„Parsons’ gesamte Ordnungsarchitektonik muß an jedem Punkt von oben nach unten gelesen werden. [...] Den gegenläufigen Prozeß, daß [...] innovative Institutionalisierungsprozesse gleichsam von ‚unten nach oben’ Ordnung konstituieren [...], gemäß Webers Strategie [...], kommt Parsons nicht in den Blick.“(Schwinn, Thomas, S. 94)
Ist das wirklich so? Muss man bei Parsons seine sozialtheoretischen Ansätze von „oben nach unten“ lesen und bei Weber umgekehrt, von „unten nach oben“? Zunächst muss einmal geklärt werden, was überhaupt mit den Richtungen „von unten nach oben“ und von „oben nach unten“ gemeint ist. Wie der Titel dieser Ausarbeitung schon anklingen lässt, geht es hier um soziologische Theorienvergleiche. Es soll untersucht werden, welche sozialtheoretischen Ansätze die Soziologen Talcott Parsons und Max Weber vertreten. Genauer: Welche Auffassungen sie vom Handeln eines einzelnen Akteurs (Ego), vom Handeln zweier Akteure (Ego und Alter) und vom Handeln mehrerer Ego-Alter-Beziehungen (Gesellschaft) haben. Diese Theorienanalyse soll mit besonderer Rücksicht auf die soziale Emergenz betrachtet werden. In Kapitel 2 soll genauer erklärt werden, was darunter zu verstehen ist.
Entscheidend bei der Frage, ob von „unten nach oben“ oder umgekehrt, ist die Herangehensweise der beiden Soziologen. Werden die Handlungsstrukturen von Ego durch einen allgemeingültigen gesellschaftlichen Orientierungsrahmen beeinflusst und damit von „oben nach unten“ erklärt? Oder wird gesellschaftliche Ordnung aus den Handlungen einzelner Individuen abgeleitet und damit „von unten nach oben“ erklärt?
Genau das soll die entscheidende Frage dieser Arbeit sein. Dieser Frage bzw. diesen Fragen soll nachgegangen werden und sie sollen vor dem Hintergrund der sozialen Emergenz untersucht werden. Dabei ist die Arbeit so strukturiert, dass in Kapitel 3 die soziale Emergenz genauer erklärt wird, danach in Kapitel 4 und 5 die beiden Theoretiker einzeln betrachtet werden und sie in Kapitel 6 miteinander verglichen werden. Am Ende der Arbeit erfolgen ein Fazit und ein Rückgriff auf die hier eingangs gestellten Fragen.
Inhaltsverzeichnis
2. Einleitung
3. Was ist soziale Emergenz?
4. Theorie nach Max Weber
4.1 Handlungsbegriff (Ego)
4.2 Soziales Handeln, soziale Beziehung, soziale Ordnung als Ego-Alter-Konstellation und soziale Emergenz
5. Theorie nach Parsons
5.1 Handlungstheorie (Ego)
5.2 doppelte Kontingenz, soziale Ordnung als Ego-Alter-Konstellationen und soziale Emergenz
6. Vergleich beider Theorien
7. Fazit
2. Einleitung
„Parsons’ gesamte Ordnungsarchitektonik muß an jedem Punkt von oben nach unten gelesen werden. [...] Den gegenläufigen Prozeß, daß [...] innovative Institutionalisierungsprozesse gleichsam von ‚unten nach oben’ Ordnung konstituieren [...], gemäß Webers Strategie [...], kommt Parsons nicht in den Blick.“[1]
Ist das wirklich so? Muss man bei Parsons seine sozialtheoretischen Ansätze von „oben nach unten“ lesen und bei Weber umgekehrt, von „unten nach oben“? Zunächst muss einmal geklärt werden, was überhaupt mit den Richtungen „von unten nach oben“ und von „oben nach unten“ gemeint ist. Wie der Titel dieser Ausarbeitung schon anklingen lässt, geht es hier um soziologische Theorienvergleiche. Es soll untersucht werden, welche sozialtheoretischen Ansätze die Soziologen Talcott Parsons und Max Weber vertreten. Genauer: Welche Auffassungen sie vom Handeln eines einzelnen Akteurs[2] (Ego2), vom Handeln zweier Akteure (Ego und Alter2) und vom Handeln mehrerer Ego-Alter-Beziehungen (Gesellschaft) haben. Diese Theorienanalyse soll mit besonderer Rücksicht auf die soziale Emergenz betrachtet werden. In Kapitel 2 soll genauer erklärt werden, was darunter zu verstehen ist.
Entscheidend bei der Frage, ob von „unten nach oben“ oder umgekehrt, ist die Herangehensweise der beiden Soziologen. Werden die Handlungsstrukturen von Ego durch einen allgemeingültigen gesellschaftlichen Orientierungsrahmen beeinflusst und damit von „oben nach unten“ erklärt? Oder wird gesellschaftliche Ordnung aus den Handlungen einzelner Individuen abgeleitet und damit „von unten nach oben“ erklärt?
Genau das soll die entscheidende Frage dieser Arbeit sein. Dieser Frage bzw. diesen Fragen soll nachgegangen werden und sie sollen vor dem Hintergrund der sozialen Emergenz untersucht werden. Dabei ist die Arbeit so strukturiert, dass in Kapitel 3 die soziale Emergenz genauer erklärt wird, danach in Kapitel 4 und 5 die beiden Theoretiker einzeln betrachtet werden und sie in Kapitel 6 miteinander verglichen werden. Am Ende der Arbeit erfolgen ein Fazit und ein Rückgriff auf die hier eingangs gestellten Fragen.
Als orientierende Basisliteratur, auf die ich mich für diese Arbeit beziehe, dient das von Wolfgang Ludwig Schneider erschienene „Grundlagen der soziologischen Theorie 1 - Weber - Parsons - Mead - Schütz (Bd. 1)“.
3. Was ist soziale Emergenz?
Soziale Emergenz ist in diesem Zusammenhang der Hauptaspekt der Theorienvergleiche. Aber was ist darunter zu verstehen? Das Phänomen der sozialen Emergenz ist nicht einfach fest und klar zu definieren.[3] Trotzdem soll hier ein Versuch unternommen werden, dieses Phänomen deutlicher zu machen.
Emergente Phänomene treten in globalen, gesellschaftlichen Systemen auf. Sie sind daran zu erkennen, dass sie in niedrigen gesellschaftlichen Ebenen (also kleiner werdende Anzahl von Akteuren) unvorhersagbar sind. In diesen gesellschaftlichen Systemen lassen sich emergente Phänomene nicht auf einzelne Akteure zurückführen.[4]
Keith Sawyer spricht hier von einem „paradigm of complexity“[5], also von einem Komplexitätsparadigma. Komplexitätstheoretiker stellten nach Sawyer fest, dass soziale Emergenz in Systemen zu finden ist, wo viele Akteure in dichten und verwobenen Netzwerken handeln und wo gesellschaftliche Eigenschaften nicht bei einzelnen Akteuren geortet werden können. Außerdem tritt Emergenz da auf, wo ein allumfassendes gesellschaftliches System nicht in Subsysteme und Unter-Subsysteme unterteilt werden kann und wo Akteure interagieren, die sich einer komplexen und hochentwickelten Kommunikation bedienen.
Um das deutlicher zu machen, lassen sich an dieser Stelle zwei Beispiele nennen. Die in einem Vogelschwarm existierenden Kommunikationen setzen einfache Regeln voraus, die aber erst durch die hohe Zahl der Vögel in einer Gruppe konstituiert werden.[6] Märkte sind auch Beispiele für Emergenz: Erst die Masse der Handelnden macht einen komplexen Markt aus. Was wäre ein wirtschaftlicher Markt ohne Betriebe, Beschäftigte und Kunden? Bei einem einzelnen Akteur lassen sich die Eigenschaften der Märkte jedoch nicht nachzeichnen. Erst bei der Menge an Akteuren, die an einem Markt beteiligt sind, lässt sich das (emergente) Phänomen „Markt“ feststellen.
Dennoch versuchen Soziologen, emergente Phänomene von „unten nach oben“ durch den methodologischen Individualismus zu erforschen. Diese Herangehensweise führte dazu, dass man eine Unterscheidung in starke und schwache Emergenz vornehmen muss. Starke Emergenz sei dasjenige Phänomen in der Gesellschaft, das soziale Ordnung nicht auf das Handeln einzelner Akteure zurückzuführen sei und schwache Emergenz sei das gesellschaftliche Phänomen, das die soziale Ordnung der Gesellschaft über das Handeln der einzelnen Akteure und der Ego-Alter-Beziehungen konstituiert.[7]
4. Theorie nach Max Weber
4.1 Handlungsbegriff (Ego)
Bevor man Aussagen über die emergente Ordnung von Max Weber machen kann, muss zunächst geklärt werden, wie Weber Handlung überhaupt definiert und wie eine Interaktion zwischen Ego und Alter vor sich gehen kann.
In einem ersten Schritt unterscheidet Weber Verhalten und Handeln. Verhalten ist durch den Beobachter von außen sichtbar. Handeln ist sinnhaftes Verhalten. Schneider nennt hier das Beispiel, dass jemand eine Tür öffnet. Jemand bewegt sich auf eine Tür zu, streckt den Arm heraus, umfasst die Türklinke und drückt sie herunter und öffnet die Tür. Jemand hat also mit seinem Verhalten einen (subjektiven) Sinn verbunden, nämlich das Öffnen der Tür. Dies ist laut Weber Handeln. Wenn jemand aber gestolpert ist und dabei zufällig die Tür geöffnet hat, so ist das reines Verhalten, weil kein Sinn mit dem Verhalten verbunden wurde. Dabei ist jedoch zu beachten, dass der subjektive Sinn des Verhaltens immer vom Beobachter unterstellt wird. Der subjektive Sinn unterteilt sich nach Weber in aktuelles und erklärendes Verstehen. Das aktuelle Verstehen stellt die Frage, welche Handlung vollzogen wurde und das erklärende Verstehen geht der Frage nach, warum diese Handlung vollzogen wurde. Weber geht noch einen Schritt weiter und definiert das soziale Handeln. Soziales Handeln sei ein Handeln, welches sich auf das Verhalten anderer bezieht. Jedoch muss man analog zu der gerade genannten Definition hier kritisch fragen, ob sich Handeln auf das Verhalten oder auf das Handeln anderer bezieht (s. 4.2). Beides ist durchaus denkbar, wird bei Weber aber nicht erwähnt.
Weber untersucht auch die Beweggründe von Ego, also die Motive, für ein bestimmtes Handeln. Er unterscheidet dabei vier (Ideal)Typen. Diese vier Typen sind eine Vervollständigung zum erklärenden Verstehen, denn sie geben den Grund des Handelns an (s. o.).
An Webers Spitze steht das zweckrationale Handeln. Dies ist laut Schneider auch beabsichtigt, denn Weber hebt hervor, dass zweckrationales Handeln vom wissenschaftlichen Beobachter komplett verstanden wird. Schneider dazu treffend: „Ein Handeln, das aus der Perspektive des Beobachters zweckrational ist, kann von diesem vollständig verstanden werden. Und umgekehrt gilt: Je stärker es von zweckirrationalen Motiven bestimmt ist, desto weniger ist es dem Verstehen des wissenschaftlichen Beobachters zugänglich.“[8]
Zweckrationales Handeln setzt sich aus drei Faktoren zusammen. Es soll dabei ein Ziel erreicht werden, das Ego formuliert. Dann sollen die Mittel ausgewählt werden, die für die Zielerreichung am besten geeignet sind. Und: Ego soll die Nebenfolgen abwägen, die mit dem Handeln verbunden sein können. Faktoren wie die Dringlichkeit oder knappe Ressourcen beeinflussen Ziel- und Mittelwahl. Typisches Beispiel ist ökonomisches Handeln. Man versucht, mit möglichst wenig Mitteln einen möglichst hohen Gewinn zu erzielen.
Der zweite Idealtyp ist der des wertrationalen Handelns. Hier ist es wichtig, dass lediglich der Glaube an den Wert entscheidend ist, der das Handeln ausmacht. Hierbei steht auch die Pflichterfüllung im Zentrum: Nichts ist abzuwägen, sondern die Pflichterfüllung soll erfolgen, unabhängig der Nebenfolgen. Schneider nennt hier das Beispiel der Erfüllung Gottes Gebote. Jemand, der die Einhaltung Gottes Gebote als Pflicht ansieht, der lehnt es auch bewusst ab (wenn er einer bestimmten religiösen Strömung angehört), dass dieser Blut transfundieren solle, auch wenn jemand dadurch sterbe, denn die Bluttransfusion sei „gegen Gottes Willen [...].“[9]
Weber führt als dritten und vierten Idealtyp das traditionale Handeln und das affektuelle Handeln an. Im Zentrum des traditionalen Handelns steht gewohnheitsmäßiges Handeln, also „Reagieren auf gewohnte Reize“[10], wie Schneider es formuliert. Er nennt als Beispiel den täglichen Weg zur Arbeit. Jemand steigt ins Auto, fährt denselben Weg zur Arbeit, grüßt jeden Morgen seine Kollegen usw. Dies tut er, ohne abzuwägen, welche Alternativen es geben könnte. Affektuelles Handeln steht im Gegensatz dazu. Hierbei gibt es keine Reaktionen auf gewohnte, sondern auf ungewohnte Reize. Wenn, so Schneider, jemand panisch flüchtet, wenn dieser ein Feuer bemerkt hat, oder wenn jemand wütend mit der Faust auf den Tisch schlägt, wenn dieser eine schlechte Nachricht bekommen hat. Diese beiden Handlungen, traditional und affektuell, bewegen sich nach Weber an der Grenze zum „bewusst sinnhaft orientiertem Handeln [...].“[11] Das bedeutet, dass beim traditionalen und affektuellen Handeln Ego nicht bewusst Ziele, Mittel und Folgen abwägt, wie beim zweck- und wertrationalen Handeln.
4.2 Soziales Handeln, soziale Beziehung, soziale Ordnung als Ego-Alter-Konstellation und soziale Emergenz
Wie bei Webers Handlungsbegriff kurz angeklungen, spricht man vom sozialen Handeln, wenn ein Handeln auf das Verhalten eines anderen bezogen ist, wobei aber offen bleibt, ob sich ein Handeln wirklich auf das Verhalten oder doch auf das Handeln eines anderen bezieht oder beides.
In einer sozialen Beziehung beziehen sich Ego und Alter (ein Zweiter) aufeinander. Genauer: Sie beziehen sich in ihrem sozialen Handeln wechselseitig aufeinander. So können nach Schneider soziale Beziehungen entstehen, wenn ein Passant einen anderen nach der Uhrzeit fragt. Durch das Fragen bezieht sich Passant #1 auf den Passanten #2 und Passant #2 bezieht sich durch die Angabe der Uhrzeit auf den Passanten #1.
Jedoch spielt auch die Dauer der sozialen Beziehungen laut Webers Definition („ein Mindestmaß von Beziehung des beiderseitigen Handelns aufeinander soll also Begriffsmerkmal sein.“[12] ) eine wichtige Rolle. In dem gerade genannten Beispiel ist die Dauer nur kurz. Damit man aber von einer dauerhaften sozialen Beziehung sprechen kann, muss der wechselseitige Bezug nach Weber sinnhaft wiederkehren. Um diese abstrakte Formulierung verständlicher zu machen, nennt Schneider hier das Beispiel der Ehe. Ungeachtet Webers Formulierung müsste die Ehebeziehung nicht kontinuierlich, sondern unterbrochen stattfinden, denn die Ehepartner beschäftigen sich nicht nur mit Eheangelegenheiten, sondern auch mit Dingen fernab der Ehe. Webers Ergänzung macht die Ehe trotzdem zu einer dauerhaften sozialen Beziehung, weil sich die Ehepartner wieder sinnhaft, im Sinne der Ehe, aufeinander beziehen.
Soziale Beziehungen können aber auch negativ behaftet sein. So sind dies auch Kämpfe, Konkurrenzen und Feindschaften. Auch hier beziehen sich Ego und Alter oder auch größere Gruppen wie Parteien, Staaten, Märkte usw. sinnhaft aufeinander. Daher unterscheidet Weber konsensuelle und konfliktäre Beziehungen. Weber unterscheidet bei den konsensuellen Beziehungen Vergesellschaftung und Vergemeinschaftung. Die Unterscheidung führt er mithilfe der Beweggründe bzw. der Bestimmungsgründe des Handelns durch. Als Vergemeinschaftung sieht Weber soziale Beziehungen an, die auf der Basis von affektuellem und traditionalem Handeln stattfinden und so die „subjektiv gefühlte[...]Zusammengehörigkeit der Beteiligten [...]“[13] betont. Als treffende Beispiele hierfür nennt Schneider innige Beziehungen wie Familie, Freundschaft oder Geschlechtsverkehr.
Die Vergesellschaftung beruht auf zweckrationalem und wertrationalem Handeln. Passende Beispiele sind hierfür ökonomische Phänomene, wo zweckrational gehandelt wird und politische Parteien, die ihre Interessen als Eigenwert betrachten und so gegen alle anderen Meinungen verteidigen (wertrational). Da sich in Beziehungen die Akteure nicht immer auf gleicher Ebene befinden, sondern es auch asymmetrische Verhältnisse entstehen, führt Weber den Begriff der „Herrschaft“ an. Dieser Begriff steht für die Aufrechterhaltung der ungleichen Beziehungen, indem nach seiner Definition ein gewisses Maß an Gehorsamkeit der Unterlegenen vonnöten sei. Durch diese Prämisse entsteht nach Weber die Legitimität der Herrschaft.
[...]
[1] Schwinn, Thomas: S. 94.
[2] mit der maskulinen Form ist auch die feminine Form berücksichtigt.
[3] Sawyer, Keith: S. 4.
[4] Ebd.
[5] Ebd.
[6] Ebd., S. 4f.
[7] Lindemann, Gesa: S. 2.
[8] Schneider, Wolfgang Ludwig: S. 30.
[9] Ebd., S. 52.
[10] Ebd., S. 53.
[11] Ebd.
[12] zit. nach: Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft, 5., rev. Auflage, Tübingen 1980, S. 13.
[13] zit. nach: Ebd., S. 21.
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