Verletzungen der Linksverankerungsregel bei deutschen i-Bildungen

Eine empirische Untersuchung


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

19 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


INHALT

I. Einleitung
1. Erste Vorstellungen
2. Literaturüberblick

II. Hauptteil
1. Der Versuch
1.1 Vorüberlegungen
1.2 Daraus folgende Anforderungen an den Versuch
1.3 Die Population
2. Hypothesen
2.1 Erste Hypothese: Vokale und Approximanten werden am Anfang der i-Bildung vermieden
2.1.1 Darlegung der ersten Hypothese
2.1.2 Prüfung der ersten Hypothese am eigenen Material:
2.2 Zweite Hypothese: Die Betonung der Vollform beeinflusst die Wahl der ersten Silbe der i-Bildung
2.2.1 Darlegung der zweiten Hypothese
2.2.2 Überprüfung der zweiten Hypothese am eigenen Material

III. Schluss

IV. Literatur

I. Einleitung

1. Erste Vorstellungen

In der vorliegenden Arbeit geht es um ein Phänomen der deutschen Sprache, das noch nicht allzu lange Beachtung in der Wortbildungsliteratur genießt. Es handelt sich dabei um i-Bildungen, die häufig fälschlicherweise auch als Teilaspekt der Kurzwortbildungen gesehen werden. In vielen Fällen fällt die Umbildung zu einem i-Wort zwar mit der Reduktion des Stammes zusammen, wie etwa bei Alki (statt Alkoholiker) oder Ami (statt Amerikaner); dies muss jedoch nicht immer der Fall sein, wie an den Beispielen Hansi ( statt Hans) oder Tschüssi (statt Tschüss) leicht zu erkennen ist. I-Bildungen haben in den letzten Jahren einen festen Platz in der deutschen Sprache eingenommen, auch wenn sich die hauptsächliche Verwendung von i-Wörtern auf eher informellere Bereiche beschränkt. Bellmann (1980: 378) stellt fest, dass i-Wörter besonders im Jargon innerhalb einzelner selbstbewusster Gruppen zu finden seien. Dieser umfasst aber sowohl die Jugendsprache als auch den Ärzte-Jargon bzw. den Wissenschaftsjargon insgesamt. Ohne auf die pragmatischen und semantischen Aspekte dieses Themas weiter einzugehen, soll damit nur gesagt sein, dass i-Bildungen in der deutschen Sprache nicht als marginal zu betrachten sind. Das Suffix –i scheint im Deutschen äußerst produktiv zu sein, so dass ständig neue i-Wörter spontan gebildet werden können und diese auch eine gewisse Chance haben, sich in der deutschen Sprache zu „etablieren“.

Den Schwerpunkt dieser Arbeit soll jedoch ein prosodisch-morphologischer Aspekt der i-Wörter bilden. Es geht dabei um diejenige Silbe, die aus der Vollform in die i-Bildung transportiert wird und somit den neuen Wortanfang bildet. Die allgemein vertretene These besagt, dass in der deutschen Standardsprache die Tendenz zu beobachten sei, dass der linke Rand des Ausgangswortes mit dem linken Rand der neuen Form übereinstimme. Das hieße, dass im Deutschen die Form Alki den Formen Holi oder Liki vorgezogen werde.

Obwohl in den meisten Arbeiten zu den i-Bildungen diese starke Linksverankerung von i-Bildungen herausgehoben wird, weisen beispielsweise Itô und Mester (1997: 120) auch auf Ausnahmen hin, in denen dieses Muster nicht zu beobachten ist, wie etwa bei Anton -> Toni oder Rebecka -> Becki. Da meines Wissens nach bisher niemand auf die Hintergründe oder möglichen Ursachen dieser Ausnahmen eingegangen ist, möchte ich in dieser Arbeit versuchen, ein bisschen mehr Licht in diese „Verstöße“ gegen die Linksverankerungsregel zu bringen. Den Ausgangspunkt dazu bildet eine kleine empirische Arbeit, im Rahmen derer Probanden in Fragebögen aus dreisilbigen Wörtern zweisilbige i-Bildungen formen sollten. Die Annahme ist, dass es Fälle geben wird, in denen die Regel, nach der das erste Segment der Vollform gleich dem ersten Segment der i-Form sein sollte, verletzt wird. Interessant wird dann sein, mögliche Muster freizulegen, die Aufschluss darüber geben könnten, in welchen Fällen nicht die erste Silbe des vollen Wortes die Basis für das i-Wort bildet, sondern die zweite oder die dritte. Bevor auf den Versuch und seine Ergebnisse eingegangen wird, soll zuvor noch ein knapper Überblick über die Literaturlage zu den i-Bildungen gegeben werden.

2. Literaturüberblick

Die Untersuchungen zu den i-Bildungen im Deutschen befassen sich sowohl mit der Rufnamenbildung auf –i als auch mit i-Formen, die aus ‚normalen’ Wörtern gebildet werden. Unter anderem Féry (1997) sagt über ihre lexikalische Kategorie, dass i-Bildungen aus Substantiven, Namen oder Adjektiven geformt werden können; die i-Bildung selbst sei jedoch immer nominal. Es lassen sich hierzu nur wenige Gegenbeispiele, wie z.B. supi oder depri finden. Einige Ansätze beschäftigen sich besonders mit der Pragmatik und der Semantik von Kurz- bzw. i-Wörtern. Bellmann (1980) richtet seinen Blick einerseits auf die Klassifizierung der Kurzwörter in unisegmentale (z.B. Alu: Aluminium; Pulli: Pullover) und multisegmentale (Schiri: Schiedsrichter; BAföG: Bundesausbildungsförderungsgesetz), andererseits auch besonders auf die Funktion der Kurzwörter. Er weist auf die „soziale Nebenfunktion“ der Benutzung von Kurzwörtern hin; „selbstbewusste Gruppen der Gesellschaft“ distanzierten sich so nach außen hin (Bellmann 1980: 378). Häufig genannt wird zudem noch die Funktion der Ökonomisierung durch die Verwendung von Kurzwörtern (vgl. Féry 1997: 462). Einen historischen Aspekt von i-Wörtern greift Greule (1983/84: 208) auf, indem er i-Bildungen auf das althochdeutsche Suffix –în zurückführt, das auch dort schon eine verkleinernde Funktion getragen hat. Greules historischer Ansatz wird ausführlich bei Werner (1996: 13ff.) diskutiert.

Was die Forschung der i-Bildungen in den letzten Jahren vor allen Dingen beschäftigte, ist die Frage, welches Material der Vollform in der i-Bildung wieder zu finden ist. Diese Frage ergibt sich unter anderem daraus, dass manchmal mediale Konsonanten getilgt werden und manchmal nicht. Aus Andreas wird Andi (*Andri), aus Ferdinand jedoch Ferdi (*Feri). Ein derivatives Erklärungsmodell dazu bietet Kenstowicz (1994: 9f.), der an englischen Vornamen verdeutlicht, dass das Suffix –i immer an eine „maximale Silbe“ angehängt wird. Diese maximale Silbe basiert auf der Sonoritätshierarchie, die besagt, dass in jeder Silbe ein Segment ein Sonoritätsgipfel bilde. Vor und nach diesem Sonoritätsmaximum dürfe die Sonorität nicht zunehmen (vgl. auch Féry 1997: 469). Die maximale Silbe ende dann an der Stelle, an der das Sonoritätsminimum erreicht sei. So erklärt Kenstowicz, dass eine i-Bildung wie Patrie nicht möglich sei, da der Liquid /r/ sonorer ist als der Plosiv /t/. Patr bildet also keine wohlgeformte Silbe, wohl aber Pat. Sowohl Féry (1997) als auch Wiese (2001) weisen jedoch auf die Grenzen dieses Modells hin. Beide bemerken, dass ein Sonoritätsminimum keine prosodische Konstituente bilde. Der Maximale-Silbe-Ansatz sei rein deskriptiv, Wiese (2001: 146) weist darauf hin, dass dieser Ansatz z.B. nicht erkläre warum gerade das Sonoritätsminimum den „cutoff point“ bilde und nicht etwa ein Sonoritätsmaximum. Féry bringt Gegenbeispiele, die Kenstowicz’ Ansatz fraglich erscheinen lassen: Nach seiner Theorie müsste etwa aus Manfred Manfi werden und nicht, wie aber eindeutig belegt, Manni.

Als ein lohnenderer Ansatz hat sich die Analyse innerhalb der Optimalitätstheorie (Prince & Smolensky 1993) herausgestellt. Im Rahmen dieser Theorie haben unter anderem Itô und Mester (1997), Féry (1997) und Wiese (2001) die Mechanismen der i-Bildungen untersucht. Hier wird die Kurzform nicht als Derivat der Vollform betrachtet, sondern es wird davon ausgegangen, dass beide Formen in einer bestimmten Korrespondenzbeziehung zueinander stehen. Das bedeutet, dass eine Input-Form viele verschiedene Output-Formen besitzt. Die optimale Output-Form wird mit Hilfe verschiedener universeller Beschränkungen (Constraints) herausgefiltert. In einer modifizierten Optimalitätstheorie, der Korrespondenztheorie (McCarthy & Prince 1995), wird nicht nur die Beziehung zwischen In- und Output-Kandidaten untersucht, sondern auch die zwischen verschiedenen Output-Formen. Für die Beziehung zwischen Vollform und i-Bildung bedeutet das, dass sie beide als Output betrachtet werden und die i-Bildung eine bestimmte Form erfüllen muss (vgl. Féry 1997). Ohne auf die Beschränkungen im Einzelnen einzugehen, sollte nur erwähnt werden, dass diese Constraints zum Beispiel für die prosodische Form der i-Bildung sorgen oder aber eine möglichst große Ähnlichkeit zwischen Voll- und i-Form garantieren. Eine Beschränkung, um die es in dieser Arbeit im Besonderen geht, ist die der Linksverankerung (L-ANCH). Diese besagt, dass jedes Element am linken Rand von S1 einen Korrespondenten am linken Rand von S2 haben soll (vgl. Féry 1997: 477). Mit diesem Constraint ist beispielsweise dafür gesorgt, dass der optimale Korrespondenzpartner von Student Studi und nicht Denti heißt.

II. Hauptteil

1. Der Versuch

1.1 Vorüberlegungen

Ausgangspunkt meiner Untersuchung ist zum einen die Frage: Warum wird bei i-Bildungen immer die erste Silbe der Vollform als Basis für die i-Bildung genutzt? Und zum anderen: Wie kommt es, dass es aber - besonders im Bereich der Hypokorismen - doch einige Ausnahmen gibt? Ein Anstoß für diese Überlegungen stellte nicht zuletzt eine Untersuchung von Theres Grüter dar, die anhand von männlichen Vornamen Hypokorismen im Berner Schweizerdeutschen näher unter Betracht nimmt. Neben den offensichtlichen Unterschieden, dass es sich in diesem Schweizer Dialekt um eine Wortbildung handelt, die ein Suffix –u, kein –i trägt und in der ersten Silbe einen Umlaut bildet, ist bei Grüter eine wesentliche Hypothese, dass im Berner Dialekt nicht immer die linksmöglichste Silbe von der Vollform in die u-Bildung übernommen werde. Was ihre Ergebnisse im Einzelnen angeht, wird an späterer Stelle noch näher darauf eingegangen werden. Es sei nur kurz angedeutet, dass ihre Erklärung darauf hinaus läuft, dass Hypokorismen keine Vokale, Gleitlaute und Liquide am Wortanfang dulden. Beginnt also der vollständige Name mit solch einem Approximanten, kann diese erste Silbe nicht als Ansatz für die u-Bildung dienen. In dieser Arbeit möchte ich nun prüfen, ob sich eine ähnliche Tendenz auch im Standarddeutschen nachweisen lässt.

Eine andere Überlegung haben Itô & Mester (1997: 120, Anm. 5) bereits angedeutet. Sie halten fest, dass der linke Rand der Vollform normalerweise auch als linker Rand der i-Bildung dient, wenn er ursprünglich unbetont ist. So etwa in dem Beispiel Schímmi – Schimánski. Sie weisen jedoch auch auf Gegenbeispiele hin wie Gústi – Augúste. Im letzteren Beispiel wird die Linksverankerungsbeschränkung (L-ANCH) zu Gunsten einer „head-to-head correspondence“ verletzt. Itô und Mester schließen jedoch aus, dass hier das Gewicht der LEFT-ANCH Beschränkung in Frage gestellt wird. Sie vermuten, dass solche Erscheinungen lediglich in den Bereich von soziolinguistischen Trends oder Kindersprache einzuordnen seien.

„The variability is mainly associated with nicknames, and should not be taken to weaken the basic left-anchoring pattern, which reveals itself productively with the truncation of productive nouns (Alki, Proli, etc.) It is well-known that nicknames (associated with individuals), while usually observing templatic requirements, come with idiosyncrasies and irregularities that are arguably a result of child language patterns, sound-symbolism, and even sociological trends.”

[...]

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Verletzungen der Linksverankerungsregel bei deutschen i-Bildungen
Untertitel
Eine empirische Untersuchung
Hochschule
Philipps-Universität Marburg
Veranstaltung
Prosodie des Deutschen
Note
1,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
19
Katalognummer
V128802
ISBN (eBook)
9783640348763
ISBN (Buch)
9783640348282
Dateigröße
473 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Verletzungen, Linksverankerungsregel, Eine, Untersuchung
Arbeit zitieren
Christine Beier (Autor:in), 2004, Verletzungen der Linksverankerungsregel bei deutschen i-Bildungen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/128802

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