Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Ästhetische Bildung
2.1 Begriffserklärung
2.2 Merkmale eines ästhetischen Prozesses
2.3 Ästhetische Bildungsprozesse in der frühen Kindheit
3. Beobachtung
4. Analyse
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Der Autor und Professor für Musikpädagogik Christian Rolle vertritt die Meinung, dass musikalische Bildung nur dann stattfinden kann, „wenn Menschen in musikalischer Praxis ästhetische Erfahrungen machen“ (Rolle 1999, S. 5). Weiter führt er aus, dass pädagogisches Handeln demnach Räume schaffen sollte, die ästhetische Erfahrungen und Prozesse ermöglichen und anregen (vgl. ebd.). In der vorliegenden Arbeit geht es um musikalisch-ästhetische Bildungsprozesse bei Kindern. Ausgangspunkt ist dabei eine Beobachtung eines 2-jährigen Mädchens, das in einem Musikkurs für Krippenkinder musikalisch tätig ist. Bei der Beobachtung handelt es sich um eine systematische und verdeckte Beobachtung. Das bedeutet, dass die Beobachtung vorher bereits geplant war und die Beobachterin aus der Distanz beobachten konnte (vgl. Thiesen 2014, S. 51ff.). Sie ist selbstverständlich wertfrei (vgl. ebd. S. 82) und objektiv, das heißt von den Eindrücken der Beobachterin unbeeinflusst, dokumentiert (vgl. Imhof/Ulber 2014, S. 26). Außerdem wurde dem Ablaufplan von Strätz und Demandewitz weitestgehend gefolgt: Zunächst wurde ein Anliegen formuliert, dann ein Beobachtungsziel benannt und die Beobachtungsmethode ausgewählt. Anschließend wurde die Beobachtung durchgeführt und dokumentiert und die Ergebnisse analysiert (vgl. Demandewitz/Strätz 2007, S. 44). Es sollte allerdings nicht vergessen werden, dass es „nicht immer […] für pädagogische Fachkräfte leicht zu verstehen [ist], was Kinder tun und welchen Sinn ihr Tun hat“ (Viernickel/Völkel 2017, S. 13).
Ziel dieser Arbeit ist es zu überprüfen, inwiefern es sich bei der beschriebenen Beobachtung um einen ästhetischen Prozess handelt und was das Kind dabei gelernt haben könnte. Hierfür wird im ersten Teil der Arbeit die ästhetische Bildung vorgestellt. Der Begriff wird eingangs erläutert, dann folgen die Merkmale eines ästhetischen Prozesses und ästhetische Bildungsprozesse in der frühen Kindheit. Aufbauend auf der ästhetischen Bildung wird die Beobachtung detailliert geschildert und im darauffolgenden Kapitel analysiert. Abschließend folgt ein Fazit, in dem die wichtigsten Punkte zusammengefasst und eventuelle Schlussfolgerungen für die Praxis genannt werden.
2. Ästhetische Bildung
2.1 Begriffserklärung
Der Begriff ästhetische Bildung bezieht sich auf das Wort Ästhetik. Dies stammt von dem altgriechischen Ursprungswort Aisthesis, was übersetzt Sinneseindruck oder Empfindung bedeutet (vgl. Buchholz et al. 2017, S.15). „Die alltagssprachliche Verwendung des Ausdrucks >ästhetisch< […] geht erstens davon aus, dass ästhetisch eine Eigenschaft von Dingen sei, und sie verknüpft diese Eigenschaft zweitens mit der Wertung, >ästhetische Dinge< seien per se schön“ (ebd.).
Der Begriff der ästhetischen Bildung beziehungsweise Erziehung wurde von dem deutschen Philosophen Alexander Gottlieb Baumgarten durch seine Werke Mitte des achtzehnten Jahrhunderts geprägt (vgl. Krieger 2004, S. 25). Der Autor Gerhard Velthaus führt das weiter aus: „Der Begriff der ästhetischen Erziehung hat seine Wurzeln in der Bildungsidee. An der Wende zum 19. Jahrhundert hat die Ästhetik für das Erziehen eine Bedeutung gewonnen, die umfassender ist als dies das heutige Verständnis im allgemeinen [sic!] vorgibt“ (Velthaus 2002, S. 6).
Die Autoren Dietrich, Krinninger und Schubert verdeutlichen in ihrer Arbeit, dass heutzutage unter der ästhetischen Bildung Vieles zu verstehen ist. Oftmals wird der Begriff in der Kunst oder Kultur eingesetzt, aber auch in der Bedeutung der eigenen Wahrnehmung der Welt und den darin enthaltenen Gegenständen und Erlebnissen (vgl. Dietrich et al. 2013, S. 9). Der Autor und Professor für Pädagogik in der frühen Kindheit Gerd E. Schäfer verweist darauf, dass „Ästhetik sinnliche Vielfalt, historische Kontextwahrnehmung und subjektive Entwurfsgestaltung [umfasst]. Sie beschränkt sich deshalb auch nicht einfach auf Schönheitsurteile. […] Ästhetischer Erfahrung, in diesem umfassenden, synthetischen Sinn, muss – wie allen Erfahrungen – Gelegenheit gegeben werden, sich zu entwickeln und zu differenzieren“ (Schäfer 2011, S. 245f.). Laut Christine Heil ist ein entscheidender Punkt der ästhetischen Bildung die Veränderung der Wahrnehmung von der Umwelt und sich selbst (vgl. Heil 2015, S. 7).
Der bereits genannte Autor Christian Rolle vertritt nun die Ansicht, dass „es ästhetische Erfahrungen im Umgang mit Musik sind, denen eine besondere bildende Kraft zukommt“ (Rolle 1999, S. 13). In Anbetracht dessen geschehen ästhetische Bildungsprozesse überwiegend in der Kunst- und Musikpädagogik. Ein Beleg für einen musikalisch-ästhetischen Bildungsprozess wird im Verlauf dieser Arbeit in der Beobachtung und Analyse beschrieben. Zunächst einmal werden allerdings die Merkmale eines ästhetischen Prozesses genauer betrachtet.
2.2 Merkmale eines ästhetischen Prozesses
Die Kunstpädagogin Kathrin Borg vertritt die Position, dass es zwar unterschiedliche ästhetische Erfahrungen gibt, dieselben aber dennoch verbindende Besonderheiten ausweisen. Aus diesem Grund beschreibt sie vier verschiedene Merkmale eines ästhetischen Prozesses (vgl. Borg 2012, S. 8):
Ein ästhetischer Prozess beginnt meistens mit der Selbstaufmerksamkeit. Das bedeutet, dass sich die Aufmerksamkeit der erlebenden Person auf etwas richtet. Außerdem richtet sie sich auf das eigene Bewusstsein und die damit verbundenen Empfindungen (vgl. ebd, S. 9). Die Autorin Borg verdeutlicht das anhand Beispielen: „Es entsteht […] eine Aufmerksamkeit auf einen Geschmack beim Essen, eine Farbe in der Natur, eine Szene im Film, einen Beat, ein Körpergefühl beim Tanzen usw.“ (ebd.).
Anschließend folgt der Ausdruckscharakter. Hier möchte die Person das Erlebte beziehungsweise den ästhetischen Prozess zum Ausdruck bringen und anderen verbal oder nonverbal mitteilen. Doch auch ein innerer Dialog könnte schon zum Ausdruck des Prozesses führen. Als weitere Beispiele sollen das Singen, Tanzen, Musizieren und Kommunizieren dienen (vgl. ebd.).
Nun folgt der Unbestimmtheitscharakter. Die Autorin Borg führt aus, dass die Person während einer ästhetischen Erfahrung nicht genau bestimmen kann, warum sie etwas schön oder berührend findet „und daher werden die Erlebnisse häufig mit diffusen Beschreibungen bspw. `Ich hatte eine Gänsehaut` oder `Ich fand das Konzert einfach nur geil` umrissen“ (Borg 2012, S.10). Gerade dieser Unbestimmtheitscharakter führt dazu, „dass wir […] unsere Ästhetischen Empfindungen ausdrücken“ (ebd., S. 10).
Abschließend wird der Vollkommenheitscharakter genannt. Hier geht es darum, dass sich die betroffene Person vollkommen auf das Erlebte und den ästhetischen Prozess einlässt und die Erfahrung keinen Zweck erfüllen muss (vgl. ebd.). „Die Ästhetische Erfahrung ist an keine Resultate oder Vorgaben gebunden, sie kann völlig für sich alleine stehen“ (ebd., S. 11). Die Autorin Borg führt als Beispiel an, dass es „um die Lust [geht], auf dem Konzert zur Musik in die Luft zu springen und mitzusingen […] [und ebenfalls] Trauer oder Glücksgefühle zu empfinden. Es geht um die Lust, die Regentropfen zu beobachten und zu Tagträumen“ (ebd.).
Im nachfolgenden Kapitel wird nun genauer auf ästhetische Bildungsprozesse speziell bei Kindern eingegangen.
2.3 Ästhetische Bildungsprozesse in der frühen Kindheit
Der Fachverband für Kunstpädagogik, kurz BDK, greift in seinem Beitrag „Frühkindliche ästhetische Bildung“ sechs Aspekte auf, die die ästhetischen Bildungsprozesse in der frühen Kindheit beschreiben:
Der erste Aspekt lautet: „Der kindliche Selbst- und Weltzugang ist in erster Linie ein ästhetischer“ (BDK 2009, S. 5). Hierzu schreibt die Arbeitsgruppe Grundschule im BDK: „Ästhetische Wahrnehmungsweisen und Ausdrucksformen von Kindern sind differenzierte, komplexe und dialogische Prozesse der Beschäftigung und des Austauschs mit sich selbst und der Welt. […] Ästhetische Bildung entsteht im Wechselspiel von Rezeption und Produktion in den Bereichen Musik, Tanz, Bildende Kunst, Literatur, Poesie, Theater usw.“ (ebd.). Während eines ästhetischen Prozesses sind Kinder konzentriert und vertieft in eine Sache. Es entsteht zudem häufig etwas, zum Beispiel beim Musizieren Töne oder Klänge oder beim Zeichnen ein Bild.
„In einer Situation entsteht Aufmerksamkeit für etwas und wird zum Anlass für ästhetische Prozesse der Kinder“ (ebd., S. 6), lautet der zweite Aspekt. Ästhetische Prozesse finden nur dann statt, wenn das Kind aufmerksam auf etwas wird, müssen es aber nicht. Dies kann durch ungeplante Alltagssituationen oder geplante Situationen der ErzieherInnen und Bezugspersonen geschehen. Als Beispiele können Bilder, Erlebnisse, Ereignisse, Materialien, Alltags- und Naturphänomene und sprachliche Äußerungen dienen (vgl. ebd., S. 7).
Der dritte Punkt lautet: „Unterschiedliche ästhetische Handlungs- und Denkformen verbinden sich zu komplexen ästhetischen Weltzugängen“ (ebd.). Kinder entwickeln während eines ästhetischen Prozesses verschiedene Handlungs- und Denkformen, die aus dem autonomen Entwicklungs- und Lernwillen der Kinder entstehen. Aus diesem Grund können sie nicht gesteuert werden, aber angeregt. Der BDK führt als Beispiel das Wahrnehmen, Erkunden, Kommunizieren, Produzieren und Fantasieren an (vgl. ebd., S. 7ff.).
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