Holocaust im stalinistischen Regime


Hausarbeit, 2003

24 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einführung

1 Jüdisches Leben unter Stalins Terrorherrschaft
1.1 Jüdische Autonomie in Birobidshan
1.2 Kein „jüdisches Problem“ oberflächlich

2 Der Beginn des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion (1941)

3 Die Verfolgung der Juden nach dem Zweiten Weltkrieg

4 Der Einfluss der stalinistischen Haltung in der „jüdischen Frage“ auf die sowjetische Literatur
4.1 Die Darstellung der jüdischen Thematik und des Holocaust in der sowjetischen Literatur
4.1.1 Grossman und Ehrenburg „Schwarzes Buch“
4.1.2 Grossman „ Die Hölle von Treblinka“
4.1.3 Margarita Aliger „Dein Sieg“
4.1.4 Evgenij Evtusenko „Babij Jar“ und „Stalins Erben“

Schluss

Literaturverzeichnis

Einführung

Das Thema des Holocaust wird aus verschiedenen Blickwinkeln diskutiert und bleibt trotz allen Untersuchungen und Vermutungen ein Geheimnis. Man fragt sich immer noch, wie es zu solchen Ereignissen der Geschichte kommen konnte. Wenn man das Wort Holocaust hört, dann denkt man gleich an die Opfer, die unter Hitler umgekommen sind. Es gab aber auch Opfer der Stalindiktatur. Diese Ereignisse werden auf dem Territorium der ehemaligen Sowjetunion bis jetzt verschwiegen.

In den ersten vier Punkten dieser Hausarbeit wird die Vernichtung der Juden, während der Terrorherrschaft Stalins beschrieben. Es wird die objektive Situation der dreißiger und vierziger Jahren dargestellt und die Ursachen der Judenvernichtung festzuhalten.

Ab dem vierten Punkt wird der Einfluss der stalinistischen Haltung in der „jüdischen Frage“ auf die sowjetische Literatur hin untersucht. Die bedeutenden Werke der sowjetischen Schriftsteller wie „Schwarzbuch“, „Die Hölle von Treblinka“, „Dein Sieg“, „Babij Jar“ und „Stalins Erben“ werden hier analysiert. Zuletzt werden die Einflüsse des stalinistischen Regimes in diesen Werken offensichtlich gemacht.

1 Jüdisches Leben unter Stalins Terrorherrschaft.

Wenn man das Wort Holocaust hört, denkt man zuerst an die Juden, die durch Nazis getötet wurden. Die Opfer unter der sowjetischen Regierung in den vierziger Jahren werden meistens verschwiegen. Ein Drittel der Juden, die während des Holocaust getötet wurden, wohnten in der Sowjetunion. Anderthalb Millionen sowjetischer Juden wurden durch Nazis getötet und 200.000 sind im Krieg gefallen. Die restlichen Opfer waren Juden unter der sowjetischen Regierung in 1939-40, nach dem Schluss des Hitler-Stalin-Paktes.

Der Antisemitismus auf dem Territorium der Sowjetunion hat schon viel früher angefangen. Markantes Signal für neue Akzente in der Nationalpolitik Stalins war die Auflösung der Jewsekzija und der Parteisektionen anderer Nationalitäten ohne eigenes Territorium im Jahre 1930.

Stalins Standpunkt war: „Die Juden seien vor allem deshalb keine Nation, weil sie keine Bauernschicht hätten. Seine Losung war: „Werdet Bauern, dadurch erwerbt ihr das Recht einer Nation. Der Sowjetstaat bot den Juden „großzügig“ eine Chance, wobei von vornhinein einkalkuliert war, dass ein Scheitern der Agrarisierung und ein Sieg der Assimilierung die „zionistischen“ Bestrebungen ein für allemal diskreditieren würde. (vgl. Lustiger 1998: 78)

Auch nach der Auflösung der Jewsekzii galten Juden innersowjetisch als Nation. Als Inlandspässe eingeführt wurden, trug man jedem Jude - ob er dies wollte oder nicht - seine nationale Zugehörigkeit (jewrej) in die Papiere ein.

„Der Stalinismus schlug also in zweifacher Form auf die Juden ein: jenen, die sich assimilieren wollten, zwang er ein untilgbares Stigma auf, und jenen, die nationale jüdische Formen behalten wollte, wurde dies unmöglich gemacht.“ (Lustiger 1998: 81)

Die jüdische und hebräische Blüte der Kultur und der Literatur in den zwanziger Jahren ging zu Ende. Dichter und Schriftsteller wie Issak Babel, Ossip Mandelstam, Boris Pasternak, Eduard Bagrizki, Wassili Grossman, Ilja Ilf wie auch die zeitweise emigrierten Schriftsteller Ilja Ehrenburg, Viktor Schlowski oder Wladislaw Chodasewisch, die Kinderbuchautoren Lew Kassi und Samuil Marschak und die Lyriker Swetlow, Samejlow, Sluzki, Kogan sowie nicht zuletzt der Nobelpreisträger Jossif Brodski haben die russische Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts durch große Werke bereichert.

In den Jahren zwischen der Ermordung Kirows 1934 und dem Großen Terror mit den Schauprozessen 1937/38 wurden alle Errungenschaften des kulturellen und gesellschaftlichen Aufschwungs der zwanziger Jahre ausgelöscht. Ein Beispiel dafür ist das „Massensterben“ der Presse in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre, selbst zum Teil eigens zur Propagierung der Parteipolitik unter den Juden aufgebaute Zeitungen und Zeitschriften wurden viele Jahre dezimiert. Zug um Zug liquidierten die Organe jüdische Institutionen, Verlage und Kultureinrichtungen. Oft wurden sie geschlossen, weil man alle ihre Mitarbeiter verhaftet hatte. Auch die jiddischen Schulen außerhalb Birobidshans und das Kiewer Institut für Jüdische Kultur fielen diesem Kahlschlag zum Opfer.

Die Judenverfolgungen Ende der dreißiger Jahre basierten nicht auf einer expliziten antisemitischen Propaganda oder Hetze. An den Denunziationen und öffentlichen Angriffen auf die „nationalistischen Abweichler“ beteiligten sich auch jüdische Kommunisten, die trotz ihrer Dienste häufig selbst Opfer der Säuberungen wurden.

Molotow äußerte seine Meinung über Stalin: „ [...] Stalin war kein Antisemit, wie manche bisweilen suggerieren. Er registrierte am jüdischen Volk viele Eigenschaften: Tüchtigkeit, Geschlossenheit, politische Aktivität. Sie sind ganz sicher aktiver als der Durchschnitt. Deshalb gibt es solche, die sehr leidenschaftlich in eine Richtung tendieren, und solche, die leidenschaftlich in die andere gehen.[]“ (Lustiger 1998: 90)

Im Gegensatz zu Deutschland zur selben Zeit gab es in der Sowjetunion keine Anordnung Juden festzunehmen. Hunderttausend Sowjetbürger gerieten in die Fänge des NKWD, weil ihre Verwandte ins Ausland verreisten, weil sie in den zwanziger Jahren Westeuropa bereisten oder in Spaniens Bürgerkrieg mitgekämpft hatten oder sich vor der Revolution in anderen Parteien engagiert hatten. Neben anderen Vorwürfen traf der letzte auf die Juden stärker zu als auf die anderen nationalen Minderheiten. Da Juden auch in der KpdSU überproportional vertreten waren, standen sie im Verdacht, irgendwann mal Ansichten der „trotzkistischen“ Fraktion vertreten zu haben. Weitere Abweichungen waren „Bundismus“, „jüdischer Nationalismus“, „Zionismus“.

Das sowjetische System hat den Faschismus dem Zionismus gleichgestellt. Die Anhänger des Zionismus wollten einen eigenen Staat in Palästina gründen.

1.1 Jüdische Autonomie in Birobidshan.

Später wurden auch jüdische Politiker in Birobidshan vernichtet. Der Traum von der jüdischen Autonomie existierte nur kurze Zeit.

Birobidshan befindet sich weit im Osten an der chinesischen Grenze, wo die Flüsse Bira und Bidshan in den Amur münden. Im Jahre 1927 überlegte sich die Sowjetführung in diesem Gebiet die Juden anzusiedeln. Die Ansiedlung von Juden versprach daher, drei Probleme mit einem Schlag zu lösen: Eine Grenzregion würde besser gesichert, und dem Streben vieler Juden nach einem „eigenen“ Territorium könnte begegnet werden, ohne in Konflikte mit einer bereits ansässigen Bevölkerung zu geraten. Birobidshan ist ein Gebiet mit katastrophalen Verhältnissen: ewig gefrorener Unterboden, Sumpfgebiete, Insektenplage, Überschwemmungen, langdauernde Fröste von minus vierzig Grad, kulturelle Abgeschiedenheit. Es gab nicht so viele jüdische Übersiedler wie man erwartet hatte. 1930 betrug der Anteil der Juden in dem Gebiet 8 Prozent, die Mehrheit waren Russen, auch zahlreiche Koreaner lebten dort, 1933 siedelten trotz materieller Anreize nicht mehr als 3000 Menschen um, ursprünglich wollte man 25 000 gewinnen. Trotz des äußerst mäßigen Zuspruchs innerhalb der Sowjetunion wie auch im Ausland, wurde Birobidshan am 7. Mai 1934 zum Autonomen Jüdischen Gebiet ernannt. Der Anteil der jüdischen Bevölkerung lag damals bei unter 15 Prozent. Nach Kalinins Worte war die Schaffung Birobidshan die einzige Möglichkeit die jüdische Nationalität zu entwickeln. Außerhalb der Region war der Erhalt der jüdischen Kultur nicht erwünscht.

Zur Zeit Stalins wurde die gesamte Führung des Autonomen Gebiets ermordet. Der Anfang der Vernichtung der jüdischen Kommunisten war der August 1936 – die Tage des Sinowjew-Prozesses. Es kann natürlich niemand genau die Zahlen der unter der Stalindiktatur ermordeten jüdischen Kommunisten nennen. Die bekanntesten ermordeten jüdischen Kommunisten waren: Liberberg, Chawkin, Katel, Gelder, Apschin, Riskin, Ja.Lewin, Schwarzberg, Schweinstein, Guberman, Chasbiski, Lapizki, Idow. Von den 51 Mitgliedern des Gebietskomitees überstanden ganze sechs das Jahr 1937. (vgl. Lustiger 1998: 85)

1.2 Kein „jüdisches Problem“ oberflächlich.

Oberflächlich gab es in der Sowjetunion kein „jüdisches Problem“ mehr. Die Instinkte der Selbsterhaltung trieben viele Juden in den dreißiger Jahren zur Assimilierung voran. In Verwaltung, Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft waren Angehörige der zweiten Generation sehr stark vertreten, nicht wenige nahmen bedeutende Positionen ein. Ärzte, Gelehrte und Künstler zählten zur Elite und genossen großes Ansehen. Stalin hatte 1931 in einem schriftlichen Interview für die Jüdische Telegraphen-Agentur erklärt: „[...] Der Antisemitismus als extremste Form des Rassenchauvinismus ist der gefährlichste Überrest des Kannibalismus. [...] Darum sind die Kommunisten als konsequente Internationalisten unversöhnliche und geschworene Feinde des Antisemitismus. In der UdSSR wird der Antisemitismus als eine der Sowjetordnung zutiefst feindliche Erscheinung vom Gesetz aufs strengste verfolgt. Aktive Antisemiten werden nach den Gesetzen der UdSSR mit dem Tode bestraft.“(Lustiger 1998: 87)

Diese Äußerung wurde 1936 erstmals in der Sowjetpresse publiziert. Molotow, der Soldat der bolschewistischen Revolution, war seit 1930 Vorsitzender des Rats der Vollkommissare. Er zitierte Stalin in einer Rede über die neue Verfassung. Der Mann, der den Großen Terror bis zum Ende seines Lebens als notwendige Säuberungsmaßnahme bewertet hat, während einer Nacht die Todesurteile von

3187 Menschen unterschrieb, sich anschließend mit Stalin Wildwestfilme ansah und selbst seine jüdische Frau nicht vor dem Gulag schützen konnte, verurteilte nicht nur den Antisemitismus, sondern stimmte ein Loblied auf die Juden an.

„ [...] Unsere Gefühle sind dadurch bestimmt, dass das jüdische Volk in einer Reihe mit den entwickeltsten Nationen eine große Zahl der hervorragendsten Vertreter von Wissenschaft, Technik und Kunst stellte, viele ruhmreiche Helden des revolutionären Kampfes gegen die Unterdrücker der Werktätigen stellte und in unserem Land wieder und wieder neue herausragende, höchstbegabte Leiter und Organisatoren in allen Zweigen unseres Aufbaus und des Schutzes der Sache des Sozialismus hervorgebrachte und hervorbringt. [] „(Lustiger 1998: 88)

Die Adressaten dieser projüdischen Aussagen waren nicht die Bürger der Sowjetunion, sondern einzig und allein die Staaten des Westens, denen sich die Sowjetunion als Bündnispartner gegen den Faschismus empfehlen wollte.

Es gab auch die Hasskampagnen gegen die „trotzkistischen Schädlinge“. Es wurde selten direkt auf deren Herkunft verwiesen, aber die antisemitischen Anspielungen waren nicht zu übersehen. „Der Vorwurf, die „Volksfeinde, die „Judasse“, verschacherten die Heimat und das Blut der Werktätigen, wurde ebenso zum Stereotyp wie die Unterstellung eines Geheimbündnisses der „Trotzkisten“ mit den Nazis.“ (Lustiger 1998: 88) Stalin selbst hat viele jüdische Opfer des Terrors als „Agenten der Gestapo“ bezeichnet. Danach folgten die Schauprozesse geprägt von latentem Antisemitismus. Sehr viele Bolschewiki der alten Garde, die 1936 und 1938 wegen der absurdesten Beschuldigungen vor Gericht standen, waren jüdischer Herkunft, allein im Prozess gegen Sinow und Kamenew, waren 11 von 16 Angeklagten Juden.

In den dreißiger Jahren wird die Sowjetmacht in den öffentlichen Massenmedien, in Schulbüchern, in der Literatur und im Film immer öfter als Krönung der russischen Geschichte dargestellt. Alle nationalen Minderheiten wie auch Juden leideten darunter. Fast alle noch bestehenden jüdischen Kulturinstitutionen wurden geschlossen, auch die mehr als 700 Schulen, an denen Jiddisch Unterrichtssprache war. Nach dem Bericht der Witwe von Perez Markisch, schlug die Redaktion ihrem Mann und anderen jüdischen Autoren vor ihre Namen zu ändern, damit sie typisch russisch klängen.

Die nächste Maßnahme Stalins war den diplomatischen Dienst „judenfrei“ zu machen. 1939 ordnete Stalin an, den Anteil in den einzelnen Nationen zu überprüfen. Die Tage der angepassten, russisch assimilierten jüdischen Intelligenzija, deren Vertreter dem Sowjetstaat treue Dienste geleistet hatten, waren gezählt. Trotz der zaristischen Säuberungen waren die Juden in vielen Schlüsselbereichen oft stark vertreten.

„ Die zitierten philosemitischen Äußerungen von Stalin und Molotow bildeten die Fassade neuer antisemitischer Aktionen, mit denen Stalin zugleich das Naziregime beschwichtigen wollte, da er Ende der dreißiger Jahre befürchtete, Hitler könnte mit den westlichen Demokratien ein Komplott gegen die Sowjetunion schmieden.“ (Lustiger 1998: 90).

Die Entlassung Litwinows aus dem Amt als Außenminister am 5. Mai 1939 wurde weltweit als „antijüdische“ Geste Stalins gedeutet. Winston Churchill schrieb in seiner Geschichte des Zweiten Weltkrieges: „Litwinows Entlassung bedeutet das Ende einer Epoche. Der Kreml verriet damit, dass er jedem Glauben an einen Sicherheitspakt mit den Westenmächten und an die Möglichkeit einer Ostfront gegen Deutschland aufgab. (...) Der Jude Litwinow hatte das Feld geräumt, und Hitlers hauptsächlicher Stein des Anstoßes war beseitigt.“ Nach dem 10.Mai 1939 begann die neue Verfolgung gegen Angehörige des diplomatischen Dienstes. Berija ließ Litwinows engste Mitarbeiter verhaften.

2 Der Beginn des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion (1941).

Im Jahre 1939 schlossen Hitler und Stalin einen Pakt zur geheimen Aufteilung Europas. Der Sowjetunion fielen somit Ostpolen, Weißrussland und Rumänien zu. Das bedeutete weitere 3 Millionen jüdischer Einwohner unter der Herrschaft Stalins. Ferner gab es viele jüdische Emigranten z.B. aus Deutschland, wo der von Hitler geschürte Hass auf die Juden bereits um sich griff.

Der Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 war ein gezielter Angriff auf die dort lebenden Juden. Stalin war in erheblichem Maße für die Fehleinschätzungen verantwortlich, die nach dem deutschen Einmarsch im Juni 1941 zu den militärischen Katastrophen in den Jahren 1941 und 1942 führten. Hitlers Ostkrieg sollte den Wahn vom „deutschen Imperium im Osten“ erfüllen, der bereits zur Kaiserzeit entstanden war. Millionen deutscher Soldaten wurden mit der Aussicht in den Eroberungskrieg geschickt, aber schon gleich nach der Besatzung polnischer Gebiete stifteten sie Pogrome an und begannen mit der Gettoisierung der polnischen Juden. Maßnahmen zur Ausrottung der Juden wurden erst im Verlauf des Jahres 1941 gezielt geplant und umgesetzt. Der Krieg gegen die Sowjetunion war von vornherein zum einen durch die „Endlösung“ der Judenfrage motiviert und zum anderen durch die Eroberung von „Lebensraum“ für die „germanischen“ Siedler. Letzteres schloss die Vernichtung der vorwiegend slawischen Bevölkerung mit ein.

„ Die Einsatzgruppen von Reichsseite setzten den Mordauftrag sogleich gemeinsam mit der örtlichen ukrainischen, weißrussischen oder litauischen Miliz um. Während für die SS und die NS-Führung beim Angriff auf die Sowjetunion die endgültige Vernichtung der Juden Priorität besaß, orientierte sich die Wehrmacht stärker auf den Antibolschewismus als auf den Antisemitismus.“ (Lustiger 1998: 116)

Die sowjetische Besatzung von westlichen Gebieten hat eine tragische totale Spaltung der Interessen und Wahrnehmungen von Juden und Nicht-Juden verursacht. Das antisemitische Regime in den dreißiger Jahren hat das Leben der Juden unerträglich gemacht. Amerika und Palästina waren für die Emigration geschlossen und die Situation in Polen, Rumänien, Lettland und Litauen war ebenfalls nicht besser. Der Einmarsch der Roten Armee hat den Juden Hoffnung gegeben, denn sie hatten sowjetische Truppen als Befreier betrachtet. Ganz umgekehrt war das in Polen, baltischen Staaten und Rumänien. Diese Staaten betrachteten die Rotarmisten als Eindringlinge. Man nannte Juden in diesen Ländern Verräter des Landes. In diesen Ländern hat man die deutsche Armee als Befreier angesehen, die die einheimische Bevölkerung von der sowjetischen Unterdrückung retten wird. In den ersten Tagen der deutschen Besatzung wurden z.B. durch eine litauische Gruppe 5000 Juden getötet.

Drei Millionen deutscher Truppen marschierten in die Sowjetunion ein. Die Nazis hassten Bolschewiks und Juden, und sie stellten für die Nazis das gleiche. Die Nazis wollten das jüdisch-bolschewistische System zerstören. Im Lauf der fünf Monate des Krieges vornehmlich im Baltikum und Bessarabien wurden durch 3000 Mann starke Spezialeinheiten der SS und der Polizei mit Unterstützung von 170 mobilen Polizeibataillonen, die mehrheitlich aus einheimischen Freiwilligen, Balten, Ukrainern, Russen, Kosaken, Belorussen, Tataren und anderen Nationalitäten bestand, eine halbe Million Juden vernichtet.

Die offiziellen statistische Daten über die ermordeten und umgekommenen Juden in der UdSSR fehlen. Auf den Gebieten, die zur Sowjetunion in 1939-40 annektiert wurden, wohnten viele Juden. In Litauen, außer Vilnjuskrai, - 150000, in Lettland – 95000, in Estland – 5000, in der Westukraine und in der Westweißrussland – 1270000, in Bessarabien und Nordbukovina – 325000, also insgesamt – 1845000. Wenn man noch dazu 200000 Juden nimmt, die aus Polen in 1939 geflohen sind, weil dort schon die deutsche Armee einmarschiert war, dann waren es insgesamt 2150000 Juden, die in den annektierten Gebieten wohnten. Wegen des schnellen Einmarsches der deutschen Soldaten, konnten nur wenige fliehen. Man nimmt an, dass es nur 10 - 12 % der jüdischen Bevölkerung gelungen ist, die restlichen 2-3% waren die Juden, die von Stalin vor dem Anfang des Krieges vertrieben oder gewaltsam übersiedelt waren. Die Zahl der Juden, die bis zum 22 Juni 1941 in der Sowjetunion wohnten und keine Möglichkeit zum Fliehen hatten, war ungefähr 2750000 – 2900000.

Mitte Mai 1941 lag eine Richtlinie für das Verhalten der deutschen Truppen in Russland vor, in der es heißt: „Der Kampf gegen den Todfeind Bolschewismus verlangt rücksichtsloses und energisches Durchgreifen gegen bolschewistische Hetzer, Freischärler, Saboteure, Juden und restlose Beseitigung jeden aktiven und passiven Widerstands.“ Das „Durchgreifen“ bedeutete, dass Juden – ungeachtet von Alter, Geschlecht, persönlichem Verhalten usw. – prinzipiell zum Feind deklariert und als solcher zur Vernichtung freigegeben wurden. (vgl. Lustiger 1998: 116)

Da die Juden aus den Westgebieten der Sowjetunion nicht gezielt evakuiert wurden und von September 1939 bis zum 22. Juli 1941 jede öffentliche Deutschlandskritik untersagt war, brach die Vernichtung oft ahnungsloser Opfer herein. Der Antisemitismus der Nazis war dem sowjetischen Volk nicht bekannt. Nur die „Reichskristallnacht“ wurde 1938 in der Sowjetpresse thematisiert. Wenn man den Antisemitismus überhaupt in der Presse erwähnt hatte, dann betrachtete man ihn als Täuschungsmanöver:

„Hitler wolle sich mit dem Angriff auf die Juden vor den Arbeitern als „Antikapitalist“ präsentieren, hinter den Kulissen werde er aber von der jüdischen Bourgeoisie mitfinanziert.“(Lustiger 1998: 117)

Die deutsche Besatzung hat den ukrainischen Juden im Vergleich zu marodierenden Banden unter ukrainischen Fahnen am Ende des Ersten Weltkrieges relative Sicherheit gebracht. Als die Deutschen 1941 mit dem Schild „Umsiedlung“ kamen, glaubten viele Juden an Umsiedlung. Am 29. und 30. September wurden in der Schlucht von Babi Jar 33771 Juden exekutiert. Die Anzahl der Ermordeten nahm in den folgenden Wochen um weitere Zehntausende zu.

Die einheimische Bevölkerung wurde zum Mittäter der Massenmorde. Einzelne Einheiten der Wehrmacht nahmen aktiv an den Exekutionen teil, viele andere leisteten den Einsatzgruppen logistische und organisatorische Hilfe. Wie in Minsk wurden Ghettos allein von der Wehrmacht eingerichtet.

Von der deutschen Seite wurde eine große Propaganda durchgeführt. Im Februar 1941 wurden Flugblätter mit dem Kontext: „die Zerschlagung des „Jidden-Kommunismus“ durch die deutschen Befreier“, an die eigenen Truppen und an die russische Bevölkerung verteilt. Während die Wehrmacht in Litauen, Galizien und anderen Gebieten, die seit 1939 von der Sowjetunion annektiert worden waren, Pogrome der einheimischen Bevölkerung initiierte, nahm die nichtjüdische Bevölkerung im sowjetischen Kernland nicht freiwillig an antijüdischen Aktionen teil.

[...]

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Holocaust im stalinistischen Regime
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg  (Slavisches Institut)
Veranstaltung
Holocaust und Sowjetliteratur
Autor
Jahr
2003
Seiten
24
Katalognummer
V135854
ISBN (eBook)
9783640464067
ISBN (Buch)
9783640461240
Dateigröße
543 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Holocaust, Regime
Arbeit zitieren
Magister Antonina Funk (Autor:in), 2003, Holocaust im stalinistischen Regime, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/135854

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