischen Rhetorik und Poesie/Dichtkunst statt. Der Rhetor hatte Deutlichkeit, Wohllaut, Unterhaltung und vor allem Überzeugung und Unterrichten als Aufgabe, wohingegen der Dichter angehalten war eine sinnlich vollkommene und möglichst lebhafte Darstellung der Inhalte anzustreben, mit welchen er Phantasie und Emotionen erregte (Ueding / Steinbrink 1994, S. 108-114).

2.4.2 Schulungsorte der Rhetoriklehre in der Aufklärung

Gelehrt wurde die Rhetorik in Schulen und Universitäten. In den Schulen war die Rhetorik ein elementares Fach. Vor allem im Deutschunterricht, fand die rhetorische Lehre hohe Gewichtung. „Die Rhetorik ist die Schule der deutschen Literatur im 18. Jahrhundert […]“ (Ueding / Steinbrink 1994, S. 126). An den Universitäten gehörte die Rhetorik zum Kollegium der Artisten. Sie war die vierte Fakultät neben Theologie, Jurisprudenz und Medizin und hatte die Aufgabe die Studenten einer höheren Fachwissenschaft ausreichend vorzubilden. In der Rhetorik durfte man nur als Magister abschließen, in den drei anderen Fakultäten promovieren. Im Laufe der Zeit nahm das Ansehen der Rhetorik und der Philosophie zu, vor allem weil diese Einfluss auf die Theologie und Jurisprudenz hatten (Ueding / Steinbrink 1994, S. 121).

2.4.3 Zusammenfassung: Rhetorik der Aufklärung

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass in der Aufklärung das Hauptanliegen der Rhetoriklehre die Wirkungsintention durch Affekterregung der Rede darstellte, während sich die Lehre an sich stark an der Methode und den Erkenntnissen Quintilians orientierte (Ueding 2000b, S. 22). Auch das vir-bonus-Ideal wurde weiterhin vertreten, in den Optimierungsprozess durch Nachahmung integriert und die Bearbeitungsphasen der Rede wurden aus der antiken Lehre übernommen. Der schwulstige Ausdruck, welcher im Barock noch bevorzugt war, war in der Aufklärung verpönt und Stilmittel sollten alleinig der Wirkungsintention der Rede dienen. In Schulen und Universitäten wurde die Lehre der Rhetorik verbreitet, welche als eigenständige Disziplin galt. Vor allem das Nachahmen von vorbildlichen Rednern wurde, wie in der Antike, als gängige Methode in der Rhetoriklehre verwendet, wodurch das Meister-Lehrling- Verhältnis weiter Bestand hatte. Das Ansehen der Rhetorik stieg im Laufe der Jahre, vor allem im Umfeld universitärer Bildung.

2.5 Rhetorik im 19. Jahrhundert – Bürgerliches Zeitalter

Das 19. Jahrhundert bildete den Nährboden für den Verfall der Rhetorik. Sie hatte kaum noch Einfluss an Schule und Universität. Ursachen sieht man zum einen in der Spezialisierung des Wissens und auch in der „fehlenden demokratischen Überlieferung, Kultur der Innerlichkeit und Zerstörung der Vernunft“. (Ueding / Steinbrink 1994, S.134)21 Adam Müller (1779- 1829), welcher in Wien 1812 seine Zwölf Reden über die Beredsamkeit und deren Verfall in Deutschland hielt, sah folgende Ursachen für den Verfall: Die Schriftlichkeit und die Selbstgenügsamkeit der Literatur in Deutschland; das Publikum, welches kein Interesse zeigt; eine defizitäre Sprachkultur, welche durch dialektale Färbungen verschwimmt; und die fehlende republikanische Tradition (Ueding / Steinbrink 1994, S. 137; Ueding 2000b, S. 56).

2.5.1 Methodik und Inhalte der Rhetoriklehre im 19. Jahrhundert

Die Rhetorik wird im 19. Jahrhundert nicht mehr als ganzheitlicher Ansatz gesehen. Vielmehr greift sich jede wissenschaftliche Disziplin die für ihr Fach relevanten Aspekte aus der Rhetorik heraus. Dadurch kommt es zur Instrumentalisierung der rhetorischen Bereiche. Es entstehen einzelne Methoden, welche nahezu unabhängig voneinander in den unterschiedlichen Disziplinen angewandt werden können. Vor allem im Bereich der Politik erfährt die Rhetorik hohes Ansehen, wo nach „individuellen Vorlieben“ die Methoden der Rhetorik Anwendung fanden (Ueding 2000b, S. 62). Man erkannte, dass die Wirkung eines Redners und damit sein politischer Einfluss durch gezielten Einsatz rhetorischer Mittel gesteigert werden konnte, vor allem in Streitgesprächen (Ueding / Steinbrink 1994, S. 142-145). Durch das mündliche Gerichtsverfahren fanden die Methoden der Rhetorik auch im Zusammenhang mit der Gerichtsrede Nährboden (Ueding 2000b, S. 59). In den Rechtswissenschaften verfasste Karl Salomo Zachariä (1769-1843), Professor an der Universität Heidelberg, seine Anleitung zur Gerichtlichen Beredsamkeit (1810). Sie war das Basiswerk für die gerichtliche Beredsamkeit und lehnte sich stark an die antike Rhetoriklehre an.22 Die Kenntnis der Sprachen Griechisch, Latein, Französisch und der Dichter, berühmter Redner sowie Philosophen, wurde vorausgesetzt. Auch wenn sich die Lehre der gerichtlichen Beredsamkeit des 19. Jahrhunderts inhaltlich, in seiner Theorie stark an der antiken Rhetoriklehre orientierte, so kam die Einübung dieser Fä- higkeiten im Rahmen universitärer Veranstaltungen zu kurz (Ueding / Steinbrink 1994, S. 145-148).

„So bringt das 19. Jahrhundert zwar durch die generelle Einführung des mündlichen und öffentlichen Gerichtsverfahrens eine Renaissance der Gerichtsrhetorik auch in Deutschland, aber zugleich deren Reduktion auf die zweckmäßige Feststellung der Tatsachenbeweise und der nach dem Gesetz anzuwendenden Rechtssätze. Erst die Überwindung des formalen Rechtspositivismus durch Freirechtsschule, soziologische Schule und die Interessenjurisprudenz schafft Raum für eine neue und entscheidendere Geltung der juristischen Rhetorik – daß [sic] er nur wenig genutzt wurde, hängt mit dem allmählichem, doch unaufhaltbaren Abbruch der rhetorischen Tradition in dieser Epoche zusammen.“ (Ueding / Steinbrink 1994, S. 148)

Die Lehre der geistlichen Beredsamkeit entwickelte sich hinsichtlich der Arbeiten im 18. Jahrhundert weitgehend stringent weiter: im dialogischen Verfahren, „in der Erneuerung der Textexegese als Erweckungsbewegung oder ob schließlich in der Entwicklung der Predigt zur Kultpredigt“ (Ueding / Steinbrink 1994, S. 149). Die geistliche Beredsamkeit hatte vor allem die Zuhörer als Fokus der Rede, denn sie sollten das Wort Gottes durch die Predigt verstehen und ihr Verhalten daran ausrichten. Die Festrede konnte in unterschiedlichen Kontexten weiter bestehen und wurde in ihrer Methodik individuell verwendet (Ueding 2000b, S. 65).

2.5.2 Schulungsorte der Rhetorik des 19. Jahrhunderts

Mit der 1810 einsetzenden Schulreform änderte sich zunächst nichts an der Präsenz der Rhetorik im Unterricht. Neben Deutsch wurde auch das Fach Rhetorik unterrichtet. Doch nach und nach verschwammen die Grenzen zwischen Rhetorikund Deutschunterricht woraufhin die Rhetorik gegen Ende des 19. Jahrhunderts weitgehend an Relevanz und Raum im Unterricht verlor (Ueding 2000b, S. 77-79). Die Rhetorik war nur in Nischen an Schulen und Universitäten gegen Ende des 19. Jahrhunderts zu finden. An Universitäten musste die Rhetorik ihre Lehrstühle an Disziplinen wie Germanistik, Geschichte, Philosophie, Literaturwissenschaften und auch an Naturwissenschaften abgeben. In den Schulen gab es kein eigenes Unterrichtsfach Rhetorik mehr und wurde weitgehend im Deutschunterricht, vor allem hinsichtlich Textanalysen und Erörterungen, verwendet. Das Verschwinden der Rhetorik aus dem Schulunterricht wurde auf die Einführung der deutschen Sprache mit dem Verschwinden des Griechischen und Lateinischen als Lehrsprache zurückgeführt. Die Rhetorik fand nun ihren Platz im Deutschunterricht, wenn auch in abgeschwächter Form. Zu den antiken klassischen Werken kommen diese von deutschen Schriftstellern, oder werden sogar durch diese ersetzt. Jedoch war die Rhetorik in der Aufsatzlehre unabdingbar. Der Deutschunterricht hatte die sprachliche und literarische Bildung als Aufgabe, welcher einen relativ modernen Literaturbegriff hatte: Es wurden Geschichtsschreibung, Redekunst – auch praktisch – und Essays von Lessing und Schiller im Unterricht behandelt (Ueding / Steinbrink 1994, S. 151-154).

„Mit der Abschaffung des lateinischen Aufsatzes im Abitur 1890 ist auch die Rhetorik aus der gelehrten Schule verschwunden – die Universitäten hat sie schon früher verlassen – und taucht erst in den 60er Jahren unseres Jahrhunderts […] wieder auf.“ (Ockel 1991, S. 370)

2.5.3 Zusammenfassung: Rhetorik im 19. Jahrhundert

Im 19. Jahrhundert kann man zusammenfassend feststellen, verlor die Rhetorik weitgehend an Ansehen: Sie verschwand als eigenständige Disziplin an Schulen und Universitäten und wurde in andere Disziplinen eingeordnet. Vor allem in den Kontexten Politik, Jura und Predigtlehre fand die Rhetorik Nischen, um in seinen Methoden Anwendung zu finden, jedoch in untergeordneter Rolle und nicht als eigenständige Disziplin.

[...]


1 Aus Gründen der Anonymität wird der Name des Unternehmens nicht genannt.

2 Es entstehen Theorien wie der klassische linguistische Strukturalismus, begründet durch de Saussure, die in universalen Normen des kommunikativen Handelns begründete kritische Gesellschaftstheorie von Habermas sowie die Sprechhandlungstheorie und Konversationsanalyse (Beispiel: Sprechakttheorie von Austin & Searle), welche alle Elemente der klassischen Rhetoriklehre beinhalten und so die Rhetorik und ihre Erkenntnisse am Leben erhalten. (Wiersing 2004, S. 121-129)

3 Aus der Frühgeschichte der Rhetorik sind nur wenige Texte erhalten, so dass nur wenige Informationen aus dieser Zeit überliefert werden konnten. (Ueding 2000a, S. 11)

4 An dieser Stelle sei angemerkt, dass nur Männer der griechischen Oberschicht demokratische Rechte besaßen. Eine Demokratie, im Sinne eines Mitspracherechts aller Bürger, egal welchen Geschlechts oder Standes, gab es im antiken Griechenland nicht.

5 Der Begriff „Vorsokratiker“ bezeichnet alle Philosophen, nicht nur Philosophen mit dem Schwerpunkt der Redekunst, welche vor Sokrates gelebt haben. Jedoch handelt es sich bei den Vorsokratikern, vor allem im Bereich der Rhetorik, größtenteils um Zeitgenossen Sokrates.

6 Korax hatte vor seiner Tätigkeit als Rhetoriklehrer ein einflussreiches Amt am syrakusanischen Hof. (Ueding 2000a, S. 15)

7 Größter Gegner der Sophisten war Platon, welcher vehement deren Methoden und Lehrinhalte kritisierte. (Ueding 2000a, S. 18; 24)

8 Durch diese Reistätigkeit kamen die Sophisten mit unterschiedlichen Moralvorstellungen und Rechtssystemen der unterschiedlichen Polis in Kontakt. Diese unterschiedlichen Perspektiven und Unterschiede zwischen den Polis machten ihre Lehre zu einem breit gefächerten Repertoire. (Ueding 2000a, S. 20)

9 Eine Differenzierung zwischen praktischer und theoretischer Rhetorik fand erst bei den römischen Rhetoren statt, welche zwischen rhetorica – der rhetorischen Theorie – und oratoria (eloquentia) – der Beredsamkeit – unterschieden. (Ueding 2000a, S. 12)

10 Auch über die Lehre Sokrates schrieb Platon, was große Bedeutung für die wissenschaftliche Forschung darstellt, da Sokrates selbst keine schriftlichen Werke hinterließ.

11 Bereits bevor sich die rhetorische Lehre im römischen Reich ausweitete und Akzeptanz erntete, gab es feste Formen und Strukturen der Grabrede. (Ueding 2000a, S. 38)

12 Schüler, welche aus diesen Schulen hervorgingen wurden später Staatsmänner, Verwaltungsbeamte, städtische Magistrate, etc. (Calboli 1991, S. 14)

13 Das erste Buch behandelt aus der Bibel abgeleitete Glaubensfragen, das zweite Fragen des Verständnisses der Bibeltexte, das dritte Buch versucht Regeln für die Deutung der Bibel aufzustellen und das vierte Buch stellt die Vermittlung der einzelnen Kenntnisse dar. Das vierte Buch und die darin enthaltenen Regeln zur Darstellung der Kenntnisse hatten Einfluss auf die Predigttheorie.

14 Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass die Form der Predigt keine Einwände oder Unterbrechungen seitens der Zuhörer gestattet und der Sprecher in der Predigt ohnehin nicht Gefahr läuft unterbrochen werden zu können. Es handelt sich bei der Predigt somit um eine reine monologische Gesprächssituation. Die Argumentationstechnik nach Augustinus beinhaltet folglich lediglich die Kenntnis des Sprechers über die Sachlage und mögliche aktuelle Diskurse. Mit realen Einwänden während der Predigt ist jedoch, aufgrund der Konvention, Prediger nicht zu unterbrechen, nicht zu rechnen. (Tornau 2006, S. 356-357)

15 Die artes liberales, unterteilt in Trivium und Quadrivium, sind auf das älteste enzyklopädische Lehrwerk des Mittelalters in neun Büchern De nuptiis Philologiae et Mercurii von Martianus Capella (5. Jh. n. Chr.) zurückzuführen, was das bedeutendste Schulbuch des Mittelalters darstellte (Ueding 2000a, S. 96).

16 Es entstanden Ratgeber zum höfischen Leben, wie man sich zu verhalten habe und auf was zu achten sei. Vor allem Aspekte der Rhetorik kamen hierbei zum tragen: „von der angemessenen Kleidung bis zur richtigen Titulatur, vom Anstand in Mienen und Gebärden bis zur kurzweiligen Konversation.“ (Ueding 2000a, S. 111)

17 Das vir-bonus-Ideal wurde auch auf das höfische Leben übertragen, an welches es sich zu halten galt. Dieses Ideal wurde bis in die Epoche des Barock weitergegeben, bis Christian Weise und Talander 1700 den vir bonus kritisierten, da ihrer Ansicht nach die Jugend Karriere machen solle und man dies nur am absolutistischen Hof oder im Stadtregiment in vollem Maße erreichen könne. Dies fordere jedoch, dass man sich anpasse und sich den Meinungen der anderen anschließe, egal ob man diese für gut oder schlecht hält, was wiederum nicht dem Ideal des vir bonus entspräche. (Ueding / Steinbrink 1994, S. 86-89)

18 Gottsched setzte eine einheitliche deutsche Schriftsprache fest, was sehr großen Einfluss auf die Verbreitung der Wissenschaften in die verschiedenen gesellschaftlichen Stufen hatte. (Ueding / Steinbrink 1994, S.132)

19 Vor allem in schriftlichen sprachlichen Formen behält die Dreistillehre ihre Gültigkeit. Der niedere Stil wurde für Belehrungen und Erörterungen verwendet, der mittlere Stil sollte den Geist angenehm unterhalten und der höhere Stil in der Schreibart sollte Phantasie und Gemüt erregen.

20 Tugenden waren in der Aufklärung groß geschrieben, woraufhin auch das bis heute bekannte Werk von Freiherr von Knigge Über den Umgang mit Menschen entstand. (Ueding / Steinbrink 1994, S. 119)

21 Die Ursachen bleiben weitgehend spekulativ und bilden immer noch großen Raum für wissenschaftliche Untersuchungen, um die wahren Gründe des Verfalls der Rhetorik aufzudecken.

22 Die antike Rhetoriklehre wurde anfangs eigens für gerichtliche Zwecke verfasst (siehe Kap. 2.1).

Ende der Leseprobe aus 224 Seiten

Details

Titel
Die Optimierung der Redeleistung im Rhetorik- und Kommunikationstraining
Untertitel
Eine geschlechtsdifferenzierte Untersuchung
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München
Note
1,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
224
Katalognummer
V121778
ISBN (eBook)
9783640267729
ISBN (Buch)
9783640267781
Dateigröße
2441 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Optimierung, Redeleistung, Rhetorik-, Kommunikationstraining, Thema Redeanalyse
Arbeit zitieren
Dr. Susanne Dietz (Autor:in), 2008, Die Optimierung der Redeleistung im Rhetorik- und Kommunikationstraining, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/121778

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