Gedichtinterpretation: "Die schlesischen Weber" von Heinrich Heine


Hausarbeit (Hauptseminar), 2008

18 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Zur Epoche und zur politischen Lyrik des Vormärz
1.2 Die schlesischen Weberaufstände von 1844: Hintergründe und Ablauf

2. Hauptteil: Gedichtanalyse

3. Fazit

4. Literaturverzeichnis

1. Einleitung:

Die Weberaufstände im schlesischen Peterswaldau und Langenbielau1 im Juni 1844 erregten die zeitgenössischen und nachfolgenden Gemüter derart, dass das Ereignis in die Literatur einging, wie kaum ein anderes. Neben Gerhart Hauptmanns sozialem Drama „Die Weber“, das am 26. Februar 1893 im neuen Theater Berlin uraufgeführt wurde, ist wohl Heinrich Heines Zeitgedicht „Die schlesischen Weber“ aus dem Jahre 1847 das bekannteste literarische Werk, das sich kritisch und zeitnah mit der Weberthematik auseinandersetzt. Das Gedicht entstammt der Epoche des Vormärz und gehört somit zur Sorte jener Gedichte, die „Wellen schlugen, Öffentlichkeit mobilisierten, die Gemüter aufbrachten und herausforderten“2. Zudem ist es einer der wirkungsvollsten Texte Heines.

Als unmittelbare Reaktion auf die militärisch niedergeschlagenen Weberaufstände vom 4.- 6. Juni 1844 verfasste Heine zwischen Anfang Juni und Anfang Juli 1844 die zunächst vierstrophige Fassung des Gedichtes mit dem Titel „Die armen Weber“. Innerhalb einer Artikelserie über die Weberaufstände erschien die Erstfassung am 10. Juli 1844 auf der Titelseite der von Karl Marx herausgegebenen Pariser Zeitung Vorwärts3. Die endgültige, von Heine überarbeitete fünfstrophige Fassung wurde erst 1847 in Hermann Püttmanns Album4 veröffentlicht.

Obwohl die weitere Verbreitung des Gedichtes wegen seines „aufrührerischen Tones“5 vom Königlich Preußischen Kammergericht umgehend verboten worden war, wurde es in Form von Flugblättern mit einer Auflage von mehr als 50.000 Stück in ganz Deutschland in Umlauf gebracht. Schnell avancierte das Gedicht zum Kampflied der Arbeiterbewegungen im In- und Ausland, weshalb es auch „Weberlied“ genannt wird. Die konsequente Strafverfolgung des Gedichtes führte unter anderem Anfang Februar 1847 in Berlin zur Verhaftung des Journalisten und Schriftstellers Eduard Meyen (1812- 1870), der es dennoch gewagt hatte, das Gedicht öffentlich vorzutragen.6 Auch mehrere Zeitungen, darunter die „Deutsche-Brüsseler-Zeitung“ (DBZ), die neben einer satirischen Berichterstattung über die Meyen-Affäre „Die schlesischen Weber“ sowie weitere der schärfsten Zeitgedichte Heines abgedruckt hatte, bekamen die harten Repressionsmaßnahmen der preußischen Behörden in Form zahlreicher Verhaftungen und Berufsverbote zu spüren.7

Die vorliegende Untersuchung beschäftigt sich mit der Interpretation dieses wirkungsmächtigen Heineschen Gedichtes, wobei einige der zahlreichen Ansichten, die die ältere und neuere Forschung bietet, einfließen werden. Die Ausarbeitungen stützen sich hauptsächlich auf Forschungsbeiträge von Walter Wehner, Renate Stauf und Norbert Otto Eke.

Um ein umfassendes Verständnis des Gedichtes zu gewährleisten, sind der Analyse Erläuterungen zur Epoche und politischen Lyrik des Vormärz sowie zu den Weberaufständen von 1844 vorangestellt. Die Untersuchung schließt mit einem Fazit.8

1.1. Zur Epoche und zur politischen Lyrik des Vormärz

Im Gegensatz zu anderen Epochenbezeichnungen wie „Romantik“ oder „Klassik“ bezieht sich der Epochenbegriff „Vormärz“ auf ein konkretes historisches Ereignis. Der Vormärz umfasst den Zeitabschnitt zwischen dem Wiener Kongress im Jahre 1815 und der daraus resultierenden Gründung des Deutschen Bundes bis hin zur Märzrevolution von 1848. Wie die Bezeichnung „Vormärz“ bereits andeutet, handelt es sich um einen Zeitraum vor einem Ereignis, einen „Zeitraum des Vorher“ („prä festum“) wie Norbert Otto Eke herausstellt9.

Um die Schärfe, mit der die politische Literatur des Vormärz bestimmte Ereignisse und Umstände der Zeit kritisiert, nachvollziehen zu können, ist es zunächst notwendig, jene historischen Begebenheiten, die diese Epoche prägen, kurz zu erläutern: Europa war nach Napoleon Bonapartes langjähriger Herrschaft (1804-1814) zerrüttet, sämtliche Staatsordnungen zerstört. Vertreter aller europäischen Staaten (mit Ausnahme der Türkei) trafen sich deshalb am 18. September auf dem „Wiener Kongress“ um Deutschland und Europa neu zu ordnen. Unter dem Einfluss des österreichischen Staatskanzlers Clemens Wenzel Fürst von Metternich wurde die gemeinsame Politik der „Restauration“ beschlossen. Die Staatenlandschaft Europas wurde weitgehend neu definiert, die Grenzen der einzelnen Staaten neu festgelegt und alte Dynastien wiederhergestellt. In Frankreich wurde die Monarchie wieder eingeführt. Österreich musste sich aus dem Westen Deutschlands zurückziehen und das ehemalige „Heilige Römische Reich deutscher Nation“ ging über in den unabhängigen und unauflösbaren „Deutschen Bund“, dem 35 Fürstenstaaten und vier freie Städte angehörten. Die gesamte Staatsgewalt lag beim preußischen König, was der deutschen Regierung absolutistische Züge verlieh. Der deutsche Föderalismus, der Feudalismus und die Interessen der deutschen Einzelstaaten sollten durch diese Bestimmungen gewahrt bleiben. Die Hoffnung Vieler auf einen liberalen Nationalstaat, wie es ihn in Frankreich seit Ende der Französischen Revolution (1789 bis 1799) gab, wurde jedoch bitter enttäuscht.

Das rückständige Feudalsystem und die Kleinstaaterei mit ihren vielen Zollgrenzen und unterschiedlichen Währungen führten dazu, dass Deutschland während des industriellen Umbruchs erheblich den Nachbarländern England und Frankreich hinterherhinkte. Krisen im Handwerk, der Agrarwirtschaft, dem Heimgewerbe und der Industrie waren die Folge, so dass die Unterschiede zwischen Arm und Reich in Deutschland immer größer wurden.

Kennzeichnend für die Anhänger der „Restauration“ war die Skepsis gegenüber allen liberal-nationalen Tendenzen und Gruppierungen, derer sich immer mehr bildeten und die eine Revolution forderten. Als Konsequenz traten am 20. September 1819 durch die Frankfurter Bundesversammlung die „Karlsbader Beschlüsse“ in Kraft, „die darauf abzielten, die öffentliche Meinung zum Schweigen zu bringen und durch die Kriminalisierung des Gedankenaustauschs jede Gruppenbildung bereits im Ansatz unmöglich zu machen“10. Zu den Bestimmungen gehörten neben der strengen Überwachung der Universitäten, die Präventivzensur für Zeitungen und Zeitschriften sowie für alle Druckschriften unter 20 Bögen und ferner die Einrichtung einer Zentraluntersuchungskommission in Mainz, die laut Beschluss „alle revolutionären Umtriebe und demagogischen Verbindungen“ überwachen sollte. Vor allem durch die unterdrückte Pressefreiheit sollte die Verbreitung des liberal-nationalen Gedankenguts verhindert werden, doch die Zeitungen und Zeitschriften entdeckten Schlupflöcher, konnten vielfach die Zensurbehörden täuschen und weiterhin als Meinungsträger fungieren. Die politischen Zeitungen wurden schließlich zum „einflussreichsten Steuerorgan der politischen Meinung“11.

Auch die fortschrittlichen Dichter und Denker der Nation, standen der restaurativen Politik und den harten Zensurmaßnahmen, die eine freie Meinungsäußerung verhinderten, ablehnend gegenüber. Mit ihrer kritischen Lyrik wollten sie auf die gesellschaftlichen und politischen Missstände aufmerksam machen, aufklären und einen Fortschritt in Deutschland bewirken. Ab etwa 1830 bildete sich die literarische Bewegung „Das Junge Deutschland“ heraus, zu deren wichtigsten Vertretern unter anderem Karl Gutzkow („Vor- und Nach-Märzliches“) und Theodor Mundt zählen. Der Verbotsbeschluss des Jungen Deutschland durch den Bundestag im Jahre 1835 betraf auch die Schriften Heinrich Heines, der die gleiche Gesellschaftskritik übte. Dennoch ließ Heine, der seit 1931 freiwillig in Paris im Exil lebte, seine Werke weiterhin in Deutschland drucken.

Neben Heine zählt Ludwig Börne, der ebenfalls von Paris aus agierte, zu den kritischsten Vormärzdichtern. Weitere Autoren, die in den Kontext des Vormärz gehören sind etwa Ferdinand Freiligrath, Heinrich Hoffmann von Fallersleben („Das Lied der Deutschen“), Georg Weerth, Christian Dietrich Grabbe, Georg Büchner, beide Wegbereiter des modernen Dramas, sowie Georg Herwegh. Neben der Kritik an der deutschen Rückständigkeit und der eingeschränkten Meinungsfreiheit übten die Vormärzdichter Religionskritik, diskutierten Fragen der Frauenemanzipation und prangerten die soziale Ungerechtigkeit an, für die sie vor allem die politische Misere verantwortlich machten.12

1.2. Die schlesischen Weberaufstände von 1844: Hintergründe und Ablauf

Zur Zeit der Weberaufstände von 1844 steckte die Industrialisierung in Deutschland im Vergleich zu England und Frankreich noch in den Kinderschuhen. Nur wenige Weber arbeiteten bereits in Fabriken, der Großteil verdiente seinen Lohn in Heimarbeit. Die Produkte wurden anschließend von Großhändlern abgenommen.

Während in Deutschland noch die Handarbeit vorherrschte, setzte sich in England und Frankreich immer mehr die günstigere, maschinelle Produktion durch, die das traditionelle Weberhandwerk letztendlich verdrängte. So gab es in England bereits mechanische Webstühle, die schneller arbeiten und vor allem qualitativ hochwertigere Ware produzieren konnten.

Um ihre Rückständigkeit gegenüber England ausgleichen zu können, setzten die deutschen Fabrikanten die Löhne der Weber drastisch herab und die Arbeitszeiten herauf. Dadurch verloren viele Weberfamilien langfristig ihre Existenzgrundlage und hatten Mühe, ihr Überleben zu sichern. Viele mussten zusätzlich in der Landwirtschaft arbeiten. Auch Kinderarbeit war keine Seltenheit. Durch das große Bevölkerungswachstum in Deutschland zwischen 1815 und 1846 sowie zahlreiche Missernten spitzte sich die Verelendung des Proletariats immer mehr zu.

Besonders betroffen waren die schlesischen Weber, da sowohl das traditionelle Leinen- als auch das Baumwollgewerbe in Schlesien seit Beginn des 18. Jahrhunderts durch die Mechanisierung stark zurückgegangen waren. Vor allem die Heimarbeiter litten unter den Auswirkungen der Industrialisierung, da die Großhändler angesichts der großen und qualitativ sehr unterschiedlichen Warenauswahl sowie sinkender Exportziffern nur noch Niedrigpreise zahlten.

Am 4. und 5. Juni 1844 wagten schließlich rund 3000 schlesische Weber einen Aufstand gegen Ausbeutung und Unterbezahlung. Ihre Wut richtete sich gegen die in Peterswaldau ansässigen Großhändler „Gebrüder Zwanziger“ sowie die Firma Dierig in Langenbielau. Auf die Forderungen der Weber nach höheren Löhnen reagierten die Gebrüder Zwanziger mit Spott, woraufhin die Arbeiter das Haus der Großhändler stürmten und alle Garnvorräte und wichtigen Papiere zerstörten. Am 5. Juni marschierte die wutentbrannte Menge weiter nach Langenbielau und versuchte in die Firma Dierig einzudringen. Der Protestmarsch wurde schließlich vom preußischen Militär blutig niedergeschlagen. Elf Menschen, darunter Frauen und Kinder, wurden erschossen, mehrere schwer verletzt. Etwa Hundert Weber wurden zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt, weitere mit Peitschenhieben bestraft.

Zwar hatte es auch zuvor bereits Weberaufstände gegeben, doch wurde dieser Aufstand aufgrund seines heftigen Ausmaßes als beispielhaft für die Verelendung des deutschen Proletariats angesehen und erhielt dadurch sowohl im Bürgertum als auch in der Literatur besondere Beachtung.

2. Hauptteil: Gedichtanalyse

Heines politisches Gedicht „Die schlesischen Weber“ grenzt sich von anderen WeberGedichten durch den vollkommenen Verzicht auf „eine individualisierende, mitleidheischende Milieubeschreibung“13 ab. Im Fokus stehen keine konkreten Begebenheiten, weder Details des Weberaufstandes noch Hasstiraden an die Fabrikanten, sondern die harte Arbeit der Weber und ein sich dabei entwickelnder Gedankenprozess. Dieser gipfelt am Ende (Strophe 5) in der Vorstellung von einem nicht näher bestimmten politischen Umsturz. Walther Wehner spricht in diesem Zusammenhang von einer „inneren Handlung“14 des Gedichtes.

Im Gegensatz zu seinen anderen Zeitgedichten verzichtet Heine in diesem auf ironische und satirische Stilmittel. Ausgehend von einer ebenso kunstvollen wie einfachen Struktur entfaltet das Gedicht seine stark emotionale und appellative Wirkung.15

[...]


1 Dabei handelt es sich um die heutigen polnischen Städte Pieszyce und Bielawa.

2 Stauf, Renate: „Wo jede Blume früh geknickt“. In: Interpretationen. Gedichte von Heinrich Heine. Hrsg. Von Bernd Kortländer. Stuttgart 1995. S. 144.

3 Erstdruck: Vorwärts! Pariser Deutsche Zeitschrift. Nr. 55.

4 Druckvorlage: Album. Originalpoesien. Hrsg. Von Hermann Püttmann. Borna 1847. S. 147f. Dort mit dem Zusatz „vom Dichter revidiert“.

5 Der damalige preußische Innenminister, Adolf Heinrich Graf von Arnim-Boitzenburg, äußerte sich in einem Brief an Friedrich Wilhelm IV. zum Gedicht mit den Worten: „eine in aufrührerischem Ton gehaltene und mit verbrecherischen Äußerungen angefüllte Ansprache an die Armen im Volke“. Vgl. dazu Schmidt, Walter: Einige Dokumente zum schlesischen Weberaufstand vom Juni 1844. In: Aus der Frühgeschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Berlin (DDR) 1964. S. 45.

6 Vgl. dazu Füllner, Bernd/Hauschild, Jan-Christoph/ Kaukoreit, Volker: »Dieses Gedicht in Deutschland hundertfach gelesen und gesungen…«. Zur Aufnahme von Heines »Weberlied« in der frühen deutschen Arbeiterbewegung. In: Heine Jahrbuch 24 (1985). S. 124f.

7 Ebd., S. 126-133.

8 Eke, Norbert Otto: Einführung in die Literatur des Vormärz. Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Darmstadt 2005. Höhn, Gerhard: Heine-Handbuch. Zeit, Person, Werk. 3. überarbeitete und erweiterte Aufl. Stuttgart 2004. S. 2-32. Reisner, Hanns-Peter: Literatur unter der Zensur. Die politische Lyrik des Vormärz. (Materialien und Untersuchungen zur Literatursoziologie. Bd. 14. Stuttgart 1975).

9 Eke, Norbert Otto. S. 8.

10 Eke, Norbert Otto. S. 27.

11 Reisner, Hanns-Peter. S. 30.

12 Kroneberg, Lutz / Schloesser, Rolf: Weberrevolte 1844. Der schlesische Weberaufstand im Spiegel der zeitgenössischen Publizistik und Literatur. Mit einem Geleitwort von Bernt Engelmann. Köln 1979. Eke, Norbert Otto. S. 131f. Wolff, Wilhelm: Das Elend und der Aufruhr in Schlesien. In: Wehner, Walter. Heinrich Heine, Die schlesischen Weber und andere Texte zum Weberelend. München 1980. S. 72-75.

13 Stauf, Renate. S. 145.

14 Wehner, Walter. Heinrich Heine, Die schlesischen Weber und andere Texte zum Weberelend. München 1980. S. 39.

15 Vgl. Stauf, Renate. S. 144.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Gedichtinterpretation: "Die schlesischen Weber" von Heinrich Heine
Hochschule
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Veranstaltung
Hauptseminar: "Heinrich Heine: Neue Gedichte"
Note
1,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
18
Katalognummer
V127494
ISBN (eBook)
9783640358939
ISBN (Buch)
9783640358861
Dateigröße
449 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gedichtinterpretation, Weber, Heinrich, Heine, Die schlesischen Weber, Gerhard Hauptmann Langenbielau, Gerhard Hauptmann, Langenbielau, Peterswaldau, Vormärz
Arbeit zitieren
Dagmar Ernst (Autor:in), 2008, Gedichtinterpretation: "Die schlesischen Weber" von Heinrich Heine, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/127494

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