Kirche und Religiosität in Senders Réquiem por un campesino español


Hausarbeit, 2008

24 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1.Einleitung

2.Geschichtliche Entwicklung Spaniens bis zum Ausbruch des Bürgerkrieges (1936-1939)

3.Der Schriftsteller Ramón J. Sender Biographische Daten

4. Réquiem por un campesino español
4.1. Inhaltsangabe und Aufbau
4.2. Kirche und Religiosität in Réquiem para un campesino español Die Personen: Paco el del Molino, Mosén Millán und La Jerónima
4.3 Mosén Millán
4.4 Paco el del Molino
4.5 La Jerónima

5. Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

1.Einleitung

Ramón José Sender[1] ist einer der bedeutendsten Schriftsteller der spanischen Literatur im 20. Jahrhundert und Réquiem por un campesino español sein bekanntester Roman. Obwohl er auf Grund seiner Lebensdaten zur Generación del 1927 gehört, unterscheidet sich sein literarisches Werk durch seine ästhetischen Prinzipien und seinen Realismus grundlegend von deren esteticismo aséptico[2] sowie von der von José Ortega y Gasset in La deshumanización del arte[3] entwickelten Theorie einer aristokratischen Kunst, die sich an eine geistig führende Elite wendet. Senders Anliegen war der Mensch in der Interaktion mit seinem sozialen Umfeld und den daraus resultierenden Problemen, die er unter drei sich überschneidenden Aspekten beschreibt: der Mensch als Individuum mit seinen persönlichen Eigenschaften, als soziales Wesen in seinem historischen, sozialen Umfeld und in der Auseinandersetzung mit metaphysischen, d.h. religiösen Fragen. Zwar führt die Betrachtung der sozialen Aspekte, insbesondere der sozialen Gerechtigkeit, unausweichlich zur Einnahme und Darlegung eines politischen Standpunktes, dennoch liegt Senders Schwerpunkt nicht auf der materiellen, sondern auf der transzendentalen Ebene, auf der Suche nach dem tieferen Sinn hinter dem lebensweltlichen Geschehen.

Die Frage nach dem Sinn des Lebens kann von der Religion beantwortet werden, und Ramón J. Sender stellt in seinem Réquiem drei Prototypen der Religiosität vor: Den Landpfarrer Mosén Millán, den jungen Bauern Paco el del Molino und die alte Jerónima, eine Frau zwischen Heilerin und Quacksalberin. Worin unterscheiden sich die Glaubensinhalte dieser Personen, für welche kirchlichen Strukturen stehen sie, in welchen Handlungen äußern sie sich, kommt es zwischen ihnen zu Interaktionen, und wenn ja, in welcher Weise? Es ist das Ziel dieser Arbeit, diese Fragen zu klären.

Um den historischen Raum aufzuzeigen, in dem sich Senders Kurzroman abspielt, soll zunächst kurz auf die Geschichte Spaniens eingegangen werden, wobei der Beziehung zwischen Staat und Kirche besondere Bedeutung eingeräumt wird. Einige Daten zu Senders Biographie leiten zum Kernthema von Kirche und Religiosität in „ Réquiem“ über. Die drei vorgestellten Personen, Priester, Paco und Jerónima, repräsentieren die katholische Kirche, das Volk und das heidnische Substrat hinter der in der Gesellschaft gelebten Religiosität. Eine abschließende Betrachtung wird herausarbeiten, inwiefern die Beziehungen zwischen den drei Personen tatsächlich die religiösen und sozialen Verhältnisse im ländlichen Nordspanien des beginnenden 20. Jahrhunderts widerspiegeln und wie darin Senders politische und literarische Konzepte umgesetzt werden.

2.Geschichtliche Entwicklung Spaniens bis zum Ausbruch des Bürgerkrieges (1936-1939)

Im Erscheinungsjahr[4] von Senders Kurzroman Réquiem por un campesino español, 1936, entladen sich in Spanien über Jahrhunderte entstandene und verfestigte Probleme im Bürgerkrieg. Anlass zu seinem Ausbruch war die Weigerung der konservativen Partei, den Sieg der Republikaner bei den Wahlen von 1931 anzuerkennen, die tiefere Ursache wurde bereits Ende des 15. Jahrhunderts von den Katholischen Königen Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragón gelegt und pflanzte sich über knapp 500 Jahre fort.

Isabella und Ferdinand hatten 1492 durch die Eroberung von Granada die Einheit des katholischen Spanien wieder hergestellt, die Ausweisung von Juden und Muslimen eingeleitet und die Verteidigung des wahren Glaubens zum wichtigsten Faktor ihrer Innen- und Außenpolitik erhoben – eine Ausrichtung, die auch ihr Enkel Karl V. für sein Reich, in dem die Sonne nicht unterging, verbindlich festlegte, und die dazu führte, dass auch in den nachfolgenden Jahrhunderten die spanische Politik immer erst in zweiter, eigentlich in dritter Linie der politischen, wirtschaftlichen, sozialen und wissenschaftlichen Entwicklung des Landes diente: an erster und zweiter Stelle kamen der selbst gewählte religiöse Auftrag und das Bestreben, die Macht über das Weltreich Karls V. zu erhalten. So wurden über Jahrhunderte unrealistische Entscheidungen getroffen und ruinöse Kriege geführt, die allein unter Philipp II., der sich als Beschützer der Kirche betrachtete, mehrere Staatsbankrotte zur Folge hatten. Das Land war dauerhaft damit beschäftigt, Ansehen und Machtbestand zu wahren, konnte aber wegen der nicht sachlich, sondern religiös und ideologisch begründeten Politik nicht verhindern, dass sich z.B. bereits Ende des 16. Jahrhunderts die nördlichen Niederlande abspalteten, und musste es hinnehmen, dass die Selbstständigkeit dieser Provinzen 1648 im Rahmen des Westfälischen Friedens nach dem Dreißigjährigen Krieg endgültig internationale Anerkennung fand.

Im November 1700 erlosch mit dem Tode Carlos II. der Stamm der spanischen Habsburger, ihm folgte Philippe de Bourbon, Enkel Ludwigs XIV. Spanien verlor nach dem Erbfolgekrieg mit Frankreich (1701-1714) beim Frieden von Utrecht und Rastatt auch die südlichen Niederlande (das heutige Belgien) und seine italienischen Besitzungen, so dass es als europäische Großmacht ausschied und auch die im 15. Jahrhundert begründete Vorherrschaft im Mittelmeerraum verlor. Jedoch blieben die Kolonien in Amerika und Fernost erhalten, so dass Spanien im politischen Geschehen zwischen den übrigen europäischen Kolonialmächten weiterhin eine wichtige Rolle spielte und sein nationales Selbstwertgefühl behalten konnte. Anstatt nun zu erkennen, wie schnell eroberte Länder auch wieder verloren werden können, und vorausschauend eine fortschrittlich ausgerichtete Politik der inneren Stärkung in jeglicher Hinsicht (wirtschaftlich, sozial, politisch) zu betreiben, um die Abhängigkeit von den Kolonien zu minimieren und im Falle weiterer Verluste auf innerspanische Werte und Leistungen zurückgreifen zu können, wird weiter im Sinne eines „business as usual“ regiert.

Spanien schottete sich weiterhin von allen europäischen kulturellen Strömungen und Neuerungen ab. Dennoch konnten durch die Herrschaft der Bourbonen ab 1701 der französische Lebensstil und die Ideen der Aufklärung Eingang in Spanien finden, wenn auch ihre Reichweite nach wie vor umstritten ist. Selbstverständlich stellte sich ihnen insbesondere die katholische Kirche entgegen, denn der Mensch sollte nicht durch den Gebrauch der eigenen Vernunft die Seligkeit erlangen, sondern ausschließlich durch die Gnade Gottes. So entwickelt sich in Spanien eine Variante der Aufklärung, die nicht so sehr den Glauben und die institutionalisierte Kirche kritisiert, sondern die in ihr gängige Korruption sowie die mangelnden Bemühungen um die Bildung des Volkes. Entsprechend werden die Aufklärer von der Kirche bekämpft und verspottet, von der Krone allerdings unterstützt, denn die aufklärerischen Forderungen nach Selbstverantwortung und die Hinwendung zu den aufkommenden Naturwissenschaften kamen den Vorstellungen der Bourbonen von einer fortschrittlichen Politik durchaus entgegen. Diese Auseinandersetzungen spielten sich im Wesentlichen in den gebildeten Kreisen ab und erreichten nicht die Masse des Volkes – dennoch initiierten sie einen Prozess der politischen Bewusstseinsbildung und prägten das geistige Leben dieses Jahrhunderts.

Die Hinwendung zu Frankreich und zum Gedankengut der Aufklärung endet mit der Invasion Spaniens durch Napoleon 1806, die zur Folge hat, dass der nördliche Nachbar nicht mehr als nachahmenswertes Vorbild, sondern als zu vertreibende Besatzungsmacht angesehen wird. Solche Eroberungsbestrebungen müssen zurückgeschlagen werden, und 1808 bricht in Madrid ein Aufstand aus, der nach sechsjährigen Kämpfen die Unabhängigkeit Spaniens wieder herstellt. Es bilden sich zwei gegensätzliche ideologische Gruppierungen, ein fortschrittliches, also liberal-antiklerikales, und ein konservatives, traditionalistisch-klerikales Lager, die auch die Rolle der Kirche in Staat und Gesellschaft von Grund auf veränderten.

Das weitere 19. Jahrhundert ist innenpolitisch geprägt von den „Guerras carlistas“ um die Nachfolge Ferdinands VII., der 1830 die Pragmatische Sanktion, nach der auch weibliche Nachkommen die Thronfolge antreten konnten, wenn direkte männliche Erben fehlten, verkündet hatte, um für seine Tochter Isabel den Weg frei zu machen. Dies widersprach den Ambitionen seines Bruders Carlos, der sich als legitimen Thronerben betrachtete, und führte zu einem Bürgerkrieg zwischen dessen Anhängern und denen seiner Nichte Isabel. Dieser erste sog. Carlistenkrieg (es folgten zwei weitere) war nur vordergründig eine Auseinandersetzung um die Erbfolge, im Grunde ging es um eine entscheidende Weichenstellung zwischen einem reaktionären Absolutismus und einer liberal geprägten konstitutionellen Monarchie. Im konservativen Carlismus sammelten sich ein Teil der kirchlichen Hierarchie, eine Minderheit des Adels und der Offiziere, sowie Kleinbauern und proletarische Handwerkerschichten. Die Mehrheit der Grundbesitzer, Händler, Industrielle und ein Großteil des Militärs wünschten hingegen eine wirtschaftliche und politische Liberalisierung. Diese Spaltung führte langfristig zum Bürgerkrieg von 1936 – 1939 und wird erst lange nach dem Tode Francos 1975 zu Beginn des 21. Jahrhunderts ansatzweise einer Überwindung zugeführt.

3.Der Schriftsteller Ramón J. Sender Biographische Daten

Ramón José Sender[5] Garcés wurde am 3. Februar 1901 in Chalamera (Huesca) geboren, wo sein Vater Gemeindesekretär und seine Mutter Lehrerin waren. Er wuchs in Tauste bei Zaragoza auf, zog nach dem Abitur mit 17 Jahren nach Madrid und begann hier ein Studium der Literatur und Philosophie, schloss es jedoch nie ab. Bereits jetzt arbeitete er an einigen literarischen Zeitschriften wie España Nueva, El País, El Imparcial und La Tribuna mit. Im Februar 1922 wurde er zum Militärdienst einberufen und in Marokko bis 1924 im Rifkrieg eingesetzt. Nach seiner Entlassung trat er in die Redaktion der Tageszeitung El Sol ein, wo er bis 1930 blieb. In dieser Zeit sympathisierte er mit den Gewerkschaften, schrieb für die Solidaridad Obrera der Conf-deración Nacional del Trabajo und für La Libertad. Sein Einsatz für den Anarchismus und gegen die Diktatur von Miguel Primo de Rivera trugen ihm eine erste Verhaftung und Verurteilung ein, die er in seinem Roman Orden Público (1931) verarbeitete.

Ursprünglich dem Gedankengut der Anarchisten zugeneigt, aber letztlich von ihrer Unfähigkeit zur Organisation enttäuscht, wandte er sich während der letzten vier Jahre der Republik den Kommunisten zu. Er verlebte im Winter 1933/34 einige Monate in Russland, wurde jedoch nie Parteimitglied. Auch die republikanischen Politiker hielt er für zu konservativ. Letztlich waren es seine eigene moralische Haltung gegenüber den Problemen der Menschen und den zur Lösung erforderlichen Aktionen, die dazu führten, dass er sich keiner revolutionären Gruppierung wirklich verbunden fühlen konnte.

Inzwischen mit der Journalistin Amparo Barayón verheiratet und zweifacher Vater, schlägt Sender sich bei Ausbruch des Bürgerkrieges 1936 auf die Seite der Republikaner. Seine Frau und sein Bruder Manuel werden von den Aufständischen erschossen, er selbst flieht nach Frankreich und kann seine Kinder dorthin nachholen. 1937 wird er von der republikanischen Regierung in die USA gesandt, um dort die republikanische Sache zu vertreten und für ein Eingreifen der demokratischen Länder zu werben. In Paris übernahm er die Gründung und Leitung der Propagandazeitschrift La Voz de Madrid, 1939 übersiedelte er mit seinen Kindern nach Mexiko, ließ sich 1942 in den USA nieder und wurde amerikanischer Staatsbürger. Er lehrte Literatur an der Universität von New Mexico und ging eine neue Ehe ein, der zwar zwei Kinder entstammen, die aber nicht langer Dauer war.

Sowohl der Bürgerkrieg selbst als auch sein Ausgang waren entscheidende und schmerzhafte Erlebnisse für Sender, die ihn nicht nur seiner Familie beraubten und ins Exil trieben, sondern ihm auch die Substanz nahmen, aus der er seine Werke geschaffen hatte. Darüber hinaus stellten sie die Voraussetzungen in Frage, auf denen er sein bisheriges Leben aufgebaut hatte: dass für alle menschlichen Probleme eine vorhersehbare Lösung existierte, die sich aus der Struktur der Gesellschaft ableiten ließ.

Nach Francos Tod kehrte Sender 1976 nach Spanien zurück, um den Premio Planeta entgegenzunehmen. Er beschloss, erneut die spanische Staatsbürgerschaft zu beantragen und die amerikanische aufzugeben, starb jedoch vorher am 16. Januar 1982 in San Diego, USA.

4. Réquiem por un campesino español

Ramón J. Sender schrieb den Roman Réquiem por un campesino español im amerikanischen Exil – er erschien zunächst 1953 in Mexiko unter dem Titel Mosén Millán und 1960 in New York unter dem endgültigen Titel. Er gehört zum Themenkreis seiner Arbeiten über den Spanischen Bürgerkrieg und ist sein bekanntestes Werk, aufgebaut nach den klassischen Regeln der Einheit von Ort, zeit und Handlung. In der Literaturkritik wird es unterschiedlich bewertet. Nach M.J. Bernadete ist der Kurzroman „ a summary in fictional form of the tragedy of Spain[6], nämlich des Spanischen Bürgerkrieges, in dem Sender auf republikanischer Seite kämpfte und im Verlauf dessen er seine Frau und einen Bruder verlor. David Henn hingegen erkennt darin vor allem die Kritik am Versagen der katholischen Kirche bei diesem Konflikt.[7]

[...]


[1] 3. Februar 1901 - 16. Januar 1982

[2] Peñuelas, Marcelino C.: Conversaciones con Ramón J. Sender. Madrid 1970, S. 17

[3] Ortega y Gasset, José: La deshumanización del arte. 1925

[4] Für die gesamte historische Entwicklung Spaniens bis 1936 vgl.: Bernecker, Walther L., Horst Pietschmann: Geschichte Spaniens von der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, 3 Stuttgart 1993, S. 147-318

[5] Für die biographischen Daten vgl.: Peñuelas, Conversaciones, S. 48 ff

[6] Sender, Ramón: Réquiem por un campesino español.[Pref. de M.J. Bernadete]. New York 1960, S. VII-XXV

[7] Henn, David: The priest in Sender’s Réquiem por un campesino español. In: IFR, 1. 1974, S. 106

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Kirche und Religiosität in Senders Réquiem por un campesino español
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg  (Romanisches Seminar)
Veranstaltung
Hauptseminar
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2008
Seiten
24
Katalognummer
V129925
ISBN (eBook)
9783640359240
ISBN (Buch)
9783640359592
Dateigröße
612 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kirche, Religiosität, Senders, Réquiem
Arbeit zitieren
Barbara Cisneros (Autor:in), 2008, Kirche und Religiosität in Senders Réquiem por un campesino español, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/129925

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