Aristoteles, Metaphysik: Ist Form etwas Seiendes?


Seminararbeit, 2005

16 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1 Zur Mehrdeutigkeit des Begriffes „seiend”
1.1 Substanz - ousia
1.2 Zwei Verwendungen von “Substanz”
1.3 Die vier Bedeutungen von “Substanz”
1.4 Das Zugrundeliegende (hypokeimenon)

2 Synholon, morphê und hylê
2.1 Das to ti ên einai ist eidos
2.2 Das eidos als Form

3. Eidos, hylê und synholon im Prozess des Werdens und Entstehens

4 Formursache

5 Form ist ein relativ Seiendes

6 Literatur

Einleitung

In den heute als Metaphysik[1] bekannten Schriften des Aristoteles soll die Frage: „Was ist das Seiende?“ beantwortet und zudem die allem zugrunde liegende Substanz definiert werden, welche sowohl Seins- als auch Erklärungsgrund alles Seienden ist.[2] Aristoteles spricht von der in der Metaphysik vorgestellten Wissenschaft als erster Wissenschaft, die im Gegensatz zu Einzelwissenschaften wie Physik oder Mathematik eben nicht einzelne Seiende oder Seinsgebiete untersucht, sondern das Seiende an sich zum Gegenstand hat. Natürlich setzen sich auch Einzelwissenschaften mit Seiendem auseinander. Sie setzen aber bereits gewisse Begriffe voraus, welche von ihnen zwar benutzt werden, aber eben weil sie vorausgesetzt werden, nie selbst Untersuchungsgegenstand sind. So zum Beispiel die Begriffe „Art”, „Form”, „Gattung”, „Wesen”, etc. Die Metaphysik, verstanden als erste Philosophie, beschäftigt sich hingegen mit „Prinzipien und Ursachen des Seienden, insofern es ist”[3] oder wie Aristoteles selbst es ausdrückt mit „im höchsten Grade Wissbarem“[4]. Gesucht ist letztlich eine Substanz, die ihrerseits Prinzip und Ursache anderer Substanzen ist.[5] Wichtig ist, dass man sich bei diesem Unterfangen Aristoteles’ Abneigung gegen Platons Ideenlehre bewusst bleibt. Aristoteles wird diese letzte Ursache oder Substanz also nicht in einer parallelexistenten, von der materiellen Welt getrennten Ideenwelt vermuten.

Bei der Beantwortung der Frage, ob Form etwas Seiendes sei, konzentriert sich diese Arbeit auf die Substanzbücher Z (VII), H (VIII), und Q (IX) der Metaphysik. Die Frage kann nur über Umwege beantwortet werden. So muss zuerst geklärt werden, wann etwas und was genau „seiend“ ist, respektive nach welchen Kriterien etwas „seiend“ ist. Sodann wird die Rolle der Form im Aristotelischen Begriffsuniversum ausgemacht werden müssen.

In einem ersten Teil soll die Mehrdeutigkeit des Begriffes „seiend” untersucht und die Kriterien zur Unterscheidung Substanz vs. erste/primäre Substanz aufgezeigt, sowie die Begriffe der Substanz (ousia) und der ersten Substanz (eidos) präzisiert werden. Die Mehrdeutigkeit der Begriffe selbst, sowie die Ähnlichkeit der Bedeutungen unter den verschiedenen Begriffen für Substanz mögen zum Teil verwirren. Wichtig ist, sich vor Augen zu halten, dass Aristoteles lediglich dasselbe Problem aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet. So ist auch die Einteilung dieser Arbeit nicht unbedingt als stringente Abhandlung auf dem Weg zur Definition der letztendlichen Substanz zu verstehen. Die einzelnen Kapitel sind inhaltlich vielmehr untereinander verbunden und müssen als Geflecht betrachtet werden.

Der zweite Teil widmet sich den Wesensbestandteilen „Form” und „Materie” genauer. Ziel dieses Abschnittes ist es, eine klare Vorstellung vom Begriff „Form” und dessen verschie-denen Bedeutungen zu bekommen.

Der dritte Teil bespricht den Prozess des Werdens und Entstehens und prüft das Verhältnis der Wesensbestandteile Form/Materie zueinander.

Der vierte Teil diskutiert die Formursache genauer.

Der fünfte und letzte Teil bildet schliesslich die Diskussion der eingangs gestellten Frage, ob Form etwas Seiendes ist. Darin sollen die vorgängig gewonnenen Erkenntnisse bezüg-lich der Kriterien einer letztendlichen Substanz sowie der Kriterien von Seiendem beigezogen werden.

1 Zur Mehrdeutigkeit des Begriffes „seiend”

Buch Z beginnt Aristoteles mit der Feststellung, dass „von Seiendem in mehreren Bedeutungen gesprochen [wird]”[6]. Dabei geht es nicht um verschiedene Bedeutungen von „seiend” im Sinne einer Ausdrucksgleichheit, dass also die verschiedenen Bedeutungen nicht wirklich etwas miteinander zu tun hätten, aber mehr oder weniger zufällig durch dasselbe Wort bezeichnet werden.[7] Wichtig ist vielmehr der gemeinsame Bezugspunkt. Die Mehrdeutigkeit ergibt sich zwar aus einer „vielfachen Ausdrucksweise [des Seienden]”[8] der Bezugspunkt bleibt jedoch immer, wie schon in Buch IV angesprochen, erhalten. Es ist das Seiende als Seiendes, das on hê on[9]. Die verschiedenen Bedeutungen von „seiend“ haben alle den Bezug zum Seienden als Seiendes, was als pros-hen -Relation bezeichnet wird. So kann analog der Begriff „gesund“ in vielfacher Weise gebraucht werden, deutet aber immer auf und steht in Bezug zur „Gesundheit“.[10]

Die verschiedenen Bedeutungen von „seiend“ sind: 1. das Was (ti esti), 2. ein Dieses-da (tode ti), 3. ein Qualitatives, 4. ein Quantitatives oder 5. übrige Kategorien.[11] Unter diesen verschiedenen Ausdrucksweisen des Seienden bezeichnet Aristoteles das tode ti als das am meisten Seiende, da alle übrigen relativ, d.h. in Bezug auf dieses seiend sind.[12] Die Vorrangigkeit des tode ti gegenüber den anderen Bedeutungen ist dreifach: 1. Dem Begriff nach, 2. der Erkenntnis nach und 3. der Zeit nach[13]. Dem Begriff nach muss ein Akzidens immer Bezug auf die Substanz nehmen zu welcher es Akzidens ist. Der Erkenntnis nach ist das Erkennen eines Akzidens einer Sache nicht so hoch zu bewerten, wie das Erkennen der Substanz derselben Sache. Der Zeit nach können Akzidenzien nicht früher sein, als die Substanzen, da sie ohne diese gar nicht erst bestehen würden.

1.1 Substanz -ousia

Die Begriffe „Substanz“ und „Seiendes“ werden beide für die Übersetzung des Wortes ousia gebraucht. Im Folgenden wird der Begriff „Substanz“ verwendet.

Bevor Aristoteles in Buch Z genauer auf die verschiedenen Bedeutungen von Substanz

eingeht, bringt er für die Unterscheidung Substanz/nicht Substanz resp. Substanz/Akzidenzien ein Kriterium ein: das Selbstständigkeitskriterium[14]. Ousia im Sinne von eigentlichem Seienden oder Substanz unterscheidet sich von den Akzidenzien von Substanzen, welche sich lediglich auf die Substanzen beziehen, aber nicht selbstständig abtrennbar (chôriston) seiend sind. Akzidenzien sind demnach relativ Seiende, also seiend in Bezug auf selbstständig Seiendes. Substanz hingegen ist selbstständig abtrennbar Seiendes.

[...]


[1] In dieser Arbeit dient folgender Text zur Grundlage: Bonitz, Hermann [Übers.]; Seidl, Horst [Hrsg.] (1998): Aristoteles’ Metaphysik: griechisch-deutsch. Hamburg: Meiner.

[2] Rapp, C. (1996): 1.

[3] Met. 1025b 3

[4] Met. 982a 31

[5] Rapp, C. (2001): 160f.

[6] Met. 1028a 10f.

[7] Met. 1030a 32: „Das Wahre freilich ist, dass es weder bloss gleichnamig noch identisch ist, sondern so, wie man vieles medizinisch nennt, weil es sich auf ein und dasselbe bezieht, ohne ein und dasselbe zu sein, aber doch auch nicht nach blosser Namensgleichheit. Denn medizinisch nennt man einen Körper, ein Werk, ein Gerät nicht nach blosser Namensgleichheit, auch nicht nach Wesenheit, sondern nach der Beziehung auf eines.“

Rapp, C. (2001): 154. Rapp verdeutlicht die Mehrdeutigkeit durch das Beispiel der beiden Wörter “Mark” und “Bank”, deren verschiedene Bedeutungen nichts miteinander zu tun haben und zufällig durch dasselbe Wort bezeichnet werden.

[8] Met. 1017a 7: “Das Seiende wird einerseits in akzidentiellem Sinn, andererseits an sich ausgesagt.”

[9] Met. 1003a 33f.: “Das Seiende wird in mehrfacher Bedeutung ausgesagt, aber immer in Beziehung auf Eines und auf eine einzige Natur...”

[10] Met. 1003a 35f.: „[...] sondern wie alles, was gesund genannt wird, auf Gesundheit hin ausgesagt wird, indem es dieselbe erhält oder hervorbringt, oder ein Anzeichen derselben, oder sie aufzunehmen fähig ist, und wie etwas ärztlich heisst in Beziehung auf die Arzneikunde, entweder weil es die Arzneikunde besitzt oder zu ihr wohl befähigt oder ein Werk derselben ist; und wie wir dasselbe beim Gebrauch der übrigen Wörter finden werden, ebenso wird auch das Seiende zwar in vielfachen Bedeutungen ausgesagt, aber doch alles in Beziehung auf ein Prinzip.“

[11] Met. 1028a 10-13: „Denn es bezeichnet teils ein Was und Einzelnes (Dieses-da), teils dass etwas Qualitatives oder Quantitatives oder jedes von dem übrigen so Ausgesagten ist.“

[12] Met. 1028a 13-31: „Indem nun in so vielen Bedeutungen das Seiende bezeichnet wird, so ist offenbar von ihnen erstes Seiendes das Was, welches das Wesen (Substanz) bezeichnet... Das andere aber wird seiend genannt, insofern es an dem in dieser Bedeutung Seienden entweder eine Quantität oder eine Qualität, eine Affektion oder etwas anderes der Art ist.“

[13] Met. 1028a 30f. “Nun gebraucht man zwar das Wort Erstes in verschiedenen Bedeutungen, indes in jeder von ihnen ist das Wesen Erstes sowohl dem Begriff, wie der Erkenntnis und der Zeit nach.” Zur Zeit: “Denn von dem Seienden nach den übrigen Aussageweisen ist keines selbständig abtrennbar, sondern dieses allein.” Zum Begriff: “Denn in dem Begriff eines jeden Dinges muss der Begriff des Wesens enthalten sein.” Zur Erkenntnis: “Und zu wissen glauben wir ein jedes am meisten dann, wenn wir erkannt haben, was (z.B.) der Mensch ist oder das Feuer, mehr als wenn wir die Qualität oder die Quantität oder das Wo erkannt haben...”

[14] Met. 1028a 24: Affektionen können nicht für sich existieren und nicht von der ousia abgetrennt werden: „Denn keines von diesen besteht an sich oder ist einer Abtrennung von dem Wesen (Substanz) fähig, sondern, wofern überhaupt, so gehört vielmehr das Gehende, das Sitzende und das Gesunde zum Seienden.“

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Details

Titel
Aristoteles, Metaphysik: Ist Form etwas Seiendes?
Hochschule
Universität Zürich  (Philosophisches Seminar)
Veranstaltung
Seminar Aristoteles: Metaphysik
Autor
Jahr
2005
Seiten
16
Katalognummer
V126406
ISBN (eBook)
9783640323456
ISBN (Buch)
9783640321469
Dateigröße
522 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Aristoteles, Metaphysik, Philosophie
Arbeit zitieren
Elena Holzheu (Autor:in), 2005, Aristoteles, Metaphysik: Ist Form etwas Seiendes?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/126406

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