Friedrich Schiller verarbeitet in seinem Drama „Die Jungfrau von Orleans“ einen historischen Stoff aus dem 15. Jahrhundert, wobei seine Wahl gewiss nicht ohne Grund Parallelen zu den politischen Ereignissen rund um die Französische Revolution aufweist. Der Freiheitskampf der Franzosen gegen die Engländer lässt sich mühelos auf den Freiheitskampf des einfachen Volkes gegen den übermächtigen Adel übertragen.
Heinrich von Kleist belässt sein Drama „Penthesilea“ im antiken Milieu, aus dem der Mythos ursprünglich auch stammt, und scheint so von der aktuellen Tagespolitik der damaligen Zeit weit entfernt. Allerdings prallen auch in diesem Drama zwei politische Ideen, dargestellt durch zwei Staatsformen, nämlich Griechen und Amazonen, aufeinander.
Wenn es nun nicht unbedingt politische Dimensionen sein müssen, die beide Dramen verbinden, was könnte es dann sein? Meiner Meinung nach scheint es den Autoren vorrangig um die Beschäftigung mit Geschlechterkonventionen zu gehen. Johanna und Penthesilea verkörpern einen Typus Frau, der ungewöhnlich und möglicherweise abnorm in der damaligen Zeit erscheint: die öffentliche Frau. „Feminine role, as we have described it for the Goethezeit, involves abstention from public affairs, basic passivity, sentimentality, and self-negating tendencies. “ (Prandi 1983, S.48). War es in der Goethezeit die Norm, dass Frauen sich aus dem öffentlichen Leben fernhielten und ihren Wirkungsbereich auf das Häusliche, Private, beschränkten, so suchen unsere Titelheldinnen ihr Heil in dem von Männern beanspruchten öffentlichen Raum. Sie bewegen sich als Kriegerinnen eindeutig in einer Männerdomäne und behaupten sich dort gegen zahlreiche Widrigkeiten. Denn für Frauen scheint es grundsätzlich doppelt schwierig, ihren Weg zu machen, da sie sowohl einem äußeren als auch einem internalisierten Weiblichkeitsideal unterworfen sind.
Wie verstehen nun unsere beiden Protagonistinnen ihre Rolle, was motiviert sie, was bringt sie zu Fall? Wo kommen sie her, wo streben sie hin? Um diese Fragen zu klären, unterziehen wir Johanna und Penthesilea einmal genaueren Betrachtungen.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Werdegang und Motivation
Johanna von Orleans – von der Hirtin zur Heerführerin
Penthesilea – Königin zwischen Wahn und Wirklichkeit
Identität und Rollenverständnis
Penthesilea als öffentliche und als private Person
Johanna und die Diskrepanz zwischen Schein und Sein
Geschlechterkampf
Johannas Kampf an allen Fronten
Penthesileas Machtspiele
Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis:
Primärliteratur:
Sekundärliteratur:
Einleitung
Friedrich Schiller verarbeitet in seinem Drama „Die Jungfrau von Orleans“ einen historischen Stoff aus dem 15. Jahrhundert, wobei seine Wahl gewiss nicht ohne Grund Parallelen zu den politischen Ereignissen rund um die Französische Revolution aufweist. Der Freiheitskampf der Franzosen gegen die Engländer lässt sich mühelos auf den Freiheitskampf des einfachen Volkes gegen den übermächtigen Adel übertragen.
Heinrich von Kleist belässt sein Drama „Penthesilea“ im antiken Milieu, aus dem der Mythos ursprünglich auch stammt, und scheint so von der aktuellen Tagespolitik der damaligen Zeit weit entfernt. Allerdings prallen auch in diesem Drama zwei politische Ideen, dargestellt durch zwei Staatsformen, nämlich Griechen und Amazonen, aufeinander.
Wenn es nun nicht unbedingt politische Dimensionen sein müssen, die beide Dramen verbinden, was könnte es dann sein? Meiner Meinung nach scheint es den Autoren vorrangig um die Beschäftigung mit Geschlechterkonventionen zu gehen. Johanna und Penthesilea verkörpern einen Typus Frau, der ungewöhnlich und möglicherweise abnorm in der damaligen Zeit erscheint: die öffentliche Frau. „Feminine role, as we have described it for the Goethezeit, involves abstention from public affairs, basic passivity, sentimentality, and self-negating tendencies. “ (Prandi 1983, S.48). War es in der Goethezeit die Norm, dass Frauen sich aus dem öffentlichen Leben fernhielten und ihren Wirkungsbereich auf das Häusliche, Private, beschränkten, so suchen unsere Titelheldinnen ihr Heil in dem von Männern beanspruchten öffentlichen Raum. Sie bewegen sich als Kriegerinnen eindeutig in einer Männerdomäne und behaupten sich dort gegen zahlreiche Widrigkeiten. Denn für Frauen scheint es grundsätzlich doppelt schwierig, ihren Weg zu machen, da sie sowohl einem äußeren als auch einem internalisierten Weiblichkeitsideal unterworfen sind.
Wie verstehen nun unsere beiden Protagonistinnen ihre Rolle, was motiviert sie, was bringt sie zu Fall? Wo kommen sie her, wo streben sie hin? Um diese Fragen zu klären, unterziehen wir Johanna und Penthesilea einmal genaueren Betrachtungen.
Werdegang und Motivation
Johanna von Orleans – von der Hirtin zur Heerführerin
Wenn ich mir Johanna von Orleans als Anführerin des französischen Heeres vorstelle, erscheint vor meinen Augen das berühmte Gemälde von Eugene Delacroix „Die Freiheit führt das Volk auf die Barrikaden“, wird diese Freiheit doch dort als Frau dargestellt. Aber das ist eine Allegorie, etwas Abstraktes, wohingegen Johanna von Orleans eine real existierende Person war. Schiller präsentiert uns seine Johanna als eine Mischung aus Heiliger und Amazone, aus katholisch und heidnisch, angesiedelt zwischen zwei Heeren, zwei Geschlechtern, zwei Stühlen sozusagen. Und höchstwahrscheinlich ist diese Ambivalenz, dieses Spannungsverhältnis das Faszinosum.
Quasi von Beginn an wird Johanna als „Zwischending“ konstituiert. Sie hat einen Vater, aber keine Mutter, d.h. ihre Mutter findet keinerlei Erwähnung, also lässt sich nur spekulieren, ob diese bei Johannas Geburt womöglich gestorben ist. Möglicherweise hat Johanna deshalb Erscheinungen von der Muttergottes, weil ihr die eigene Mutter fehlt. Ihre Schwestern jedenfalls dienen nicht als Mutterersatz. Vielleicht erklärt das Aufwachsen mit nur einem Elternteil auch die Stellung unserer Protagonistin als Außenseiterin, aber das ist rein spekulativ.
Johanna wächst also ohne Mutter auf und ist stark auf ihren Vater fixiert, dem sie zwar nicht immer gehorcht, doch dessen Urteil sie mit dem Gottes gleichsetzt (4.Aufzug, 11.Auftritt). Der Vater verkörpert eine höhere Autorität, ist aber nicht stark genug, sie auf ganzer Linie durchzusetzen. Johanna entzieht sich ihm nämlich, denn sie verfolgt ein höheres Ziel im Leben, als Ehefrau und Mutter zu sein. Sie rebelliert sowohl als Tochter als auch als Frau gegen die allzu starren Ordnungen.
Als die väterliche Autorität auf Erden dergestalt versagt, will Thibaut seine Tochter wenigstens einer himmlischen, männlichen Autorität ergeben wissen (4.Aufzug, 8.Auftritt).
Dem klassischen Rollenverständnis ihres Vaters Thibaut d’Arc steht Johannas eher untypische Lebensweise entgegen. Schon frühzeitig zeichnet sie sich nämlich durch „Andersartigkeit“ aus. Sie geht einem friedlichen Beruf nach und hütet Schafe, ist aber so mutig, eigenhändig einen Wolf zu erlegen, der ihre Herde bedroht. Sie steht also einerseits mit beiden Beinen im Leben, hat aber auch Phasen, in denen sie träumt und Visionen hat. Weil diese Visionen sie unter einem Baum ereilen, bezichtigt ihr eigener Vater sie, mit dunklen, heidnischen Mächten im Bund zu sein. Dem Baum gegenüber befindet sich jedoch eine Kapelle, was die Anwesenheit christlicher Einflüsse bereits suggeriert. Außerdem ist es so, „dass Bäume und Quellen als herausragende Naturphänomene bevorzugte Orte für Erscheinungen und Offenbarungen sind.“ (Jai Mansouri 1988, S.347) Im Grunde müsste der Vater Johanna noch am ehesten verstehen, schließlich hat er ebenfalls Visionen. Doch da er wie gesagt ein eher klassisch-patriarchalisch geprägtes Rollenverständnis hat, kann er Johannas „Anomalie“ nicht billigen.
Johanna wird äußerlich als weiblich attraktiv beschrieben (S.37 „schön zugleich und schrecklich anzusehn, um ihren Nacken in dunkeln Ringen fiel das Haar“)[1], demgegenüber steht aber innerlich ihr „männlich Herz“ (S.11), was der Vater als „eine schwere Irrung der Natur“ ansieht (S.7). Auffällig sind in jedem Fall Johannas „mannhafte Tugenden wie Stärke, Tapferkeit und Mut“ (Kollmann 2004, S.103), wobei es dem Vater lieber wäre, sie würde sich durch eher bürgerliche Tugenden wie „Gleichmut, Pflichttreue und Anpassung“ (Kollmann 2004, S.104) auszeichnen und sich den Geschlechterkonventionen unterwerfen. Johannas Schwestern Margot und Louison passen besser in das frauliche Ideal ihrer Zeit, da sie sich dem Willen des Vaters beugen und sich verheiraten lassen.
Wie sehr sich Johanna später mit ihrer Mission identifiziert, beweist ihr Griff nach dem Helm (S.11 „rasch und begierig darnach greifend“), dem Symbol des Kampfes. Dies scheint neben der Jungfrauenerscheinung der zweite Beweis ihrer Berufung. Das eine ist quasi irdischen Ursprungs, das andere himmlischen. Johanna rechtfertigt ihr Tun mit einem göttlichen Auftrag, obwohl immer wieder ihre Leidenschaft für den Kampf an sich durchschimmert. Sie bricht aus dem Alltag aus um Großes zu vollbringen. Rational ist Johannas Siegeszug nicht erklärbar, denn sie handelt intuitiv und daher unvorhersehbar. Sie tut das für sich selbst, eventuell noch für eine höhere Macht, aber keinesfalls für die Gemeinschaft. Was Johanna auszeichnet sind Charisma und Sendungsbewusstsein. Sie appelliert an das Gefühl und kann so die Landsleute motivieren. Die Engländer folgen - ganz dem Ideal der Aufklärung verhaftet - dem Verstand, vernachlässigen dadurch das Herz und können so dem Phänomen nicht beikommen. Dass Schiller Johanna im Widerspruch zu den geschichtlichen Überlieferungen auf dem Schlachtfeld statt auf dem Scheiterhaufen sterben lässt (Kollmann 2004, S.124), zeigt, dass „Johanna nicht Opfer der Männer wie in der Realität“ (Kollmann 2004, S.124) ist und dass die Frauenrolle nicht die passive, hinnehmende sein muss. Es sollte eben nicht entscheidend sein, was man ist, sondern wer. Johanna also eine Heldin im klassischen Sinn? Ich denke ja.
Penthesilea – Königin zwischen Wahn und Wirklichkeit
Penthesilea ist eine Gestalt aus der griechischen Mythologie. Sie war die Königin der Amazonen und kämpfte im Trojanischen Krieg an der Seite der Troer gegen die Griechen. In diesem Krieg wurde sie von Achill getötet. Kleist präsentiert uns diese Heldin in seinem Drama nun ebenfalls in einem Zwiespalt. Doch wo Schiller eher einen „Dualismus“ veranschaulicht, d.h. ein Spannungsverhältnis innerhalb seiner Protagonistin, zeigt Kleist eine „Polarität“ auf, d.h. ein Spannungsverhältnis zwischen zwei Protagonisten, nämlich Penthesilea und Achill.
Penthesilea ist, so wie wir sie kennen lernen, die Königin der Amazonen. Sie ist 23 Jahre alt („Sieh ich hatte schon das heitre Fest der Rosen zwanzigmal erlebt und drei…“, S.80)[2] und trauert gerade um ihre geliebte Mutter Otrere, der sie nun auf den Thron nachfolgt. Penthesilea scheint eine Königin wider Willen, die man „gewaltsam auf den Thron riss“ (S.82), und zieht nur widerstrebend in den Krieg, obwohl dies eigentlich der Erfüllung des letzten Willens ihrer Mutter dient. Im Kampf soll sich Penthesilea nämlich einen Liebhaber erobern und so für den Fortbestand ihres Herrscherhauses sorgen. Man muss an dieser Stelle erwähnen, dass der Amazonenstaat ein reiner Frauenstaat ist, in dem Männer nicht als Lebenspartner geduldet werden und nur zum Zweck der Fortpflanzung Einlass finden (siehe Entstehungsgeschichte der Amazonen, S.74-79). In dieser Tatsache liegt die Crux der Geschichte. Penthesilea hat von ihrer Mutter geweissagt bekommen, wer ihr als Bräutigam bestimmt ist, nämlich der Peleïde Achill. Diesen Mann soll sich Penthesilea im Kampf erobern, stellt er allein doch den würdigen Stellvertreter des Gottes Mars dar, des Urvaters der Amazonen. Problematisch in diesem Zusammenhang finde ich die Tatsache, dass Mars sowohl als Vater Penthesileas fungiert (ihr irdischer Vater ist nicht bekannt) als auch als ihr Liebhaber (in der Person Achills).
Nun denn, sobald Penthesilea sich ins Kampfgetümmel stürzt, setzt bei ihr die Kriegsbegeisterung ein („Schwand mir der Schmerz, und meiner Seele ging die große Welt des heitern Krieges auf.“, S.82) und sie genießt den Eroberungszug. Achill entspricht auch vollkommen Penthesileas Vorstellungen, erinnert er doch in seinem Gebaren und seinem Ruf nach an besagten Kriegsgott, der als Maßstab für alles Männliche fungiert („Wie aber ward mir, o Freund, als ich dich selbst erblickte-!“, S.83). Die Liebe ereilt Penthesilea also auf dem Schlachtfeld (wobei es heikel ist, hier von Liebe zu reden, wenn es eher um Triebe geht), und dort wird sie sie auch wieder verlieren. Doch dazu später mehr.
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[1] Die einfache Angabe von Seitenzahlen bezieht sich auf die Reclam-Ausgabe von Schillers „Die Jungfrau von Orleans“ laut Literaturverzeichnis im Anhang
[2] Hier bezieht sich die einfache Angabe von Seitenzahlen auf die Reclam-Ausgabe von Kleists „Penthesilea“ laut Literaturverzeichnis im Anhang
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