Bertolt Brecht "Das Leben des Galilei": Das erste Bild als Exposition – Die alte und die neue Zeit im Vergleich


Unterrichtsentwurf, 2008

20 Seiten, Note: 3+


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Bedingungsfelder

2. Lehrplanbezug

3. Einbettung in die Reihe

4. Sachanalyse

5. Didaktische Analyse

6. Lernziele

7. Verlaufsplan

8. Methodische Analyse

9. Tafelbild

10. Literatur

11. Anhang
- Arbeitsaufträge auf Folie
- Bild eines Astrolabs auf Folie
- Textauszug (S. 10-13)
- Weitere Bilder eines Astrolabs

1. Bedingungsfelder

Der Grundkurs der MSS 11 setzt sich aus insgesamt 17 Schülerinnen und Schülern zusammen (15 Jungen und 2 Mädchen). Ich selber begleite den Kurs seit Beginn dieses Schuljahres im betreuten Unterricht bei Frau H.. Nach 2 Wochen Hospitationsphase habe ich den Unterricht selber übernommen und fühle mich in dem Kurs sehr wohl und von den Schülern[1] akzeptiert. Bisher unterrichtete Themen waren die Aufklärung mit dem dramatischen Gedicht „Nathan der Weise“ und die Epoche des Sturm und Drang mit dem Schauspiel „Die Räuber“. Der Kurs wird mit 3 Stunden pro Woche unterrichtet, wobei sich diese auf eine Doppelstunde montags in der 5./6. Stunde und eine Doppelstunde in jeder geraden Woche donnerstags in der 7./8. Stunde verteilen. In der bisherigen Zeit in dem Kurs konnte ich mir folgendes Bild von den Schülern machen: Trotz des auffallend hohen Anteils an Jungen, die ihren Schwerpunkt in den Leistungsfächern auf die Naturwissenschaften gelegt haben, kann von einem Grundkurs von mittlerem bis guten Niveau ausgegangen werden. Es gibt einige Schüler, die sehr ruhig sind und sich nur selten am Unterrichtsgespräch beteiligen. Hierzu zählen auch die beiden Mädchen. Dies führt dazu, dass das Unterrichtsgespräch häufig von den stärksten Schülern dominiert wird. Insgesamt kann von einem meist disziplinierten Kurs gesprochen werden. Die Motivation der Schüler ist durchaus als gut zu bezeichnen.

Die Verteilung der Stunden in der Woche führt dazu, dass mit Hausaufgaben sehr sparsam umgegangen wird, da die Schüler montags lange Unterricht haben. So werden Hausaufgaben meist donnerstags aufgegeben. Zudem findet der Unterricht montags immer in den Containern auf dem Realschulhof statt. Da dort die schlechte Akustik zu einer deutlichen Beeinträchtigung des Unterrichts führt, wird für diese Lehrprobe der Klassenraum gewechselt.

2. Lehrplanbezug

Betrachtet man sich den rheinland- pfälzischen Lehrplan Deutsch für die Sekundarstufe II, stellt man fest, dass dieser für die Oberstufe vier Lernbereiche vorsieht: Literatur, Reflexion über Sprache, Sprechen und Schreiben, Arbeits- und Lerntechniken sowie Methoden. Die Behandlung von Brechts „Leben des Galilei“ lässt sich somit klar zum Lernbereich Literatur zuordnen. Dort heißt es u. a. zu den Zielsetzungen: „Textarten und literarische Gattungen werden erfahren als Ausdrucksmittel im Kommunikationsprozess Autor-Leser/Hörer/Zuschauer, als sprachliche Verdichtung verschiedenartiger Aussagemöglichkeiten und -absichten, die es nachzuvollziehen, zu verstehen und kritisch zu reflektieren gilt. Indem die Schülerinnen und Schüler erkennen, dass Textaussage und Textform unterschiedlich eng verknüpft sind, eröffnen sich ihnen Möglichkeiten für die Textbewertung und für eigene effiziente Textgestaltung. […] Literarische Werke lassen den Leser/Hörer/Zuschauer menschliche Grundsituationen, Konfliktkonstellationen und Handlungskonfigurationen erleben, in deren Gestaltung durch den jeweiligen Autor sich ein spezifisches Menschenbild sowie eine spezifische Weltsicht und Lebensdeutung widerspiegeln. […] Die Begegnung mit Literaturwerken vergangener Epochen ermöglicht es den Schülerinnen und Schülern, sich mit tradierten Werthaltungen und Einstellungen auseinander zu setzen. Die Erhellung des gesellschaftlichen und geistesgeschichtlichen Hintergrundes bestimmter Werke lässt sie die Geschichtlichkeit kultureller Phänomene erfahren, sie gewinnen Einblick in die Wirkungszusammenhänge ihrer Entwicklung und werden sich der Traditionen des eigenen Kulturraumes und damit eines Teils ihrer eigenen Identität bewusst. […] Der Umgang mit Literatur erschließt den Schülerinnen und Schülern einen wichtigen Zugang zum Bereich des Ästhetischen; sie werden in die Lage versetzt, sprachästhetische Qualitäten sensibler und differenzierter wahrzunehmen; sie gewinnen Freude am Lesen literarischer Werke. Bei vergleichender Heranziehung anderer Kunstgattungen […] erleben Schülerinnen und Schüler verschiedene Spielarten des Ästhetischen, die ihnen Impulse bieten können für ihre eigene Lebens- und Freizeitgestaltung.“[2]

Im Grundkurs der Jahrgangsstufen 11-13 ist die Behandlung von zehn literarischen Schwerpunkten verbindlich, wobei u. a. fünf Schwerpunkte aus den Bereichen A (Mittelalter/Barock) – I (Bedeutender Autor des 20. Jahrhunderts) gewählt werden können.[3] Das „Leben des Galilei“ ist dem Bereich I zuzuordnen. Den Lehrplanvorgaben wurde also in der Auswahl von Brechts Werk entsprochen. Die Auswahllisten (Themen u. a.: Wissenschaft, Kunst, Kultur und gesellschaftliche Hintergründe) im Lehrplan nach Themen und Gattungen schlagen unter verschiedenen Oberbegriffen eine mögliche Behandlung des Dramas vor: Aufgaben und Verantwortung des Wissenschaftlers / Künstlers u. a.; Wissenschaft und Natur, Religiosität.[4]

Diese Vorgaben wurden bei der Planung der Unterrichtsreihe „Bertolt Brecht: Leben des Galilei“ berücksichtigt.

3. Einbettung in die Reihe

Diese Lehrprobenstunde ist nach der abgeschlossenen Reihe zu Schillers „Die Räuber“ die zweite Einzelstunde zu Brechts „Leben des Galilei“ (Die zuvor eingeplante dritte Stunde fiel kurzfristig aus). In der ersten Stunde wurden gemeinsam mit den Schülern die im Unterricht zu behandelnden Schwerpunkte abgesteckt, die Handlungsorte sowie die Situation in Italien im 17. Jahrhundert erarbeitet. In der heutigen Stunde steht nun das erste Bild als Exposition im Zentrum der Stunde. Der Schwerpunkt wird dabei auf der Gegenüberstellung der alten und der neuen Zeit liegen. Möchte man nach dieser Stunde noch weiter beim ersten Bild verbleiben, böte sich die Möglichkeit an, das Verhältnis Galileis zu den anderen Personen in diesem Bild zu untersuchen. Beide Aspekte in dieser Lehrprobenstunde zu behandeln würde sicher den Rahmen der Stunde sprengen. Im weiteren Verlauf der Reihe werden dann in den nächsten Stunden folgende thematische Aspekte (nach Absprache mit den Schülern) behandelt: Das Verhältnis von Wissenschaft und Kirche (Bilder 6/7/12) und die Frage von Wissenschaft und sozialer Verantwortung (Bilder 8/10). Nach den Weihnachtsferien könnten dann noch der Widerruf Galileis (Bild 13/14), das Ethos des Wissenschaftlers (Bild 14/15), Brechts episches Theater und der Bezug des Stückes zur heutigen Zeit explizit thematisiert werden. Bis zum Ende des Halbjahres soll die Reihe dann abgeschlossen sein.

4. Sachanalyse

Das erste Bild führt den Zuschauer im Sinne einer Exposition in das dramatische Geschehen ein. Die Hauptfiguren, in besonderem Maße Galilei, werden vorgestellt und sich später weiterentwickelnde Konflikte sind hier bereits angelegt. In dieser Stunde wird die werkimmanente Betrachtung des Stücks eröffnet, indem die Zeitenwende am Text durch die Gegenüberstellung von „alter“ und „neuer Zeit“ erarbeitet werden. Zusätzlich zu den Kennzeichen der Zeit, soll auch das mitschwingende Lebensgefühl erfasst werden. Die beiden Zeiten werden aus der Sicht Galileis im Gespräch mit Andrea zu Beginn des ersten Bildes (S. 9-16)[5] sehr subjektiv dargestellt. Um die Zeitenwende und das damit verbundene Lebensgefühl zu veranschaulichen, bedient sich Galilei u. a. der Schifffahrtsmetaphorik. Der Gegensatz von Enge und Weite bzw. von Verharren im Bekannten und dem von Galilei gefeierten Aufbruch wird durch diese Bildebene sehr gut veranschaulicht. Die Gegenüberstellung des ptolemäischen und des kopernikanischen Weltbildes stehen im Mittelpunkt seiner Darstellungen.[6] Die „alte Zeit“ wird von Galilei deutlich negativ beschrieben: der „Astrolab“ (S. 9) als Instrument der alten Schule, „Mauern und Schalen und Unbeweglichkeit“ (S. 10), Enge in den Städten und Köpfen (vgl. S. 10), sowie „Aberglaube und Pest“ (S. 10) zeigen wie statisch und dunkel Galilei die alte Zeit sieht. Zudem zeigt sich in dieser ersten zusammenhängenden Rede Galileis Fähigkeit sein Denken in griffige Formen und Bilder zu bringen. Der Mensch ist eingeschränkt und beengt, was sich im weiteren Verlauf seiner Ausführungen zeigt: Schiffe krochen nur an den Küsten entlang (vgl. S. 11), „das große gefürchtete Meer“, „tausendjährige Gepflogenheiten“ und „alte Bücher“ zeigen die Fremdbestimmung und Entmündigung, Konstanz und Statik aber auch den Zwang zur Orientierung am Bewährten der damaligen Zeit. Der „Glaube“ (S. 11) wird durch die Wahrheit ersetzt und an die Stelle blinden Vertrauens rückt nun der Zweifel.[7] Das ptolemäische Weltbild zeigt sich in den „Gestirnen [...] an einem kristallenen Gewölbe“ (S. 12). Damit Andrea, der elfjährige Sohn der Haushälterin Sarti, aber auch die neue Zeit „begreift“ (S. 13, 3x), beschreibt Galilei in mehrfachen Gegenüberstellungen und Wiederholungen die neue Zeit. Hier bekommt der Zuschauer schon einen sehr plastischen Eindruck von Galileis Lehrmethode.[8] Sie basiert auf dem Gebrauch der Vernunft und zielt auf den Zweifel am bloßen Augenschein. Deshalb verurteilt er auch das „Glotzen“ (S. 13) Andreas und lehrt ihn das „Sehen“ (S. 14). Dies wird auch durch die Sprache Galileis im Dialog mit Andrea nochmals verdeutlicht: Brecht hebt Galileis Sprache der Wissenschaft von der volkstümlichen Sprache ab. Galilei korrigiert die naiv- volkstümliche Ausdrucksweise Andreas und ersetzt sie durch wissenschaftliche Terminologie. (S. 9/Z.15-18). Ebenso kann auch die nachfolgende Unterredung zum Verständnis des Astrolabs als sprachliche Lektion verstanden werden, mit in deren Verlauf Andrea mit dem notwendigen Vokabular eines Physikers ausgestattet wird. (S. 10/Z. 2-9)[9] Somit wird Andreas Alltagssprache schrittweise durch die wissenschaftliche Terminologie ersetzt und aus dem naiven Andrea wird ein Kind der neuen Zeit.[10] Galilei begrüßt das neue Zeitalter geradezu emphatisch in einem Schlüsselsatz des ersten Bildes: „Denn die alte Zeit ist herum und es ist eine neue Zeit.“ (S. 10 und 11). Der Nachsatz „Seit hundert Jahren ist es, als erwarte die Menschheit etwas“ (S. 10), erhält den Charakter einer Heilsbotschaft und bedient sich der Sprache der Bibel.[11] Die „große(r) Fahrt“, „alles bewegt sich“ (beides S. 10), zeigen die Fröhlichkeit und den Entdeckungsgeist („Schiffe über alle Meere“, S. 11) der Menschen. Durch diese Pathosformen, die im Kontrast zur strengen Wissenschaftlichkeit stehen, markiert Brecht auf der sprachlichen Ebene erneut den Anbruch eines neuen Zeitalters in appellativen Wendungen. Diese bekommen nun Lust „die Ursachen aller Dinge zu erforschen“ (S. 11) und die Welt in „einer neuen Anordnung“ (S. 12) zu sehen. Die „neuerungssüchtigen Menschen“ (S. 12) finden sich auf einer – sich bewegenden – Erde wieder, die von den Gestirnen „ohne Halt und in großer Fahrt“ (S. 12) umgeben wird und somit das kopernikanische Weltbild verdeutlichen. Es bietet sich plötzlich „viel Platz“ und „die Schiffe fahren weit hinaus“ (S. 12): auch hier zeigt sich die Bewegung, die alles und jeden mitreißt, eine globale Veränderung ist eingetreten, die Galilei mit dem Bild von Mensch, Erde und Gestirnen auf großer Fahrt beschreibt.[12] Im Gegensatz zur alten Zeit, kennzeichnen nun Empfindungen wie Wissbegierde („Selbst die Söhne der Fischweiber werden in die Schulen laufen“, S. 12), Forschergeist, Befreiung und Autonomie des Individuums die neue Zeit.

[...]


[1] Zur besseren Lesbarkeit wird nachfolgend die Bezeichnung „Schüler“ für beide Geschlechter verwendet.

[2] Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Weiterbildung Rheinland-Pfalz (Hg.): Lehrplan Deutsch. Grund- und Leistungsfach Jahrgangsstufen 11 bis 13 der gymnasialen Oberstufe (Mainzer Studienstufe). Mainz 1998. S. 11f.

[3] Vgl. MfBWW, (1998). S. 32.

[4] Vgl. ebd. S. 58- 60.

[5] Alle Seitenangaben beziehen sich auf die Ausgabe der Suhrkamp Basisbibliothek 1 (Text und Kommentar)

[6] Vgl. Dieckhans, J. (2004): Bertolt Brecht – Leben des Galilei – Unterrichtsmodell, S. 19

[7] Vgl. Payrhuber, F.-J. (2002): Lektüreschlüssel Bertolt Brecht – Leben des Galilei, S. 9

[8] Vgl. Huber, H. (2008): Brecht – Leben des Galilei, Sekundarstufe II, S. 30

[9] vgl. Hallet, W. (2000): Bertolt Brecht – Leben des Galilei, S. 105f

[10] vgl. ebenda, S. 106

[11] vgl. ebenda, S. 110

[12] vgl. Huber (2008), S. 30

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Bertolt Brecht "Das Leben des Galilei": Das erste Bild als Exposition – Die alte und die neue Zeit im Vergleich
Note
3+
Autor
Jahr
2008
Seiten
20
Katalognummer
V126862
ISBN (eBook)
9783640370955
ISBN (Buch)
9783640370801
Dateigröße
7224 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Entwurf der 1. benoteten Ausbildungslehrprobe im Fach Deutsch
Schlagworte
Bertolt, Brecht, Leben, Galilei, Bild, Exposition, Zeit, Vergleich
Arbeit zitieren
Stefan Scherer (Autor:in), 2008, Bertolt Brecht "Das Leben des Galilei": Das erste Bild als Exposition – Die alte und die neue Zeit im Vergleich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/126862

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