Dialektische Rekonstruktion der Hegelschen Rechtsphilosophie


Fachbuch, 2022

59 Seiten, Note: 1.5


Leseprobe


Vorwort

Hegel hat die Grundlinien der Philosophie des Rechts – Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse im Jahr 1820 als Vorbereitung der Rechtswissenschaft veröffentlicht, wobei diese Schrift als Lesebuch für seine Vorlesungen diente.1 Von 1817 bis zum Ende seines Lebens wurde die Rechtsphilosophie durch die Nachschriften seiner Vorlesungen von ihm selbst und auch von seinen Schülern angereichert. Auffällig ist, dass die Hegel’sche Rechtsphilosophie aufgrund der Karlsbader Beschlüsse und der damaligen politischen Verhältnisse in Preußen einerseits in einer konservativeren Form erschienen ist, andererseits von Hegel aber bereits in der Enzyklopädie (im Jahr 1817, jedoch in der Form der Entwürfe) als der objektive Geist integriert wurde.2

In diesem Aufsatz soll erstens gezeigt werden, wie der Wille als Freiheit in der ersten Abstraktion verstanden wird, zweitens, wie der Wille auf dem moralischen Standpunkt entfaltet wird und drittens, dass die beiden Momente des Willens noch einseitig sind, sodass Begriff des Willens eigentlich im Staat analysiert werden muss. Nur im Staat gewinnt der Wille als Freiheit die Notwendigkeit.

1. Die Willenstheorie im Hegels Rechtsphilosophie

Der Wille und der Gang des theoretischen und praktischen Verhaltens

In den Grundlinien der Philosophie des Rechts versucht Hegel, das Recht in erster Linie unter der Idee des Rechts zu erfassen: „Die philosophische Rechtswissenschaft hat die Idee des Rechts, den Begriff des Rechts und dessen Verwirklichung zum Gegenstande.“3 Das heißt, dass die Idee des Rechts nicht nur ideell oder gedacht ist, sie gilt vielmehr als dessen Bestimmung und Verwirklichung. Wie sie aber verwirklicht werden soll, ist fraglich.4

Darüber hinaus geht aus der Definition des Rechts im ersten Paragraphen hervor, dass die Rechtswissenschaft der Philosophie angehört und den gleichen Ausgangspunkt wie die Philosophie besitzt: In der spekulativen Philosophie muss der Begriff und dessen Entwicklung als wechselseitige Entwicklung fortschreiten. In diesem Sinne kann ein Begriff nicht an sich seine Bestimmtheit erschaffen – wie zum Beispiel der Begriff der Freiheit: „Die Notwendigkeit der Freiheit muss also für sich als notwendig gezeigt werden und was hinzugefügt ist, die Freiheit muss sich realisieren, verwirklichen, sich ihre Welt erschaffen, sich ein System der Freiheit erschaffen, sich äußern, sich Dasein geben.“5

Anschließend hat Hegel den Boden des Rechts beschrieben als „das Geistige und seine nähere Stelle und Ausgangspunkt der Wille, welcher frei ist, so dass die Freiheit seine Substanz und Bestimmung ausmacht und das Rechtssystem das Reich der verwirklichten Freiheit, die Welt des Geistes aus ihm selbst hervorgebracht, als eine zweite Natur ist.“6

Im Gegensatz zum natürlichen Willen, der von seiner Natur her durch Bedürfnisse und Triebe bestimmt ist, basiert die Rechtsphilosophie auf einem geistigen Boden. Dieser Boden ist für Hegel eine Sphäre der Freiheit, die als eine Grundbestimmung des Willens (Hegels Wortlaut: „Substanz des Willens“) gilt. Die erste Natur, die Hegel genannt hat, tritt nur als „unselbstständiges“ auf, während die Idee der Freiheit sich zum Rechtssystem entwickelt sowie eine Welt des Geistes (als die zweite Natur) hervorbringt.7

Zunächst wollen wir uns damit auseinandersetzen, worin die theoretische Tätigkeit des Geistes sich von der praktischen Tätigkeit des Geistes (des Willens) unterscheidet:8910

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Tabelle 1: Der Unterschied zwischen den unterschiedlichen Tätigkeiten des Geistes in der Rechtsphilosophie

In der Tabelle ist ersichtlich, dass die Grundbestimmung des theoretischen Verhaltens darin besteht, dass es einerseits den Gegenstand zum meinigen macht und andererseits ihn zu verallgemeinern versucht. Genauer gesagt werden drei Stufen der theoretischen Tätigkeit entfaltet. Erstens: Wenn der Geist ganz natürlich ist, gibt es in ihm keine wirkliche Freiheit und Persönlichkeit. Zweitens: Wenn die Natur als äußerliche Welt in mir auftritt, besteht darin das Verhältnis vom Ich zur Welt. Drittens: Die wahrhafte Stufe ist für Hegel der Geist als Geist, „wo er Vernunft ist, dass der Inhalt der Seinige ist.“11 Wenn ich an die Welt denke, wird die Welt in mir gefasst und davon kann ich mich befreien. Der Geist vollzieht hier die Bestimmung der Welt subjektiv in sich und hebt alles subjektiv im Gedanken auf. Als Beispiel nennt Hegel den sinnlichen Druck von außen: „Wenn ich etwas hartes berühre, so fühle ich einen Druck, aber ich sage sogleich der Druck kommt her von etwas hartem, beides ist in meinem Gefühl hart, aber eigentlich ist nur in meinem Gefühl das Harte, die Teilung von beidem ist schon Trennung dessen was in mir ist und was draußen steht.“12

Das praktische Verhalten wird hier dem theoretischen entgegengesetzt, denn das praktische Verhalten beginnt nicht mit der Trennung zur Welt, sondern mit Gegenständen, die bereits meinige sind: Sein Ziel besteht darin, die Subjektivität aufzuheben und in die Objektivität aufzusteigen. Hegel erläutert: „der Mensch macht sich erst im Praktischen endlich, er setzt sich darin herab, macht sich äußerlich, lässt sich mit einer Außenwelt ein, macht seine Bestimmung zu äußerlichen […] Das was ich getan habe ist noch das Meinige, aber nicht mehr in meiner Gewalt […] andere können das Meinige angreifen, antasten usw.“13

Da das Ich als Wille dessen Zielsetzung ausführen will, wird die innerliche Zielsetzung zum Zweck gemacht. Wenn ein Zweck sich nur in mir befindet, ist dieser Zweck noch mangelhaft, weil er ausschließlich als Gedachtes in mir existiert; wenn das Ich den Zweck ausführen kann, wird der Zweck in die Realität eingeführt. Die Ausführung des Zwecks verwirklicht im Geist einen Brückenschlag von der Subjektivität zur Objektivität. „So ist alle Wahrheit ein Widerspruch, die Auflösung des Widerspruchs ist darin enthalten, neutralisiert. Nicht soll man bei der Identität der Einheit stehenbleiben. Der aufgelöste Widerspruch enthält beides.“14

Die Natur des Willens

Aus der obigen Analyse geht hervor, dass „der Wille näher [bei] der Form des Praktischen, wie es im Geist, im Bewusstsein ist“15, steht. Ob der Wille in sich oder an und für sich sein sollte, muss ferner durch folgende Momente analysiert werden:

Erstens: Dadurch, dass der Wille von allen seinen Besonderheiten abstrahiert und zur abstrakten Allgemeinheit des Denkens erhoben wird, wird er als abstraktes allgemeines Ich gefasst, was auf eine vollkommene Unbestimmtheit hindeutet. Nach Hegels Darstellung versuchen der Fanatismus, der Stoizismus, die indischen Gymnosophisten sowie die Mönche im Mittelalter, alles Bestimmte und Besondere zu vernichten, damit das allgemeine Denken im In-sich-Gehen erfolgt.16

Anders als die vorigen Theoretiker interpretiert Hegel, dass der Geist die Negierung aller Bestimmungen in sich nicht als tote Abstraktion anerkennt, sondern durch die Reflexion wieder zu sich selbst kommen kann. „Dieses Ich ist das Ich aller Menschen, aber nur die gebildete Reflexion macht sich dieses zum Gegenstand.“17 Das heißt, dass der Geist nicht ein unmittelbarer Geist ist und dass er über eine vollkommene Freiheit verfügt, jederzeit aus seiner Bestimmung auszubrechen oder alle Bestimmungen fallenzulassen. „Er ist das reine Denken seiner selbst, nur denkend ist der Mensch diese Kraft sich Allgemeinheit zu geben d.h. alle Besonderheit, alle Bestimmtheit zu verlöschen.“18

Hegel betont hier die Beziehung zwischen Willen und Denken: Wille ohne Denken ist leer. Man könnte sagen, dass das Denken es dem Willen ermöglicht, zu sein. In diesem Sinne gilt die Freiheit des Willens im Denken auch als Grundbestimmung des Menschen, der alles aufgeben und zur vollkommenen Unbestimmtheit zurückkehren kann.

Wenn der Wille nur im abstrakten Allgemeinen verbleibt, kann er kein Wille sein. Um sich zu konkretisieren, muss er etwas bestimmen, indem er einen Unterschied zwischen Unbestimmtem und Bestimmtem annimmt. „Das Unendliche tritt erst hinaus in dies Endliche. Diese leere Allgemeinheit, diese Unbestimmtheit ist schon das Andere, das, was sie zu sein nicht meint, eine endliche, einseitige Abstraktion.“19 Da das Allgemeine dem Besonderen gegenübersteht, erscheint der Wille in den Besonderheiten als ein Beschränktes, das heißt: „der Wille muss sich beschränken.“20 Diese Schranke ist eine Negation für den Willen, weil die Absonderung oder die Endlichkeit zum Willen gehört und der Wille somit als wollend und als endlich definiert wird.

Der Grund für den Eintritt des Besonderen ist: Da die Unbestimmtheit negativ ist und zur schlechten Unendlichkeit führen kann, muss sie dem Bestimmten oder dem Endlichen gegenüberstehen, „das Allgemeine dem Einzelnen, das Unendliche dem Endlichen gegenüber (Logik).“21 Da der Wille als die Negation der Unbestimmtheit fungiert, wird das Bestimmte oder die Endlichkeit hier mit der Negation gleichgesetzt, denn was der Geist will, muss etwas Beschränktes sein. Hegel betont, dass das Verbleiben in Unbestimmtheit ausschließlich in die Tatenlosigkeit führen wird. Die Freiheit kann nur so realisiert werden, dass ich etwas will – erst dann kann ich mich als frei anerkennen.

Da die Endlichkeit in den Willen eingerückt ist, wird sie dem Inhalt des Willens zugeschrieben. „Durch dieß Setzen seiner selbst als eines bestimmten tritt Ich in das Dasein überhaupt; das absolute Moment der Endlichkeit oder Besonderung des Ich.“22 Dieser Inhalt kann durch die Natur gegeben sein oder aus dem Begriff entstehen. Zum natürlichen Willen gehören Triebe, Bedürfnisse, Neigungen usw. und aus den Begriffen des Willens entstehen Recht, Moral und Sittlichkeit. Beim natürlichen Willen entsteht die natürliche Kraft außerhalb von mir, denn er ist nur eine Bestimmung der Natur. „Was der Naturtrieb verlangt ist nur das Meinige in dem Sinne dass Ich es zu dem Seinigen macht, sich darin beschränkt. Der Naturtrieb gilt im freien Menschen nur so weit als Ich selbst beschränkt, er ist zwar eine natürliche Schranke, aber er gilt nur insofern Ich selbst diese Schranke setzt.“23 Das heißt, wenn dieser Naturtrieb zu mir gehört, muss das Ich diese natürliche Bestimmung zum Meinigen setzen und damit Schranken errichten.

Diesbezüglich gibt es beim Willen zwei Momente: erstens die Negation alles Besonderen und zweitens die Negation der Unbestimmtheit. Im ersten Moment wird alles Besondere geleert und geht zur Unbestimmtheit über. Das zweite Moment pflegt die endlichen Bestimmungen zu setzen, damit der Übergang von der Unbestimmtheit zur Bestimmtheit (von der Unendlichkeit zur Endlichkeit) möglich ist. Hegel hat betont, dass im Bewusstsein eines jeden Menschen diese zwei Momente spürbar sind: „Es ist die Freiheit. Der Mensch erscheint nun als ein Wesen voll Widersprüche, er ist der Widerspruch selbst und nur durch diesen kommt der Mensch zum Bewusstsein […] aber der Geist ist nicht bloß die Existenz dieses Widerspruchs, sondern ebensowohl auch die Auflösung desselben und dieser ist der Begriff des Willens.“24

Aber die beiden Momente, die Endlichkeit und die Unendlichkeit, sind noch nicht die ganze Wahrheit über den Begriff des Willens. Erst das dritte Moment, setzt als ein Zusammenfassen diese beiden identisch, wobei die Besonderheit als Allgemeinheit und auch als das Meinige erfasst wird. Dieses dritte Moment kann nicht dem Verstand gemäß, sondern nur als spekulativ verstanden werden. Die Tathandlung des Verstandes ist es, etwas Konkretes festzuhalten, während die Vernunft „die Einheit der Bestimmungen in ihrer Entgegensetzung auffasst und das Positive, das in ihrer Auflösung und ihrem Übergehen enthalten ist.“25 Demnach ist der Begriff des Willens wie folgt zu fassen:

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Tabelle 2: Drei Stufen des Begriffs des Willens in Zusammenfassung[26]

In der vorstehenden Tabelle ist die Einzelheit nicht mit unmittelbarer Einzelheit zu verwechseln: Sie ist die spekulative Vereinigung der Allgemeinheit und der Besonderheit. Die obige Analyse soll den § 7 aus den Grundlinien der Philosophie des Rechts deutlich machen:

„Der Wille ist die Einheit dieser beiden Momente; – die in sich reflektierte und dadurch zur Allgemeinheit zurückgeführte Besonderheit;Einzelheit; die Selbstbestimmung des Ich, in einem sich als das Negative seiner selbst, nämlich als bestimmt, beschränkt zu setzen und bei sich, d.i. in seiner Identität mit sich und Allgemeinheit zu bleiben, und in der Bestimmung, sich nur mit sich selbst zusammenzuschließen. – Ich bestimmt sich, insofern es die Beziehung der Negativität auf sich selbst ist; als diese Beziehung auf sich ist es ebenso gleichgültig gegen diese Bestimmtheit, weiß sie als die seinige und ideelle, als eine bloße Möglichkeit, durch die es nicht gebunden ist, sondern in der es nur ist, weil es sich in derselben setzt. – Dies ist die Freiheit des Willens, welche seinen Begriff oder Substantialität, seine Schwere so ausmacht wie die Schwere die Substantialität des Körpers.“27

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Abbildung 1: Die dialektische Entstehung des Begriffs des Willens28

Nach der dialektischen Entstehung des Willens wird der Wille, der die Vermittlung zwischen Subjektivem und Objektivem ist, als Tätigkeit zwischen Subjektivität und Objektivität im § 8 hervorgehoben. Hegel konkretisiert den Willen als Tätigkeit mit dem Beispiel der Verwirklichung des Zwecks: Wenn wir einen Zweck haben, ist dieser für uns nur subjektiv und wenn wir ihn in der Welt oder im Materialien realisieren, ist das objektiv. Da der Zweck noch auszuführen ist und die Welt noch als Anderes für mich existiert, sind die beiden noch negativ und mangelhaft – deshalb sind Subjektivität und Objektivität hier noch einseitig und mangelhaft.29 Nur durch die Verwirklichung des Willens in Handlung werden die beiden als konkrete Einheit der Unterschiede gefasst. Durch die Handlung setze ich meinen Zweck so in die Welt, dass die Freiheit des Willens realisiert werden kann.

Hegel hat bereits am Anfang der Rechtsphilosophie betont, dass der Begriff der Idee darin besteht, dass die Idee als das Wahre in der Einheit des Begriffs und deren Verwirklichung in der Objektivität vorhanden ist. Diese Grundüberlegung wurde im § 9 mit dem Begriff des Willens sowie mit dessen dialektischer Struktur konkretisiert: Der Inhalt des Willens muss in der vorliegenden Arbeit erst noch festgestellt werden.

Der dialektischen Struktur nach kann die Unterscheidung beim Inhalt des Willens so getroffen werden, dass einerseits die subjektiven Zwecke und andererseits die realisierten, objektiven Zwecke Willensbestimmung sind. Der Begriff des Willens zeigt eine wichtige logische Konsequenz auf: Der an sich freie Wille wird zum für sich freien Willen.

„b) Insofern die Willensbestimmungen die eigenen des Willens, seine in sich reflektierte Besonderung überhaupt sind, sind sie Inhalt. Dieser Inhalt als Inhalt des Willens ist ihm nach der in a) angegebenen Form Zweck, teils innerlicher oder subjektiver in dem vorstellenden Wollen, teils durch die Vermittlung der das Subjektive in die Objektivität übersetzenden Tätigkeit verwirklichter, ausgeführter Zweck.“30

Der an sich freie Willen ist noch unmittelbarer Geist und verbleibt in der Natürlichkeit. Aber es steckt in ihm bereits die Möglichkeit zur Entwicklung des Ganzen (wie die Samen und Keim einer Pflanze). Die Realisierung des an sich freien Willens ist eine Negation des ersten unmittelbaren Zustandes und führt in diesem Sinne zu dem für sich freien Willen. Wichtig aber ist zu verstehen, dass der Wille von der Natürlichkeit (erste Stufe) über die Reflexion des Endlichen (zweite Stufe) zur Objektivität des Willens und zur Freiheit des Willens als Totalität des Systems (dritte Stufe) übergeht. „Das System der vernünftigen Bestimmungen des Willens sind die einzelnen Stufen, die wir in der Wissenschaft zu betrachten haben. Diese Stufen können in frei objektiver oder in frei subjektiver Form behandelt werden.“31

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Abbildung 2: Der Wille im unterschiedlichen dialektischen Prozess: drei Stufen

Zum natürlichen Willen (Abkürzung für diese Stufe: W1):

a. „Der nur erst an sich freie Wille ist der unmittelbare oder natürliche Wille. Die Bestimmungen des Unterschieds, welchen der sich selbst bestimmende Begriff im Willen setzt, erscheinen im unmittelbaren Willen als ein unmittelbar vorhandener Inhalt, es sind die Triebe, Begierden, Neigungen durch die sich der Wille von Natur bestimmt findet.“32 Die Triebe verfügen über eine Form der Unmittelbarkeit und scheinen uns ein Fremdes. Die Tatsache, dass die Triebe als Besonderheit dem Ich als Allgemeinheit noch gegenüberstehen, gilt auch als Ansatzpunkt für die Willkür.
b. „Der Wille ist entschließend, beschließend. Das Beschließen ist Form der Einzelheit.“33 „Ich entschließe mich mit mir selbst“ heißt, dass ich mich mit meiner Unbestimmtheit bestimme und mich als die Möglichkeit des Daseins setze. Da in Trieben verschiedene möglichen Arten von menschlichen Beziehungen (Freundschaft, Liebe, Bekanntschaft usw.) enthalten sein können, ist jede Art davon in den Trieben als das mögliche Dasein des Ichs aufrufbar, indem ich mich in der entsprechenden Art bestimme.
c. Im beschließenden Willen ist die Freiheit bei den Trieben aber nur formell, weil das Ich bei sich selbst einerseits frei ist, indem das Ich sich entschließt, andererseits aber durch den natürlichen Inhalt des Triebes gesetzt werden muss, weswegen es nicht frei ist. Diesbezüglich wird die Befriedigung der Triebe im beschließenden Willen nicht durch die wirkliche Freiheit, sondern nur durch die Naturbestimmung mit der formellen Freiheit verwirklicht.

Zum reflektierenden Willen (W2):

a. In der Reflexion kann das Ich einerseits in der leeren Allgemeinheit mit seiner formellen Freiheit verbleiben, andererseits darf es seinen möglichen Zweck als Bestimmtes wählen. „Der Wille hat insofern die Wahl, als er einen Inhalt in sich findet.“34 Für die Freiheit der Willkür gilt: Die Tatsache, dass in der Willkür die Besonderheit des Gegebenen dem Ich als Allgemeinheit noch gegenübersteht, ist der Grund für die Willkür. In der Willkür ist einerseits das Ich als leere Allgemeinheit vorhanden, andererseits hängt die Besonderheit von dem gegebenen Stoff ab, der mit der natürlichen Bestimmung verbunden ist. In diesem Sinne gilt die Willkür als „eine Vermischung von Freiheit und Unfreiheit.“
b. § 17 zeigt die Dialektik der Triebe auf: „Der Widerspruch, welcher die Willkür ist, hat als Dialektik der Triebe und Neigungen, die Erscheinung, dass sie sich gegenseitig stören, die Befriedigung des einen die Unterordnung oder Aufopferung der Befriedigung des anderen fordert und indem der Trieb nur einfache Richtung seiner Bestimmtheit ist, das Maß somit nicht in sich selbst hat, so ist dies unterordnende oder aufopfernde Bestimmen das zufällige Entscheiden der Willkür, sie verfahre nun dabei mit berechnendem Verstande, bei welchem Triebe mehr Befriedigung zu gewinnen sei, oder nach welcher anderen beliebigen Rücksicht.“35

Eine Unterordnung des Triebes in natürlichem Sinne kann nicht als eine Bestimmung der Dialektik gelten, weil in der Dialektik ein negatives und zerstörendes Moment gesetzt werden muss, aber nicht als affirmatives Moment. Da der Trieb sich auf die Natürlichkeit beschränkt, kann er nie aus seiner Einseitigkeit herauskommen. Hegels Ansatz beim Trieb ist wie folgt: Obgleich „der Mensch von Natur die Anlage zur Freiheit und Vernunft“36 hat, ist diese keine Wirklichkeit und entspricht nicht dem, was der Mensch sein soll. Der Mensch sollte nicht verbleiben, wie er von Natur ist.

Da der Mensch einerseits die leere Allgemeinheit besitzt, muss andererseits der Trieb aus der Natur realisierst werden. In diesem Bezugspunkt besteht die Harmonie der Glückseligkeit oder der Befriedigung darin, dass der Mensch die Allgemeinheit mit dem gegebenen Stoff realisieren muss. Dieser Prozess scheint aber eine Art von Bildung zu sein und die Bildung gilt als Trieb-Hemmung. Wenn der Mensch durch die Triebe sein ganzes Ich zur Allgemeinheit aufhebt, dann muss man „die negative Macht des Denkens, des Fürsichseins exerzieren gegen die Einseitigkeit der Triebe. Diese Hemmung der rohen Naturgewalt stellt mich über diese Beschränkung.“37

Die Bildung ist ein Moment, in dem die Form der Allgemeinheit im Ich und die Befriedigung der Triebe in der Auseinandersetzung mit anderen Trieben in Betrachtung gezogen werden. „Zur Bildung gehört die Analyse des Konkreten, die Unterscheidung des Gegebenen.“38 Der Unterschied zwischen den Gebildeten und den Ungebildeten besteht darin, dass die ersteren viele Bestimmungen der Unterscheidung begreifen, die in die Gestaltung der Allgemeinheit münden, während die letzten die einzelne Sache als die ganze Allgemeinheit auffassen.

Bei der Befriedigung der Glückseligkeit der Einzelnen wäre aber ein Widerspruch unvermeidlich: Da die Befriedigung der Triebe von der Natürlichkeit abhängig ist, ist das Ich damit unfrei verbunden und die Form der Allgemeinheit, die das Ich haben soll, kann seiner Natur nicht entsprechen. Da der Inhalt der Triebe nicht im Denken als etwas Festem, sondern nur in der Natürlichkeit als etwas Besonderem zu verorten ist, kann ein Vorzug der Triebe in ihrer Mannigfaltigkeit nicht begründet werden. Das heißt: Wenn der geistige Trieb hervortritt, gilt er ebensoviel wie andere Triebe, gleichgültig in Reihfolge und Mannigfaltigkeit derselben.

c. Wenn die Freiheit als geistiger Trieb auftritt und sie keinen Vorrang hat vor anderen Trieben, dann kann sie ausschließlich in der Besonderheit verbleiben. In diesem Punkt widerspricht die Glückseligkeit der Freiheit. Hegel hat gesehen, dass das Ich sich in der Befriedigung der Triebe im Sinne eines äußerlichen Verhaltens gegenüber der Welt benimmt und in Rücksicht auf die Abhängigkeit von der Macht der Natur „in einem Kreise“ befindet. Mit anderen Worten: Man ist der Abhängigkeit von der Natur und vom Außen unterworfen.

Die Glückseligkeit hat zwei Seiten: „dass es erstens Allgemeines für mich sein soll, zweitens, dass sie nicht leer, abstrakt, sondern wesentlich bestimmt sein soll.“39 Es fehlt den Trieben die Allgemeinheit, von der die Bestimmtheit sich mit anderem Bestimmten unterscheiden könnte, die aber als reales Bestimmtes erfasst werden muss. Somit ist ein dialektischer Übergang von der Glückseligkeit zur Freiheit des Willens selbst erforderlich: „Es ist die Wahrheit dieser formellen Allgemeinheit, dass der Wille als freier sich selbst bestimmt. Es heißt damit die Allgemeinheit hat sich selbst als allgemeine Form zum Inhalte, die Subjektivität, die Totalität der Bestimmung d.h. die sich auf sich beziehende Bestimmtheit, die Seele, das in sich allgemeine Ich als Tätigkeit.“40

Zum an und für sich freien Willen (W3):

a. Der Wille in subjektiver und objektiver Form

„Die Wahrheit aber dieser formellen, für sich unbestimmten und ihre Bestimmtheit an jedem Stoffe vorfindenden Allgemeinheit ist die sich selbst bestimmende Allgemeinheit, der Wille, die Freiheit. Indem er die Allgemeinheit, sich selbst, als die unendliche Form zu seinem Inhalte, Gegenstande und Zweck hat, ist er nicht nur der an sich, sondern ebenso der für sich freie Wille – die wahrhafte Idee.“41

Da der Wille für sich frei sein will, kann er die Allgemeinheit als Selbstbestimmendes feststellen. Dieser Wille ist ein sich durchsetzendes Denken, das seinen Zweck verfolgen kann, wie er will. Die Allgemeinheit kann die Identität von Subjektivität und Objektivität genannt werden.

Der Wille hat immer eine subjektive und eine objektive Seite: Die subjektive deutet darauf hin, dass ich als ein Besonderes einen Willen habe und die objektive darauf, dass der Begriff des Willens meinem besonderen Willen entspricht. „So ist es mit einem Gesetz das Sitte ist, diese ist die Identität des Einen und des Anderen.“42

„Das Subjektive heißt in Ansehung des Willens überhaupt die Seite seines Selbstbewusstseins, der Einzelheit (§ 7) im Unterschiede von seinem an sich seienden Begriffe; daher heißt seine Subjektivität a) die reine Form, die absolute Einheit des Selbstbewusstseins mit sich, in der es als Ich = Ich schlechthin innerlich und abstraktes Beruhen auf sich ist – die reine Gewissheit seiner selbst, unterschieden von der Wahrheit; b) die Besonderheit des Willens als die Willkür und der zufällige Inhalt beliebiger Zwecke; c) überhaupt die einseitige Form (§ 8), insofern das Gewollte, wie es seinem Inhalte nach sei, nur erst ein dem Selbstbewusstsein angehöriger Inhalt und unausgeführter Zweck ist.“43

Im subjektiven Willen wird mir zuerst die Gewissheit meiner selbst bewusst. Das heißt, dass das Ich von dem weiß, was an und für sich in Begriffen erst noch zu fassen ist. Diese Gewissheit unterscheidet sich von der Wahrheit in der Subjektivität darin, dass sie die subjektive Überzeugung und Einsicht nur für wahres Halten in mir festlegt, während die wahrhaften Gegenstände erst in der Objektivität behandelt werden. Als Beispiele sind das Kind und der rohe Mensch zu nennen, die nur in ihrer Subjektivität verbleiben und somit ihren Zweck nicht realisieren können. Die Besonderheit des Willens als die Willkür wurde bereits im vorigen Abschnitt behandelt.

Die andere Seite ist die Objektivität des Willens.

„Der Wille a) insofern er sich selbst zu seiner Bestimmung hat und so seinem Begriffe gemäß und wahrhaftig ist, ist der schlechthin objektive Wille; b) der objektive Wille aber, als ohne die unendliche Form des Selbstbewusstseins, ist der in sein Objekt oder Zustand, wie er seinem Inhalte nach beschaffen sei, versenkte Wille – der kindliche, sittliche, wie der sklavische, abergläubische usf. c) Die Objektivität ist endlich die einseitige Form im Gegensatze der subjektiven Willensbestimmung, hiermit die Unmittelbarkeit des Daseins als äußerliche Existenz; der Wille wird sich in diesem Sinne erst durch die Ausführung seiner Zwecke objektiv.44

Der Unterschied zwischen dem subjektiven und dem objektiven Willen besteht darin, dass der erstere nur in sich verbleibt, während der objektive Wille der vernünftige sittliche Wille sein soll.45 Für Hegel kann der objektive Wille trotzdem noch einseitig sein und deswegen in Gefahr geraten, dass er alleine zum gläubigen, kindischen oder sklavischen Gegenstand versenken kann, insofern er als die äußere Reflexion in abstrakten Grundsätzen von Maximen und Gründen verbleibt. Was Hegel hier vermisst, ist die Identität von objektivem und subjektivem Willen: Die beiden heben miteinander dialektisch auf und führen zur Totalität des Willens.

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Abbildung 3: Der dialektische Prozess des Willens und seine Überleitung zum Dasein des Willens

Auf der Ebene der Vernunft gilt der Gegenstand des Willens nicht mehr als die Vorstellung des Willens, sondern als die Freiheit des Willens. Weil sich der Wille auf nichts als auf sich selbst bezieht und deswegen bei sich sein kann, ist der Wille an und für sich freier Wille und liegt in einer Unendlichkeit des freien Willens. Man kann sagen, dass die Freiheit eine Grundbestimmung des Willens ist. In diesem Sinne gilt die Realisierung der Freiheit des Willens als Dasein des Willens.

„Dieß, dass ein Dasein überhaupt, Dasein des freien Willens ist, ist das Recht. – Es ist somit überhaupt die Freiheit, als Idee“.46 Das Recht ist in diesem Sinne die Idee oder die Freiheit des Willens; sein Kernpunkt besteht darin, dass die Freiheit des Willens durch Gegenstände wie Eigentum oder Besitz realisiert werden kann. Ein Beispiel ist, dass ich mit meinem Eigentum etwas in Besitz nehme. „Damit gebe ich meiner Freiheit Dasein und sie ist das Dasein meiner Freiheit und darf daher von keinen anderen berührt werden.“47 Hier ist das Eigentum eine Verkörperung meiner Freiheit, indem die Freiheit durch die Persönlichkeit zum Dasein kommt. Das Recht an mein Eigentum deutet hin, dass das Ich berechtigt bin es zu behalten oder zu vernichten, während der Andere nur die Pflicht hat es zu respektieren. Zu diesem Anderen hat Hegel weitergesagt: „das Verhalten des Anderen ist einerseits entgegengesetzt, andererseits dasselbe, er ist auch Person, freies Individuum, diese ist beiden gemeinschaftlich, ist die Grundbestimmung, das Prinzip. In dieser Beziehung sind beide Seiten eins und dasselbe.“48

Die Voraussetzung für die Besitzer im Eigentum wird durch zwei Schritte angegeben: erstens, das Ich verbinde mich mit dem Recht der Person und muss mir als Freies Dasein geben. Zweitens, das Ich als empirisches Individuum soll freier Mensch sein. Diese Voraussetzung führt dazu, dass die Unterscheidung zwischen Herren und Sklaven vorhanden ist: ob die Person Recht besitzt oder sein freier Wille zum Dasein kommen kann und nicht zuletzt er keine Pflicht hat, da er daran gebunden ist durch das was er selbst ist.49

Eine andere Seite des Rechts zeigt sich aber als Pflicht, denn „nur in Erscheinung unterscheidet sich Recht und Pflicht, in der inneren Bestimmung ist es ein und dasselbe.“50 Beide beruhen auf der Grundlage der Freiheit und kommen durch die Freiheit zum Dasein. Da das Dasein sich der Freiheit gemäß vollziehen muss und nur durch den Begriff erfasst werden kann, „ist das Recht nun aber diese Freiheit sofern sie Dasein hat, Pflicht ist dasselbe nur von dem Standpunkt des Daseins betrachtet […] Das Dasein hat nur Wert als dem Begriff gemäß, der Begriff Freiheit ist das Wesentliche für das Dasein, das Substantielle.“51

2. Die dialektische Methode der Entwicklung und die Willensbestimmungen als Reihe von Stufengängen und Gestaltungen

Die Begriffe, die wir bereits als eine Entwicklung der Tätigkeit vorfinden, bestehen in einer Entwicklung des immanenten Fortschreitens und Hervorbringens und sind in der Wissenschaft der Logik vorausgesetzt.52 Das heißt, der Fortgang des Begriffs ist dialektisch. Die erste Bestimmung in der Rechtsphilosophie besteht darin, dass „das Eigentumsrecht eine Weise des Begriffs sich zu realisieren ist“53, danach wird das Dasein durch seine Beschränkung aufgehoben und gelangt zu höheren Stufen.

Die Bestimmungen in der Entwicklung des Begriffs sind einerseits selbst Begriffe, andererseits, weil der Begriff wesentlich als Idee ist, sind sie in der Form des Daseins, und die Reihe der sich ergebenden Begriffe ist damit zugleich eine Reihe von Gestaltungen; so sind sie in der Wissenschaft zu betrachten.“54

Die Begriffsbestimmungen sind in der Form des Daseins als Gestaltung des Begriffs enthalten. Die Reihe von Gestaltungen ist der Fortgang des Begriffs durch die Gestaltungen. Vom Willen geht man aus, der in seiner Unmittelbarkeit erfasst werden kann. Die Freiheit ist dem Subjekt ein Unmittelbares und das Ich wird dadurch als bewusstes Denken gefasst.

In der Rechtsphilosophie gilt die erste Bestimmung in diesem Sinne als die Freiheit in Form der Persönlichkeit. Deren weitere Bestimmung ist die Moralität, „dass ich nicht nur Person bin, dass ich dieß weiß, dass ich die Überzeugung davon habe, dass ich das Freie als solches will.“55 Während man als Person ausschließlich frei ist, will man als moralische Person aber das Gute in seiner Persönlichkeit in den Griff bekommen. „Das Eigentum ist die Gestalt der Persönlichkeit, das Dasein der Person, es gibt kein anderes persönliches Recht als das des Eigentums.“56 Die Moralität ist eine Reflexion der Freiheit auf sich selbst, dass ich mir meiner Handlung bewusst bin und die Bestimmung der Realität innerlich kenne, dass das Wohl mein Zweck ist.

Die Entwicklung des Begriffs des Willens kann so kurz zusammengefasst werden, dass sie durch die Konkretisierung (Ausbildung) zwischen der subjektiven Reflexion bei einzelnen Personen und der Verwirklichung der äußeren Welt bestimmt wird: A. das abstrakte Recht, bei dem ist der Begriff des Willens für sich frei und darin ist die Persönlichkeit des Willens ausgedrückt. B. die Moralität, bei dem handelt sich um die Erhebung der Unmittelbarkeit in der Reflexion erhoben und den moralischen Standpunkt. Hier sind der abstrakt subjektive Wille und das Gute als das Allgemeine hervorgetreten und noch getrennt gewesen. C. die Sittlichkeit: der moralische Wille hebt seine Subjektivität auf und kehrt zur Unmittelbarkeit seines ersten Begriffs zurück.57

Das abstrakte Recht

Der Stufengang der Entwicklung des Willens besteht darin, dass erstens der Begriff des Willens sich im abstrakten Recht in der Bestimmung der Unmittelbarkeit befindet. Auf dieser Stufe bezieht sich der Wille auf seine Reinheit und konzentriert sich auf die absolute Negativität. In diesem Sinne bleibt der Wille hier der einzelne Wille, der „Person“ genannt wird. „Dass ich in allen einzelnen Bestimmungen mich als ein Freies verhalte, bildet meine Absolutheit, die jedoch noch abstrakt ist.“58 Der Begriff des Willens ist insofern noch abstrakt, als seine Persönlichkeit und sein Dasein noch in einer unmittelbaren äußerlichen Sache verankert sind. Es kommt auf dieser Stufe darauf an, wie die Person ihrer Freiheit ein Dasein gibt.59

Da der Mensch seinem Dasein und seiner Freiheit nach unmittelbar und daher frei in seiner Unmittelbarkeit ist, macht die Unmittelbarkeit im Willen die Bestimmtheit im Dasein aus: Die Menschen sind frei, insofern sie als sinnliche Menschen auf äußere sinnliche Dinge angewiesen sind. „Der Mensch so als freier ist zugleich so als sinnlicher, ist dieser einzelne Mensch, Person, nur in seiner für sich seienden Freiheit ist er Person.“60 Wenn die Person den Inhalt noch als unmittelbar besitzt, ist sie noch mit Trieben, Begierden und Willkür verbunden. Wichtig ist, dass der Mensch als Person durch seine Freiheit einen unmittelbaren Inhalt hat und sich an eine äußerliche Sache vergibt. Die erste Bestimmung davon ist die der Person und die der Sache.

Eigentum und Besitz habe ich, indem ich den Inhalt, nämlich das äußerliche Ding, mir zuordne. Dieser Inhalt ist zwar von mir, aber er ist mir nur ein äußerliches Ding und daher bin ich nicht frei. In dieser Beziehung gehört diese Stufe noch zur Sphären des abstrakten und formellen Rechts, wobei der Begriff des Willens noch unmittelbar und abstrakt ist. Es kann in Bezug auf diese Stufe gesagt werden, dass der Begriff des Willens noch nicht zur Idee übergegangen ist.

Die Moralität

Die zweite Sphäre des Rechts, der Begriff der Moralität, besteht darin, dass die Mangelhaftigkeit der ersten Sphäre überwunden wird, indem ich mir selbst Gegenstand bin und von den äußerlichen Dingen abstrahiere. Das Prinzip der zweiten Sphäre besteht darin, dass der Mensch „sich selbst zu seiner Bestimmtheit macht, sich zu wollen, sich zum Gegenstand zu haben, nicht mich in der Anschauung mit äußeren Wesen verbunden, verknüpft zu haben, sondern mich frei zum Gegenstand zu haben. Dieß ist das Fürsichsein als Bestimmtheit.“61

Da das Ich in der Moralität noch abstrakt und subjektiv verbleiben muss und noch nicht in sich entwickelt ist, ist diese Sphäre auch endlich und kann nicht zu Objektivität und Gegenständlichkeit führen. In der Moralität wurde die Bestimmtheit des Ich ausführlich dargestellt – wie ich mich will, „dass ich Wisse, Einsicht, Absicht, Überzeugung habe“62. Deshalb will das Ich einerseits nach dem Gewissen, andererseits nach den Besonderheiten (Trieben) sich befriedigen und zu seinem Wohl kommen. Dieses Wohl wird nicht nur als individuelles Wohl betrachtet, sondern als auch Wohl für andere verallgemeinert, indem das Wohl durch die Reflexion in der Erfahrung verallgemeinert wird und sich auf den Willen bezieht. Das Wohl ist in diesem Sinne das Gute und wird nach bestimmten Maximen im Handeln als das Gute der Moralität bezeichnet.

Die Moralität und deren Unterschied zum abstrakten Recht lässt sich einerseits dadurch charakterisieren, dass „sie sich besonders auf den Vorsatz, die Absicht, die subjektive Seite beim Handeln bezieht.“63 Andererseits ist bereits bei der Moralität eine Trennung zwischen der sinnlichen Äußerlichkeit und der Freiheit gefallen und wird meine Freiheit durch das Gute fixiert.

Die dritte Sphäre, nämlich die Sittlichkeit, unterscheidet sich von der Moralität darin, dass sie als die Einheit des Begriffs zu erfassen ist, während in der Moral der subjektive Wille nur von der Äußerlichkeit getrennt zu sein scheint. „Es wird hier ein Unterschied zwischen Moralität und Sittlichkeit gemacht, Moralität ist das reflectirte, die Sittlichkeit aber ist die Durchdringung des Subjectiven und Objectiven.“64

Hegel hat das abstrakte Recht und die Moralität nur als „die ideellen Momente“ definiert, während er die Sittlichkeit als die Existenz des Rechts und der Moralität festgesetzt hat. In der Sittlichkeit ist der subjektive Wille zur Einheit des subjektiven Willens geworden, indem der subjektive Wille dem Begriff des Willens gemäß die Einseitigkeit der Persönlichkeit beseitigt hat und damit der subjektive Wille mit dem allgemeinen Zwecken vereint.

Die Bestimmung der Sittlichkeit besteht darin, dass die Bestimmung des Willens sich auf eine Allgemeinheit in Gestaltungen wie in der Familie, der Gesellschaft und dem Staat zuspitzt, weil der subjektive Wille sich nicht nur zum Subjektiven verhält, sondern sich auch zum sittlichen Leben der Familie verhalten muss. Das sittliche Leben der Familie, der Gesellschaft und des Staates gilt in diesem Sinne als ein Objektives in der Realität, worin die geistige Bewegung der Moralität zur Sittlichkeit besteht: Die ideellen Momente, die zuvor nur im Recht und in der Moralität zu finden sind, müssen in der Sittlichkeit verwirklicht werden. Mit anderen Worten: Insofern die ideellen Momente im Recht und in der Moralität als abstrakte Bestimmungen des Rechts gelten, können sie nicht mehr beim abstrakten Sittlichen stehenbleiben: „Wenn wir beim abstrakten Sittlichen stehenblieben, so wären wir wieder im bestimmungslosen Guten, das man auch wohl Ideal nennt.“65

Die Gestaltung der Sittlichkeit: die Familie, die bürgerliche Gesellschaft und der Staat

Die Idee kann nur in der Sittlichkeit ihre Realität finden. Deshalb gibt es in dieser Sphäre die nähere Einteilung, dass die Sittlichkeit sich ein Dasein als die Realität gibt. Diese Realität kann man wie folgt in drei Schritten darstellen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 3: Die drei Realitäten als Gestaltungen in der Sittlichkeit66

Auf der Ebene des Staates wird nach Hegels Darstellung in folgende Forschungsgebiete unterteilt: „Der Staat ist zunächst ein Volk, so ist inneres Staatsrecht, dann treten äußere Verhältnisse mehrerer Staaten ein, die besondere gegeneinander sind, und damit äußeres Staatsrecht. Die absolute Wahrheit, die darüber steht, ist der Weltgeist, dessen Recht das höchste ist.“67

Die Sittlichkeit der Ehe

Bei der Familie gibt es drei Stufen aufzuklären. Die erste Stufe ist die Ehe, die das unmittelbare sittliche Verhältnis enthält, „das Moment der natürlichen Lebendigkeit und zwar als substantielles Verhältnis die Lebendigkeit in ihrer Totalität, nämlich als Wirklichkeit der Gattung und deren Prozess.“68 Die Ehe wird in diesem Zusammenhang als die Begattung beschrieben, die der Prozess der Gattung ist. Diese Begattung bildet eine sittliche unmittelbare Einheit, wobei das natürliche Verhältnis ein Moment der Liebe ist und zur geistigen Verklärung der Liebe übergeht. Es liegt hier eine Unterordnung der natürlichen Einigkeit unter die geistige vor, denn „der Naturtrieb ist herabgesetzt, so dass die geistige Einigkeit als Liebe, Zutrauen die Grundbestimmung ist und nicht jener Trieb, der eben durch seine Befriedigung erlöscht.“69 Die geistige Einigkeit, die als freie Einwilligung der Personen bei der Eheschließung aufgezeigt wird, existiert in konkreter Form in der Liebe, dem Zutrauen und der Gemeinsamkeit der ganzen individuellen Existenz. In diesem Sinne ist die Ehe „die Verwandlung des natürlichen Verhältnisses in ein sittliches, es sind nicht beide Momente mit gleichem Werth, gleicher Affirmation darin gesetzt. Jene vernünftige Stellung geschieht in der förmlichen Eingehung der Ehe, dabei wird diese Einwilligung sich in den Zustand der Einigkeit zu begeben vollzogen, ihr Dasein gegeben. Diese geistige Einheit insofern sie als solche existiert ist Sache des Willens.“70

Der eigene Wille wird in der Einheit der Eheschließung aufgegeben; dies ist insofern „eine Selbstbeschränkung, aber eben indem sie in ihr ihr substantielles Bewusstsein gewinnen, ihre Befreiung“71. Da in der Eheschließung jeder einzelne Wille in einem gemeinsamen Willen manifestiert wird, muss die Beziehung der Ehegatten in dem Vermögen zur Erziehung der Kinder vertieft werden.

Da die Familie einerseits nicht nur aus abstrakten Personen besteht und andererseits das Bedürfnis nicht abstrakte Eigensucht und Begierde ist, muss das Eigentum der Familie wie folgt auf zweierlei Art gedacht werden: als Grundbesitz und als Bedürfnisse anderer72 – darin besteht die zweite Stufe, nämlich das Vermögen der Familie.

Das familiäre Eigentum ist ein gemeinsames, denn kein Glied der Familie hat ein besonderes Eigentum. Der Ursprung des familiären Eigentums liegt darin, dass die Vorsorge nicht nur für das Oberhaupt, sondern auch für jedes Glied der Familie gedacht werden muss, wobei Eigensucht und Begierde verschwinden. Die Verwaltung des Eigentums wird von dem Haupt der Familie übernommen. Wenn die einzelnen Glieder der Familie sich gegeneinander wenden und jedes sein eigenes Eigentum selbständig besitzen will, so kann dies zur Auflösung der Familie führen.

Beim Eigentum besteht ein großer Unterschied zwischen Familien und Stämmen, denn „in einem Stammesverhältnis, gens, Haus, Familie ist eine Pietät das Band, aber diese Pietät nimmt ab, wird schwächer ihrer Natur nach je mehr die Blutsverwandtschaft auseinander geht.“73 Im Unterschied dazu basiert die Ehe auf sittlicher Liebe, Zutrauen und Glauben aneinander; sie muss, „auf das Gemüt, auf die Zueignung dieser besonderen Personen zu einander gegründet sein“74.

In der vorliegenden Arbeit wird besonders berücksichtigt, dass die Familie entweder auf Pietät oder auf sittlicher Liebe und Zutrauen basiert, denn dies ist auch ein Kriterium für die Einstufung der chinesischen Geschichte. Es ist deutlich, dass Hegels theoretische Ansätze in der Geschichtsphilosophie, wobei er auch die chinesische Geschichte darstellt, diese Kernpunkte – wie z.B. die Sittlichkeit in Familie, Gesellschaft und Staat – im Auge behalten. Diesbezüglich ist es aber von zentraler Bedeutung, Hegels Darstellung seiner Geschichtsphilosophie im Rahmen der Rechtsphilosophie mit den Prinzipien, die als Kriterien zur Einstufung der Weltgeschichte fungieren, erneut zu vergleichen, um hieraus richtige Schlüsse ableiten zu können.

Die Erziehung der Kinder und die Auflösung der Familie

Die dritte Stufe betrifft die Erziehung: „In den Kindern wird den Eltern ihre sittliche Einheit wirklich“75, weil einerseits die Eltern ihre Kinder erziehen und andererseits der Tod der Eltern die natürliche Auflösung der Familie herbeiführt. Die Auflösung der Familie führt sodann zur Betrachtung des Erbrechts in Bezug auf das Vermögen der Familie.

„Das Recht der Eltern gegen die Willkür der Kinder hat nur den Zweck, diese Willkür, als ein Unvernünftiges, zu brechen und in Zucht zu nehmen.“76 Das Kind ist zwar an sich frei, aber eben nur an sich – es muss für sich frei werden. Das Kind gilt erstens als ein Mitglied, statt als Sklave der Familie. Zweitens muss es durch die Erziehung vom natürlichen Trieb unabhängig werden und den natürlichen Willen hemmen. Es muss hingeführt werden „auf das Moralische, auf das was seinem Inhalte nach allgemeiner Natur ist, auf das Sittliche.“77 Das Ziel der Erziehung liegt darin, dass das Kind nicht nur Gehorsam leisten, sondern zur freien Selbständigkeit fortgebildet werden muss. „Sobald ihre Erziehung vollendet ist, hört das Verhältnis der Dienstleistung auf, dann haben die Kinder als Freie sich wesentlich selbst Dienste zu leisten.“78

Bei der Erziehungsweise ist erstens hervorzuheben, dass die Bildung nicht durch das Fremde eines direkten, formellen Gehorsams, der vom Willen der Anderen herbeigeführt worden ist, gebildet wird. Ihre Grundlage besteht vielmehr umgekehrt aus Liebe und Zutrauen: Auf der einen Seite bedeutet dies eine sinnliche Übertragung der Liebe in die Familien-Pietät und auf der anderen Seite muss das Kind aus der Beschränkung der sinnlichen Liebe heraustreten und zur freien Persönlichkeit werden. Hegel misst die kindliche Pädagogik mit dem gleichen Maßstab wie die der Erwachsenen in diesem Sinne: „Die Kinder haben selbst das Bedürfnis erzogen zu werden, sie wünschen selbst gern groß zu sein, dieß ist das Ahnden ihrer Selbstständigkeit und Freiheit und an dieser Ahndung müssen sie erzogen werden.“79

In der Beziehung zwischen Vater und Kindern unterscheiden sich die Kinder im Abendland von denen, die im Rahmen der chinesischen Geschichte beschrieben werden dadurch, dass die Familie in den westlichen Ländern einen Vorrang vor der Sippe hat: Während die Familie in Ansehung des Erbrechts eine Gemeinsamkeit auszeichnet, hängt die Auflösung der Familie in China ausschließlich von den Stämmen ab.

Für Hegel ist diese Gemeinsamkeit der Familie zentral und erstrangig, denn die Auflösung der Familie kann erst dann vollzogen werden, wenn die Glieder der Familie durch Trennung oder Tod aus ihr ausscheiden oder als rechtliche Personen sich zueinander verhalten sollen.

Hegels Theorie des Erbrechts basiert darauf, dass das Vermögen zur Gemeinsamkeit der Familie gehört und der Familienvorstand lediglich für die Verwaltung des Eigentums zuständig ist in Ansehung der gesamten Vorsorge für jedes einzelne Glied der Familie.

Die Einigkeit, die in der Familie gesetzt ist, kann nicht mehr durch den empfindenden Geist in der unmittelbaren Form von Liebe und Zutrauen nachvollzogen werden. Sie muss nach der Auflösung der Familie durch den freien Geist zum Fürsichwerden der Persönlichkeit führen.

Der Tod führt nur zu einer Änderung der Verwaltung, aber das Eigentum bleibt bestehen wie zuvor. Insofern die einzelnen Glieder der Familie frei sind, sind sie selbständig und verhalten sich zueinander als Personen zu Personen. Wenn ein Mitglied der Familie eigenes Eigentum hat, geht dieses Eigentum ins Privateigentum über. „Es ist dieß das Moment der Besonderheit, die Freiheit wird gegen die Einheit in der die Individuen in der Familie sind nur das Moment des Durchgangs, es kann nicht dabei stehen geblieben werden, dieser freien Subjektivität kommt die Bestimmung des Denkens zu, wodurch jene Einheit zur freien selbstbewussten Allgemeinheit gereinigt wird.“80

Die bürgerliche Gesellschaft als ein Prozess der Bildung zur Allgemeinheit

Der Standpunkt der bürgerlichen Gesellschaft die Familie zur Grundlage und dass die Familien sich als selbständige Personen zueinander verhalten: „Es mögen nun viele Familien von einem gemeinsamen Stamme ausgehen, oder es mögen fremde Familien miteinander in Verkehr treten. Eine solche Vielheit der Familien macht überhaupt das aus, was man bürgerliche Gesellschaft nennt.“81

Soeben wurde der Zweck der Individuen in der Familie behandelt. Die zweite Bestimmung der Individuen besteht darin, dass die Allgemeinheit des Zwecks der Individuen erreicht wird, indem dieser Zweck in Bezug auf Andere realisiert werden kann. Während sich in der Familie die sittliche Idee nur in der Form der Empfindung und der Besonderheit aufzeigen lässt, ist diese Idee in der Gesellschaft durch die Allgemeinheit, die nun in der Form der Besonderheit auftritt, zur Totalität auszubilden.82 Es kann allerdings geschehen, dass die Gesellschaft für die Individuen eine äußere Macht wird, wenn die Besonderheit nicht zur Allgemeinheit geführt werden kann. In diesem Sinne ist es notwendig, dass die Gesellschaft sich als ein Prozess der Bildung zur Allgemeinheit entwickelt, denn „das bloß Unmittelbare, die Empfindung, die Subjektivität wird hier abgearbeitet. Dieses ist daher überhaupt die Stufe der Bildung, die darin besteht, dass das Besondere in die Form der Allgemeinheit umgewandelt wird.“83

Die Individuen sind auf dieser Stufe als Privatpersonen, als „bourgeois“ zu verstehen und deren Freiheit als bürgerliche Freiheit. Hegel hat betont, dass „dieses Recht der Besonderheit nun das ist, was im patriarchalischen Verhältnisse nicht stattfindet. Dem orientalischen Leben ist diese Besonderheit überhaupt fremd. Vorzüglich in den modernen Staaten tritt diese Sphäre hervor.“84 Da die Freiheit in der Familie nur zur Besonderheit gehört, muss die Freiheit noch in die Allgemeinheit umschlagen: „dieses Umschlagen, diese Dialektik ist das Vernünftige, das Übergehen des Einen in das Andere.“85

Hegel geht davon aus, dass die Befriedigung des Besonderen durch das Allgemeine kein echtes Verfahren der Vernunft ist, sondern „im Allgemeinen geht das Abtun der Besonderheit als eine notwendige Wirkung hervor.“86 Das heißt, dass die Besonderheit in die Allgemeinheit umschlägt und damit sich selbst aufhebt – dies ist die wirkliche Versöhnung auf dieser Stufe (Gesellschaft). Wenn das Individuum in Erscheinung der Vernünftigkeit die verschiedenen Selbständigkeiten benötigt, um seine Bedürfnisse zu befriedigen, kann diese Selbstsucht leicht zur Ausschweifung über und führt zur Grenzenlosigkeit der Begierden gehen.

Da das Bewusstsein der Besonderen durch das Allgemeine anders als das vernünftige Erkennen ist, kann das Individuum das Allgemeine für eigene Nutzung verwenden und dazu führen, dass das Besondere hier den Zweck, das Allgemeine das Mittel gilt. Im Gegensatz dazu sollte in der vernünftigen Erkenntnis das Allgemeine der Zweck und die Besonderheit als Mittel sein. Das ist warum Hegel die bürgerliche Gesellschaft als Sphäre des Erscheinens der Vernünftigkeit genannt hat.

Der Kernpunkt liegt in der Frage, wie der Wille der Individuen richtig zur Objektivierung kommt und damit allgemein wird. Nach Hegels Darstellung sollte hier auf drei Stufen analysiert werden, ob die Bedürfnisse der Menschen, das Privatrecht und die staatlichen Aufgaben der Korporationen auf dem Niveau der Gesellschaft erfüllt werden:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Die Systematisierung der drei Stufen der Gesellschaft87

Es muss zuerst erforscht werden, was die Bedürfnisse sind und dann, wie die Befriedigung der Bedürfnisse durch die Arbeit vermittelt werden kann. Drittens ist das Vermögen als sicheres, allgemeines und beständiges Mittel zur Befriedigung der Bedürfnisse anzusehen.

Bevor wir auf die Bedürfnisse näher eingehen, soll eine kurze Zusammenfassung erfolgen, die deutlich macht, welcher Gegenstand von der Stufe des abstrakten Rechts bis zu der der bürgerlichen Gesellschaft jeweils als die Freiheit des Menschen fungiert: A. die Person im Recht, B. das Subjekt im moralischen Standpunkte, C. das Familie Glied in der Familie und D. der Bürger in der bürgerlichen Gesellschaft.

Hegel hat über die Bedürfnisse der Bürger in der Gesellschaft weiter gesagt: „hier auf dem Standpunkte der Bedürfnisse ist es das Konkretum der Vorstellung, das man Mensch nennt.“88 Hier sind die Bedürfnisse des Menschen so charakterisiert, dass „das System der Bedürfnisse von der Person in ihrer ganzen Besonderheit ausgeht.“89 Es geht hier um die Befriedigung der Individuen: ihre Tätigkeit bezieht sich darauf, dass die Subjektivität in die Objektivität umschlägt oder dass die Subjektivität die Objektivität verwirklicht. Das Mittel, durch das die Bedürfnisse befriedigt werden können, ist die Arbeit.

Um dieses gegenseitige Verhältnis besser verstehen zu können, muss man erstens die Bedürfnisse erkennen. Die menschlichen Bedürfnisse sind nicht von der Naturnotwendigkeit abhängig, sondern der Mensch hat „ein Verhältnis zu einer selbstgemachten Notwendigkeit, und hierin liegt ein Fortgang zur Befreiung.“90 Da Menschen sich stets auf Andere beziehen, ist die Arbeit nicht als ein natürliches Mittel anzusehen, sondern „als Eigentum anderer [welches] von diesen erworben werden“91 muss. Das heißt, das Verständnis zur Befriedigung der Bedürfnisse sollte nicht als unmittelbares Eigentum und Besitznahme verstanden werden, sondern als ein gegenseitiges Verhältnis durch die Arbeit: In der Gesellschaft verhalten sich die Menschen zu anderen und ist das Mittel der Arbeit zur Befriedigung der Bedürfnisse als ein „Bgeformtes und Bearbeitetes“ zu verstehen.92 Die Arbeit verarbeitet und formt die natürlichen Dinge um. Hierin versteckt sich ein gegenseitiges Verhältnis zwischen Natur und Mensch.

Hegel meint, dass der Mensch aus Not mit Arbeit beginnt. Die Not, die die Arbeit zur Befriedigung der Entbehrung benötigt, wird von einem inneren Gegensatz verursacht: „dass ich das, was an sich in mir ist, nicht in seinem Dasein habe und besitze.“ Durch die Arbeit wird diese Not veräußert, denn „durch die Not und die Bedürfnisse wird der Mensch aus der dumpfen Gegensatzlosigkeit gerissen.“93 Aber diese Not sollte in der Staatsökonomie näher betrachtet werden, denn alles, was durch die Mittel hervorgebracht (produziert) wurde, wird als von Menschen gemachte Sache von anderen Menschen konsumiert. „Die Nahrung, wird konsumiert, verschwindet aus dem Vermögen, aber sie erhält die Stärke, Lebenskraft und diese ist ein Mittel Anderes zu produzieren, was der Mensch so konsumiert wird wieder produktiv.“94 Hegel hat in diesem Sinne betonen können, dass der Mensch in der Arbeit einerseits den selbstsüchtigen Zweck befriedigen kann – andererseits wird das Gegenteil aufgetreten: „indem jeder sich zum Zweck hat, die Befriedigung seines Bedürfnisses durchaus umschlägt in die Befriedigung des Bedürfnisses aller.“95 Das heißt: im Arbeitsverhältnis befriedigt der Mensch nicht mehr eigenen Zweck, sondern auch die Bedürfnisse aller Menschen. Zwischen Produktion und Konsumtion besteht durch die Teilhabe am Sozialprodukt immer eine dynamische Anknüpfung zwischen Besonderheit und Allgemeinheit.

Das allgemeine Vermögen in der bürgerlichen Gesellschaft

Man kann sehen, dass das Vermögen nicht auf der Stufe der Gesellschaft als unmittelbare Besitznahme der Individuen gedacht werden kann, sondern als ein gemeinsames Vermögen zu verstehen ist, das ein System von Mitteln ist und „zu dem jeder treten kann um seine Subsistenz zu finden.“96 Diesbezüglich lässt sich die Arbeit auch als Teilhabe am Sozialprodukt verstehen. Hegel zeigt auf, dass der selbstsüchtige Zweck nicht nur als Befriedigung der Selbstsucht betrachtet werden kann, sondern auch als Beitrag zur Befriedigung der Bedürfnisse von Anderen zu verstehen ist. Das heißt, die Besonderheit der individuellen Befriedigung geht über die eigenen Bedürfnisse hinaus und gilt auch den Bedürfnissen anderer, so dass die Besonderheit hier an die Allgemeinheit anknüpft.

„Diese Notwendigkeit, die in der allseitigen Verschlingung der Abhängigkeit Aller liegt, ist nunmehr für jeden das allgemeine, bleibende Vermögen, das für ihn die Möglichkeit enthält, durch seine Bildung und Geschicklichkeit daran Teil zu nehmen, um für seine Subsistenz gesichert zu sein, – so wie dieser durch seine Arbeit vermittelte Erwerb das allgemeine Vermögen erhält und vermehrt.“97

Mit § 199 kann noch besser gezeigt werden, dass die Grundlage für einen Wohlstand, in dem jeder seine Bedürfnisse befriedigen sowie arbeiten und das Seinige erhalten kann, eine gebildete bürgerliche Gesellschaft ist. In dieser Gesellschaft muss der eigene Wohlstand sich in Abhängigkeit der Realisierung des Wohlstands Anderer befinden. Da die Individuen selbständig werden wollen, werden sie auch durch die Arbeit auch mehr Selbständigkeit in Bezug auf die Abhängigkeit von anderen gewinnen und damit die eigenen Bedürfnisse befriedigen. Seine Bedürfnisse zu befriedigen ist das Recht des Menschen.

Im Vergleich zum allgemeinen Vermögen ist das besondere, subjektive Vermögen aber abhängig – teils von unmittelbaren eigenen Grundlagen („Kapital“), teils von der individuellen Geschicklichkeit. Die Bedingungen für die Teilnahme am Sozialprodukt sind also abhängig erstens von einem unmittelbaren eigenen Vermögen, dem Kapital als Vorsorge, zweitens von Geschicklichkeit oder Talenten und drittens von der Willkür der Anderen.98

Wenn hier das Mittel, das Bedürfnis und die Arbeit nicht mehr als einzelne, sondern als Totalität zusammengesetzt vorgestellt werden, dann werden sie als „Stände“ betrachtet, nämlich als ganze Systeme. Diese Stände sind gesellschaftliche und staatliche Institutionen. Der Stand des Landmanns, der Gewerbestand und der allgemeine Stand gehören zur bürgerlichen Gesellschaft und jeder Stand hat einen Platz in der Gesellschaft: Landstände, Provinzialstände und Reichsstände.99

Hegel war der Meinung, dass die Einteilung der Stände nach dem Begriff (Befriedigung der Bedürfnisse) bestimmt werden solle: Beim ersten Stand ist die Erwerbung von der Natur und der Bearbeitung des Bodens abhängig. Im zweiten Stand geht es um die Reflexion der Arbeit. Der dritte Stand schließlich bezieht sich auf „die Mittel zur Befriedigung der Bedürfnisse vom Allgemeinen, im Dienst des Allgemeinen“100. In folgender Abbildung ist die obengenannte Einteilung mit ihren Erläuterungen dargestellt. Auf Hegels Darstellung der Standesunterschiede im Altertum und besonders im alten China wird im Folgenden dann noch eingegangen werden.101

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5: Drei Ebenen der Stände in der Gesellschaft102

Beim ersten Stand hat Hegel in Bezug auf Rechtspflege und Religion betont: „im Allgemeinen ist ihnen diese Weitläufigkeit der ausgebildeten Rechtspflege ein Fremdes, sie verlangen einen einfachen Urteilsspruch.“103 Da die Reflexion durch den Bauern fehlt, kann etwas Geistiges sie nicht vergnügen. Für die Bauern muss die Religion auf einfachste Weise dargestellt werden, denn ihnen fehlt die geistige Bildung, die zur Scheidung der Stände führen kann.

Zum zweiten Stand ist noch hinzuzufügen, dass seine drei Stufen sich nach den Besonderheiten ihrer Bedürfnisse unterscheiden: Der Handwerksstand zielt darauf ab, die Mittel zur Befriedigung besonderer einzelner Bedürfnisse zu produzieren, während der Fabrikstand Mittel nur für allgemeine Bedürfnisse herstellt. Beim Handelsstand ist das allgemeine Tauschprinzip des Geschäfts erstrangig. Hegel hat diese letzte Stufe, nämlich den Handelsstand als „den kosmopolitischen Stand“ gekennzeichnet, um hervorzuheben, dass durch den Tausch der Güter der allgemeine abstrakte Zweck über sich hinausgeht und sich mit den Bedürfnissen der ganzen Welt in Verbindung setzt.

Beim dritten Stand hat Hegel über die Berufswahl diskutiert. Während die bestimmenden Faktoren bei der Berufsauswahl meistens Willkür sind, ist die freie Auswahl des Berufs ein Prinzip der modernen Welt.104 „Dieß ist ein großes Prinzip, was besonders dem orientalischen Prinzip entgegengesetzt ist. Die indischen Kasten haben die Bestimmung dass jeder in einem Stande geboren ist und darin bleiben muss, schon durch die Geburt zu einem Stande bestimmt ist.“105 Die Berufswahl in der modernen Welt im Vergleich zu Indien hat Hegel ausführlich in der Philosophie der Geschichte behandelt.

Die Notwendigkeit der Bildung in der bürgerlichen Gesellschaft

Die Notwendigkeit der Bildung ist hier hervorzuheben. In der Bildung besteht einerseits das Moment der Besonderheit und andererseits der Versuch, gegen diese Besonderheit anzuarbeiten und zur Allgemeinheit überzugehen. Die Bildung setzt zwei Schritte voraus: erstens muss der Mensch seine Trägheit und Abhängigkeit abarbeiten und zweitens muss der Mensch durch eigenen Willen etwas Allgemeingültiges hervorbringen. Ob seine Energie ausreichend und das Erreichte allgemeingültig ist, hängt vom Urteil Anderer ab und muss von diesen anerkannt werden. Insofern verhält der Mensch sich in der Bildung nicht gegen sich selbst, sondern er hat ein Anderes gegen sich und gegen seine Bequemlichkeit.

Die Stufe der Gesellschaft gilt als die Verwirklichung des abstrakten Rechts. Aber in dieser Sphäre verbleibt die Besonderheit der Bedürfnisse als Grundbestimmung mit Naturabhängigkeit und Willkür. Was auf dieser Stufe noch fehlt, ist die Notwendigkeit, die durch die Freiheit an und für sich verursacht wird.

Die Rechtspflege als die Verwirklichung des Systems der Bedürfnisse

Hegel hat die Rechtspflege so definiert: „Das objektive Gelten, die Rechtspflege, diese Seite der Existenz ist die Seite des Daseins, der Besonderheit, es ist Bedürfnis von seiten der Besonderheiten, dass meine Produkte gesichert sind und so ist es dieß Bedürfnis der Besonderheit, worin das Moment der Existenz des Rechts, und damit die Rechts, und damit die Rechtspflege liegt.“106 Das heißt, um die Bedürfnisse zu befriedigen, müssen der Mensch und der Staat eine Mittel zur Sicherung des Privateigentums ausmachen, die als Rechtspflege zum Eigentum zur Geltung gebracht wird.

Es wird hier auch von Hegel darauf hingedeutet, dass die Besonderheit der Bedürfnisse das Recht als Mittel anerkennen kann. Das Problem liegt hier darin, dass die Bedürfnisse der Besonderheit zwar befriedigt werden können, aber sie befriedigen nicht unbedingt den vernünftigen Zweck, sondern nur den besonderen Zweck. Nach Hegels Darstellung ist die Besonderheit der Bedürfnisse dann realisiert worden, wenn sie zur vernünftigen Freiheit führen und als das Interesse der Vernunft existieren können.

Wenn man in der kapitalistischen Gesellschaft die Industrie zum Zweck macht und hierfür das Recht als Mittel anerkennt, muss die Rechtspflege eingeführt werden, denn in jedem Stand ist das Recht nicht als ein äußerer Zwang, sondern als ein innerliches Bedürfnis zu verstehen.

Die Rechtspflege und deren Einteilung

Die Rechtspflege wird in folgende drei Teile unterteilt: das Recht als Gesetz, das Dasein des Gesetzes und das Gericht.

Zum Recht als Gesetz: Das Recht kann nur innerliches Recht sein, es muss deshalb in der Form von Gesetzen gegeben sein, in denen die Form der Allgemeinheit als Grundsatz enthalten ist. In diesem Sinne besteht die Freiheit bezüglich des Rechts nicht in Meinungen, sondern in Gesetzen. Es muss noch hinzugefügt werden, dass der Inhalt des Rechts auf zwei Prinzipien basiert: Auf der einen Seite beruht das Recht des Eigentums auf der abstrakten Freiheit des Individuums und auf der anderen Seite besteht es noch in der Sphäre der Sittlichkeit, in der das Recht des Eigentums nicht selbständig sein kann, sondern nur als ein Moment zur „Verwicklung mit dem höheren sittlichen Prinzip“107 enthalten ist.

In der Gesetzbebung verschiedener Völker gibt es große Unterschiede und es kann auch bestimmte Gesetzgebungen geben, die ungerechte Bestimmungen in sich enthalten. Hegel hat als Beispiel China genannt: „Bei den Chinesen ist es z.B. Staatsgesetz dass der Mann seine erste Frau mehr lieben soll als die anderen, tut er dieß nicht, er wird verklagt und überführt, so bekommt er etwa 100 Prügel.“108 Man kann an diesem Beispiel sehen, dass es in alten Gesetzgebungen viele Inhalte gibt, die heute als tyrannisch oder despotisch angesehen werden.

Außerdem kann die Moral, z.B. in Punkten wie Treue oder Redlichkeit nicht als Gesetz etabliert werden, weil sie ihrer Natur nach nicht fähig ist zur Objektivierung, deren es aber bedarf, um gesetzliche Gegenstände geltend zu machen.

Hegel hat hier betont, dass das positive Recht nur mit den folgenden zwei Voraussetzungen existieren kann: Erstens muss der Wille oder die Besonderheit der Bedürfnisse von der Allgemeinheit als Recht anerkannt (geltend gemacht) werden können und zweitens steht das Recht der subjektiven Existenz gegenüber. Das Recht muss durch Gesetze objektiviert werden.109

Zum Dasein des Gesetzes: Um hierauf näher einzugehen, wird an dieser Stelle das Strafrecht als Beispiel für das Dasein des Gesetzes betrachtet. Das Dasein des Gesetzes bezeichnet die Anwendung der Gesetze auf die Individuen. Es geht hier aber nicht nur um die Anwendung der Gesetze auf den Einzelfall, sondern auch um die Pflichten des Einzelnen gegenüber dem Gesetz.

Hegel versucht, im Dasein des Gesetzes einen theoretischen Ansatz zur Erläuterung des konkreten Rechts zu finden: Das Prinzip der Anerkennung in der Gesellschaft ist der Boden des Daseins des Gesetzes. Im privaten Recht wird dieses Prinzip so dargestellt, dass dasjenige, was ich als mein Eigentum in Besitz nehme, von anderen anerkannt wird. Durch die Hypothekenbücher wird die allgemeine Gültigkeit gegenüber Anderen aufgezeigt, damit das private Eigentum objektiv der Existenz zugeschrieben werden kann.

Dieses Prinzip der Anerkennung wird natürlich auch beim Strafrecht entsprechend begründet. Der Verbrecher verletzt nicht die „subjektiven Unendlichen“, sondern „ein von der Gesellschaft Anerkanntes.“ Dies kann dazu führen, dass die Existenz der Gesellschaft bedroht wird und alle in einem Gliede angetastet sind. Während das Verbrechen nur als Einzelfall festgestellt wird, wird die exemplarische Bestrafung für das Verbrechen erteilt, um zu zeigen, wie man sich allgemein verhalten soll. Hegel hat zur Bestrafung des Weiteren gesagt, dass die Sicherheit der Gesellschaft eine Modifikation der Strafen bewirken kann.

Die Existenz des Verbrechens muss aufgehoben werden und der Wille des Verbrechers ist so zu verletzten, dass er seine Existenz nicht abstrakt, sondern geistig an seiner sittlichen Freiheit und an seinem Eigentum orientieren muss. Da er seine sittliche Freiheit und sein Eigentum in Bezug auf gesellschaftliche Geltung immer im Kopf behalten muss, bekommt er in der Reflexion seines Willens eine innerliche Existenz – und die Strafe zielt ab auf die Verbesserung des Verbrechers: „dieß ist die höhere Weise der Vernichtung des bösen Willens. Der Verbrecher wird so von einem Geistlichen auf das Schaffot begleitet um seinen bösen Willen zu brechen.“110

Zum Gericht: Das Gericht ist das Gesetz, das sich Wirklichkeit gibt. Das Gesetz muss betätigt werden durch das Gericht.

Das Wesen des Verbrechens

Hegel hat weiter aufgezeigt, dass das Verbrechen in der Gesellschaft eine Existenz in der Vorstellung der Anderen gewinnen könnte. Insofern muss das Verbrechen auf zwei Seiten verstanden werden:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 6: Die zwei Seiten zum Verständnis des Verbrechens

Zu A: das Verbrechen ist der abstrakte Wille oder der Wille des Individuums, insofern der böse Wille eine sinnliche Realität besitzt. Gegen diesen bösen Willen sollte die allgemeine Existenz in der Gesellschaft, die Gerechtigkeit, stehen. Aber dieser Wille ist auch „das Abstraktum von dem Ich will, dem Entschlossensein, das Subjekt ist in sich entschlossen“, der Wille des Verbrechens ist „unvermittelt in sich selbst, hat sich selbst bestimmt.“111 Hegel nennt diesen Willen eine „atomistische Weise“, da er immer sinnliches Dasein im Griff hat.

Zu B: Wenn der Mensch sich gegen seine Abhängigkeit vom Bösen wendet, kann er sich selbst bestimmen. Diese Bestimmung ist innerlich im konkreten Sinn und frei an und für sich. Außerdem weist diese Bestimmung auch darauf hin, dass dieses in sich allgemeine Denken ein vorstellender Wille ist, der durch seine erste Vorstellung (böse) bestimmt ist und aus dieser Bestimmtheit hinausgehen kann. Dieser vorstellende Wille kann sich die andere Bestimmung geben, womit die erste Bestimmung zur Besonderheit herabsinkt. „Auf diese Weise ist eine Sphäre, eine innerliche Sphäre des Vorstellens vorhanden, worin die Bestimmung des Bösen selbst aufgehoben werden kann.“112 In diesem Sinne meint Hegel auch, dass das Gericht und die Gesetzgebung dem Zweck dienen können, den Verbrecher zu verbessern: „Der böse Wille kann gut werden.“

Es muss noch betont werden, dass die Religion die Bekehrung des Menschen übernehmen kann, um das Böse des Willens zu vernichten. Es ist sinnvoll, in den nächsten Schritten über die Strafe und das Böse des Willens zwischen verschiedenen Völkern zu diskutieren, denn „die Strafe fasst die andere westliche Form der Existenz des Verbrechens auf.“113

Während das Gesetz das Allgemeine ist und immer in allgemeiner Form vorhanden ist, braucht es aber doch auch Menschen, die tätig sind und das Gesetz vollziehen. „Die Handlung des Gesetzes muss in der Weise eines Gerichtes sein, dieß ist an und für sich notwendig, das Gesetz muss betätigt werden.“114 Das Gericht ist sozusagen eine Stelle, an der das Gesetz durch Tätige verwirklicht werden kann.

Exkurs: Die Dialektik der modernen Industriegesellschaft

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Abbildung 7: Die Dialektik der modernen Industriegesellschaft

Statt in agrarwirtschaftlichen Ländern hat Hegel die Widersprüche in der industriellen Gesellschaft gezeigt. Für Hegel ist eine industrielle Gesellschaft eine ausgebildete Gesellschaft115, auf der die Befriedigung der Bedürfnisse gegründet ist, aber die Individuen können nur durch Zufall und Schicksal an diesem Vermögen teilhaben. Die verschiedenen Weisen des Teilhabens bewirken die Anhäufung des Eigentums – je nachdem, ob die Menschen sich mit der Vermehrung der Mittel beschäftigen oder sich auf die Vereinzelung der Arbeit beschränken und davon anhängig sind. Dies kann dazu führen, dass die Extreme von Reich und Arm sich zuspitzen, sodass ein Klassengegensatz entsteht.

Hegel hat gesehen, dass der Klassengegensatz zur Proletarisierung des Menschen führen kann. Den armen Menschen entziehen sich nicht nur die Bedürfnisse, sondern auch die natürlichen Erwerbungen. Da die Armen proletarisiert sind, sind sie von fehlenden Ausbildungsmöglichkeiten und fehlendem Rechts- und Gesundheitsschutz bedroht. Der Widerspruch zwischen Proletariern und Kapitalisten zeigt sich als „die Verelendung des Proletariers als Chance des Kapitalisten“, die von der Vermehrung des Kapitals verursacht werden. Je größer das Kapital ist, umso mehr Unternehmungen streben nach möglichst viel Gewinn, obwohl der Gewinn in Bezug auf das Einzelstück gesehen herabgesunken ist – aber durch die Menge gibt es erweiterte Möglichkeiten zum Profit. In diesem Zuge versuchen die Besitzer der Unternehmen, den Arbeitnehmern einen möglichst geringeren Lohn anzubieten. Die Tatsache, dass die kleineren Kapitalisten in die Armut zurückfallen und eine große Anzahl von Menschen durch mechanische Arbeiten mit dieser Arbeit verbunden und von ihr abhängig sind, kann einerseits zu Streiks und Tarifverhandlungen führen, andererseits zum Pöbel oder zum Elend der Proletarier.

Darüber hinaus betont Hegel, dass die industrielle bürgerliche Gesellschaft das Band der Familie als eines Stammes aufhebt und „jeder selbständig ist und das Familienband dadurch zurückgedrückt wird.“116 Für Hegel verfügen die Familien im industriellen Zustand nicht über ihre Selbständigkeit, sie verbleiben vielmehr in der Verwandtschaft der allgemeinen Familie.

Diesbezüglich meint Hegel, dass die bürgerliche Gesellschaft nicht in der Lage ist, das Problem des „Pauperismus“ zu lösen, weil der Widerspruch zwischen Kapitalisten und Proletariern nicht zu lösen ist: Weder die Armentaxe noch die Versorgung der Arbeitslosen mit Arbeit können hier helfen. Durch die verstärkte Vermehrung der Menschen in der industriellen Gesellschaft wird dieses Problem noch verschärft.

Der Export und die Kolonisation gelten Hegel als Auswege aus diesem Widerspruch des Kapitalismus. Beide setzen voraus, dass die Produktion die Bedürfnisse der Menschen übertrifft.

Wie der Boden für die Ackerbauer in der Agrarwirtschaft, ist „für die Industrie das nach Außen sich belebende natürliche Element, das Meer.“117 Während der Boden eine Bedingung für die Familie in der Agrarwirtschaft ist, gilt das Meer in der Zeit der Industrie als „das größte, leichteste Mittel der Kommunikation“.

Die Korporation als soziale Organisation des Gewerbestandes

„Die Corporation ist zunächst vorzustellen als Gemeinde und näher als Gewerbe, Zunft.“118 Die Gemeinde ist nach Hegels Darstellung noch als ein abstraktes Ganzes zu sehen, das unterschiedliche Interessen der Individuen in sich enthält. In diesem Sinne hat eine Gemeinde viele Interessen in der Form einer Allgemeinheit. Einfacher gesagt bilden hier einzelne Interessen durch die Form des Allgemeinen einen Kreis.

Die Korporation zu betrachten ist deshalb so wichtig, weil sie sich auf die Verfassung bezieht. Das Prinzip der Gleichheit wird hier hervorgehoben, obwohl es noch abstrakt ist. In der Korporation gibt es einerseits die Gewerbefreiheit von Individuen, so dass das Prinzip des Individuums als allgemeines, absolutes Recht angesehen werden kann; andererseits bilden die Menschen die Korporation, damit die Grundsätze für das Handeln nicht subjektiv und abstrakt bleiben.

Die Korporation steht in Verbindung mit dem Staat. Mit anderen Worten: Sie gilt als sittliches Mittelglied zwischen Familie und Staat. Die Familie ist mit Individualität verbunden und fungiert als das Material des Staates, während der Staat als das sittliche Ganze und der allgemeine Zweck fungiert. Zwischen Familie und Staat, diesen beiden sittlichen Ganzen, gibt es kein Mittelglied. „Was so in seinen Gegensätzen existiert muss nach der Vernunft, dem Begriff, durch eine Mitte vermittelt sein, so dass der Begriff sich als Schluss darstellt.“119 Die Korporation fungiert als ein Mittelglied oder eine Versöhnung der beiden: Die Besonderheit der Bedürfnisse und der Zweck der Allgemeinheit werden in diesem Mittelglied so vereinigt, dass im Staat das besondere Interesse als allgemeines bezweckt und bestätigt ist.

Die Korporationen werden dadurch berechtigt, dass diese zwei Aspekte vervollständigt werden könnten: Einerseits besitzt das Individuum nicht nur das Recht, tätig zu sein, es kann dadurch auch sein Zweck, dass er durch sein Treiben seinen gesicherten Lohn bekommt, befriedigt werden. Die Korporationen sollen den gesicherten Lohn bei jedem festlegen. Insofern wird der Zweck zum allgemeinen Zweck der Korporation und die Korporation ist für das Wohl ihrer Angehörigen tätig. Das heißt: Da die Sorge um das individuelle Wohl hier zur Sorge um das Wohl des Ganzen wird, verfügt der individuelle Zweck über einen allgemeinen Inhalt.

In der Korporation steht keiner als Einzelner. Die Korporationen organisieren kleine Kreise in den großen Kreisen. In den Korporationen muss „jeder als dieser einem Allgemeinen angehören und für dieses Tätig sein.“120 Hegel hat gesehen, dass eine Aufhebung der Korporationen wegen Selbstsucht oder anderen Gründen zur Desorganisation in den höheren Sphären wie z.B. im gesamten Gewerbe führen kann. Für Hegel scheint der Mensch in der Gesellschaft nur als Privatmann statt als Bürger ein Glied des Gemeinwesens zu sein. Aber der Privatmann organisiert die kleine Zunft oder Genossenschaft im Staat, er lebt nicht in einer atomistischen Weise. Die Familie und die Korporation gelten als das sittliche Ganze, aber der Unterschied zwischen Korporationen von den Familien besteht darin, dass jeder Einzelne in der Korporation seine Allgemeinheit darstellen und damit weiteren Kreisen angehören kann, so dass das Individuum hier fest an den Staat gebunden ist.

In der Korporation hat der Bürger seine sittliche Ehre: „Individuum zu sein, das wirksam ist in und für einen allgemeinen Zweck […]. Dass die Korporation die Besonderheit der Zwecke durch die Allgemeinheit als Zweck setzt, hebt sie die Trennung beider Momente oder die bürgerliche Gesellschaft ihrem Begriff nach auf.“121

Hegel hat auf der Basis der Korporationen auch den ackerbauenden Stand kritisiert: Die Familie ist das Hauptmoment im ackerbauenden Stand. Da die Subsistenz sich auf das Privateigentum in der Familie beschränkt, bleibt das Verhalten der Familienglieder hier ein unmittelbares. Dies gilt als Hegels zentrale Kritik an der orientalischen Geschichte und Philosophie.

3. Der Übergang von der Gesellschaft zum Staat

Die folgende Tabelle zeigt, wie die drei Teile der Rechtsphilosophie in Bezug auf die Arten des sittlichen Ganzen einschließlich des logischen Übergangs und der sozialen Stände ineinander übergehen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 4: Die Basis und der Überbau des sozialen Ganzen

Zwei Momente, die Hegel als die Bedingungen des Übergangs zum Staat annimmt, sind die Familie und die Gesellschaft: „Die Familie, einerseits, die Heiligkeit der Ehe, und andererseits die Ehre der Korporation sind die zwei Momente, von denen das Wohl der bürgerlichen Gesellschaft abhängt.“122

In der Korporation besteht der Übergang zum Staat. Hegel hat im § 256 der Rechtsphilosophie den Unterschied des Zwecks der Gesellschaft von dem des Staates dargestellt: „In der bürgerlichen Gesellschaft ist das besondere Interesse der Zweck, im Staat das an und für sich seinende Allgemeine. Das Besondere wird in den Korporationen geheiligt als erhoben zu einem Allgemeinen. Aber in dieser wird noch vom Besonderen ausgegangen, im Staat von geistiger Allgemeinheit.“123

Das heißt, die Korporation verfügt über ein besonderes Interesse und einen besonderen Zweck, dessen Inhalt aber einen allgemeinen Zweck in sich schließt. In diesem Sinne gilt die Korporation als eine Dialektik und Vermittlung von Besonderheit und Allgemeinheit; wird als eine Identität von Besonderheit und Allgemeinheit gesetzt und kann durch die Besonderheit verwirklicht werden. Das Resultat dieser Dialektik führt nicht zum abstrakten logischen Übergang, sondern zur Vollendung eines konkreten sittlichen Ganzen und „das Besondere in seiner absoluten Reflexion in sich, ist nur als Bestätigung des Allgemeinen, und dieses nur das Allgemeine durch die Bestätigung der absolut in sich selbst reflectirten Individualität.“124

Die Verfassung des Staates in seinen gesellschaftlichen Institutionen

Der Grundunterschied zwischen bürgerlicher Gesellschaft und Staat besteht darin, dass in der bürgerlichen Gesellschaft das besondere Interesse der Zweck ist, während der Zweck im Staat das an und für sich seinende Allgemeine ist. Die Gesellschaft geht von der Erhebung von der Besonderheit zur Allgemeinheit aus, während der Staat von geistiger Allgemeinheit ausgeht.

Der Staat gilt als eine vermittelte Einheit der Familie und der Gesellschaft, da er nicht als eine Zusammensetzung der Moralitäten existiert, sondern nur ein Prozess ist, durch welchen die Individuen ihre selbständigen Momente erfahren. „Als die Idee des objectiven Geistes ist der Staat die Selbstvermittlung seiner Selbst – zunächst als unmittelbare Idee die Entwicklung seiner in sich selbst zum System seines Begriffs (Einheit der Familie und der bürgerlichen Gesellschaft).“125

Hegel hebt am Anfang des Abschnitts über den Staat die Konstruktion des Staates und sein Verhältnis zu anderen Staaten hervor: „Die Construction des Staates ist, Realisation des Gebäudes der Freiheit zu sein […]. Der Staat außer seiner Innerlichkeit ist zugleich in Verhältnis zu anderen Staaten, und es ist der Weltgeist, der sich in den einzelnen Staaten offenbart, und zu diesem Allgemeinen zugleich hat der einzelne ein Verhältnis, außer dem zu anderen Einzelnen.“126

Bei der Freiheit geht Hegel nicht vom individuellen Bewusstsein aus, sondern vom Wesen des Selbstbewusstseins. „Und dieses Wesen realisiert sich als selbständige Gewalt, in der die einzelnen Individuen nur Momente sind […] es ist der Gang Gottes in der Welt dass der Staat ist. Es ist die Gewalt der sich als Wille verwirklichenden Vernunft.“127

Außerdem existiert der Staat in der Wirklichkeit als individueller Staat. Hegel unterscheidet hier die Individualität des Staates von der Besonderheit des Staates, denn erstere gehört zum Moment der Idee, während letztere der Geschichte angehört. Die Einteilung des Staats erfolgt durch die Momente der Idee des Staates, denn die Idee enthält alle wesentlichen Momente des Staates.

Die Einteilung des Staates

A. Der Civilstaat: Im Staat verhält sich der Staat wie eine Organisation in sich. Im Staat ist der individuelle Staat als die Wirklichkeit vorhanden, der als sich auf sich beziehender Organismus auf der Verfassung, genauer gesagt auf dem inneren Staatsrecht basiert.
B. Die Militärgewalt: Wenn der Staat als Individualität gegen andere Staaten steht, ist er dafür eingerichtet, sich gegen außen zu verteidigen. Diese Vorkehrungen nach außen und sein Verhältnis zu anderen Staaten werden vom äußerlichen Staatsrecht geregelt.
C. Weltgeschichte: Da die Staaten voneinander unabhängig sind und dennoch Verhältnisse mehrerer Staaten existieren können, muss der Geist als Richter über die besonderen Staaten auftreten, denn er stellt sich als „das an und für sich Allgemeine, als wirkende Gattung in der Weltgeschichte dar.“128

Die folgende Abbildung zeigt, wie der Staat nach den Momenten der Idee des Staates gegliedert ist. Für Hegel werden das äußere Staatsrecht und das innere Staatsrecht als die unmittelbare Wirklichkeit dargestellt, während der Staat im dritten Moment nicht mehr als Wirklichkeit, sondern als Gattung in der allgemeinen Idee sich entwickelt. „Dies ist die absolute Macht gegen die individuellen Staaten. Dieser Prozess des allgemeinen Geistes ist die Weltgeschichte.“129

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 8: Die Einteilung des Staatsrechts

Die alte und die moderne Welt bei der Vollendung der Staatsidee

Hegel hält den Unterschied der Vollendung der Staatsidee in der alten und der neuen Welt immer vor Augen: Der Hauptunterschied zwischen den beiden liegt in der Frage, ob das Prinzip der Innerlichkeit auf Staatsebene wirklich anerkannt werden soll: In der alten Welt ist der subjektive Zweck direkt mit dem Wollen des Staates einheitlich, während der subjektive Zweck in der modernen Welt in die Innerlichkeit eingebunden ist. „Im Despotismus Asiens hat das Individuum keine Innerlichkeit, keine Berechtigung in sich. In der modernen Welt will der Mensch als dieser in seiner Innerlichkeit geehrt sein.“130

Um das Prinzip der Innerlichkeit der Individuen im Staat näher auseinanderzusetzen, muss der Gedankengang so wie folgt rekonstruiert werden: Für Hegel sind diejenigen Staaten unvollkommen, in denen die Idee des Staates noch nicht ans Licht kommt und die Besonderheit der Individuen nicht zur Geltung kommen kann.

Da die Familie und die bürgerliche Gesellschaft die Momente der Idee sind, wobei die Individuen sich als Partikularität ausbilden und somit ihre Allgemeinheit in der Besonderheit begreifen, steht die Besonderheit der Individuen mit der Allgemeinheit des Staates in unterschiedlichen Staaten in einem Spannungsfeld: Einerseits muss das Interesse der bürgerlichen Gesellschaft und der Familie durch den eigenen besonderen Zweck der Individuen bestätigt werden; andererseits kann die Subjektivität nicht nach ihrem subjektiven Belieben, sondern nur im Interesse des Allgemeinen „betätigt werden durch das Freilassen der subjektiven Freiheit. Dieses Prinzip der Innerlichkeit ist das Unterscheidende der modernen Welt.“131

Das heißt, das Freilassen des Subjektiven (oder die Entwicklung der Freiheit des Subjektiven) setzt das Interesse am Allgemeinen im Staat voraus. Mit anderen Worten: Die Verwirklichung der Freiheit bezieht sich nicht nur auf die Rechte der Individualität, sondern auch auf die Pflichten in der Organisation des Begriffs der Freiheit. In diesem Sinne gilt der Staat als eine Stelle, an der das Individuum seine Zwecke mit der Identität des allgemeinen Zwecks vereinigen und somit die Rechte der Individualität mit den Pflichten im Staat versöhnen kann.

In früheren Vorlesungen entlehnt Hegel in dieser Perspektive das Prinzip der Innerlichkeit von Rousseau: Nach Rousseau sollte das Staatsverhältnis auf dem Vertrag beruhen, denn der Vertrag bindet die beiden Parteien im gemeinschaftlichen Versprechen. Für Hegel ist dieser Gedanke Rousseaus einerseits großartig, weil er den Willen der Einzelnen zum Prinzip des Staates macht: „Von ihm an hat das Denken über den Staat begonnen.“ Andererseits kritisiert Hegel Rousseau dahingehend, „dass er nicht den Willen als solchen als Grundlage des Staates gefasst hat, sondern den Willen als einzelnen in seiner Punktualisierung.“132

Nach Hegel sollte der Begriff der Freiheit das Allgemeine und das Wesen des Staates ausmachen, statt der Individualität der Freiheit. In seinen Augen liegt der Grund für das Prinzip der Innerlichkeit darin, dass die Idee in ihrer Entwicklung das Inhaltsbestimmende ist, unabhängig von der Willkür des Einzelnen.

Das Prinzip der Innerlichkeit besteht darin, dass die Bestimmungen des individuellen Willens durch den Staat in einem objektiven Dasein eingesetzt werden – einfacher gesagt: dass die konkrete innerliche Freiheit nur dadurch erfolgen kann, dass der Wille an und für sich im Staat existieren kann. Diesbezüglich liegt die Aufgabe des einzelnen Staates darin, den Bestimmungen des individuellen Willens gemäß der Allgemeinheit zu ihrem höchsten Recht zu verhelfen. Es kommt beim Prinzip der Innerlichkeit auf die Freiheit der Allgemeinheit an, aber nicht auf die Freiheit der Besonderheit.

Das ist das Moment, wo die Vernünftigkeit im Staat entsteht und „der Staat also ist als Verwirklichung der Vernunft dem vernünftigen Willen jedes Individuums entsprechend […]. Der Staat ist die alleinige Bedingung der Erreichung des besonderen Zwecks und Wohls; dieses gewährt nur der Staat, indirect oder direct auch.“133

Da der Staat als der lebendige Organismus fungiert, welcher die meisten Bestimmungen in sich fasst, hat er besondere Glieder im Staatsleben, wie z.B. die Partikularität und das Ganze, in sich zu erhalten. Hegel meint hierzu, dass jedes Glied im Staat nicht nur ein Glied, sondern auch ein Ganzes sein kann, wie ein eigenes System. „Indem jedes Moment so ein Ganzes ist, so hat es damit die Seele des Ganzen in sich, ist sich so selbst recht und dem Begriffe gemäß. Jedes Organ im Lebendigen ist so ein System in sich selbst; im Anderen hat es den Spiegel seiner Selbst.“134 In diesem Sinne ist der Staat für Hegel einerseits weltlich und endlich, da es Unterschiede in der Existenz des Staates gibt, „die als eine Reihe von Unterschieden sich in eine Reihe von Endlichkeiten abscheiden“, aber andererseits hält Hegel die Idee oder „die Seele“ für verantwortlich für die Erschaffung dieser Unterschiede in einer Einheit: „Aber der Staat hat eine belebende Seele, und dieß beseelende ist diese Subjektivität, die einerseits Erschaffen der Unterschiede, aber ebenso das Erhalten in der Einheit ist.“135

Der spekulative Begriff der Verfassung bei Hegel

„Der Staat durchdringt in seiner Verfassung alle Verhältnisse.“136 Laut Hegel ist die Verfassung das Resultat der Substanz des Volksgeistes im Sinne einer „Entwicklung die in einem langen Zeitraum nach und nach hervorgebracht“137 wurde. Der Grund dafür, dass Hegel in der Philosophie der Geschichte die Verfassungen in China und Indien bemängelt, liegt darin, dass die Verfassung nicht als ein Gemachtes angesehen werden soll, „denn sie ist vielmehr das schlechthin an und für sich seiende, das darum als das Göttliche und Beharrende und als über der Sphäre dessen, was gemacht wird, zu betrachten ist.“138 Man kann sagen, dass die Verfassung für Hegel eine elementare Vorstellung ist im Sinne des Geistes der Völker.

Zur Verfassung gehört die Organisation der Staatsgewalt, die immer auf beide Seiten zu verteilen ist: für den innerlichen Staat als Zivilgewalt und in Richtung nach außen als Militärgewalt. Hegel sieht die Verfassung als einen Ausdruck der Vernünftigkeit im Staatsleben an: „die politische Verfassung ist wie die Lebendigkeit des Organismus ein Bild, eine Verwirklichung der Vernünftigkeit.“139 Für Hegel betrifft die Staatsorganisation nichts anderes als die vernünftigen Unterschiede des Begriffs Staat, der als ein Ganzes gilt: Einerseits ist der Staat als ein Ganzes, dessen einzelne Momente und untergeordnete Sphären sich entwickeln können und andererseits werden die dem Staat untergeordneten Sphären ideell gesetzt und somit kann der Staat auch als Individualität dargestellt werden.

Diesbezüglich müssen die einzelnen Gewalten im Staat zwar unterschieden werden, aber dennoch ein Ganzes mit den anderen ausmachen, denn „an sich müssen die Gewalten so eines sein, dass sie es auch in der Wirklichkeit sind, jede Gewalt muss an sich selbst das Ganze sein, an ihr selbst die andere Momente in ihr enthalten. So ist denn schon jede Gewalt an sich die Totalität.“140 Für Hegel ist die Trennung der Gewalten erforderlich, aber wie die Gewalten getrennt miteinander funktionieren können, ist fraglich. Dies steht als Kernpunkt für die Unterscheidung zwischen Verstand und Vernünftigkeit hier im Vordergrund.

So liegt der Unterschied zwischen der Vernünftigkeit und dem Verstand auch in der Verfassung: Wenn der Verstand die Gewalten nur in der Trennung abstrakt für sich hält, dann sieht die Trennung drei Gewalten wie folgt aus:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 9: Die drei Gewalten in der Verfassung

Hegel hat gezeigt, dass A. Die gesetzgebende Gewalt die Bestimmung des Allgemeinen ist, während B. die exekutive Gewalt als die Subsumtion der Besonderheit der Existenz unter das Allgemeine der Gesetze ausgeführt wird. Die beiden sind zwar Momente des Begriffs, aber ihre Bestimmungen sind noch abstrakt und unabhängig von den anderen bestehend festgesetzt. Laut Hegel hat man in der Französischen Revolution nur den Zwist oder den Kampf dieser beiden gesehen: „wenn also beide Gewalten abstract gegenüberstehen, so ist nur ihr Kampf zu erwarten.“141 Außerdem kann das sittliche Gefühl nicht über die Gewalten des Staates bestimmen. Für Hegel müssen die Gewalten zwar getrennt sein, aber konkret statt abstrakt als auch eine Totalität sein, damit sie „die anderen Momente des Begriffs in sich“ behalten können. Der Unterschied zwischen Verstand und Vernünftigkeit besteht hier darin, dass die Unterschiede der Gewalten nur als separat abstrakt betrachtet werden können, weil die Gewalten einander ausbalancieren zu können scheinen. Was hier beim Verstand noch fehlt, ist die Einheit des Ganzen, die nur von der Vernünftigkeit konstruiert werden kann.

Im Gegensatz dazu beschränken sich die Unterschiede jedes Gliedes im Staat nicht auf sich selbst, sondern sie bilden eine vollkommene Geistigkeit: „die Idee, in diese verschiedenen Elemente getaucht, macht einen Kreis von Göttern aus: jeder ist in sich vollendet, und in allen ist ein und derselbe Geist zu kennen.“142 Laut Hegel muss jedes Glied sich zwar von den anderen Gliedern unterscheiden, das Ganze muss für sich als Totalität sein und nicht zuletzt in sich befriedigt werden. Hegel verbindet die Unterschiede jedes Gliedes mit der Notwendigkeit, die gemäß der Natur des Begriffs besteht. In diesem Sinne gilt jedes Glied oder Moment im Staat als ein Notwendiges und ein unterscheidendes Moment, „welches nach der Natur des Begriffs so unterschieden ist.“143

Wenn man bei der Einteilung der Gewalt vom Standpunkt der Idee oder der Vernünftigkeit ausgeht, müssen aufgrund der negativen Vernunft zuerst die Gewalten jeweils für sich selbständig gut ausgebildet werden und dann müssen sie wegen der positiven Vernunft wieder als eine Einheit zusammengesetzt werden. In diesem Sinne hat der Staat zwar das Allgemeine, aber er ist „das Ideelle seiner verschiedenen Sphären überhaupt.“144 Aus dieser Ansicht in der Perspektive der Vernünftigkeit wird die Teilung der drei Gewalten wie folgt erneut interpretiert:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 10: Die drei Gewalten aus der Perspektive der Vernünftigkeit145

Ganz wichtig ist es, zu bemerken, dass in jeder einzelnen Gewalt die anderen beiden Gewalten mitwirkend sind – z.B. sind im Bereich A. von Abbildung 16 auch die Bereiche B. und C. mit enthalten. Erstens bestimmt sich die Gesetzgebende Gewalt als das Allgemeine, der Wille will zweitens etwas Besonders haben und drittens setzt der Wille sich durch und bringt sich zur Wirklichkeit. Dieses Dritte kann nur im Staat stattfinden, der als das Ganze mit der Durchsetzung oder Entschließung des Willens begonnen hat und dabei die beiden anderen Sphären mit umschließt. Die fürstliche Gewalt als das Dritte enthält die drei Momente der Totalität in sich, nämlich die Allgemeinheit der Verfassung, die Beratung als Beziehung des Besonderen zum Allgemeinen und nicht zuletzt das Moment der letzten Entscheidung im Sinne der Selbstbestimmung.146

Der moderne Staat als vernünftige, entwickelte Verfassung

Die Verfassung, die auf dieser Perspektive der Vernünftigkeit gegründet ist, wird konstitutionelle Monarchie genannt, denn „die konstitutionelle Monarchie ist die Erfindung und das Werk der neuen Welt.“147

Laut Hegel handelt es hier weder um eine Monarchie aus der Antike noch um einen patriarchalischen asiatischen Zustand. Hegel meint, dass in den Letzteren die Unterscheidung der Gewalten noch gar nicht wirklich begonnen hat. Von Feudalmonarchie ist hier auch nicht die Rede. In Abbildung 16 wird die fürstliche Gewalt so definiert, dass sie einerseits die Gewalt als Totalität der drei Momente ist, andererseits „das Moment der letzten Entscheidung, als der Selbstbestimmung, in welche Alles übrige zurückgeht, und wovon es den Anfang der Wirklichkeit nimmt. Dieses absolute Selbstbestimmen macht das unterscheidende Prinzip der fürstlichen Gewalt als solcher aus, welches zuerst zu entwickeln ist.“148

Da der Staat der sich selbst bestimmende Wille ist, ist die Souveränität die erste Grundbestimmung des Staates. Mit anderen Worten: Der Staat enthält die Subjektivität, aber nicht als Zusammensetzung vieler Subjektivitäten, sondern als Subjektivität des Staates. Diese Subjektivität des Staates existiert für sich und unterscheidet sich von anderen Momenten dadurch, dass sie als die Persönlichkeit eintritt, die der abstrakte Wille des ganzen Staates ist. Aber „die abstrakte Bestimmung der Freiheit, diese Abstraktion als Bestimmung des Staates für sich zur Existenz kommend ist die Person, und in der Wirklichkeit existierend die Person des Monarchen.“149 Nur in der Persönlichkeit können sich das Allgemeine, das Gute usw. aus dem freien Willen entwickeln. Insofern gilt die Souveränität als die Persönlichkeit des Staates und die Identität aller Momente im Staatsleben: Alle staatlichen Gewalten und Funktionen werden davon abgeleitet.

Der Unterschied zwischen der Souveränität des Staates und den Individuen mit ihrem Privateigentum besteht darin, dass die fürstliche Gewalt, nämlich die Souveränität des Staates nur in Bezug auf die anderen Momente besteht, die alle als organische Gebilde in der Einheit des Staates verbleiben, während es der Kreis der Individuen, z.B. Korporationen, Gemeinden usw., kaum zu bestimmen ist, denn die Individuen besitzen das Privatrecht, den eigenen Trieb selbst zu befriedigen, wobei die Gewalten des Staates nicht eintreten können.

Es folgt nun ein kurzer Überblick zum Übergang von der Subjektivität zum Subjekt des Staates:

a. Die Souveränität nach innen ist das Moment der substantiellen Identität.
b. „Alle die verschiedenen Sphären und Gewalten des bürgerlichen, politischen und sittlichen Lebens erscheinen in jener substantiellen Identität wurzelnd.“150
c. Die Gewalten sind bestimmt von der Idee des Ganzen „und nur dadurch haben sie ihr Recht, dass sie Glieder jenes Ganzen sind.“151
d. Die verschiedenen Geschäfte und Gewalten des Staates sind kein Privateigentum und müssen durch die Individuen bestätigt werden, aber sie sind bereits aus dem Verhältnis des Privateigentums ausgetreten.
e. „Das Individuum hat seinen Wert und seine Würde nur, insofern es sein Amt und sein Geschäft gehörig verrichtet.“152

Für Hegel kann eine moderne Monarchie so gestaltet sein, dass die Ausübung der Gewalt oder der Staatsgeschäfte nicht aus dem Privateigentum, sondern aus der Idee des Staates abgeleitet sind. Dies gilt als ein Kriterium für Hegels Kritik an den patriarchalischen asiatischen Staaten und den Feudalmonarchien. Die Souveränität wird hier in diesem Sinne verstanden, dass sie die Identität ist, die „als Subjektivität wirklich ist.“153 Der hegelsche Gedankengang zur Monarchie kann wie folgt dargestellt werden:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 11: Das Identitätsprinzip bei der Souveränität

Ein weiterer großer Unterschied zur Feudalmonarchie und zum patriarchalischen Staat besteht in der Idee der Freiheit: Da alle Momente im Staat der Idee der Freiheit angehören und jedes Moment seine eigene abgesonderte Existenz hat, sollte jedes Moment die Freiheit der Idee gewinnen. Hegel meint, dass „das Ich will im patriarchalischen Staat enthalten ist, aber nicht in seiner freien Persönlichkeit, diese ist erst in der Monarchie vorhanden.“154 Dieses „Ich will“ ist auf keinen Fall als eine moralische Person oder als ein gemeinsamer Wille aus vielen einzelnen Willen zu interpretieren, sondern als ein wirkliches Individuum, das aus der Idee entwickelt wurde und zur Realisierung der Idee kommt.

Obwohl das „Ich will“ die erste Bestimmung der Monarchie ist, ist diese Monarchie noch weiter zu bestimmen. Die Gesetze müssen ihr vorgebracht werden. „Dieses Bringen muss organisirt sein und diese Organisation ist das Ministerium.“155

Da in der Monarchie das Individuum durch Geburtsrecht an der Spitze steht, bestehen die Momente der Verfassung mit Notwendigkeit, wobei alle Institutionen im Zusammenhang stehen bleiben und durch den Begriff bestimmt sind. Diese Notwendigkeit setzt die vernünftige Verwirklichung der Freiheit voraus. Hegel ist in der Meinung, dass in dem Fall, wo die Institutionen eines Volkes vernünftig sind, die konstitutionelle Monarchie von selbst entsteht, ohne dass alles von dem Monarchen abhängig ist. Diesbezüglich sagt Hegel, dass „der Monarch selbst ein Sohn seiner Zeit und seines Volkes ist.“156 Später sagt er, dass die Thronerziehung immer ein wichtiges Thema für patriarchalischen Staat gewesen sei, denn ein ganzes Volk sei von der Persönlichkeit des künftigen Kaisers abhängig.

Außer der Souveränität des Staates und der Souveränität als Identität gibt es noch ein weiteres Moment der fürstlichen Gewalt: das an und für sich Allgemeine. Dies sind die Gesetze und die Verfassung, die nicht vom Fürsten gemacht wurden und von der fürstlichen Gewalt immer schon vorausgesetzt sind. Hegel kritisiert in dieser Richtung weiter: „In despotischen Staaten ist das an und für sich Geltende vornehmlich als Religion vorhanden. In gebildeten Staaten hingegen ist es in der Form des vernünftig Gedachten.“157

Zur Regierungsgewalt

Die Aufgabe der Regierungsgewalt besteht darin, das Allgemeine der Gesetze und der Verfassung im Besonderen zur Geltung zu bringen und „die Kreise des besonderen Lebens auf das Allgemeine zurückzuführen.“158 In dieser Sphäre stoßen das Allgemeine und das Besondere zusammen.

Wichtig ist, zu sehen, dass bezüglich der Regierungsgewalt Beamten mit einer allgemeinen Bildung erforderlich sind, denn so „macht diese Masse überhaupt das aus, was man den Mittelstand nennt.“159 Der Mittelstand besitzt laut Hegel allgemeine Kenntnisse und Ansichten, die zur wesentlichen Intelligenz eines Staates gehören. Deshalb besteht die Aufgabe der Institutionen darin, diesen Stand immer vor der Willkür und Nachlässigkeit der Beamten zu beschützen. In der Philosophie der Geschichte behandelt Hegel den Stand der Beamten in der Perspektive der Regierungsgewalt, wovon später noch die Rede sein wird.

Zur gesetzgebenden Gewalt

Nach Hegel sollte die gesetzgebende Gewalt das monarchische Moment in sich enthalten, „in welches die höchste Entscheidung fällt“160. Trotzdem muss auch die Regierungsgewalt bei dieser gesetzgebenden Gewalt tätig sein. Aber diese Gewalt besteht für sich als Totalität wie die anderen Gewalten.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 12: Überblick zur Souveränität gegen innen und außen

4. Die Weltgeschichte

In der Weltgeschichte wird das Reich des Weltgeistes dargestellt, um zu sehen, dass in der Weltgeschichte das Recht des absoluten Geistes zu seinem Dasein kommt. Auf den niedrigeren Stufen sind es besondere Rechte, die sich Dasein geben und auf der höchsten Stufe ist es der allgemeine, absolute Geist mit dem größten Recht. Vom Anfang an ist die Person der einzelne, abstrakte Wille und dessen Recht ist auch das formellste. Da der Staat die konkrete Freiheit ist, gehört die Freiheit nicht zur allgemeinen Person, sondern zum Staat, der ein Ganzes ist. Die Staaten, sie sich als besondere verhalten, treten wieder in ein Verhältnis der Beschränktheit ein.

Der absolute Geist in der Weltgeschichte versucht, alle seine Besonderheiten abzustreifen und sich zu seinem höchsten Dasein zu erheben. Da Hegel den Staat als „das Dasein des freien Willens“ definiert hat, besteht die Rechtfertigung des Staates in der Realisierung des freien Willens und darin, dass „die Natur des Geistes und seiner Bestimmungen als diese erkannt werden, dass jede Bestimmung die Totalität ist.“161 Wie zuvor dargestellt wurde, ist der Wille des Staates der Wille des Allgemeinen und schlägt sich als Verfassung in konkreter Form nieder. Die Bestimmung dieses Allgemeinen ist der Inhalt der Gesetze. Die Grundidee von Hegels Staatslehre besteht darin, dass der Wille des Staates, nämlich der Wille des Allgemeinen, zuerst als Allgemeines in den Gesetzen sein muss. Erst dann müssen die gesetzgebende und die fürstliche Gewalt, weil das Allgemeine in den Gesetzen in der Form des subjektiven Willens als fürstliche Gewalt vorhanden sein muss, durch die Regierungsgewalt, die als Mitte dieser beiden gilt, bewährt werden und diese Regierungsgewalt muss auch durch die beiden vorgenannten Gewalten bestätigt werden.

In dieser Beziehung können die Momente des Staates erst die einfachen Momente des Begriffs der Idee sein, denn jedes Moment kann ein freies Dasein erhalten, indem es die Totalität ausmachen kann. „Der Staat ist so das Gegenbild der Natur, die die Momente als außereinander ist. Der Staat ist eine Natur des Willens, ein in sich Notwendiges. Der Staat ist der Begriff des Willens als eine Notwendigkeit explizit.“162 Für Hegel ist der Staat dann erfolgreich realisiert worden, wenn der Begriff des Willens seine Notwendigkeit durch die Korrespondenz der logischen Form mit der realen Totalität bestätigen kann.

Die Gegenstände in der Weltgeschichte können wieder vom absoluten Geist zusammengefasst werden:

Der Staat: In diesem Sinne gilt der vollkommene Staat als eine Welt der Freiheit, in der alle Momente der Idee entwickelt sind. Jedes Moment wird in diesem Staat zu seinem Recht kommen und als Moment des ganzen Systems tätig sein.

Die Idee: Die Idee kommt im vollkommenen Staat zu ihrer Wirklichkeit. Da der Geist als System existiert und jede Bestimmung von seiner Entwicklung verschieden ist, kommt die Freiheit in jedem Glied des Systems durch, welches damit die Lebendigkeit von vielen Freiheiten hat.

Die Freiheit: Da die Freiheit am Anfang noch abstrakt ist, muss sie sich durch ihre Bestimmung im System mit dem Inhalt konkretisieren und sich damit erfüllen.

Die Völker: Die Völker sind der Geist in Verbindung mit natürlicher Sittlichkeit; sie sind voneinander verschieden und in ihrer Partikularität begrenzt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 13: der vollkommene Staat als entwickeltes System

Die Herausforderung des Weltgeistes besteht darin, dass er einerseits sich entäußern muss und andererseits diese Entäußerung innerlich machen. Die Entäußerung ist gegeben nach Zeit und Raum, in denen die Formen der verschiedenen Staaten mit unterschiedlichen Völkern sich gestalten. Jedes Volk gilt als eine besondere Stufe seines Bewusstseins. Diese Stufen sind mit den natürlichen Prinzipien in die Äußerlichkeit gefallen und die Vollbringung der innerlichen Entäußerung kann nur dadurch erfolgen, dass das Selbstbewusstsein vier Momente durchlaufen hat, die sich uns als Entwicklungsstufen darstellen: A. das orientalische Reich, B. das griechische Reich, C. das römische Reich und D. das germanische Reich.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 14: Die vier Momente als Entwicklungsstufen in der Weltgeschichte163

Zusammenfassung: Die drei Teile der Wissenschaft des Rechts

Die Wissenschaft des Rechts verteilt sich ihrer Wahrheit gemäß auf folgende drei Teile:164

A. der Begriff der Idee des freien Willens oder der praktische Geist
B. die Entfaltung dieses Begriffs oder die Welt des Rechts, der Moral, des Staates und seiner Geschichte
C. die Idee des freien Willens oder die Geschichte des Wissens vom Recht der Moral und des Staates

Im System der Wissenschaft des Rechts wird der erste Teil dem subjektiven Geist in der Form des freien Willens zugeschrieben, der zweite der Entfaltung des freien Willens im objektiven Geist und der letzte dem adäquaten Wissen und dem absoluten Geist.

Eine Zusammenfassung der Wissenschaft des Rechts könnte folgendermaßen lauten: Der subjektive Geist geht zu seiner Entfaltung über und endlich zum Wissen über Glauben, Kunst, Religion und Wissenschaft. In diesem Sinne muss der Begriff der Wissenschaft (Logik) vor der Geschichte der Philosophie entwickelt werden und erst danach kann die Entfaltung der verschiedenen Begriffe dem Begriff der Wissenschaft folgen. Da die Geschichte der Philosophie den Begriff der Wissenschaft und die Entfaltung der verschiedenen Begriffe bereits zum Inhalt hat, muss sie mit der logischen Bestimmung des Begriffs im Wissen übereinstimmen. Diese Korrespondenz ist nach Meinung des Verfassers die endgültige Form der Philosophie.

Textausgaben von G.W.F Hegel

Diese Ausgaben von G.W.F Hegel bilden die Grundlage dieses Aufsatzes:

Hegel-Ausgaben:

GW G.W.F. Hegel: Gesammelte Werke. Hg. Rheinisch – Westfälische Akademie der Wissenschaften im Auftrag der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Hamburg 1968 ff.

TW G.W.F. Hegel: Werke in zwanzig Bänden. Auf der Grundlage der Werke von 1832 – 1945 neu ediert von E. Moldenhauer und K.-M. Michel. Frankfurt a. M. 1976. [Theorie-Werkausgabe]

VPR G.W.F. Hegel: Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte. Hamburg. Felix Meiner Verlag. 1983 – 2007.

GL G.W.F Hegel: Sämtliche Werke. Jubiläumsausgabe in zwanzig Bänden. Neu hg. Von H. Glockner. Stuttgart 1927—1940.

Hegel-Texte:

ILT G.W.F. Hegel: Vorlesung über Rechtsphilosophie 1818–1831. Edition und Kommentar in sechs Bänden von K.-H. Ilting, Stuttgart-Bad Cannstatt 1973 ff., Bd. 1 – 4. [Vor allem Homeyers, Hothos und von Griesheims Nachschriften der Rechtsphilosophie-Vorlesungen Hegels werden hieraus zitiert.]

PR G.W.F. Hegel: Philosophie des Rechts. Die Vorlesung von 1819/20 in einer Nachschrift. Hg. D. Henrich. Frankfurt a. M. 1983.

VPWG-Hof G.W.F. Hegel: Vorlesung über die Philosophie der Weltgeschichte [1822 u. 1828, 1830]. Band 1: Die Vernunft in der Geschichte. Hg. J. Hoffmeister. Hamburg 1955.

[...]


1 Der Ursprung des Namens Naturrecht ist in GW 26,2 § 2 den Anmerkungen von Wannenmann zu entnehmen.

2 Über Hegels Erwägung einer Zurückhaltung der Rechtsphilosophie kann man in der Einleitung des Herausgebers von ILT in Band 4 mehr erfahren: Der exoterische und der esoterische Hegel (1824–1831), in: ILT, Band 4, S. 45 ff.

3 GW 14, 1, § 1.

4 Vgl. ILT, Band 4, S. 96.

5 ILT, Band 4, S. 99 f.

6 GW 14, 1, § 4.

7 Vgl. GW 26, 2, § 2.

8 TW 7, § 4, [zu § 4 Anm.]

9 ILT, Band 4, S. 102 ff.

10 Ebenda, S. 102 ff.

11 Ebenda, S. 102 ff.

12 Ebenda, S. 102 ff.

13 ILT, Band 4, S. 107.

14 PR, S. 58.

15 ILT, Band 4, S. 107.

16 Vgl. PR, S. 59 f.

17 ILT, Band 4, S. 111.

18 ILT, Band 4, S. 112.

19 PR, S. 60.

20 ILT, Band 4, S. 116.

21 PR, S. 60.

22 ILT, Band 4, S. 117.

23 Ebenda, S. 118.

24 Ebenda, S. 118.

25 GW 13, § 16.

26 Vgl. PR S. 61, ILT Band 4, S. 119 f.

27 TW 7, § 7.

28 Vgl. ILT Band 4, S. 122 f.

29 Vgl. Ebenda, S. 123.

30 TW 7, § 9.

31 PR, S. 64.

32 TW 7, § 11.

33 ILT, Band 4, S. 129.

34 Ebenda, S. 130.

35 TW 7, § 17.

36 ILT, Band 4, S. 134.

37 Ebenda, S. 136.

38 Ebenda, S. 137.

39 Ebenda, S. 138f.

40 Ebenda, S. 139.

41 TW 7, § 21.

42 ILT, Band 4, S. 143.

43 TW 7, § 25.

44 TW 7, § 26.

45 ILT, Band 4, S. 146.

46 TW 7, § 29.

47 ILT, Band 4, S. 151.

48 Ebenda, S. 153.

49 Vgl. Ebenda, S. 154ff.

50 Ebenda, S. 154.

51 ILT, Band 4, S. 154.

52 Vgl. TW 7, § 31.

53 ILT, Band 4, S. 159.

54 TW 7, § 32.

55 ILT, Band 4, S. 159.

56 ILT, Band 4, S. 160.

57 Vgl. PR S. 65.

58 PR, S. 67.

59 PR, S. 68.

60 ILT, Band 4, S. 163.

61 ILT, Band 4, S. 165.

62 ILT, Band 4, S. 165.

63 ILT, Band 4, S. 166.

64 GW 26, 1, § 69.

65 PR, S. 128.

66 Vgl. ILT, Band 4, S. 168 f.

67 ILT, Band 4, S. 169.

68 TW 7, § 161.

69 ILT, Band 4, S. 434.

70 ILT, Band 4, S. 437.

71 TW 7, § 162.

72 Vgl. PR, S. 142.

73 ILT, Band 4, S. 452.

74 ILT, Band 4, S. 452.

75 PR, S. 143.

76 PR, S. 143.

77 ILT, Band 4, S. 457.

78 ILT, Band 4, S. 457.

79 ILT, Band 4, S. 460.

80 ILT, Band 4, S. 471.

81 PR, S. 147.

82 Vgl. ILT, Band 4, S. 474 f.

83 PR, S. 148.

84 PR, S. 150.

85 PR, S. 150.

86 PR, S. 151.

87 PR, S. 151 f.; vgl. auch TW 7, § 189.

88 TW 7, S. 488, Anmerkung.

89 PR, S. 152.

90 PR, S. 155.

91 PR, S. 156.

92 Vgl. PR, S. 156.

93 PR, S. 157.

94 ILT, Band 4, S. 499.

95 PR, S. 160.

96 ILT, Band 4, S. 504.

97 TW 7, § 199.

98 Vgl. ILT, Band 4, S. 507 sowie TW 7, § 200.

99 Vgl. S. 511.

100 ILT, Band 4, S. 514.

101 Zu der Zeit der Alten hat Hegel den Unterschied der Stände so erzählt: „Bei den Alten war so nur der Unterschied in der Befriedigung der dar, es war eine große Gleichheit nach dieser Seite vorhanden, selbst auch bei den Bedürfnissen […] Alle Gewerbe wurden durch Sklaven verrichtet, dadurch war der Bürger nach seinem politischen Stande weniger besondert durch die Art und Weise wie er seine Bedürfnisse befriedigte.“ ILT, Band 4, S. 512.

102 Vgl. ILT Band 4 516ff. Zu dem Zwang des Ackerbauers hat Hegel mit Beispiel vom Kalmückschwarm (von Don und Wolga) erklärt. Siehe hierzu ILT, Band 4, S. 516.

103 ILT, Band 4, S. 518.

104 Vgl. TW 7, § 206 Anmerkung 1.

105 ILT, Band 4, S. 523.

106 ILT, Band 4, S. 530.

107 ILT, Band 4, S. 539.

108 ILT, Band 4, S. 540.

109 Vgl. ILT, Band 4, S. 537, S. 532.

110 ILT, Band 4, S. 550.

111 ILT, Band 4, S. 552.

112 ILT, Band 4, S. 552.

113 ILT, Band 4, S. 553.

114 ILT, Band 4, S. 554.

115 Vgl.TW 7, § 243: „Wenn die bürgerliche Gesellschaft sich in ungehinderter Wirksamkeit befindet, so ist sie innerhalb ihrer selbst in fortschreitender Bevölkerung und Industrie begriffen.“

116 ILT, Band 4, S. 605.

117 ILT, Band 4, S. 612.

118 ILT, Band 4, S. 621.

119 ILT, Band 4, S. 619.

120 GW 26, 2, S. 998.

121 GW 26, 2, S. 998.

122 PR, S. 207.

123 GW 26, 2, S. 999.

124 GW 26, 2, S. 998.

125 GW 26, 2, S. 999.

126 GW 26, 2, S. 999; siehe hierzu auch TW 7, § 259.

127 ILT, Band 4, S. 632.

128 ILT, Band 4, S. 634.

129 PR, S. 226.

130 GW 26, 2, S. 1000.

131 GW 26, 2, S. 1000.

132 PR, S. 212 f.

133 GW 26, 2, S. 1000 f.

134 PR, S. 231.

135 GW 26, 2, S. 1004.

136 GW 26, 2, S. 1011.

137 ILT, Band 4, S. 659.

138 TW 7, § 273, Anmerkung.

139 GW 26, 2, S. 1002.

140 GW 26, 2, S. 1009.

141 GW 26, 2, S. 1009 f.

142 PR, S. 231.

143 PR, S. 233.

144 PR, S. 237.

145 In Hegels Vorlesungen aus den Jahren 1819/20 scheint der Begriff der fürstlichen Gewalt noch nicht vollständig zu sein. Hier gilt die richterliche Gewalt als abstrakte Einzelheit im Sinne der Subjektivität. Und danach wird die Souveränität hervorgehoben. In den Vorlesungen von 1823/24 in der Nachschrift von Hotho sowie von 1824/25 in der Nachschrift von Griesheim ist die Formulierung ganz anders: „Die fürstliche Gewalt muss selbst jene drei Momente in sich als eine Totalität enthalten. Ich ist zugleich das Einzelne und das Allgemeinste.“ GW 26, 2, S. 1013. Hier wird der Begriff der fürstlichen Gewalt mit der Totalität von C. durch die Definition nach der Nachschrift von Griesheim wiederhergestellt.

146 TW 7, § 275.

147 PR, S. 238.

148 TW 7, § 275.

149 ILT, Band 4, S. 673.

150 PR, S. 239.

151 PR, S. 239.

152 PR, S. 239.

153 PR, S. 239.

154 ILT, Band 4, S. 673.

155 ILT, Band 4, S. 685.

156 PR, S. 246.

157 PR, S. 253 f.

158 PR, S. 254.

159 PR, S. 258.

160 PR, S. 259.

161 GW 28, 2, S. 1042.

162 GW 28, 2, S. 1042.

163 Vgl. PR, S. 285 ff.

164 Vgl. GW 28, 2, S. 1043.

Ende der Leseprobe aus 59 Seiten

Details

Titel
Dialektische Rekonstruktion der Hegelschen Rechtsphilosophie
Note
1.5
Autor
Jahr
2022
Seiten
59
Katalognummer
V1283140
ISBN (eBook)
9783346741653
ISBN (Buch)
9783346741660
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Denken Wille Recht Freiheit Staat
Arbeit zitieren
Dr. Pan Deng (Autor:in), 2022, Dialektische Rekonstruktion der Hegelschen Rechtsphilosophie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1283140

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