Bibliotheken in der Lyrik - Eine Darstellung im bibliotheksgeschichtlich-literarischen Kontext


Masterarbeit, 2009

110 Seiten, Note: 3

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung und Motivation

2. Varianten des Motivs Bibliothek in der Literatur

3. Lyrik – Begriffsklärung
3.1 Lyrik – formale Merkmale

4. Humanismus
4.1 Bibliotheksgeschichtliche Aspekte
4.1.1 Der Beruf des Bibliothekars
4.2 Tendenzen in der Beschreibung des Motivs Bibliothek in der Literatur
4.3 Bibliotheken in der Lyrik
4.3.1 Naldius Lobgedicht auf die Bibliotheca Corviniana
4.3.1.1 Bibliotheca Corviniana
4.3.2 Conrad Celtis Distichen auf die Wiener Hofbibliothek
4.3.3 Hugo Blotius lyrische Inschrift für die Tür der Wiener Hofbibliothek
4.3.3.1 Die Wiener Hofbibliothek

5. Restauration
5.1 Bibliotheksgeschichtliche Aspekte
5.1.1 Bibliothekare im 19. Jahrhundert
5.2 Tendenzen in der Beschreibung des Motivs Bibliothek in der Literatur
5.3 Bibliotheken in der Lyrik
5.3.1 Der Dichter an den Bibliothekar. Eduard Mörikes „Herrn Bibliothekar Adelb. v. Keller“
5.3.1.1 Adelbert von Keller als Oberbibliothekar der Tübinger Universitätsbibliothek
5.3.2 Die Bibliothek im Kopf. Heinrich Heine, „Deutschland. Ein Wintermärchen“
5.3.2.1 Widerstand gegen die Zensur in der Restauration

6. 20. Jahrhundert und Gegenwart
6.1 Bibliotheksgeschichtliche Aspekte
6.1.1 Der moderne Bibliothekar
6.2 Tendenzen in der Beschreibung des Motivs Bibliothek in der Literatur
6.2.1 Bibliotheken und Bibliothekare im Film
6.3 Bibliotheken in der Lyrik
6.3.1 „Es kauern Herzen dort im Bücherspinde“.
„In der Bibliothek“ von Hanns von Gumppenberg
6.3.2 Amy Lowell, “Die Library of Congress”
6.3.2.1 Library of Congress
6.3.3 Die private Bibliothek im häuslichen Idyll des Vermögenden.
Kurt Tucholsky, „Das Ideal“
6.3.3.1 Privatbibliotheken
6.3.4 Das Geständnis eines Bibliophilen in „Der Bücherfreund“ von
Joachim Ringelnatz
6.3.4.1 Die Bibliophilie
6.3.4.1.1 Die Bibliomanie
6.3.4.2 Die Privatbibliothek des Carl Georg von Maassen
6.3.5 René Char, „Die Bibliothek in Flammen“
6.3.5.1 Der Bibliotheksbrand als Motiv in der Literatur
6.3.5.1.1 Das Mouseion im ptolemäischen Alexandria und ein rätselhafter
Bibliotheksbrand
6.3.6 „In der Deutschen Bücherei“ von Helmut Richter und „Deutsche Bücherei“ von Ulrich Berkes
6.3.6.1 Die Deutsche Bücherei in Leipzig
6.3.6.2 Das Literaturinstitut Johannes R. Becher, heute Deutsches Literaturinstitut
6.3.7 Ernst Jandl, „bibliothek“
6.3.8 Billy Collins, „Das literarische Leben“
6.3.8.1 Coventry Patmore
6.3.8.1.1 Das Viktorianische Zeitalter
6.3.8.1.2 Die Bibliothek des British Museum
6.3.9 Nancy Morejon, „In der Bibliothek von Fordham lesend“

7. Schlussbetrachtung

8. Literaturverzeichnis

9. Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung und Motivation

Abhandlungen zum Motiv Bibliothek in der Literatur beschäftigen sich kaum mit dem Motiv speziell in der Gattung Lyrik.

Der vorliegenden Arbeit liegt die Motivation zugrunde, ausgewählte Gedichte darauf zu untersuchen, ob sie den allgemeinen Tendenzen der literarischen Beschreibung des Motivs Bibliothek in der Literatur im Kontext ihrer Zeit entsprechen.

Die Definition für die verschiedenen Varianten des Motivs Bibliothek in der Literatur liefern hierbei die diesbezüglichen Thesen von K. Dickhaut, D. Rieger und

C. Schmelz-Schneider.[1]

Um der Fragestellung nachzugehen, werden die ausgewählten Gedichte in einen bibliothekarisch-historischen Kontext gestellt. Es werden Gedichte aus dem Humanismus, der Restauration sowie aus dem 20. Jahrhundert und der Gegenwart untersucht.

Die zu untersuchenden Gedichte werden in Kapitell 4 – 6 je nach dem folgenden Muster dargestellt:

1. Bibliotheksgeschichtliche Aspekte – kurzer Abriss der Bibliotheksgeschichte der jeweiligen Epoche sowie Tätigkeiten und Merkmale von Bibliotheken und Bibliothekaren.

2. Tendenzen in der Beschreibung des Motivs Bibliothek in der Literatur – allgemeine Tendenzen in der Epoche bei der Beschreibung des Motivs Bibliothek in der Literatur.

3. Bibliotheken in der Lyrik – Analysen von Gedichten aus den jeweiligen Epochen.[2]

Bei den Gedichtanalysen liegt der Fokus beim Inhalt der Gedichte, nicht in formalen Merkmalen wie dem Rhythmus oder Klang.

Den geographischen Schwerpunkt der Darstellungen bildet der deutschsprachige Raum.

2. Varianten des Motivs Bibliothek in der Literatur

Nach K. Dickhaut, D. Rieger und C. Schmelz-Schneider tritt das Motiv Bibliothek in der Literatur in folgenden Varianten auf:

- Die Bibliothek als Spiegel. Bibliotheken in der Literatur können den Kulturbegriff der jeweiligen Epoche reflektieren oder das Verhältnis des Autors zur Welt.

I. Calvino, „Wenn ein Reisender in einer Winternacht“ (1979)

J.L. Borges, „Die Bibliothek von Babel“ (1941)

U. Eco, „Der Name der Rose“ (1983)

- Bücherwelt. Die Bibliothek präsentiert in der Literatur ein fiktives, in sich abgeschlossenes Universum, die Bücherwelt.

J.L. Borges, „Die Bibliothek von Babel“ (1941)

- Vergessene Bibliotheken, verlorene Bücher. Die vergessene, verschwundene Bibliothek stellt eine imaginäre Zufluchtsstätte dar, sie verkörpert das verlorene Heim, nach dem gesucht wird. Das verlorene, unverständliche Buch als Sinngegenstand, den es aufzufinden und zu erschließen gilt.

B. Comment, „Diener des Wissens“ (1990)

P. Capriolo, „Das doppelte Reich“ (1991)

- Die labyrinthische Bibliothek. Die Suche innerhalb des Labyrinth Bibliothek. Der Protagonist verirrt sich in einer alptraumhaften, labyrinthischen Bibliothek, dort wimmelt es von Gefahren, die der Protagonist zu bewältigen hat. Die Bibliothek als lebensgefährlicher Ort.

G. Labrunie, „Angélique“ (1854)

- Die brennende Bibliothek. Fiktionale und auf tatsächlichen historischen Ereignissen beruhende Bibliotheksbrände als Motive in der Literatur.

M. de Cervantes Saavedra, « Don Quijote » (1609)

E. Canetti, « Die Blendung” (1931)

V. Hugo, „Dreiundneunzig“ (1874)

R. Bradbury, „Fahrenheit 451“ (1953)

- Büchersammler und Bibliophile. Der Bücherliebhaber als Hauptfigur des fiktionalen Romans, das Sammeln von Büchern als Motiv. Von Büchern und/oder Bibliotheken besessene Protagonisten. Buchmanie. Die Bibliothek als Ersatzwelt.

Ch. Nodier, „Der Bibliomane“ (1836)

Ch. Asselineau, „Die Hölle des Bibliomanen“ (1860)

F. Forestier, „Das Bücherfressen“ (1981)[3]

3. Lyrik – Begriffsklärung

Die Bedeutung des Wortes Lyrik hat ihren Ursprung im griechischen „lyra“, Leier und verweist hiermit auf die antike Form des dichterischen Sprechens, den Gesang.[4] Bei den in der griechischen Antike zur lyra vorgetragenen Texten handelte es sich um strophisch gesungene Lieder, seit der Renaissance wurden diese Gesangseinheiten „Oden“ genannt. Das Wort „Ode“ stammt ebenfalls aus dem Griechischen und bedeutet übertragen „Gesang“. Im späten 18. Jahrhundert begann die Prosa den Vers zu verdrängen. Lyrik wurde neben Epik und Drama als literarische Gattung klassifiziert. Im Lauf der historischen Entwicklung haben sich verschiedene Lyrikgattungen entwickelt. Diese bilden heute eine vielfältige Lyriklandschaft.

Durch die Fülle und Vielfalt der lyrischen Formen existiert keine auf ein Prinzip reduzierte Lyrikdefinition. Die moderne Lyrikforschung verweist im Zuge der Begriffsklärung von Lyrik auf eine weitgefasste und allgemeine Definition: im heutigen Sprachgebrauch bedeutet Lyrik die Gesamtheit aller Gedichte.[5]

Zentrale Forschungsaspekte zur Lyrik stammen von dem ehemaligen Germanistik-professor der Universität Zürich und Literaturwissenschaftler Emil Staiger (1908 – 1987). Staigers 1946 erschienenes Buch „Grundbegriffe der Poetik“ ist ein auf dem Gebiet der Lyrikforschung bedeutendes und einflussreiches Werk. Darin definiert Staiger das Lyrische folgendermaßen: „Einheit der Musik und Worte und ihrer Bedeutung, unmittelbare Wirkung des Lyrischen ohne ausdrückliches Verstehen.“ Aus dieser Definition ist zu entnehmen, dass Lyrik den Rezipient direkt anspricht, ohne begrifflich verständlich zu sein, also in seiner emotionalen Weise und durch visuelle Aspekte der lyrischen Form, die assoziativ wirken. Durch den lyrischen Ausdruck werden Emotionen geweckt. Strategien zur Verbindung von lyrischer Sprache und Emotion sind Metrum und Rhythmus, Reim, Vers und Strophe.[6]

Auf nationaler Ebene setzt Emil Staiger einen herausragenden Schwerpunkt in der lyrischen Entwicklungsgeschichte, er erklärt die deutsche Romantik, insbesondere die Dichtung Goethes zum „literarischen Höhepunkt des Liedes“.[7] Staiger weist der romantischen Dichtungsart das Attribut „vollkommen“ zu hinsichtlich der Verbindung von Form und Inhalt. Daraus ergibt sich die These, dass der größte Teil des nach der romantischen Episode entstandenen lyrischen Schaffens als ein Herabgleiten von den „Höhen des romantischen Liedes“ aufgefasst werden muss, als Niedergang, als Verfall. Es handelt sich um eine Abwertung der modernen Lyrik ab dem 20. Jahrhundert, die aus der Erhebung der romantischen Lyrik in die vorbildhafte Vollkommenheit resultiert. Zu nennen wäre an dieser Stelle, dass die Lyrik aufgrund ihrer geschichtlichen Veränderungen in der Romantik durchaus moderne Züge aufwies. So ist in Goethes Gedichten eine Abkehr von der traditionellen Lyrikeinheit Vers und Reim zu beobachten, beispielsweise sind einige von Goethe verfassten Hymnen deutlich reimlos und frei rhythmisch. Mit diesen eigenwilligen Gedichtformen beginnt bereits in der Romantik ein Entwicklungsprozess der lyrischen Form, der sich insbesondere im 20. Jahrhundert beschleunigt. Er bringt eine nahezu regellose Ausweitung des Lyrikbegriffs mit sich. Ein Merkmal dieser Entwicklung bei der zeitgenössischen Lyrik ist die Ersetzung der klassischen Versform durch den „freien Vers“.

Der freie Vers folgt im Gegensatz zum metrisch gebundenen Vers nicht einem künstlichen, metrischen Muster, sondern dem natürlichen Wort und Satzakzent der Prosa.[8] Im Zuge des Expressionismus, Dadaismus und Surrealismus in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts schienen die Grenzen zwischen der Lyrik und der Prosa zu verschwinden, bzw. fand ein Austausch von lyrischen und prosaischen Merkmalen in literarischem Schaffen statt. Diese Entwicklung konnte sich ab dem 20. Jahrhundert etablieren, sie mündete in der Verankerung von lyrischer Prosa als literarischem Gattungsbegriff.

Es sind zwei philosophisch-spekulative Definitionsansätze zur literarischen Kunst deutscher Philosophen zu nennen: Georg Wilhelm Friedrich Hegels (1770 – 1831) Lyrikdefinition in seinen „Vorlesungen über die Ästhetik“, 1835-1838 sowie Theodor W. Adornos (1903 – 1969) Ausführungen zur Kunst, bezogen auf seine „Ästhetik der Negation“.

So hat Hegel in den „Vorlesungen zur Ästhetik“ den Versuch unternommen, die „lyrische Poesie“, wie er die Lyrik bezeichnete, als Moment der Selbstentfaltung des Subjekts innerhalb der Moderne zu definieren.[9] Hegel erkennt als Erster den sich etablierenden Charakter des Subjektiven der modernen Lyrik. Subjektivität meint im Sinne Hegels nicht ein sich von der Außenwelt abwendendes Prinzip, sondern das Sich-Bewußt-Werden des lyrischen Ich als welt- und Kunst schaffendes Prinzip.[10] Hegel führt das Prinzip anhand der romantischen Dichtung vor: diese „romantischen“ Gedichte greifen äußere Phänomene auf und beziehen das subjektive Gemüt in die dichterische Form ein, es entsteht eine subjektiv geprägte Lyriksphäre.

In Adornos „Ästhetik der bestimmten Negation“ sind Deutungsaspekte zur Kunst zu finden. In seinem Werk „Lyrik interpretieren“ hat der Verfasser Bernhard Sorg Adornos Theorie zur Kunst speziell auf die Lyrik angewandt. In „Ästhetik der bestimmten Negation“ manifestiert sich Kunst im 20. Jahrhundert in der Verneinung der geschichtlichen, gesellschaftlich sich verankernden Negativität.

Als Fundamentalverweigerung bewahrt die Kunst die menschliche Sehnsucht nach Erlösung und Befreiung von den Qualen des Weltlichen. Also wird die Kunst zur erlösenden Aussicht, zum Reich der Freiheit und hat in diesem Sinn einen sakralen Charakter.[11] Demnach besteht wie in der Kunst auch in der Lyrik eine deutliche Trauer über den Verlust des Weltlichen als sicherem Ort. In der Lyrik als Kunstform wird der Wille zur Bewahrung einer rettbaren Wahrheit der Welt, sie ist nur als Kunst zu erfahren und im Weltlichen nicht zu finden, in ihrem eigentlichen Wesen ist die Kunst nicht greifbar. Auf diese Weise dargestellt, zeichnet Adornos Kunstbegriff eine Nähe zum erlösenden Göttlichen auf, zur höheren Aufgabe, zum Esoterischen. Die Kunst als Esoterik bildet einen notwendigen Ausdruck eines philosophischen Reflexions-prozesses.

Neben Definitionsansätzen zur Lyrik existieren zahlreiche von Dichtern konzipierte Poetiken, welche sich mit verschiedenen, die Lyrik betreffenden Aspekten befassen.[12]

3.1 Lyrik – formale Merkmale

Gedichte sind durch ihre grundsätzlichen formalen Bestandteile Metrum, Rhythmus, Vers, Strophe und Reim strukturiert.[13]

Metrum bezeichnet den Wechsel von betonten und unbetonten Silben. Für diesen Wechsel existieren bestimmte, seit der Antike verwendeten Elemente. Die vier wichtigsten sind Jambus (Plural Jamben, x x, unbetont – betont, Beispiele: Na tur, wa rum, Ver bot), Trochäus (Plural Trochäen, x x, betont – unbetont, Beispiele: le ben, Ro sen), Daktylus (Plural Daktylen, x x x, betont – unbetont – unbetont, Beispiele: nigin, Su chende, Rei sende) sowie Anapäst (Plural Anapäste, x x x, unbetont – betont – betont, Beispiel: Para dies).

Jamben, Trochäen, Daktylen und Anapäste bestimmen den Rhythmus von Gedichten. Ähnlich wie in der Musik, erhalten Gedichte so ihren Takt. Beispielsweise ist das Gedicht „Drei Orangen, zwei Zitronen“ von Karl Krokow durchweg im vierhebigen Trochäus gehalten, dieses Versmaß verleiht dem Gedicht seinen Rhythmus.

Auszug:

Drei Or an gen, zwei Zi tro nen :-

Bald nicht mehr ver bor gne Glei chung,

For meln, die die Luft be woh nen,

Al ge bra der rei fen Frü chte!

Der Vers bildet eine komplexe Ebene der Struktur eines Gedichtes. Der Vers, traditionell als metrisch gebundene und als Zeile hervorgehobene Sprecheinheit ist ein Merkmal von Lyrik.

Insbesondere in modernen Gedichtformen wird der traditionelle, metrisch strukturierte Vers oft durch den freien Vers ersetzt. Es handelt sich dabei um eine zumeist reimlose Dichtung, die Länge von Zeilen und Strophen variiert, Verse sind rhythmisch strukturiert, im selben Gedicht können mehrere Versmaße vorkommen. Das Gedicht „Vita“ der zeitgenössischen Schriftstellerin Kerstin Hensel ist durch den freien Vers sowie Wechsel im Versmaß von Jamben zu Trochäen gekennzeichnet.

Auszug:

Wem sagt ich (halb wegs zün gelnd) was

Al lein zu sa gen mir den Kopf be droh lich knic ken

Ließ ? und al les bog man

Ab zum Nic ken!

Die Strophe in ihrer traditionellen Form besteht aus einer mindestens zweizeiligen, aufeinander bezogenen Abfolge rhythmisch strukturierter Sprache. Gegenwärtig existiert eine Vielzahl von Strophenvariationen, z.B. Odenstrophen, Sonettstrophen, freie Strophengliederungen, welche weniger als eine Zeile betragen können, oft bestehen diese lediglich aus einzelnen Worten oder Silben, die Strophenform wird hierbei gebrochen.

Beispielsweise besteht die erste Strophe eines Sonetts stets aus vier Zeilen:

Auszüge:

From fairest creatures we desire increase,
That thereby beauty's rose might never die,
But as the riper should by time decease,
His tender heir might bear his memory;

Wir möchten, dass das Schönste sich vermehrt,
die Rose Schönheit darf uns nie vergehen.
Wenn eine Blüte welkt, soll unversehrt
die Schönheit noch im neuen Trieb bestehen.

aus einem procreation sonnet von William Shakespeare, erste Strophe

In einem Gedicht ohne Titel von Rolf Dieter Brinkmann wird die Strophenform gebrochen. Während das Gedicht mit einem prosaischen Stück, einem nach einer Prosaminiatur anmutenden Textkonstrukt anfängt, finden im weiteren Verlauf des Gedichtes weitere Strophenvariationen statt. Die Zeilen des Gedichtes gliedern sich in Worte, Halbsätze und ganze Sätze. Die Länge der insgesamt zehn Gedichtstrophen betragen eine Zeile sowie zwei, drei und fünf Zeilen. Das Gedicht beinhaltet Zeilen-, und Wortbrüche.

Auszug:

In die Sonne zu blinzeln, stehenzubleiben, weil ein Staubkorn

in der Nase kitzelt, und niessen, unter dem immer blauen Him/

mel, selbst wenn Wolken das sind, ist einen Berg hinaufzusteig

en. Danach kommt der Blick.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

[14]

Die wichtigsten Strophenformen sind Volksliedstrophen (jambische Vierzeiler mit drei oder vier Hebungen, gereimt, Kreuzreime), Stanzen (jambische Achtzeiler, übliche Reimform abababcc, gereimt), Terzinen (jambische Dreizeiler mit fünf Hebungen, Kettenreim mit Schlusszeile), Distichon (Zweizeiler in der antiken Dichtung).[15]

Reime dienen zur akustischen Aufwertung des Gedichtes, sie gliedern das Gedicht, indem sie Verse miteinander verknüpfen oder voneinander abgrenzen.

Es existieren verschiedene Reimarten:

Der Paarreim (aabb) verbindet zwei unmittelbar aufeinander folgende Verszeilen miteinander:

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(aus: „marie dein liebster wartet schon“ von Konrad Bayer)

Der Kreuzreim (abab) reimt jede Verszeile mit der übernächsten:

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(Stefan George)

Der umarmende, bzw. umschließende Reim (abba) besteht aus einem Paarreim, der von einem weiteren Reim umschlossen wird:

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(aus: „Der Spinnerin Nachtlied“ von Clemens Brentano)

Der Schweifreim (aabccb) eignet sich besonders zur Bildung von sechszeiligen Strophen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(aus: „Abendlied“ von Matthias Claudius)

Reime hängen eng mit der Strophenbildung zusammen. Paarreime führen tendenziell zu Zweizeilern, Kreuzreime, bzw. umarmende Reime zu Vierzeilern, Schweifreime sind mit Sextetten verbunden.[16]

4. Humanismus

Bleib stehen, bis ich dir gesagt habe, was du wissen sollst,

Du, der du solcher Ehre würdig bist,

das Bücherhaus des Kaisers

zu betreten. Ich halte dich für zuverlässig,

also geh weiter,

und erfreue dich an den Büchern des Kaisers.[17] Hugo Blotius

Das Bewusstsein im ausgehenden Mittelalter war von der Sehnsucht nach Erneuerung, nach einer inneren Wiedergeburt des Menschen geprägt. Renaissance, Humanismus und Reformation wurzelten in diesem Ende des Mittelalters sich verstärkenden Verlangen nach einem Aufbruch aus der Enge der mittelalterlichen Traditionen. Geschichtlich gestützt wurde der neue Aufbruchsgedanke durch die Flucht griechischer Gelehrter nach Italien nach der türkischen Eroberung Konstantinopels im Jahr 1453, durch die Entdeckung Amerikas durch Columbus im Jahr 1492 sowie durch die bahnbrechende technische Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg im Jahr 1453. Um 1570 war die Umstellung von der Handschrift auf den Druck allgemein vollzogen, so dass Schriften nun schnell und günstig verbreitet werden konnten.[18]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.1: Der Handschriftenmaler Jean Miélot. Miniatur von Jean Le Tavernier von Brügge, um 1450.

Vor der Erfindung des Buchdrucks wurden wichtige Werke von Schreibern abgeschrieben.

Rückte die Renaissance (14-16 Jh.), die italienische rinascita, das diesseitige Dasein und dessen künstlerische Durchdringung ins Zentrum, so betonte der Humanismus (15./16. Jh.) mehr die wissenschaftliche Erkenntnis, während es in der Reformation

(16 Jh.) um die geistliche Erneuerung des Menschen ging.

In der Renaissance und im Humanismus wurde die antike Kunst und Literatur wieder belebt. Die Renaissance orientierte sich an der altrömischen Kunst, die Humanisten an antiken Philosophen, Historikern und Dichtern, so der deutsche Humanist und Dichter Conrad Celtis. In seinen lyrischen Werken in lateinischer Sprache griff er die altrömischen Lyriker Ovid und Horaz sowie antike Lyrikformen auf.

Ein bedeutender Gelehrter des europäischen Humanismus war der Theologe, Philosoph, Philologe und Schriftsteller Erasmus von Rotterdam (1465-1536).[19]

Die Humanisten trugen durch ihre Übersetzungen aus dem Lateinischen, Italienischen und Französischen zur Entwicklung einer neuen Literatursprache in Deutschland bei.

Mit der Übersetzung der Bibel aus dem Lateinischen ins Deutsche revolutionierte Martin Luther die Zeit und löste die reformatorische Bewegung aus.

Die Epoche war durch Zerrissenheit gekennzeichnet. Es bestand eine Tendenz zum Lehrhaften in der Literatur und zur kritischen Auseinandersetzung mit derselben.

Die mittelalterliche Weltverneinung und die renaissancehafte Weltbejahung prallten aufeinander. Die Humanisten rechneten mit den Reaktionären und Ewiggestrigen ab. Neue literarische Sprachstile entstanden, beispielsweise Petrarcas Sprachstil, der sich an der neu geschaffenen, anspruchsvollen Prager Kanzleisprache orientierte.[20]

Die Welt der Renaissance, des Humanismus und der Reformation war eine Welt im Aufbruch.

4.1 Bibliotheksgeschichtliche Aspekte

Ausgelöst durch Auseinandersetzungen zwischen dem Klerus und der weltlichen Herrschaft, die in weitreichenden Klosterreformen resultierten, vollzog sich Ende des Mittelalters der Niedergang des klösterlichen Bibliothekswesens.[21] Der Klerus verlor seine Vormachtstellung bei der Vermittlung der Wissenschaft.

Augsburg, Nürnberg und Heidelberg waren die zentralen Orte humanistischen Geisteslebens Deutschlands. An diesen Orten versammelte sich eine Anzahl führender Gelehrter der Zeit. Hier entstanden auch bedeutende Privatbibliotheken, beispielsweise die Privatbibliotheken des Nürnberger Arztes Hermann Schedel (1410-1485), des Ratsherrn Willibald Pirckheimer (1470-1530) und des Syndikus Konrad Peutinger (1465-1547).[22]

Die im Mittelalter völlig in Vergessenheit geratene Idee der öffentlichen Bibliothek erfuhr im 15. Jahrhundert eine Wiederbelebung. In einzelnen Fällen wurden Kirchenbibliotheken sogar zur öffentlichen Nutzung freigegeben, wie etwa die Bibliothek in der St.-Nikolaus-Kapelle in Alzey oder die Büchersammlung in der Andreaskirche in Braunschweig.[23]

Familie Fugger aus Augsburg betrieb zu der Zeit den Bücherhandel für den Aufbau von Bibliotheken. Zudem waren die Familienmitglieder für ihre bibliophile Büchersammlung und ihre Stiftung bekannt.[24] Beispielsweise gelangten die Schedelschen Sammlungen durch deren Erwerb durch Hans Jakob Fugger von Melchior auf Umwegen in die Nürnberger Ratsbibliothek.[25]

Die öffentliche Bibliothek als eigenständige Institution existierte im Humanismus eher in der Theorie. Vorherrschende Bibliothekstypen des Humanismus waren städtische und fürstliche Bibliotheken sowie Bibliotheken des höheren Bildungswesens, das heißt Universitätsbibliotheken.[26]

Städtische Bibliotheken des Humanismus waren Vorläufer der späteren Stadtbiblio-theken.[27]

Im Zuge der Säkularisierung von Klöstern erhielten städtische Bibliotheken während der Reformation Zuwachs in Form von Beständen aus ehemaligen Kloster-bibliotheken.[28]

Seit der Mitte des 16. Jahrhunderts nahmen fürstliche Büchersammlungen die Gestalt von Bibliotheken an. 1540 wurde die Schloß- oder Gelehrtenbibliothek, die sogenannte Bibliotheca nova, in Preußen-Königsberg begründet. Um dieselbe Zeit erfolgte in Heidelberg die Zusammenstellung der Bibliotheca Palatina, 1558 der Bibliothek Albrechts in München.[29]

Es herrschte Konkurrenz zwischen den verschiedenen Adelsgeschlechtern, der einen Ansporn und den Ehrgeiz für Bibliotheksgründungen auslöste.[30]

Auch fürstliche Bibliotheken wurden durch Zugänge aus Beständen von Klosterbibliotheken erweitert.[31]

Ebenfalls im 16. Jahrhundert wurde die Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel von Julius, Herzog zu Braunschweig-Lüneburg, gegründet. Sie gehörte zu den im Humanismus begründeten Bibliotheken, die es im weiteren geschichtlichen Verlauf zu Größe und Bedeutung brachten.[32]

Bibliotheken in Universitäten waren durch die Wandlung der Universitäten in der Epoche von klerikal-dogmatischen zu humanistisch-universalen Institutionen Veränderungen unterworfen. Sie wurden zu allgemeinen Universitätsbibliotheken umstrukturiert.[33]

4.1.1 Der Beruf des Bibliothekars

Bei den Bibliothekaren der Epoche handelte es sich um angesehene Persönlichkeiten aus Gelehrtenkreisen und dem Klerus, beispielsweise Prior Menger oder Conrad Celtis.

Die in einigen deutschen Klöstern durch den Humanismus ausgelöste geistige Blüte dauerte an bis in die Reformation.[34]

Im 16. Jahrhundert wurde das Prinzip der sogenannten Bücherreise eingeführt. Bibliothekare unternahmen Reisen, bei denen sie Bibliotheken in anderen Städten oder Ländern besuchten und begutachteten, um anschließend Reiseberichte zu den Beobachtungen während der Reise und zum Bibliotheksbesuch anzufertigen. Ein bekannter Reisebericht aus der Zeit ist beispielsweise der des Hieronymus Münzer über die von ihm besichtigten Bibliotheken in Norddeutschland, Polen, Dänemark, und Schottland. Conrad Celtis, der Gelehrte, Schriftsteller und Bibliothekar unternahm ebenfalls ausgedehnte Reisen, die er literarisch verarbeitete, unter anderem in seiner Schrift „Germania generalis“.[35]

Gelehrte, Theologen, sogar Hausmeister oder Schlüsseldiener verrichteten bibliothekarische Aufgaben, ohne über bibliothekarische Vorkenntnisse zu verfügen. Bei den Gelehrten war dieser Aspekt oft in der humanistischen Interessenvielfalt begründet. Die Belastung, die das Ausüben mehrerer Berufe mit sich brachte, nahmen manche Gelehrte gern auf sich, vor allem wenn es sich um Tätigkeiten in angesehen Institutionen wie Hofbibliotheken handelte.[36]

Die Spannung zwischen dem humanistischen Prinzip des Universalismus und fachlicher Spezialisierung im gleichzeitig ausgeübten Bibliothekarberuf wurde von den Gelehrten unterschiedlich bewältigt. Während Einige zur Bewältigung der Bibliotheksarbeit Hilfskräfte anstellen mussten, wie der Wiener Hofbibliothekar und Professor für Rhetorik Hugo Blotius, kamen Gelehrte wie Georg Hehnisch, welcher in Augsburg Logik, Rhetorik und Mathematik lehrte und auch als Arzt, Rektor, Schriftsteller und Bibliothekar tätig war, mit den Belastungen allein zurecht.[37]

Wurden von den Fürsten Personen für die Leitung von Buchsammlungen und Bibliotheken auserkoren, so spielte die Vorbildung der Erwählten keine Rolle. Es handelte sich dabei beispielsweise um Personen aus der Dienerschaft, die durch ihre Treue gegenüber den Fürsten ihr Vertrauen gewonnen haben. Selbst Musiker, sofern sie am Hof in der Gunst von Herrschern standen, konnten mit der Bibliotheksleitung betraut werden. Oft führte das nicht vorhandene Interesse mancher auf diese Weise ernannter Bibliotheksleiter zur Verwahrlosung des Bibliotheksbetriebs in den betreffenden Bibliotheken.[38]

In den Ratsbibliotheken organisierten Ratsschreiber den Bibliotheksbetrieb. Die Funktion des Ratsschreibers wurde aus der mittelalterlichen Funktion des sogenannten Stadtschreibers abgeleitet, der als Notar, Advokat und Rechtsgelehrte fungierte.[39]

Aufgrund des Ineinandergreifens von Kirche und Wissenschaft in der Renaissance, dem Humanismus und der Reformation war es zu der Zeit üblich, beiden Richtungen entstammende Bibliothekare in den Bibliotheken zu beschäftigen, so dass sich Vertreter des Klerus und der Wissenschaft in den Bibliotheken gleichermaßen einfanden.[40]

Befristete Bibliotheksarbeit gehörte zu den häufigsten Beschäftigungsformen. Ein fester Bibliothekarsposten war eher die Ausnahme. Der Theologe und Neulateiner Konrad Lautenbach (1534-1595) beispielsweise wurde vom Kurfürsten Ludwig zur Instandsetzung der Heidelberger Bibliothek befristet beschäftigt. Conrad Celtis war gelegentlich für die Wiener Hofbibliothek tätig, Wolfgang Lazius war kurzzeitig mit der Beschaffung orientalischer Schriften für Bibliotheken betraut. Sie alle trugen keinen Bibliothekarstitel wie etwa der Hofbibliothekar Hugo Blotius.[41]

4.2 Tendenzen in der Beschreibung des Motivs Bibliothek in der Literatur

Dem Mittelalter und der frühen Neuzeit war die Bibliothek, wenn überhaupt einer Erwähnung wert, dann zumeist in der Form einer Lobhymne, um entweder einem Bibliothekar oder dem Besitzer einer Bibliothek zu gefallen.[42] Dass die Bibliothek hierbei oft nur ein Vorwand war, um dem Besitzer zu huldigen, war Tendenz der Zeit. Ein solches Huldigungsgedicht erwarteten die Betreffenden, das heißt Bücher- und Bibliotheksbesitzer sogar.[43]

Im 16. Jahrhundert nahm die Gattung Reisebericht ihren Anfang.[44] Die Form der Reiseberichte verlief zumeist konstant. Ausgehend vom Verfasser des Berichtes wurde in Ich-Form und in chronologischem Ablauf über die Sehenswürdigkeiten berichtet.[45] Die Reiseziele variierten von Bildungsinstitutionen wie Universitäten oder Bibliotheken bis zu Pilger-, und Bildungsreisen ins Ausland sowie in andere Kontinente nach deren Entdeckung. Religiös motivierte Pilgerreisen waren beispielsweise die Pilgerreisen zum Jacobs-Weg. Sich von seinem Lebensort zu entfernen, bedeutete zu der Zeit Unsicherheit und Gefahren, beispielsweise durch das Wetter. Hinzu kam, dass es bis ins 18. Jahrhundert hinein kaum Alternativen zum Fußmarsch gab, denn Reiten war nur Wenigen möglich, da es teuer war. Außerdem galt die Fahrt in einem ungefederten und unbequemen Pferdewagen als unschicklich. Diese Reisen waren nicht etwas, was man zum Vergnügen unternahm.[46]

Zu den bekannten Reiseberichten gehört beispielsweise Peter Lambecks Reisebericht nach Buda/Ungarn zur Bibliotheca Corviniana im Jahr 1666.[47] Bibliotheca Corviniana erlebte im Humanismus ihre Blütezeit.

Der Wiener Hofpräfekt und Bibliothekar Peter Lambeck unternahm im Jahr 1666 im Auftrag Kaiser Leopolds I. eine Reise nach Buda, um die Reste der von König Matthias Corvinus gegründeten Bibliotheca Corviniana aufzuspüren und gegebenenfalls Bücher aus der Bibliothek zu erwerben.[48] Die Reise blieb zunächst erfolglos, Lambeck wurde der Zugang zu der Buchsammlung der Corviniana verwehrt. Als Lambeck endlich vom Sultan die Genehmigung für die Besichtigung der Bibliothek erhielt und am 10. März 1666 die Bibliothek betrat, erlebte er eine große Enttäuschung: die Bücher der einstmals berühmten Bibliothek lagen sorglos voller Schmutz am Boden und es befanden sich darunter keine Corvinen mehr. Übrig geblieben sind lediglich etwa 300-400 Bücher, überwiegend Drucke. Lambeck erhielt die Erlaubnis, drei Handschriften mitzunehmen, diese wurden in den Bestand der Wiener Hofbibliothek eingeführt, wo sie auch gegenwärtig aufbewahrt werden. Durch wissenschaftliche Untersuchungen der drei Werke wurde mittlerweile festgestellt, dass Lambeck hierbei keine Exemplare der königlichen Bibliothek erworben hatte, sondern Werke aus der Bibliothek der Priesterschaft der königlichen Kapelle.[49]

4.3 Bibliotheken in der Lyrik

4.3.1 Naldius Lobgedicht auf die Bibliotheca Corviniana

Der Florentiner Naldus Naldius (1436-1513), Humanist und in der Bibliotheca Corviniana tätig, verfasste ein Lobgedicht auf die Bibliotheca Corviniana.

Der Text stammt aus dem Werk epistola de laubidus augustae bibliothecae atque libri IV. versibus scripti eodem argumento ad serenissimum Matthiam Corvinum Pannonaie regem.[50]

An einer Stelle im Lobgedicht heißt es:

So hast Du (König Corvinus) in einem wunderbaren Kunstwerk Bücherregale in drei Reihen errichtet, damit darin die veröffentlichten Bände der gelehrtesten Männer in jedbeliebiger Literaturgattung aufgestellt werden, und Einbände dazu sind verwendet worden, die aus kunstvoll eingewobenem Gold und Purpur gemacht sind, um die Bücher vor Schmutz und feinerem Staub zu schützen. Im untersten Teil, der den Estrich berührt, sind kunstvoll gearbeitete Kästen aufgestellt, damit darin mehrere Bände zugleich, die in den oberen Bücherregalen aufgrund der Größe keinen Platz hatten, verwahrt werden. Mitten im Saal sind solche Dreifüße aufgestellt, wie sie im Tempel des Apollo vorhanden waren, was ebenso gut zu dem Palastinneren des weisesten Königs passen würde wie es zuvor im Apollotempel gepasst hatte.[51]

Das Lyrische findet in diesem Text in einem konsequent durchgehaltenen Rhythmus sowie im Gespür für das ausgesuchte Detail, welches im Leser Assoziationen auslöst und die Phantasie antreibt, seinen Ausdruck. Durch die sorgfältige Auswahl des Vokabulars werden Akzente gesetzt, die gewählten Adjektive wie gelehrteste, fein, kunstvoll und die Substantive Gold, Purpur, Größe untermalen den Glanz der Bibliothek. Ganz im humanistischen Stil fällt der Verweis auf den antiken Gott Apollon aus. In der Verknüpfung des altgriechischen Gottes Apollon mit dem Lobgesang auf die Bibliothek befindet sich das humanistische Merkmal der Rückbesinnung auf die antike Welt. Apollon als heilender Gott des Lichts, des Frühlings, der Weissagung und der Künste steht für die heilende Kraft der Erleuchtung durch die Kunst und die Wissenschaft. Mit der Figur des Apollon verleiht Naldius der Bibliotheca Corviniana einen antiken Patron göttlicher Herkunft und der Bibliothek dadurch insgesamt einen göttlichen Charakter.

An einer anderen Stelle im Lobgedicht heißt es:

Der eine von ihnen (Apollon) galt als Gott, der Weisheit verleiht, der andere (Corvinus) wird als Begründer zur Bewahrung und Ehrung der Weisheit so, wie es auch der Fall ist, von allen geachtet, so dass es eine wunderbare Ähnlichkeit zwischen beiden, König und Gott, zu geben scheint.[52]

Insofern bildete das Lobgedicht von Naldius mit seiner Erhöhung der Bibliothek ins Göttliche ein schmeichelhaftes Lob auf die Bibliotheca Corviniana sowie eine Betrachtung König Corvinus’ im gottgleichen Licht.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.2: Naldus Naldius, Einleitung zum Lobgedicht auf die Bibliotheca Corviniana

4.3.1.1 Bibliotheca Corviniana

Bei der Bibliotheca Corviniana handelte es sich um eine insbesondere von den Humanisten gepriesene Bibliothek. Die Bibliothek wurde von König Matthias Corvinus in der Burg von Ofen (Buda) eingerichtet und beherbergte etwa 4000-5000 Werke.[53] Österreichische, italienische und ungarische Humanisten haben wesentlich zum Ruhm dieser Bibliothek beigetragen. In der Blütezeit der Bibliothek wurden vor allem in Italien sogenannte Corvinen hergestellt, Schriften, die sich durch prächtige Zierseiten auszeichneten.[54]

Neben dem Auftrag des Königs Matthias Corvinus, einem humanistisch gebildeten Herrscher gemäß die klassisch-antiken Autoren zu sammeln und zu vervielfältigen, lag die Bedeutung der Bibliothek auch in der Erhaltung des kulturellen Erbes in einem von muslimischer Brandschatzung geprägten Ambiente, dem etwa die Bibliotheksschätze des byzantinischen Reiches vielfach zum Opfer fielen.[55]

Nachdem Buda am 08. September 1526 von den Türken eingenommen wurde, fiel die Bibliotheca Corviniana dem Sultan in Konstantinopel zu.[56]

4.3.2 Conrad Celtis Distichen auf die Wiener Hofbibliothek

Unter Conrad Celtis lyrischen Werken befinden sich Distichen auf die Musen, die zum Schmuck der Wiener Hofbibliothek bestimmt gewesen sein sollen.[57]

Die Muse, eine göttliche, weibliche Gestalt, welche zu kreativen Leistungen inspiriert, ist seit der Antike Inhalt zahlreicher Dichtungen.

Musen sind mit der Idee des Mouseion verbunden, das in der Antike unter anderem als Bibliothek fungierte.

Die Idee des Mouseion ist eine Erfindung aus der griechischen Antike. Im weiteren Verlauf der Geschichte erlangte das Mouseion vor allem durch das ptolemäische Mouseion in Alexandria und dessen unaufgeklärten Brand Berühmtheit.

Die Idee des Mouseion als Ort der Inspiration, Forschung und Literatur, wurde von Platon entwickelt. Mouseion hieß bei den Griechen „Musensitz“ und verwies daraufhin auf seinen inspirierenden Charakter. Es wurde auch Platonische Akademie genannt. Es war Kultstätte, Ort der Forschung und Lehre sowie der Götterverehrung.

Im Mouseion wurden Schriften aufbewahrt, die im Zuge von Forschung und zu Lehrzwecken entstanden: das Mouseion war unter anderem Bibliothek.[58]

Die Musendichtung wurde bereits seit der Antike vielfach geschaffen. Bekannte Musendichtungen stammen unter anderem von der griechischen Lyrikerin Sappho (um 615 - um 560 v. Chr.).

Ein lyrisches Fragment von Sappho lautet:

Kommt hierher, Musen, das goldene

(Haus eures Vaters) verlassend...[59]

In einem anderen Gedicht der Lyrikerin tauchen Musen als Nebenmotiv auf:

Eilt hin zu den herrlichen Gaben

der veilchenbusigen Musen, Kinder!

Hin zur Gesang liebenden,

helltönenden Ligyra![60]

(Auszug aus einem Gedicht ohne Titel, 1. Strophe)

Mit ihrer Lyrik erlangte Sappho Berühmtheit und Anerkennung unter Gelehrten ihrer Zeit. Sokrates glaubte sein Wissen um die Liebe durch den würdigen Vortrag und die erlesenen Lieder Sapphos empfangen zu haben: „Sicher aber habe ich es von einigen vernommen, etwa von der anmutigen, schönen und weisen Sappho...“[61]

Älian berichtete: „Die Dichterin Sappho, die Tochter des Skamandronymos, wird von Platon, dem Sohn des Ariston, als gut und schön beschrieben.“[62]

Von Platon stammt das berühmte Epigramm: „Manche sagen, es gäbe neun Musen. Sie vergessen Sappho von Lesbos: Sie ist die zehnte.“[63]

Ähnlich der Übertragung des antiken göttlichen Schutzpatrons Apollon durch den Dichter Naldus Naldius in die Bibliotheca Corviniana, erhält die Wiener Hofbibliothek in Wien durch Celtis Musendichtungen für die Hofbibliothek den Schutz durch die göttlichen Musen.

Mit der Verwendung der lyrischen Form Distichon bei seinen Musendichtungen für die Wiener Hofbibliothek belebte Celits diese antike Versform.

Das Distichon (griechisch: Zweizeiler) ist ein Verspaar, das aus einem Hexameter und einem Pentameter besteht.[64] Es ist seit dem 7. Jahrhundert v. Chr. in der griechischen Dichtung nachgewiesen, in der Antike wurde es vielfach verwendet.

Das Distichon wurde in späteren Epochen nachgebildet, den Höhepunkt seiner Verwendung fand es in Klassik, unter anderem in der folgenden Dichtung von Friedrich Schiller:

Das Distichon

Im Hexameter steigt des Springquells flüssige Säule,

Im Pentameter drauf fällt sie melodisch herab.[65]

Conrad Celtis beschäftigte sich in seinem schriftstellerischen Werk häufig mit antiken literarischen Formen und Dichtern, vor allem mit Horaz.

Conrad Celtis wurde am 02. Februar 1459 zu Wipfeld (Franken) als Sohn eines Weinbauers geboren. Möglicherweise gegen den Willen des Vaters schrieb er sich am 14. Oktober 1478 an der Kölner Universität ein. Nach dem Erwerb des Baccalaureats im Jahr 1479 studierte er wohl Theologie. Es folgten Reisen, zunächst nach Buda im Jahr 1482, wohl um den Gelehrtenkreis und die Bibliothek des Königs Mattias Corvinus kennen zu lernen, dann nach Heidelberg im Jahr 1484. Im humanistischen Zirkel um Johann von Dalberg und Rudolf Agricola beschäftigte sich Celtis mit Rhetorik, Poetik, dem Griechischen und Hebräischen. 1485 ging Celtis nach Erfurt, um an der dortigen Universität zu lehren, anschließend nach Rostock und Leipzig. 1486 erschien mit Ars versificandi et carminum, einer Anleitung zur Versdichtung, sein erstes Werk. Eine dem Werk angeschlossene Huldigungsode an Apollon, den antiken Gott, verkündete hier bereits das Lebensprogramm des deutschen Humanisten, die translatio artium.

Am 18. April 1487 wurde Celtis vom Habsburger Kaiser Friedrich III. zum poeta laureatus gekürt. Dies war eine ehrenvolle Auszeichnung, die für Celtis eine beträchtliche Statuserhöhung bedeutete. In der Folgezeit begab sich Celtis auf Reisen nach Italien, Polen und Prag. Im Jahr 1491 trat er eine außerordentliche Professur für Rhetorik und Poetik an der Universität Ingolstadt an. Es folgten weitere befristete Anstellungen: als Leiter der Domschule in Regensburg, als Fürstenerzieher in Heidelberg, als Professor für Poetik und Rhetorik an der Universität in Wien sowie als Bibliothekar der Wiener Hofbibliothek. 1502 wurden Celtis Werke Amores und Germania generalis publiziert. Conrad Celtis starb am 04.02.1508 in Wien. Weitere Schriften wurden erst nach Celtis Tod von seinen Schülern herausgegeben, unter anderem Libri Odarum quator cum Epodo er saeculari carmine.[66] In dem Werk griff Celtis den literarischen Stil des altrömischen Dichters Horaz auf. Die Nähe zu Horaz begleitete Celtis literarisches Schaffen, Horaz war Celtis literarisches Vorbild und Inhalt seiner Forschung.[67]

Als Herausgeber antiker Texte, als Wissenschaftler und vor allem als Dichter mit einem hohem Selbstbewusstsein und Anspruch gehörte Celtis zu den wirkungsreichen Persönlichkeiten des deutschen Humanismus.[68]

4.3.3 Hugo Blotius lyrische Inschrift für die Tür der Wiener Hofbibliothek

Die von dem Wiener Hofbibliothekar Hugo Blotius (1533-1608) in Latein verfasste lyrische Inschrift für die Tür der Hofbibliothek in Wien stellt der Forschung Rätsel auf, da die Inschrift lediglich in Blotius’ Korrespondenz mit Zeitgenossen enthalten ist. Die tatsächliche Existenz der Inschrift auf der Tür der Wiener Hofbibliothek ist wissenschaftlich nicht belegt.[69]

[...]


[1] s. Dickhaut, K, Rieger, D., Schmelz-Schneider, C., „Bücher in Bibliotheken-Bibliotheken in Büchern“, in: Biblios, „Bibliotheken in der Literatur“, Phoibos Verlag, 2005/2

[2] Die theoretische Vorlage für die Gedichtanalysen bildet das Werk von Horst J. Frank, „Wie interpretiere ich ein Gedicht? : Eine methodische Anleitung“, Francke, Tübingen/Basel, 2000

[3] s. Dickhaut, K, Rieger, D., Schmelz-Schneider, C., „Bücher in Bibliotheken-Bibliotheken in Büchern“, in: Biblios, „Bibliotheken in der Literatur“, S. 13-25

[4] s. Sorg, B., Lyrik interpretieren, S. 7

[5] s. ebd, S. 7

[6] s. ebd., S. 8f.

[7] s. ebd., S. 9

[8] s. Andreotti, M., Die Struktur der modernen Literatur, S. 249f.

[9] s. Sorg, B., Lyrik interpretieren, S. 12

[10] s. ebd., S. 12

[11] s. ebd., S. 14 f.

[12] s. u.a.:

Bachmann, Ingeborg, „Frankfurter Vorlesungen. Probleme zeitgenössischer Dichtung“, München, 1995

Domin, Hilde, „Wozu Lyrik heute? Dichtung und Leser in der gesteuerten Gesellschaft.“, München, 1981

Rühmkorf, Peter, „agar-agar-zaurzarim. Zur Naturgeschichte des Reims und der menschlichen Anklangsnerven.“, Reinbek, 1981

[13] s. Marquaß, R., Gedichte analysieren, S. 27ff.

[14] s. Brinkmann, R.D., Eiswasser an der Guadelupe Str.

[15] s. Marquaß, R., Gedichte analysieren, S. 108

[16] s. ebd., S. 108f.

[17] s. Klecker, E., „Die Tür der Hofbibliothek. Eine Tür zur Korrespondenz des Hugo Blotius.“, in: Biblios, „Bibliotheken in der Literatur“, S. 65

[18] s. Freund, W., „Deutsche Literatur“, S. 24

[19] s. ebd., S. 25

[20] s. ebd., S. 25f.

[21] s. Mummendey, R., „Von Büchern und Bibliotheken“, S. 202f.

[22] s. ebd., S. 226

[23] s. ebd., S. 229

[24] Kramm, H., „Deutsche Bibliotheken unter dem Einfluss von Humanismus und Reformation“,

S. 193

[25] S. ebd., S. 193

[26] s. ebd., S. 101ff.

[27] s. ebd., S. 128

[28] s. ebd., S. 129

[29] s. ebd., S. 141

[30] s. ebd., S. 141

[31] s. ebd., S. 153

[32] s. ebd., S. 153

[33] s. ebd., S. 160

[34] s. ebd., S. 216

[35] s. Müller, G. M., „Die Germania generalis des Conrad Celtis : Studien mit Edition, Übersetzung und Kommentar“, S. 29f.

[36] s. Kramm, H., „Deutsche Bibliotheken unter dem Einfluß von Humanismus und Reformation“, S. 217

[37] s. ebd., S. 219

[38] s. ebd., S. 225

[39] s. ebd., S. 227

[40] s. ebd., S. 231

[41] s. ebd., S. 233

[42] s. Geleitwort, in: „Bibliotheken in der Literatur“, S. 5

[43] s. ebd., S. 5

[44] s. Heid, H. (Hrsg.), „Von Erfahrung aller Land“, S. 3

[45] s. ebd., S. 5

[46] s. ebd., S. 19

[47] s. Gastgeber, Ch., „Auf der Spur der Bibliotheca Corviniana“, S. 43

[48] s. ebd., S. 47

[49] s. ebd., S. 48

[50] s. ebd., S. 45f.

[51] s. ebd., S. 46

[52] s. ebd., S. 46

[53] s. ebd., S. 43

[54] s. ebd., S. 45

[55] s. ebd., S. 45

[56] s. ebd., S. 45

[57] s. Pindter, F., „Die Lyrik des Conrad Celtis“, S. 95

Es handelt sich um die mit den Unterschriften „Terpsichore“ und „Calliope“ versehenen Distichen:

Fercula, servus, equus vel amati pignora lecti

Si quem sollicitant, hic relevamen hab et.“ (Ep. III, 60)

Quem famuli famulaeque premu foecundaque coniunx,

Hic gravibus curis se relevare potest.“ (Ep. III, 62)

F. Pindters Werk „Die Lyrik des Conrad Celtis“, aus dem die beiden Distichen Celtis entnommen sind, enthält keine deutsche Übersetzung der Verse.

[58] s. Jochum, U., „Kleine Bibliotheksgeschichte“, S. 41

[59] s. Sappho, „Untergegangen der Mond“, S. 60

[60] s. ebd., S. 35f.

[61] s. ebd., S. 92

[62] s. ebd., S. 93

[63] s. ebd., S. 93

[64] s. Knörrich, O., „Lexikon lyrischer Formen“, S. 44

[65] s. ebd., S. 44

[66] s. Bodamer, Ch., u.a., „Humanistische Lyrik des 16. Jahrhunderts“, S. 920ff.

[67] s. Auhagen/Lefèvre/Schäfer, „Horaz und Celtis“, S. 40

[68] s. Bodamer, Ch., u.a., „Humanistische Lyrik des 16. Jahrhunderts“, S. 923

[69] s. Klecker, E., „Die Tür der Hofbibliothek. Eine Tür zur Korrespondenz des Hugo Blotius.“, in: Biblios, „Bibliotheken in der Literatur“, S. 65-79

Ende der Leseprobe aus 110 Seiten

Details

Titel
Bibliotheken in der Lyrik - Eine Darstellung im bibliotheksgeschichtlich-literarischen Kontext
Hochschule
Technische Hochschule Köln, ehem. Fachhochschule Köln
Note
3
Jahr
2009
Seiten
110
Katalognummer
V130516
ISBN (eBook)
9783640361724
ISBN (Buch)
9783640361809
Dateigröße
10461 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Bibliotheken, Lyrik, Eine, Darstellung, Kontext
Arbeit zitieren
Anonym, 2009, Bibliotheken in der Lyrik - Eine Darstellung im bibliotheksgeschichtlich-literarischen Kontext, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/130516

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