Die Amerikakritik in „La signora è da buttare" von Dario Fo und Franca Rame


Seminararbeit, 2008

21 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung

2 Allgemeines zur Darstellung der Kritik

3 Themen und Bezugspunkte der Fo’schen Amerikakritik
3.1 Die Rolle der „vecchia“
3.2 Die Figur der „Franca sposa“
3.3 Die Ermordung der „Franca sposa“
3.4 Die Darstellung der amerikanischen Außenpolitik
3.5 Weitere Anspielungen und Andeutungen

4 Zusammenfassung

Literatur

1 Einleitung

Amerika oder besser gesagt die Vereinigten Staaten von Amerika waren und sind ein beliebtes Reflektionsobjekt europäischer Kulturschaffender. „The American spirit of life“ in all seinen vielfältigen Ausprägungen ist für viele Europäer zugleich bewundernswert und abstoßend.1

Auch in der italienischen Kultur kommt dieser Sachverhalt häufig zum Ausdruck. Beispielhaft sei hier nur auf das 1979 veröffentliche Musikalbum „California“ von Gianna Nannini verwiesen. Auf dem Cover dieser CD wird die Freiheitsstatue abgebildet, allerdings mit einem Vibrator statt einer Fackel in der Hand. Zudem befindet sich auf dem Album ein Stück namens „America“, welches die Empfindungen bei der Masturbation beschreibt („Fammi l’amore forte sempre più forte ed io sono l’America“).2 Einerseits kommt hier der Freiheitsgedanke zum Vorschein, die Loslösung von alten Fesseln. Anderseits wird auch die Provokation deutlich, welche die wahrhafte Größe der amerikanischen Ideale in Frage stellt.

Aber nicht nur in der italienischen Musik wird die Bedeutung Amerikas kritisch hinterfragt. In seinem Theaterstück „La signora è da buttare“ von 1967 geht der spätere Nobelpreisträger Dario Fo auf diese Problematik sehr intensiv ein.3 Im Rahmen dieser Seminararbeit eine dezidierte Analyse der Kritik Fos durchgeführt werden. Dies umfasst neben der Beschreibung des allgemeinen Handlungskontextes auch eine intensive Interpretation markanter Textpassagen. Auf welche Missstände innerhalb der amerikanischen Politik und Gesellschaft möchte Fo aufmerksam machen und wie tut er dies inszenatorisch? Am Schluss der Arbeit wird diesbezüglich noch eine kurze Bewertung und Einordnung der Fo’schen Amerikakritik folgen.

2 Allgemeines zur Darstellung der Kritik

Das Ambiente, in dem ein Theaterstück inszeniert wird, gibt bereits gewisse Aufschlüsse über die Intention des Autoren. Im Fall von Dario Fos „La signora è da buttare“ spielt die Handlung in einem Zirkuszelt.4

Dies ist sicherlich nicht das Umfeld, welches für eine szenische Kritik an der amerikanischen Gesellschaft sofort erwartet werden könnte.5 Der Zirkus gilt als Ort des Komischen und Gewagten. Clowns, Seiltänzer und Dompteure symbolisieren in ihren Handlungen diese Ebenen. Damit verknüpft ist der Aspekt des Irrealen. Der Manege ist nicht nur räumlich abgekoppelt von der ihn umgebenen Lebenswelt. Innerhalb dieser würde es bizarr erscheinen, wenn sich jemand wie ein Clown kleidet oder auf einem dünnen Seil läuft, welches sich zehn Meter über dem Erdboden befindet. Dem Zuschauer bietet der Zirkus die ungezwungene Möglichkeit zum (Aus-) Lachen, Staunen und Bewundern. Im Alltag können diese Gefühle nicht so ungehemmt ausgelebt werden wie im Zirkuszelt.

Innerhalb des Fo’schen Zirkusambientes sind die Protagonisten eine Reihe von Clowns. Genauer gesagt handelt es sich hierbei um Dario, Ezio, Alberto, Valerio, Romano, Arturo und Secondo.6 Clowns spielen allgemein in der Manege die komische und humoristische Rolle, welche insbesondere die Begeisterung von Kindern für das Zirkusflair anregt. Der Clown offenbart Fehler, an denen er jedoch nicht wirklich leidet, sondern sie in gewisser Weise akzeptiert. Neben diesem dümmlich anmutenden Talent zeigen Clowns aber auch die stärkste Reflexion in Bezug auf ihr Handeln und dasjenige ihrer Umgebung. Das „Normale“ wird in einen grotesken Rahmen gesetzt und damit kritisch hinterfragt. Der Clown ist Teil dieser Welt, die er selbst karikiert.7 Ihm bietet sich ebenfalls die Möglichkeit, die Zuschauer aktiv in das Geschehen einzubinden und selbst zur Reflexion zu verhelfen. Ein Aspekt des Clown-Daseins ist zudem die Maskierung, wie sie auch in der italienischen commedia dell’arte häufig zur Anwendung kam.8 Hinter den Handlungen steht nicht direkt die Persönlichkeit des tollpatschigen Clowns, sondern meistens symbolisieren sie eine reale Persönlichkeit oder soziale Gruppe. Dies stellt die Herausforderung an den Zuschauer, das Geschehen auf der Bühne nicht nur passiv zu genießen, sondern ebenfalls zu interpretieren. Diese Aufgabe wird im speziellen Fall von Fos Stück dadurch erschwert, dass einige Clowns verschiedene Persönlichkeiten annehmen können.9

Interessant sind diese Aspekte im Hinblick auf die literarische Tradition, welche in Dario Fos Theaterstücken zum Ausdruck kommt. So spricht der Theaterkritiker Dieter Kranz davon, dass in Dario Fo „die komödiantische Begabung des geborenen Clowns und Entertainers“ innewohnt.10 Die Wurzeln für diese Talente dürften in der Umgebung, in der Fo aufwuchs, zu finden sein. In seiner Kindheit und Jugend am Lago Maggiore traf er oft auf fahrende Schauspieler und Erzähler und war sowohl von den Persönlichkeiten als auch deren Geschichten tief beeindruckt.11 Diese Art des Volkstheaters zeigt sich auch in seinen Stücken. Fo betont die Wechselbeziehung zwischen Bühne und Publikum, wie sie auch in der Interaktion zwischen dem Clown und dem Manegepublikum von herausragender Bedeutung ist.12

Wie können nun diese Rahmenbedingungen in Bezug auf die Amerikakritik gedeutet werden? Zunächst ist es basal zu erkennen, dass das Stück eine Parabel auf die Geschichte der USA in den 1960er Jahren ist.13 Als Ambiente wird hierbei die Zirkuswelt gewählt, was nicht unbedingt eine positive Konnotation besitzt. Im Alltag gängige Ausrufe wie „Was ist das denn für ein Zirkus!?“ zeigen an, wie diese Umge- bung verstanden werden könnte, nämlich als ein Ort der Unordnung, an dem jegliche Regulierung scheinbar aufgehoben ist. Freiheit wird dort zur Anarchie, in der jegliche Logik verschwindet. Der Ort der Freude und des gemeinschaftlichen Miteinanders kann sich somit zu einem furchtbaren Feld von Egoismus und Gewalt wandeln und genau tut es auch in Fos Inszenierung. Ein Großteil der Clowns zeigt recht schnell im Verlauf des Stückes ihre wahren, hässlichen Fratzen. Hierin besteht womöglich eine Kernbotschaft der Fo’schen Allegorie auf die amerikanische Gesellschaft und Politik: Hinter den Ideen und Repräsentanten von Freiheit kommt rasch das hohle Innere zum Vorschein und es zeigt sich eher das Gegenteilige, also Unterdrückung und Gewalt.

Es könnte sich die Frage stellen, warum sich ausgerechnet einitalienischerAutor mit den USA beschäftigt. Schließlich könnte dahingehend argumentiert werden, dass es sich hierbei um nationale Angelegenheiten handelt und es somit eher das Geschäft amerikanischer Intellektueller wäre, sich damit auseinanderzusetzen. Fo selbst begegnet diesem nationalistischen Argument dahingehend, dass der ideologische Kampf „sich überall auf dieselbe Art und Weise abspielt“ und gibt sogar ein konkretes Beispiel: „In Paris haben sie vorgestern gerade eine Komödie gebracht, die ich für Italien geschrieben habe und die sich auf Kämpfe vor einigen Jahren in Italien bezieht und die trotzdem noch heute für Frankreich Gültigkeit hat.“.14 Die Intentionen der Fo’schen Texte sind somit auch in gewisser Weise allgemeiner Natur und bleiben nicht nur bei der temporären Auseinandersetzung mit dem aktuellen Untersuchungsgegenstand stehen. Dabei greift Fo auch gerne auf historische Ereignisse zurück, um diese wiederum in den aktuellen Kontext zu stellen.15

Trotz der Verallgemeinerungsthese hat der Einfluss der USA überall auf der Welt und somit auch in Italien seine eigenen historischen Spuren hinterlassen.16 Kritisch wurde auf der Apenninenhalbinsel während der Entstehungszeit von Fos „La signora è da buttare“ (1967) insbesondere die imperialistische Außenpolitik diskutiert. Die dominante Rolle der Vereinigten Staaten innerhalb der NATO sowie die Vietnam- Intervention waren insbesondere für linke Intellektuelle nicht akzeptabel.17 Damit war auch eine allgemeine Kulturkritik à la Adorno verbunden, welches sich mit spätkapitalistischen Tendenzen moderner Industriegesellschaften (u.a. Kulturindustrie, Einfluss der Massenmedien) auseinandersetzte und der USA eine tragende Rolle für diese Entwicklungen zuschob. Ihr öffentliches Ventil fanden diese Kritikpunkte schließlich in den Arbeiterund Studentenunruhen von 1968. Fos Stück kann somit als Vorbote einer sich bald öffentlich weit ausbreitenden Revolte verstanden werden.18 Die zunehmende politische Radikalisierung und Provokation in weiteren Ver- öffentlichungen Fos zwischen 1965 und 1970 (z.B. „Morte accidentale di un anarchico“) läuft somit parallel zur gesellschaftlichen Entwicklung in Italien und allgemein Europa. Allerdings sah sich Fo nicht als intellektuelle Sperrspitze der linken Bewegung. Im Gegenteil, er wehrte sich vehement gegen die Vereinnahmung durch diese Kreise und betont damit auch die Individualität seiner Stücke.19 Nach der Ver- öffentlichung von „La signora è da buttare“ wurde von Fo das Ensemble „Nuova Scena“ gegründet. Dieses hatte die Struktur einer griechischen Polis, in der absolute Autonomie, Gleichberechtigung und Basisdemokratie als Leitmotive ausgegeben wurden. Damit verbunden war eine Abkoppelung Fos von intellektuellen Zirkeln der italienischen Kommunisten.20

3 Themen und Bezugspunkte der Fo’schen Amerikakritik

Nach den obigen Ausführungen zum Kontext des Stückes „La signora è da buttare“ sollen nun die Kernpunkte der Amerikakritik anhand des Originaltextes erläutert und diskutiert werden. Die Untersuchung der einzelnen Aspekte kann sich dabei häufig nicht auf geschlossene Textpassagen beziehen, sondern muss sich gewissermaßen der Erzählweise Fos beugen. Das Fehlen eines stringenten Handlungsstranges durch diverse Dialogbrüche lässt einzelne Themen über das gesamte Stück auf nicht direkt zusammenhängende Dialoge verstreuen.21 Die Interpretation hat somit die wichtige Aufgabe, diese Fragmente zusammenzufügen und in ihrem Kontext zu beleuchten. Eine wichtige Rolle hierbei spielt zudem das Bühnenbild sowie das theatralische „spettacolo“, welches in der Tradition der italienischen commedia dell’arte durch gefühlsbetonte Mimik, Gestik und Musik die literarischen Aussagen unterstützen soll.22 Damit verbunden ist auch eine Ablehnung des literarischen Sprechtheaters. Ebenso verachtet Fo die nach 1945 in Italien unter dem amerikanischen Einfluss aufkommende „revista“, eine Tanz-Show-Revue.23 Diese Form stellt für ihn kein Volkstheater dar, sondern ist vielmehr Ausdruck der Arroganz und Dominanz der herrschenden Bourgeoisie. Insofern kann das Stück „La signora è da buttare“ zugleich als eine Abrechnung Fos mit dem amerikanischen Einfluss auf die italienische Theaterkultur angesehen werden.

[...]


1 vgl. hierzu VON THADDEN & ESCUDIER (2004)

2 http://www.giannanannini.org/243311/258255.html

3 Das Werk von Dario Fo ist untrennbar mit dem Wirken seiner Ehefrau Franca Rame verbunden. Im Folgenden soll jedoch der einfacheren Lesbarkeit halber nur Dario Fo genannt werden. Die Bedeutung von Franca Rame für das künstlerische Werk soll damit in keinster Weise herabgewürdigt werden.

4 vgl. FO & RAME (1993a:89)

5 Hier kann jedoch beispielsweise auf die amerikanische TV-Zeichentrickserie „Die Simpsons“ verwiesen werden. Dort werden gesellschaftliche Mißstände innerhalb der Fernsehshow

„Krusty, der Clown“ karikiert (vgl. GRAY 2006:83f.).

6 vgl. FO & RAME (1993a:89)

7 Besonders prägnant kommt diese Rolle in den Geschichten um Till Eulenspiegel oder in Heinrich Bölls Roman „Ansichten eines Clowns“ zum Vorschein (vgl. LUKNER 2004 & BÖLL 1990).

8 Hierbei dürfte die Figur des „Pulcinella“ der heutigen Clown-Figur am ähnlichsten sein (vgl. KRÖMER 1990:38f.)

9 vgl. FO & RAME (1993a:89)

10 KRANZ (1981:97)

11 vgl. MAGRI (1973:74) zit. in JUNGBLUT (1978:12)

12 vgl. JUNGBLUT (1978:31)

13 vgl. RUSSO (1998:29), die hierbei auch eine wichtige Verbindung zum epischen Theater Bertolt Brechts sieht. In dem Stück „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ greift Brecht auf eine ähnliche Verfremdungsmethodik zurück, um den politischen Aufstieg Adolf Hitlers darzustellen.

14 KRANZ (1981:120)

15 So äußerte Fo 1978 in einem Interview mit Renate Klett den Wunsch, dass er auch gerne ein Stück über deutsche Bauernkriege schreiben würde, was er allerdings bis heute noch nicht realisiert hat (vgl. KLETT 1978:4)

16 vgl. zu den Nachkriegsbeziehungen zwischen den USA und Italien insbesondere WOLLEM- BORG (1990)

17 vgl. PUPPA (1978:79)

18 vgl. HÖSLE (1999:215)

19 vgl. KLETT (1978:3)

20 vgl. HÖSLE (1999:219)

21 Auch hier zeigt sich wieder die Rezeption der commedia dell’arte im Werk Fos (vgl. KRÖMER 1990:11)

22 vgl. FO in KRANZ (1981:103)

23 vgl. JUNGBLUT (1978:26)

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Die Amerikakritik in „La signora è da buttare" von Dario Fo und Franca Rame
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Institut für Romanistik)
Veranstaltung
Theater, das provoziert: Die Komödien von Dario Fo und Franca Rame
Note
1,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
21
Katalognummer
V123835
ISBN (eBook)
9783640294145
Dateigröße
448 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Fo Rame Komödie Kennedy
Arbeit zitieren
Stefan Witzmann (Autor:in), 2008, Die Amerikakritik in „La signora è da buttare" von Dario Fo und Franca Rame, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/123835

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