Im Licht der umfangreichen literaturwissenschaftlichen Forschungsvielfalt zu beiden Werken Benns lassen sich folgende Fragen stellen: Wie werden ekelerregende Szenarien geschildert? Welchen Beitrag leisten die Hauptfiguren zur Darstellung solcher Szenen? Wie wirkt sich die besondere Haltung der Protagonisten auf das Lesepublikum und dessen Wahrnehmung der Ekelszenen aus? Zusammenfassend formuliert: "Ist der Ekel ausschließlich auf die körperliche Sphäre beschränkt oder geht er darüber hinaus?"
Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, diese Fragen zu beantworten, während von folgender These ausgegangen wird: Gerade im Kontrast zwischen den ekelerregenden Situationen und dem Apathie- bzw. Gleichgültigkeitszustand der Hauptfigur wird das Ekelgefühl des Lesers verstärkt, und zwar insbesondere durch die Zerstörung bzw. Umwertung der moralischen Werte, die konventionell – und epochenbedingt – mit dem Tod und dem Respekt vor den Verstorbenen verbunden sind.
Zu diesem Zweck orientiert sich die vorliegende Arbeit grundlegend an der Rezeptionsästhetik, besonders durch einen wirkungstheoretischen Ansatz, indem diese Methode allerdings in den ersten zwei Kapiteln durch eine Strukturanalyse eingeführt wird. Im ersten Kapitel wird die Schilderung ekelerregender Situationen in beiden Werken unter die Lupe genommen, da das Ekelgefühl Ausgangspunkt der besonderen Rezeption ist, die im Mittelpunkt dieser Arbeit steht.
Daran anschließend dient das zweite Kapitel zur Analyse der apathischen Kälte der beiden Hauptfiguren, die als lyrisches und erzählerisches Ich besonders wichtig für die Betonung des Ekelhaften in den Werken sind. Abschließend wird im letzten Kapitel die Wirkung der Ekelszenen auf das Lesepublikum untersucht, indem die Rolle moralischer Weltanschauungen
beim Empfinden vom Ekel in den Fokus gerückt wird. Es ist zu betonen, dass die vorliegende Analyse auf einer wertungsfreien Beschreibung des Ekels beruht, die davon ausgeht, dass diese Emotion auch als angenehm empfunden werden kann.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- 1. Eine Ästhetik des Ekels
- 1.1. Poesie der verfremdenden Obduktion: Die Morgue-Gedichte
- 1.2. Ein zwischen ekelhafter Realität und eskapistischer Szenerie entstehendes Begehren: Die Gehirne-Novellen
- 2. Der Arzt und die Gewöhnung an den Tod: Apathie, Kälte und Distanzierung
- 2.1. Morgue: Anonymität des Todes und voyeuristischer Arzt
- 2.2. Gehirne und andere Novellen und Ich-Verlust
- 3. Abstoßende Szenarien und apathische Ärzte: Mögliche Faktoren der Steigerung von Ekelgefühlen beim Lesepublikum
- 3.1. Zwischen physischem und moralischem Ekel
- 3.2. Negation moralischer und gesellschaftlich etablierter Werte
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Darstellung von Ekel und Moralität in Gottfried Benns Werken "Morgue" (1912) und "Gehirne" (1916). Sie analysiert die ekelerregenden Szenarien in den Texten, die Rolle der Protagonisten bei der Darstellung dieser Szenarien und die Auswirkungen auf das Lesepublikum. Die Arbeit stellt die These auf, dass die Kontrastierung von ekelerregenden Situationen mit der Apathie und Gleichgültigkeit der Ärzte das Ekelgefühl des Lesers verstärkt, insbesondere durch die Untergrabung moralischer Werte, die traditionell mit Tod und Respekt für Verstorbene verbunden sind.
- Die Ästhetik des Ekels im Expressionismus
- Die Rolle des Arztes als Beobachter und Akteur des Ekels
- Die Auswirkungen von Ekelszenarien auf das Lesepublikum
- Die Untergrabung moralischer Werte im Kontext von Tod und Ekel
- Die Rezeption von Ekel als ästhetisches Erlebnis
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel beleuchtet die Darstellung ekelerregender Szenarien in Benns "Morgue" und "Gehirne". Es analysiert, wie die Werke diese Situationen gestalten und in den Kontext der expressionistischen Ästhetik des Hässlichen einordnen. Das zweite Kapitel widmet sich der apathischen Kälte der Protagonisten, insbesondere des Arztes Rönne, und deren Beitrag zur Betonung des Ekels in den Texten. Das dritte Kapitel untersucht die Wirkung der Ekelszenarien auf das Lesepublikum, wobei der Fokus auf die Rolle moralischer Weltanschauungen und die Möglichkeit der ästhetischen Genießbarkeit von Ekel liegt.
Schlüsselwörter
Die wichtigsten Schlüsselbegriffe dieser Arbeit sind Ekel, Moralität, Expressionismus, Ästhetik des Hässlichen, Apathie, Arzt, Tod, Rezeption, Lesepublikum, und die Werke "Morgue" und "Gehirne" von Gottfried Benn.
- Arbeit zitieren
- Serena Bonaldo (Autor:in), 2023, Ekelhafte Apathie. Über Ekel und Moralität in Gottfried Benns "Morgue" und "Gehirne", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1366307