Jan van Eycks "Heilige Barbara" (1437)


Hausarbeit (Hauptseminar), 2008

14 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1. Der Geist der Neuerung in der Kunst Jan van Eycks

2. Van Eycks Heilige Barbara und die Darstellung der himmlischen Ecclesia
2.1. Der gotische Turm
2.2. Die gotische Kathedrale – ein fiktives oder bestehendes Kirchengebäude?

3. Heilige Barbara als programmatisches Bild

4. Das Werk Jan van Eycks und seine Bedeutung für uns heute

Bibliographie

1. Der Geist der Neuerung in der Kunst Jan van Eycks

Jan van Eyck ist ein flämischer Maler, der seine Schaffenszeit in Brügge verbrachte. Der Künstler wirkte in der Zeit der großen gesellschaftlichen, kulturellen und wissenschaftlichen Veränderungen, die die Übergangsphase vom Mittelalter zur Renaissance markierten. In dieser Epoche wurde in Europa eine neue Kunst geschaffen, die sich von der mittelalterlichen Konventionen und der mittelalterlichen Symbolik befreite. In ihrem Mittelpunkt trat die reale Welt, die lebensvolle Gestalt des tatkräftigen Menschen. Die künstlerische Erfassung des Lebens war in der Renaissance untrennbar mit naturwissenschaftlichen Forschungen verbunden. Die Kunst basierte auf den wissenschaftlichen Gesetzen von Anatomie, Perspektive, Optik usw. Im 15. Jahrhundert beginnt die Zeichnung an Eigenständigkeit zu gewinnen. Die wichtigste ästhetische Neuerung dieser Zeit ist die Entwicklung der Zentralperspektive, die einhergeht mit einem neuen Bemühen um realistische Darstellung[1].

Das Bild Die Heilige Barbara, entstanden um 1437 weist bereits den Einfluss von den neuen Impulsen auf. Hier ist die Heilige Barbara dargestellt, die inmitten einer Landschaft vor einem im Bau befindlichen Turm sitzt[2]. Es ist ein kleines Grisaillegemälde in Hochformat, 32,2 x 18,6 cm groß, Öl auf Eichenholz, mehr eine Zeichnung als ein Gemälde, offenbar mit einem äußerst feinen Pinsel, vielleicht einer Schnepfenfeder, auf eine grundierte Tafel gemalt und von einem marmorierten Rahmen eingefasst[3]. Auf der Schräge des Rahmens liest man die Inschrift: JOH(ANN)ES DE EYCK ME FECIT 1437. Auch die Rückseite ist marmoriert. Auf dem Teil, der den Himmel darstellt, wird jedoch blaue und ockergelbe Farbe verwendet, und in dem Himmelsblau ist eine Zugvögelformation zu sehen; die Leibungen des Drillingsfensters sind grau gehalten, als handelte es sich hier um eine bestimmte Art von Stein.

Die Heilige sitzt mit dem Gebetbuch im Schoße, angetan mit opulenten, sich weit auf dem Boden ausbreitenden Gewändern, im Freien auf einem Hügel. Hinter ihr erhebt sich aus einer mit wenigen, aber sehr bestimmten und regelmäßigen Strichen ausgeführten Landschaft ein hoher Turm.

Die Landschaft ist in drei konzentrischen Zonen angelegt: vorne die Bodenerhebung, auf der Barbara sitzt, ein Mittelstreifen, auf dem sich der Turm erhebt, der durch die zierliche Biegung des Palmzweigs umfasst wird, und eine dritte Zone hinter einem Tal mit abfallenden Feldern, mit Bäumen und einer befestigten Stadt.

Der Auftraggeber des Bildes ist nicht bekannt. Es ist nur überliefert, dass um 1425 Philipp von Burgund Jan van Eyck zum Hofmaler ernannte. In der Zeit der Entstehung des Bildes war Van Eyck für Angehörige des Hofes und des städtischen Patriziat tätig.

Die Komposition des Bildes ist relativ einfach, aber die Ausführung beziehungsweise der unvollendete Charakter des Bildes deutet auf unterschiedliche Bedeutungsmöglichkeiten hin. Folgende Fragen ergeben sich bei der näheren Betrachtung des Bildes:

- Wie kann man die eigentliche Bedeutung des Bildes interpretieren? Was verhüllte Jan van Eyck hinter seinem Werk, welche Ideen und welche Philosophie?
- Warum interessierten den Künstler solche Bildthemen und solche Technik der Ausführung? Wie könnte man Interesse Jan van Eycks für den zeichenhaften Charakter des Bildes interpretieren?
- Welches Zweck und welche mediale Funktion hat das Bild? Wie sind die Herstellungsbedingungen vorstellbar?
- Wie könnte man anhand dieses Bildes die Kunstauffassung Jan van Eycks analysieren und interpretieren?

Um diese Fragen zu erforschen, sollte man das Bild Jan van Eycks als Wiederspiegelung seiner Ideen und seiner Kunstauffassung ansehen, und die Entwicklung seines Stils nachvollziehen.

Das kleine Gemälde wird auf sehr verschiedene Weise in der Forschung gedeutet: als Graumalerei, grau in grau, Zeichnung, unvollendete Malerei, Entwurf, je nach dem, ob man dem kleinen Bild

1) eine vollwertige Funktion zuerkennt,
2) oder ob man es als ein Werk ansieht, dessen Durchführung durch einen Zufall unterbrochen wurde.

Solche Kunsthistoriker als Tolnay, Beenken, Baldass und Desneux betrachten es als unvollendete Malerei. Demgegenüber verteidigen Winkler, Sulzberger, Panofsky und Dhanens die erstere Auffassung[4]. Wenn man Jan van Eyck als den Neuerer ansieht, der die neue Wege in der Entwicklung der Malerei sucht, so steht man der ersten Auffassung näher.

Wenn wir auch nicht wissen, warum Jan van Eyck das Werk so gestaltet hat, ob es eine Skizze war, ein Entwurf, oder ob eine künstlerische Notwendigkeit ihn dazu getrieben hat, kann man doch schwerlich annehmen, dass es in dem jetzigen Stadium noch farbig übermalt werden sollte. Nach Ansicht von Schlie blieb die Tafel entweder nach einer genauen Ausführung der Unterzeichnung mit dem Pinsel unvollendet, oder aber wir haben es mit einer Art Grisaille zu tun, die keine Skulptur imitieren und etwas mehr als eine bloße Zeichnung sein will[5]. Das Werk ist nicht leicht einzuordnen und vertritt keinen eindeutigen Status. Für eine Unterzeichnung ist es zu detailliert und minutiös ausgeführt; für eine Grisaille ist das zeichnerische Element zu sehr ausgeprägt; für eine Vor- oder Modellzeichnung wäre der Bildträger sehr ungewöhnlich. Es kündigt sich an, dass wir es hier mit einer Besonderheit zu tun haben, bei deren Analyse besonderes Augenmerk auf dem Sinn und Zweck des Werkes ruhen muss.

2. Van Eycks Heilige Barbara und die Darstellung der himmlischen Ecclesia

In der Malerei ist die Darstellung der Heiligen Barbara ein geläufiges Thema.

Die Geschichte der Heiligen Barbara war im Mittelalter weit verbreitet. Sie soll in Nikomedien am Marmarameer als Tochter des heidnischen Herrschers Dioskuros geboren worden sein. Entweder um sie vor männlichen Blicken zu schützen oder (einer anderen Version zufolge) vom Christentum fern zu halten, sperrte sie ihr Vater in einen Turm. Barbara bekehrte sich jedoch heimlich zum christlichen Glauben und ließ in ihrem Gefängnis ein drittes Fenster als Sinnbild der Heiligen Dreifaltigkeit einbauen. Als der Vater von ihrer Konversion erfuhr, befahl er sie umzubringen, und sie wurde von ihrem eigenen Vater enthauptet[6]. Mit dem Turmbau ist der Begriff Hochmut verbunden. Deshalb ist die jugendliche Barbara, in treffendem Gegensatz, in Demut vor ihr Attribut, dem Turm, gesetzt.

Die Heilige Barbara der Huidevetters in Brügge ist um 1400 entstanden[7]. Es liegt nur eine kurze Zeitspanne zwischen dieser traditionellen, mit herkömmlichen Attributen versehenen Darstellung und der lebendigen naturgetreuen Wiedergabe der Barbara Jan van Eycks. Auf seinem Gemälde wird die Heilige Barbara tatsächlich in einer ungewohnten Weise gestaltet: Das hochrechteckige kleine Bild zeigt im Vordergrund die auf einer Anhöhe sitzende Heilige, die mit ihrem bis an die seitlichen Bildränder ausgebreitetem Kleid die untere Hälfte des Bildes einnimmt. Hinter der Anhöhe schneidet die Begrenzungslinie des Hügels das Kontinuum einer perspektivischen Sicht auf die Landschaft, so dass Vorder- und Mittelgrund weit voneinander abgerückt und getrennt sind. So wird schon in der räumlichen Anlage deutlich, dass es sich um verschiedene Realitäts- und Bedeutungsebenen handelt. Im Mittelgrund nun ragt hinter der Heiligen ein mächtiger, im Bau befindlicher gotischer Kirchturm auf, der ihre Büste hinterfängt und fast bis an den oberen Bildrand reicht. Er nimmt etwa die Hälfte der Bildbreite ein. Statt des üblichen Türmchens, sei es, dass es auf ihrer Hand ist, sei es, dass es ihr zu Füßen steht, wird hier ein wirklicher gotischer Kirchturm wiedergegeben, der als ein schönes Beispiel einer „Rückverpflanzung eines konventionellen Attributszeichens in voll erlebbare Wirklichkeit“[8] dient.

Der Realismus der Darstellung ist hier mit einer tiefen Symbolik und Nebenbedeutungen mancher Art ausgestattet. Das dreibahnige Fenster im zweiten Stockwerk des Turms ist das greifbare Symbol von Barbaras Glauben an die und ihrer Andacht zur Allerheiligsten Dreifaltigkeit. Aber die ganze Darstellung hat noch einen Bezug zu den vielen Fällen, in denen sie als Schutzherrin erscheinen kann. Barbara ist die Schutzheilige der Bauarbeiter, vor allem der Turmbauer, sie schützt gegen einen plötzlichen Tod und gegen Blitzschlag; deshalb ist sie auch die Schutzheilige der Glöckner, die bei Unwetter die Sturmglocke läuten mussten[9].

Das Attribut auf dieser Tafel nimmt mehr Raum ein als die bezeichnete Person selbst. Es ist kaum zu übersehen, dass es hier um mehr geht als um eine schlichte Heiligendarstellung als Andachts- oder Votivbild. Barbara wird vor die stetig im Bau befindliche Ecclesia gesetzt, zu der sie den Betrachter vermittelt. Sie selbst, die den in ihrer Linken befindlichen Palmzweig der Märtyrer wie einen Gänsekiel an das auf ihrem Schoß gehaltene Buch hält, in dem sie mit der rechten blättert, hat sich mit ihrem Martyrium in den Heilsplan eingeschrieben und ist nun Teil der Ecclesia, der himmlischen Kirche. Soweit die ikonographische Analyse, die den theologischen Gehalt des Bildes fasst[10].

2.1. Der gotische Turm

Der Turm ist bereits zwei Stockwerke hoch. Die Ausgestaltung des Turmes lässt ahnen, welche Beobachtungsgabe und welchen Ideenreichtum Jan van Eyck in seine profanen Werke im Dienst des Herzogs eingebracht hat. In der Schilderung der Bautätigkeit hat Van Eyck minutiös die verschiedenen Arbeitsgänge festgehalten. In einem großen Gewimmel, das zu der stillen Heiterkeit der Heiligen in starkem Gegensatz steht, arbeiten viele Werkleute an dem kolossalen Gebäude. Links befindet sich der Steinbruch. Zahlreiche Arbeiter sind damit beschäftigt, die Steine mit Hebeln zu lösen, um sie dann mit Schubkarren auf die andere Seite des Turmes zu transportieren, wo sich schon eine größere Ansammlung unbehauener Steine befindet. Andere Arbeiter bringen Mörtel herbei. Unter einem an dem Turm angebrachten hölzernen Verschlag werden die Steine behauen. Der Architekt, mit einem Stab in der Hand, begutachtet die fertigen Stücke, ein profiliertes Gesimsstück und eine kannelierte Säulentrommel, und überwacht den Transport an die vorgesehenen Stellen. Mit einem in der Turmspitze angebrachten Kran werden die Steine nach oben befördert, wo sie weiter verarbeitet werden. Durch die Durchfensterung werden die Gerüste und das Tretrad des Kranes sichtbar.

Weiteres Bildpersonal sind vier Reiter, die sich von links hinten dem Turm nähern. Vier vornehm gekleidete Figuren rechts vor dem Turm, die zum Betrachter blicken, sind offenbar ebenfalls zu dem Zweck an diesem Ort erschienen, den Bau in Augenschein zu nehmen und eventuell ein Urteil darüber zu fällen. Insofern repräsentieren sie den Betrachter schlechthin, an den sich Van Eyck mit seiner Kunst wendet.

Mit einem innigen Bezug hat Jan van Eyck die Menschen aller Ränge und Stände lebensnah skizziert. In seinem Stil ist der Zusammenhang mit dem des Gebetbuches von Chantilly und mit dem des Stundenbuches des Herzogs von Bedford zu spüren. Wie dort so gern kleine Figürchen in die Miniaturen zu wahrhaft köstlicher Belebung eingeführt werden, so tut das Eyck auch hier, und zwar in genau der gleichen technischen Behandlung, wie sie beim Stundenbuch des Herzogs von Bedford zu finden ist[11]. Stilistisch steht Van Eyck zwar den Miniaturen der Brüder von Limburg nah, dennoch entwickelt er seine Malweise zu einer neuen, individuelleren und realistischen Art.

[...]


[1] Vgl. Brauchitsch, Boris: Renaissance. Köln 1999, S.54-56.

[2] Siehe Jan van Eyck, Heilige Barbara, 1437, Öl auf Holz, 32,2 x 18,6 cm. Koninklijk Museum voor Schone Kunsten, Antwerpen, aus: Dhanens, Elisabeth: Hubert und Jan Van Eyck. Königstein / Taunus 1980, Abb. S. 257.

[3] Siehe Jan van Eyck, Heilige Barbara, 1437, Öl auf Holz, 32,2 x 18,6 cm. Koninklijk Museum voor Schone Kunsten, Antwerpen, aus: Dhanens, Elisabeth: Hubert und Jan Van Eyck. Königstein / Taunus 1980, Abb. S. 255.

[4] Vgl. Dhanens, Elisabeth: Hubert und Jan Van Eyck. Königstein / Taunus 1980, S.254.

[5] Vgl. Schlie, Heike: Bilder des Corpus Christi. Sakramentaler Realismus von Jan van Eyck bis Hieronymus Bosch. Berlin 2002, S. 285.

[6] Vgl. Nemitz, Rolfroderich; Thierse, Dieter: St. Barbara. Weg einer Heiligen durch die Zeit. Essen 1995, S.12-22.

[7] Siehe Die Heilige Barbara der Huidevetters, 1400, Öl auf Holz, Groeningemuseum, Brügge, aus: Dhanens, Elisabeth: Hubert und Jan Van Eyck. Königstein / Taunus 1980 , Abb. S. 259.

[8] Pächt, Otto: Van Eyck. Der Begründer der altniederländischen Malerei. München 1989, S. 87.

[9] Vgl. Dhanens 1980 (Anm. 2), S. 262.

[10] Vgl. Schlie 2002 (Anm. 3), S. 286-287.

[11] Vgl. Baldass, Ludwig: Jan van Eyck. London 1952, S.60-61.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Jan van Eycks "Heilige Barbara" (1437)
Hochschule
Universität zu Köln  (Kunsthistorisches Institut)
Veranstaltung
Hauptseminar: Architekturzeichnungen des Mittelalters. Fragen zu ihrer Funktionalität und Medialität.
Note
1,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
14
Katalognummer
V127084
ISBN (eBook)
9783668747302
ISBN (Buch)
9783668747319
Dateigröße
486 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
eycks, heilige, barbara
Arbeit zitieren
Natalia Spektor (Autor:in), 2008, Jan van Eycks "Heilige Barbara" (1437), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/127084

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