Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Ziel der Arbeit und Stand der Forschung
1.2 Wissenschaftliche Methode und Aufbau der Arbeit
2 Bezahlinhalte bei Online-Medien
2.1 Anfänge der digitalen Transformation in Verlagen
2.2 Neue Erlösmodelle: erste Paywalls in Deutschland
2.3 Verlage heute: Trends und Herausforderungen in den Redaktionen
2.4 Online-Medien in der Corona-Krise
2.5 Zahlungsbereitschaft für digitaljournalistische Inhalte
2.6 Bisherige Erkenntnisse zur Nutzerbindung
2.6.1 Personalisierung
2.6.2 Bundling und Plattformen
2.6.3 Preisgestaltung und Bezahlvorgänge
3 Empirischer Teil: Leitfadeninterviews zum Thema Nutzerbindung bei Online-Medien
3.1 Begründung der Methodenwahl und Auswahl der Experten
3.2 Ergebnisse und Auswertung
3.2.1 Bundling und Zielgruppenbedienung
3.2.2 Pricing
3.2.3 Nischen-Ratgeber und persönlicher Nutzwert
3.2.4 Teilpersonalisierung
3.2.5 Plattformen im Journalismus
3.2.6 Ausblick
4 Zusammenfassung
5 Literatur- und Quellenverzeichnis
6 Anhang
Vorwort
Die vorliegende Bachelorthesis verfasste ich als Abschlussarbeit meines Bachelorstudiums an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg im Studiengang Technikjournalismus/PR. Die Arbeit behandelt das Thema Geschäftsmodelle und Finanzierung im digitalen Journalismus. Die Themenwahl fiel mir nicht besonders schwer, da es sich um ein hochinteressantes Forschungsgebiet handelt, zu dem es bereits einige Ansätze gibt, das aber immer Raum für neue Theorien und Fragestellungen lässt.
Der Medienmarkt veränderte sich durch die zunehmende Digitalisierung in den letzten Jahren rasant. Obwohl gegenwärtig noch das Printgeschäft einen Großteil des Umsatzes bei vielen Tageszeitungen ausmacht, wird Online immer bedeutender. Tagtäglich konsumieren wir verschiedenste Online-Medien, um unseren Interessen nachgehen zu können. Durch die lange Zeit bestehende Gratiskultur im Netz sind wir es gewohnt, Inhalte kostenlos lesen zu können. Denn sobald die Paywall heruntergelassen wird, haben die Inhalte, die wir vorher noch interessant fanden, weniger Wert für uns. Gleichzeitig sind wir aber bereit, für Bewegtbild- und Musikinhalte zu bezahlen. Wenn das allgemeine Interesse an journalistischer Arbeit vorhanden ist, warum will die Mehrheit nicht dafür zahlen? Diese Arbeit soll untersuchen, mit welchen Strategien Verlage die Zahlungsbereitschaft der Leser langfristig erhöhen können.
An der Stelle danke ich meinem Professor Andreas Schümchen für die Betreuung dieser Arbeit. Darüber hinaus geht mein großer Dank meinen Interviewexperten Sebastian Voigt, Christian Hoffmeister, Thomas Breyer-Mayländer, Jan Voller, Holger Kansky und Jonas Weber, die sich für ein Interview bereit erklärten und mir für die Beantwortung meiner Forschungsfrage ausführliche Informationen geben konnten, die mir sehr halfen.
Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Lesen dieser Bachelorarbeit.
Bonn, den 07.12.2021
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Verlage erwarten, mit ihren Digitalerlösen die Print-Rückgänge kompensieren zu können
Abbildung 2: Struktureller Wandel in Redaktionen
Abbildung 3: Digitale Reichweiten der Online-Zeitungen in der Corona-Krise
Abbildung 4: Anteil Netto-Werbeeinahmen deutscher Werbeträger am Gesamtumsatz 2020 in Prozent
Abbildung 5: Zahlungsbereitschaft für Online-Medien nach Altersgruppen
Abbildung 6: Nutzung der Online-Zeitungen in Corona-Zeiten
Abkürzungsverzeichnis
AGOF Arbeitsgemeinschaft Online Forschung
BDZV Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger
BZ Badische Zeitung
DCI Digital Change and Innovation
Ebd. Ebenda
FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung
IVW Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern
KPMG Klynveld Peat Marvick Goerdeler
NYT New York Times
NZZ Neu Zürcher Zeitung
PwC Pricewaterhouse Coopers
SZ Süddeutsche Zeitung
Vgl. Vergleiche
WSJ Wall Street Journal
ZAW Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft
ZMG Zeitungsmarktforschung Gesellschaft
1 Einleitung
Viele deutsche Verlage treiben ihre Online-Bezahlmodelle voran. Der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) geht davon aus, dass sich bis 2023 nahezu alle Zeitungen für ein digitales Bezahlsystem aussprechen werden (vgl. BDZV/Schickler 2020, S.17). Der Gedanke ist gereift, dass Journalismus auch im Netz seinen Preis haben darf (vgl. Voigt 2020). Doch damit ist folgendes Problem nicht gelöst: Die derzeit größten Herausforderungen vieler Verlage sind weiterhin, Nutzer zu gewinnen und an die eigene Marke zu binden, wie Holger Kansky, Leiter Digitales beim BDZV, erklärt (vgl. Promies 2020).
Trotz der seit Jahren steigenden Paid Content-Umsätze bei den Zeitungen (vgl. pv digest 2020) ist die Zahlungsbereitschaft für digitaljournalistische Inhalte weiterhin nicht ausreichend (vgl. Wellbrock; Buschow 2020, S. 14). Dabei scheint dies auf den ersten Blick verwunderlich: Die Preise für ein digitales Standard-Abo sind durchschnittlich gesunken (vgl. Simon/Graves 2019, S.4) und viele Redaktionen wollen ihre Vertriebsstrategien zunehmend digital ausrichten (vgl. BDZV/Schickler 2021, S.6). Das E-Paper ist ohnehin schon länger auf dem Markt. Zusätzlich arbeiten einige Verlage seit längerem mit Datenkonzepten wie Artikel-Scores, um Inhalte jederzeit optimieren zu können (vgl. Manhart 2019, Teil 5) und wollen Erfolgsfaktoren bezahlpflichtiger „Plus“-Artikel erarbeiten (vgl. BDZV/Schickler 2021, S.16).
Der Journalismus hat auch nach wie vor eine hohe Bedeutung: Zu Beginn der Corona-Krise profitierten viele Online-Medien von hohen Reichweiten und Zugriffszahlen auf ihren Websites (vgl. ZMG 2020a). Auch die Zahl abgeschlossener Abos ist während dieses Zeitraums gewachsen (vgl. Deloitte 2020b). Journalismus-Professor Angel Arrese sieht die Lösung in einem nutzerseitigen Ansatz: „Audience engagement and commitment is the key to the long-term success of brands “, (vgl. Promies 2020). Nach Kansky sei die Leserbeziehung noch nicht loyal und ausreichend nachhaltig (vgl. ebd. 2020). Netflix und Spotify könnten als Vorbild dienen: Die Streaming-Plattformen setzen auf Algorithmen basierend auf individuellen Interessen und gehören mittlerweile schon fest zum Alltag (vgl. Bauer 2017; Schade 2018). Zwar lassen sich Bewegtbild- und Musikangebote nicht mit Nachrichten vergleichen, doch ein „Spotify für News“ wird in der deutschen Verlagslandschaft zumindest diskutiert (vgl. BDZV/Schickler 2021, S. 29).
1.1 Ziel der Arbeit und Stand der Forschung
Das Ziel der Arbeit besteht darin, zu untersuchen, wie deutsche Online-Medien Leser langfristig an die eigene Marke binden können. Daraus ergibt sich die folgende Forschungsfrage: Mit welchen Strategien können deutsche Verlage ihre Leser zukünftig von einem Abonnement überzeugen und langfristig halten?
Zum Thema Paid Content gibt es einige Untersuchungen, auf denen in dieser Arbeit aufgebaut werden kann. Zum einen gibt es Studien, die sich mit Zahlungsbereitschaft beschäftigen, darunter die PwC-Studie „Zahlungsbereitschaft für Online-Journalismus“ von 2018, die Studie „Money for nothing and Content for free“ von Christian Wellbrock und Christopher Buschow im Auftrag der Landesmedienanstalt NRW aus 2020, „Paid Content in Deutschland“ vom DCI Institute und der Hochschule Fresenius aus 2018 sowie die Media Consumer Survey 2020 von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte. Buschow in Zusammenarbeit mit Jonas Weber und Jonas Steffl untersuchten Medien-Plattformen in Deutschland in ihrem Fachbeitrag „Plattformen für digitalen Journalismus in Deutschland: Eine Bestandsaufnahme und Typologie der Angebote am Markt“.
Das Reuters Institute for the Study of Journalism untersuchte mit seiner Studie „Pay Models for Online News in the US and Europe“ unter anderem die Preisstruktur von Online-Medien in sechs verschiedenen Ländern. Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger listet auf seiner Webseite alle deutschen Zeitungen mit Bezahlangebot auf, bilanziert die wirtschaftliche Lage der Zeitungen und erläutert in seinen Studien „Trends der Zeitungsbranche“ aktuelle Trends in den Online-Redaktionen. Wirtschaftsmagazine und Fachzeitschriften wie Meedia, der Online-Mediendienst Kress, DWDL, oder Horizont.net stellen Interviews mit Fachleuten zum Thema Gewinnung digitaler Abonnenten zur Verfügung.
Darüber hinaus gibt es einige Beiträge in Publikumsmedien wie dem Tagesspiegel, dem Handelsblatt, der FAZ, Süddeutsche (SZ), der Deutschlandfunk oder der Deutschen Welle. In der Fachliteratur gibt es ältere Publikationen zum Thema Finanzierung des Online-Journalismus mit verschiedenen Ansätzen. In dieser Arbeit behandelt werden dabei unter anderem der Fachbeitrag „Paid Content Modelle in der Übersicht“ von Holger Kansky, „Medienkonvergenz: Auswirkungen auf die traditionellen Geschäftsmodellen von Verlagen“ von Thomas Breyer-Mayländer aus seinem Sammelband „Vom Zeitungsverlag zum Medienhaus“, Thomas Böxler mit seinem Buch „Paid Content im Web 2.0: Strategien und Erfolgsfaktoren für Printverlage“, Sven Klötzer mit „Paid Content: Welche Perspektiven besitzen gebührenpflichtige Inhalte und Dienste in den Bereichen Internet & UMTS?“ sowie Katharina Nickel mit „Neue Geschäftsmodelle im Online-Journalismus: Krautreporter-Erfolgsfaktoren und ihre Übertragbarkeit auf etablierte deutsche Medien“.
Darüber hinaus existieren statistische Quellen: Der Branchendienst pv digest bilanziert die Umsätze deutscher Zeitungen mit Paid Content, der Zentralverband der Werbewirtschaft (ZAW) die Werbe-Einnahmen. Die Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern (IVW) listet die Anzahl verkaufter Auflagen auf, darunter auch die digitale E-Paper-Auflage. Die Zeitungsmarktforschung Gesellschaft (ZMG) untersucht die Reichweite der digitalen Medien während der Corona-Pandemie.
1.2 Wissenschaftliche Methode und Aufbau der Arbeit
Zur Beantwortung der Forschungsfrage werden qualitative Tiefeninterviews geführt. Als Experten dienen Wissenschaftler, die auf die Themen Paid Content, Online-Journalismus, digitale Transformation von Medien, Plattformen und Pricing spezialisiert sind. Dazu werden Sebastian Voigt von der Axel-Springer-Consulting-Gruppe hy, Christian Hoffmeister vom DCI Institute, Professor Thomas Breyer-Mayländer von der Hochschule Offenburg, Jan Voller von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG, Holger Kansky vom BDZV und Jonas Weber von der Technischen Universität Ilmenau befragt.
Im Anschluss an die Einleitung folgt im zweiten Kapitel der theoretische Teil, in dem ich alle für das Thema relevanten Theorien und Erkenntnisse erläutere. Die Erkenntnisse daraus münden in die Studie im dritten Kapitel. Zunächst begründe ich dort die Methodenwahl und die Auswahl der Experten. Anschließend folgen die Interviews. Darauffolgend werden die Ergebnisse ausgewertet und interpretiert. Das vierte Kapitel enthält eine Zusammenfassung und einen Ausblick unter Berücksichtigung der eingangs formulierten Forschungsfrage. Die Arbeit wird durch ein Literaturverzeichnis abgeschlossen. Im Anhang befinden sich die zur empirischen Untersuchung erforderlichen Dokumente.
2 Bezahlinhalte bei Online-Medien
2.1 Anfänge der digitalen Transformation in Verlagen
Das über Jahre etablierte Geschäftsmodell der Printzeitungen, Erlöse aus den eigenen redaktionellen Inhalten und dem Anzeigengeschäft zu generieren, geriet mit der voranschreitenden Digitalisierung und dem Internet in Gefahr. Immer mehr junge Leute präferieren einen digitalen Zugang zu ihren Informationen (vgl. Böxler 2012, S.12). Ebenso litt das Webegeschäft stark wegen der zurückgehenden (vgl. Breyer-Mayländer 2010, S. 166ff). Traditionelle Werbeträger, die den Verlagen über Jahre treu blieben, wie Kfz -oder Immobilienanzeigen formierten sich zunehmend im Netz und reduzierten ihre Werbeausgaben bei den Verlagen (vgl. Keller et al. 2020, S.11ff). Einige Verlage versuchten durch Preiserhöhungen ihrer Zeitungen die entstandenen Rückgänge auf dem Werbemarkt kompensieren zu können, die Strategie war jedoch langfristig gesehen nicht erfolgreich (vgl. Breyer-Mayländer 2015, S. 10). Erschwerend hinzu kommen die seit Jahren kontinuierlich sinkenden Auflagen bei vielen Zeitungen (vgl. Keller et al. 2020, S.8).
1997 ging das amerikanische Wirtschaftsblatt Wall Street Journal als eines der ersten großen Blätter erstmals mit einer Bezahlschranke ins Internet. Der Umstieg der Zeitungen auf das Internet und die damit einhergehende Finanzierung des Online-Angebotes wurde begleitet von Schwierigkeiten: Paid Content ließ sich kaum profitabel umsetzen, denn zu gering war die Zahlungsbereitschaft unter den Lesern durch das hohe Angebot an kostenfreiem Content, unter anderem auch von externen Anbietern (vgl. Böxler 2012, S.14). Kritiker bemängeln, dass der öffentliche Diskurs durch die Bezahlschranke geschmälert werde (vgl. Pickard/Williams 2014, S. 195ff.). „Das Internet und speziell das World Wide Web zeichnete sich von Beginn an als ein freies und offenes Medium aus“ (Stahl 2005, S.1).
Dazu würden Interaktivität der Nutzer im Internet, Austausch in Diskussionsforen oder das Teilen von Beiträgen zählen (vgl. ebd., S.1ff). Arrese fürchtet, dass die soziale Schere weiter auseinander gehen werde zwischen einer gut informierten Minderheit und einer unzureichend aufgeklärten Mehrheit (vgl. Promies 2020). Es gibt allerdings noch heute Zeitungen, wie die taz hierzulande, die davon überzeugt ist, dass Journalismus kostenlos zu haben sein müsse (vgl. Matusko 2018). Ein weiteres Problem für die Zeitungen stellte die Zweitverwertung dar: Viele der Printzeitungen hievten ihren Inhalt 1:1 ins Netz und der Nutzer bekam online somit nur das zu sehen, was ohnehin schon in der gedruckten Ausgabe stand (vgl. Klötzer 2004, S.9). Dieser Ansatz brachte den Medien keinen Zuwachs, denn eine Bedingung für erfolgreichen digitalen Journalismus wurde mit der reinen Zweitverwertung nicht erfüllt: Aktualität und Mehrwert: „Der Leser will nicht nur aktuelle Nachrichten. Er muss einen Mehrwert geboten bekommen, um ihn als Kunde zu behalten“ (Klötzer, ebd.).
Der Aufwand für eine Online-Zeitung mit Paid Content ist groß, denn die Erwartungen der Nutzer sind auch durch die vielfältigen Möglichkeiten im Internet sehr hoch, wie es Kommunikationswissenschaftler Michael Brüggemann zusammenfasst: „Das Internet verbindet jeweils das Beste aller anderen Medien“ (Brüggemann 2002, S.23). Exklusive Inhalte, Multimedialität und Möglichkeiten zur Interaktivität waren gefordert (vgl. Klötzer 2004, S.12f). Und die Verlage begannen, die Vorteile des Internets zu nutzen: Online-Medien entwickelten sich mehr und mehr zu einem eigenständigen Medium und waren nicht mehr bloß der zweite Vertriebskanal des Druckprodukts (vgl. ebd., S. 10). Die Medienhäuser verfolgten das Ziel, „Traffic“, also hohe Zugriffszahlen auf der Seite zu erhalten. Je höher die Besucherzahlen auf der Webseite, desto mehr konnten Medienhäuser an Werbeerlösen verdienen (vgl. ebd., S.10).
Auf der anderen Seite erhöhte sich der Druck auf die Online-Macher durch die Erstellungskosten der Inhalte, welche sich nicht nur durch Werbeeinahmen decken ließen (vgl. ebd., S. 13). Dabei war genau das der ursprüngliche Plan bei vielen Medien: „Das 1993 beginnende Wachstum des Internets, die Anzahl seiner Nutzer und die Nutzungsintensität des Mediums führte zu der verbreiteten Hoffnung, dass sich Medienunternehmen mit Online-Werbung finanzieren können“ (Stahl 2005, S.1ff.). Doch der Ansatz, die hohen Kosten für die Online-Präsenz, ausschließlich aus den Erlösen von Anzeigen zu finanzieren, schlug fehl (vgl. Böxler 2012, S.13). In der Folge reduzierten Medien den Umfang des digitalen Angebots aufgrund der höheren Ausgaben zur Bereitstellung des Contents (vgl. Stahl 2005, S.2).
Der Gedanke, mit Inhalten im Internet Geld zu verdienen, war den Zeitungen damals schon gemein. So versuchten einige Zeitungshäuser, ihre Archive vermarkten zu können (vgl. Kansky 2015, S.83). „Zwar gingen Verlage davon aus, dass die potenziellen Erlöse über neue Abonnenten größer sind als die Erlöse über eine hohe Reichweite, die meisten Zeitungen kehrten jedoch zum Gratis-Journalismus zurück, sobald der Online-Werbemarkt nach Schwächephasen wieder Fahrt aufnahm“ (ebd., S.83). Deutsche Medien boten ihre Inhalte also weiterhin überwiegend kostenlos an, um hohe Reichweiten zu erzielen (vgl. Böxler 2012, S.13). In der Einführung einer Paywall sahen viele Medien das Risiko, dass diese Reichweiten drastisch reduziert würden, wie Medienexperte Alexander Henschel von der Unternehmensberatung goetzpartners die zögerliche Einführung von Bezahlschranken erklärt (vgl. Amerland 2014).
Das werbefinanzierte und auf Reichweiten ausgelegte Geschäftsmodell belaste allerdings die Kommerzialisierbarkeit der Zeitungsverlage, wie Breyer-Mayländer erklärt (vgl. Breyer-Mayländer 2015, S. 11). Werner Ballhaus, Leiter des Bereichs Technologie und Medien bei PwC, formuliert es etwas drastischer: „Der Aufstieg der Online-Medien hat eine Unkultur des kostenfreien Medienkonsums mit sich gebracht. Darunter leiden die Zeitungs-und Magazinverlage bis heute“ (vgl. PwC 2019a). Kansky begründet den Vorgang der Wiedereinführung von Bezahlmodellen bei den deutschen Verlagen mit einer veränderten Bezahlkultur im Netz: „Für den Nutzer ist es selbstverständlich geworden, im Web für Games, Musik oder Apps zu bezahlen“ (Kansky 2015, S. 83).
2.2 Neue Erlösmodelle: erste Paywalls in Deutschland
Seit dem Jahr 2000 führten Medien weltweit Erlösmodelle ein, die eine Kombination aus bezahlten Inhalten, also dem Paid Content, und der klassischen Werbung vorsahen (vgl. Stahl 2005, S.2). Der amerikanische Medienmarkt postierte sich als Vorreiter und konnte bis 2014 schon über die Hälfte aller Zeitungen mit einem Bezahlangebot vermelden, doch Europa konnte nachziehen (vgl. Jäger et al. 2018). In Deutschland dauerte es, bis sich Paywalls und auch E-Paper auf breiter Basis etablieren konnten (vgl. Amerland 2014). Ende 2012 kamen mit Welt und Anfang 2013 Bild vom Springer Verlag die ersten überregionalen Zeitungen, die sich für die Einführung einer Paywall entschieden haben (vgl. Rentz 2012).
Andere große Zeitungen wie Zeit oder die Frankfurter Allgemeine (FAZ) zogen nach. Der Wandel hin zu Bezahlmodellen markierte den Wechsel vom Reichweiten- zum Qualitätsjournalismus: „Es wird das Verständnis gefördert, dass journalistische Inhalte einen Wert haben dürfen“ (Kansky 2015, S.83). Die Zahl an Bezahlangeboten ist in Deutschland seit Jahren kontinuierlich gestiegen: „Seit 2012 stellen wir einen kontinuierlichen Anstieg bei den Bezahlangeboten fest, in Deutschland haben rund 254 Zeitungen ein Bezahlangebot eingeführt“, sagt Kansky (vgl. Promies 2020). Die Verlage setzen dabei auf die klassischen Paywall-Varianten, die im Folgenden definiert werden.
Freemium/Soft Paywall
Der Verlag wählt aus, welche Inhalte kostenpflichtig werden und welche weiterhin kostenlos zugänglich sind. Kostenpflichtige Artikel werden meist mit einem „Plus“ versehen und sind zumeist aufwändigere Beiträge wie Reportagen, Hintergrundberichte oder Interviews (vgl. Nickel 2016, S.37). Die meisten der deutschen Online-Medien setzen auf das Freemium-Model (vgl. Schwegler 2019). Darunter befinden sich unter anderem die Welt mit Welt Plus bzw. Bild mit Bild Plus oder die FAZ (vgl. Jäger et al. 2018; Manhart 2019, Teil 2). Ein Freemium-Modell bietet Zeitungen den Vorteil, dass Leser durch die Paywall nicht gleich abgeschreckt werden, da ihnen ein kostenloser Teil weiterhin zugänglich bleibt.
Alexander Voigt von der Axel Springer Consulting Gruppe „hy“ bezeichnet das Freemium-Modell wie folgt: „Das Charmante am Freemium-Modell ist die Tatsache, dass es sich nicht auf die Reichweite und Werbeerlöse auswirkt und eine Kommunikation Richtung Leser bezüglich der zusätzlichen Wertigkeit von Bezahlartikeln ermöglicht“ (Voigt 2020).
Metered Modell
Das Metered Modell ist ein Bezahlmodell, bei dem der Leser über ein Kontingent an Gratis-Artikeln verfügt, dass er innerhalb eines bestimmten Zeitraums lesen kann. Überschreitet er die Anzahl der kostenfreien Artikel oder das angegebene Zeitfenster, muss er sich entweder registrieren, um weitere Inhalte kostenfrei abrufen zu können, oder aber die Paywall bittet ihn direkt zur Kasse (vgl. Schwegler 2019). Das Metered Modell bietet ähnlich wie Freemium eine größere Flexibilität sowohl den Nutzer als auch für die Redaktion: Sie kann variabel ausgeweitet oder eingegrenzt werden (vgl. Manhart 2019, Teil 2).
In Deutschland setzt unter anderem die SZ auf das Metered Modell (vgl. Nickel 2016, S.37). Metered Modelle laufen allerdings Gefahr, dass ihre Leser, nach Ausnutzung ihrer freien Inhalte zu anderen Anbietern abwandern (vgl. Manhart 2019, Teil 2) oder die Paywall einfach umgehen können (vgl. Nickel 2016, S.38). Voigt bemängelt zusätzlich fehlende Kommunikation bezüglich der Wertigkeit anders als bei Freemium, da es schwierig sei zu argumentieren, weshalb beispielsweise der zehnte Artikel auf einmal kostenpflichtig sei (vgl. Voigt 2020).
Harte Paywall
Die harte Paywall versieht jeden Artikel mit einem Preisschild. Die Einführung einer harten Bezahlschranke birgt einerseits das Risiko, viele Leser zu verlieren, andererseits führt sie zu Einbrüchen auf dem Werbemarkt (vgl. ebd.). Meist sinkt die Attraktivität gegenüber Anzeigekunden (vgl. Jäger et al. 2018; Manhart 2019, Teil 2). Das Modell kann unter Umständen aber aufgehen: Für die erfolgreiche Umsetzung mit der harten Paywall braucht es ein treues Zielpublikum (vgl. Voigt 2020).
Hybrides Modell
Das Hybrid-Modell setzt sich aus den drei genannten Paywall-Varianten zusammen und hat das Ziel, deren Vorteile zu kombinieren. Einem Leser kann bei den Online-Inhalten sowohl auf kostenfreie Artikel zugreifen als auch für eine bestimmte Zeit oder eine festgelegte Anzahl auf die kostenpflichtigen Berichte (vgl. Manhart 2019, Teil 2). In diesem Fall wäre es eine Verzahnung des Freemium- und des Metered-Modells. Die Zeit hat sich für das hybride Modell entschieden und fährt mit dieser Strategie sehr erfolgreich (vgl. Schwegler 2018). Inzwischen sind neuere Modelle wie die dynamische Paywall bei der Neu Zürcher Zeitung (NZZ) oder beim Wall Street Journal (WSJ) und die Timewall vor allem im skandinavischen Raum und der Mediengruppe Madsack hinzugekommen (vgl. Jäger et al. 2018; Schwegler 2019).
Bei der Auswahl des Bezahlmodells fließen mehrere Faktoren ein: „Eine pauschale Antwort, welches der Modelle am erfolgreichsten ist, kann nicht gegeben werden. Die Entscheidung hängt von den zu erreichenden Zielen, den vorhandenen Inhalten sowie der Wettbewerbssituation der einzelnen Verlage ab“ (Kansky 2015). Zudem muss die Zielgruppe mit einbezogen werden, da Leserschaften heterogen seien (vgl. Voigt 2020). Yannick Dillinger, Digitalchef der Augsburger Allgemeinen Zeitung erklärt, es gebe keine Schablone, die auf jedes Medium übertragbar sei, jedes Medium müsse viel probieren und testen (vgl. Sterz 2019). Der Umstieg auf ein Bezahlmodell erfordere zudem die nötige Zeit und Geduld, die man aufbringen müsse, um den Konsolidierungs-Prozess von Bezahlsystemen reifen zu lassen, wie Arrese fordert (vgl. Promies 2020), auch deswegen, da die Erlöse mit Paid Content zu Beginn überschaubar seien (vgl. Kansky 2015, S.83). Die Verlage verfolgen dabei zwei Vorgehensweisen: Zum einen das offensiv ausgelegte Modell, das bestehende Geschäftsmodell von der gedruckten Zeitung ins Internet zu übertragen und damit hohe Erlöse zu erzielen, sowie das defensivere Modell, durch Paid Content die Printauflage stützen zu können (vgl. ebd., S.83).
Die technischen Grundlagen haben Verlagen dafür in der Vergangenheit geschaffen: Artikel-Scores und weitere Analyse-Tools des Leser-Nutzungsverhaltens auf den Webseiten sind in den meisten Redaktionen fester Bestandteil, wie Kansky erklärt: „Diese Erfolgskennzahlen beeinflussen immer mehr die redaktionelle Arbeit, in denen Bezahlangebote im Einsatz sind“ (vgl. Manhart 2019, Teil 5). Wie die folgende Studie des BDZV identifiziert, wollen Verlage zukünftig ihre Investitionen in Technik weiter erhöhen.
2.3 Verlage heute: Trends und Herausforderungen in den Redaktionen
Dis Umfragen „Trends der Zeitungsbranche“ aus den Jahren 2020 und 2021 vom BDZV umfassen die Antworten und Einschätzungen von Geschäftsführern und Chefredakteuren deutscher Tageszeitungen sowie von unabhängigen Digital-Publishern. Die Umfrage identifizieren dabei die folgenden Trends in den Medienhäusern.
Abbildung 1: Verlage erwarten, mit ihren Digitalerlösen die Print-Rückgänge kompensieren zu können
Quelle: BDZV/Schickler 2021, S. 18
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Digital first: Die Zeitungsverlage wollen ihre Vertriebsstrategie, redaktionelle Abläufe und Workflows künftig zunehmend digital ausrichten: Während heute noch die Mehrheit der Verlage noch nicht primär digital ausgerichtet ist, planen es in drei Jahren über 80 Prozent (vgl. BDZV/Schickler 2021, S.13ff.). Dabei planen die Zeitungen, die stagnierenden Print-Erlöse in den nächsten Jahren mit ihren Digitalerlösen kompensieren zu können (vgl. Abbildung 1), auf lange Sicht sogar die gesamten redaktionellen Kosten (vgl. BDZV/Schickler 2021, S.17).
Die Erlöse aus der Online-Werbung sowie durch E-Paper und Paid Content sind in den letzten Jahren gestiegen, während die Abonnements und besonders der Werbemarkt im Print-Bereich rückläufig sind (vgl. BDZV/Schickler 2020, S.2). Die Covid-19-Pandemie traf das Anzeigengeschäft sogar schwer: Demzufolge sind die Werbeerlöse im Printbereich 2020 durchschnittlich um 21 Prozent gegenüber dem Vorjahr gesunken (vgl. BDZV/Schickler 2021, S.2). Den sinkenden Anzeigenerlösen stehen zusätzlich steigende Kosten für Herstellung und Vertrieb gegenüber (vgl. Kornfeld 2020; Keller et al. 2020 S.15ff.). BDZV-Geschäftsführer Dietmar Wolff appelliert aus diesem Grund an eine staatliche Förderung: „Wenn die Politik diese gefährdete Infrastruktur nicht fördert, werden weite Teile der Bevölkerung von der Versorgung mit relevanten Informationen abgeschnitten“ (vgl. Sagatz 2020b). Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung denken Verlage darüber nach, das Printprodukt nur noch an bestimmten Tagen erscheinen zu lassen, bei den kleinen Verlagen sind mit 44 Prozent fast die Hälfte zu einer Reduzierung der gedruckten Ausgabe bereit (vgl. BDZV/Schickler 2020, S.9).
Dies werde immer realistischer, wie Medienjournalist Steffen Grimberg erklärt: „Wenn es selbstverständlicher geworden ist, seine Nachrichten auf dem Tablet zu konsumieren, dann werden wir sehen, dass die gedruckte Tageszeitung zumindest unter der Woche endlich ist“ (vgl. Deutsche Welle 2020b). Nur noch wenige Medienhäuser sehen das Rubrikengeschäft in Print als relevantes Standbein für die Zukunft, fast alle der Befragten glauben zudem nicht mehr, dass das Anzeigengeschäft in Print vollständig zurückkommt (vgl. BDZV/ Schickler 2021, S.2 ff). Maßnahmen für die digitale Transformation sind hingegen im vollen Gange. Die Corona-Krise hat diesen Kurs zusätzlich beschleunigt, wie Wolff erklärt: „Ohne Zweifel wirkt die Corona-Krise auch in der Zeitungsbranche wie ein Beschleuniger für die weitere Digitalisierung von Prozessen und Geschäftsmodellen“ (vgl. Sagatz 2020b).
Abbildung 2: Struktureller Wandel in Redaktionen
Quelle: BDZV/Schickler 2020, S.10
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Der Fokus auf Digital-first beeinflusst die redaktionellen Strukturen: Demnach planen Chefredakteure den verstärkten Aufbau Crossfunktionaler- und Rechercheteams sowie die Einführung des Reporter-Editor-Prinzips, also der Arbeitsteilung zwischen Layoutern und Reportern (vgl. Abbildung 2). Die Reorganisation in den Redaktionen zeigt, dass sich Verlage auf dem Weg zur digitalen Transformation breiter aufstellen wollen. Der kulturelle Wandel in den Verlagen soll bis 2023 weitere Aspekte beinhalten: Test und- Fehlerverfahren, abteilungsübergreifendes Denken sowie datenbasierte Workflows (vgl. BDZV/Schickler 2020, S. 11)
Paid Content: Es entwickelt sich eine Abkehr von kostenfreien zu bezahlpflichtigen Inhalten. Dies ist ablesbar daran, dass die meisten Verlage Paid Content als besonders relevant einschätzen, einige davon sogar als existenziell relevant (vgl. ebd., S.15). Die Verlage können steigende Abo-Zahlen und Vertriebserlöse mit ihren Paid Content Strategien vermelden, wie die Umfrage zeigt (vgl. BDZV/Schickler 2020, S.2 und 2021, S.10). Die Vertriebserlöse im Printbereich werden für 2021 als weitestgehend stabil eingeschätzt (vgl. BDZV/Schickler 2021, S.6). Daran hat das E-Paper einen nicht unerheblichen Anteil, da es mittlerweile in die verkaufte Auflage mit einberechnet wird (vgl. Keller et al. 2020, S.9; Bartl 2021). Die Medienhäuser verfolgen zunehmend das Ziel, ihre Strategien zur Leserbindung auf digitale Kanäle umzustellen: Bei den großen Verlagen sind bereits 78 Prozent der Befragten auf digitale Nutzergewinnung ausgerichtet, die kleineren Verlage sind aktuell noch mehrheitlich auf Print-Abos ausgerichtet, möchten das in den nächsten drei Jahren aber ändern (vgl. BDZV/Schickler 2021, S.13).
Abbildung 3: Paid Content-Modelle in Deutschland 2020
Quelle: BDZV/Schickler 2021, S.11
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Bezahlmodelle auf den Webseiten nehmen weiter zu: Die mit Abstand meisten Zeitungen greifen dabei auf das Freemium-Modell zurück (vgl. Abbildung 3). Freemium ist gefolgt von der harten Paywall, die 2021 im Vergleich zu 2020 zugelegt hat (vgl. BDZV/Schickler 2020, S.16 und 2021, S.11). Das hybride und insbesondere das Metered-Modell ist hingegen stark zurückgegangen, den geringsten Anteil macht weiterhin das Spendenmodell aus, wie aus Abbildung 3 hervorgeht.
Kostenpflichtige Artikel sind heute bei den meisten Verlagen gängige Praxis: Während mit 66 Prozent heute schon gut Zweidrittel der deutschen Tageszeitungen mit einem Paid Content-Modell unterwegs sind, werden bis 2023 97 Prozent erwartet (vgl. BDZV/Schickler 2020, S.17). Auffällig dabei ist, dass nur gut ein Drittel der Zeitungen (32 Prozent) einen vereinfachten Bestellprozess anbieten (vgl. ebd., S.17).
Die Zahl kostenpflichtiger Artikel auf den Webseiten steigt weiter an: Während heute durchschnittlich 46 Prozent kostenpflichtige Plus-Artikel auf der Webseite platziert sind, planen die Betreiber in drei Jahren einen Anteil von 57 Prozent, also dann mehr als die Hälfte aller Artikel (vgl. BDZV/Schickler 2021, S.11). Formate wie Newsletter und Podcasts haben in den Redaktionen an Bedeutung gewonnen. Dadurch erhoffen sich die Verantwortlichen vor allen Dingen die Erschließung neuer Zielgruppen (vgl. BDZV/Schickler 2020, S.26). Fast alle Online-Medien planen, die Wertigkeit des eigenen Angebots durch neue Formate zu erhöhen (vgl. BDZV/Schickler 2021, S. 12).
Preislich wollen sich fast die Hälfte der Befragten an den Streaming-Anbietern Netflix und Spotify orientieren, die zwischen fünf und fünfzehn Euro für ihre digitalen Inhalte verlangen, die mit Abstand wenigsten Zeitungen streben den ursprünglichen Preis ihrer Printausgabe für das digitale Web-Angebot an (vgl. BDZV/Schickler 2021, S. 14). Einem Spotify für News-Modell Aktuell stehen die meisten Verlage aktuell allerdings skeptisch gegenüber (vgl. ebd., S.29). Zu den größten Herausforderungen zählt die Nutzerbindung bestehend aus Conversion (Abo-Abschlüsse zu generieren) und Retention (Abonnenten langfristig zu binden) (vgl. BDZV/Schickler 2020, S.19).
Innerhalb der Redaktionen werden daher Erfolgsfaktoren für Bezahlartikel erarbeitet (vgl. BDZV/Schickler 2021, S. 16). Dazu zählen relevante Inhalte, vereinfachte Bestellprozesse sowie die Nutzung technischer Hilfestellungen wie Content-Scores und Dashboards, um nah am Kunden zu sein und seine Interessen und Gewohnheiten zu verstehen (vgl. BDZV/Schickler 2020, S.20 und 2021, S.16). Auch Technologie spielt in den Redaktionen eine immer größere Rolle: Die Ausgaben in diesem Bereich werden weiter steigen (vgl. BDZV/Schickler 2021, S. 23), da die Arbeit mit Daten und Algorithmen für die Verlage relevant ist und als großer Erfolgsbaustein für die Erhöhung der Conversion-Rate – der Gewinnung neuer Abonnenten– angesehen wird (vgl. ebd., S.24).
2.4 Online-Medien in der Corona-Krise
Abbildung 3: Digitale Reichweiten der Online-Zeitungen in der Corona-Krise (Unique User ab 16 Jahren)
Quelle: Zeitungsmarkt Gesellschaft (ZMG) 2020
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Nutzung von Online-Medien hat sich durch die im Frühjahr 2020 beginnende Corona-Krise verändert (vgl. ZMG 2020a). Die Arbeitsgemeinschaft Online-Forschung (AGOF) der Zeitungsmarktforschung Gesellschaft (ZMG) hat die Online-Reichweiten der Zeitungen untersucht. In den Auswertungen zur Entwicklung der Reichweite digitaler Zeitungen in der Corona-Pandemie stellte die AGOF fest, dass die Nutzungszahlen zum Anfang der Corona-Pandemie deutlich anstiegen (vgl. ebd.) Das digitale Angebot aller deutschen Zeitungen erreichte seinen Höhepunkt im Zeitraum 16.3.20-22.3.20 mit 46 Millionen Unique Usern, was gut 67 Prozent der deutschsprachigen Bevölkerung ab 16 Jahren entspricht (vgl. Abbildung 3). Zum Vergleich: In der letzten Januarwoche, also noch vor der Pandemie, lag die Reichweite noch bei gut 50 Prozent (vgl. ebd.).
Besonders regionale Zeitungen mit lokalen Nachrichten ließen die Zugriffszahlen in die Höhe treiben mit einem Zuwachs von über 50 Prozent (vgl. ZMG 2020a). Die Ergebnisse legen nahe, dass der Journalismus an Bedeutung gewonnen hat, die Menschen suchen in der Krise nach verlässlichen Informationen und Orientierung (vgl. ebd.). Axel Springer-Vorstandsvorsitzender Matthias Döpfner spricht davon, dass die Corona-Pandemie vielleicht der historisch goldene Moment für digitale Nachrichtenangebote sei, denn die Notwendigkeit, einer seriösen Nachrichtenquelle vertrauen zu können sei größer geworden (vgl. Sagatz 2020a).
Das britische Unternehmen Deloitte fand in seiner Studie „Media Consumer Survey 2020“ heraus, dass besonders starke Medienmarken von den hohen Zugriffszahlen profitieren würden: „In der Krise steigt der Medienkonsum. Zum Teil sogar deutlich, aber längst nicht in allen Mediengattungen. Besonders profitieren starke Medienmarken, denen man zutraut, das aktuelle Geschehen kompetent einzuordnen. Dazu zählen Verlage“, erklärt Klaus Böhm, Leiter Media und Entertainment bei Deloitte, der die Studie mit herausgegeben hat (vgl. Deloitte 2020a).
Diese Annahme spiegelt sich in den jüngsten Ergebnissen des Branchendienstes pv digest wider: Demnach konnten die Medienhäuser ihre Umsätze mit E-Paper- und Paywall-Angeboten im Jahr 2020 um 33 Prozent auf über 700 Millionen Euro steigern (vgl. pv digest 2020). „Dieser Zuwachs beruht vor allem auf Mengensteigerungen. 2020 haben einige Titel, die vorher noch gratis Webseiten betrieben hatten, eine Paywall eingerichtet und der Absatz für E-Paper-Abos und E-Paper als Zusatz zum Printprodukt ist gestiegen, erklärt der Herausgeber von pv digest, Markus Schöberl (vgl. Bartl 2021). Fast die Hälfte des Gesamtumsatzes erzielen regionale Tageszeitungen. Deren stärkste Säule ist das E-Paper ist, als das Paywall-Abo (vgl. pv digest 2020; Keller et al. 2020, S.9). Bei den überregionalen Tageszeitungen machen Abos über Paywalls immerhin bereits ein Drittel der Gesamterlöse aus (vgl. pv digest 2020). Wie die ZMG in ihrer E-Paper-Studie von 2020 herausfand, ist das Paket E-Paper plus Print bei den Nutzern hoch angesehen (vgl. ZMG 2020b, S.3). Thematisch besonders nachgefragt: Der Lokaljournalismus (vgl. ebd., S.5f.).
Döpfner spricht von einem Ende der Ära „Advertising Only“ und erklärt, dass die durch Corona entstandenen Anzeigeverluste die Verlage massiv unter Druck gesetzt haben (vgl. Sagatz 2020a). Das hohe Leserinteresse auf der einen, steht einem weiter schrumpfenden Werbemarkt auf der anderen Seite gegenüber. Derzeit spricht der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) von einer zunehmend negativen Entwicklung der Werbeeinahmen bei den Verlagen, die durch die Pandemie verstärkt wurde: Demnach sind die Werbeeinahmen im Printsektor 2020 um 13,6 Prozent gegenüber 2019 gesunken. Besonders betroffen sind überregionale Tageszeitungen, deren Einnahmen um fast 18 Prozent sanken (vgl. ZAW 2020a).
Abbildung 4: Anteil Netto-Werbeeinahmen deutscher Werbeträger am Gesamtumsatz 2020 in Prozent
Quelle: ZAW 2020
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Der Print-Bereich macht nur noch 30 Prozent am Gesamtumsatz der Netto-Werbeeinahmen aus (vgl. Abbildung 4). Die digitalen Werbeerlöse bei den Zeitungen legen zwar weiter zu (vgl. ZAW 2020a), würden aber noch nicht an die Erlöse aus analogen Werbeeinahmen herankommen, wie Medienexperte Markus Kreher von der Unternehmensberatung KPMG erklärt (vgl. Bialek 2020). Der Werbemarkt verlagert sich schon länger zunehmend ins Digitale, wie der ZAW in seiner jüngsten Auswertung feststellte: Demnach entfallen 41 Prozent der Werbe-Gesamteinnahmen in Deutschland 2020 auf Internetträger. Die Pandemie hat dem digitalen Werbe-Geschäft keinen Schaden zugefügt wie Bernd Nauen, dem Geschäftsführer vom ZAW, bestätigt: „Die digitalen Werbeträger werden weniger von der Krise belastet sein und in einem gesamtrückläufigen Markt zulegen können“ (vgl. ebd.).
Bis auf die Internetträger haben alle anderen Bereiche ein Minus gegenüber dem Vorjahr zu verzeichnen (vgl. ZAW 2020a). Deutlich dominiert wird der digitale Werbemarkt allerdings weiterhin von den riesigen Plattformen Google, Facebook und Amazon, die nach Angaben des ZAW 80 Prozent des Gesamtumsatzes mit Online-Anzeigen in den USA ausmachen, Tendenz steigend (vgl. ZAW 2020b). Die Vormachtstellung der drei Großkonzerne auf dem Werbemarkt ruft allerdings auch Unverständnis hervor: Australiens Finanzminister Josh Frydenberg stellte die Forderung, die US-Unternehmen müssten Medieninhalte an die australischen Zeitungen vergüten (vgl. Deutsche Welle 2020a).
2.5 Zahlungsbereitschaft für digitaljournalistische Inhalte
Da die Zahlungsbereitschaft für digitaljournalistische Inhalte trotz steigender Tendenz noch zu gering sei, so argumentiert der ZAW, sei die Mitfinanzierung des Angebots durch Werbung unabdingbar (vgl. ZAW 2020b). Die seit Jahren stagnierenden Umsätze vieler Zeitungen (vgl. Keller et al. 2020) und die hinzukommenden Rezessionen der Corona-Krise veranlassen die Verlage zum Sparen, etwa durch Kurzarbeit-Maßnahmen, Produktionsverlagerungen bis hin zu Freiwilligenprogrammen beim Stellenabbau (vgl. Bialek 2020 und Bartl 2020). Die Zahlungsbereitschaft würde durch die Krise geschmälert, fürchtet Kreher: „Das Einkommen, das die Menschen für Medien auszugeben bereit sind, sei begrenzt und werde Corona-bedingt eher sinken als steigen“ (vgl. Bialek 2020). BDZV-Geschäftsführer Dietmar Wolff spricht von einer Übergangslücke von mindestens fünf Jahren, die es zu überstehen gelte, bis Paid Content anfange zu greifen (vgl. ebd.).
Viele Ergebnisse derzeitiger Umfragen geben an, dass die Bereitschaft, für digitale Inhalte im Netz zu bezahlen gerade bei jüngeren und mittleren Altersgruppen wächst: PwC hat die Zahlungsbereitschaft für Online-Journalismus im Jahr 2019 untersucht. Demnach haben rund 20 Prozent der Befragten schon einmal Geld für digitalen Journalismus ausgegeben (vgl. Abbildung 5). Besonders das junge Publikum der 18- bis 29-jährigen steht den digitalen Bezahlangeboten der Umfrage zu Folge offen gegenüber: Rund 40 Prozent aus diesem Alterssegment haben schon einmal für Online-Journalismus Geld ausgegeben (vgl. ebd.)
Abbildung 5: Zahlungsbereitschaft für Online-Medien nach Altersgruppen
Quelle: PwC 2019b, S. 9
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PwC-Leiter für Medien Werner Ballhaus begründet dieses Ergebnis wie folgt: „Diese Zielgruppe ist mit der Erkenntnis aufgewachsen, dass hochwertiger Journalismus nicht kostenlos zu haben ist“ (vgl. PwC 2019a). Weiterhin ergab die Studie, dass weitere Nutzer bereit wären zu zahlen unter den Bedingungen, dass persönliche Daten geschützt werden, Werbung nicht eingeblendet werde und exklusive Inhalte kämen (vgl. PwC 2019b, S.10). Hingegen wäre fast die Hälfte der Befragten bereit, persönliche Daten preiszugeben, um personalisierte Werbung zu erhalten und Inhalte weiter kostenlos lesen zu können (vgl. ebd., S.13).
Etwas andere Befunde wie hat das DCI Institute in Zusammenarbeit mit der Hochschule Fresenius in der Studie „Paid Content in Deutschland“ aus dem Jahr 2018 herausgefunden. Die Studie stellt eine gesunkene Käuferzahl, insbesondere im älteren Alterssegment, zum Vorjahr fest. Den Rückgang der Käufer begründen die Macher in dem gesunkenen Interesse an Paid Content bei älteren Leuten sowie bei der noch nicht stark ausgeprägten Zahlungsbereitschaft bei neuen Internetnutzern (vgl. DCI Institute/Hochschule Fresenius 2018, S.2).
Gleichzeitig identifiziert die Studie eine deutlich gestiegener Ausgabenbereitschaft, insbesondere bei jüngeren Leuten (vgl. ebd., S.2). Junge Leute und mittlere Altersgruppen haben dabei eine besondere Affinität zu Streaming-Anbietern für Musik, Filmen oder Spielen (vgl. ebd., S. 8ff.). Die Plattformen Spotify und Netflix werden bei jungen Leuten am meisten genutzt, das Interesse an Nachrichten ist allerdings noch sehr gering (vgl. ebd., S.13).
Ballhaus hingegen sieht in der Nutzung der so genannten Subscription-Anbieter einen Vorteil für die Verlage: „Die Generation Smartphone ist es gewöhnt, für nicht physische Produkte zu bezahlen. Wer ein Streaming-Abo hat, findet es womöglich ganz normal, sich auch ein digitales Magazin-Abo zu leisten“, kommentiert er die Entwicklung (vgl. PwC 2019a). Das Interesse an Nachrichten ist im Vergleich zum Streaming-Angebot zwar noch nicht stark ausgeprägt, ist prozentual dafür aber am meisten gestiegen (vgl. DCI Institute/Hochschule Fresenius 2018, S.8). Anders als PwC attestieren das DCI Institute und die Hochschule Fresenius auch den älteren Leuten ein hohes Interesse an kostenpflichtigen Nachrichten und Fachinformationen (vgl. ebd., S. 11).
Wie das Reuters Institute for the Study of Journalism in seiner Studie „Pay Models in the US and Europe“ von 2019 herausfand, liegt der Durchschnittspreis der digitalen Zeitungen in Deutschland bei rund 14,50 Euro und damit knapp drei Euro billiger als 2017 (vgl. Simon/Graves 2019, S.7). Die Preise in Deutschland liegen damit knapp über dem durchschnittlichen internationalen Preis, der knapp über 14 Euro liegt (vgl. ebd., S.4). Die Studie untersuchte dabei die Preisstruktur von über 200 Medien aus sechs europäischen Ländern und den USA. Die Zahlungsbereitschaft bekam durch Corona nochmal einen Schub: Wie Deloitte herausfand, haben kostenpflichtige Nachrichten in der Corona-Krise neben dem linearen Free-TV und Video-on-Demand-Abos einen großen Zuwachs an Rezipienten erhalten (vgl. Deloitte 2020b, S.8ff).
Abbildung 6: Nutzung der Online-Zeitungen in Corona-Zeiten
Quelle: Deloitte 2020b, S.17
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Zwar ist das Interesse an werbefinanzierten News noch deutlich höher, doch auch für Nachrichten hinter der Paywall sind mehr Nutzer bereit, zu zahlen (vgl. Abbildung 6). Besonders die mittlere Altersgruppe der 19-34-Jährigen hat eine hohe Zahlungsbereitschaft gezeigt, wie die Studie ergeben hat (vgl. ebd.). Verlage können demnach mit steigenden Paid-Content-Erlösen rechnen. Böhm ist überzeugt davon, dass mit dem Fokus auf Qualitätsinhalte und Glaubwürdigkeit die gewonnenen Nutzer auch nach der Krise gebunden werden können (vgl. Deloitte 2020a).
Die Studien zeigen, dass die Bereitschaft, für Online-Journalismus Geld auszugeben, zwar gewachsen, doch mehr als die Hälfte der Deutschen ist für diesen Schritt noch nicht bereit (vgl. PwC 2019b S.7; Wellbrock/Buschow 2020, S.14). Die Gründe dafür sind vielschichtig: Wie die PwC-Studie ergibt, sind vor allen Dingen fehlende Relevanz und die Möglichkeit, an die Inhalte auf anderen Seiten kostenlos zu kommen, Hauptursachen (vgl. PwC 2019b, S. 12). Weiterhin sei die Preisstruktur problematisch, wie die Studie „Money for Nothing und Content for free“ von Wellbrock und Buschow ergab: „Das obere Ende der Preisspanne für digitale Abonnements liegt auf der Grundlage unserer Befragungsdaten bei etwa zehn Euro im Monat“ (Wellbrock/Buschow 2020, S. 15).
2.6 Bisherige Erkenntnisse zur Nutzerbindung
Arrese ist überzeugt davon, dass sich durch eine vollständige Transformation des bisherigen unternehmerischen Wertesystems mit dem Fokus auf Engagement durch die Leserschaft eine erfolgreiche Zeitungsmarke aufbauen könne (vgl. Promies 2020).Die New York Times (NYT), die aufgrund ihres rasanten digitalen Wachstums zu den erfolgreichsten Online-Medien weltweit gehört, hat mittlerweile mehr Digital- als Print-Abos (vgl. Stadtlich 2020). Wie hat die NYT das geschafft? Zum einen ist die „Times“ eine der führenden Medienmarken mit hohem Ansehen in den USA, aber auch über die Landesgrenzen hinaus und gehört seit Jahren zu den auflagenstärksten US-Tageszeitungen (vgl. Turvill 2021).
Zum anderen konnte die NYT auf der Inhaltsebene überzeugen und bietet nicht mehr nur rein journalistische Inhalte, sondern weitet ihren Content um Extras wie Kreuzworträtsel oder Kochrezepte, aber auch um multimediale Inhalte aus (vgl. Stadtlich 2020). Audio und Video haben hierbei eine enorme Bedeutung bei der Nutzergewinnung bekommen: Im Juli 2020 gab die Times bekannt, die Produktionsfirma Serial Productions zu kaufen, welche den erfolgreichen Investigativ-Podcast „Serial“ produzierte (vgl. Abraham 2020), zudem produziert das Blatt mit „The Daily“ einen eigenen Podcast. Darüber hinaus entwickelte die NYT das Fernsehprogramm „The Weekly“ mit (vgl. Meyer 2019).
Der aufwändige multimediale Kurs der Times brachte strukturelle Wandlungen mit sich, wie Technology Officer Nick Rockwell erklärt: „Es gibt heute viel mehr Kollegen in der Redaktion die Internetdesign beherrschen, dazu zählen Programmierer und auch Datenjournalisten“ (vgl. ebd.). Das Blatt sehe sich, so Stephen Dunbar-Johnson, Leiter des internationalen Geschäfts, ohnehin mittlerweile als Technologie-Unternehmen: „Wir verstehen uns als Technologie-Unternehmen und investieren hier auch“ (vgl. Stadtlich 2020). Dazu habe man das Personal aufgestockt und die technischen Kapazitäten erweitert. Das technische Wissen, so Rockwell, sei nötig und verändere die Art, wie der Journalismus heute funktioniert. Dennoch bleibe der klassische Journalismus, der möglichst unabhängig vom Werbegeschäft und reißerischen Fotos und Artikeln sein solle, das Herzstück. Damit zielt Rockwell unter anderem auf Clickbaiting ab, also durch gezielte Überschriften möglichst hohe Zugriffszahlen zu erhalten: „Wir versuchen, nicht auf die Klicks zu schauen“ (vgl. Meyer 2019).
Stattdessen versuche man den Nutzer in den Mittelpunkt zu stellen, denn sie würden die Zeitung finanzieren, die nicht eine beliebige Nachrichtenquelle sein solle, sondern mit guten Geschichten und der Reputation Geld verdienen solle, ergänzt Rockwell (vgl. ebd.). Auffällig dabei: Laut Rockwell spielen Zugriffszahlen eine untergeordnete Rolle bei der Themenauswahl. Die Redakteure würden zwar die Zahlen einsehen können, aber sich dadurch bei der Auswahl nicht beeinflussen lassen, auch aus Angst vor Clickbaiting (vgl. ebd.). Gute Geschichten, wie es Rockwell formuliert, sind ein essenzielles Mittel, um Leser zu binden. Rockwells Ansatz teilt auch Sebastian Matthes, Chefredakteur des Handelsblatts (vgl. Schade 2018). Matthes nennt dabei Exklusivität als besonderes Merkmal, dass bezahlte Inhalte erfüllen müssten. „Wir sehen, dass zahlende Nutzer vor allem exklusive Geschichten lesen, die ihnen Einblicke geben, die sie anderswo nicht finden“, (vgl. ebd.)
Das Handelsblatt setzt dabei auf ein stärkeres Metered Modell, gibt nur wenige Artikel frei. In der Handelsblatt-App benötigt man eine Registrierung, um monatlich drei Artikel lesen zu können. Als Nischenzeitung im Wirtschaftssektor hat das Handelsblatt eine feste Zielgruppe. Laut der IVW hat das Handelsblatt im ersten Quartal 2021 über 90.000 E-Paper verkauft und damit sogar mehr als SZ und Bild im selben Zeitraum (vgl. IVW 2021, S.1). Matthes erklärt, dass es wichtig sei, die Interessen und Bedürfnisse der Nutzer zu verstehen: „Ein Bezahlmodell kann nur erfolgreich sein, wenn man begreift, welche Inhalte Leser zu welcher Zeit und in welcher Länge lesen wollen“ (vgl. Schade 2018). Etwas anders praktiziert es die Bild-Zeitung, die deutschlandweit insgesamt die meisten Digital-Abos zählt (vgl. IVW 2021). Bild setzte auf eigene und externe Videoproduktionen (vgl. Lamour 2020). Passend dazu etablierte das Blatt das Format „Bild live“. Zu den begehrten Videoclips gehören unter anderem die Rechte an den Bundesliga-Zusammenfassungen (vgl. Welt 2020). Die Macher von Bild fanden heraus, dass die meisten ihrer Beiträge, die zu einer höheren Conversion führten, Videos enthielten (vgl. Southern 2019).
Weniger zufriedenstellend zeigt sich Matthes mit der Retention-Rate, da Leser zu häufig noch ihr digitales Abo wieder aufkündigen würden (vgl. Schade 2018; Sterz 2019). Als Vorbilder, Abonnenten langfristig an sich zu binden nennt Matthes die Subscription-Plattformen Netflix und Spotify, die es schaffen würden, Teil des Alltags ihrer Kunden zu werden (vgl. Schade 2018). Gewohnheiten zu integrieren, sind im digitalen Nachrichtengeschäft ein großer Faktor, der die Bindung zum Publikum erhöht“ (vgl. Watzlawek 2019). Matthes beschreibt es wie folgt: „Abo-Zahlen allein sind nicht immer die entscheidenden Werte. Es ist ebenso wichtig, dass unsere Nutzer regelmäßig wiederkommen. Wir müssen also ein Angebot machen, dass sie regelmäßig konsumieren, um eine Beziehung aufzubauen“ (vgl. Schade 2018).
Wellbrock und Buschow fanden heraus, dass die Mehrheit der Leser Nutzwertjournalismus honorieren, also für so genannte „Hard News“ bereit seien, Geld auszugeben: „Wenn Zahlungsbereitschaft besteht, dann am ehesten für hard news: Inhalte mit persönlicher Relevanz oder praktischem Mehrwert“ (Wellbrock/Buschow 2020, S. 14). Als Formate seien Reportagen und Nachrichten stärker angesehen als Meinungsstücke oder Interviews, zudem seien die Ressorts Politik, Wirtschaft und Wissenschaft am stärksten nachgefragt. Wellbrock und Buschow sprechen die Empfehlung an Zeitungen aus, sich Ratgeberfunktionen zu entwickeln, um in besonders nachgefragten Nischen wie Alltagsorientierung, Verbraucherthemen oder finanzielle Absicherung mithalten zu können (vgl. ebd., S.14). Es gehe darum, aus der Nische herauszuwachsen: „Wer als Medienproduzent bestehen will, muss in der Nische eine Fangemeinde aufbauen, statt direkt auf die Masse abzuzielen“ (Demling et al. 2020). Auch Kreher ist überzeugt: „Medien müssen sich spezialisieren“ (vgl. Bialek 2020).
Wellbrock und Buschow thematisieren zudem die Transparenz bei Online-Medien: „Die Nutzer wissen noch zu selten, was sie erwartet. Dies ist aber notwendig, damit nicht die Angst wächst, Zeit zu verschwenden oder die Katze im Sack zu kaufen“ (Wellbrock/Buschow 2020, S. 15). Dabei gebe es einen positiven Zusammenhang zwischen den Möglichkeiten zur Qualitätseinschätzung– etwa durch Probeabos oder Teaser– und der Bezahlabsicht für digitalen Journalismus (vgl. ebd., S.15). Wellbrock und Buschow erklären zudem, Verlage müssen ihre Arbeitsweise nach außen hin verständlicher kommunizieren, etwa wie digitaler Journalismus funktioniere, finanziert und produziert werde. Durch diese gesellschaftliche Verantwortung könne auch Zahlungsbereitschaft entstehen, da Nutzer vertrauenswürdigen Journalismus auf diese Weise besser erkennen würden (vgl. ebd., S.15).
Dies sei, so Medienprofessor Tanjev Schultz, eine vertrauensbildende Maßnahme, da das Publikum oft nicht wisse, wie redaktionelle Prozesse ablaufen würden, Doch wie Schultz betont, haben das die Redaktionen auch erkannt (vgl. Promies 2020). In der Corona-Krise berichtet Swantje Dake, Chefredakteurin Digital bei den Stuttgarter Nachrichten, dass die Zeitung redaktionelle Neuerungen vornahm, indem sie mit ihren Lesern beispielsweise über den Sinn der Paywall sprach und in der gedruckten Ausgabe eine Rätsel-Seite zu Corona-Themen eröffnete (vgl. Sagatz 2020). Die Schwäbische Zeitung installierte ebenfalls einen Transparenz-Blog, um Fake News vorzubeugen (vgl. ebd.).
2.6.1 Personalisierung
Im Zeitalter von Spotify und Netflix spielt Personalisierung eine immer gewichtigere Rolle, wie Kansky erklärt: „One Size fits all. Nach diesem Ansatz verfahren heute noch die meisten Nachrichtenportale. Alle Nutzer bekommen zur gleichen Zeit ein identisches Angebot zu sehen. Dabei sind Leserinteressen genauso vielfältig wie das Nachrichtenangebot“, (vgl. Promies 2020). Redaktionen können Leserdaten detailliert auswerten und hätten dadurch die Einsicht, welche Inhalte in welchen Zielgruppen besonders gut abschneiden und sie zur individualisierten Ausspielung nach Interessen-Cluster verwenden etwa durch Empfehlungen auf Basis ähnlicher Inhalte, argumentiert Kansky (vgl. ebd.). Wellbrock und Buschow zufolge erfülle Personalisierung eine Orientierungsfunktion: „Medien können Mehrwert für Konsumenten stiften, indem sie Orientierung ermöglichen und den Suchaufwand verringern durch Personalisierung im Rahmen eines vielfältigen Angebots“ (Wellbrock/Buschow 2020, S.14).
Um personalisierte Inhalte auszuspielen, haben sich dynamische Paywall-Varianten hervorgetan, die sich vollständig am Leserverhalten orientieren (vgl. Jäger et al. 2018). Als Beispiel dient das amerikanische Wall Street Journal oder die NZZ. In Deutschland experimentieren die Badische Zeitung (BZ) und auch der Spiegel mit dieser Paywall (vgl. Jäger et al. 2018; Meedia 2020). Die Herangehensweise dabei ist unterschiedlich: Die NZZ beispielsweise erstellt anhand der Leserdaten ein persönliches Profil, welches Kriterien wie Lesehistorie, Dauer oder benutztes Endgerät einschließt. Daraus wird dann die Wahrscheinlichkeit eines Abo-Abschlusses auf der Grundlage eines Propensity Scores berechnet (vgl. Meedia 2020).
Dabei gilt: Je wahrscheinlicher es ist, dass ein Abo abgeschlossen wird, desto eher gelangt ein Nutzer vor die Paywall (vgl. ebd.) und desto weniger Artikel werden dem Nutzer kostenfrei angeboten (vgl. Jäger et al. 2018). Das WSJ verfährt ähnlich, segmentiert die Leser allerdings in die Kategorien „cold“, „warm“ und „hot“ (vgl. ebd.). Die BZ und der Spiegel haben auf der Webseite und in der App eine eigene Sektion für personalisierte Inhalte geschaffen: Besucher bekommen dort Artikel angezeigt, die zu ihrer Lesehistorie passen und finden unter Artikeln personalisierte Empfehlungen vor. Das Freiburger Blatt orientiert sich an dem „Mix der Woche“ von Spotify und platziert kostenpflichtige Inhalte in Form von „Best of the Week“, die die Leser noch nicht gelesen haben, die aber mit ihren Interessen übereinstimmen und auch bei anderen Nutzern gut angekommen sind (vgl. Meedia 2020). Die skandinavischen Zeitungen Mittmedia (Schweden) und Schibsted (Norwegen) sowie die Mediengruppe Madsack aus Hannover orientieren sich am Timewall-Konzept. Dieses sieht vor, Artikel nach ihrer Veröffentlichung für eine Stunde freizuschalten, ehe sie anschließend hinter die Bezahlschranke kommen (vgl. Watzlawek 2019; Schwegler 2019).
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