Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Theorie
2.1 Der Naturzustand
2.2 Von den natürlichen Gesetzen und dem Übergang zum Staat
3 Quis custodiet ipsos custodes?
4 Fazit
5 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Befasst man sich mit politischer Ideengeschichte, kommt man nicht umher, mit Thomas Hobbes‘ Leviathan Begegnung zu machen - ein Werk, das maßgeblich zu dem heutigen Verständnis des internationalen Systems als anarchischen Zustand geführt hat. Obwohl die Konzeption seines Naturzustandstheorems entscheidend durch die Umstände des englischen Bürgerkrieges beeinflusst war, bietet es bis heute ein viel diskutiertes Mittel zur Herleitung und Begründung der Staatenbildung1. Die Tatsache, dass sowohl Vertreter des Neoliberalismus als auch jene realistischer Tradition in seiner Theorie Fuß fassen können, zeigt die Vielseitigkeit sowie Beständigkeit seines Konzeptes2. Dennoch bezieht sich die vorherrschende Literatur zumeist auf den Naturzustand auf individueller Ebene und übersieht dabei, dass die tatsächliche Entfaltung des Konzeptes in der Übertragung auf das internationale System viel mehr als die bloße Anarchie zwischen Staaten hergibt.
Die vorliegende Arbeit behandelt die Frage, ob sich der in Hobbes‘ Theorie entwickelte Souverän auf internationaler Ebene im Naturzustand befindet und inwiefern diese Analogie zum individuellen Naturzustand genauerer Betrachtung standhält.
Im Verlauf meiner Argumentation werde ich aufweisen, dass Hobbes zwar einen internationalen Kriegszustand annimmt, dieser jedoch unter genauerer Aufarbeitung den Kriterien des ursprünglichen Naturzustandes nicht entsprechen kann. Zunächst erkläre ich dafür den individuellen Naturzustand in seinen Grundzügen, um eine Grundlage für den späteren Vergleich zu geben. Auch werde ich auf die primären Naturgesetze eingehen, da diese im späteren Verlauf meiner Argumentation eine entscheidende Rolle spielen. Anschließend beschreibe ich kurz und bündig den Übergang in den Staat und die Autorisierung des Souveräns.
Zu Beginn der Analyse gehe ich auf Unterschiede in der Beschaffenheit von Individuen und Staaten ein, auf Grundlage derer ich aufzeige, dass die Konsequenz aus den unterschiedlichen Naturzuständen eine andere ist. Danach benenne ich Restriktionen, denen der Souverän auf internationaler Ebene unterliegt und schlussfolgere daraus, dass eine aggressive Außenpolitik aus Hobbes‘ Sicht nicht vertretbar sein kann. Im Anschluss an diese Überlegungen erwäge ich die Effizienz eines supranationalen Souveräns und die Alternative des modifizierten Naturzustandes.
Um im Rahmen der vorliegenden Arbeit zu bleiben, schließe ich im Vorhinein aus, dass der Souverän oberhalb seines eigenen Staates im Naturzustand verbleibt, denn er steht außerhalb des Vertrages und damit nicht im Konkurrenzverhältnis zu seinen Untertanen3. Außerdem gehe ich nicht auf den Stellenwert oder Einfluss von Religion ein, da auch diese Ausführung den Umfang der Arbeit überschreiten würde.
2 Theorie
2.1 Der Naturzustand
Hobbes‘ Naturzustand beschreibt eine Kondition menschlichen Daseins, die sich wesentlich durch die Abwesenheit einer bürgerlichen Ordnung kennzeichnet4. So befänden sich die Menschen in einem Zustand, in dem es weder verbindliche Gesetze noch eine allgemeingültige Moral gibt, die ihr Verhalten anleiten könnte, so dass jedes Individuum Richter seiner selbst sei5. In ihrem natürlichen Zustand seien alle Menschen in dem Sinne gleich, dass sie mit Fähigkeiten ausgestattet würden, die einen jeden von ihnen dazu befähigen, den anderen zu töten6. Hobbes schreibt dem Wesen der Menschen den grundlegenden Drang nach „Mitbewerbung, Verteidigung und Ruhm“7 zu, der sie dazu veranlasst, nach dem Eigentum des anderen zu trachten, infolgedessen wirklicher Besitz zu keinem Zeitpunkt garantiert ist. Aus diesem Umstand ergibt sich, dass die Individuen - um sich selbst zu schützen - gezwungen seien, sich in ständiger Bereitschaft zu halten, ihre Mitmenschen zu unterwerfen oder zu töten8. So herrscht also ein „Krieg aller gegen alle“9. Doch nicht seinem eigenen Typus allein verschuldet der Mensch diese rohe conditio humana. Es ist auch die Abwesenheit der moralischen Einigkeit, eines gemeinsamen Willens, die den anarchischen Zustand konstituiert und den Zusammenschluss zu einer Gesellschaft verhindert10. Das menschliche Dasein zeichnet sich also durch Furcht und ständige Anspannung aus, sodass die Individuen zu einem „einsame[n], kümmerliche[n] und [...] kurze[n]“11 Leben verdammt sind.
2.2 Von den natürlichen Gesetzen und dem Übergang zum Staat
Nun ergebe sich aus der Vernunft jedes einzelnen das natürliche Gesetz, dass „keiner dasjenige unternehmen darf, was er als schädlich für sich selbst anerkennt“12 und somit die Freiheit und das Recht „sich durch Mittel und Wege aller Art selbst zu verteidigen“13. Demzufolge hätten alle ein Recht auf alles, was wiederum darin resultiere, dass die Freiheit eines jeden mit der des anderen kollidiere und niemand sein Recht praktisch ausüben könne14. Nun sei es vernünftig, man würde auf sein Recht auf alles verzichten, denn nur so entgehe man dem Kriegszustand und könne Frieden herstellen - etwas, das jedem gleichsam erstrebenswert erscheine. Dies sei allerdings nur möglich, wenn sich alle zu diesem Übertrag entschieden - ansonsten widersetze man sich abermals dem ersten Naturgesetz15.
Um diesem circulus vitiosus zu entkommen, brauche es die wechselseitige Übertragung der Rechte der Individuen auf einen von ihnen autorisierten Souverän16. Denn nur eine übergeordnete, absolute Instanz könne die Einhaltung des Vertrages sowie der natürlichen Gesetze garantieren. Die Menschen würden dadurch zu Untertanen, die mit ihrer Zustimmung zum Herrschaftsvertrag alle Handlungen des Souveräns als ihre eigenen anerkennen müssen17. Der Souverän, eine künstliche Person, die ebenso eine Versammlung sein kann, ist nun alleiniger und absoluter Richter über die gesamte Struktur, Gesinnung und Handlung des Staates im Inneren sowie Äußeren18.
3 Quis custodiet ipsos custodes?
Zunächst zeige ich auf, welche Textstellen in Hobbes‘ Werken De Cive sowie Leviathan auf einen möglichen internationalen Naturzustand hindeuten.
In De Cive beschreibt Hobbes es folgendermaßen: „Denn unter den verschiedenen Staaten besteht der Natur-, d.h. Kriegszustand; und wenn sie auch einmal keinen Krieg führen, so ist dies doch kein Friede, sondern nur ein Atemschöpfen“19. Er führt aus, dass der Staat zum Schutze des Volkes zu jederzeit auf eine Konfrontation mit anderen Staaten vorbereitet sein und daher sein Volk rüsten und Späher aussenden müsse20. Die Souveräne befinden sich auf internationaler Ebene also in einem Zustand, in dem sie um ihr eigenes und das Überleben des Staates fürchten müssen, wobei abermals die Furcht vor List und Ruhmsucht des Anderen verhindere, dass Verträge geschlossen werden könnten, sodass verbindliche Abkommen unter einander nicht möglich seien21. Eine ähnliche Stelle findet sich ebenso im Leviathan, wenngleich auch weniger explizit formuliert: „Gab es auch gleich niemals eine Zeit, in der ein jeder eines jeden Feind war, so leben doch [...] die, welche die höchste Gewalt haben, miteinander in ständiger Feindschaft“22. So scheint es, als sehe Hobbes in dem Zustand, in dem sich Staaten auf internationaler Ebene befinden, sogar den einzigen wirklichen Beweis, in dem man den Naturzustand tatsächlich vorfindet. Kateb geht noch weiter, indem er behauptet, Hobbes rate den Souveränen jene Eigenschaften an, von denen er Individuen abredet - namentlich Aktivismus, Unzufriedenheit, Ehrgeiz und Ruhmsucht23. Indem den Staaten die Freiheit eingeräumt wird, „alles zu tun, was ihnen vorteilhaft zu sein scheint“24 wird postuliert, dass auch auf internationaler Ebene keine einheitliche Moral bestehen kann. Begriffe wie Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit finden in dem Verhalten der Souveräne keinen Platz, denn jedes Mittel ist genehm, mit dem das Überleben des Staates garantiert werden kann. Es gebe also in der Umgangsweise natürlicher Personen untereinander keinen Unterschied zu der von künstlichen Personen (Souveränen); sie befinden sich im Naturzustand25.
[...]
1 vgl. Heller 1980, S. 21.
2 vgl. Williams 1996, S. 214.
3 vgl. Warrender 2000, S. 177.
4 vgl. Eggers 2008, S. 28.
5 ebd., S. 28.
6 vgl. Hobbes 1970, 112 f.
7 Hobbes 1970, S. 115.
8 ebd., S. 114.
9 Hobbes 1959, S. 83.
10 vgl. Williams 1996, S. 219.
11 Hobbes 1970, S. 116.
12 Hobbes 1970, S. 118.
13 ebd., S. 119.
14 vgl. ebd., S. 119.
15 vgl. ebd., S. 119.
16 ebd., S. 155.
17 ebd., S. 158.
18 ebd., S. 278 ff.
19 Hobbes 1959, S. 207.
20 vgl. ebd., S. 207.
21 vgl. ebd., S. 207.
22 Hobbes 1970, S. 117.
23 vgl. Kateb 1989, S. 380.
24 Hobbes 1970, S. 191.
25 vgl. Christov 2016, S. 114.