Die europäische Grenzschutzagentur und ihre Rolle bei der illegalen Migration nach Europa


Bachelorarbeit, 2022

55 Seiten, Note: 2,4


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Problemlage und Relevanz der Arbeit
1.2 Ziel und Theoriebezug
1.3 Aufbau der Arbeit

2. Forschungsdesign

3. Terminologie und Grundlagen
3.1 Wer oder was ist ein Flüchtling?
3.2 Heutiger Begriff der Grenze
3.3 Funktionen und Hindernisse von Grenzen auf europäischer Ebene
3.4 Migration
3.4.1 Gründe für Migration
3.4.2 Illegale Migration
3.4.3 Eine Herausforderung für Nationalstaaten
3.5 Theorie der Versicherheitlichung („Theory of Securitization“)

4. Flüchtlingspolitik in Europa nach Gründung der Frontex
4.1 Grundlagen der Flüchtlingspolitik
4.2 Das europäische Grenzregime der Europäischen Union
4.2.1 Die Hauptaufgaben der Frontex
4.3 Vor- und Nachteile
4.4 Die Rolle von Frontex

5. Der Weg nach Europa
5.1 Fallanalysen: Frontex-Operationen
5.1.1 Operation Themis: Italien
5.1.2 Operation Poseidon: Griechenland/ Türkei
5.1.3 Operation Indalo: Marokko/ Spanien
5.1.4 Frontex und Libyen

6. Diskussion

7. Zukunft der europäischen Flüchtlingspolitik
7.1 Europa als Chance oder Risiko

8. Konklusion und Ausblick

Literatur- und Quellenverzeichnis

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Abbildung 1: Kernelemente der Abschlussarbeit

Abbildung 2: Die Funktionen einer Grenze

Abbildung 3: Illegale Migration in die EU nach Staatsangehörigkeit (2020)

Abbildung 4: Illegale Migration (2020-2021)

Abbildung 5: Schritte der erfolgreichen ,securitization‘

Abbildung 6: FRONTEX - Personalerweiterung

Abbildung 7: Karikatur - Frontex und der humanitäre Schutzwall

Abbildung 8: Anzahl der Todesopfer - Mittelmeer (2014-2018)

Abbildung 9: Häufigkeit der Todesfälle (2015-2018)

Abbildung 10: Flüchtlingsankünfte über Mittelmeer und Kanarische Inseln 2020/21

Abbildung 11: Operation Themis

Abbildung 12: Operation Poseidon

Abbildung 13: Karikatur - Situation der Flüchtlinge in Griechenland

Abbildung 14: Operation Indalo

Abkürzungsverzeichnis

BAMF Bundesamt für Migration und Flüchtlinge

BBC British Broadcasting Corporation

CEPOL Collège Européen de Police; Polizeiakademie

CIRAM Common Integrated Risk Analysis Model

COPRI Copenhagen Institute for Conflict and Peace

EU Europäische Union

FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung

FRONTEX Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache

GFK Genfer Flüchtlingskonvention

IOM Internationale Organisation für Migration

NGO Non-Governmental Organisation

RAU Risk Analysis Unit

SITCEN Joint Situation Centre (Europäischer Geheimdienst)

UNHCR United Nations High Commissioner for Refugees

1. Einleitung

„Wer ein einziges Leben rettet, rettet die gesamte Welt“, sagte einst der australische Schrift­steiler Thomas Keneally.

1.1 Problemlage und Relevanz der Arbeit

Der europäische Kontinent ist ein Fluchtziel vieler Flüchtlinge, besonders aus dem afrikani­schen Raum. Weshalb es dazu kommt, dass Menschen in europäische Länder fliehen wol­len, hängt von diversen Ursachen ab. Zu diesen gehören insbesondere politische und wirt­schaftliche Gründe. So machen Menschen sich auf eine intransparente und riskante Reise, um nach Hilfe und Schutz zu suchen. Auf diesem Wege werden hunderttausende von Men­schen mit Illegalität und Unsicherheit assoziiert (vgl. Ottersbach u. Prölß 2011, S. 7).

Nichtsdestotrotz haben Flüchtlinge unter allen Umständen ein Ziel vor den Augen: Die Flucht nach Europa über das Mittelmeer. Gibt es für sie einen legalen Weg nach Europa?

„Europa hat die Pflicht, zu helfen.", sagte Fabrice Leggeri, Chef der europäischen Grenz­schutzagentur Frontex, in einem Interview im Jahr 2016.1 Die Frontex - „Europäische Agen­tur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedsstaaten der Eu­ropäischen Union“ - (frz. „frontières extérieures' ', z. Dt. „ Außengrenzen “) wurde im Oktober 2004 als neue europäische Agentur für die Sicherheit der Außengrenzen der Europäischen Union in das Leben gerufen und steht seit Oktober 2005 operativ zu Diensten (vgl. Neal 2009, S. 334). Frontex gehört zu den heutigen insgesamt 48 Agenturen der Europäischen Union und fällt in die Kategorie der 33 dezentralen Agenturen unter diesen (vgl. Kaeding 2019, S. 38 ff.). Die Hauptaufgabe der Frontex ist es den Schutz an den EU-Außengrenzen zu gewähren, diese zu fördern und ebenfalls zu koordinieren. Die Agentur Frontex hat in ihrem Hauptsitz in Warschau mit über 300 Mitarbeiter*innen und einen deutlich größeren Pool an Personal und Ausrüstung. In einem Kommissionsentwurf wird über eine Erhöhung der Anzahl der Frontex-Mitarbeiter auf 10.000 berichtet (vgl. Kaeding 2019, S. 46). Diese werden an erster Stelle zielgerichtet ausgebildet (vgl. Aas u. Gundhus 2014, S. 2). Die Mit­gliedstaaten der EU tragen dazu bei, dass für Personal an den benötigten Operations- und Einsatzorten gesorgt wird, denn die Frontex steht in einem engen Verhältnis zu den euro­päischen Nationalstaaten (vgl. Kaeding 2019, S. 46). Zudem hat Frontex die Berechtigung in Kooperationen mit den internationalen Organisationen und Institutionen der Drittländer einzugehen (vgl. Klepp 2013, S. 67). Welchen Konsequenzen werden die Flüchtlinge ge­genübergestellt? Was geschieht auf der anderen Seite des Grenzzauns und wie ist der Impuls im Mittelmeerraum während einer Operation?

In Wirklichkeit scheint es, dass die Frontex keine Menschenrechtsverstöße durchführt, weil sie mit souveränen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union kooperiert. Es sollte jedoch nicht unbeachtet gelassen werden, dass die Vorgaben des Unionsrechts die Mitgliedstaa­ten beeinflussen können - besonders in Bezug auf die Überwachungen und Kontrollen ihrer Grenzen (vgl. Rosenfeldt 2021, S. 10). Des Weiteren verfügt Frontex auch über sog. „ho­heitliche Befugnisse“ (Klepp 2013, S. 68). Diese stehen unter nicht ausreichender parla­mentarischer Kontrolle, da das EU-Parlament die Aufgabe über das Mitbestimmen des Bud­gets von Frontex hat und keiner direkten Kontrolle über der Agentur mächtig ist. Kritisiert wird vor allem auch der Punkt, dass das EU-Parlament in seiner Ausfaltung als starker Menschenrechtsvertreter zu passiv bei der Realisierung und Etablierung von Frontex sei (vgl. Klepp 2013, S. 68).

Die Thematik ist seit längerer Zeit regelmäßig in den Medien aufzufinden und gehört mit vielen kontroversen Diskussionen zusammen. Wie der Umgang der Frontex-Beamten mit den Flüchtlingen ist und welche Rolle die Frontex bei der illegalen Migration einnimmt, stellt in der Politikwissenschaft wichtige Themengebiete der Europapolitik und Flüchtlingspolitik dar, welche mit aktuellen Daten belegt werden müssen, um Entwicklungen und Disparitä­ten, in Bezug auf die Realität und das was in den Vordergrund gerückt wird, feststellen zu können. Die Flüchtlingskrise ist in unserer Gegenwart ein Bestandteil der alltäglichen Her­ausforderungen in der Politik und bedarf einer kontinuierlichen Observation.

Die Abschlussarbeit soll eine zielgerichtete Analyse der illegalen Migration nach Europa darlegen und die Rolle der europäischen Grenzschutzagentur Frontex dabei genauer un­tersuchen. Fraglich und umstritten ist die Rolle der Frontex in Bezug auf die illegale Migra­tion, denn die Frontex habe laut Klaus Rösler - Director of Operations Division, Frontex Agency - die Aufgabe die Migration zu steuern und nicht zu verhindern.2 So lautet die The­matik und die Forschungsfrage dieser Abschlussarbeit wie folgt:

„Die europäische Grenzschutzagentur FRONTEX und die illegale Migration nach Europa“ - Welche Rolle nimmt die FRONTEX bei einer illegalen Migration nach Europa ein?

1.2 Ziel und Theoriebezug

Aus der Sicht der Menschenrechtler und der Europäischen Union wid die Frontex in ihrer Rolle anders beurteilt, weshalb es einer Analyse wert ist, zu erforschen, welche Konse­quenzen eine illegale Migration nach Europa mit sich trägt. Jeden Tag versuchen Menschen aus diversen Grründen ein neues Leben voller Hoffnung zu finden. Frontex macht es sich zur Aufgabe Migration zu fördern und nicht zu verhindern. So muss die Agentur jedoch auch für den Schutz aller Menschen in Europa sorgen.

Die Forschungsfrage dieser Arbeit soll deshalb versuchen den Leitfaden für den Gesamt­ablauf der Arbeit abzubilden. Zu belegen ist die Rolle der Frontex und die Konsequenzen für die nach Schutz suchenden Menschen, die mit einer Illegalität zu kämpfen haben. Der Forschungsstand der Thematik bezieht sich in der Literatur auf einzelne Fälle aus den ver­gangenen Jahren, die nur unter grober Beobachtung aufgedeckt worden sind. Wichtig und von besonderer Bedeutung sind die Einsätze der Frontex, die noch bis zum Jahr 2021 an­gesetzt wurden, welche bisher nicht direkt analytisch behandelt und wissenschaftlich auf­gedeckt worden sind.

In der anstehenden Arbeit soll zudem auch ein Bezug auf die ,theory of securitization’ ge­nommen werden. Diese besagt, dass politische Angelegenheiten, die eine extreme Gefahr darstellen, dringend behandelt werden müssen. Dabei verfügt der Akteur, der für die ,Ver- sicherheitlichung‘ sorgen soll, über die institutionelle als auch soziale Macht, insbesondere bei der Bekämpfung des Sicherheitsproblems.

1.3 Aufbau der Arbeit

Nach einer Einführung in die Thematik und der Vorstellung des Forschungsstandes folgt das Kapitel der Terminologie und der theoretischen Grundlagen, welche von besonderer Relevanz für das schlüssige Verstehen und Verfolgen der Arbeit sind. Die empirische Un­tersuchung erfolgt im Anschluss an die Darstellung des theoretischen Kapitels. Insgesamt ist die Arbeit in mehrere Kapitel - mit gegebenenfalls Unterkapiteln - gegliedert. Das erste Kapitel befasst sich mit den allgemeinen Fundamenten. Nach Berücksichtigung und Darle­gung der Begriffe ,Flüchtling’ und ,Grenze’ folgen die Erläuterungen zu den Funktionen und Hindernissen von Grenzen auf europäischer Ebene. Darauffolgend soll die Migration the­matisiert werden. Welche Gründe führen zu einer Migration? Was ist eine illegale Migration und welche Herausforderung trägt sie für die europäischen Nationalstaaten? Darauffolgend wird die ,Theory of Securitization’ thematisiert, welche besagt, dass nationale Sicherheits­politik nicht zufällig entsteht, sondern von Politiker*innen und politischen Entscheidungsträ- ger*innen hochachtungsvoll konzipiert wird.

Der zweite Teil der Arbeit basiert auf die Flüchtlingspolitik in Europa. Dabei liegt der Fokus besonders auf der Zeitspanne ab Gründung der Frontex im Jahr 2004 bis heute. Beginnen tut der zweite Teil mit einer Einführung in die Grundlagen der Flüchtlingspolitik und knüpft an das Kapitel über das europäische Grenzregime der Europäischen Union. Welche Auf­gaben hat das Grenzregime Frontex? Welche Vor- und Nachteile weist die Frontex auf und welche Rolle spielt sie in der Europäischen Flüchtlingspolitik?

Um auf die Frontex näher einzugehen, soll im dritten Teil der Arbeit ,der Weg nach Europa’ analysiert werden. Darunter fallen insbesondere Fallanalysen, welche sich auf die Frontex­Operationen beziehen. Die bereits durchgeführten und auch noch anhaltenden Operatio­nen Themis, Poseidon und Indalo werden hierbei explizit analysiert. Auch die Relation der Frontex mit Libyen wird untersucht. Dabei wird ebenfalls das Verhalten der Frontex gegen­über den Fliehenden aus der menschenrechtlichen Perspektive kritisch hinterfragt.

Darauffolgend wird eine Diskussion geführt. In dieser werden die Ergebnisse der Arbeit bis zu dem Punkt zusammengefasst und bewertet. Außerdem folgt ein Bezug auf die Literatur und die begleitende Theorie.

Der fünfte Teil der Arbeit widmet sich der Zukunft der europäischen Flüchtlingspolitik zu. Hauptsächlich beschäftigt sich das Kapitel mit der Frage, ob die Europäische Union eine Chance oder ein Risiko für die Schutzsuchenden darstellt.

In einem Fazit werden die ausschlaggebenden Resultate der Arbeit zusammenfassend festgehalten.

[Quelle: Eigene Darstellung]

2. Forschungsdesign

Wie schaut das Forschungsdesign der vorliegenden Arbeit aus? Zu Beginn ist es wichtig zu erwähnen, dass wichtige Fragen, die besonders relevant sind, um den Charakter dieser wissenschaftlichen Arbeit zu untermauern, beantwortet werden. Im Fokus liegt besonders die Zeitspanne von 2015 bis heute, denn die Entwicklung der Prozesse und Verfahren der Frontex sind Bestandteil der Analyse und beziehen sich daher auf eine länger andauernde Zeitspanne. Anhand der bereits vorhandenen Literatur werden Informationen entnommen und im theoretischen Teil der Arbeit dargestellt. Daten, welche aus vertrauenswürdigen Quellen und Literaturen stammen, werden genutzt, um die Qualität der Arbeit zu steigern. Unter Berücksichtigung der aktuellen wissenschaftlichen Artikel auf deutscher und engli­scher Sprache sowie die offiziellen Seiten der FRONTEX, UNHCR und weitere unterstützen die Datensammlung der Analyse. Zudem wurden auserwählte Länder für die Fallbeispiele herangezogen. Zu diesen gehören u.a. Italien, Griechenland, Türkei, Marokko, Spanien und Libyen. Der Grund, weshalb die aufgezählten Länder für die Fallbeispiele genutzt werden, sind die Einsätze der Frontex. Es sind viele illegale Flüchtlinge aus diesen Ländern geflo­hen, um sich auf den Weg nach Europa zu begeben. Des Weiteren grenzen diese Staaten alle an das Mittelmeer und liegen dem europäischen Kontinent nahe, weshalb sie auch Einflüsse auf die aus der Analyse resultierenden Ergebnisse haben. Die Fallauswahl eignet sich sehr gut, da auch häufig in der Vergangenheit bis heute in den Medien über die Vor­kommnisse berichtet wurde, sodass die Thematik der vorliegenden Arbeit für die gesamte Gesellschaft interessant und ansprechend wirkt. Zumal auch der gemeinsame Nenner aller Länderbeispiele die Frontex und die illegalen Einwanderer sind. Vor allem ist die Debatte über die Frontex und ihrer Rolle bei der illegalen Migration anhand der ausgewählten Län­derbeispiele schlüssig bearbeitbar, da viele Berichte vorliegen. Außerdem sind viele Hafen­berichte existent, welche die Auswertung umso spannender machen. Die täglichen Hafen­berichte berichten über die Geschehnisse im Mittelmeer. Zudem werden auch die Rettungs­einsätze bzw. Operationen der Frontex in diesen dokumentiert. Im 21. Jahrhundert können wir nicht mehr nur beobachten, wie die Sicherheit innerhalb eines einzelnen Staates be­handelt wird. Die Europäische Union stellt hierbei die am besten geeignete Analyseebene dar. Der Zusammenschluss europäischer Länder ist ein junges Ereignis, sodass die Frage der europäischen Territorialität in Bezug auf die Außengrenzen Europas noch nicht voll­ständig geklärt ist. Die Meinungen zu illegalen Einwanderern gehen je nach Auslegung des Sicherheitsbegriffs auseinander. Die einen fordern strengere Grenzkontrollen, die anderen lehnen sie ab und beanspruchen universelle Rechte für Einwanderer. Ausgehend von dem europäischen Territorium bietet die Auseinandersetzung mit der Thematik des Grenzschut­zes in Bezug auf die illegale Migration ein spannendes Forschungsgebiet.

3. Terminologie und Grundlagen

Unter diesem Kapitel werden alle grundlegenden Termini festgehalten. Fachwörter, welche für das bessere Verständnis der vorliegenden Abschlussarbeit dienen, werden definiert und unter Berücksichtigung der Bezüge auf den Titel dieser Arbeit nähergebracht. Zudem wer­den ausschlaggebende Grundbausteine unter diesem Kapitel behandelt, um einen orien­tierungsvollen Einblick in die Thematik zu verschaffen.

3.1 Wer oder was ist ein Flüchtling?

Oftmals begegnen wir dem Begriff , Flüchtling’ in der Alltags- und Volkssprache. Gegebe­nenfalls ist es vielen gar nicht bewusst, welche Bedeutung sich hinter dieser Bezeichnung verbirgt. Die Flucht ist nicht nur eine sensible, zeitgleich auch eine polarisierende Thematik.

Obwohl der Begriff Flüchtling im Alltag oft als Synonym für Geflüchtete verwendet wird, umfasst er im Sinne des Asylrechts nur Flüchtlinge, die nach der Genfer Flüchtlingskonven­tion eine Anerkennung erhalten, also Menschen, die nach der Beendigung des Asylverfah­rens Flüchtlingsschutz gewährt bekommen.

Der Flüchtlingsbegriff wurde in der Genfer Flüchtlingskonvention am 28. Juli 1951 nieder­geschrieben. Das Abkommen von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge trat am 22. April 1954 in Kraft (vgl. Scherr 2015, S. 358). Die Vizepräsidentin des BAMF - Andrea Schumacher - beschreibt die Genfer Flüchtlingskonvention wie folgt:

„Die Genfer Flüchtlingskonvention ist der Maßstab für Humanitäre Aufnahmeverfah­ren, die wichtige Instrumente zur Steuerung und Ordnung der Migration sind. Sie bieten besonders schutzbedürftigen Flüchtlingen einen legalen Zugangsweg.“

Gemäß GFK, Art. 1, Kap. A, Abs. 2 sind alle Personen als ,Flüchtling’ zu definieren, „die infolge von Ereignissen, die vor dem 1. Januar 1951 eingetreten sind, und aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will; oder die sich als staatenlose infolge solcher Ereignisse außerhalb des Landes befindet, in welchem sie ihren ge­wöhnlichen Aufenthalt hatte, und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen der erwähnten Befürchtungen nicht dorthin zurückkehren will [...]“.

Nichtsdestotrotz ist ein Definitionsversuch des Flüchtlingsbegriffs, aufgrund der hohen heik­len Implikationen, als komplex zu kategorisieren (vgl. Scherr 2015, S. 360).

Von hoher Relevanz ist das zentrale Element der GFK aus Artikel 33: das sog. ,non-refou- lement’-Prinzip. Das heißt, Flüchtlinge können nicht in Länder zurückgeschickt oder abgeschoben werden, in welcher ihre eigene Sicherheit gefährdet sein könnte. Dieser Arti­kel verpflichtet die Unterzeichner jedoch nicht dazu, Flüchtlingen Asyl zu gewähren. Das heißt, der Staat kann Asyl gewähren, ist aber nicht verpflichtet dies auch durchzusetzen. Vertragsparteien der Flüchtlingskonvention von 1951 sind nur dann verpflichtet, ergänzen­den Schutz vor diskriminierenden Menschenrechtsverletzungen zu gewähren, wenn dieser Schutz in ihrem eigenen Land nicht verfügbar ist (vgl. Markard 2015, S. 26).

3.2 Heutiger Begriff der Grenze

Menschen wandern nicht nur über Grenzen. Manchmal wandern auch Grenzen über Men­schen.

Flüchtlinge können ihr Ziel nur dann erreichen, wenn sie es auf die andere Seite des Grenz­zauns schaffen und somit über die Grenzen kommen. Wie kann die Grenze in diesem Kon­text definiert werden?

Grenzen spielen eine besondere - jedoch überwiegend unauffällige - Rolle in unserer Welt. In der Politikwissenschaft sprechen wir von sog. geografischen Grenzen, welche zudem auch als räumliche Grenzen bezeichnet werden. Es handelt sich hierbei i.d.R. um den Ver­lauf einer Grenze zwischen Ländern oder Orten. Grenzen gelten deshalb als wirkmächtig, weil bestimmte Rechtsprechungen und Gesetze im Zusammenhang mit Grenzen konstitu­iert werden (vgl. Öztürk 2014, S. 2). Grenzen definieren somit den Einflussbereich eines Landes, denn an der Grenze endet die Souveränität eines Landes und die Reichweite sei­nes Rechtssystems.

3.3 Funktionen und Hindernisse von Grenzen auf europäischer Ebene

Grenzen können als zufällige Formen sozialer Abschottung angesehen werden, die den Zugang zu gemeinsamen Gütern und Rechten durch soziale Gruppen regulieren. Aufgrund der Natur dieser Grenze ist es leicht zu erklären, warum die Entstehung des Nationalstaats eng mit dem Prozess der Grenzbildung verbunden war. Die Verwaltung des Austauschs ist entscheidend für die Frage der territorialen Integrität und Souveränität, der Definition des Volkes und der Ressourcen, über welche das Regime verfügen kann (vgl. Mau 2006, S. 115).

Insbesondere die Geschichte der Nationalstaatsbildung kann als Beispiel für die Verbindung von territorialen Grenzen und politischer Machtausübung angesehen werden. Den Grenzen der staatlichen Ordnung stehen zunehmend die Grenzen der Gesellschaft gegenüber (vgl. Mau 2006, S. 127). Nationalstaaten zeichnen sich dadurch aus, dass sie aufgrund des hohen Bedarfs an politischer Integration sehr klare und wirksame Grenzen gezogen haben, was letztlich auch zu der Idee einer Nationalgesellschaft beigetragen hat, die unsere Vorstellungen heute beschäftigt und beherrscht (vgl. Mau 2006, S. 127). Mit der Dynamik der europäischen Integration wandelt sich auch die Rolle der Landesgrenzen ab. Die Bedeutung und Funktion nationaler Grenzen wird durch die Bildung supranationaler Gesellschaften nicht aufgehoben, sondern weitgehend durch den Relativismus bestimmt. Wichtige Grenzfunktionen, wie die Kontrolle der Ein- und Ausreise von Personen sowie die Ein- und Ausfuhr von Waren wurden an die Außengrenzen der Europäischen Union verlagert (vgl. Mau 2006, S. 127f.). Zudem hat die Europäische Union ihre endgültige Form noch nicht gefunden und ist von Grenzbewegungen geprägt. Die ständig wechselnden Grenzen erschweren den Community-Building-Prozess (vgl. Mau 2006, S. 128.). Die politischen Systeme der Zukunft sind in einem geringeren Sinne etwa als territoriale Systeme mit festen Grenzen zu sehen. Gleichzeitig werden territoriale Herrschaftsbereiche verflochten und überlagert (vgl. Mau 2006, S. 128). Welche Funktionen hat eine Grenze im Allgemeinen?

Abbildung 2: Die Funktionen einer Grenze Traditionell-militärisch; Schutz

[Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an: Dittgen 2009, S. 169]

Die primäre Funktion der Grenze ist Schutz und Verteidigung. Dies ist der Grund, weshalb die Grenzen geschützt und überwacht werden. Des Weiteren bilden Grenzen im Kontext der nationalstaatlichen Ordnung die Grundlage der verfassungsrechtlichen Ordnung und Verwaltungsorganisation. Dabei wird oft übersehen, dass dies die wichtigste Funktion der Grenze ist (vgl. Dittgen 2009, S. 163). Trotz der auch völkerrechtlich anerkannten wichtigen Rolle internationaler Organisationen in den internationalen Beziehungen, bleiben die Nationalstaaten die wichtigste Institution des Rechtsschutzes (vgl. ebd.). Der Verlust der Grenzfunktion im Zusammenhang mit der Wirtschaft ist derzeit das am häufigsten diskutierte Thema. Nicht nur regionale Freihandelszonen, auch Welthandel und Finanzmärkte lassen Grenzen anachronistisch erscheinen. Nicht mehr die Volkswirtschaft bestimmt den wirtschaftlichen Wohlstand, sondern der Weltmarkt (vgl. Dittgen 2009, S. 164). Des Weiteren können wir von einer ideologischen Grenze sprechen, wenn sie Teil einer nationalistischen Idee ist. Mit solchen ideologisch definierten Grenzen lassen sich territoriale Ansprüche begründen. Zudem haben Grenzen wichtige sozialpsychologische Funktionen, denn das Individuum erbaut sich sein Territorium. Das Eindringen in diesen Raum ohne Aufforderung oder Zustimmung provoziert eine emotionale Reaktion von Angst und Feindseligkeit (vgl. Dittgen 2009, S. 165).

Grenzen haben für Europa eine große Bedeutung. In heutiger Zeit ist die Grenze also kein gerader Strich mehr an der eine Trennung zwischen zwei Ländern vorgenommen werden kann. Die europäische Grenze hat sich innerhalb der Union hin und her verschoben und erweitert, weit über die europäische Grenze hinaus (vgl. Heck 2011, S. 79 f.).

Somit kann festgehalten werden, dass eine Enträumlichung des Grenzregimes in Europa deutlich wird.

3.4 Migration

Migration ist ein häufiges Phänomen der jüngeren Menschheitsgeschichte. Gründe, Ausmaße, Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten der Migration haben sich im Laufe des öfteren geändert.

Die Migration ist ein besonders komplexes soziologisches Phänomen, welches aus ganz unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden kann und auch rechtliche Perspektiven berühren kann. Migration kann zudem auch aus einer Mikroperspektive betrachtet werden, d. h. aus der Sicht von Einzelpersonen, die migrieren. Im Mittelpunkt stehen dabei Fragen der individuellen Migrationsentscheidungen, ihrer wirtschaftlichen, sozialen, politischen, religiösen und persönlichen Motivationen, der Auswirkungen der Migration auf die persönliche Entwicklung sowie der Migrationsprozess und die Randbedingungen, welche auf wirtschaftliche, soziale und rechtliche Aspekte hinzielen (vgl. Klesczewski et al. 2021, S. 3 f.).

3.4.1 Gründe für Migration

Die Ursachen für Migration sind vielfältig und reichen von politischen bis hin zu sozialen Konflikten über demografische und menschenrechtliche Probleme, Klimawandel und Ar­mut. Nach Angaben des Europäischen Parlaments lebten bereits im Januar 2019 um die 21,8 Millionen Migranten (hier: Drittstaatsangehörige) in einem EU-Mitgliedstaat.3 Die meis­ten Migranten fliehen aufgrund von Kriegen (vgl. Ottersbach 2018, S. 36).

Das Push-Pull-Modell und die mikro- und makroökonomischen Migrationstheorien helfen gewiss die Faktoren der Migration zu systematisieren und konkrete Migrationsentscheidun­gen zu erklären. Bei der Frage nach der Ursache der Migration wird zwischen einem Push­Faktor und einem Pull-Faktor unterschieden. Push-Faktor ist der Grund, warum Menschen das Land verlassen. Eine attraktive Bedingung für ein Gastland, Einwanderer zu ermutigen, wird als Pull-Faktor bezeichnet.

Es gibt drei sich unterscheidende Kategorien relevanter Push- und Pull-Faktoren in diesem Sachzusammenhang:

1) Soziopolitische Faktoren
2) Demografische und wirtschaftliche Faktoren
3) Umweltfaktoren.

Verfolgung aufgrund von ethnischer Zugehörigkeit, Religion, Politik oder Rasse bedeutet, dass den Menschen aufgezwungen wird, ihr Land zu verlassen. Krieg und Konflikt (Bedro­hung) sowie Gewalt und Misshandlung durch Regierungen gehören zu den Hauptursachen für eine Vertreibung der Menschen aus ihren Ländern. Die vor bewaffneten Konflikten, Men­schenrechtsverletzungen oder politischer Verfolgung fliehenden Menschen, sind größten­teils humanitäre Flüchtlinge4.

In den letzten Jahren sind viele Menschen vor terroristischen Konflikten und politischen Verfolgungen nach Europa geflohen, um Schutz aufzusuchen.5 In vielen Fällen lässt sich die Migrationsmotivation nicht eindeutig unterscheiden. Aus diesem Grund ist es schwierig, zwischen Flüchtlingen, die umziehen müssen und solchen zu unterscheiden, die im weites­ten Sinne aus wirtschaftlichen oder anderen Gründen freiwillig umziehen. Dennoch bleibt diese Unterscheidung die rechtlich bedeutsamste, da die Unterzeichner der Genfer Flüchtlingskonvention zur Aufnahme und zum Schutz von Flüchtlingen verpflichtet sind und überwiegend hoheitliche Entscheidungen über die Aufnahme von Migranten treffen können.

3.4.2 Illegale Migration

Legale und illegale Einwanderer werden an den europäischen Grenzen offiziell unterschie­den, seit die westlichen Industrienationen Anfang der 1970er Jahre die Anwerbung von Wanderarbeitern verboten haben. Seitdem ist die sog. illegale Einwanderung nach Europa zu einem zentralen Thema auf der politischen Agenda der Europäischen Union geworden (Baumer 2014, S. 8). „Mit dem Inkrafttreten des Vertrages von Amsterdam am 1. Mai 1999 wurden die Kompetenzen zur Bekämpfung irregulärer Migration der Europäischen Union übertragen“ (Heck 2011, S. 72). Demokratische Nationen sehen ihre Grundprinzipien durch illegale Einwanderer in Frage gestellt. Die Anerkennung der Menschenrechte als jedem Menschen innewohnendes Grundrecht ist die Grundlage der Legitimität der liberalen De­mokratie. Dies steht jedoch im Widerspruch zu den Grundprinzipien der nationalen Souve­ränität, die auch den Zugang und die Kontrolle über das Territorium jedes Landes regeln, wie die jüngsten Ereignisse im Mittelmeerraum zeigen (vgl. Baumer 2014, S. 13). Während die Europäische Union die Vorschriften an ihren Außengrenzen verschärft, opfern Men­schen ihr Leben bei dem Versuch, das Mittelmeer auf ihrem Weg nach Europa zu überque­ren. Darüber hinaus gibt es Vereinbarungen mit Drittländern, die das Thema durch die Ein­richtung eines Grenzsystems auslagern müssen. Illegale Migration kam in den letzten Jah­ren in der migrationspolitischen Debatte zum Vorschein. Die Arbeitsmigration konnte trotz der vergleichbaren Relevanz den Gedankenaustausch nicht näherungsweise wie die ille­gale und fluchtbedingte Migration prägen, wobei auch diese für Kontroversen in der Gesell­schaft sorgte (vgl. Klarmann 2021, S. 27).

Im Zusammenhang mit Rechtsdokumenten auf Unionsebene gibt es nur Definitionen von irregulären Aufenthalten, von denen die meisten sehr kurz und allgemein gehalten sind. Es wird darauf hingewiesen, die Einreise- und Aufenthaltsvoraussetzungen nicht oder nicht mehr zu erfüllen. Aufgrund der Aufenthaltsbeschränkung ist eine weitere Bereichsdefinition der illegalen Migration jedoch eher notwendig, da die Untersuchung dieser nicht nur dazu dienen soll, näher auf die Anforderungen des Aufenthaltsgesetzes einzugehen, sondern auch um andere Kontexte zu beleuchten, in denen Migration als Motor oder Ausgangspunkt für Entkriminalisierung dient. Geht es um irreguläre Migranten und nicht um den gefächer­ten Kontext irregulärer Migration, gelten allgemein die Einreise, der Aufenthalt und die Ar­beit als ausschlaggebende Kriterien (vgl. Klarmann 2021, S. 48). Dies ging aber letztlich nicht weit genug. Obwohl die Grenze zwischen illegaler Migration und nicht-illegaler Migration schwer zu verstehen ist, welches eine Definition wiederum nicht völlig unge­bräuchlich macht (vgl. Klarmann 2021, S. 48).

Die Komplexität der illegalen Migration wird durch die folgenden Merkmale definiert:

1) Assoziation mit Migration
2) eine Ausprägung der Illegalisierung und
3) das Zusammenspiel der ersten beiden aufgeführten Merkmale (vgl. Klarmann 2021, S. 48).

Die Europäische Union erkennt an, dass Flüchtlinge und Migranten immer gefährlichere Routen einschlagen müssen und dabei ihr Leben gefährden, indem sie Grenzen ausbauen und die legale Einreise zunehmend unmöglich machen (vgl. Hess et al. 2015, S. 1).

Die Abbildung stellt die irregulären Grenzübertritte in die Europäische Union im Jahr 2020 nach den Staatsangehörigkeiten dar.

[...]


1 vgl. https://www.zeit.de/politik/ausland/2016 (Stand: 25.12.21)

2 vgl. https://www.spiegel.de/politik/ausland/fluechtlinge (Stand: 25.12.21)

3 vgl. https://www.europarl.europa.eu/news/de (Stand: 31.01.22)

4 Gemäß BAMF: Menschen, die aufgrund von schweren Krisensituationen aus ihrem Herkunftsland fliehen und auf kurzfristige humanitäre Hilfe angewiesen sind.

5 vgl. https://www.europarl.europa.eu/news/de (Stand: 31.01.22)

Ende der Leseprobe aus 55 Seiten

Details

Titel
Die europäische Grenzschutzagentur und ihre Rolle bei der illegalen Migration nach Europa
Hochschule
Universität Duisburg-Essen  (Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Europapolitk
Note
2,4
Autor
Jahr
2022
Seiten
55
Katalognummer
V1243998
ISBN (eBook)
9783346670526
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Frontex, Küstenwache, EU, Europäische Union, Flüchtlinge, Migration, illegale Migration
Arbeit zitieren
Zeynep Kut (Autor:in), 2022, Die europäische Grenzschutzagentur und ihre Rolle bei der illegalen Migration nach Europa, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1243998

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