Die politische Sangspruchdichtung Walthers von der Vogelweide

Eine Analyse des "Reichs-Tons"


Seminararbeit, 2022

27 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Mittelalterliche Sangspruchdichtung
2.1 Charakteristika
2.2 Walthers politische Sangspruchdichtung

3 Walther und die mittelalterliche Lebenswelt
3.1 Herkunft und Name
3.2 Leben und Wirken
3.3 Politische Situation
3.4 Papst Innozenz III
3.5 Auftragsdichtung oder Eigenaussagen des Dichters

4 Politische Kritik in Walthers Reichs-Ton
4.1 Hintergrund und Entstehungskontext
4.2 Gliederung des Reichs-Tons
4.2.1 Reichsklage (L 8,4)
4.2.2 Weltklage (L 8,28)
4.2.3 Kirchenklage (L 9,16)

5 Fazit

6 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Mit der Lyrik Walthers von der Vogelweide verbindet man vor allem seine Minnedichtung, wobei auch ein betrachtlicher Teil seines ffiuvres der soziopolitischen Sangspruchdichtung zugeordnet werden kann. Diese divergiert aufgrund politischer und religioser Themen vom Minnesang, wodurch sich zwei verschiedene Lyrikarten ergeben.1 Die Bezeichnung ,Sangspruch‘ ist dabei trugerisch: Es handelt es keineswegs um gesprochene Dichtung, sondern um mittelhochdeutsche, gesungene Poesie in Strophenform, die im 12. Jahrhundert entstand und bis ans Ende des 15. Jahrhundert fortwirkte. Zumeist verfugten die Dichter in ihrem Repertoire uber mehrere Melodien (,Tone‘), die mehrfach eingesetzt werden konnten.2 Erst die Germanisten Simrock und Burbach pragten im 19. Jahrhundert die nam entlichen Bezeichnungen fur die groBteils mehrstrophig angelegten Sangspruche.3

Um Walthers politische Dichtung genauer analysieren zu konnen, werden in Kapitel 2 zunachst die Charakteristika der mittelhochdeutschen Sangspruchdichtung betrachtet, worauf im folgenden Kapitel die Lebenswelt des Dichters im romisch-deutschen Reich, die sein literarisches Schaffen mitpragte, beleuchtet wird. Dort begann im Jahr 1198 Walthers politische Dichtung mit dem dreistrophigen Reichs-Ton, den der Dichter im Gefolge des Staufers Philipp von Schwaben, dem Bruder des verstorbenen Kaisers Heinrich IV., dichtete. Dieser wird fur die vorliegende Arbeit als Primartext herangezogen und in Kapitel 4 einer kritischen Analyse hinsichtlich politischer Aussagen unterzogen. Inhaltlich inszeniert der Dichter sein lyrisches Ich im Reichs-Ton als allwissender Seher, der das politische Geschehen im ,riche‘ kritisch betrachtet. Dabei leitet er vom Allgemeinen zum Spezifischen hin, denn der einleitenden Reichsklage folgen in den spateren Strophen immer konkretere politische Aussagen. Dabei stellt sich die Frage, inwiefern eine Auftraggeberschaft oder auch die politische Eigenmeinung des Dichters zum Ausdruck kommen.

Fur die Ausarbeitung dieser Arbeit stellt sich folgende Forschungsfrage: „Wie auBerte sich politische Kritik im Reichs-Ton Walthers von der Vogelweide und vertrat der Dichter dort eine politische Eigenmeinung?“ Diese soll durch den Primartext, der unter Zuhilfenahme von Forschungsliteratur analysiert wird, beantwortet und einem abschlieBenden Fazit unterzogen werden.

2 Mittelalterliche Sangspruchdichtung

2.1 Charakteristika

Die Sangspruchdichtung und der Minnesang zahlten im Mittelalter, wenngleich in kleinerem AusmaB, neben dem hofischen Roman und den Ritterepen zu den drei wichtigsten Ausformungen der hofischen Dichtung.4 Gerade aufgrund thematischer und soziologischer Unterschiede mussen Minnesang und Sangspruch jedoch als zwei getrennte Lyrikarten betrachtet werden. Dabei kommt dem Minnesang die Bedeutung der hofischen Liebesdichtung zu, wahrend man mit Sangspruchdichtung, als „gesungene, strophische Poesie“,5 eine thematische offen gehaltene Dichtkunst bezeichnet. Walther von der Vogelweide kommt in diesem Fall eine besondere Bedeutung zu, denn er hob die Grenze zwischen diesen beiden Lyrikformen auf und agierte somit zeitgleich als Minnesanger und Sangspruchdichter. Ulrich Muller sieht in Walther sogar den eigentlichen Schopfer des Sangspruchs.6 Da man im 19. Jahrhundert noch weitestgehend davon ausging, dass die Spruchdichtung im Mittelalter gesprochen wurde, teilte man Sangspruch und Minne in ,Spruch‘ und ,Lied‘ ein. Dies anderte sich, als man Fragmente von Melodien auch zu Sangspruchstrophen entdeckte und die Bedeutung und Grenzen dieser Begriffe im Laufe der Zeit unscharfer wurden. Eine Unterscheidung findet heute auf inhaltlicher und formaler Ebene statt:7 Die Spruchdichtung wird dabei als gesungene mittelhochdeutsche Lieddichtung (,Sangverslyrik‘) definiert, welche in sich abgeschlossene Strophen enthalt und keine Liebe und Minne thematisiert, sondern Inhalte wie Politik, Religion, Lebensfuhrung und die Existenz des Dichters aufgreift. Dabei werden in der Sangspruchdichtung verstarkt Lebenswelterfahrungen thematisiert, was sich nicht zuletzt in kritischen und belehrenden Aussagen zeigt. Mitunter konnten aber auch Mischformen auftreten, da in manche Sangspruche auch Liebesthematiken hineingewoben wurden.8 Relativierend muss festgestellt werden, dass eine scharfe Trennungslinie zwischen Minnesang und Sangspruch nur schwer gezogen werden kann, zumal die Geschichte beider Gattungen unverkennbar miteinander verbunden ist und sich das moderne ,Gattungsdenken‘ nicht unmittelbar auf vormoderne Literaturproduktion und -rezeption ubertragen lasst.

Vielmehr wurde in dieser Zeit zwischen Stilebenen, also hohem, mittlerem und niedrigem Stil, zumindest in den lateinischen Poetiken, unterschieden.9

Lange Zeit betrachtete man die in sich geschlossene Einzelstrophe als typisches Charakteristikum des Sangspruchs, wobei sich dieses Merkmal im Lauf der Zeit veranderte und Mehrstophigkeit zur Regel wurde.10 Da es sich bei Sangspruchdichtern zumeist um fahrende Lyriker handelte, fur welche die ,milte‘ adeliger Gonner existentiell war, wird die Sangspruchdichtung der Auftragsdichtung zugeordnet. Wurde diese Gunst dem Dichter nicht ausreichend gewahrt, konnte dieser das adelige Ansehen schmalern, indem er seinem Missfallen am nachsten Hof Ausdruck verlieh. Dadurch kann einem solchen Dichter durchaus eine gewisse Machtposition eingeraumt werden.

Sangspruche wurden, wie auch Leichs und Minne, vor einem Publikum in gesungener Weise vorgetragen.11 Dabei hatten Auffuhrungen in kleineren Kreisen weniger Relevanz als jene bei geselligen Veranstaltungen, die nicht selten aufgrund politischer Anlasse stattfanden und innerhalb derer gesellschaftliche und politische Spharen ineinandergriffen. Fur die politische Sangspruchdichtung des Mittelalters lassen sich dabei wesentliche Eigenschaften festmachen: Sie wurde meist in offentlichem Rahmen mundlich vorgetragen und verfolgte mehrere Zwecke, wie den der Unterhaltung, der Machtdemonstration und der Rekapitulation gemeinsamer feudaler Werte.12 Daruber hinaus postulieren Mohr und Kohlschmidt, dass die politische Dichtung des Mittelalters auch eng mit der religiosen verknupft sei und heben hervor, dass Politisches und Religioses auch auBerhalb der Poetik des Mittelalters eine untrennbare Einheit bildeten.13

2.2 Walthers politische Sangspruchdichtung

Walthers politische Lyrik bietet eine breite thematische Palette, welche tonubergreifend verarbeitet wird, wobei das Hauptaugenmerk der Forschung weiterhin auf den kirchen- und herrscherkritischen Texten liegt.14 Die Mehrzahl von Walthers Sangspruchen umfasst mehrere Strophen, wenngleich einige Tone nur eine Strophe aufweisen. Hierbei durfte es sich um Reste aus der fruhdeutschen Lyrik-Tradition handeln, die noch durch Einstrophigkeit gepragt war.

Bereits im Mittelalter versah man einige Spruchtone mit einem Namen. Auch Walthers mehrstrophige Tone (Bsp.: Reichs-Ton, Wiener Hof-Ton, Otten-Ton ) tragen Bezeichnungen, wobei diese erst durch die Germanisten Simrock und Burbach im 19. Jahrhundert gepragt wurden. Die Benennung folgte aus der Beobachtung, dass Walthers Sangspruche durchwegs politische Schwerpunkte aufweisen und Bezug zu bestimmen Herrscherhausern nehmen.15 Da im Zusammenhang mit der Sangspruchdichtung vermehrt von ,politischen‘ Inhalten gesprochen wird, gilt es zunachst zu klaren, was unter diesem Begriff in Bezug zur mittelhochdeutschen Dichtung Walthers zu verstehen ist. Dabei fuhrt Thomas Bein an, dass der Begriff ,politisch‘ aufgrund der namentlichen Erwahnung kirchlicher und weltlicher Obrigkeiten in einigen Strophen Walthers durchaus angewendet werden durfe. Innerhalb dieser wird Bezug zu realen historischen Ereignissen genommen und Kritik an weltlichen und geistlichen Herrschern geubt. Walther kritisiert sogar den Papst und die Sittenlosigkeit des Klerus, wodurch er gleichzeitig die Machtpolitik der Amtskirche beanstandet. Auch dem Herrscherlob kommt bei Walther eine wesentliche politische Bedeutung zu, da es das Ansehen des Herrschers, womoglich in dessen Auftrag, starken und festigen sollte. Dabei zeigt sich, wie die Themenfelder in seiner Sangspruchdichtung ineinander verschwimmen.16

3 Walther und die mittelalterliche Lebenswelt

3.1 Herkunft und Name

Bei Walther von der Vogelweide fehlen, wie bei vielen seiner Zeitgenossen, konkrete biografische Zeugnisse. Da er seine Person jedoch in gewissem MaBe in seine Dichtung miteinbringt und sich seine Sangspruchdichtung auf historische Personlichkeiten und deren Wirken bezieht, lasst sich ein ungefahrer Lebensumriss erstellen.17 Ob sein Namenszusatz von der Vogelweide fur seinen Herkunftsort steht, oder ob sich der Dichter diesen zu einem spateren Zeitpunkt selbst zugeschrieben hat, ist umstritten. Zudem wird vermutet, dass es sich hierbei um einen Kunstlernamen handeln konnte, welcher auf dem vogelfangenden Helden der Walther-Sage oder auf dem seit der Antike verbreiteten Dichter-Bild einer Nachtigall basiert.18 Als Heimat Walthers von der Vogelweide wird der suddeutsche Raum vermutet, wobei der genaue Ort unbekannt und in Forschungs- wie auch Laienkreisen nach wie vor umstritten ist.19 Hierzu werden der Vogelweidhof in Sudtirol, Osterreich (Waldviertel oder Wien), Franken, Wurzburg oder Frankfurt am Main in Erwagung gezogen, jedoch liegen keine eindeutigen Quellen vor.20 Als gesichert gilt, dass er seine Jugend im niederosterreichischen Raum verbrachte, wie er es selbst im Zweiten Otten-Ton (Unmuts-Ton) darlegt: „Ze (Esterriclie lernde ich singen unde sagen“.21 Spatestens ab 1198 stand er in den Diensten des Staufers Philipp von Schwaben.22

Da Walther an die 40 Jahre lang Lyrik verfasste, kann angenommen werden, dass er im Zeitraum von 1170 bis 1230 lebte. Hierfur spricht auch die Feststellung, dass keines seiner Werke zuverlassig auf einen Zeitpunkt danach datiert werden kann.23

3.2 Leben und Wirken

Die literarische Tatigkeit der mittelalterlichen Dichter innerhalb der feudalen Gesellschaft war, neben der Abhangigkeit von Gonnern und Wohltatern, zumeist durch den Geburtsstand gepragt. Walther selbst hebt, wenn es um den Geltungsanspruch und Unterhalt geht, seine Dichtkunst („richu kunst“)24 und sein vorbildliches hofisches Benehmen („hovescheit“)25 hervor. Dabei unternahm man in der alteren Forschung den Versuch, die Ranghohe des Dichters mit dem sozialen Status zu verschmelzen, indem man Walther als adeligen Herren ansah. In der neuen Forschung wird ihm lediglich Ritterburtigkeit oder ministeriale Herkunft zugestanden, wobei die Quellen hierzu nicht eindeutig sind.26

Bereits in jungen Jahren erlernte Walther am Wiener Hof des Babenberger Herzogs Friedrich die Kunst des Minnesangs. Sein Meister, und bald auch Konkurrent, war der im selben Ort ansassige Reinmar der Alte. Nach dem Tod des Herzogs, wahrend des Kreuzzugs im April 1198, beklagt Walther dessen Ableben. AnschlieBend kehrte er unter Friedrichs Nachfolger Leopold VI. dem Wiener Hof den Rucken, wobei der Grund dafur nicht bekannt ist. Mehrere Versuche, am Hofe wieder FuB zu fassen, blieben erfolglos.

[...]


1 Vgl. Kern Manfred: Walther von der Vogelweide. In: Dorothea Klein, Jens Haustein, Horst Brunner (Hg.): Sangspruch/Spruchsang. Berlin/Boston: De Gruyter 2019, S. 330.

2 Vgl. Runow Holger: Sangspruchdichtung als Gattung (statt einer Einleitung). In: Dorothea Klein, Jens Haustein, Horst Brunner (Hg.): Sangspruch/Spruchsang. Berlin/Boston: De Gruyter 2019, S. 1.

3 Vgl. Brunner Horst, Gerhard Hahn, Ulrich Muller, Franz Viktor Spechtler: Walther von der Vogelweide. Epoche-Werk-Wirkung. Munchen: Beck, 2. Aufl., 2009, S. 121.

4 Vgl. Brunner u.a.: Epoche, S. 12.

5 Runow: Sangspruchdichtung, S. 1.

6 Vgl. Brunner u.a., Epoche: S. 15-16; S. 136.

7 Vgl. Reichert Hermann: Walther von der Vogelweide fur Anfanger. Wien: WUV Universitatsverlag, 2. Aufl., 1998, S. 35.

8 Vgl. Brunner u.a.: Epoche, S. 137.

9 Vgl. Rundow: Sangspruchdichtung, S. 2.

10 Vgl. Ebd., S. 1.

11 Vgl. Brunner u.a.: Epoche, S. 139-140.

12 Vgl. Marzo-Wilhelm Eric: Walther von der Vogelweide zwischen Poesie und Propaganda. Untersuchungen zur Autoritatsproblematik und zu Legitimationsstrategien eines mittelalterlichen Sangspruchdichters. Frankfurt/Main: Peter Lang Verlag 1998, S. 30-31.

13 Vgl. Mohr Wolfgang, Kohlschmidt Werner: Politische Dichtung. In: Wolfgang Mohr, Werner Kohlschmidt (Hg.): Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte Bd. 2. Berlin / Boston: De Gruyter 1977, S. 171.

14 Vgl. Kern: Walther, S. 340-341.

15 Vgl. Brunner u.a.: Epoche, S. 141.

16 Vgl. Bein Thomas: Deutschsprachige Lyrik des Mittelalters. Von den Anfangen bis zum 14. Jahrhundert. Eine Einfuhrung. Berlin: Schmidt Verlag 2017, S. 208.

17 Vgl. Schweikle Gunther: Walther von der Vogelweide. Werke. Bd 1: Spruchlyrik. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Stuttgart: Reclam, 2. Aufl., 2005, S. 15.

18 Vgl. Schweikle: Werke, S. 8.

19 Vgl. Scholz Manfred Gunther: Walther von der Vogelweide. Stuttgart/Weimar: Metzler, 2. Aufl., 2005, S. 1.

20 Brunner u.a.: Epoche, S. 19.

21 Bein Thomas: Walther von der Vogelweide. Leich Lieder Sangspruche. Berlin/Boston: De Gruyter, 15. Aufl., 2013, S. 104.

22 Vgl. SCHOLZ: Walther, S. 14.

23 Vgl. Brunner u.a.: Epoche, S. 19-20.

24 Ebd., S. 20.

25 Ebd., S. 20.

26 Vgl. Ebd., S. 20.

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Die politische Sangspruchdichtung Walthers von der Vogelweide
Untertitel
Eine Analyse des "Reichs-Tons"
Hochschule
Universität Salzburg  (Fachbereich für Germanistik)
Note
1,0
Autor
Jahr
2022
Seiten
27
Katalognummer
V1225303
ISBN (eBook)
9783346653185
ISBN (Buch)
9783346653192
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Walther von der Vogelweide, Mittelhochdeutsch, Lyrik, Sangspruch, Minnesang, Mittelalter, Politik, Deutschland, Heiliges Römisches Reich
Arbeit zitieren
Hannes Scharler (Autor:in), 2022, Die politische Sangspruchdichtung Walthers von der Vogelweide, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1225303

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