Neue Väterlichkeit - Über die Ursachen und Voraussetzungen eines veränderten Vaterbildes


Diplomarbeit, 2009

92 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Das Konzept der neuen Väterlichkeit
2.1 Was ist neue Väterlichkeit?
2.1.1 Mythos neue Väter? Die Schieflage zwischen der Einstellungs-und der Verhaltensebene
2.2 Die traditionelle Vaterrolle vor dem Hintergrund des bürgerlichen Familienkonzepts
2.2.1 Das bürgerliche Familienkonzept
2.2.2 Die traditionelle Vaterrolle
2.3 Traditionelle Väterlichkeit versus neue Väterlichkeit

3 Ursachen der Entwicklung neuer Väterlichkeit
3.1 Gesellschaftliche Veränderungen
3.1.1 Die Freisetzung aus den Geschlechterrollen und die Emanzipation der Frau
3.1.2 Strukturveränderungen und Wertewandel
3.1.3 Familienpolitische und rechtliche Veränderungen
3.2 Persönliche Voraussetzungen
3.2.1 Sozialisationserfahrungen und Persönlichkeitscharakteristiken
3.2.2 Sozioökonomischer Hintergrund, Bildung und Alter
3.2.3 Die Paarbeziehung
3.2.4 Das Kind
3.3 Die Berufstätigkeit und der Arbeitsmarkt als Einflussfaktoren für die kontextbezogene Ausgestaltung der Geschlechterrollen

4 Resümee und Ausblick

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Grundlegendes 4-Rollen-Muster der Kernfamilie

Abbildung 2: Carl Begas (1821): Die Familie Begas

Abbildung 3: „Teufelskreis“ und „Engelskreis“ am Beispiel einer Vater-Kind-Transaktion

„Die Vaterschaft beruht überhaupt nur auf der Überzeugung.“
(Johann Wolfgang von Goethe, 1794-1832)

1 Einleitung

Gegenstand der vorliegenden Arbeit sind Familienväter. In der gegenwärti-gen Diskussion ist immer wieder die Rede von neuer Väterlichkeit, in Folge einer erhöhten Beteiligung von Vätern an der Erziehung und Betreuung ihrer Kinder. Nicht nur in Zeitschriften und Tageszeitungen wird diese Thematik rege debattiert, auch die Anzahl wissenschaftlicher Diskurse steigt stetig an. So kommen, um eines der aktuellsten Beispiele zu nennen, die frankfurter Soziologen Bambey & Gumbinger in ihrer im Jahre 2006 vorgestellte Studie „Neue Vater – neue Kinder?“ zu dem Ergebnis, dass sich rund 28% der Vä-ter dem Konzept der neuen Väterlichkeit zuordnen lassen (vgl. Bambey & Gumbinger 2006: 27). Und auch andere Studien weisen auf das Vorhanden-sein eines neuen Verständnisses der Vaterrolle hin.

Die Rolle des Vaters (bezüglich der innerfamiliären Funktionen) war im geschichtlichen Kontext immer Wandlungen unterworfen. Im 20. Jahrhundert ist sie hauptsächlich durch ihre Loslösung vom Leitbild der traditionellen Vä-terlichkeit geprägt. Welche Einflussfaktoren aber liegen dem Wandel der Va-terrolle hin zu der neu verstandenen Vaterrolle zu Grunde?

Wissenschaftliche Diskurse und Studien konzentrieren sich eher darauf, die Ausgestaltung der neuen Vaterrolle zu beschreiben und deren Einfluss auf den innerfamiliären Bereich zu untersuchen. Selten stößt man auf Stu-dien, welche sich differenziert mit den Ursachen für den Wandel zur neuen Väterlichkeit beschäftigen. Dabei liegt genau in der Betrachtung der gesell-schaftlichen Veränderungen sowie der persönlichen Voraussetzungen der Kern, um die Diskussion um den neuen Vater grundlegend nachvollziehen und das Aufkommen dieses Vaterschaftskonzepts erklären zu können.

Kern dieser Arbeit soll somit sein, das „Warum“ ausführlicher zu betrach-ten. Welche Ursachen lassen sich für die Entwicklung einer neuen Väterlich-keit erkennen?

Um dieser Frage nun detailliert nachgehen zu können ist es unerlässlich, vorangehend einige grundlegende Beobachtungen zur neuen Väterlichkeit zu betrachten. Das zweite Kapitel widmet sich somit dem Konzept der neuen Väterlichkeit und dient dem Einstieg in die Thematik. In Abschnitt 2.1 wird der

Frage nach der Ausgestaltung neuer Väterlichkeit nachgegangen um zu klä-ren, was genau jene Väter auszeichnet, die sich unter dem Etikett des neuen Vaters verbergen. Im Zuge dessen wird auch ein Blick darauf geworfen, in-wiefern Einstellungs- und Verhaltensebene der neuen Väter übereinstimmen und diesbezüglich die Unzulänglichkeit der Konzeptualisierung von Vater-schaft aufgezeigt (Abschnitt 2.1.1). Abschnitt 2.2 beschäftigt sich mit der tra-ditionellen Vaterrolle vor dem Hintergrund des bürgerlichen Familienkon-zepts. Nachdem zunächst das Konzept das bürgerliche Familienkonzept (Ab-schnitt 2.2.1) dargestellt wird, folgt in Abschnitt 2.2.2 die nähere Betrachtung des traditionellen Vaters. Die Darstellung dieser historischen Familienform in-klusive seiner traditionellen Geschlechterrollenverteilung ist deshalb relevant, weil die bürgerliche Familienform auch heute noch vielmals als Maßstab für ein „gängiges“ Familienleben gilt. Der neue Vater wiederum wird am traditio-nellen Modell gemessen und lässt sich deshalb nicht ohne dieses historische Vaterkonzept denken. Anschließend folgt eine Gegenüberstellung von tradi-tioneller und neuer Väterlichkeit (Abschnitt 2.3). Vor dem in Abschnitt 2.2 dar-gestellten historischen Hintergrundwissen wird somit noch einmal das Ver-ständnis des neuen Vaters vertieft und gegenüber des traditionellen Vaters abgegrenzt.

Kapitel drei wendet sich schließlich den Ursachen der Entwicklung neuer Väterlichkeit zu. Dabei wird zwischen gesellschaftlichen Veränderungen (Ab-schnitt 3.1) und persönlichen Voraussetzungen (Abschnitt 3.2) unterschie-den. Im Rahmen der gesellschaftlichen Veränderungen werden die Freiset-zung aus den Geschlechterrollen und die Emanzipation der Frau (Abschnitt 3.1.1), Strukturveränderungen und Wertewandel (Abschnitt 3.1.2) sowie fa-milienpolitische und rechtliche Veränderungen (Abschnitt 3.1.3) als Aspekte erläutert. Das Kapitel der persönlichen Voraussetzungen beschäftigt sich mit Sozialisationserfahrungen und Persönlichkeitscharakteristiken (Abschnitt 3.2.1), Sozioökonomischem Hintergrund, Bildung und Alter (Abschnitt 3.2.2), der Paarbeziehung (Abschnitt 3.2.3) und dem Kind (Abschnitt 3.2.4). In Ab-schnitt 3.3 werden die Berufstätigkeit und der Arbeitsmarkt als Einflussfakto-ren für die kontextbezogene Ausgestaltung der Geschlechterrollen erläutert.

Im abschließenden Kapitel vier werden die in dieser Arbeit dargestellten Erkenntnisse, insbesondere im Hinblick auf den zu Grunde liegenden Schwerpunkt, resümiert und mit einem Ausblick erweitert.

2 Das Konzept der neuen Väterlichkeit

Seit den 70er und 80er Jahren wird in der wissenschaftlichen Literatur wie in den Medien vermehrt vom Wandel der Vaterrolle hin zur neuen Väterlichkeit gesprochen. Angeregt von dem Aufkommen erster feministischer Ansätze (vgl. Benhard & Schaffler 1992; Eckart 1992) rückte das Phänomen der neu-en Väterlichkeit auch immer mehr in den Fokus sozialwissenschaftlicher1 und insbesondere soziologischer Diskurse (vgl. u.a. Dunde 1986; Nave-Herz 1988; ausführlicher Schneider 1989). Darüber hinaus entstand ein „Väter-Markt“ (Walter 2000a: 22) der von Literatur gespeist wurde, die ratgebend und richtungsweisend „werdende und frisch gebackene Väter“ (ebenda) an-zusprechen versuchte. Exemplarisch ist hier das Werk „Wenn Männer Väter werden“ von Bullinger aus dem Jahre 1983 zu nennen. Die wissenschaftli-chen und nicht-wissenschaftlichen Beiträge widmeten sich der Reflexion ei-nes möglichen Einstellungswandels der Väter bezüglich ihrer Rolle und man bemühte sich, diese neue Vaterrolle konzeptuell zu positionieren. Den neuen Vätern wurde eine bewusste Auseinandersetzung mit ihrer Vaterschaft nach-gesagt und das Bedürfnis, sich zunehmend im traditionellen Sinne „mütterli-chen“ Aufgabenbereichen zuzuwenden (vgl. Schneider 1989: 33f.). Dieses neue Verständnis von Vaterschaft stellte ein Novum dar, denn bisher hatte man der Vaterrolle wenig Aufmerksamkeit geschenkt. „Über Jahrzehnte hin-weg existierte ein einziges, normativ verbindliches Leitbild von Vaterschaft, nämlich das Bild des 'traditionellen Vaters'“ (Matzner 1998: 13). Nun traten Väter hervor, die ihre Rolle anderes erleben und ausgestalten wollten. Schneider weist darauf hin, dass die neuen Väter anfangs eher die Ausnah-me bildeten (vgl. Schneider 1989: 41). Dies zeigt sich auch in der Erhebung von Pross aus dem Jahre 1978, die zu dem Ergebnis kam, dass die befrag-ten Väter noch mehrheitlich an traditionellen Mustern festhielten (vgl. Pross 1987).

Einige Jahrzehnte später lässt sich ein anderes Bild feststellen. Fthenakis & Minsel kommen 2002 in ihrer Studie bezüglich der Rolle des Vaters in der Familie zu dem Ergebnis, dass sich etwa 70% der Väter eher in der Rolle des „Erziehers“, denn des „Ernährers“ im klassischen Sinne sehen (vgl.

Fthenakis & Minsel 2002: 264). Das meint, dass für die Väter, welche das Konzept „Vater als Erzieher“ präferieren, instrumentelle Funktionen (wie z.B. sich über die Erziehung und Entwicklung von Kindern zu informieren) und so-ziale Funktionen (z.B. offen für die Anliegen und Probleme des Kindes zu sein) mehr wiegen als die „Brotverdienerfunktion“ und der Nicht-Verzicht auf Karrierepläne (vgl. ebenda: 37). Die heutige Vätergeneration ist, wie Werneck formuliert, einem neuen Vaterschaftskonzept gegenüber nicht nur aufgeschlossen, sondern präsentiert sich auch engagiert, interessiert und den Kindern emotional und fürsorglich zugewandt (vgl. Werneck 2004; auch Keddi & Seidenspinner 2001: 166). Das Bild des des traditionellen Vaters scheint somit zunehmend an Bedeutung verloren zu haben. Betrachtet man empirische Befunde zum tatsächlichen Verhalten der Väter, dann lässt sich belegen, dass es in der heutigen Zeit kaum noch Väter gibt, die sich gar nicht beteiligen. Grunow stellt auf der Basis der individuellen Zeitverwen-dungsdaten des Sozioökonomischen Panels dar, dass sich 1985 16% der Väter von der Kinderbetreuung fern hielten. 2004 brachten sich hingegen nur noch 5% der Väter gar nicht ein (vgl. Grunow 2007: 72).

Folgt man den oben dargestellten Ergebnissen, dann stellt sich zunächst einmal der Frage danach, welchem Verständnis die neue Rolle des Vaters folgt und welche Attribute ihr zugeordnet werden. Es wurde angedeutet, dass die neuen Väter bewusster mit ihrer Vaterschaft umgehen, doch was zeich-net diese neuen Väter noch aus? Welche Definitionen lassen sich in der Lite-ratur finden? Die folgenden Abschnitte widmen sich dieser Darstellung, um den Begriff der neuen Väterlichkeit genauer konkretisieren zu können. Gleichzeitig wird auf die vorfindbare Diskrepanz zwischen der Einstellungs-und der Verhaltensebene neuer Väter hingewiesen und diesbezüglich die Unzulänglichkeit der Konzeptualisierung von Vaterschaft aufgezeigt (Ab-schnitt 2.1.1).

Darüber hinaus wurde angedeutet, dass sich Vaterschaft lange Zeit am Bild des traditionellen Vaters orientierte. Die Familienstruktur und somit das Vaterverständnis im Sinne seiner familieninternen Funktionen wurde durch diese traditionelle Vaterrolle in der bürgerlichen Familie geprägt. Auch heute gilt die bürgerliche Familienform noch als die bekannteste (vgl. Nave-Herz 2006: 37). Eine systematische Auseinandersetzung mit dem Konzept der neuen Väterlichkeit schließt demnach die Darstellung der bürgerlichen

Familie (Abschnitt 2.3.1) und des traditionellen Vaters (Abschnitt 2.3.2) ein. Schließlich lässt sich Neues (eben das Bild des neuen Vaters) nur an bereits Bestehendem, in diesem Fall dem Leitbild des traditionellen Vaters, ausma-chen.

2.1 Was ist neue Väterlichkeit?

In der Literatur stößt man auf eine Vielfalt an Begriffen, die die neuen Väter beschreiben sollen. So zum Beispiel „egalitäre Väter“, „familienorientierte bzw. familieninvolvierte Väter“ (vgl. Herlth 2000; Matzner 2004), „aktive“ (vgl. Schmidt-Denter 1988) oder „engagierte Väter“ (vgl. Fthenakis 1999) und im negativ gemeinten Sinne „abwesende Väter“ (vgl. Roth 1991). Dies macht deutlich, dass bis dato kein allgemein gültiges und explizites (neues) Vater-bild existiert. Im Großen und Ganzen wird neue Väterlichkeit jedoch als eine positive verstanden. Folgend soll nun eine Auswahl der gängigen Definitions-ansätze aufgezeigt werden, um das Bild des neuen Vaters in seiner Vielfältig-keit konkretisieren zu können.

Der neue Vater als egalitärer Vater

In Anlehnung an Zulehner & Volz lassen sich unter dem Begriff neue Väter im weitesten Sinne all jene Männer bzw. Väter mit einer „zeitgenössisch-mo-dernen“ (Zulehner 2003: 17f.) Geschlechterrollenorientierung summieren. In der repräsentativen Studie „Männer im Umbruch“ halten die beiden Autoren fest, dass für den neuen Mann bzw. Vater folgende familien- und berufsbezo-gene Aspekte relevant sind:

1) Es ist eine Bereicherung, in Erziehungsurlaub zu gehen um die Be-treuung des Kindes zu übernehmen.
2) Frauenemanzipation ist eine positive Entwicklung.
3) Sowohl Ehemann als auch Ehefrau sollen zum Haushaltseinkommen beitragen und dies im optimalsten Falle
4) in einer halbtäglichen Erwerbsstelle, um eine gemeinschaftliche Parti-zipation an Haushalt und Kinderbetreuung zu ermöglichen (vgl. Zulehner & Volz 1998: 35).

Der neue Vater als egalitärer Vater zeichnet sich vor allem als solcher aus, weil er ein gleichberechtigtes Rollenkonzept befürwortet und ein traditionelles ablehnt (vgl. Bambey & Gumbinger 2006: 29; Fthenakis & Minsel 2002: 41). Dies äußert sich nicht nur in einer positiven Haltung zu einer gleichberech-tigten Aufteilung familienrelevanter Aufgaben, sondern auch in der persönli-chen Zuschreibung emotionaler Fähigkeiten. Demnach zeichnet sich dieser Vatertypus auf emotionaler Ebene durch seine größere Gefühlsoffenheit aus. Er sieht sich nicht nur in der Lage, seine Gefühle zu artikulieren (vgl. Astrachan 1992: 360; Zulehner & Volz 1999: 23), sondern zeigt zudem ein im traditionellen Sinne „muttertypisches“ expressiveres Verhalten im Umgang mit den Kindern (vgl. Herlth 2000: 119).

Der neue Vater als familienorientierter und familieninvolvierter Vater

Die Familienorientierung der neuen Väter zeigt sich in der Bedeutung, der sie der Familie und dem Beruf beimessen. So wiegt für diese Väter die Erfüllung innerhalb der Familie und der Vaterschaft mehr, als die berufliche Verwirkli-chung (vgl. Matzner 2004: 425ff.; Beck-Gernsheim 1984: 179f.). Solche Ten-denzen lassen sich auch in der bereits zitierten Studie von Fthenakis & Minsel erkennen, wenn diese darauf hinweisen, dass der „Vater als Erzieher“ die instrumentellen und sozialen Funktionen höher bewertet als die „Brotver-dienerfunktion“ und die Karriereorientierung (vgl. Fthenakis & Minsel 2002: 66).

Herlth geht davon aus, dass sich anhand der Familienorientiertheit des Vaters Rückschlüsse auf seine Geschlechterrollenvorstellungen ziehen las-sen. So deutet ein hohes Maß an väterlicher Familienorientierung auch auf egalitäre Rollenvorstellungen seinerseits hin. Die Familienorientierung wirkt sich wiederum positiv auf die tatsächliche Haushaltbeteiligung aus. Anhand dieser beiden Indikatoren lässt sich laut Herlth das Ausmaß der väterlichen Familieninvolviertheit messen (vgl. Herlth 2000: 110ff.). Geht man also davon aus, dass neue Väter familienorientiert sind und sich zudem an Haushalts-aufgaben beteiligen, dann kann man sie als familieninvolviert bezeichnen.

Der neue Vater als engagierter und aktiver Vater

Die Aktivität und das Engagement des neuen Vaters bezieht sich, wie oben laut Herlth beschrieben, auf seine Beteiligung an haushaltsrelevanten Berei-chen. Im Zuge der Diskussion um väterliche Beteiligung, die in Deutschland ihre Anfänge in den 1980er Jahren fand, zog man auf sozialwissen-schaftlicher Ebene das väterliche Engagement als Indikator heran, um einen Wandel väterlicher Orientierung festzustellen (vgl. Bereswill et al. 2006: 8f.). Schmidt-Denter identifizierte demnach 1988 neue Väter als diejenigen, die in der Vater-Kind-Interaktion erhöhte Aktivität bewiesen (vgl. Schmidt-Denter 1988: 50f.). Auch in der aktuellen wissenschaftlichen Betrachtung des neuen Vaters wird als entscheidender Bestandteil des neuen Konzepts das hohe Maß an Engagement herangezogen (vgl. u.a. Grant 1992: 35; Fthenakis 1999; Matzner 2004; Werneck 1998). Herlth fasst diesbezüglich zusammen, dass die neuen Väter

„ein deutliches Interesse am Umgang mit ihren Kindern demonstrieren, indem sie z.B. nicht nur Wert auf die Anwesenheit bei der Geburt legen, sondern sich auch in der Säuglingspflege beteiligen, die Kinder betreu-en und mit ihnen spielen sowie auch im Haushalt vermehrt Aufgaben übernehmen.“ (Herlth 2000: 107)

Der neue Vater als verunsicherter Vater

Resümiert man die oben dargestellten Ergebnisse, dann scheint sich neue Vaterschaft gewissermaßen an den bislang von Frauen absolvierten Leistun-gen zu orientieren. Nicht zuletzt die angesprochene Fürsorglichkeit und emo-tionale Zuwendung der neuen Väter gegenüber dem Nachwuchs lässt Kriti-ker von einer Vereinnahmung oder Nachahmung der Mutterrolle durch den Vater sprechen (vgl. hierzu Bopp 1986: 55ff.; Lenzen 1991: 246). Fernab des traditionellen Leitbildes, das zunehmend an normativer Gültigkeit verliert, fehlt den neuen Vätern die Orientierung. Cyprian formuliert treffend, dass „die heutige Vätergeneration in der Rückbesinnung auf ihre eigenen Väter kaum Parallelen ziehen kann [...], da ein Modell im Hinblick auf 'zeitgemäße' väterli-che Rollen und Funktionen nicht zur Verfügung steht“ (Cyprian 2007: 29). Die Verunsicherung der neuen Väter resultiert jedoch nicht nur aus den fehlenden Orientierungsmöglichkeiten, sondern auch an den divergenten Ansprüchen, die gesellschaftlich und individuell an Vaterschaft und Männlich-keit gestellt werden.

Wenngleich neue Männer bzw. Väter sich nicht mehr vorrangig über die Rolle des Ernährers definieren, wird die Sicherung des Familieneinkommens nach wie vor überwiegend von den Vätern übernommen. Diese Tatsache geht mit der Vorstellung vieler Paare über die familieninterne Aufgabenvertei-lung konform. Wie der „Datenreport 2006“ des Statistischen Bundesamtes zeigt, wird die Hauptsicherung des Familieneinkommens weiterhin als Aufga-be der Väter angesehen. Erwähnenswert bleibt jedoch, dass im Vergleich zu vergangenen Jahren weitaus weniger Paare dieser Ansicht zustimmen (vgl. Statistisches Bundesamt 2006a: 519ff.).

Von Vätern wird aber nicht nur weiterhin erwartet, dass sie als „Brotver-diener“ fungieren, sondern dass sie darüber hinaus im Familienkontext prä-sent und aktiv sind. Diese Ansprüche werden nicht ausschließlich von den Partnerinnen gestellt, auch die Väter selbst wollen die Familie sowohl mit si-cherem Einkommen versorgen als auch engagiert für ihre Kinder da sein und die Partnerin im Haushalt unterstützen (vgl. Peitz 2006a: 36). Somit stehen viele Männer vor einem Dilemma. Auf der Handlungsebene ist es ihnen oft-mals schwer möglich, dem gedanklich präferierten Konzept der neue Väter-lichkeit zu folgen. Viele Väter, die sich weiterhin vorrangig dem Beruf wid-men, bewältigen den Zwiespalt, indem sie zumindest für kindbezogene Frei-zeitaktivitäten vermehrt Zeit aufbringen. Dieser Zusammenhang kann als Er-klärungsansatz für die in Studien zu väterlicher Partizipation immer wieder deutlich werdende Tatsache, dass Männer im Umgang mit ihrem Nachwuchs eher spielerische als pflegebezogene Aufgaben übernehmen.

Die zunehmende Betonung der sozialen „expressiven“ Funktionen des Familienvaters stellt die neuen Männer bzw. Väter vor noch eine andere Un-sicherheit. Neue Männer unterscheiden in Bezug auf Geschlechterrollenvor-stellungen zwar nicht in dem Maße zwischen Männern und Frauen wie tradi-tionelle Männer es tun, dennoch haben auch sie stereotypische Vorstellun-gen darüber, was das jeweilige Geschlecht auszeichnet. Das männliche Geschlecht wird verbunden mit Attributen wie Stärke, Selbstvertrauen und Dominanz, das weibliche mit u.a. Gefühlsbetontheit, Gepflegtheit und Mitge-fühl.

Trotz bestehender Modernisierungstendenzen in Bezug auf das Vaterver-ständnis herrscht auch bei neuen Männern bzw. Vätern diese traditionell ge-prägte Geschlechterrollenvorstellung vor (vgl. Zulehner & Volz 1998: 234). Somit sehen sich viele neue Väter vor die Aufgabe gestellt, ihre emotionale und fürsorgliche Seite zu zeigen, ohne sich dabei „unmännlich“ zu fühlen. Schon Bullinger bemerkte 1983 diesen Zusammenhang und postulierte, dass die Definition der neuen Vaterschaft eine Infragestellung männlicher Ge-schlechtsidentität mit sich bringe. Gleichzeitig biete sich aber auch die Chan­ce auf eine Erweiterung der Männeridentität im positiven Sinne (Bullinger 1983: 22ff.). Die Infragestellung der Geschlechtsidentität lässt sich aber auch auf gesellschaftlicher Ebene bemerken. Trotz allgemein gewandelter An-spruchshaltungen an das Vatersein, scheint in vielerlei Köpfen „Mannsein“ noch immer an stereotype Eigenschaften gekoppelt. Auch ein Vater muss noch immer „männlich“ sein und „männliche“ Funktionen erfüllen. Thomä bit-tet in seinem neuen Buch „Väter. Eine moderne Heldengeschichte“ Promi-nenz zu Wort. So erfährt man, dass Karl Lagerfeld Brad Pitt nachsagt, dieser sei nur noch Kindermädchen und vernachlässige darüber hinaus seine Kar-riere (vgl. Thomä 2008: 18f.). Auch wenn eine solche Aussage nicht voreilig verallgemeinert werden sollte und man annehmen kann, dass in Lagerfelds Aussage sein Geschäftssinn (und wahrscheinlich sogar seine Ge-nerationszugehörigkeit) mitschwingen, so lässt sich doch auch der oben be-schriebene Zwiespalt neuer Väterlichkeit erkennen.

2.1.1 Mythos neue Väter? Die Schieflage zwischen der Einstellungs-und der Verhaltensebene

Das Vorhandensein neuer Väter auf der Handlungsebene wird oftmals in Fra-ge gestellt. Neue Väter seien ein „Mythos“, lässt sich als These in der Litera-tur finden (vgl. u.a. Tazi-Preve 2006: 119ff.) oder gar eine „Vater Morgana“ (Mühling & Rost 2007: 14).

Auf der Einstellungsebene lassen sich sehr wohl neue Väter anhand der Daten einiger Studien belegen. Exemplarisch zu nennen sind hier die bereits zitierte Studie von Zulehner & Volz, die 19% der westdeutschen Männer als neue Männer identifizieren konnten (vgl. Zulehner & Volz 1999: 50), sowie jene von Gumbinger & Bambey, laut denen sich rund 28% der Väter dem Konzept der neuen Väterlichkeit zuordnen lassen (vgl. Bambey & Gumbinger 2006: 27). Der normative Einstellungswandel zum väterlichen Verhalten geht auch aus Studien hervor, die belegen, dass Familienväter aus eigener Initiati­ve heraus ihre mangelnde Haushaltsbeteiligung begründen oder entschuldi-gen (etwa auf Grund fehlenden Geschicks oder Zeitmangels) (vgl. Hartenstein et al. 1988: 58ff.). Dieses Verhalten der Männer kann als Indiz dafür herangezogen werden, dass sie sich bewusst sind, dass die traditionel-le Arbeitsteilung normativ nicht mehr vorherrschend ist.

Auf der Verhaltensebene zeigt sich dennoch ein anderes Bild als das, was Männer im Sinne des neuen Vaterschaftskonzepts auf der gedanklichen Ebene zeichnen. Und hier setzen auch die Kritiker an, wenn sie den Wandel der Vaterrolle in Frage stellen. Aktuelle Studien zeigen, dass in der Realität das traditionelle Konzept der innerfamilialen Arbeitsteilung nach wie vor in der Mehrzahl der Familien vorherrscht. Betrachtet man den Zeitaufwand, den Männer und Frauen im Haushalt bzw. in der Kinderbetreuung aufbringen, so scheint die erstmalig von Beck erwähnte „Verhaltensstarre“ (Beck 1986: 169) der Männer auch aktuell gewissermaßen noch gegeben zu sein. Die im Jahre 2003 vom Statistischen Bundesamt veröffentliche Studie „Wo bleibt die Zeit?“ veranschaulicht, dass in einer Paarbeziehung mit Kindern die Mütter etwa zweieinhalbmal soviel Zeit wie die Väter für Haushaltstätigkeiten und Kinderbetreuung aufbringen (vgl. Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend/Statistisches Bundesamt 2003: 14ff.). Und auch voran-gegangene Studien weisen darauf hin, dass Familienväter weitaus weniger haushalts- und kindbezogene Dinge erledigen, als es ihre Frauen tun (vgl. hierzu u.a. Fthenakis & Minsel 2002; Keddi & Seidenspinner 1991; Künzler 1994; Walter & Künzler 2002).

Es darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass sich Männer, wie bereits erwähnt, im Gegensatz zu früheren Jahren zeitlich gesehen tatsäch-lich mehr mit der Haushaltsführung und der Kinderbetreuung beschäftigen (vgl. Pinl 2004: 23ff.)2. Summa summarum beteiligen sich Väter im Bereich Haushalt jedoch eher an handwerklichen Tätigkeiten oder beim Erledigen des Einkaufes bzw. der Haushaltsplanung (vgl. Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend/Statistisches Bundesamt 2003: 16f.). Im Umgang mit dem Nachwuchs bevorzugen sie eher spielerische Freizeitaktivitäten denn pflegebezogene Aufgaben (vgl. Fthenakis 2002: 84).

In Anbetracht des belegbaren Einstellungswandels der Väter dürfen zwei Aspekte nicht vernachlässigt werden, bevor anhand der noch immer gerin-gen Beteiligung der Väter das Vorhandensein neuer Väter in Frage gestellt wird. Zum einen mögen „die meisten gesellschaftlichen Veränderungen - subjektiv, aus der Zeitperspektive eines Menschenlebens, extrem langsam bis kaum merkbar erscheinen, aus der historischen Perspektive aber ver-gleichsweise rasch und auch von seiner Dimension her nicht unbedeutend“ (Werneck 2004). Zum anderen wirken auch immer gewisse Rahmenbedin-gungen förderlich oder hinderlich auf Handlungsoptionen ein. Dieser Aspekt wird im Laufe der Arbeit noch näher betrachtet.

Wie oben angesprochen wird in der Literatur aufgrund der Diskrepanz zwischen der Einstellungen und dem Verhalten vieler Väter von einer „Ver-haltensstarre“ gesprochen. Ein Ansatzpunkt zur Überwindung dieser Schief-lage liegt in der Umorientierung der Väterforschung in Bezug auf die Erhe-bung väterlichen Engagements. Solche „Appelle“ lassen sich in der Literatur vermehrt finden3. Cyprian kritisiert an den bestehenden Untersuchungen zur väterlichen Partizipation an haushalts- und kindzentrierten Leistungen die „enge[...] Konzeptualisierung der Vaterschaft“ (Cyprian 2007: 37). So fehle es in diesem Rahmen an der Einbeziehung von u.a.

a) alltäglichen indirekten Leistungen (z.B. materielle Versorgung, Dienst-leistungen wie Fahrdienst, Kontrollleistungen bei den Hausaufgaben),
b) Vater und Kind gemeinsam ausgeübten Interessen und Aktivitäten,
c) direkt und indirekt geäußerten Formen von Fürsorglichkeit, Schutz und emotionaler Zuwendung gegenüber dem Kind und
d) der affektiven Bedeutung des Kindes für den Vater bzw. die gedankliche Auseinandersetzung mit dem Nachwuchs (vgl. ebenda: 37).

Die unzureichende Konzeptualisierung von väterlichen bzw. elterlichen Enga­gements kritisiert auch Palkovitz. Anhand eigener Datenanalysen hat er ein erweitertes „Modell elterlichen Engagements“ entwickelt, das 15 Kategorien einschließt4, die er wiederum nach verhaltensbezogenen, kognitiven und af-fektiven Bereichen unterscheidet. Interessant an diesem Modell ist, dass Palkovitz neben bereits gängigen Kategorien wie Versorgung, gemeinsame Aktivitäten und Kommunikation, vermehrt Kategorien des kognitiven und af-fektiven Bereiches miteinschließt und besonders hervorhebt. Er geht davon aus, dass es nicht ausreicht, nur die verhaltensbezogene Ebene insbeson-dere väterlichen Engagements zu betrachten und stützt seine Ansicht auf ei-gene Untersuchungsergebnisse. Er fand heraus, dass ein großer Teil des täglichen Bewusstseins, Handelns und Denkens der Väter durch kindbezo-gene Gedanken beeinflusst wird. Väterliches Engagement kann sich somit direkt äußern, aber ebenso indirekt (vgl. Palkovitz 1997, zitiert nach Matzner 2004: 30; auch Fthenakis 2002: 96f.). Der vermehrte Einsatz des Vaters im Berufsleben kann u.U. auch als indirektes Engagement betrachtet werden, denn viele Männer betrachten den Einkommenserwerb „als eine männliche Form der Sorge, als ihren Beitrag zur Familienarbeit“ (Gesterkamp 2007).

2.2 Die traditionelle Vaterrolle vor dem Hintergrund des bürgerlichen Familienkonzepts

Laut dem Brockhaus lautet die Definition von Familie: „[...] das Elternpaar mit den unselbständigen Kindern als Einheit des Haushaltes“ (Brockhaus 2005: 702). Wie sich im folgenden Abschnitt zeigen wird, stimmt diese Definition von 2005 mit dem Bild der bürgerlichen Familie überein. Nave-Herz geht da-von aus, dass „die Maßstäbe für ein vermeintlich 'normales' Familienleben [...] noch immer [...] mit dem Blick auf ein bestimmtes Familienmodell [bestimmt werden], nämlich das Bürgerliche“ (Nave-Herz 2006: 37). Um einen Einblick in dieses Familienmodell zu gewinnen, widmet sich der folgen-de Abschnitt der Darstellung des bürgerlichen Familienkonzepts. Nun ist der Gegenstand der vorliegenden Arbeit nicht die Familie sondern der Familien-vater. Wenn man jedoch die Rolle des Vaters fokussieren möchte, dann kann dies nur über die Einbeziehung des gesamten Systems Familie geschehen. Väter gibt es nur, weil es auch Mütter und Kinder gibt. Und die Funktionen, die von einem Vater erwartet werden, beziehen sich in erster Linie auf den familialen Binnenraum und stehen immer auch in Abhängigkeit zu den Rollen der übrigen Familienmitglieder. Dies gilt selbstverständlich nicht nur für das Konzept der bürgerlichen Familie, kann jedoch anhand dessen sehr deutlich beschrieben werden.

2.2.1 Das bürgerliche Familienkonzept

Mit dem Aufkommen der Industrialisierung Ende des 18. und Beginn des 19. Jahrhunderts vollzog sich ein Wandel der sozialen, wirtschaftlichen und politi-schen Verhältnisse. Die wirtschaftliche und technische Expansion hatte zur Folge, dass die für die vorindustrielle Gesellschaft typische Grundstruktur des Hauses5 als Einheit von Produktionsbetrieb und Wohnort zerfiel (vgl. Görtemaker 1996: 179f.). Es kam nunmehr zu einer räumlichen Trennung von Arbeits- und Lebenswelt, die nicht nur das private vom öffentlichen Le-ben differenzierte (vgl. Peikert 1982: 131f.), sondern auch eine geschlechtss-pezifische Arbeitsteilung zwischen (Ehe-)Mann und (Ehe-)Frau hervor-brachte. Der Familienverband war nunmehr der Bereich, der Emotionalität, Intimität und Ruhe bot, welchem gegenüber die Arbeitswelt stand. (vgl. Fthenakis 1999: 20). In diesem Zusammenhang wird vom Privatisierungs-, Intimisierungs- und Emotionalisierungsprozess der Familie gesprochen. Das bedeutet zum einen, dass die Zweigenerationengruppe aus Eltern und Kin-dern als dominierende Lebensform betrachtet werden konnte6 (vgl. Walter 2002b: 91 f.). Zum anderen bedeutet es, dass mit der Privatisierung einhergehend der familiäre Binnenraum als Ort der emotionalen Bindungen und Intimitäten angesehen wurde. „Die emotionale und intime Beziehung der Ehepartner zueinander [...] [sollte] im Mittelpunkt des Zusammenlebens [ste-hen] und nicht wie im Ganzen Haus die wirtschaftliche Produktion“ (Mühling et al. 2006: 14).

Auch den Kindern wurde im Zuge dieser Prozesse mehr Beachtung ge-schenkt. Anderes als in vorindustriellen Familien, in denen Kinder eher als Arbeitskraft zu dienen hatten, wurde ihnen zunehmend eine eigenständige emotionale Bedeutung zugewiesen. Die Pflicht und Verantwortung der Eltern (in erster Linie der Mutter) bestand nunmehr darin, den Familienbinnenraum so zu gestalten, dass dem Nachwuchs ein kindgerechtes Aufwachsen mög-lich war (vgl. Walter 2002b: 98).

Dieses Modell der Geschlechterrollendifferenzierung, welches als das tra-ditionelle angesehen wird, regelte jedoch nicht nur den Aspekt der Arbeitstei-lung, sondern diente hiermit einhergehend auch als ein strukturierendes Ele­ment der Beziehungen innerhalb der Kernfamilie (vgl. Parsons & Bales 1955: 22). Der Begriff der Kernfamilie (nuclear family) stammt von Parsons, der im Rahmen der Beschreibung des bürgerlichen Familienideals die Kernfamilie als ein von der Herkunftsfamilie isoliertes soziales System mit bestimmten strukturellen Merkmalen definiert. So besteht die Kernfamilie aus miteinander verheirateten Eltern und ihren noch abhängigen Kindern (vgl. ebenda: 10). Darüber hinaus lassen sich laut Parsons zwei biologische Differenzierungs-grundlagen, nämlich einerseits das Geschlecht und andererseits die Genera-tionsfolge, als strukturierende Merkmale der Kernfamilie hervorheben. Aus diesen beiden Merkmalen differenziert der Autor die familiale Struktur weiter und hebt hervor, dass die typische Kernfamilie ein für Kleingruppen bezeichnendes Vier-Rollen-Muster7 aufweist: „eine hierarchische Differenzie-rung in Führungs- und Gefolgschaftsrollen, und eine qualitative Differenzierung in mehr instrumentale und expressive Rollen“ (Parsons 1986: 112). Demnach ergeben sich zwei Achsen, wobei die Generationsfolge als Achse der Macht-oder Hierarchie-Differenzierung, das Geschlecht als Achse der Instrumental-Expressiv-Differenzierung fungiert. Abbildung 1 bietet ein anschauliches Bild über die beschriebene Rollenstruktur.

Abbildung 1: Grundlegendes 4-Rollen-Muster der Kernfamilie

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

In Anlehnung an Parsons & Bales 1955: 46.

Entsprechend dieser Ausgestaltung der jeweiligen Rollen ergibt sich die oben bereits angesprochene geschlechtsverbundene Aufgabenverteilung inner-halb der Kernfamilie. Die Rolle der Mutter und die damit einhergehende Funktion stellt sich als mehr expressiv dar. Sie ist somit für „die Harmonie oder Solidarität der [...] [Familie] selbst, die internen Beziehungen der [...] [Familienmitglieder] untereinander und die 'emotionalen' Spannungszustän-de“ (Parsons 1986: 112) zuständig und kann als „emotionaler Kern“ der Fa-milie betrachtet werden. Darüber hinaus ist die Mutter als Hausfrau in erster Linie für das Führen des Haushaltes und die Fürsorge und die Erziehung der Kinder zuständig (vgl. Parsons & Bales 1955: 14). Parsons nennt als Begrün-dung für diese Zuweisung die „universale Tatsache, dass Frauen soviel en-ger mit der Fürsorge des Kleinkindes befasst sind als Männer (wobei das Stillen eine sehr wesentliche Rolle spielt)“ (Parsons 1968: 112). Der Vater übernimmt hingegen nach Parsons Darstellung die instrumentelle Führung der Familie, indem er sie zum einen nach außen vertritt und zum anderen für deren ökonomische Versorgung durch Erwerbseinkommen zuständig ist (vgl. Parsons & Bales 1955: 12; 47).

Parsons hebt hervor, dass der Berufsstatus des Vaters derjenige ist, durch den auch der Status der gesamten Familie als System festgelegt wird. Er argumentiert dies mit den Tatsachen, dass erstens die Kinder in der Regel nicht arbeiten8 und zweitens die Mutter neben ihrer Funktion als Hausfrau lediglich eine Nebentätigkeit, nicht aber einen festen Beruf hat (vgl. Parsons 1986: 103). Diese ungleichmäßige Beziehung von Mann und Frau zum Be-rufssystem stellt für den Autor eine gewisse funktionale Relevanz dar. Die Solidarität der Ehe und die Aufrechterhaltung der Liebe wird durch eventuell aufkommende Wettbewerbsgedanken hinsichtlich der statusbildenden Be-rufsrollen nicht gefährdet. Darüber hinaus bleiben die geschlechtsspezifi-schen Aufgabenbereiche klar definiert und voneinander trennbar. Sowohl die instrumentalen als auch die expressiven Rollenfunktionen werden vom zu-ständigen Elternteil übernommen und ergänzen sich im Sinne einer Koalition (vgl. ebenda: 101ff; 113f.). Die primäre Funktion der Familie, nämlich die der Reproduktion und der kindlichen Sozialisation, König (1974) benennt es als die „biologisch-soziale Doppelnatur“ (vgl. König 1974: 96), kann somit ge-währleistet werden.

Walter hält fest, dass „die traditionell bürgerliche Familie [...] sich durch den Vater [definiert], [...] durch den Vater beherrscht und durch den väterli-chen Interaktionsstil geprägt [wird]“ (Walter 2002b: 93). Ausgehend von die-ser Aussage wird im Folgenden die traditionelle Rolle des Vaters näher erläu-tert.

2.2.2 Die traditionelle Vaterrolle

Das traditionelle Rollenverständnis des Vaters hat, wie bereits oben ange-führt, seine Wurzeln in der bürgerlichen Familie der Industrialisierung im 18. und 19. Jahrhundert. Gemäß der traditionellen Differenzierung war der Vater in erster Linie über seine Haupternährerrolle in die Familie eingebunden. Er sorgte somit für die ökonomische Sicherheit dieser und fungierte darüber hin-aus als ihr Repräsentant in der Öffentlichkeit sowie als Vermittler gesell-schaftlicher Werte und Normen gegenüber der Frau und den Kindern. Mit der Übernahme der Versorger- und Ernährerrolle spezialisierte sich der Vater auf den Bereich der außerfamilialen Aufgaben. Im Berufssystem konnte er sich, anders als in der vorindustriellen Agrargesellschaft, in der die soziale Position an den durch die Geburt erworbenen Stand gebunden war (vgl. Neidhardt 1966: 24), durch Leistung seinen gesellschaftlichen Status erarbeiten.

„Die väterliche Autorität ergab sich in diesem Familienmodell im we-sentlichen aus der Stellung des Vaters innerhalb der gesellschaftlichen Berufshierarchie und seiner ökonomischen Unabhängigkeit, für die er sowohl von seiner Frau wie von seinen Kindern Gehorsam und Unter-ordnung einfordern konnte.“ (Bertram 1997: 377)

Gemäß der oben nach Parsons aufgezeigten instrumentell-expressiven Ko-alition der Eltern innerhalb der quadratischen Rollenbeziehungen aus den einzelnen Familienmitgliedern der Kernfamilie, übernimmt der Vater somit die instrumentelle Führungsposition innerhalb der Familie. Seine primäre Rolle war jedoch in erster Linie im Berufssystem verankert (vgl. Parsons & Bales 1955: 14f.). Er widmete sich gemäß dieser Rolle tagsüber der Einkommens-beschaffung und war dementsprechend im Familienverband, in erster Linie für den Nachwuchs und deren Erziehung, nicht verfügbar. Ein konkreter Familienbezug war demnach kaum gegeben (vgl. Macha 1999: 21f.).

Dem Vater stand aufgrund seiner Position als Familienoberhaupt zwar die Entscheidungsfreiheit in familieninternen Angelegenheiten zu, er musste hier jedoch im Zuge seiner berufsbedingten häufigen Abwesenheit einen Großteil seiner Macht an die Ehefrau abgeben. Diese hatte als expressiver Part der Familie nicht nur für Heim und Kinder zu sorgen, sondern übernahm darüber hinaus auch „eine Vermittlerfunktion zwischen dem Vater und den Kindern“ (Nave-Herz 2006: 52) und band „mit ihrer 'Herzenswärme' den Mann und Va-ter an Haus und Familie“ ( Tyrell & Herlth 1994: 8). Im privaten und intimen Bereich des Familienverbandes konnte sich der Mann vom Arbeitsalltag und seiner Funktion als „Weltbürger im öffentlichen Bereich“ (Drinck 2005: 18) er-holen, wohlwissend, dass die Frau als „Verwalterin des Hauses“ (ebenda: 18) sein Bedürfnis nach Ruhe und Erholung befriedigen würde, indem sie ihm nahezu alle familieninternen Aufgaben abnahm.

Die Rolle des Mannes als Ernährer und Oberhaupt der Familie ließ sich zweifelsohne nur in der Polarität zur Mutterrolle denken und durchführen. Denn um uneingeschränkt der beruflichen Verpflichtung nachgehen zu kön-nen, brauchte es eben den auf die Binnenwelt der Familie ausgelegten Ge-genpol – die Ehefrau und Mutter. (vgl. Herlth 2000: 106). Im Gegenzug bot er ihr durch sein Einkommen ökonomische Sicherheit und einen sozialen Sta­tus.

Die traditionelle Vaterrolle wurde mit Attributen wie Autorität, Disziplin, Ernsthaftigkeit und emotionale Distanziertheit verbunden und dementspre-chend trat der Vater den Kindern, insbesondere den Söhnen9, auch gegen-über (vgl. Schütze 1988: 127). Aus der frühkindlichen Fürsorge des Nach-wuchses hielt er sich weitestgehend heraus und wendete sich diesem statt-dessen erst ab einem gewissen Alter zu, um ihm für die Vorbereitung auf und die Einführung in das gesellschaftliche Leben sowohl relevantes Wissen als auch Werte und Normen zu vermitteln. De facto waren

„Väter in der Binnenwelt der Familien [jedoch] vor allem symbolisch präsent und ihr unmittelbarer Umgang mit Kindern beschränke sich meistens auf symbolische Akte des 'Erziehens' (zum Bespiel disziplina-rische Maßregelungen) oder der 'Familienpräsentation' (zum Beispiel der Sonntagsspaziergang).“ (Herlth 2002: 587)

Der Vater stand der emotionalen „Mutter-Kind-Einheit“, die auf die Hauptver-antwortlichkeit der Mutter für die Kinder gründete, in gewissen Maße ausge-grenzt gegenüber und galt in dem Umgang mit dem Nachwuchs eher als „oberster Normenvollstrecker“ (Schütze 1988: 125), denn als primäre innerfa-miliäre Bezugsperson (wie sie die Mutter darstellte). Er war in erster Linie Er-nährer und Beschützer der „Mutter-Kind-Dyade“.

Einen interessanten Einblick in das bürgerliche Familienleben bzw. das Auftreten des Vaters darin bietet Erikson anhand seiner Schilderungen:

„Wenn der Vater nach Hause kommt, scheinen sich selbst die Wände 'zusammenzunehmen'. Die Mutter, obwohl sie häufig der inoffizielle Herr im Hause ist, benimmt sich jetzt so anders [...]. Sie beeilt sich, die Wün-sche und Launen des Vaters zu erfüllen, und vermeidet alles, was ihn ärgern könnte. [...] [D]er Vater duldet [...] nichts von der weiblichen Stimmung der Mutter, von der spielerischen Art der Kinder. Solange er zu Hause ist, hat die Mutter zu seiner Verfügung zu stehen; sein Verhal-ten drückt aus, daß er die Einheit von Mutter und Kind mißbilligt, die sie in seiner Abwesenheit genossen haben. [...] [M]anche 'Ungezogenheit des Kindes [...] verbirgt [sie vor dem Vater] – wenn und wann es ihr be-liebt. [...] [Aber] oft [...] [veranlasst sie] den Vater [...], periodische körper-liche Züchtigungen für Untaten durchzuführen, deren Einzelheiten ihn nicht interessieren. [...] Später, wenn der Sohn Gelegenheit findet, den Vater in der Gesellschaft zu beobachten, wenn er dessen Unterwürfig-keit gegenüber Vorgesetzten [...] entdeckt, entwickelt der Junge [...] einen tiefen Zweifel an der Würde des [...] 'Alten'. All das besteht natür-lich gleichzeitig mit Respekt und Liebe für den Vater.“ (Erikson 1974: 325f.; auch Martin 1989: 45)

Diese Darstellung wirkt zwar aufgrund seiner durchklingenden Kritik relativ überspitzt und stimmt mit Sicherheit nicht in jeder Einzelheit mit der damali-gen Realität überein, dennoch vermag sie anschaulich die Grundstimmung innerhalb einer bürgerlichen Familie vermitteln und dementsprechend widerspiegeln, wie der Idealtyp des Vaters im 18. und 19. Jahrhundert aussah.

Die idealen Vorstellungen über die Rollenverteilung der bürgerlichen Fa-milie stellt auch Begas in seinem Gemälde „Die Familie Begas“ (Abb. 2) dar. Die relativ zentrale Positionierung sowie die Größendarstellung des Vaters im Vergleich zu den anderen Personen auf dem Gemälde spiegelt zugleich die Position des Vaters innerhalb der Familie wider. Dennoch wird anhand seiner Körperhaltung auch deutlich, dass er im familialen Binnenraum die Rolle des emotional Abgeschiedenen einnimmt, den die Familie als Autoritätsperson achtet und hinnimmt.

Abbildung 2: Carl Begas (1821): Die Familie Begas

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: http://www.museenkoeln.de/homepage/default.asp?s=168&bdw=2004_19 [Stand: 11.09.2008]

[...]


1 Die ausführliche Darstellung der sozialwissenschaftlichen Väterforschung würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit überschreiten. Vgl. für einen Überblick u.a. Walter 2002a.

2 Von entscheidender Relevanz in Bezug auf das Maß der Beteiligung von Vätern in haushalts- und kindbezogenen Bereichen sind jedoch bestimmte Faktoren (u.a. das Alter, der Bildungsstand und die Sozialisationserfahrungen der Männer). Darauf wird in Abschnitt 3.2 dieser Arbeit eingegangen.

3 Sehr umfassend wird der Bedarf der Horizonterweiterung im Rahmen einer systemati-schen Väterforschung von Fthenakis 1999: 32ff. dargestellt.

4 Für einen ausführlichen Überblick vgl. u.a. Fthenakis 2002: 96.

5 Für eine ausführliche Darstellung der Familie in der vorindustriellen Gesellschaft siehe u.a. Nave-Herz 2006: 37 ff.

6 Die vorindustrielle Zeit hingegen wurde geprägt vom Konstrukt des „Ganzen Hauses“. Hier lebten Verwandte mehrerer Generationen sowie Nicht-Verwandte in Form von u.a. Gesinde unter einem Dach.

7 Bezogen auf eine Gruppe mit vier Mitgliedern, da der Differenzierungsgrad in Abhängig-keit zur Gruppengröße steht.

8 Andernfalls befinden sie sich bereits auf dem Weg ihrer Selbständigkeit.

9 Da er ihnen als Identifikationsobjekt männlichen Verhaltens diente.

Ende der Leseprobe aus 92 Seiten

Details

Titel
Neue Väterlichkeit - Über die Ursachen und Voraussetzungen eines veränderten Vaterbildes
Hochschule
Universität Bielefeld
Note
1,7
Autor
Jahr
2009
Seiten
92
Katalognummer
V127876
ISBN (eBook)
9783640341139
ISBN (Buch)
9783640337125
Dateigröße
866 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Neue, Väterlichkeit, Ursachen, Voraussetzungen, Vaterbildes
Arbeit zitieren
Lena Vormann (Autor:in), 2009, Neue Väterlichkeit - Über die Ursachen und Voraussetzungen eines veränderten Vaterbildes, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/127876

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