Leseprobe
Isaiah Berlin: „Two concepts of Liberty“
Berlins Essay erschien 1957, zu einer Zeit also, in der die Verbrechen des stalinistischen Systems öffentlich bekannt wurden, in der auf der anderen Seite im Zuge des McCarthyismus in den USA regelrechte politische Hetzjagden auf Kommunisten abgehalten und Nicht-Weiße zuallererst über ihre Rasse definiert und dementsprechend behandelt wurden. Gleichzeitig waren es genau diese beiden Staaten, die mit ihrer jeweiligen Gesellschaftsordnung den Schlüssel zur Befreiung der Menschheit gefunden zu haben glaubten. Die Sowjetunion behauptete, das Marxsche Diktum vom „Sprung der Menschheit aus dem Reich der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit“ finde über den realen Sozialismus marxistisch-leninistischer Prägung seine Verwirklichung. Die Vereinigten Staaten ihrerseits nahmen mit der Truman-Doktrin die Führerschaft unter „allen freien Völkern“ für sich in Anspruch, sahen sich als Verfechter von Demokratie und Menschenrechten. Freiheit war also das Ziel, das zumindest offiziell durch beide Systeme angestrebt wurde. In beiden Fällen führte der Weg zu dieser Freiheit jedoch über die Unterdrückung, Misshandlung, Vernichtung von Menschen. Berlin scheint vor allem vor diesem Hintergrund zu schreiben. Er stellt sich die Frage, wie das eigentlich so hehre Ziel der „Freiheit“ umschlagen konnte zu dem von ihm konstatierten „individuellen Schlachten auf den Altären der großen historischen Ideale“[1][2] und dem „clash“ der Ideologien, der gegenwärtig seine „Welt dominiere“[3]. Entsprechend dem weltpolitischen wie ideologischen Dualismus seiner Zeit entwickelt er zunächst ein dichotomisches Freiheitsmodell, dessen konzeptionelle Ausprägungen er als „positiv“ und „negativ“ bezeichnet. Diese Attribute sind in ihrer Funktion als Idealtypen im Weberschen Sinn theoretische Hilfsmittel und haben demzufolge im Rahmen des Modells wertneutrale Bedeutung. „Negative“ bedeutet also nicht „schlechte“ Freiheit, die Bezeichnung weist vielmehr auf deren wesentliches Charakteristikum hin. Sie propagiert nach Berlin nämlich, dass ein Mensch dann frei sei, wenn er „von nichts gefesselt ist, das Kräften gehorcht, die man nicht selbst unter Kontrolle hat“[4]. Negativität bedeutet in diesem Zusammenhang also, dass Freiheit hier durch bestimmte Verneinung definiert ist. Sie stelle, so Berlin, eine „Freiheit von“ etwas dar, das heißt konkret „Abwesenheit von Beeinflussung“[5], Unabhängigkeit also bzw. Autonomie und bilde damit das Antonym zu „Heteronomie“, der Abhängigkeit von äußeren Faktoren.
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[1] Berlin, Isaiah: „Liberty“; Hrsg: Henry Hardy; Oxford University Press; New York 2002; S.166-217.
[2] S. 213
[3] vgl. S. 178
[4] S. 183
[5] vgl. S. 174