Körperliche Aktivität und psychische Gesundheit. Ein systematischer Review


Bachelorarbeit, 2022

60 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1 EINLEITUNG UND PROBLEMSTELLUNG

2 ZIELSETZUNG

3 GEGENWÄRTIGER KENNTNISSTAND
3.1 Beschreibung der evolutionären Entwicklung des Menschen bezüglich körperlicher Aktivität
3.2 Begriffserklärung „körperliche Aktivität“
3.2.1 Messung von körperlicher Aktivität
3.3 Begriffserklärung „Gesundheit“
3.3.1 Darstellung geeigneter Theorien und Modelle
3.3.1.1 Biomedizinisches Krankheitsmodell
3.3.1.2 Biopsychosoziales Modell
3.3.1.3 Salutogenese Konzept nach Antonovsky
3.3.1.4 Kohärenzsinn
3.3.1.5 Generelle W iderstandsressourcen
3.4 Begriffserklärung „psychische Gesundheit“
3.4.1 Einflussfaktoren auf die psychische Gesundheit
3.4.2 Darstellung geeigneter Theorien und Modelle
3.4.2.1 Resilienz
3.4.2.2 Risiko- und Schutzfaktoren der psychischen Gesundheit
3.4.2.3 Selbstwirksamkeit
3.4.2.4 Vulnerabilitäts-Stress-Modell(e)
3.4.2.5 Stimulusorientierte Stresstheorien

4 BESCHREIBUNG DES ZUSAMMENHANGS VON KÖRPERLICHER AKTIVITÄT UND PSYCHISCHER GESUNDHEIT
4.1 Gesundheitliche Risiken von körperlicher Inaktivität
4.2 Positive gesundheitsbezogene Konsequenzen von körperlicher Aktivität

5 DARSTELLUNG DES GEGENWÄRTIGEN KENNTNISSTANDS IN DEUTSCHLAND/DER WELT - DATEN, ZAHLEN, FAKTEN
5.1 Deutschland
5.2 Weltweit
5.3 Beschreibung von Maßnahmen und Programmen zur Förderung körperlicher Aktivität und psychischer Gesundheit
5.4 Kritische Auseinandersetzung mit Darstellung der aktuellen Forschungslage

6 METHODIK
6.1 Zusammenfassende Darstellung der Literaturrecherche
6.2 Übersicht aller Studien

7 ERGEBNISSE

8 DISKUSSION
8.1 Fremdkritik
8.2 Eigenkritik
8.3 Fazit / Ausblick

9 ZUSAMMENFASSUNG

10 LITERATURVERZEICHNIS

11 ABBILDUNGS-, TABELLEN-, ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
11.1 Abbildungsverzeichnis
11.2 Tabellenverzeichnis

1 Einleitung und Problemstellung

„Schon Ende der 1960er Jahre formulierten wir: Gäbe es ein Medikament, welches alle gesundheitlich positiven Wirkungen von körperlicher Bewegung in sich vereinigen würde - es würde das Medikament des Jahrhunderts genannt werden. Leider steht seiner praktischen Anwendung das physikalische Gesetz der Trägheit im Wege.“ (Banzer, 2017)

Nach der DGPPN (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychoso­matik und Nervenheilkunde) leiden etwa 459 Millionen Menschen weltweit unter psychi­schen und neurologischen Erkrankungen und ein Blick auf die Statistik der deutschen Rentenversicherung zeigt, dass Deutschland eine hohe Zahl an Renten wegen verminder­ter Erwerbsfähigkeit aufgrund psychischer Störungen aufweist. Im Jahr 1993 waren noch 41.409 Frauen und Männer von psychischen Störungen betroffen und im Jahr 2020 sind es bereits 72.990 Frauen und Männer. Das ist ein extremer Anstieg von 76,2%. Aus der Statistik wird außerdem deutlich, dass Frauen häufiger betroffen sind als Männer. Im Jahr 2021 waren es 12,4% der Männer und 20,4% der Frauen. Diese gestiegenen Zahlen sind mit den hohen gesellschaftlichen Anforderungen verbunden und liegen einem dadurch entstehenden hohen Stresspensum zugrunde (Deutsche Rentenversicherung, 2022, S.97ff).

Die Stressstudie der Techniker Krankenkasse von 2021 macht deutlich, dass die Stress­belastungen in Deutschland im Vergleich zu 2013 stark zugenommen haben. Frauen emp­finden ihr Leben zu 63% stressbelastet und Männer zu 58%, also fast gleichauf. Darunter gaben 16% der „manchmal gestressten Personen“ an, seelische Probleme zu haben und sogar 36% der 40-49-Jährigen beklagten sich über psychische Beschwerden (Techniker Krankenkasse, 2016).

Der Behandlungsbedarf der psychischen Gesundheit ist also groß, wobei eine nahelie­gende und effektive Therapieform regelmäßige körperliche Aktivität ist, die dabei helfen kann, psychische Erkrankungssymptome zu lindern (Knapen et al., 2015). Viele Studien zeigen Evidenz, dass körperliche Aktivität positive Effekte auf die psychische und phy­sische Gesundheit und die Lebensqualität verbessern kann (Lippke & Vögele, 2006). Trotz dieser guten empirischen Studienlage und dem Wissen um positive Effekte der kör­perlichen Aktivität werden Angebote zur Bewegungs- und Sporttherapie nur von ca. 55% der Patientinnen und Patienten genutzt und nur 57% erreichen die Mindestempfehlungen für Bewegung (Brand et al., 2016; Ehrbar et al., 2018).

Auch die Bewegungsempfehlungen der WHO wurden in der GEDA-Studie des Robert- Koch-Instituts bei Erwachsenen in Deutschland untersucht und nur 42,6% der Frauen und 48% der Männer gaben an, mindestens 2,5 Stunden pro Woche körperlich aktiv zu sein und erreichten damit die WHO-Empfehlungen zur Ausdaueraktivität. Die WHO-Emp- fehlungen für muskelkräftigende Aktivität mindestens zweimal pro Woche erreichten hingegen nur 27,6% der Frauen und 31,2% der Männer (RKI, 2017).

Weltweit ist etwa mehr als ein Viertel der erwachsenen Bevölkerung nicht ausreichend aktiv und weltweit etwa eine von drei Frauen und einer von vier Männern zu wenig kör­perlich aktiv, um psychisch und physisch gesund zu bleiben. Zunehmender Bewegungs­mangel wirkt sich nicht nur negativ auf die Lebensqualität aus, sondern auch auf die Ge­sundheitssysteme, die Umwelt, die wirtschaftliche Entwicklung und das Gemeinwe- sen.(WHO, 2020b).

Der Zusammenhang von psychischer Gesundheit und körperlicher Aktivität wird schon länger in Studien untersucht, jedoch ist eine hundertprozentige Evidenz im Hinblick auf Präventionsprogramme und Behandlungen von psychischen Krankheiten noch lange nicht erreicht. Eine fundierte Aufklärung der Bevölkerung über die Vorteile von körper­licher Aktivität und den Zusammenhang mit psychischer Gesundheit sollte den Grund­stein für eine verbesserte physische und psychische Gesundheit setzen. Dieser Review soll einen Überblick über die aktuelle wissenschaftliche Studienlage geben. Die zentrale Fragestellung soll dabei sein, inwiefern körperliche Aktivität die psychische Gesundheit beeinflusst.

2 Zielsetzung

Ziel der Arbeit ist es, im Rahmen eines systematischen Reviews eine eigenständige Zu­sammenfassung des Forschungsstands zum Thema „Körperliche Aktivität und psychi­sche Gesundheit“ auf der Grundlage der einschlägigen theoretischen und empirischen Forschungsliteratur zu verfassen.

3 Gegenwärtiger Kenntnisstand

Um einen einfachen Einstieg des Themas zu ermöglichen und den Inhalt der Arbeit ver­ständlich zu machen, werden in diesem die wichtigsten Begriffe erläutert. Es wird unter anderem geklärt: Was bedeutet überhaupt psychische Gesundheit? Was ist körperliche Aktivität? Welchen Zusammenhang gibt es zwischen diesen beiden Faktoren?

3.1 Beschreibung der evolutionären Entwicklung des Menschen bezüglich körperlicher Aktivität

In der evolutionären Entwicklung des Menschen war es früher fast unmöglich, ohne kör­perliche Fitness zu überleben, da zum Beispiel Nahrung gejagt und gegen wilde Tiere gekämpft werden musste (Bouchard et al., 2012). Tägliche Aufgaben umfasste Werk­zeuge herzustellen, Feuerholz, Wasser und Beeren zu sammeln oder auf die Kinder auf­zupassen. Noch dazu kam das ständige Umziehen (Cordain et al., 1998).

Mit dem Aufkommen von Landwirtschaft und dem Halten von Haustieren, war körperli­che Fitness immer noch wichtig, aber schon bald wurde hier mechanisiert. Als Vergleich wurden im Jahr 1880 fast 20 „Mannstunden“ gebraucht, um einen Hektar Weizenland abzuernten und 20 Jahre später wurden nur noch 6,1 „Mannstunden“ benötigt (Rifkin, 1995). Der Rückgang der körperlichen Aktivität ist hier bereits signifikant.

Als dann die Industrialisierung kam, war die harte und körperliche Arbeit nicht mehr ge­braucht, da Maschinen dafür entwickelt wurden. Mit der Erfindung des Motors, fielen Gehstrecken weg, da öffentliche Verkehrsmittel genutzt werden konnten. Das Essen musste nicht mehr gejagt, sondern konnte in Supermärkten gekauft werden. Die Men­schen benötigten immer weniger Energie für lebenserhaltende Maßnahmen. Nicht zu ver­gessen sind das Zeitalter der Digitalisierung und das Entstehen von Computern sowie digitalen Netzwerken. Seitdem arbeitet ein Großteil der Menschen hauptsächlich im Sit­zen oder Stehen, da keine körperlich anstrengenden Arbeiten mehr gefordert sind (Rifkin, 1995). Auf Basis von Selbstbefragung in GEDA 2014/215-EHIS, sitzen oder stehen 47,5% der Frauen und 47,2% der Männer vorwiegend während der Arbeit. In der Alters­gruppe der Frauen zwischen 19-29 Jahren ist der Anteil mit 55,5% am höchsten (Finger et al., 2017). Nahrungsmittel werden aufgrund der Digitalisierung mittlerweile durch di­verse Lieferservice Ketten nach Hause geliefert werden, sodass selbst der Gang in den Supermarkt für viele wegfällt.

Durch diesen Wandel wurden die Menschen immer inaktiver und die erste Folge daraus waren Übergewicht und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Daher ist es von immer größerer Bedeutung geworden, körperliche Aktivität in den Alltag zu integrieren, um die Gesund­heit zu fördern.

3.2 Begriffserklärung „körperliche Aktivität“

Die Definition von „körperlicher Aktivität“ (physical activity) ist jegliche durch Skelett­muskulatur hervorgebrachte Bewegung, die zu einer substanziellen Steigerung des Ener­gieverbrauchs führt und über den Ruheumsatz hinausgeht. Körperliche Inaktivität (phy­sical inactivity) im Vergleich, ist das Nicht-Erreichen der vorgeschlagenen Bewegungs­empfehlungen. Eine Unterkategorie der körperlichen Aktivität ist das „Training“ (Exer- cice), welches eine geplante, strukturierte, wiederholte und gezielte Erhaltung und Ver­besserung der körperlichen Fitness ist, zu dieser Kategorie gehört auch „Sport“ (Sport), welcher institutionalisiert ist und festen Regeln unterliegt (Bouchard et al., 2012).

Die Empfehlungen der WHO für körperliche Aktivität von Kindern und Jugendlichen im Alter von 5-17 Jahren umfasst Spielen, Sport, Beförderung (z.B. Fahrrad fahren), Schul­sport und Freizeitaktivitäten. Dabei sollten diese Altersgruppe täglich mindestens 60 Mi­nuten mit moderater bis hoher Intensität aktiv sein, wobei Aktivitäten, die über eine Stunde hinausgehen, zusätzlichen Nutzen für die Gesundheit bringen. Die 60 Minuten müssen nicht am Stück absolviert werden. Es können mehrere kurze Aktivitätsperioden (z.B. von 15 min) über den Tag verteilt durchgeführt werden. Aerobe Ausdaueraktivitäten zur Förderung des Herz-Kreislauf-Systems sollten der Fokus sein. Darüber hinaus sollten dreimal pro Woche umstrukturierte intensive Aktivitäten zur Kräftigung der Muskulatur und Knochen ausgeübt werden (z.B. Springen oder Klettern).

Die Empfehlung für Erwachsene im Alter von 18-64 Jahren liegt bei 150 Minuten mode­rater körperlicher Aktivität pro Woche. Auftreten von leichtem Schwitzen oder Kurzat­migkeit sind erwünschte Effekte und die Aktivitäten sollten mindestens zehn Minuten am Stück dauern. Die Aktivitätszeit kann auf 300 Minuten pro Woche erhöht werden, um die Effekte auf die Gesundheit zu erhöhen. Ebenso sollten zweimal pro Woche große Mus­kelgruppen in die Trainingseinheiten integriert werden.

Ältere Menschen ab 65 Jahren sollten etwa die gleichen Empfehlungen wie die jungen Erwachsenen einhalten. Besonderen Fokus haben das Aufhalten des kognitiven Abbaus und die Prävention vor Stürzen. Dabei sollte dreimal pro Woche die Balance trainiert werden (WHO, 2010).

In deutschen Studien wurde bereits belegt, dass ausreichende körperliche Aktivität mit einer höheren Lebenserwartung einhergeht und ein aktiver Lebensstil mithilft, das Risiko für Osteoporose, Übergewicht und Rückenbeschwerden zu senken (Mensink et al., 1996). Hinzukommend kann durch regelmäßige körperliche Aktivität das Risiko für das Erkran­ken anderer Krankheiten gesenkt werden und sie unterstützt gleichzeitig die Behandlung z.B. von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes mellitus Typ II und Kolonkrebs (Bouchard et al., 1994).

3.2.1 Messung von körperlicher Aktivität

Zur Messung der körperlichen Aktivität kann das Metabolic Equivalent of Task (MET) - Metabolisches Äquivalent zu Hilfe gezogen werden. Es besteht aus dem Verhältnis von Arbeitsenergieverbrauch und Ruheenergieverbrauch. Ein MET entspricht dem Ruheener­gieverbrauch von 3,5ml O2/kg/min oder umgerechnet 1kcal/kg/h (ACSM, 2013, S. 478). Eine Liste der körperlichen Aktivitäten mit den zugehörigen MET-Werten ist im „Com­pendium of Physical Activities“ im Internet zu finden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Messung der körperlichen Aktivität spielt in der Gesundheitsförderung eine große Rolle. Sie dient dazu, den Ist-Zustand zu erfassen und daraufhin den Bedarf für eine ziel­gerichtete Intervention abzuleiten. Durch Wiederholungsmessungen kann festgestellt werden, wie sich das Aktivitätslevel über einen bestimmten Zeitraum verändert hat. Es können subjektive und objektive Erhebungsmethoden hinzugezogen werden wie zum Beispiel Befragungen der Zielpersonen (subjektiv) oder Methoden mit technischen Gerä­ten wie Schrittzähler, Akzelerometer oder Herzfrequenzmesser (objektiv) (ACSM, 2013). Aktuell sind Frequenz (Häufigkeit pro Woche), Intensität (Energieverbrauch), Dauer (in Minuten) und Art der Aktivität notwendig, um die körperliche Aktivität quantifizieren zu können.

3.3 Begriffserklärung „Gesundheit“

„Gesundheit bezeichnet den dynamischen Zustand des Wohlbefindens einer Person, der gegeben ist, wenn diese Person sich psychisch und sozial in Einklang mit den Möglich­keiten und Zielvorstellungen und den jeweils gegebenen äußeren Lebensbedingungen be­findet. Gesundheit ist das dynamische Stadium des Gleichgewichts von Risikofaktoren und Schutzfaktoren, das eintritt, wenn einem Menschen eine Bewältigung sowohl der in­neren (körperlichen und psychischen) als auch äußeren (sozialen und materiellen) Anfor­derungen gelingt. Gesundheit ist ein dynamisches Stadium, das einem Menschen Wohl­befinden und Lebensfreude vermittelt.“ (Hurrelmann & Richter, 2018, S.180).

3.3.1 Darstellung geeigneter Theorien und Modelle

Folgendes Kapitel befasst sich mit Theorien und Modellen zum Thema Gesundheit.

3.3.1.1 Biomedizinisches Krankheitsmodell

Das biomedizinische Krankheitsmodell ( auch petrogenetisches Modell) ist ein überholtes Modell, das Gesundheit mit dem Fernbleiben von Krankheit definiert. Es orientiert sich an ausschließlich messbaren Krankheitsauslösern wie Bakterien oder Viren, demnach ist eine Person gesund, wenn sie keine Symptome einer Krankheit zeigt und krank, wenn durch eine Diagnose die Kriterien einer Krankheit erfüllt sind.

Dieses Modell ist sehr eindimensional, da es soziale oder psychologische Faktoren nicht einbezieht und andere Parameter (Risikoverhalten, Lebensgewohnheiten, Umweltbedin­gungen) die in Bezug zur Gesundheit stehen, nicht berücksichtig werden. Trotzdem wird dieses Modell heute noch vertreten und anerkannt (Lippke & Renneberg, 2006).

Das Salutogenese Modell wurde hier als Reaktion erforscht und der Pathogenese (Entste­hung von Krankheit) entgegengesetzt.

3.3.1.2 Biopsychosoziales Modell

Dieses Modell erweitert das biomedizinische Modell um psychische und soziale Fakto­ren, wobei Gesundheit und Krankheit nun als Kontinuum gesehen werden. Gesundheit basiert laut diesem Modell der WHO auf drei Dimensionen: Physis, Psyche und Soziales. Diese Faktoren bedingen sich gegenseitig und können sich zum Teil gegenseitig ausglei­chen. Nach WHO wird Gesundheit definiert als „[...] a state of complete physical, mental and social wellbeing and not merely the absence of disease [...]“, (~ein Zustand des voll­kommenen physischen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur der Abwe­senheit von Krankheit). Schon damals wurde verstanden, dass mehr zur Gesundheit ge­hört als nur die Abwesenheit von Krankheit (World Health Organisation, 1948). Die größte Bedeutung in dieser Definition liegt vermutlich im Zusammenspiel der körperli­chen, geistigen und sozialen Gesundheit. Der soziale Faktor hat in den letzten Jahren im­mer mehr an Bedeutung gewonnen. Dabei geht es vor allem um Faktoren wie das Ge­schlecht, das Alter und den sozioökonomischen Status und die Fähigkeiten, Aufgaben zu erfüllen, die an eine bestimmte soziale Rolle geknüpft sind. Momentan geht es um die Diskussion, eine vierte Dimension hinzuzufügen: Spiritualität (Kickbusch, 1999). Dazu­gesagt sei, dass dieses Modell zunehmend kritisiert wird, da der Begriff „Wohlbefinden“ nicht genauer definiert ist und der Endzustand des „vollständigen Wohlbefindens“ uto­pisch und eindimensional ist (Franke, 2012, S.40-41: 190-191).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Biopsychosoziales Modell modifiziert nach Engel (1977)

3.3.1.3 Salutogenese Konzept nach Antonovsky

Das Salutogenese Modell des Gesundheitswissenschaftlers Aaron Antonovsky ist eines der wichtigsten Modelle zur Erklärung von Gesundheit und basiert auf einem Verständnis von Gesundheit und Krankheit als Kontinuum. Nach Antonovsky bewegt sich der Mensch innerhalb dieses Kontinuums ständig zwischen „Gesundheit“ und „Krankheit, da diverse Faktoren Einfluss auf diese Zustände nehmen. Er sucht nach Einflüssen, die den Menschen gesund machen und halten (Salutogenese) und nicht nach Einflüssen, die den Menschen krank machen (Pathogenese). Damit übt er Kritik an den in den medizinischen Unterscheidungen in „Patient“ und „Nicht-Patient“ bzw. „krank“ und „nicht krank“. Um diese oben beschriebenen Einflüsse für die Gesundheit zu finden, braucht man eine sub­jektive Kompetenz, die Antonovsky als „Kohärenzsinn“ beschreibt. Dieser sagt aus, ob das eigene Leben als sinnhaft, verstehbar und bewältigbar erlebt wird und dass Ressour­cen zur Verfügung stehen, die nötig sind, um Herausforderungen gerecht zu werden. Aus 10/60 erfolgreich überstandenen Belastungssituationen können somit Konsequenzen für Ge­sundheit und Wohlbefinden resultieren. Ein hoher Kohärenzsinn sorgt dann wiederum für eine positive Gesundheit und ein geringer Kohärenzsinn pendelt hinzu negativer Gesund­heit. Antonovsky hat dazu einen Fragebogen entwickelt, um den Kohärenzsinn wissen­schaftlich zu messen. Ein weiterer Faktor im Modell sind sogenannte „Stressoren“. Diese können beispielsweise belastende Lebensereignisse oder Stress sein und lösen einen psy­chischen Spannungszustand im Menschen aus. Ziel ist es dann, diesen „Stressor“ mit den notwendigen Widerstandsressourcen zu bewältigen (Antonovsky, 1979).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2 Stark vereinfachtes Salutogenese Modell modifiziert nach Antonovsky (1979, S.184ff)

3.3.1.4 Kohärenzsinn

Wie bereits in dem vorangegangenen Kapitel angesprochen, geht es nun noch einmal ver­tieft um den Kohärenzsinn. Der Kohärenzsinn entwickelt sich aus den Erfahrungen in der Kindheit und Jugend und wird bei Erwachsenen als stabil angenommen. Er besteht aus drei Bereichen: Verständlichkeit, Bewältigbarkeit und Bedeutung, welche emotionale, kognitive und motivationale Prozesse enthalten. Daraus wird ein Gefühl des Vertrauens bestimmt und die Zuversicht, dass die eigene Umwelt vorhersagbar ist, wofür wiederrum eine optimale Nutzung der eigenen Ressourcen notwendig ist.

Die Verstehbarkeit/Verständlichkeit ist die Wahrnehmung der Umwelt und bewertet In­formationen. Wenn diese als kognitiv sinnvoll, strukturiert und geordnet bewertet wer­den, können zukünftige Ereignisse aufgrund dieser Wahrnehmung erklärt werden. Sie ist unabhängig von positiven oder negativen Ereignissen.

Die Bewältigbarkeit/Handhabbarkeit spielt dabei die Rolle beim Umgang mit Schwierig­keiten, wobei ein hohes Gefühl der emotionalen Bewältigbarkeit dafür sorgt, dass uner­wünschte Anforderungen als Herausforderungen angenommen werden grundsätzlich lös­bar sind und als neue Erfahrung gespeichert werden. Das heißt, die ungewünschte Situa­tion ist zu bewältigen.

Die Bedeutsamkeit/Sinnhaftigkeit ist die Deutung unerwünschter Ereignisse. Eine hohe Bedeutsamkeit führt dazu, dass sich die Person emotional mit der Situation arrangiert und in sie einfügt. Eine fehlende Bewältigung kann durch die Bedeutsamkeit überwunden werden, da die Person trotzdem nach Lösungen sucht und so die Ressourcen aktiviert werden können (Haring, 2019).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3: Kohärenzsinn/-gefühl modifiziert nach Haring (2019)

3.3.1.5 Generelle Widerstandsressourcen

Der Kohärenzsinn entwickelte sich auf Basis dieser Widerstandsressourcen, welche alle Variablen einer Person, einer Gruppe oder der Umwelt beschreiben, die sich positiv auf Stressoren auswirken. Das „Generelle“ kommt daher, dass die Ressourcen nicht in be­stimmten, sondern in einer Vielzahl von Situationen eingesetzt werden und zur Entwick­lung und zum Erhalt der Gesundheit beitragen. Demnach zählen auch Bildung und Wohl­stand dazu, da dadurch die Nutzung von spezifischen Ressourcen wie „Wissen“ ermög­licht wird. Antonovsky sagt aus, dass die Widerstandsressourcen aus einer Person selbst heraus bestehen oder auf sozialen Faktoren wie soziale Unterstützung oder kulturelle Sta­bilität beruhen und die Gemeinsamkeit besteht darin, dass eine subjektive Sinngebung 12/60 trotz erlebter Stressoren erleichtert wird. Dadurch wird der Kohärenzsinn gestärkt und eine Entwicklung in Richtung „Gesundheit“ ermöglicht (Haring, 2019).

3.4 Begriffserklärung „psychische Gesundheit“

Nach der WHO ist psychische Gesundheit „ein Zustand des Wohlbefindens, in dem eine Person ihre Fähigkeiten ausschöpfen, die normalen Lebensbelastungen bewältigen, pro­duktiv arbeiten und einen Beitrag zu ihrer Gemeinschaft leisten kann. Wenn die psychi­sche Gesundheit gestört wird, sprechen wir von „psychischen Störungen“ wie beispiels­weise Depressionen, Angststörungen, Verhaltensstörungen, bipolare Störungen oder Psy­chosen (WHO, 2019).

3.4.1 Einflussfaktoren auf die psychische Gesundheit

Die psychische Gesundheit wird durch individuelle Merkmale beeinflusst, aber auch durch soziale Umstände und Umweltfaktoren. Diese Determinanten können den psychi­schen Zustand einer Person im Zusammenspiel beeinflussen (WHO, 2019) Folgende Ta­belle stellt diese Faktoren übersichtlich dar:

Tab. 1: Einflussfaktoren auf die psychische Gesundheit modifiziert nach WHO (2019)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

3.4.2 Darstellung geeigneter Theorien und Modelle

Dieses Kapitel stellt geeignete Theorien und Modelle vor, die sich mit psychischer Ge­sundheit beschäftigen.

3.4.2.1 Resilienz

Resilienz wird definiert als „Prozesse oder Phänomene, die eine positive Anpassung des Individuums trotz vorhandener Risikofaktoren widerspiegeln. Risikofaktoren sind Fakto- ren, die im Durchschnitt beim Individuum zu negativen psychischen und / oder physi­schen Konsequenzen führen. Schutzfaktoren könnten beim Individuum, in der Familie und im Umfeld gefunden werden“ (Hammelstein et al., 2006).

Resilienz ist die Widerstandskraft gegen Risiken und Belastungen und umfasst die Fähig­keit, bei gleichzeitigem Vorliegen von Vulnerabilität (Verletzbarkeit) und Risikofakto­ren, eine erfolgreiche Bewältigung zu erreichen und trotzdem positiv und zufrieden durchs Leben zu gehen und die psychische Gesundheit aufrecht zu erhalten. Resilienz wird gesteigert durch vertrauensvolle Beziehungen („social support“), eine hohe soziale Unterstützung z.B. eine gute Einbettung im Kreis mit Gleichaltrigen oder Bewältigungs­mechanismen und positiven Erwartungshaltungen. Bei Erwachsenen steht der Fokus auf Rekonfiguration. Das bedeutet im Fall eines Verlustes, erfolgreich damit umzugehen und sich anzupassen (Hoyer & Knappe, 2020). Resilienz lässt sich offensichtlich mit der Selbstwirksamkeit nach Bandura und dem Salutogenese Konzept von Antonovsky über­schneiden. Fröhlich-Gildhoff und Rönnau-Böse (Schweer, 2022) haben Faktoren zusam­mengefasst, die in positivem Zusammenhang mit Resilienz stehen: Selbstwahrnehmung, Selbstregulation, Selbstwirksamkeit, soziale Kompetenz, Problemlöungsfähigkeit und adaptive Bewältigungskompetenzen.

3.4.2.2 Risiko- und Schutzfaktoren der psychischen Gesundheit

Risikofaktoren sind z.B. kritische Lebensereignisse oder mangelnde soziale Unterstüt­zung, welche Einflussfaktoren auf die psychische Gesundheit sind und die Wahrschein­lichkeit, eine psychische Krankheit zu entwickeln, erhöhen. Nach Rutter (1987), können Risikofaktoren aus Kindheit und Jugend wie beispielsweise Veränderungen von Verhal­tensmustern oder dem Selbstkonzept, zu psychischen Störungen im Erwachsenenalter führen. Diese Faktoren stellen immer ein Risiko im Hinblick auf einen spezifischen ne­gativen Entwicklungsverlauf dar und wirken dementsprechend nicht universell. Außer­dem ist der Zeitpunkt des Auftretens eines Faktors dafür entscheidend, wie durch ihn die Entwicklung beeinflusst wird. Ein und derselbe Faktor kann zu einem Zeitpunkt eine schützende und später eine negative Wirkung haben (Schneider & Margraf, 2019, S.28). Mithilfe von Schutzfaktoren können individuellen Ressourcen gestärkt (z.B. Selbstwirk­samkeit) oder günstige Rahmenbedingungen geschaffen werden (z.B. soziales Umfeld), welche das Risiko, eine psychische Störung zu entwickeln, reduzieren können (Rutter, 1987). Schutzfaktoren üben aber erst eine positive Wirkung aus, wenn tatsächlich ein Risiko besteht und haben eine risikomildernde Wirkung. Sie wirken ebenfalls nicht uni- versell, sondern stellen immer einen Schutz vor etwas Bestimmtem dar, dabei ist zu be­achten, dass zum Beispiel ein hohes Bildungsniveau der Eltern oder eine gute körperliche Verfassung, keinen Schutz vor einer Depression bietet (Schneider & Margraf, 2019, S.29). Schutzfaktoren können in kindbezogene und umgebungsbezogene Faktoren aufge­teilt werden. Kindbezogene Faktoren sind angeborene Merkmale (z.B. günstiges Tempe­rament oder überdurchschnittliche Intelligenz) und umgebungsbezogene Faktoren bezie­hen sich auf bestimmte Merkmale der Familie (z.B. enger Zusammenhalt, positive Bezie­hungen, Qualität des Schulsystems) (S.29).

3.4.2.3 Selbstwirksamkeit

Banduras soziale Lerntheorie hat einen zentralen Bestandteil und dieser ist die Selbst­wirksamkeit (self-efficacy) (Bandura, 1986). Sie ist die individuell unterschiedlich aus­geprägte Überzeugung, in bestimmten Situationen, die angemessene Leistung zu erbrin­gen. Selbstwirksamkeit stellt die subjektive Überzeugung von den eigenen Fähigkeiten bei der Organisation und Ausführung von zielgerichteten Handlungen dar, da sie die Wahrnehmung, die Motivation und die Leistung einer Person beeinflussen kann. Wenn schwierige Anforderungen, Konflikte oder Belastungen zu bewältigen sind, ist die Selbst­wirksamkeit eine wichtige persönliche Ressource, auch um die eigenen Kompetenzen abzuwägen. Empirische Untersuchungen zeigen, dass Menschen mit einem starken Glau­ben an ihre eigene Kompetenz, eine größere Ausdauer bei Leistungsanforderungen besit­zen und die Anfälligkeit für Angststörungen und Depressionen niedriger ist (Egger, 2015). Schwarzer spricht von zwei Typen von Erwartungen. Der Selbstwirksamkeitser­wartung (Kompetenzerwartung). Diese beschreibt die Fähigkeit, die sich eine Person zu­schreibt, um ein bestimmtes Verhalten auf Grund von bestimmten Handlungsstrategien, über die sie verfügt oder nicht verfügt, ausführen zu können bzw. nicht ausführen zu kön­nen. Die Handlungs-Ergebnis-Erwartung (Konsequenz-Erwartung), ist eine Wenn-Dann- Beziehung, die zum Ausdruck bringt, welche Konsequenzen das Verhalten wahrschein­lich haben wird (erfolgreich oder nicht erfolgreich) (Schwarzer, 2004).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 4: Vereinfachte Abbildung der sozial-kognitiven Theorie modifiziert nach Bandura (zitiert nach Egger, 2015, S.285)

3.4.2.4 Vulnerabilitäts-Stress-Modell(e)

In diesem Modell werden nach Hautzinger (1998) Prädispositionen (z.B. frühere Belas­tungen, genetische Prädispositionen und akute Stressoren (psychosoziale Bedingungsfak­toren)) unterschieden, welche bei Personen, die gewisse prädisponierende Faktoren be­sitzen und durch akute Stressoren belastet werden (z.B. Stress bei der Arbeit), zum Errei­chen einer individuellen Schwelle führen was wiederum zu einer damit verbundenen af­fektiven Symptomatik führen kann. Manche Menschen haben eine höhere Schwelle als andere und sind daher weniger gefährdet. Dieses Modell kann gut mit Resilienz in Zu­sammenhang gebracht werden und wie flexibel Personen auf Stressoren reagieren. Je nachdem wie hoch die Resilienz ist, wird die beschriebene Schwelle schneller oder lang­samer überschritten. Die psychologischen Vulnerabilitätsfaktoren werden hier als Kern­überzeugungen, Kompetenzdefizite, Bildungsstil und Perfektionismus beschrieben. Als biologische Vulnerabilitätsfaktoren bezeichnet man beispielsweise eine Dysfunktion der Amygdala oder soziale Einflüsse wie zum Beispiel kritische Lebensereignisse, erhöhte soziale Anforderungen oder soziale Traumata. Diese psychischen, biologischen und so­ziale Faktoren haben Einfluss auf die Entstehung, Auslösung und Aufrechterhaltung von psychischen Störungen (Stangier et al., 2009).

3.4.2.5 Stimulusorientierte Stresstheorien

Diese Theorien stellen Listen kritischer Situationsreize zusammen und ordnen diese nach ihrer Stärke des Bewältigungsaufwands (Knoll et al., 2011, S.91).

Holmes und Rahe (1967) sind bekannt für ihre Theorie der kritischen Lebensereignisse (life events theory), in der sie postulieren, dass Lebensereignisse kumulative bzw. ge­häufte Effekte auf die Person zeigen (Morrison & Bennett, 2012, S.291).

Die Wahrscheinlichkeit für gesundheitliche Probleme wird umso größer, desto mehr Le­bensereignisse in einem Jahr passieren. Nach Holmes und Rahe (1967) spielt es auch keine Rolle, ob diese Reize als positiv oder negativ eingeschätzt werden, es sei nur das Ausmaß der Veränderungen, welche die Belastung bestimmen, relevant. Diese Situati­onsstimuli werden kritische Lebensereignisse (critical life events) genannt und können mithilfe einer Skala gemessen werden (SRRS, social readjustemt rating scale). Die Skala enthält eine Liste von 43 kritischen Lebensereignissen der näheren Vergangenheit. Ziel dabei ist es, den mittleren Bewältigungsaufwand pro Stressperiode zu messen. Dabei hel­fen LMU-Werte (sogenannte „Life-change units“) (Holmes & Rahe, 1967).

Holmes und Masuda (1974) definieren Lebenskrisen als milde, mittlere und schwerwie­gende und aus diesen Lebenskrisen entsteht eine Summe, wobei eine schwerwiegende Krise über 300 Punkte beinhaltet. Als Beispiel beinhaltet der Tod des/r Partners/in 100 Punkte und Weihnachten beinhaltet 12 Punkte auf dieser Skala (Morrison & Bennett, 2012, S.292). Kanner, Coyne, Schaefer und Lazarus (Kanner et al., 1981) stellen eine weitere Stresstheorie vor, die davon ausgeht, dass kleine alltägliche Schwierigkeiten (daily hassles) zu Stresserleben führen können (Geldmangel, zu viel Verantwortung etc.) Auf der anderen Seite gibt es auch Freuden des Alltags (daily uplifts), welche das ge­sundheitliche Befinden beeinflussen. DeLongis, Folkmann und Lazarus (1988) entwi­ckelten zur Messung die daily hassles/daily uplifts-Skala, bestehend aus 53 Items zu All­tagsfreuden und Schwierigkeiten mit Bezug auf Sexualität, Partnerschaft, Essgewohnhei­ten, Beruf etc., die das Empfinden von Freude oder Belastung erfassen (Knoll et al., 2011, S.92).

Beide Theorien werden aber auch kritisiert, weil sie individuelle Unterschiede der Wahr­nehmung von externen Stimuli nicht berücksichtigen und die Stressauslöser erst längere Zeit nach dem Auftreten erheben, was zu Verzerrungen führen kann (S.93).

4 Beschreibung des Zusammenhangs von körperlicher Aktivität und psychischer Gesundheit

Folgendes Kapitel beschäftigt sich mit gesundheitsbezogenen Risiken von körperlicher Inaktivität und den positiven gesundheitsbezogenen Konsequenzen körperlicher Aktivi­tät.

4.1 Gesundheitliche Risiken von körperlicher Inaktivität

Bewegungsmangel ist einer der größten Risikofaktoren für die Mortalität nichtübertrag­barer Krankheiten. Weltweit können etwa 9,4% aller Todesfälle rechnerisch ausschließ­lich durch körperlicher Inaktivität erklärt werden, in Deutschland etwa 7,5% (Reimers et al., 2018). Menschen, die nicht ausreichend aktiv sind, haben im Vergleich zu Menschen, die ausreichend aktiv sind, ein um 20% bis 30% höheres Sterberisiko. Vermehrte Inakti­vität kann das Risiko für Adipositas, schlechte kardiometabolische Gesundheit, verrin­gerte Fitness und verkürzte Schlafdauer erhöhen und bei Erwachsenen Krankheiten wie Diabetes Typ 2, Krebs oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen hervorrufen (WHO, 2020b). 13 Krebsarten wurden nachweislich mit körperlicher Inaktivität in Zusammenhang ge­bracht, sowie fast jeder 20. Herzinfarkt oder jeder 12. Dickdarmkrebs in Deutschland. Außerdem erleiden inaktive Menschen häufiger einen Schlaganfall, werden häufiger de­ment und sind häufiger depressiv. Weitere Folgen von Inaktivität können Osteoporose, Erektionsstörungen, Herzinsuffizienz, Fettleber, periphere Durchblutungsstörungen oder Dyslipidämie sein (Reimers et al., 2018).

4.2 Positive gesundheitsbezogene Konsequenzen von körperlicher Aktivität

Menschen, die regelmäßig körperlich aktiv sind, haben seltener Bluthochdruck, sind sel­tener übergewichtig, haben seltener hohe Blutcholesterinwerte oder Blutzuckerwerte als Menschen, die inaktiv sind (U.S Department of health and human services, 1996). Der Blutdruck kann bei körperlicher Aktivität um etwa 3% gesenkt werden, bei erhöhtem Blutdruck noch stärker und die Blutgerinnung wird günstig beeinflusst (Reimers et al., 2018). Durch körperliche Aktivität verbessert sich die muskuläre und kardiorespiratori- sche Fitness, die Knochen- und funktionelle Gesundheit. Es verringert sich das Risiko eines Schlaganfalls sowie das Risiko von Stürzen oder Hüft- und Wirbelkörperfrakturen und hilft dabei, ein gesundes Körpergewicht zu halten (WHO, 2020b). Die Wirksamkeit von Insulin wird durch körperliche Aktivität erhöht, sodass das Risiko an Diabetes Typ 2 zu erkranken sinkt. Ebenso wird die Konzentration von LDL-Cholesterin gesenkt, was das Risiko für koronare Herzkrankheiten reduziert. Auch Kinder und Jugendliche profi­tieren von Bewegung. Sie sind im Schnitt intelligenter und bringen bessere schulische Leistungen. Weitere positive Konsequenzen sind das Senken des Risikos einer Demenz, depressiv zu werden oder an Osteoporose zu erkranken (Reimers et al., 2018). Schon 15 Minuten Bewegung am Tag senken das Mortalitätsrisiko um 14%, jede weitere Viertel­stunde um weitere 4% (Wen et al., 2011). Lipke und Vögele fanden heraus, dass bewe­gungsbedingter Anstieg der Körpertemperatur einen beruhigenden Effekt hat, körperliche Aktivität zu einer erhöhten Endorphin Produktion führt, die Neurotransmission von No­radrenalin, Serotonin und Dopamin erhöht und durch Reduktion der Muskelspannung nach körperlicher Aktivität die allgemeine Entspannung erleichtert wird (Lippke & Vö­gele, 2006)

In Bezug auf die psychische Gesundheit hat sich gezeigt, dass körperliche Aktivität eine positive Wirkung bei Depressionen, Angst und Stress hat und sich positiv auf das Selbst­konzept auswirkt (Schwarzer, 2004). Auch Plante und Rodin (Plante & Rodin, 1990) be­richteten über einen positiven Effekt von körperlicher Aktivität auf das Selbstbild, die Selbstachtung und die Selbstsicherheit. Außerdem erhöht körperliche Aktivität die Le­bensqualität. Aktive Menschen neigen weniger zu degenerativen chronischen Erkrankun­gen und verfügen über einen besseren gesundheitlichen Allgemeinzustand, der mehr Le­bensgenuss ermöglicht. Des Weiteren ist Sport mit der Steigerung des psychischen Wohl­befindens, des Gesundheitsempfindens und der Lebenszufriedenheit verbunden, sodass Sport und Bewegung auch in klinisch-psychologische Behandlungsprogramme integriert werden. Körperliche aktive Menschen haben eine bessere kognitive Leistungsfähigkeit, vor allem hinsichtlich der Gedächtnisleistung bei älteren Menschen. Lipke und Vögele gehen davon aus, dass körperliche Aktivität die Ablenkung von unangenehmen Gedan­ken, Gefühlen und Verhaltensweisen erlaubt und als Belastungspuffer wirkt und da kör­perliche Aktivität dieselben körperlichen Symptome wie Stress (Schwitzen, Herzklopfen) hervorruft, wird durch die häufige Erfahrung diesen Symptoms eine Reattribution erleich­tert. Körperliche Aktivität ist eine Form des Biofeedbacks und ermöglicht eine bessere Regulation vegetativer Erregung und konkurriert mit negativen Gefühlszuständen auf so­matischer und kognitiver Ebene (Lippke & Vögele, 2006).

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Ende der Leseprobe aus 60 Seiten

Details

Titel
Körperliche Aktivität und psychische Gesundheit. Ein systematischer Review
Hochschule
Deutsche Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement GmbH
Note
1,0
Autor
Jahr
2022
Seiten
60
Katalognummer
V1324879
ISBN (Buch)
9783346810182
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Review, psychische Gesundheit, körperliche Aktivität, bachelorarbeit, thesis
Arbeit zitieren
Nancy Schrottge (Autor:in), 2022, Körperliche Aktivität und psychische Gesundheit. Ein systematischer Review, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1324879

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