Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Berlins Freiheitsverständnis
2.1 Negative Freiheit nach Berlin
2.2 Positive Freiheit nach Berlin
3. Das Spannungsverhältnis zwischen den beiden Freiheiten
4. Fazit
1. Einleitung
Die Freiheit ist sicherlich einer der zentralen Aspekte unserer heutigen Gesellschaft und der Wunsch nach Freiheit führt immer wieder dazu, dass Menschen, teils unter Einsatz ihres Lebens für ebendiese kämpfen und sich gegen die vorliegenden Verhältnisse auflehnen. Auch wenn es auf den ersten Blick vielleicht einfach erscheinen mag, zu beschreiben was Freiheit ist, hält die Debatte über die genaue Definition von Freiheit bis heute an, denn „Freiheit, so haben andere bekanntlich hinzugefügt, ist für einen OxfordProfessor etwas anderes als für einen ägyptischen Bauern“ (Berlin 2006b[1969]: 204). Wenn wir an Freiheit denken, dann denken wir in erster Linie daran, nicht durch irgendetwas oder irgendjemanden in unserem Handeln eingeschränkt zu werden. Aber ist dies wirklich die einzige Form von Freiheit? Ist Freiheit nicht noch mehr als die bloße Abwesenheit von Zwang und sind wir schon frei, nur wenn wir an nichts gehindert werden?
Isaiah Berlin gibt genau auf diese Fragen eine Antwort, indem er zwei verschiedene Arten von Freiheit unterscheidet. Zum einen wäre das die negative Freiheit, die unserem einfachen Verständnis von Freiheit recht nahe kommt und auf der anderen Seite die positive Freiheit, die Berlin als die Freiheit zu etwas versteht (Berlin 2006b[1969]: 201). Isaiah Berlin selbst war russisch-britischer Philosoph und Ideengeschichtler und zudem auch Professor an der University of Oxford und ist vor allem durch seine durchaus umstrittene Unterscheidung von negativer und positiver Freiheit bekannt geworden (Stanford Encyclopedia of Philosophy 2022). Auf die genaue Definition dieser beiden grundsätzlichen Begriffe in Isaiah Berlins Verständnis von Freiheit möchte ich im Laufe dieser Arbeit noch eingehen. Dabei werde ich auch noch näher beleuchten, welches Spannungsverhältnis zwischen der negativen- und positiven Freiheit vorherrscht. Mit Spannungsverhältnis ist hier vor allem der Konflikt zwischen den Begriffen gemeint. Dies ist besonders vor dem Hintergrund interessant, dass die Debatte über die Definition der beiden Freiheitsbegriffe, wie bereits erwähnt, bis heute nicht abgeschlossen ist, was zu einem gewissen Interpretationsspielraum führt, der Platz für Debatten, Konflikte und Spannungen lässt. Diese Spannung entspringt unter anderem Berlins Verständnis von positiver Freiheit, die er als eine Form von Freiheit beschreibt, die leicht zur Unterdrückung missbraucht werden könne. Diese Möglichkeit der Unterdrückung bildet den Kern von Berlins Verständnis positiver Freiheit (Berlin 2006b[1969]: 211-214) , was mich zu folgender Forschungsfrage führt:
Welches Spannungsverhältnis besteht zwischen den beiden Freiheitsbegriffen, auch im Hinblick auf das totalitäre Potential positiver Freiheit?
Um diese Frage zu beantworten, werde ich zunächst Berlins Freiheitsverständnis detailliert wiedergeben und rekonstruieren und mich danach vor allem mit den Unterschieden zwischen negativer und positiver Freiheit befassen. Nachdem ich dann, das aus den Unterschieden resultierende Spannungsverhältnis zwischen den Begriffen der negativen- und der positiven Freiheit herausgearbeitet habe, werde ich zum Schluss die Forschungsfrage beantworten und ein Fazit ziehen. Als Grundlage dient mir als Primärliteratur vor allem sein Essay „Two concepts of liberty“ (Berlin 2006[1969]), welchen Isaiah Berlin anlässlich seiner Antrittsvorlesung an der University of Oxford verfasst hat und weitere relevante Sekundärliteratur der politischen Theorie und zur Definition von Freiheit, unter anderem von Charles Taylor, einem Kritiker Berlins.
2. Berlins Freiheitsverständnis
Isaiah Berlins Verständnis des Wortes Freiheit, welches aus seiner Antrittsvorlesung an der University of Oxford hervorgeht, beruht auf einem binären Freiheitsbegriff, denn er teilt die Freiheit ein in zwei verschiedene Arten, die negative- und die positive Freiheit. Während es bei der negativen Freiheit für Berlin darum geht, in welchem Bereich ein Mensch handeln kann wie er möchte, ohne dass sich ein anderer in sein Handeln einmischt, geht es bei der positiven Freiheit eher darum, von was diese Einmischung ausgeht und darum, sein eigener Herr zu sein. (Ladwig 2011:79). Zu den großen Denkern und Philosophen mit negativem Freiheitsverständnis lassen sich dabei vor allem Thomas Hobbes und Jeremy Bentham zählen, während Karl Marx und Jean Jaques Rousseau mit ihren Theorien wohl eher zu den Anhängern positiver Freiheit gehören (Taylor 1988: 118120). Berlin tritt dabei für eine klare Trennung der beiden Freiheitsbegriffe ein. Er leugnet dabei nicht, dass es auch andere wichtige Ziele geben kann, wie z.B. Gleichheit oder Bildung oder auch Gerechtigkeit, jedoch sollten diese nach Berlin nicht im Rahmen von Freiheit verwirklicht werden. „Die Freiheit sollte Einspruchsinstanz gegen fremde Übergriffe bleiben, nicht Vorwände für sie liefern“ (Ladwig 2011: 80). Berlin stellt so die Freiheit als besonderen Wert ins Scheinwerferlicht, der nicht auf der gleichen Stufe mit anderen Werten steht. Im Folgenden möchte ich noch näher auf Berlins Definition von negativer und positiver Freiheit eingehen.
2.1 Negative Freiheit nach Isaiah Berlin
Im Kontext negativer Freiheit spricht Berlin zunächst von politischer Freiheit. Für ihn sei politische Freiheit ein Bereich, indem sich der Mensch, ohne von anderen daran gehindert zu werden, betätigen könne. Wenn andere dann jedoch versuchen würden in diesen Bereich einzugreifen, könne man von Zwang sprechen. Jedoch sei Zwang nicht dasselbe wie etwas nicht zu können. Dies lässt sich an einem einfachen Beispiel erklären. Wenn ich nicht richtig zu lesen und zu schreiben gelernt habe und dadurch kaum einen Job finde, kann ich nicht von Zwang sprechen, weil ich nun einmal einfach nicht richtig lesen und schreiben kann. Wenn dieser Rückstand in der Schreib-und Lesefähigkeit allerdings daher kommt, dass mir meine Eltern verboten haben zu Schule zu gehen, kann ich wiederum von Zwang sprechen. Es zeigt sich also, dass es, um von Zwang im Sinne Berlins zu sprechen, essentiell wichtig ist, dass ich durch andere an etwas gehindert werde. In dem gerade von mir dargestellten Beispiel kann man sogar noch weiter gehen und im Sinne Berlins von Unterdrückung sprechen, denn durch das Schulverbot, ausgesprochen durch meine Eltern, werde ich in meiner Notlage festgehalten und werde nicht bloß, was das Kriterium für Zwang wäre, einmalig an etwas gehindert, was ich ansonsten aber ungehindert machen könnte (Berlin 2006b[1969]: 201-210).
Es lässt sich daher annehmen, dass meine Freiheit proportional zum Bereich ist, indem ich tun und lassen kann was ich möchte. Berlin sagt jedoch, dass andere Philosophen davon ausgehen würden, dass dieser Bereich der Freiheit nicht unendlich groß sein könne, denn ansonsten käme es ständig zu Konflikten zwischen den Menschen, da sie sich gegenseitig ihre Freiheit einschränken würden. Ein weiterer Grund, warum dieser Bereich nicht unbegrenzt sein kann, ist für Berlin die Tatsache, dass Menschen auch nach anderen Zielen wie Gerechtigkeit und Gleichheit streben würden und bereit seien, auf einen Teil ihrer Freiheit zu verzichten, um diese Ziele zu erreichen. Dennoch vertraten laut Berlin vor allem libertäre Denker die Ansicht, dass es einen persönlichen Freiraum geben müsse und eine Grenze zwischen dem Privatleben und der öffentlichen Gewalt gezogen werden müsse, denn die Menschen seien so abhängig voneinander, dass das Handeln eines Menschen sich immer auch in irgendeiner Weise auf das Leben eines anderen auswirke. Dennoch sei diese Form von persönlicher Freiheit kein Ideal, nach dem alle Menschen streben würde, denn Menschen, die von ihrer Freiheit keinen Gebrauch machen könnten, aus welchem Grund auch immer, nütze bloße Freiheit nichts (Berlin 2006b[1969]: 201210).
Freiheit scheint nach Berlin also nicht das einzige Ziel zu sein, nach dem der Mensch strebt, dennoch dürfe man Freiheit nicht mit Gerechtigkeit oder Gleichheit gleichsetzen, denn wenn ich z.B. die Freiheit der Gerechtigkeit opfere, sei es immer noch ein Verlust an Freiheit und kein Zugewinn an einer anderen Form von Freiheit wie soziale Freiheit oder wirtschaftliche Freiheit. Dennoch müsse in manchen Fällen die Freiheit einzelner eingeschränkt werden, um die Freiheit anderer zu schützen. Um dies zu erreichen, brauche es laut konservativen Philosophen wie Hobbes eine Instanz, die die Menschen in gewisser Weise kontrolliere und den Bereich absoluter Freiheit einschränke. Allerdings seien auch Denker wie Hobbes der Meinung gewesen, dass es einen bestimmten Bereich geben müsse, wie z.B. das Recht auf Eigentum, die freie Meinungsäußerung und die Religionsfreiheit, in die niemand eingreifen dürfe (Berlin 2006b[1969]: 201-210).
Hierin liegt der Kern der negativen Freiheit, die für Berlin die Freiheit von etwas ist. Also die Freiheit von staatlichen oder sonstigen Eingriffen in die Bereiche, in denen sich der Mensch frei entfalten darf. Da das Ideal der Gerechtigkeit fordere, dass jeder Mensch ein bestimmtes Maß an Freiheit zur Verfügung habe, müssen Menschen, die dies versuchten zu verhindern, notfalls mit Gewalt daran gehindert werden zu versuchen, die Freiheit anderer einzuschränken. Allerdings sei für den Philosophen John Stuart Mill jede Form von Zwang per se schlecht und jede Nichteinmischung gut. Mill sei von der Idee überzeugt gewesen, dass die Menschen die Wahrheit selbst entdecken sollten und sich zu kritischen, originellen und einfallsreichen Charakteren entwickeln sollten. Dies sei für Mill nur in freiheitlichen Verhältnissen möglich. Berlin wendet dagegen ein, dass die Geschichte gezeigt habe, dass diese von Mill angestrebte Form der Selbstverwirklichung auch in Autokratien möglich sei. Laut Berlin seien Mills Ideen verhältnismäßig modern, da in der Antike niemand so gedacht habe. Der Wunsch in Ruhe gelassen zu werden sei ein Zeichen für hohe Kultur und daher heute weiter verbreitet als in der Antike (Berlin 2006b[1969]: 201-210).
Es zeigt sich also, dass Freiheit nicht unvereinbar mit Autokratie ist und dass zwischen individueller Freiheit und demokratischer Herrschaft kein notwendiger Zusammenhang besteht. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass derjenige, der im negativen Sinne frei ist, in einem bestimmten Bereich machen kann was er will. Die Freiheit wird also hauptsächlich als die Freiheit von Zwang verstanden, aber nicht ausschließlich, denn Isaiah Berlin weiß, dass die bloße Definition negativer Freiheit als die Freiheit von Zwang dazu führt, dass ein Weg um diese Freiheit zu erlangen auch die Auslöschung der eigenen Wünsche sein kann (Berlin 2006a[1969]: 40). Daher muss es für Berlin noch eine zweite Form von Freiheit geben. Wichtig um die negative Freiheit zu erhalten sind dabei unsere Rechte als Bürger, die uns vor staatlichen Übergriffen schützen. Auch vermeintlich sinnvolle Eingriffe in unsere Freiheit schränken unsere Freiheit ein, solange es keine Möglichkeit gibt, diese abzuwehren. Die negative Freiheit ermöglicht es auch, Sinnloses und Eigensinniges zu tun.
2.2 Positive Freiheit nach Isaiah Berlin
Während Berlin die negative Freiheit als die Freiheit von etwas definiert, ist die positive Freiheit in seinem Verständnis die Freiheit zu etwas. Die Bedeutung der positiven Freiheit entspringe dem Wunsch des Menschen, selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen. Dieser Wunsch sei nach Schink auch der erste Schritt eines Prozesses, der die positive Freiheit zu einer Rechtfertigung für Unterdrückung und Zwang mache. Im zweiten Schritt werde dieser Wunsch nach Selbstverwirklichung dann mit der Teilung des Selbst in ein höheres, Kontrolle ausübendes Selbst und ein niederes Selbst, das kontrolliert werden müsse verbunden. Hierauf folge der dritte Schritt, denn nun werde dieses höhere Selbst mit einer Gruppe, zu der das Individuum gehöre identifiziert. Das kann z.B. eine gesellschaftliche Klasse oder ein Stamm sein. Im vierten Schritt gehe es nun darum, dass diese Gruppe für sich beanspruche, besser als das Individuum selbst zu wissen, was gut für es sei, was schließlich im fünften Schritt zu der Annahme führe, dass die Wünsche des Individuums keine Aussagekraft mehr hätten und nicht die wirklichen Interessen des Individuums widerspiegeln würden (Schink 2017: 28-30). Während dieses Prozesses, so Berlin, verwandle sich das, „[...] was ursprünglich eine Doktrin der Freiheit war, in eine Doktrin der Autorität und bisweilen auch der Unterdrückung [...]“ (Berlin 2006a[1969]: 47). Dieses Phänomen lässt sich auch heute noch beobachten.
Der Marxismus ist dabei eine Theorie, die sich stark auf einen positiven Freiheitsbegriff beruft. Auch wenn es in einigen Fällen durchaus gerechtfertigt sei, Zwang gegen Menschen auszuüben, führe die positive Freiheit doch dazu dazu, dass eine Gruppe, die sich selbst als das höhere Selbst identifiziere, allen anderen ihren Willen durch Zwang auferlegen könne und trotzdem glaube ihre Freiheit vergrößert zu haben, weil diese höhere Instanz davon ausgehe, dass die Menschen tief in ihrem Inneren doch das gleiche wollten wie sie selbst, also wie der Stamm, Rasse, Klasse usw. sich jedoch das empirische, das niedere, nur an dem kurzfristigen Erfolg interessierte Selbst dagegen sträube. Wenn ich also behaupte, ich wüsste besser was gut für jemanden sei und behaupte, wenn jemand etwas ablehne, dass dies nur von seinem empirischen Selbst abgelehnt werde, aber es tief in ihm das wahre Selbst gäbe, was dafür sei, so oder anders zu handeln und er dies nur noch nicht erkannt habe, so sei ich in der Lage, die Wünsche und den Willen der Menschen konsequent zu ignorieren (Berlin 2006b[1969]: 211-215). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass derjenige der im positiven Sinne frei ist, nicht irgendwelchen Launen erliegt, sondern von seiner Vernunft regiert wird. Der in diesem Sinne freie Mensch lebt nach den Vorstellungen seines höheren, transzendentalen Selbst, was jedoch zum Problem werden kann, wenn das transzendentale Selbst auf eine höhere Instanz übertragen wird. Dann kann es zu Unterdrückung kommen und zu einer Ansicht, man könne Menschen zu ihrer Freiheit zwingen.
[...]