Die Stellung der Frau im Matriarchat der Minangkbau


Hausarbeit, 2022

18 Seiten, Note: 1,0

Franciscus Liebing (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Begriffsbestimmungen und Definitionen

3. Kultur der Minangkabau
3.1. Geschichtliche Einordung
3.2. Das matrilineare Gesellschaftssystem
3.3. Islam und Tradition
3.3.1. Sufismus und Wahhabismus
3.3.2. Scharia und Adat

4. Veränderungen im Gesellschaftssystem

5. Stellung der Frau in Minangkabau
5.1. Produktion
5.2. Reproduktion
5.3. Politische Autorität
5.4. Symbolische Ordnung

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis

Abbildung 1: Women´s Involvement in The Political and Public Arenas

1. Einleitung

Die meisten Gesellschaften dieser Welt folgen einem patriarchalen Muster. Umso überraschter war ich, als ich während meiner zweimonatigen Reise durch West Sumatra von einer anderen Gesellschaftsform gehört habe – dem Matriarchat der Minangkabau. Allerdings konnte ich, durch Gespräche mit einheimischen Freunden in Padang, feststellen, dass das Matriarchat zwar noch existiert, dennoch hauptsächlich nach den patriarchalen Strukturen des Islams gelebt wird. Die matrilineare Gesellschaftsform wurde von ihnen anerkannt, jedoch als eine traditionelle und altmodische Lebensweise betitelt.

Meine gesammelten Erfahrungen und die intensive theoretische Auseinandersetzung mit der Stellung der Frau in den Weltreligionen während eines Seminars, hat mein Forschungsinteresse geweckt und mich dazu verleitet diese Arbeit zu verfassen. Besonders die Koexistenz und Gegensätze des traditionellen matrilinearen Systems ( adat ) und dem Islam mit seiner patriarchalen Gesellschaftsform haben mich fasziniert. Besonders aufgrund dieser Einzigartigkeit haben sich kontrovers diskutierte Debatten über die Gesellschaftsform und vor allem die Stellung der Frau innerhalb dieser entfacht. Weil ich in der aktuellen Forschung zu dem Thema große Forschungslücken sehe, werde ich mich mit dieser Arbeit genauer mit der Stellung der Frau innerhalb dieses dualen Gesellschaftssystems befassen und vor allem die Einflüsse des Islam auf das Matriarchat der Minangkabau erforschen. Wozu ich mich an folgender Fragestellung orientiere:

Inwiefern hat der Islam, mit seiner patriarchalen Struktur, die Stellung der Frau und die matrilineare Gesellschaftsform der Minangkabau beeinflusst?

Während sich etwaige AutorInnen mit der Thematik zur Mitte bis Ende des 20. Jahrhundert beschäftigt haben, gibt es verhältnismäßig wenig wissenschaftliche Literatur zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Somit gibt auch im Verhältnis wenig Anhaltspunkte, um die Thematik aus neuster Sichtweise zu erforschen. Dennoch wurde der Forschungsgegenstand bereits in älteren Literaturen kontrovers diskutiert und die Einflüsse des Islams aufgezeigt. Somit werde ich, unter Anbetracht neuster empirischer Studien und wissenschaftlichen Arbeiten, so wie strukturellen Veränderungen die bereits vorhandene Literatur mit dem neusten Forschungsstand abgleichen und diskutieren. Dabei verwende ich hauptsächlich die Methode der Datenanalyse von wissenschaftlichen Arbeiten und die darauffolgende Gegenüberstellung und Diskussion des Datenmaterials. Das Ziel dieser Arbeit wird somit sein, die Stellung der Frau anhand aktueller und bereits vorhandener Literatur und empirischen Forschungen zu ermitteln.

Zunächst sollen, vor dem theoretischen Einstieg in die Thematik, die wichtigsten Begriffsbestimmungen und Definitionen im Kapitel 2 definiert und bestimmt werden. Damit soll die Grundlage geschaffen werden, um die folgende Thematik zu verstehen. Im darauffolgenden Kapitel 3. Kultur der Minangkabau werden die Minangkabau vorgestellt und dabei speziell auf die Geschichtliche Einordnung (3.1), das matrilineare Gesellschaftssystem (3.2) und den Islam und die Tradition (3.3) eingehen. Hierbei werden vor allem Daten, die während Auswertungen gesammelt wurden, veranschaulicht und verbunden. Diese Punkte dienen erstmals als Grundlage, das matrilineare System der Minangkabau zu verstehen. Des Weiteren wird im 4. Veränderungen im Gesellschaftssystem auf die Veränderungen eingegangen werden, die sich vor allem durch patriarchale Strukturen entwickelt haben. Dabei werden verschiedene wissenschaftliche Literaturen analysiert und erläutert. Diese Kapitel stellen das Fundament dieser Arbeit dar, um sich danach im Kapitel 5 mit der Fragestellung auseinanderzusetzen, welche Stellung die Frau innerhalb des matrilinearen System hat. Dazu werden bereits gewonnene Erkenntnisse aus den vorherigen Kapiteln konkretisiert, aufgegriffen und in den Kontext neuer Studien gebracht. Außerdem werden dabei die Machtfelder (I. Lenz 1990) unter Einbezug der aktuellen empirischen Forschungen und wissenschaftlichen Arbeiten analysiert und ausgewertet. Dadurch soll sich vor allem die Veränderung innerhalb des Systems verdeutlichen und die aktuelle Stellung der Frau aufzeigen. Im Anschluss (6.) werden die Ergebnisse diskutiert und eine Antwort auf die Fragestellung versucht. Außerdem soll über den Forschungsstand reflektiert werden und ein Ausblick gegeben werden.

2. Begriffsbestimmungen und Definitionen

Die Gesellschaft der Minangkabau wird als ein matrilineares System verstanden, in welchem die Verwandtschaft über die Frauen abgeleitet wird und wobei Frauen ausschließlich über die weibliche Linie (matrilineare Linie) miteinander verwandt sind. (Vgl. K. Lenz/Adler 2010: 68) Die Matrilinearität, also die Verwandtschaft über die Mutterlinie (Vgl. Göttner-Abendroth 1999: 148), ist außerdem vielfach mit der Matrilokalität verbunden, die ein Residenzmuster bezeichnet, bei dem erwachsene Töchter mit Kindern bei ihrer Mutter leben und ihr Ehemann in zu ihnen zieht. (Vgl. K. Lenz/Adler 2010: 68) Somit kann man das matrilineare System der Minangkabau abgrenzend an die Definition eines Patriarchats verstehen. Denn laut der Dudenredaktion (o.D.) ist ein Patriarchat eine „Gesellschaftsordnung, bei der der Mann eine bevorzugte Stellung in Staat und Familie innehat und bei der in Erbfolge und sozialer Stellung die männliche Linie ausschlaggebend ist.“ Das Antonym von Patriarchat wäre ein sogenanntes Matriarchat, also die bevorzugte Stellung der Frau in Staat, Familie, Erbfolge und sozialer Stellung (Vgl. Dudenredaktion o.D.). Wie Göttner-Ebenroth feststellt, bezeichnen sich die Minangkabau selber als ein Matriarchat (vgl. 1999: 143). Aufgrund der Tatsache, dass der Begriff des Matriarchats im wissenschaftlichen Kontext äußerst umstritten ist und es durch unterschiedliche Definitionen und Auffassungen zu verschiedenen Annahmen kommt, was wiederrum zu einer eurozentristischen (Sichtweise europäischer Wissenschaftler*innen im Mittelpunkt) Betrachtung führt, möchte ich den Begriff in dieser Arbeit ausschließlich als Selbstbezeichnung für die Minangkabau verwenden.

Unter anderem befasst sich diese Arbeit überwiegend mit der Rolle von Geschlechtern, womit hierbei eine allgemeingültige Definition zu Geschlecht und Geschlechterrollen wichtig zu nennen ist. Hierbei beziehe ich mich auf die Definition von K. Lenz und Adler und verstehe Geschlecht als ein Gefüge sozialer Beziehungen, was als ein Komplex sozialer Praktiken, kulturellen Zuschreibungen und Leitvorstellungen verstanden werden soll und körperliche Unterschiede hervorhebt, um eine Differenzierung der Lebensführung, einschließlich der Zuweisung ungleicher Lebenschancen und Ressourcen, zu generieren und legitimieren (2010: 21). Daraus ergibt sich die Definition der Geschlechterrollen, worunter sozial geteilte Verhaltenserwartungen verstanden werden, die an das Individuum aufgrund seiner Geschlechtszugehörigkeit gerichtet sind (Vgl. K. Lenz/Adler 2010: 23). Zudem gehe ich öfters auf die Kultur der Minangkabau ein, wozu ich mich auf den Kulturbegriff, geprägt durch Barmeyer (2012), beziehe. Dieser beschreibt Kultur wie folgt: „Erlerntes Orientierungs- und Referenzsystem von Werten, Praktiken und Artefakten, das von Angehörigen einer bestimmten Gruppe oder Gesellschaft kollektiv gelebt und tradiert wird und sie von Angehörigen anderer Gruppen und Gesellschaften unterscheidet“ (Barmeyer 2012: 95). Mit dieser Definition von Kultur soll die Überleitung zu dem ersten Punkt in der Behandlung der Fragestellung geschaffen werden und im Folgenden auf die Kultur der Minangkabau eingegangen werden.

3. Kultur der Minangkabau

Das Volk der Minangkabau, welches sich an der West-Küste von der größten indonesischen Insel Sumatra befindet, sind das größte noch existierende matrilineare Volk der Welt (vgl. Benda-Beckmann/Benda-Beckmann 2012). Sie sind außerdem die ursprüngliche soziale Verfassung aller Malayen und stammen von austronesischen Völkern ab, die von Südchina kommend, den gesamten indo-malaysischen Archipel besiedelt haben (vgl Göttner-Abendroth 1999: 143). Dadurch haben sie die matriarchale Sozialordnung mitgebracht, die heutzutage in verwandten Kulturen wie die Chams (Vietnam) und die Negri-Sembilan (Malaysia) existieren. Wie K. & F. v. Benda-Beckmann (2012: 13) dargelegt haben, beruhen Mitgliedschaften in politischen, wirtschaftlichen und sozialen, so wie Verwandtschaftsbeziehungen und Vermögens- und Erbrechtsangelegenheiten auf dem Prinzip der Matrilinearität – also der mütterlichen Linie.

Sie werden außerdem, wie Göttner-Abendroth (1999:146) sie beschreibt, als „ein Volk hoher Bildung, Weltoffenheit, Kultur und großer Wirtschaftskraft angesehen“.

Besonders an den Minangkabau ist, dass sie ein matrilineares Gewohnheitsrecht, das sog. adat traditionell praktizieren und gleichzeitig den Islam, mit seinen patriarchalen Strukturen, als unverzichtbare Identität aufgenommen haben (Vgl. Schröter 2007: 154). Das ada t, was als wichtiges Gesellschaftsprinzip gilt, bestimmt den Zugang im Dorf zum (Familien)Land, politischen Rechten, Dorfbürgerschaft, Wohnort und Erbrechten, was auf dem Prinzip der Matrilinearität (weiblichen Linie) basiert (vgl. Völger et al. 1985:285). Bevor sich der Islam in der Gesellschaft der Minangkabau im 17. Jahrhundert etabliert hat, waren diese animistisch geprägt und haben an sakrale Kräfte von Objekten, Geistern, Menschen und Orten geglaubt (vgl. I. Lenz/Luig 1990). Seither hat die Tradition ( adat ) und Religion (Islam) nebeneinander koexistiert, was sich in dem minangkabauischen Sprichwort widerspiegelt: „Adat auf Islam basiert und Islam auf Adat“ (vgl Göttner-Abendroth 1999). Somit besitzen die Minangkabau laut Ilse Lenz eine zweiseitige Identität, was „eine Synthese aus einer tiefislamischen Gesellschaft und des einheimischen Brauchtums, mit der Frauen eine starke Stellung zugeschrieben bekommen “ (I. Lenz 1990: 285).

Um dieses Sprichwort genauer zu verstehen und vor allem der Fragestellung nachzugehen, wie der Islam das minangkabauische Gesellschaftssystem beeinflusst hat, ist es wichtig, sich die historischen Entwicklungen der Minangkabau, das matrilineare Gesellschaftssystem als solches und wie dieses, Tradition und Islam vereinigt, anzuschauen.

3.1. Geschichtliche Einordung

Um das Gesellschaftssystem der Minangkabau zu verstehen ist es unumgänglich die Historie des matrilinearen Volkes anzuschauen. Jahrhundertelang waren sie äußerlichen Bedrohungen ausgesetzt und in Konflikte verwickelt. Trotz der Konflikte und der ständigen Auseinandersetzung mit patriarchalen Strukturen haben es die Minangkabau geschafft, ihr matrilineares System zu bewahren. Im Folgenden werden die wichtigsten geschichtlichen Ereignisse der Minangkabau beleuchtet und genauer erklärt.

Mit Beginn des 16. Jahrhunderts war das Volk der Minangkabau, trotz ihrer bevorzugten Stellung hinter den Berglandschaften in Konflikte mit den islamischen Handelsmächten verwickelt. Zudem setzte sich im Jahr 1663 die holländische Ostindische Kompanie an der Küste in Padang, West-Sumatra fest (vgl. I. Lenz/Luig 1990: 283). Obwohl das hinduistisch-patriarchale Königshaus an dem matrilinearen System scheiterte ein Patriarchat einzuführen, breitete sich ab dem 17. Jahrhundert der Islam innerhalb der Minangkabau aus.

Das Gebiet der Minangkabau wird unterteilt in zwei Gebiete, einmal das darek, was die Kernregion der Minangkabau (um Padang) darstellt und das rantau, was die Grenzgebiete der Kernregion darstellt (vgl. Göttner-Abendroth 1999: 146).

In den Hochtälern und Hängen der Gebirgskette entlang der Westküste Sumatras siedelten und bauten die Minangkabau Reis, Gemüse und Obst an und exportierten diese Güter. Die Dörfer hinauf des Berges stellten verschiedene Handwerksstätten bereit, was zu einem lebhaften Austausch führte und West-Sumatra zu einem Knotenpunkt für den indisch-europäischen Warenverkehr macht (vgl. I. Lenz/Luig 1990). Wie Ilse Lenz beschreibt, entfachte sich, als im späten 18. Jahrhundert der Kaffeeexport dazu kam und es durch die neuen globalen Handelsketten zu einem Kaffee-Boom kommt, ein offener Interessenkonflikt zwischen Berg-, Mittel – und Ebenen-Dörfern (1990: 286) Daraus resultierte die Grundlage der islamischen Reformbewegungen (1784 – 1838) die eine Rationalisierung von Wirtschaft und Politik im Sinne der „Scharia“ bewirken wollten (vgl. I. Lenz/Luig 1990: 283).

[...]

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Die Stellung der Frau im Matriarchat der Minangkbau
Hochschule
Hochschule Fulda
Veranstaltung
Gender und Religion
Note
1,0
Autor
Jahr
2022
Seiten
18
Katalognummer
V1243357
ISBN (eBook)
9783346667182
ISBN (Buch)
9783346667199
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gender, Geschlecht, Religion, Islam, sharia, Matriarchat, Matrilinearität, matrilineares System, Patriarchat, patrilineares System, Stellung der Frau, Religion und Frau, Indonesien, West-Sumatra, Hausarbeit, Gender Studies, Geschlechterrollen, Geschlechterzugehörigkeiten, Minangkabau
Arbeit zitieren
Franciscus Liebing (Autor:in), 2022, Die Stellung der Frau im Matriarchat der Minangkbau, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1243357

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