Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung: Gegenstand und Aufbau der Arbeit
2 Darlegung der Argumente gegen einen Beitritt
2.1 Ideen
2.2 Institutionen
2.3 Interessen
3 Diskussion der angebrachten Argumente unter Berücksichtigung der Befürworter-Perspektive
4 Konklusion
5 Literaturliste
1 Einleitung: Gegenstand und Aufbau der Arbeit
Die Europäische Union (EU) fasst nach den letzten beiden Erweiterungsrunden in den Jahren 2004 und 2007 nun 27 Mitgliedsstaaten; sie erstreckt sich nicht mehr nur vom Norden Lapplands bis hinunter an die Algarve im Süden Portugals, sondern auch vom schottischen Hochland bis zum Schwarzen Meer. Ehemalige „Ostblock-Staaten“ wie Polen, Ungarn, die (damals noch geeinte) Tschechoslowakei und Bulgarien, aber auch die drei baltischen Staaten als Teile der ehemalige UdSSR gehören heute bereits zur europäischen Familie – und die Erweiterung der EU schreitet voran. Der Fokus liegt hierbei auf dem so genannten Westbalkan; zwei Staaten der ehemaligen Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien (SFR Jugoslawien) wurde in den letzten Jahren bereits der Status eines offiziellen Beitrittskandidaten verliehen: Kroatien (2004) sowie Mazedonien (2005). Mit letzterem wird bisher allerdings noch nicht verhandelt. Albanien und die übrigen Teilstaaten der SFR Jugoslawien gelten seit dem EU-Gipfel in Thessaloniki im Jahre 2003 als potenzielle Beitrittskandidaten. Zu diesen zählen Bosnien und Herzegowina, Serbien und Montenegro sowie auch das Kosovo.
Langfristige Perspektiven für eine Aufnahme in die EU haben neben den Staaten der European Free Trade Association (ETFA) - also Norwegen, Island, der Schweiz und Liechtenstein - zudem die allesamt östlich der EU gelegenen Länder Moldawien sowie die Russland-Anrainer Belarus und Ukraine.
All diese Länder sind (mit Ausnahme von Belarus) Mitglieder im Europarat[1] und gehören auch geographisch gesehen zu Europa. Warum die Integration, gerade von Staaten wie der wirtschaftsschwachen und politisch geteilten Ukraine und dem diktatorisch regierten Belarus so schwierig und langwierig ist, hat unterschiedlichste Gründe. Kroatien hingegen wird der EU voraussichtlich spätestens im Jahre 2011 beitreten. Für ein Land jedoch, das bereits seit Dezember 1999 den Status eines offiziellen Beitrittskandidaten innehat (also fünf Jahre vor Kroatien), gestaltet sich die Situation völlig anders. Es fällt gewissermaßen aus der Reihe, nicht nur weil knapp 97 Prozent seines Staatsgebietes geographisch gesehen zu Asien gehören. Es handelt sich hierbei um die Türkei. Die Beitrittsverhandlungen der Türkei mit der EU begannen zwar etwa zeitgleich mit denen Kroatiens, erwiesen sich jedoch als äußerst mühselig, außerdem „ist die türkische Mitgliedschaft in Europa noch immer umstritten, und auch in der Türkei kommt keine rechte Freude auf“[2].
Wie sehen nun aber die Argumente der Skeptiker eines Türkei-Beitritts aus und wie werden diese gerechtfertigt? Was ist der Grund dafür, dass sich die Verhandlungen scheinbar ungewöhnlich lange hinauszögern? Dem möchte ich in dieser Arbeit nachgehen, indem ich im ersten Teil die Darlegungen in folgende an Max Weber orientierten Schlüsselbegriffe gliedere: Ideen (S. 4), Institutionen (S. 6) und Interessen (S. 8). Hierbei werden zunächst die Gründe der Gegner eines Beitritts angeführt und im darauf folgenden zweiten Teil (S. 12) werden sie unter Berücksichtigung der Befürworter-Argumente diskutiert. Im dritten und letzten Teil dieser Arbeit komme ich in der Konklusion (S. 13) zu einem abschließenden Fazit.
2 Darlegung der Argumente gegen einen Beitritt
2.1 Ideen
Grundlegend ist festzuhalten, dass – laut Artikel 49 des Vertrages von Amsterdam – „jeder europäische Staat, der die in Artikel 6 Absatz 1 genannten Grundsätze achtet“, beantragen kann, Mitglied der EU zu werden. Artikel 6 Absatz 1 besagt wiederum, dass die Union auf „den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit“ beruhe. Dass ein Staat „europäisch“ sein müsse, hat eine eher kulturelle Bedeutung: faktisch gesehen, könnte jedes Mitglied des Europarates sich um Aufnahme in der EU bewerben. Dass es aufgenommen wird, hängt auch davon ab, ob es die Kopenhagener Kriterien erfüllen kann; diese wurden während der Sitzung des Europäischen Rates im Juni 1993 festgelegt.
Dass die Türkei Teil Europas oder gar eines europäischen Kulturraumes sein soll, wird trotz ihrer 1949 erfolgten Mitgliedschaft im Europarat von Gegnern eines Beitrittes bestritten oder zumindest angezweifelt und sehr oft wird hierbei auf den hohen territorialen Anteil am asiatischen Kontinent verwiesen. Die Grenzen Europas mögen nach Norden, Westen und auch Süden eindeutig geklärt sein, nach Osten und Südosten hingegen verwischt die Trennlinie. Europa geographisch festzulegen, ist offenbar keine befriedigende Lösung, wo zudem mit Zypern 2004 ein ebenfalls zu Asien gehörender Staat Teil der Union wurde.
Eindeutiger sieht es aus mit dem Argument aus, das Wertesystem der Türkei sei mit dem der übrigen Mitgliedsstaaten (noch) nicht vereinbar. So heißt es, die Türkei hätte „nicht nur ein Wertesystem, sondern zwei“[3]: die Verfassung, das Recht und Gesetz der türkischen Republik sowie moderne westliche Werte widersprächen in vielen Fällen den traditionellen Überzeugungen der türkischen Gesellschaft mit Werten wie Ehre, Reinheit und Frömmigkeit.
Dies trifft dabei weniger auf den moderneren westlichen Teil des Landes zu - insbesondere mit der Zehn-Millionen-Metropole Istanbul - als vielmehr auf das sich weit nach Osten ausdehnende Anatolien und dort speziell auf die eher ländlichen Regionen, was „im ganzen Land keine Unterstützung oder Toleranz von Seiten des Staates genießt, der ihr Fortbestehen nur aus Schwäche dulden muss“[4].
Deutlicher wird die Differenz beim Thema Gleichberechtigung der Geschlechter: So haben türkische Frauen „zwar schon länger das Wahlrecht inne als die Französinnen oder die Italienerinnen“[5], doch schreibt etwa „die Geschäftsordnung des türkischen Parlamentes […] noch immer vor, dass weibliche Abgeordnete dort in Rock und Bluse zu erscheinen haben“[6] und da die Männer bis zum heutigen Tage niemals weniger als 95% der Abgeordneten stellten, ließ sich eine Änderung dieser Bestimmung bisher nicht durchsetzen. Auch sonst haben Frauen in der Türkei praktisch keine politische Macht: „unter den 81 Provinzgouverneuren […], die in ihren Provinzen weit reichende Befugnisse haben, ist keine einzige Frau. Von 3.000 Bürgermeisterposten im Lande wurde bei den Kommunalwahlen von 2004 genau einer an eine Frau vergeben“[7]. Noch ein Beispiel: „fast zehn Millionen türkische Männer [besitzen] einen Führerschein, aber nur eine Million türkische Frauen“[8]. Angesichts dieser Zahlen muten ähnliche Diskussionen um ungleiche Verhältnisse zwischen den Geschlechtern in „alten“ EU-Staaten wie Deutschland als beinahe grotesk an.
Aber nicht nur Frauen haben es in der Türkei scheinbar schwer. Ein großes, immer wiederkehrendes Thema ist die Kurdenfrage - bzw. allgemein gefasster – das Problem mit den Minderheiten: „dieser nach wie vor ungelöste Konflikt ist eines der schwierigsten Probleme für die Türkei in die EU“[9]. Bis vor wenigen Jahren war es beispielsweise nicht möglich bzw. legal, in der Türkei die kurdische Sprache zu lehren oder zu erlernen, kurdische Musik öffentlich aufzuführen oder TV-Sendungen in kurdischer Sprache auszustrahlen[10].
Der von Beitrittskritikern wohl am häufigsten genannte Aspekt, nach welchem die Türkei sich vom restlichen Europa (zumindest jedoch von den Staaten der EU) unterscheidet, ist wohl die Religionszugehörigkeit. Die Bürger der Unionsländer sind (im Verhältnis) vorwiegend christlichen Glaubens; der Grad der Religion zwischen verschiedenen Mitgliedsstaaten unterscheidet sich dabei unter Umständen gewaltig. Aber von den rund 500 Millionen Unionsbürgern sind lediglich knapp 16 Millionen Muslime[11] - „99 Prozent aller Türken [hingegen] werden von der amtlichen Statistik als Moslems geführt, und die allermeisten bekennen sich auch zum Islam“[12]. Die derzeitige Gesamteinwohnerzahl der Türkei beträgt knapp 71,5 Millionen[13], Tendenz steigend. Zwar existiert auch in den potenziellen Beitrittsländern des Westbalkans, namentlich Albanien, Kosovo und Bosnien Herzegowina eine erwähnenswerte muslimische Bevölkerung, doch stellt wahrscheinlich die Größe der Türkei (in Einwohnerzahl wie Territorium) das eigentliche Problem dar. Kulturell gesehen ginge es, „wenn die Türkei bedingungslos abgelehnt [würde] primär um den Islam, dem keine Säkularisierung, und um die Muslime, denen keine Demokratie zugetraut wird. Denn all die anderen ‚kulturalistischen’ Gründe träfen auch auf die christlich-orthodoxen Staaten Osteuropas zu“[14].
[...]
[1] Eine am 5. Mai 1949 gegründete und heute 47 Staaten umfassende europäische Internationale Organisation.
[2] Seufert, G./Kubaseck, Ch.: Die Türkei. Politik, Geschichte, Kultur, S. 180
[3] Güsten, Susanne/Seibert, Thomas: „Was stimmt? Türkei – Die wichtigsten Antworten“, S. 65
[4] Güsten/Seibert: „Was stimmt? Türkei – Die wichtigsten Antworten“, S. 70
[5] Ebd., S. 59
[6] Ebd., S. 64
[7] Ebd., S. 63f.
[8] Ebd., S. 64
[9] Ebd., S. 71
[10] Vgl., ebd., S. 76
[11] http://islam.de/8368.php
[12] Güsten/Seibert: „Was stimmt? Türkei – Die wichtigsten Antworten“, S. 33
[13] http://www.tuik.gov.tr/Start.do
[14] Seufert/Kubaseck: „Die Türkei. Politik, Geschichte, Kultur“, S. 174