Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Hinweis zur geschlechtergerechten Sprache
1 Einleitung
2 Theoretischer Analyserahmen
2.1 Bürgerversicherung
2.2 Merkmale einer Krankenversicherung
2.3 Einflussfaktoren aufKrankenversicherungssysteme
2.4 Entwicklung einer Bewertungsmatrix
3 Bürgerversicherungssysteme in den Niederlanden und im Vereinigten Königreich
3.1 Bürgerversicherung in den Niederlanden
3.2 Bürgerversicherung im Vereinigten Königreich
4 Ländervergleich und Bewertung
5 Fazit
Quellenverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Bewertungsmatrix zum Vergleich der Krankenversicherungssysteme (eigene Abbildung)
Abbildung 2: Krankenversicherungssystem der Niederlande zwischen 1941 und 2006 (Arentz 2018:4)
Abbildung 3: Finanzierung der Bürgerversicherung in den Niederlanden (eigene Abbildung nach Arentz 2018: 8 und Agasi 2008: 281-286)
Abbildung 4: Vergleichsergebnis (eigene Abbildung)
Hinweis zur geschlechtergerechten Sprache
Aus Gründen der leichtbaren Lesbarkeit wird in der vorliegenden Hausarbeit die gewohnte männliche Sprachform bei personenbezogenen Substantiven und Pronomen verwendet. Dies impliziert jedoch keine Benachteiligung des weiblichen Geschlechts oder anderer Geschlechter, sondern soll im Sinne der sprachlichen Vereinfachung als geschlechtsneutral zu verstehen sein.
1 Einleitung
Seit Jahren wird in Deutschland über die Einführung einer sogenannten Bürgerversicherung diskutiert. Dabei handelt es sich um ein einheitliches Krankenversicherungssystem, in dem alle Einwohner eines Landes pflichtversichert sind (Beske/Drabinski 2004: 34).
In den Niederlanden und im Vereinigten Königreich bestehen derartige Systeme bereits. Diese sind jedoch gegensätzlich konzipiert. Während der ,National Health Service (NHS)‘ in Großbritannien und Nordirland ein rein steuerfmanziertes sowie gesetzliches System ist (Klein 2015: 455), existieren in den Niederlanden private Krankenversicherungsträger. Jeder Einwohner der Niederlande ist verpflichtet, bei einem von ihnen einen Vertrag abzuschließen (Greß/Heinemann 2014: 20 f.).
In der vorliegenden Hausarbeit wird untersucht, wie sich die beiden gegensätzlichen Versicherungssysteme auf die medizinische Versorgungsqualität des jeweiligen Landes auswirken. Für die Beantwortung dieser Fragestellung ist beabsichtigt, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Systeme im Rahmen eines Querschnittsvergleichs zu ermitteln und die medizinische Versorgungsqualität imjeweiligen Land anhand einer eigens entwickelten Matrix vergleichend zu bewerten. Aufgrund des begrenzten Umfangs dieser Arbeit und zur Gewährleistung der Vergleichbarkeit wird dabei lediglich auf die Basisabsicherung beider Systeme eingegangen.
Eine Gegenüberstellung der Niederlande und des Vereinigten Königreichs ist naheliegend, da sich beide Länder typologisch ähneln und sich die Systeme somit gut vergleichen lassen. Bei beiden Ländern handelt es sich um westeuropäische Industriestaaten mit einer konstitutionellen Monarchie (Wielenga 2008: 270; Higson 2016: 343). Zudem weisen sie mit einem Wert von 0,941 (Niederlande) bzw. 0,929 (Großbritannien) ähnliche Ergebnisse im Human Development Index 2021 auf (United Nations Development Programme 2022: 24).
Zur Beantwortung der Fragestellung erfolgt im zweiten Kapitel eine Definition des Begriffs ,Bürgerversicherung‘. Sodann wird der theoretische Untersuchungsrahmen festgelegt, indem durch eine Literaturanalyse die wesentlichen Merkmale von Krankenversicherungssystemen und auf sie wirkende Einflussfaktoren eruiert werden. Auf dieser Basis wird anschließend eine Bewertungsmatrix erarbeitet, mit deren Hilfe im dritten Kapitel das Krankenversicherungssystem in den Niederlanden und jenes im Vereinigten Königreich deskriptiv beschrieben werden. Gegenstand des vierten Kapitels ist eine vergleichende Analyse bzw. die Bewertung der beiden Systeme. Die Arbeit schließt mit einem Fazit im fünften Kapitel ab.
2 Theoretischer Analyserahmen
In diesem Kapitel wird zunächst der Begriff ,Bürgerversicherung‘ definiert, um aufbauend hierauf anhand einer Literatursichtung die Merkmale für ein erfolgreiches Krankenversicherungssystem zu bestimmen. Anschließend werden Faktoren ermittelt, die wesentlich auf Krankenkassensysteme Einfluss nehmen. Auf dieser Basis erfolgt sodann die Erstellung einer Bewertungsmatrix, die als Grundlage des Vergleichs der Bürgerversicherung im Vereinigten Königreich mitjener in den Niederlanden dient.
2.1 Bürgerversicherung
Bei einer Bürgerversicherung handelt es sich um ein im Regelfall einheitliches und solidarisches Krankenversicherungssystem, in dem die Bürger unabhängig von ihrer finanziellen Situation pflichtversichert sind (Beznoska et al. 2021: 5). Gemeint ist hiermit insbesondere die „Integration von gesetzlicher und privater Krankenvollversicherung“ (Greß/Lüngen 2017: 70). Ziel der Bürgerversicherung ist es jedoch nicht, einen vollumfänglichen Versicherungsschutz zu gewährleisten. Vielmehr handelt es sich um eine solidarische Basisabsicherung, die durch kostenpflichtige Zusatzangebote ergänzt werden kann (Thomson et al. 2013: 212). Nach der Definition von Lauterbach ist selbst bei einem Wettbewerb zwischen gesetzlichen und auch privaten Versicherungen von einer Bürgerversicherung auszugehen, wenn ein Mindestbasisschutz gewährleistet wird und sich der Beitrag nach dem Einkommen, das heißt nicht nach dem Gesundheitszustand, berechnet (2004: 12).
2.2 Merkmale einer Krankenversicherung
Derzeit existieren nur wenige vergleichende Studien zu Krankenversicherungssystemen. In diesen werden häufig Krankenkassentypen und -Systeme eines Landes gegenübergestellt. Ein Vergleich der Organisation in den verschiedenen Staaten erfolgt hingegen selten (Wendt 2013: 62). Wendt vergleicht in seiner Veröffentlichung Krankenversicherungen europäischer Staaten, die einander in typologischer Hinsicht ähneln. Daher eignen sich die in seinem Methodenteil herausgearbeiteten Dimensionen zur Gegenüberstellung der Bürgerversicherungssysteme in den Niederlanden und im Vereinigten Königreich. Als Vergleichsmerkmale definiert Wendt folgende Aspekte (2013: 72-87):
- „Inklusion und Exklusion - Wer ist abgesichert?“
- „Umverteilungsmechanismen unterschiedlicher Finanzierungsmodelle“
- „Ausgaben - Rationierung oder effizienter Einsatz gegebener Mittel?“
- „Gesundheitsleistungen - Begrenztes Angebot bei unbegrenzter Nachfrage?“
- „Organisation und Steuerung der Gesundheitsversorgung“
Angesichts des Fakts, dass die Entwicklung der Vergleichskriterien durch Wendt bereits dem Umfang dieser Hausarbeit entspricht, wäre ihre Anwendung auf die entwickelte Forschungsfrage zu erschöpfend. Daher bietet sich der Einsatz von Attributen an, die in der Literatur als Qualitätsmerkmal von Krankenversicherungssystemen herausgearbeitet wurden und Wendts Konzept ähneln.
Ein wesentliches Charakteristikum eines Krankenversicherungssystems ist dessen Finanzierung (Simon 2011: 100). Als Indikatoren für die Vergleichbarkeit verschiedener Finanzierungsmodelle kann zum einen die Finanzierungsart (bspw. Beitragszahlung durch die Bürger vs. steuerfmanziertes System) herangezogen werden (Viellehner 2017: 24). Zudem ist die solidarische Komponente zu betrachten (ebd.: 27). Dabei ist zu prüfen, ob alle Versicherten unabhängig von ihren Risikomerkmalen die gleiche medizinische Behandlung erhalten und im Falle einer Beitragsfinanzierung die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Einzelnen berücksichtigt wird (Pimpertz 2022: 3). Einzubeziehen sind des Weiteren die Verwaltungskosten, das heißt die Personalkosten sowie sonstige Ausgaben für die Administration innerhalb des Krankenversicherungssystems (Boroch/Staudt 2005: 21). Abschließend ist in diesem Kontext zu bewerten, ob Menschen ohne Einkommen (beispielsweise. Kinder und Jugendliche, Obdachlose und Transferleistungsbezieher) Zugang zum Krankenversicherungssystem haben.
Ein weiteres Merkmal eines Krankenkassensystems ist der Leistungsumfang (Simon 2011: 102). Zur Operationalisierung lassen sich die Quantität, die Qualität und die Prävention heranziehen (Wendt 2013: 83). Unter Quantität ist in diesem Zusammenhang eine ausreichende Verfügbarkeit von niedergelassenen Haus- und Fachärzten zu verstehen. Eine zu geringe Anzahl und eine fehlende Vernetzung können zu erhöhten Krankenhauseinweisungen führen (ebd.: 85). Qualität beschreibt hingegen das Niveau und den Leistungsumfang der ärztlichen Behandlung (ebd.: 84). Unter Prävention ist das Angebot an Vorsorgeuntersuchungen zu verstehen (ebd.: 84). Ein weiteres Merkmal zur Messung der Leistung ist die Wartezeit auf einen Facharzttermin (Sobiech-Eruhimovic/Martin 2021: 25). In bestimmten Fällen, bspw. bei Vorliegen einer Krebserkrankung, kann eine zu lange Wartezeit Auswirkungen auf das Leben der Patienten haben. Als letztes Kriterium dieser Kategorie ist der Wettbewerb zu nennen. Konkurrenzverhältnisse zwischen verschiedenen Krankenversicherungsträgern mit teils unterschiedlichen Beitragssätzen, Leistungsangeboten und Verwaltungsstrukturen können insgesamt zu einer Verbesserung der Leistung im Gesundheitssystem führen (Lauterbach 2004: 19).
Als letztes Merkmal eines Krankenversicherungssystems ist die Gewährung einer Entgeltersatzleistung im Krankheitsfall zu benennen. Diesbezüglich herrscht Bedarf, wenn kein Arbeitsentgelt bzw. -einkommen mehr erzielt wird (Blöcher 2022: 90). Im Rahmen der Gegenüberstellung können die Höhe der Entgeltersatzleistung sowie die maximale Bezugsdauer bei längerer Erkrankung berücksichtigt werden (ebd.: 92 ff.).
Zusammenfassend lassen sich somit folgende Merkmale von Krankenversicherungssystemen für einen Vergleich heranziehen:
- Finanzierung
- Finanzierungsart
- Solidarität
- Verwaltungskosten
- Zugang zum System
- Leistungsumfang
- Quantität
- Qualität
- Prävention
- Wartezeit
- Wettbewerb
- Entgeltersatzleistung
- Höhe
- maximale Bezugsdauer
2.3 Einflussfaktoren aufKrankenversicherungssysteme
In demokratischen Staaten mit Parlamenten übernimmt die Legislative die organisatorische, rechtliche und finanzielle Ausgestaltung von Krankenversicherungssystemen (Köhler 2018: 25). Da die Normsetzung im Regelfall durch Parlamentsbeschlüsse bzw. die Regierung erfolgt, hat die Politik einen erheblichen Einfluss auf die Krankenversicherung. Hierdurch ist es jederzeit möglich, dass sich beispielsweise nach Wahlen aufgrund veränderter Mehrheiten grundlegende Umbrüche und Neuerungen im Krankenversicherungsrecht sowie hinsichtlich des Leistungs- und Finanzierungsumfangs ergeben (ebd.: 57). Umfasst ist hiervon unter anderem, wer zum versicherten Personenkreis im Krankenversicherungssystem gehört, wie hoch die Beitragslast ist und welche Leistungen erbracht werden (Schewe 1998: 76).
Betroffen istjedoch lediglich der rechtspolitische, grundlegende Aufbau des Krankenversicherungswesens eines Staates. Ein Eingriff in die interne Verwaltung eines Krankenversicherungsträgers, zum Beispiel im Hinblick auf Personalangelegenheiten, erfolgt nicht. Ob die Politik oder der Staat besser Einfluss nehmen kann, hängt von der rechtlichen Stellung und der Organisation der Krankenversicherungsträger ab. Diesbezüglich bestehen drei Möglichkeiten: Konkret können Krankenversicherungsträger in Form privater Unternehmen oder Krankenversicherungsträger der mittelbaren bzw. der unmittelbaren Staatsverwaltung vorliegen (Hellermann 2022: Rz. 52).
Hat der Staat bzw. die Politik unmittelbaren Zugriff auf einen Krankenversicherungsträger, kann entsprechend in hohem Maße Einfluss genommen werden. So kann die Staatsregierung durch das im Regelfall steuerfinanzierte System direkt auf die Finanzsituation der Krankenkasse einwirken, den Vorstand bzw. die Behördenleitung bestimmen und die Aufbauorganisation des Versicherungsträgers nach Belieben verändern. Ist das Krankenkassensystem hingegen Teil der mittelbaren Staatsverwaltung oder privat organisiert, kann die Politik zwar durch Gesetze Rahmenbedingungen vorgeben (beispielsweise zur sicheren Geldanlage oder zur maximalen Vorstandsvergütung), jedoch bleiben die Verwaltung und die Organisation des Krankenversicherungsträgers in dessen Eigenverantwortung. Teils unterliegen die Krankenversicherungsträger in diesen Fällen der staatlichen Rechtsaufsicht (Marburger 2019: 41).
Ein zu hoher politischer Einfluss kann für ein Krankenversicherungssystem ein Störfaktor sein. Gleichfalls kann es sich aber negativ auswirken, wenn der Staat zu wenig Einfluss nimmt. In einem Vergleich der Krankenversicherungssysteme verschiedener Länder sollte daher der politische Einfluss auf das Krankenversicherungssystem Berücksichtigung finden.
Ein weiterer zu betrachtender Aspekt ist die Finanzierungs- bzw. die Beitragsstabilität. Wirtschaftliche Einflussfaktoren wie die Inflation sowie insbesondere gestiegene Rohstoff- und Energiepreise können die Kosten für Medikamente oder ärztliches Equipment erhöhen. Je nach Ausgestaltung der Finanzierung des Krankenversicherungssystems kann dies einen unmittelbaren Einfluss auf die von den Bürgern hierfür zu zahlenden Gebühren haben. Daher ist auch dieser Aspekt bei einem Vergleich zu beachten.
2.4 Entwicklung einer Bewertungsmatrix
Nachdem die wesentlichen Merkmale von Krankenversicherungssystemen herausgearbeitet wurden, stellt sich die Frage, wie sich die Bürgerversicherungen in zwei Ländern objektiv vergleichen lassen. Hierfür bietet sich eine punktbasierte Bewertungsmatrix an.
Hans und Warschburger (2009: 36) haben für Punktbewertungsmodelle folgende Ablaufschritte bestimmt:
1. Auswahl von Alternativen
2. Bestimmung von Entscheidungskriterien
3. Festlegung eines Gewichtungsfaktors fürjedes Kriterium
4. Bewertungjedes Kriteriums mit einer Punktzahl
5. Multiplikation der Punktzahl mit dem Gewichtungsfaktor
6. Addition der in Schritt 5 ermittelten Punkte für die Gesamtpunktzahl
Die Alternativen (1) sind die zu vergleichenden Objekte (vorliegend die Niederlande und das Vereinigte Königreich). Als Entscheidungskriterien (2) fungieren die in Abschnitt 2.2 und 2.3 herausgearbeiteten Merkmale ,Finanzierung‘, ,Leistungsumfang‘, ,Entgeltersatz- leistung‘ und ,Einflussfaktoren‘ sowie deren Unterattribute.
Die Finanzierung wird mit 30, der Leistungsumfang mit 45, die Entgeltersatzleistung mit 15 und der staatliche Einfluss mit 10 Prozent gewichtet (3). Damit soll der Tatsache Rechnung getragen werden, dass der Zugang zum System und die anfallenden Kosten wesentliche Voraussetzungen sind, um überhaupt im Krankheitsfall eine Versorgung zu erhalten. Der Leistungsumfang ist das bedeutsamste Kriterium. Das grundsätzliche Vorhandensein einer Leistung besitzt keinen Wert, wenn ein Ärztemangel oder eine qualitativ schlechte Versorgung zu Todesfällen bzw. zu schweren Krankheitsverläufen führt. Entgeltersatzleistungen sind zwar essenziell, um die wirtschaftliche Basis der Versicherten zu erhalten, im Zweifel sollte der Gesundheitszustand jedoch bedeutender sein als die wirtschaftliche Absicherung. Der äußere Einfluss wird mit lediglich 10 Prozent bewertet, da sich die Auswirkungen in demokratischen Staaten in Grenzen halten.
Zur Gewichtung eines jeden Kriteriums (4) sollen ein Punkt (schlechtester Wert) bis drei Punkte (bester Wert) vergeben werden. Die vergleichende Bewertung, die Multiplikation der Punktzahlen (5) mit den in Schritt 3 festgelegten Gewichtungsfaktoren und die Addition (6) der zuvor ermittelten Punkte zur Ermittlung der Gesamtpunktzahl erfolgen in Kapitel 4. Bei der Berechnung der Teilgesamtpunkte werden die Punkte vor der Multiplikation durch die Anzahl der Unterkategorien dividiert. So ist gewährleistet, dass Kategorien mit einer höheren Anzahl an Unterkategorien in der Bewertung nicht überproportional berücksichtigt werden. In allen Rechenschritten wird auf maximal zwei Nachkommastellen gerundet.
Die Bewertungsmatrix zum Vergleich der Krankenversicherungssysteme ist in Abbildung 1 visualisiert.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Bewertungsmatrix zum Vergleich der Krankenversicherungssysteme (eigene Abbildung)
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