Gewalt - tätig(e) Männer in der Deutschschweiz

Empirische Untersuchung zur Typologie


Fachbuch, 2009

57 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1. Einleitung
1.1 Zielsetzung

2. Grundlagen zur Männergewalt, Gewaltbegriff und Gewaltformen
2.1 Unterscheidung Gewalt und Aggression
2.2 Der Mann im gesellschaftlichen Kontext
2.2.1 Erziehung von Männern
2.2.2 Vorbilder / Leitbilder
2.2.2.1 Wie das Gehirn lernt
2.2.3 Männerfreundschaften
2.3 Gewaltkreislauf
2.4 Dunkel-, Grau- und Hellfeld
2.5 Kosten Häuslicher Gewalt in Österreich

3. Ort der Tatausführung und Zeitpunkt der Gewalttat
3.1 Ort der Tatausführung bei allen Gewaltausübenden
3.1.1 Ort der Tatausführung bei Tätern bis 20 Jahren
3.2 Anzahl Gewalttaten pro Monat
3.3 Anzahl Gewalttaten pro Wochentag
3.4 Anzahl Gewalttaten pro Tageszeit

4. Angaben zur Straftat
4.1 Einmalige oder mehrfache Gewaltausführung
4.2 Art der Gewaltausführung
4.3 Wer ist Opfer
4.3.1 Wer ist Opfer bei Gewaltausübenden bis 20 Jahren
4.4 Verletzung des Opfers

5. Typologien der Gewaltausübenden (objektive Merkmale)
5.1 Altersstruktur
5.2 Berufliche Tätigkeit / Beschäftigung
5.3 Höchste Ausbildung
5.4 Gesundheitszustand / Suchtmittelkonsum
5.5 Wohnform mit dem Opfer
5.5.1 Zivilstand des Gewaltausübenden
5.6 Anzahl Kinder
5.7 Freizeitbeschäftigung
5.8 Nationalität
5.9 Gründe für die Selbstmeldung bei der Beratungsstelle
5.10 Gründe für die Zuweisung zu einer Beratungsstelle
5.11 Vorbestraft

6. Typologie des Gewaltausübenden (subjektive Merkmale)
6.1 Entschuldigungsgründe für die Tat
6.2 Gefühle des Gewaltausübenden zu Beginn des Beratungsprozesses
6.3 Gefühle des Gewaltausübenden während des Beratungsprozesses
6.4 Trauerprozess des Gewaltausübenden
6.5 Scham des Gewaltausübenden
6.6 Tateinsicht des Gewaltausübenden
6.7 Werte/Normen des Gewaltausübenden
6.8 Rückfälle während des Beratungsprozesses
6.8.1 Rückfälle nach Erstberatung
6.8.2 Rückfälle nach längerfristiger Beratung
6.9 Freundschaften des Gewaltausübenden
6.10 Angaben zur Vaterperson des Gewaltausübenden
6.10.1 Verhältnis zum Vater gemäss Aussagen des Gewaltausübenden
6.10.2 Freizeitbeschäftigung mit dem Vater
6.10.3 Nationalität des Vaters
6.11 Veränderungen während des Beratungsprozesses

7. Erkenntnisse
7.1 Erkenntnisse aus dem Ort der Tatausführung und dem Zeitpunkt derGewalttat
7.2 Erkenntnisse aus den Typologien der Gewaltausübenden (objektiv)
7.3 Erkenntnisse aus der Typologie des Gewaltausübenden (subjektiv)

8. Forderungen

9. Zielerreichung

Dank

Literaturverzeichnis

Ehrenwörtliche Erklärung

Befragungsbogen

Befragte Institutionen in der Deutschschweiz

Vorwort

Im Laufe meiner verschiedensten beruflichen Tätigkeiten und meiner Ausbildung zum Gewalt-berater/Gewaltpädagogen wurde mir bewusst, wie oft Männer Gewalt ausüben. Meistens handel-te es sich um liebevolle und verantwortungsvolle Männer, die in bestimmten Situationen regel-recht explodierten und Gewalt anwendeten oder anwenden, um anschliessend dies zu bedauern und sich dafür zu schämen. In meiner mehrjährigen Tätigkeit habe ich festgestellt, dass diese Män-ner oft angeben, selber keine Erklärung für ihr gewalttätiges Verhalten zu haben. Sie fühlen sich nach der Tat alleine gelassen und hilflos. Es handelte sich um Männer verschiedenster Berufsgrup-pen, Altersklassen, Nationalitäten und Bildungsstände.

- Aber warum schlägt z. B. ein Polizist, ein Vollzugsorgan von Recht und Gesetz, seine Ehefrau?
- Warum schlägt ein hochgebildeter Mathematikprofessor seine Kinder?
- Warum prügelt sich der Bauarbeiter aus Süditalien jedes Wochenende in seinem Stammlokal?

Es scheint auf den ersten Blick keine Typologien gewalttätiger Männer zu geben. Entsprechend äussern sich auch Joachim Lempert und Burkhard Oelemannn, die Entwickler der Gewaltberatung nach Hamburger Modell®, in ihren Publikationen. Dennoch glaube ich aufgrund meiner Berufs-erfahrung und der Arbeit mit Gewaltausübenden Gründe für die Ausübung von Gewalt zu erken-nen. Aber welche?

In meiner Arbeit möchte ich der Frage nachgehen, wo und wann es meistens zu Gewalttaten kommt. Ebenfalls interessiert mich, wie die Straftaten ausgeführt wurden und wer Opfer der Straftaten ist. Zusätzlich möchte ich klären, ob es objektive oder subjektive Typologien gewalttätiger Männer gibt. Ich selber bin überzeugt, dass die Ursache der Gewalttatausübung in der fehlenden Wahrneh-mung und der Verdrängung von sogenannten nicht männlichen Gefühlen zu finden ist. Dies wie-derum hängt mit dem Männerbild und der männlichen Sozialisation zusammen.

Ich habe diese Arbeit bewusst in männlicher Form geschrieben, da es in der Arbeit um männliche Gewalttäter geht.

1. Einleitung

Gemäss den jährlichen Kriminalstatistiken werden zitka 83,5% aller Gewaltstraftaten durch Män-ner verübt (Bundesamt für Statistik, Kriminalität/Strafrecht, Opfer von Straftaten, Opferhilfe, Überblick 2004).

Dabei wurde die Gewalt im Dunkelfeld, welche ich im Kapitel 2.3 erklären möchte, nicht berück-sichtigt.

Es zeigt sich aber auch, dass immer mehr Frauen zuschlagen. Auf diese Tatsache möchte ich in meiner Arbeit jedoch nicht eingehen.

Nach den Erläuterungen zu den Grundlagen der Männergewalt, der Klärung des Gewaltbegriffes, der Gewaltformen und der Hell-, Grau- und Dunkelfelder möchte ich der Frage des Ortes und des Zeitpunkts der Gewaltausübung nachgehen.

In einem weiteren Schritt möchte ich die Anzahl der Art der Gewalttaten, der Frage nach den Op-fern und der Verletzungen des Opfers nachgehen.

Anschliessend möchte ich die Frage klären, ob es objektive Merkmale (z. B. Beruf, Ausbildung, Nationalität, Wohnform) und subjektive Merkmale (z. B. Gefühlswahrnehmung, gesellschaftliches Männerbild) für männliche Gewalttäter in der Deutschschweiz gibt. Gibt es Gemeinsamkeiten, welche Gewalttäter in der genannten Region auszeichnen?

Aufgrund dieser Fragestellung und der erhofften Erkenntnisse lassen sich Massnahmen und Be-ratungsabläufe ableiten, um effektiv und wirksam gegen Männergewalt vorzugehen und den Ge-waltausübenden die notwendige Unterstützung anzubieten.

Um den Beratungsprozess nicht zu behindern, aufgrund der vorhandenen Zeitressourcen und um präzise Angaben zu erhalten, wurde der Fragebogen durch die Berater der ausgewählten Fachstel-len in der Deutschschweiz ausgefüllt. Kritische Stimmen können behaupten, dass die Auswahl der ausgefüllten Fragebogen durch die verschiedenen Berater der Fachstellen subjektiv geschehen ist und keine genauen Auswertungen zulässt. Aber genau der Umstand, dass die verschiedensten Be-ratungsstellen in der Deutschschweiz (Erstberatung bei Häuslicher Gewalt, Bewährungshilfen, Trainingsprogramm des Justizvollzugs Zürich, Fachstellen gegen Gewalt) sich zu den verschiede-nen Fragen äusserten, ergibt für mich in der Auswertung klare Tendenzen, die angeschaut und be-arbeitet werden müssen. Natürlich ist es so, dass aus der Vielzahl der Auswertungen, eine Zusam-menfassung gemacht werden musste. Dennoch können daraus Tendenzen abgeleitet werden.

1.1 Zielsetzung

In dieser Arbeit möchte ich, wie bereits erwähnt, der Frage nachgehen, zu welchem Zeitpunkt und an welchem Ort gewalttätige Männer ihre Tat ausführen. Aus diesen Erkenntnissen lassen sich Be-ratungsinhalte und allenfalls Präventionsmassnahmen ableiten.

Ich möchte ebenfalls prüfen, ob sich Gewalttäter bereits nach der ersten Tat bei einer Beratungs-stelle melden. Zusätzlich interessiert mich die Frage nach dem Opfer (wer), der Verletzung des Opfers und der Art der Tatausführung.

Weiter möchte ich mit der empirischen Umfrage klären, ob es objektive oder subjektive Merkma-le oder Gemeinsamkeiten von gewaltausübenden Männern in der Deutschschweiz gibt. Aus den Erkenntnissen lassen sich wiederum Beratungsmöglichkeiten und Inhalte sowie Forderungen an die entscheidenden Behörden ableiten.

Als weiteres Ziel möchte ich prüfen, in welchem Ausmass es bei längerfristiger Beratung zu er-neuten Gewaltübergriffen durch die gewalttätigen Männer kommt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2. Grundlagen zur Männergewalt, Gewaltbegriff und Gewaltformen

In meiner Arbeit gehe ich vom nachfolgenden Gewaltbegriff des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Mann und Frau aus:

Gewalt verletzt und schädigt die physische, psychische und/oder sexuelle Integrität von Men-schen absichtlich und systematisch. Sie wird individuell und/oder gesellschaftlich ausgeübt und bezweckt die Einübung und/oder Aufrechterhaltung von Dominanz und Herrschaftsverhältnis-sen. Gewalt ist, egal wo sie geschieht, eine Verletzung der Menschenrechte.

Gewalt ist immer ein Handlungsbegriff. Ihr liegt, wie auch immer, bewusste Willensentschei-dung zum Handeln zu Grunde. Die Gewalt ist deshalb durch den Ausübenden selber zu verant-worten und folglich auch zu beenden! Die einzige Ausnahme bilden hier Krankheitsbilder (z. B. Psychosen). Solche Krankheitsbilder müssen medizinisch (Einnahme von Medikamenten) behan-delt werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Gewaltformen können einzeln oder in verschiedenen Kombinationen vorkommen. Ebenfalls kann jede der folgenden Gewaltformen auch Spätfolgen nach sich ziehen, welche kaum mehr vom Gesetzgeber sanktioniert werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Auf die Spätfolgen der Gewalt bei Opfern möchte ich jedoch in dieser Arbeit nicht eingehen.

In den folgenden Ausführungen möchte ich mich mit den verschiedenen Gewaltformen, welche gesetzlich sanktioniert werden, befassen.

Sexualisierte Gewalt

Sexuelle Handlungen, welche unter Einsatz von Drohungen oder Gewalt aufgezwungen werden, gelten als sexualisierte Gewalt. Nachfolgende Straftatbestände können unter sexualisierte Gewalt fallen:

- Art. 187 StGB, Sexuelle Handlungen mit Kindern
- Art. 190 StGB, Vergewaltigung
- Art. 191 StGB, Schändung
- Art. 213 StGB, Inzest
- usw.

Diese Aufzählung ist nicht abschliessend!

So bemerkt Gebert (2006, S. 11) sinngemäss, dass besonders erschreckend ist, dass mehr als die Hälfte der Straftaten (inkl. Notzucht) von nahen Verwandten oder Bekannten ausgeht. Die Dyna-mik bei sexueller Gewalt ist oft verbunden mit massiver Manipulation des Opfers durch den Täter, der Frau und Kind erniedrigt, demütigt und missbraucht. Die Dynamik ist dieselbe wie bei einer Gewalttat. Es geht dabei meistens nicht um die Sexualität, sondern um das Ausüben von Gewalt und die Erniedrigung des Opfers. Männlichkeit definiert sich, wenn auch zunehmend verhüllt, durch sexuelle Potenz. Sexualisierte Gewalt hat aber nichts mit Lust oder Erotik zu tun, sonst könnte der Täter ja in ein Bordell gehen. Sexualität wird von Männern funktional statt emo­tional erlebt. Sexualität wird nicht gelebt, sondern gemacht. Zu dieser Ansicht tragen auch die Me-dien und besonders die Pornoindustrie bei. Deshalb kann ein Mann Sex auch für andere Zwecke instrumentalisieren – zum Beispiel für Gewalt.

Sexuelle Gewalt kann auch mit der hegemonialen Männlichkeit in einem sozialen System zusam-menhängen. Der Mann beherrscht und verfügt über die Frau nach seinem Willen (siehe 2.2.1, S. 20, Lübbert).

Physische Gewalt

Bei der physischen Gewalt handelt es sich um die Delikte gegen Leib und Leben (Art. 111 bis Art. 117 StGB), Formen der Körperverletzungen (Art. 122 bis Art. 126 StGB) und allenfalls um die Delikte Gefährdung des Lebens- und der Gesundheit (Art. 127 StGB), Unterlassung der Not-hilfe (Art. 128 StGB) und weitere Delikte gegen Freiheit und Integrität eines Menschen, welche je nach Situation zur Anwendung kommen können (Gebert, 2006, S. 11.). Beispiele dafür sind:

- mit einem Messer zustossen
- mit einer Faustfeuerwaffe schiessen
- mit den Händen oder Fäusten zuschlagen
- mit einem Gegenstand schlagen oder versuchen zu schlagen
- einen Gegenstand nachwerfen
- ohrfeigen
- Haare reissen
- beissen, würgen
- usw.

Diese Aufzählung ist nicht abschliessend!

Psychische Gewalt

Ausschliesslich psychische Gewalt kennt das StGB (Schweizerisches Strafgesetzbuch) nicht. Dro-hungen (Art. 180 StGB), Nötigungen (Art. 181 StGB), der Straftatbestand der Entziehung von Unmündigen (Art. 220 StGB), die Vernachlässigung von Unterhaltspflichten (Art. 217 StGB) und Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht (Art. 219 StGB) können der psychischen Ge-walt zugeordnet werden. Weiter dürften die Delikte gegen die Ehre und den Geheim- und Privat-bereich der genannten Strafform entsprechen.

Auch Formen der ökonomischen Gewalt (z. B. Verdienst beschlagnahmen, Arztbesuch verweigern, Entziehung von Lebensgrundlagen) fallen unter psychische Gewalt. Es sind entsprechende zusätz-liche Gesetzesvorschriften im Zivilgesetzbuch (Art. 302 bis 311 ZGB und Art. 274 ZGB) zu fin-den. Die Sanktionen müssen auf zivilrechtlicher Ebene, allenfalls durch die zuständige Vormund-schaftsbehörde, durchgesetzt werden.

Die psychische Gewalt kann folgende Handlungen umfassen:

- einen Nachteil androhen
- Gegenstände zerschlagen oder androhe dies zu tun
- jemanden beim Verlassen des Hauses hindern
- jemanden zwingen, etwas zu tun oder zu unterlassen
- Stalking (dauerndes Belästigen)
Diese Aufzählung ist nicht abschliessend!

Auf weitere Gewaltformen (strukturelle Gewalt, Staatsgewalt usw.) möchte ich nicht eingehen.

2.1 Unterscheidung Gewalt und Aggression

Bei der Unterscheidung von Gewalt und Aggression beziehe ich mich auf die Theorien von Joa­chim Lempert und Burkhard Oelemann.

Die Vermischung von Gewalt und Aggression in der Gesellschaft, und hier trägt die Presse das Entsprechende bei, ist fatal. Oft sind Gewalttäter nicht in der Lage, aggressiv zu sein. Sie kön-ne nicht deutlich und klar ihre Grenzen aufzeigen und erkennen, können nicht deutlich ihre Bedürfnisse und Wünsche aussprechen, sondern < schlucken > ihre Gefühle und Verlet-zungen herunter, bis sie < explodieren > . Aggressiv sein bedeutet Grenzen zu setzen, an etwas he-ranzugehen, etwas zu ändern. Aggressiv sein hat auch einen Selbstoffenbarungsanteil, d. h. sich mitzuteilen, seine Grenzen zu zeigen.

Nach dem Kommunikationsmodell von Schulz von Thun wird der Unterschied von Aggression und Gewalt deutlich (Ehrat, 2005, S. 14).

Es unterscheidet vier Ebenen. Aus der Perspektive des aggressiven Mannes kann dieser die vier Ebenen der Kommunikation ausdrücken. Er ist fähig Appell, Beziehungs- und Inhaltsaussagen so-wie eine Selbstoffenbarung zu machen. Der gewalttätige Mann kann oft seine Bedürfnisse und Grenzen nicht äussern. Er macht durch seine Gewalttat nur die Beziehungsaussage < Ich ver-letzte dich > ! (Vergleiche die nachfolgende Tabelle und Aussagen nach Ehrat, 2005, S. 14.)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Joachim Lempert und Burkhard Oelemann präzisieren die Gewalttat und machen im Weiteren fol-gende Unterscheidungen:

Bei der Gewalttat...

- fehlt die Selbstoffenbarung, der Appell und der Inhalt!

- Übrig bleibt die angedrohte oder tätliche Beziehungsaussage: Ich verletze dich!

Als geschichtliche Exkursion und zur Untermauerung dieser These möchte ich die Völker der Maori, der neuseeländischen Ureinwohner, erwähnen. Wenn diese befürchteten, von einem ande-ren Stamm angegriffen zu werden, zelebrierten sie einen furchterregenden Kriegstanz, den Haka. Er diente der Einschüchterung des Gegners und wurde von dramatisch vorgebrachtem Sprechge-sang der Krieger begleitet. Ebenfalls bemalten sich die Krieger furchterregend. Dieses aggressive Verhalten zielte darauf ab, dem Angreifer Stärke, Entschlossenheit und Kampfbereitschaft zu de-monstrieren. Stammeskämpfe blieben dadurch oft aus und der Angreifer zog, ohne dass es zu ge-walttätigen Auseinandersetzungen kam, wieder ab.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

In der Neuzeit zelebriert auch die neuseeländische Ruggby-Nationalmannschaft vor jedem Spiel einen Haka, um den Gegner einzuschüchtern.[1]

2.2 Der Mann im gesellschaftlichen Kontext

Das Männerbild in unserer Gesellschaft kann Männer krank machen. Ein Mann muss stark sein und beschützen können! Er muss immer Herr der Lage sein, aktiv handeln und stark auftreten. Es entspricht dem Männerbild, auch gewalttätig zu sein. Entsprechende Vorbilder sind bereits in der frühsten Jugend vorhanden. Dennoch wird er für die Ausübung der Gewalt verurteilt, was für viele Männer zu einem grossen Konflikt führen kann (Gebert, 2006, S.13). Dem Jungen werden also bereits in frühster Jugend Rollenbilder (gesellschaftlich) auferlegt und/oder er erlernt durch Leitbilder ein Verhalten. Glücklicherweise findet in unserer Gesellschaft ein Umdenken statt. Bedenklich stimmt mich in diesem Zusammenhang, dass Männer häufiger krank sind als Frauen, weniger lange leben, 3- bis 4-mal mehr Suizid begehen, etwa 70% aller Obdachlosen stellen und überdurchschnittlich mehr von Suchtmitteln abhängig sind (speziell Alkohol und illegale Drogen). Ebenfalls treten bei Jungen bis zu achtmal häufiger psychische und psychosomatische Störungen auf und doppelt so viele Jungen wie Mädchen befinden sich in Erziehungsberatungsstellen oder Heimen (Lempert, Aussagen anlässlich Weiterbildung in Stellshagen, am 13.02.2006).

Werden Männer durch die auferlegten Rollen der Gesellschaft und die Ansprüche, die sie sich selber auferlegen, überfordert?

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Lempert/Oelemann erwähnen (1998, S. 30), dass Gewalt eigentlich ein Männerthema ist, sowohl von Opfer- als auch von Täterseite, da sie aber faktisch nicht von Männern, sondern einzig von Frauen als Opfer zum Thema gemacht wird.

Zwei Drittel aller körperlichen Gewalttaten richten sich gegen das eigene Geschlecht; bei Körper-verletzungsdelikten sind 65% der Opfer Männer (gemäss Lempert anlässlich der Ausbildung zum Gewaltberater/Gewaltpädagogen). Die Gesellschaft respektiert Bedrohungsgefühle bei Frauen, jedoch bei Männern aber kaum. Aufkommende (Bedrohungs-)Gefühle müssen durch den Mann wieder verdrängt werden, was erneut eine Überforderung und Selbstverleugnung darstellt.

- Männer lernen also früh, sich nicht wahrzunehmen, ihre Gefühle zu verdrängen!

- Kann dies allenfalls ein Grund sein für das gewalttätige Verhalten von einigen Männern?

2.2.1 Erziehung von Männern

Schwächen haben ist unmännlich. Dies können Gründe sein, dass Männer grösste Probleme mit Nähe und der Offenlegung ihrer Gefühle haben. Ein Knabe weint nicht! Diese Aussagen sind fatal. Selbst in der Beziehung zum Partner zeigen viele Männer grösste Schwierigkeiten, sich zu öffnen und Schwächen oder Probleme zu besprechen. Oft höre ich in Eheberatungen die Aussa-gen, dass der Mann nie zugeben könne, dass er nicht Recht oder dass er ein Problem habe. Viele Männer wollen gegenüber dem geliebten Menschen <<Mann>> bleiben und nicht als Schwächling dastehen (Gebert, 2006, S. 15).

Jungen lernen sehr früh, nicht zu leiden, sondern wegzustecken. Leiden würde bedeuten, den Schmerz, der da ist, wahrzunehmen und ihn auszudrücken. Wegstecken bedeutet das, was da ist, nicht zur Kenntnis zu nehmen und so zu tun, als sei es nicht vorhanden. Das ist eine Abspaltung von Gefühlen (...). Den Schmerz nicht wahrnehmen heisst, die Botschaft, mit der der Körper sagt: <<Hier ist genug!>>, nicht zu hören. Damit nehmen Jungen ihre Grenzen nicht mehr wahr (Müller, 2002, S. 86).

Der Junge lernt also, die Signale seines Körpers zu verdrängen und sich ständig in einem Konflikt zwischen seinem Innern und der Vorstellung vom <<Mann sein>> zu befinden. Das sich dies auf den Gesundheitszustand des Jugendlichen und der Männer auswirkt, lässt sich mit den Krankheits- und Suizidfällen bei Männern belegen (Gebert, 2006, S. 14).

Um ein vollwertiger Mann zu werden, muss auch alles Weibliche völlig abgelehnt werden. Ein Knabe weiss, dass er keine Frau werden wird, weiss jedoch nicht, wie ein Mann ist. Der Vater ist ja häufig abwesend und die Erziehung wird in den ersten Jahren von Frauen wahrgenommen (Mut­ter, Kindergärtnerin, Lehrerin). Er muss also das Weibliche ablehnen, weil es Eigenschaften ent-hält, was das <<Mann sein>> gefährdet (Gefühle zeigen, Angst, Abhängigkeit, Frustration, Unsicher-heit, Zuneigung zeigen usw.) (Lempert/Oelemann, 1998, S. 60 & S. 61).

Jungen wissen nicht, was männlich ist. Sie nehmen an, dass männlich das Gegenteil von weiblich ist. Es fällt ihnen deshalb oft schwer, ihre Gefühle anzuerkennen, da es wenige Männer gibt, die Gefühle akzeptieren. Meistens sieht er nur, wie Frauen und Mädchen zu seinen Gefühlen stehen. Es fällt ihm schwer, über seine Gefühle zu sprechen und diese anzuerkennen. Dabei sind alle Gefühle, die er erlebt, männlich, er als Junge und Mann erlebt diese und es sind seine ureigenen Gefühle.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Beispiel:

In meinem Hobby als Fussballschiedsrichter werde ich oft mit Fouls und Unsportlichkeiten kon-frontiert. Wurde ein Spieler gefoult oder fühlt sich ungerecht behandelt, wird ihm nicht erlaubt, die Enttäuschung oder den Schmerz zu zeigen (auferlegte Rolle). Er wird sogar von den Mitspie-lern, Trainern und Zuschauern aufgefordert, aufzustehen und <<kein Weichei>> zu sein. Oft hat dies zur Reaktion, dass der gefoulte oder enttäuschte Fussballer als Kompensation eine Unsportlich-keit macht oder seinem Gegenspieler <<weh tut>>.

Um dem <<Versagen>> aus dem Weg zu gehen, versuchen Männer und Jugendliche dem Gegenüber aus dem Weg zu gehen. Denn je näher man jemanden an sich heranlässt, desto grösser ist die Ge-fahr, <<ertappt zu werden>>.

Eine andere Möglichkeit, Unsicherheit zu kompensieren, besteht in der Inszenierung massloser Überlegenheit, in Demonstration von Grösse und Erfolg, sei es durch Sprüche, ein schnelles Auto oder Gewalt (Lempert/Oelemann, 1998, S. 58).

- Ist allenfalls das Fehlen von realen männlichen Vorbildern ein Faktor, welcher die Gewalt fördert?

Gewalt ist ein ohnmächtiger Versuch, innere und äussere Konflikte zu vermeiden. (...) Sie dient dazu, Emotionen, die vom Mann mit Schwäche assoziiert werden, an das Gegenüber gleichsam mit einem Schlag zu delegieren. Nicht der Täter, sondern das Opfer ist dann ohnmächtig (Gebert, 2006, S. 15). Diesbezüglich verweise ich auf den Gewaltkreislauf in Kapitel 2.3. Detailliert möch-te ich auf den Gewaltkreislauf nicht eingehen, da dies nicht Thema der Arbeit ist.

Stille und ruhige Kinder werden oft nicht beachtet. Durch Gewalt (etwas beschädigen, jemanden schlagen) kann allenfalls Aufmerksamkeit erlangt werden. Somit ist allenfalls das Ziel, die Auf-merksamkei zu erlangen, erreicht. Dies wird von Knaben und jungen Männern rasch gelernt und praktiziert.

Beispiele:

Mein Neffe, Philipp, lässt, um Aufmerksamkeit zu erlangen, oft Teller zu Boden fallen. Sobald der Teller am Boden zerspringt, steht er sofort im Mittelpunkt und alle Anwesenden nehmen von ihm Kenntnis.

Auch meine zweieinhalbjährige Tochter hat bereits bemerkt, dass sie Aufmerksamkeit erlangt, wenn sie lauthals singt oder Gegenstände herumwirft.

Ebenfalls bedenklich sind die Erziehungsmethoden von vielen Eltern. Für das Fehlverhalten des Kindes, und sei es noch so schlimm, finden die Eltern oft eine Entschuldigung, statt dass das Kind für die Verfehlung die kindgerechten Konsequenzen tragen muss. Das Kind lernt so schon in frühs-ter Jugend, nicht die Verantwortung für das Fehlverhalten zu übernehmen, sondern eine Entschul-digung zu finden. Diese Entwicklung ist, in Bezug auf die Entwicklung gewaltausübender Män-ner, fatal (Gebert, 2006, S. 16). Hier werden Rollen/Verhalten erlernt und übernommen und der Junge allenfalls in seiner Rolle bestätigt.

Das kulturantropologische Konzept der hegemonialen Männlichkeit wurde von Robert W. Con­nell entwickelt und ist inzwischen zu einer Leitkategorie der Geschlechterforschung geworden. Unter hegemonialer Männlichkeit versteht der Autor die Dominanz des Mannes über Frauen und über andere Männer. Dieser Ansatz basiert auf der Grundannahme, dass nicht die biologische Ge-schlechterzugehörigkeit (sex) das Verhalten bestimmt, sondern die geschlechtsspezifische Sozia-lisation, in der Männer- bzw. Frauenrollen (gender) als komplementäre Verhaltensmuster erlernt werden. Geschlecht im Sinne des gender wird immer situations- und kontextabhängig hergestellt und von der Gesellschaft bewertet. Das soziale Handeln der Individuen geschieht im Rahmen der sozialen Strukturen einer Gesellschaft, die als kulturelle und soziale Ordnungs- und Orientierungs-rahmen für das Verhalten dienen. Indem Männer und Frauen Geschlecht bewerkstelligen, repro-duzieren sie die Sozialstruktur und können diese auch verändern. Diese Struktur ist Vorbedingung für soziales Handeln und gleichzeitig nur durch soziales Handeln zu realisieren (Lübbert, 2002, S. 45 & S. 46).

- Kann das Vorhandensein von Vätern in der Erziehung und ein verändertes gesellschaftliches Rollenbild allfälliges Gewaltverhalten von zukünftigen Männern vermindern?

2.2.2 Vorbilder / Leitbilder

Jedes Vorbild hat, wie jeder <<normale>> Mensch, neben seinen Stärken auch Schwächen. Es hat Vor- und Nachteile. Das Leitbild zeichnet sich demgegenüber darin aus, dass alle negativen Sei-ten ausgeblendet werden (Lempert/Oelemann, 1998, S. 54). Viele Jugendliche haben Leitbilder aus dem TV, von DVDs oder Games. Die Leitbilder sind erfolgreich, beliebt, anerkannt und wer-den für die Gewalt nicht zur Rechenschaft gezogen. Die Gewalt ist sogar ein Mittel, um zum Er-folg zu kommen. Diese Heldentaten sind durch reale Männer nicht zu erreichen und jeder Mann ist im Vergleich ein Verlierer.

Insoweit bietet das Leitbild keine Hilfe oder Handlungsweisen, es stiftet eher Verwirrung und ein Gefühl von eigener Unzulänglichkeit. (...) Männer scheitern also nicht an <<falschen>> Idealen, son-dern an deren Unerreichbarkeit (Lempert/Oelemann,1998, S. 54/55). Jeder Versuch, dieses Ideal-bild zu erfüllen, stellt eine Überforderung dar und so ist der Junge zum Scheitern verurteilt (Ge-bert, 2006, S. 17).

Gebert (2006, S. 17) bemerkt, dass Jungen kaum reale und keine gelebten Vorbilder haben. Sie klammern sich oft an fiktive Ideale, wie z. B. die Helden in den Actionfilmen. Nicht der Schau-spieler als Person, sondern die von ihm verkörperte Figur steht im Mittelpunkt. Jungen schlüpfen beim Spielen in die Figur des Helden und fühlen sich auch so. Sie sind nicht mehr der Junge, son-dern Batman, Spiderman usw. Es werden einerseits von Seiten des Managements des Schauspie-lers, andererseits vom Jungen selber die schwachen Seiten des Idols ausgeblendet.

Beispiel:

Jungen schlüpfen beim Spielen oft in Rollen eines Helden. In dieser Rolle reden sie anders, sind oft mutiger und wagen auch unangenehme Sachen anzusprechen und zu fordern. So kann ich mich an meine eigene Jugend erinnern, als wir uns Batman-Kostüme fertigten und mit diesen die wag-halsigsten, Sprünge und Klettertouren unternahmen.

Zweifellos nimmt das Lernen am Modell eine wichtige Rolle ein. Umso wichtiger ist es nach mei-ner Ansicht, welche Rolle der Vater zu Hause einnimmt. Viele Väter versuchen bewusst bestimm-te Seiten von sich gegenüber dem Sohn zu unterschlagen. So ist der Vater müde von der harten Ar-beit und nicht wegen der Überforderung oder dem Verschleiss. Der Vater ist auch nie traurig und verzweifelt. Meistens ziehen sich Väter bei Problemen zurück und die Söhne erfahren keine schwa-chen Seiten des Vaters. Dies ergibt für den heranwachsenden Jungen das Bild: Papa kann alles – ein Mann kann alles – irgendwann muss ich auch alles können. (Gebert, 2006, S. 17).

Können Väter, welche ihren Söhnen Gefühle vorleben und zeigen, zur Verhinderung von späteren Gewalttaten beitragen?

Für einen Mann oder Jungen gibt es nur die Alternative zwischen <<Held>> und <<Hasenfuss>> (Lem-pert/Oelemann, 1998, S. 58). Dies führt zwangsläufig zu einer Überforderung des jungen Mannes und gibt ihm das Gefühl, ein Versager zu sein – kein Mann zu sein. Hier könnten Väter von heran-wachsenden Jugendlichen helfen, Selbstzweifel zu relativieren, indem sie Schwächen, Ängste, Niederlagen usw. eingestehen (Gebert, 2006. S. 17 & S. 18).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2.2.2.1 Wie das Gehirn lernt

Leitbilder stammen, wie erwähnt, oft aus Computerspielen und TV-Sendungen. Hier stellt sich die Frage, <<wie das Gehirn Gewalt lernt>>.

- Kann das häufige Konsumieren von Gewaltspielen oder Gewaltfilmen gewalttätiges Handeln verstärken?

Dass Gewalt auf dem Bildschirm negative Auswirkungen hat, dazu liegen viele Daten vor. Noch weitgehende Unklarheit herrscht hingegen darüber, wie das Gehirn diese im Detail verarbeitet und wie es zum beobachteten kurz- und längerfristigen erhöhten Aggressionspegel kommt. Experten sind der Meinung, dass hierbei auf jeden Fall Lerneffekte eine Rolle spielen. Wie diese jedoch auf zellulärer Ebene verankert sind, darüber ist wenig bekannt. Zurzeit geht man davon aus, dass durch ähnliche oder identische Situationen immer dieselben Informationen über die Sinnesorgane ans Gehirn weitergeleitet und dort von jeweils spezifischen, immer gleichen Nervennetzwerken bear-beitet werden. Je öfter derselbe Imput kommt, desto stärker werden die jeweiligen Netzwerke, ver-muten die Fachleute. Je häufiger also Gewalt als Problemlösung beobachtet oder im Spiel einge-setzt wird, desto stärker wird im Gehirn die Verknüpfung zwischen den beiden. Stehen dann die Fernseh- oder Computerspielkonsumenten im realen Leben vor einem Konflikt, so die Hypothe-se, greift das Gehirn auf die verfestigten, <<vorgebahnten>> Netzwerke und damit auf Gewalt als Problemlösung zurück (Lahrtz, 2008, NZZ).

Die vorgenannte Hypothese untermauert, wie wichtig reale Vorbilder mit Stärken und Schwächen sind, wie wichtig ein realer Vater respektive eine männliche Bezugsperson in der Sozialisation eines heranwachsenden Jugendlichen ist.

[...]


[1] Videos über Hakas sind auf YouTube anzuschauen. Weitere Informationen sind auch in Wikipedia zu finden.

Ende der Leseprobe aus 57 Seiten

Details

Titel
Gewalt - tätig(e) Männer in der Deutschschweiz
Untertitel
Empirische Untersuchung zur Typologie
Autor
Jahr
2009
Seiten
57
Katalognummer
V132994
ISBN (eBook)
9783640438129
ISBN (Buch)
9783640437993
Dateigröße
2597 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Arbeit vervollständigt nach der Abgabe als Masterarbeit
Schlagworte
Gewalt, Männer, Deutschschweiz, Empirische, Untersuchung, Typologie
Arbeit zitieren
MAS Markus Gebert (Autor:in), 2009, Gewalt - tätig(e) Männer in der Deutschschweiz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/132994

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