Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Die Feindlichkeit zwischen Argentinien und den USA zu Beginn des Kalten Krieges - ein Mythos?
2. Argentinien unter Juan Peróns erster Präsidentschaft (1946-1952)
2.1. Der Peronismus
2.2. Die „Dritte Position“
3. Die faktische Neutralität Argentiniens im Kalten Krieg in der Wahrnehmung des US-amerikanischen Department of States 1951
3.1. Ökonomische Außenbeziehungen
3.2. Diplomatische Kooperation auf internationaler Ebene
3.3. Militärische Zusammenarbeit
3.4. Öffentliche und innenpolitische Stimmung in Argentinien gegenüber den USA
4. Fazit
5. Bibliografie
1. Die Feindlichkeit zwischen Argentinien und den USA zu Beginn des Kalten Krieges - ein Mythos?
Wegen der höchst kritischen Medienberichtung und der öffentlichen Meinung in den USA über Argentinien in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg, ist lange davon ausgegangen worden, dass sich Buenos Aires und Washington feindlich gegenüberstanden. Erst jüngste akademische Arbeiten beginnen diese Annahme anzuzweifeln und argumentieren, dass die schlechte Presse damals nicht zwangsläufig die Meinung der politischen Entscheidungsträger wiederspielte.1 Die bisherige These der Animosität der beiden amerikanischen Staaten geht primär darauf zurück, dass angenommen wurde, dass Washington Argentiniens Neutralität angesichts des Endes der 1940er Jahre anbrechenden Kalten Krieg nicht guthieß.
Dementsprechend ist es erforderlich zu erforschen, wie neutral sich Argentinien im Kalten Krieg nach Einschätzung des Außenministeriums der Vereinigten Staaten verhielt. Besonders das Jahr 1951 ist interessant für diese Analyse: Perón war auf dem Höhepunkt seines Einflusses und seiner Popularität. Mit seiner zweiten Ehefrau Eva (besser bekannt als Evita) als politisch sehr wichtige Person an seiner Seite und am Ende seiner ersten Legislaturperiode als Präsident Argentiniens war Juan Perón zweifelslos die mächtigste Persönlichkeit in Argentinien. Zwar sollte Perón wiedergewählt werden, aber Evita verstarb 1952 jung, was einen Macht- und Beliebtheitsverlust ihres Ehemannes mit sich führte. Juan Perón wurde 1955 durch einen Militärputsch entmachtet.2
Aus geschichtswissenschaftlicher Sicht betrachtet eignen sich damals klassierte Dokumente bestens, um solche Beurteilung rekonstruieren zu können, da diese in der Regel von Experten des jeweiligen Landes und vor Ort geschrieben wurden. Der geheime Charakter der offiziellen Schreiben, die nur für den internen Gebrauch des jeweiligen Ministeriums gedacht waren, ergibt sich auch ein Maximum an ehrlicher Unverblümtheit. Damalige veröffentlichte Quellen hingegen tendieren dazu etwas diplomatischer in ihren Urteilen zu sein, oder dienen ausschließlich dazu, bestimmte Akteure von der Meinung der Autor*innen zu überzeugen. Aus diesen Gründen wird in dieser Arbeit ein mittlerweile deklassifiziertes Policy Statement analysiert, welches von Henry Dearborn aus dem Büro für südamerikanische Angelegenheiten innerhalb des Departments of State geschrieben wurde. Dearborn war dort Anfang der 1950er Jahre Leiter der Abteilung für Argentinien.3
Um die Frage wie neutral sich Argentinien unter Juan Peróns erster Präsidentschaft im Kalten Krieg nach Einschätzung des Außenministeriums der Vereinigten Staaten im Jahr 1951 verhielt beantworten zu können, soll zunächst kurz ein Kontext zu Juan Peróns Politik in seiner ersten Präsidentschaft gegeben werden. Danach soll anhand vier Kategorien, welche
1) die wirtschaftlichen Beziehungen,
2) die diplomatische Kooperation auf internationaler Bühne, sowie
3) die militärische Zusammenarbeit und schließlich
4) die innenpolitische Haltung und öffentliche Stimmung gegenüber den USA in Argentinien einschließen, erschlossen werden, wie Quelle die Neutralität der „Dritten Position“ inmitten des Kaltem Krieges auffasste. Dazu soll zunächst der Bericht einer für diese Analyse zuträgliche Reihenfolge wiedergegeben werden, um die Inhalte dann jeweils auf ihre Unparteilichkeit im Ost-West-Konflikt zu untersuchen.
Die verwendete untermauernde Sekundärliteratur stammt bewusst zu großen Teilen aus den Federn argentinischer Autoren, da diese in den letzten Jahren ein besonderes Engagement in der Aufarbeitung in ihrer populistischen und diktatorischen Vergangenheit aus multidisziplinären Ansätzen geleistet haben.
2. Argentinien unter Juan Peróns erster Präsidentschaft (1946-1952)
Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über Argentiniens Politik von 1946 bis 1952 unter Juan Peróns erster Präsidentschaft gegeben werden.
2.1. Der Peronismus
Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg entstand in Argentinien unter Juan Domingo Peróns erster Herrschaft (1946-1955) global erstmalig wieder ein populistisches System. Das nach ihm benannte Regime des „Peronismus“ orientierte sich zwar zu Teilen ideologisch an den deutschen und italienischen faschistischen Systemen, adaptierte aber auch opportunistisch Elemente aus Kommunismus und Anarchismus, sofern das Perón nützlich erschien; eine programmatische Kohärenz wurde nicht angestrebt.4 In den Augen der USA war der argentinische Präsident jedenfalls den Achsenmächten zu verbunden.5
Bis heute wird in der Wissenschaft darüber diskutiert, ob der Peronismus sich politisch nach rechts oder links orientierte, beziehungsweise nur ein ansonsten leerer Begriff für die Loyalität zu der Person Juan Perón ist. Rechte und faschistische Komponenten des Peronismus finden sich zum Beispiel im kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Bereich. Vertretbar ist demnach die These, dass das autoritäre, anti-imperialistische und im Zweiten Weltkrieg neutral agierende (also pro-Nazi) Regime eine Neuauflage des Faschismus unter den Bedingungen des Kalten Kriegs war.6
Dennoch gibt es bedeutende Unterschiede zwischen den klassischen faschistischen Systemen Europas und dem Peronismus: So adressierten sich die Regime Hitlers und Mussolinis primär an die Mittelschicht, während Perón bewusst die Arbeiterschicht ansprach,7 da Perón in Zeiten der Weltwirtschaftskrise die argentinische Unterschicht vor der Verführung des Kommunismus gewahren wollte.8 Zudem war die Logik der Machtergreifung Peróns umgekehrt; anders als die anderen Diktatoren, welche demokratische Prozesse ausnutzten, um ihre Herrschaft zu beginnen, kam Perón durch einen Militärputsch an die Macht und ließ sich im Nachhinein durch eine Wahl bestätigen. Der wohl bedeutendste Unterschied ist, dass, anders als Nazi-Deutschland, Perón nie einen Krieg anstrebte.9
Der Peronismus bestand aus drei Kernelementen – soziale Gerechtigkeit, wirtschaftliche Unabhängigkeit und Volkssouveränität – woraus das ideale Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Interessensgruppierungen innerhalb des Landes hergestellt werden sollte.10 Für die argentinische Bevölkerung stellte sich der Peronismus als sehr ambivalent heraus: Die zahlreichen sozialen Reformen wurden von typisch populistischen Charakteristika wie Beschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit, soziale Polarisation und menschenrechtsverachtende Verfolgung von politischen Gegnern, relativiert.11 Für Perón wogen die Pflichten des Individuums gegenüber dem Staat mehr als umgekehrt die Obliegenheiten des Staates bezüglich der Einhaltung der Bürgerrechte. Der einzelne Mensch soll sich demnach innerhalb der organisierten Gesellschaft entfalten und so im Kollektiv glücklich werden. Ein gerechter und standhafter Staat kann nach Peróns Ideologie nur durch Populismus, nicht jedoch durch Demokratie entstehen.12 Der Ausbau von demokratischen politischen Teilhaberechten widersprach demnach Peróns Auffassung von sozialen Reformen.13
2.2. Die „Dritte Position“
Eine der Säulen des Peronismus war das Konzept der „Dritten Position“ (“Tercera Posición”), welches der Präsident von 1946 bis 1955 durchzusetzen versuchte. Dabei handelte es sich um eine argentinische Alternative zum liberalen Westen sowie zum kommunistischen Osten,14 denen beiden seitens unparteiischen Staaten (wie Argentinien) ebenbürtig und mit derselben Distanz begegnet werden soll.15 Nicht zu verwechseln mit der sogenannten „Dritten Welt“, war die „Dritte Position“ eine Rechtsauffassung, in welcher – ganz der Staatenphilosophie Aristoteles zufolge – der Einklang zwischen dem Individuum und dem Staat hervorgehoben wird: Die einzige Aufgabe des Staates sollte demnach sein, die Gesellschaft zu organisieren und den Bürgern die Freiheit zu lassen, sich innerhalb dieses Gefüges als menschliche Wesen entfalten zu können.16 Nach Peróns Auffassung, war das weder im Kapitalismus noch im Kommunismus möglich. Demnach wird im Kapitalismus der Wohlstand der breiten Arbeiterschicht von Oligarchen aufgesaugt und Persönlichkeiten des Volkes durch die Technisierung unterdrückt. Im Kommunismus hingegen profitiert primär der religions- und kulturtaube und entmenschliche Staat von der Arbeit des Proletariats.17
Die Version Peróns der (ökonomischen) Unabhängigkeit beschränkte sich allerdings nicht nur auf sein Heimatland, sondern bezog auch die anderen Staaten des Kontinents mit ein. Da der Kontinent seinerzeit besonders von den „imperialistischen“ USA „beherrscht“, wandte sich diese Rhetorik mehr gegen Washington als gegen Moskau. Juan Perón inszenierte sich als Vertreter der lateinamerikanischen Völker, welcher die gemeinsame hispanische Kultur und den katholischen Glauben durch die Bildung eines Gegengewichts zum anglosächsischen und protestantischen Nordamerika befreien wollte.18 Peróns Ideologie zufolge sollte diese Zusammenführung durch das Erkennen des Mehrwerts der „Dritten Position“ seitens der Völker erreicht werden, anstelle der sonst üblichen Militärbündnisse.19
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1 Vgl. Kabat, Marina: El peronismo y la oposición ante la Guerra de Corea, in: Jornadas de Sociología de la Universidad Nacional de la Plata, Buenos Aires 2018, S. 2.
2 Vgl. Poderti, Alicia Estela: Perón: La construcción del mito político 1943-1955, Universidad Nacional de La Plata, Buenos Aires 2011, 21f.
3 Vgl. Kennedy, Charles Stuart, Dearborn, Henry: Interview with Mr. Henry Dearborn, The Association for Diplomatic Studies and Training Foreign Affairs Oral History Project, o.O. 2009, S. 14.
4 Vgl. Finchelstein, Federico: The Peronist Reformulation of Fascism, in: Contemporanea, Bd. 17(4), Bolognia 2014, S. 610f., 625.
5 Vgl. Sánchez-Román, José Antonio: La Nación, Peronism, and the Origins of the Cold War in Argentina, in: Culture & History Digital Journal, Bd. 4(1), Madrid 2015, S. 3.
6 Vgl. Finchelstein: The Peronist Reformulation of Fascism, S. 601, 611f., 614.
7 Vgl. Ebenda, S. 617.
8 Vgl. Koch, Robert: The Geopolitics of Juan Perón: A New Order for an Imperfect World, University of South Florida, Tampa 2020, S. 5.
9 Vgl. Finchelstein: The Peronist Reformulation of Fascism, S. 613, 617.
10 Vgl. Koch: The Geopolitics of Juan Perón, S. 4f.
11 Vgl. Finchelstein: The Peronist Reformulation of Fascism, S. 618.
12 Vgl. Ebenda, S. 615f.
13 Vgl. Williams, Roy: La Filosofía política del peronismo: Comunidad, Individuo y Nación. El horizonte del ser-en-común en el pensamiento político del peronismo clásico, in: Revista Argentina de Ciencia Política, Bd. 19, Buenos Aires, S. 67.
14 Vgl. Zanatta, Loris: The rise and fall of the third position. Bolivia, Perón and the Cold War, 1943-1954, in: Revista Desarrollo Económico, Bd. 45(177), übersetzt von Judith Evans, Buenos Aires 2006, S. 1f.
15 Asis Dasmaco, Luis Francisco: La tercera posición en la política internacional Argentina, in: Revista IN IURE, Bd. 9(1), La Rioja 2015, S. 101.
16 Vgl. Asis Dasmaco: La tercera posición en la política internacional Argentina, S. 74, 100-102.
17 Vgl. Titelbild und Presidencia de la Nación: La nación argentina: justa, libre, soberana. Buenos Aires 1950, S. 470.
18 Vgl. Zanatta: The rise and fall of the third position, S. 9.
19 Vgl. Asis Dasmaco: La tercera posición en la política internacional Argentina, S. 101.