"Bist du schon drin?" Selbstdarstellung und Netzwerkbildung über Internetplattformen (StudiVZ und Facebook)


Bachelorarbeit, 2009

55 Seiten, Note: 1,8


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Ausgangssituation
1.2 Aufbau und Zielsetzung der Arbeit
1.3 Verortung im Fach
1.4 Forschungsstand
1.5 Methodik
1.6 Probleme bei der volkskundlichen Internetforschung

2 Begriffsbestimmungen und Definitionen
2.1 Identität
2.2 Selbstdarstellung
2.3 Authentizität
2.4 Impression Management
2.5 Netzwerk
2.6 Anwendungen des Web 2.0 und Social Web
2.6.1 Web 2.0
2.6.2 Social Web
2.6.3 Soziale Online-Netzwerke

3 Die Internetplattformen
3.1 StudiVZ
3.1.1 Allgemeine Informationen zum StudiVZ
3.1.2 Der Aufbau von StudiVZ
3.2 Facebook
3.2.1 Allgemeines zu Facebook
3.2.2 Der Aufbau von Facebook
3.3 StudiVZ und Facebook im Vergleich

4 Formen und Funktionen zur Selbstdarstellung und Netzwerkbildung
4.1 Aufbauphase
4.1.1 Freundschaftseinladung und Netzwerkbildung
4.1.2 Exkurs: Tebis 100
4.1.3 Der Name
4.2 Bestandsphase
4.2.1 Definition
4.2.2 Netzwerkpflege
4.2.3 Nachrichten
4.2.4 Statusmeldungen
4.2.5 Gruppen
4.2.6 Fotos
4.3 Krisen- und Auflösungsphase

5 Fiktive Identitäten

6 Fazit

7 Ausblick

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

1.1 Ausgangssituation

Das Internet gilt bei vielen Experten als eine der größten Veränderungen im Informationswesen und hat sich in den letzten 15 Jahren mit rasender Geschwindigkeit ausgebreitet. Es bietet neue Möglichkeiten zur Informationsbeschaffung, Unterhaltung und Kommunikation sowie auch neue Optionen, sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Kulturwissenschaftlerin Anke Bahl postuliert, dass es VLFK Äelementar von klassischen Broadcast-Medien wie Radio und Fernsehen [unterscheidet], weil es die lineare Struktur dieser .RPPXQLNDWLRQVV\VWHPH DXIKHEW XQG GXUFK HLQH 1HW]DUFKLWHNWXU HUVHW]W ³1 Vielen Sendern stehen also viele Empfänger gegenüber.

Im Juli wurden die Ergebnisse der bundesweit repräsentativen ARD/ZDF- Onlinestudie veröffentlicht, die die beiden Fernsehsender seit zehn Jahren durchführen. Die Studie beschreibt detailliert das Medienverhalten der deutschen Bundesbürger.2 Der Anteil der Internet-Nutzer in Deutschland ist auf 67,1 Prozent (2008: 65,1 Prozent) angestiegen. 43,5 Millionen der bundesdeutschen Erwachsenen sind online ± 800 000 mehr als im Vorjahr.3 Das World Wide Web ist also präsenter als je zuvor, Manfred Faßler spricht sogar von einer neuen Moderne, einer Cyber-Moderne.4

Verstärkte Aufmerksamkeit gilt hier den sozialen Online-Netzwerken, zu denen das Ä6WXGHQWHQYHU]HLFKQLV³ (im Folgenden: StudiVZ) und Facebook zu zählen sind. Gerade diese zwei Internetplattformen sind häufig auch im öffentlichen Diskurs: Datenschutz, Plagiatsvorwürfe und Voyeurismus sind Kritikpunkte an den Websites, doch trotzdem boomen sie wie nie zuvor. StudiVZ und Facebook sind in aller Munde, Nutzer zitieren Gruppennamen im Alltag5 und die Plattformen wachsen stetig weiter.

In der ARD-7DONVKRZ Ä+DUW DEHU )DLU³ PLW )UDQN 3ODVEHUJ KLH‰ HV DP -XQL Ä6LQG ZLU DOOH %RULV" 'LH QHXH 6XFKW QDFK gIIHQWOLFKNHLW³ LQ $QOHKQXQJ DQ Boris Becker, der die TV-Rechte an seiner Hochzeit an RTL verkauft und somit ganz Fernseh-Deutschland gezeigt hat, wie er heiratet und feiert. Das Thema der Sendung war der ÄDrang nach Öffentlichkeit³ und die damit in Zusammenhang stehende Selbstinszenierung.6 Einer der Gäste war Markus Berger-de León, Chef der Internetplattform StudiVZ. Er erklärte ÄWir haben bei jungen Menschen eine größere Reichweite als jeder Fernsehsender, dabei sind wir heute nur das, was früher mal ein Poesiealbum war.³7 Der genaue Aufbau und die Funktionen dieser Plattform werden im Verlauf dieser Arbeit thematisiert, genauso wie der Konkurrent Facebook, der im Juni 2009 erstmals mehr Nutzerzahlen als StudiVZ hatte.8

Die Idee über dieses Thema zu schreiben entstand aus privatem Interesse, da ich auf beiden Plattformen Mitglied bin. Innerhalb meines Freundeskreises werden die Plattformen des Öfteren thematisiert. Gemeinsame Unternehmungen werden darüber organisiert, man kommuniziert, teilt Fotos und stöbert in Profilen. Zudem rückt das Thema immer stärker in den öffentlichen Diskurs und wird gerade bei jungen Menschen mehr und mehr zum Teil der Freizeitbeschäftigung.

1.2 Aufbau und Zielsetzung der Arbeit

In dieser Arbeit sollen die beiden Internetplattformen StudiVZ und Facebook analysiert werden. Sie bieten registrierten Nutzern die Möglichkeit ein eigenes Profil zu erstellen und sich mit anderen registrierten Nutzern zu verbinden. Der erste Eindruck einer Person gilt als der Entscheidende. StudiVZ und Facebook bieten diverse Optionen, diesen zu gestalten.

Ziel der Arbeit ist es herauszuarbeiten, welche Möglichkeiten StudiVZ und Facebook zur Selbstdarstellung und Netzwerkbildung bieten. Die leitende Fragestellung lautet also:

Welche Formen und Funktionen bieten die Internetplattformen StudiVZ und Facebook zur Selbstdarstellung und Netzwerkbildung?

Zu Beginn der Arbeit wird die Thematik in die Volkskunde eingeordnet, die verwendete empirische Methodik erklärt und der volkskundliche Forschungsstand diskutiert. Um das Thema aus kulturwissenschaftlicher Perspektive näher betrachten zu können, werden anschließend alle notwendigen Begriffe näher erläutert und StudiVZ und Facebook in den Kontext des Internets eingeordnet. Anhand der Anwendungen, die die Plattformen bieten, die in Kapitel 3.1.2 und 3.2.2 konkreter vorgestellt werden, wird in Kapitel 4 untersucht, wie Mitglieder sich dort darstellen können und Netzwerke gebildet werden können, was das Kernstück der Arbeit ausmacht. Die Arbeit endet mit einer Zusammenführung der Ergebnisse in Kapitel 6 sowie einem Ausblick in Kapitel 7.

1.3 Verortung im Fach

Das Internet und die sozialen Netzwerke, die Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit sind, sind für die Kulturwissenschaft interessant, da sie Teil des kulturellen Ausdrucks sind. Von den Profilen können Rückschlüsse auf die mentale Ebene gezogen werden, Normen und Konzepte der Gesellschaft spiegeln sich in der Darstellung des Individuums wider. Der theoretische und mediale Diskurs im Alltag (z.B. die in der Einleitung angesprochene Präsenz in Fernsehsendungen) ist ein Indiz für ein kulturelles Phänomen.

Das Internet ist Bestandteil der neuen Medien, die es zu erforschen gilt.9 67,1 Millionen Menschen in Deutschland nutzen das Internet, 61 Prozent der 14- bis 29-Jährigen haben ein Profil bei einem sozialen Netzwerk im Internet und ein Großteil nutzt diese Anwendungen täglich.10 Es kann also davon ausgegangen werden, dass das Internet und die Freizeitaktivität im Internet zu einem alltagsrelevanten Phänomen und somit zum Teil der Alltagskultur avanciert sind. Auch der Volkskundler Rolf Wilhelm Brednich stellt fest, dass die Einflüsse der Massenkommunikation auf die populäre Kultur immer deutlicher werden.11 Aufgabe der Volkskunde ist es, Alltagsphänomene zu beschreiben und zu untersuchen, denn diese machen Kultur aus. Ihre Weiterentwicklung verdankt die Volkskunde den sich weiterentwickelnden Kulturen, z.B. der Medienkultur, in deren Zusammenhang die Internetforschung zu nennen ist.

1.4 Forschungsstand

Sowohl aus dem psychologischen, medien- und kommunikations- wissenschaftlichen als auch aus dem soziologischen Kanon gibt es Werke zu diesem Thema. Es existieren auch kulturwissenschaftliche Arbeiten, z.B. werden die Grenzen und Differenzen zwischen virtuellem und physikalischem Raum Ä9LUWXDO /LIH³ XQG ÄReal /LIH³ LPPHU ZLHGHU WKHPDWLVLHUW12, doch gibt es hier Lücken. +HLQ] 6FKLOOLQJ SURJQRVWL]LHUWH LP -DKU GDVV GLH Ä)UDJH QDFK

Internet, Cyberkultur, Realität und Virtualität («) die volkskundliche Forschung ]XQHKPHQG EHVFKlIWLJHQ³13 wird, doch nimmt die Volkskunde am Diskurs nicht ausreichend teil, als GDVV HLQH $UEHLW ]XP 7KHPD Ä6HOEVWGDUVWHOOXQJ XQG Netzwerkbildung über Internetplattformen am Beispiel von StudiVZ und Facebook³ DXVVFKOLH‰OLFK PLW YRONVNXQGOLFKHU /LWHUDWXU YHUIDVVW ZHUGHQ NDQQ (LQ zentraler Aspekt in der volkskundlichen Internetforschung ist die Untersuchung YRQ YLUWXHOOHQ *HPHLQVFKDIWHQ DOVR Ä&RPPXQLWLHV³14 Erste Magisterarbeiten und kleinere Beiträge in der Mitte der 90er Jahre belegen die steigende Popularisierung des Internets in der Alltagskulturforschung.15 Am Volkskundlichen Seminar der Universität Bonn trat die Thematik der Medienforschung 2001 in den Fokus.16

Besonders Literatur aus der Soziologie, die sich mit Themen rund um die Gesellschaft befasst, ist für dieses Thema dienlich und gerade die Netzwerkforschung ist in der Soziologie wesentlich lückenloser als in der Volkskunde. 1970 kam es zu einem Paradigmenwechsel innerhalb der Volkskunde und das Fach näherte sich den Sozialwissenschaften an. Man wendet sich den Menschen und ihren sozialen Bezügen zu, und nicht mehr nur, wie bisher, den Objektivationen.17 Trotzdem ist die Volkskunde ± obwohl der Mensch in den Mittelpunkt gerückt ist ± ein eigenständiges Fach geblieben. Entscheidend dafür ist, ob man das Forschungsziel von einem gesellschaftlichen oder kulturellen Aspekt her betrDFKWHW ÃLP %HZXVVWVHLQ GHVVHQ GDVV EHLGH HLQDQGHU GXUFKGULQJHQ¶18

Ä:LU DOOH VSLHOHQ 7KHDWHU³ München 2003) eins der Hauptwerke des amerikanischen Soziologen Erving Goffman, wird häufig im Kontext der Literatur zur Selbstdarstellung erwähnt, z. B. bei Heinz Abels.19 Der Volkskundler Wolfgang Kaschuba stützt sich in seinen Ausführungen zur Identität auf den schwedischen Psychologen Erik H. Erikson.20 Weitere Ausführungen zu Eriksons Theorien folgen in Kapitel 2.1.

Die Kulturwissenschaftlerin Anke Bahl thematisiert LQ LKUHP :HUN Ä=ZLVFKHQ On- XQG 2IIOLQH ,GHQWLWlW XQG 6HOEVWGDUVWHOOXQJ LP ,QWHUQHW³ GDV ,QWHUQHW XQG ZLH der Titel auch verlauten lässt die Bereiche Selbstdarstellung und Identität. Man merkt jedoch, dass das Wissen über das Internet und auch die Forschungslage zu diesem Thema im Jahre 1997 noch in den Kinderschuhen steckt.21 Sämtliche internetspezifischen Begriffe, die heute selbstverständlich sind, wurden damals noch erklärt. Leser dieser Arbeit werden jetzt, zwölf Jahre später, keine Probleme meKU PLW %HJULIIOLFKNHLWHQ ZLH Ä8VHU³ KDEHQ Hermann Bausinger betont die Integration von Medien in den Lebensvollzug, in Abläufe alltäglicher Art und in die ganze kulturelle Situation.22 Die Zahlen der Internetnutzung zu Beginn belegen dies.

Es zeigt sich, dass die Literatur über Identität, Selbstdarstellung, Internet und Netzwerk sehr interdisziplinär geprägt ist. Gerade diese fächerübergreifenden Beziehungen machen das Thema so spannend, da es zeigt, dass es die Forschung vieler Disziplinen beschäftigt. Besonders für die Volkskunde lässt der Aufstieg der sozialen Online-Netzwerke zu einem Alltagsphänomen (34% gelegentliche und 24% regelmäßige Nutzer im Jahr 2009 belegen dies23 ) darauf hoffen, dass dieses aktuelle Thema die volkskundliche Forschung noch intensiver beschäftigen wird.

Auch im Internet lassen sich Einträge zur Selbstdarstellung und Netzwerkbildung finden und gerade über die relativ neuen Internetplattformen StudiVZ und Facebook gibt es zahlreiche Artikel. Google findet 1.440.000.000 Einträge zu Facebook und 2.060.000 zu StudiVZ.24 Als Quelle muss das Internet allerdings kritisch betrachtet werden, da es keine Gewähr für Wissenschaftlichkeit gibt.

1.5 Methodik

Eine empirische Untersuchung über das Internet im Internet durchzuführen, bietet sich an. Gegenstand meiner Untersuchung sind die Internetplattformen StudiVZ und Facebook.

Generell ist eine Mitgliedschaft bei den Plattformen erforderlich, um ihre Funktionen nutzen zu können. Ich bin selbst Mitglied bei StudiVZ und Facebook und somit ein Teil dieser Gemeinschaft und auch ein Teil der Rezipienten von Darstellungen.25 Ich bin mit den Plattformen vertraut und auch mit den Personen, deren Profilen ich teilweise Beispiele für meine Untersuchung entnommen habe, doch dienen diese eher als Belege. Ich untersuche keine speziellen Profile, sondern vielmehr die generellen Anwendungen, die StudiVZ und Facebook anbieten.

Einerseits kann so von einer teilnehmenden Beobachtung die Rede sein, also die Anwesenheit des Forschenden im sozialen Feld und die aktive Teilnahme am $OOWDJ GHU LQWHUHVVLHUHQGHQ *UXSSH ÃPLW GHU GLH ]XQHKPHQGH 9HUWUDXWKHLW PLW GHP )RUVFKXQJVIHOG HU]LHOW ZLUG¶26 Andererseits ist meine Untersuchung auch eine stille Beobachtung, da ich für die Erstellung dieser Arbeit auf den Plattformen nicht anders aktiv bin als sonst, um mich mit dem Forschungsfeld vertraut zu machen. Meine Teilnahme an den Online-Netzwerken ist aber eine Teilnahme aus privaten Gründen, nicht aus Forschungsgründen.

Alle Daten (z.B. Gruppennamen27 ) sind den Profilen meiner Freundesliste entnommen. Anders wäre eine Untersuchung aber auch nicht möglich gewesen, da meistens eine Online-Freundschaft mit den Mitgliedern, also ein Hinzufügen zur Kontaktliste, nötig ist, um Profile einzusehen. Viele Profile sind gesperrt, d.h. für Personen, die nicht in der Freundesliste aufgeführt sind, nicht zugänglich. Die Herausforderung dieser Arbeit liegt also darin, trotz eigener Mitgliedschaft die 'LVWDQ] ]X ZDKUHQ Ä(LQHUVHLWV LVW GLH ,GHQWLILNDWLRQ PLW GHP )RUVFKXQJVIHOG « intendiert, andererseits soll gleichzeitig DisWDQ] « zu ihm gewahrt bleiben³, führt Brigitta Schmidt-Lauber aus.28 Distanz ist dadurch möglich, dass ich nur den generellen Aufbau der Seiten mit eben den Möglichkeiten zur Selbstdarstellung und Netzwerkbildung und keine konkreten Nutzerprofile untersuche. Beobachtungen, die ich innerhalb meines Netzwerkes treffe, kennzeichne ich deutlich, so dass mögliche Subjektivität an dieser Stelle offensichtlich wird. Ä5HIOH[LRQ EHGDUI GHU GLDOHNWLVFKHQ 6SDQQXQJ YRQ 1lKH und Distanz zur Alltagspraxis; sie muss sozusagen durch sie hindurch, um über sie hinauskommen ]X N|QQHQ ³29 Volkskundliche Feldforschung wird meist im gesellschaftlichen Nahbereich durchgeführt, wodurch die soziale Dimension von Nähe und Distanz ÃYHUUlXPOLFKW XQG YHUZLVFKW¶30

1.6 Probleme bei der volkskundlichen Internetforschung

Die Forschung im Internet ist prinzipiell problematisch. Hier muss allerdings zwischen den Internetplattformen als Untersuchungsgrundlage und den Internetseiten und -artikeln, die als Quelle dienen, unterschieden werden. Für diese bietet das Internet nämlich eine riesige Informations- und Datenvielfalt und schnellen Zugriff, jedoch gibt es keine Gewähr für Wissenschaftlichkeit und Richtigkeit.

Bei der Untersuchung von StudiVZ und Facebook muss diese Variable ebenfalls

berücksichtigt werden, doch macht genau diese Diskrepanz zwischen den getätigten Angaben und dem Wahrheitsgehalt der Angaben das zu untersuchende Feld aus. Private Seiten ± und bei StudiVZ und Facebook hat jeder sein Profil, seine eigene kleine private Seite ± HLJQHQ VLFK ÃYRU] JOLFK « zur Untersuchung von Formen der (Selbst)Darstellung oder von Imagebildung und/oder ±pflege, bieten aber den größten Unsicherheitsfaktor hinsichtlich der Verlässlichkeit der darauf enthaltenen InformatioQHQ¶31

Es geht in dieser Arbeit neben der Netzwerkbildung um die Evaluation der Möglichkeiten der Darstellung. Dazu gehört die Option Unwahrheiten anzugeben oder Informationen zu verschleiern. Es ist schwierig nachzuprüfen, welche Angaben stimmen oder nicht. Genau dieses Verschwimmen von Realität und Virtualität bei StudiVZ und Facebook macht diese Plattformen so interessant. Zwar werden in den Nutzungsbedingungen von StudiVZ Angaben gemacht, wie man sich zu verhalten hat32 und Nutzer müssen auch den Allgemeinen Geschäftsbedingungen zustimmen, doch ist es nicht möglich, dass Millionen User-Profile täglich kontrolliert werden, schon gar nicht was die Authentizität von Angaben angeht. Dies wäre aber auch nicht der Sinn der Sache. Die StudiVZ- Betreiber haben Regeln erstellt und bei Verstößen die Möglichkeit einzugreifen, jedoch kann und soll von einem exakt kontrollierten Kommunikationsraum33 nicht die Rede sein, da sonst die Möglichkeiten zur freien Darstellung fehlen würden.

2 Begriffsbestimmungen und Definitionen

2.1 Identität

Der Begriff der Identität zählt zum Grundkanon der Volkskunde. Identität definiert sich laut Kaschuba wie folgt:

Ä « >'@er Begriff Identität [lässt sich] als ein anthropogenes, also menschheitsgeschichtliches Grundmuster verstehen, das in den Wunsch mündet sich als soziales Wesen in den Zusammenhang seiner Umwelt einzupassen und dabei durch Übereinstimmung wie durch Abgrenzung seinen spezifischen Äsozialen Ort³ zu finden.³34

Bausinger bringt ebenfalls eine Definition von Identität. Sie lautet:

ÄDer Begriff verkörpert, so weit die Konnotationen im einzelnen auseinander laufen mögen, ein Moment von Ordnung und Sicherheit inmitten des Wechsels; und sein besonderer Reiz liegt dabei darin, dass er nicht eigentlich die Bedeutung von Starrheit oder Erstarrung vermittelt, sondern dass er verhältnismäßig elastisch etwas Bleibendes in wechselnden Konstellationen anvisiert.³35

Und weiter:

ÄIdentität ist ein analytisches Konstrukt; aber Identität ist gleichwohl direkt erfahrbar: als Gefühl der Übereinstimmung des Individuums mit sich selbst und seiner Umgebung, und vielleicht noch deutlicher in der negativen Form: im Bewusstsein oder Gefühl mangelnder Übereinstimmung.³36

Das heißt, dass Identität in sich verändernden Lebenssituationen zeitlich überdauernd ist und Individuen konstante Persönlichkeitseigenschaften haben. Identität ist ein Balanceakt zwischen Konstanz und Variabilität. Im Rahmen der gesellschaftlichen Normen beschreibt Identität den Prozess, sich selbst so frei wie möglich zu präsentieren, um seinen Platz in der Umwelt zu definieren. Einerseits beschreibt der Begriff die größtmögliche Übereinstimmung mit anderen, andererseits die freie Entfaltung eines Individuums, um sich von anderen abzugrenzen, also auch eine Übereinstimmung mit sich. Kaschuba spricht sowohl von einer Ich- als auch Wir-Identität (Individuelle und kollektive Identität, vgl. auch Nicola Döring37 ): Ä,GHQWLWlW >PHLQW VRZRKO@ HLQH ,FK- als auch eine Wir- Identität, zwei sich ineinander verschränkende Bedeutungsdimensionen von Selbstsein und Dazugehören.³38 Ich-Identität kann nur über eine Wechselbeziehung zwischen der eigenen Biographie und Identifikationszuschreibungen von Anderen gewonnen werden.39 Identität ist also von anderen abhängig. Mangelnde Übereinstimmung macht Identität für ein Individuum bewusst. Das Individuum definiert seinen einzigartigen Platz in der Umwelt und andere verschmelzen noch mehr zu einer Gruppe, zu der das Individuum aufgrund fehlender Identifikation nicht zugehörig ist. Sowohl eine individuelle als auch kollektive Identität wird hier deutlich.

Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann postuliert, dass Identität über einen Namen, eine Geschichte hinter dem Menschen oder das Aussehen bekanntlich auf unterschiedlichen Ebenen konstituiert wird:

ÄDa ist zunächst jenes Ensemble von Daten, das in den staatlichen Ausweispapieren die Funktion persönlicher Kennzeichnung übernimmt. Die Wiederauffindung des Passes restituiert diese bürokratisch-kriminalistische Identität der Person, aber noch nicht seine soziale Identität, die über die Integration biographischer Erfahrungen und die Konfiguration sozialer Vernetzungen entsteht.³40

Zum Verständnis über die Identitätsentwicklung hat der schwedische Psychologe Erik H. Erikson entscheidend beigetragen. Erikson beschreibt den Identitätsaufbau als einen langwierigen Prozess sozialer Selbstfindung. Identität beschreibt das Bewusstsein einer Person, sich von anderen Menschen zu unterscheiden und über die Zeit eine dauerhafte Ich-Identität zu bilden41: Ä'DV *HI KO GHU ,FK-Identität ist also das angesammelte Vertrauen darauf, dass der Einheitlichkeit und Kontinuität, die man in den Augen anderer hat, eine Fähigkeit entspricht, eine innere ELQKHLWOLFKNHLW XQG .RQWLQXLWlW « DXIUHFKW]XHUKDOWHQ³ VR (ULNVRQ.42

Identität lässt sich als Grundbegriff der volkskundlichen Forschung definieren, doch auch diese greift zur Beschreibung der Identitätsbildung auf psychologische und pädagogische Konzepte zurück. Untersuchungsgegenstand in der Volkskunde ist also die kulturelle Ausdrucksform von Identität.

2.2 Selbstdarstellung

Alle Momente der menschlichen Interaktion beinhalten Prozesse der Selbstdarstellung.43 In Anlehnung an den Identitätsbegriff ist eine Bestimmung des Begriffes Selbstdarstellung ebenfalls notwendig. Aronson, Wilson und Akert definieren den Begriff folgendermaßen:

Ä>6HOEVWGDUVWHOOXQJ LVW@ GHU 9HUVXFK XQV DOV GHQ 0HQVFKHQ ]X SUlVHQWLHUHQ der wir sind oder von dem wir wollen, dass andere Menschen glauben, dass wir so sind; dies geschieht durch die Worte, die wir sprechen, unser nonverbDOHV 9HUKDOWHQ ZLH DXFK XQVHUH +DQGOXQJHQ ³44

Eine Definition der Medienpsychologin Nicola Döring bietet sich ebenfalls an:

ÄMan spricht von Selbstdarstellungsverhalten, um zum Ausdruck zu bringen, dass wir unser soziales Verhalten in der Regel so gestalten, dass wir bei denjenigen Personen, die gerade anwesend sind oder denen unser aktuelles Verhalten bekannt werden könnte, einen günstigen Eindruck hinterlassen. Ein günstiger Eindruck ist nicht unbedingt ein positiver Eindruck, sondern ein zielkonformer Eindruck.³45

Menschen versuchen also, anhand diverser Mittel das eigene Selbst nach außen zu präsentieren und einen für sich nützlichen Eindruck zu vermitteln. Inszenierungen sind Akte und wahrnehmbare Manifestationen, die vor einem oder für ein Publikum vollzogen werden, dessen Existenz sich der Akteur bewusst ist. Dieses Publikum muss er bei seiner Darstellung einrechnen.46

ÄDaran knüpft dann jeweils die Frage, was wie und warum gezeigt oder nicht gezeigt wird. Inszenierungen betreffen das absichtsvolle Sichtbarmachen von Entscheidungen, Beschlüssen, Ereignissen, Vorgängen etc. vor einem Publikum, doch auch ihr absichtsvolles Ausklammern, Verschleiern oder Verbergen.³47

Es wird genau der Punkt angesprochen, der für diese Arbeit zentral ist. Personen wissen, dass ihre Darstellung von anderen gesehen wird, bzw. sie stellen sich für andere dar. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, weshalb sie sich genau so präsentieren wie sie sich präsentieren, weshalb manche Aspekte sichtbar gemacht werden und manche nicht und auch, wie hoch die Diskrepanz zwischen der

[...]


1 Bahl, Anke: Zwischen On- und Offline. Identität und Selbstdarstellung im Internet. München 1997, S. 8.

2 http://kreativkombinat.de/sammelpool-news/steigende-internetnutzung, Stand: 12. Februar 2009.

3 http://www.daserste.de/service/studie.asp, Studie von Juli 2009.

4 Faßler, Manfred: Netzwerke. Einführung in die Netzstrukturen, Netzkulturen und verteilte Gesellschaftlichkeit. München 2001, S. 60.

5 Siehe hierzu Kapitel 4.2.5.

6 DiesH ,QKDOWH VLQG GHU 6HQGXQJ Ä+DUW DEHU IDLU³ PLW )UDQN 3ODVEHUJ HQWQRPPHQ SHU :HE 79 kann die Sendung über die Homepage angesehen werden:

http://www.wdr.de/themen/global/webmedia/webtv/getwebtv.phtml?p=4&b=230, Stand: 24. Juni 2009.

7 http://www.wdr.de/tv/hartaberfair/sendungen/2009/20090624.php5?akt=1#gast4, Stand: 24. Juni 2009.

8 http://meedia.de/details/article/facebook-berholt-studivz-und-wkw_100021929.html, Stand: 20. Juli 2009.

9 Genath, Peter; Boden, Alexander: Ethnografie und Interne. Communities als volkskundliches Forschungsfeld. In: Rheinisch-westfälische Zeitschrift für Volkskunde 50 (2005), S. 15-30.

10 http://www.zone.de/channels/jugendfraktion/112961/heute-schon-gegruschelt.html, Stand: 06. März 2009.

11 Vgl. Brednich, Rolf Wilhelm: Medien, audiovisuelle. In: Enzyklopädie des Märchens. Bd. 9. Berlin/New York 1999, Sp. 466-470, (hier Sp. 468f.)

12 Schönberger, Klaus: Online ± offline. In: Hengartner, Thomas; Moser, Johannes (Hg.): Grenzen und Differenzen. Zur Macht sozialer und kultureller Grenzziehungen. 35.Kongress der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde, Dresden 2005, S. 627-637, hier S. 627.

13 Schilling, Heinz: Medienforschung, in: Rolf Wilhelm Brednich, Grundriß der Volkskunde. Einführung in die Forschungsfelder der Europäischen Ethnologie, Berlin 2001, S. 563-585, hier S. 580.

14 Vgl. Hengartner, Thomas: Volkskundliches Forschen im, mit dem und über das Internet. In: Göttsch, Silke; Lehmann, Albrecht (Hg.): Methoden der Volkskunde. Positionen, Quellen, Arbeitsweisen der Europäischen Ethnologie, 2. überarb. u. erw. Auflage, Berlin 2007, S. 187-209, hier S. 203.

15 Vgl. Hengartner (2007), S. 201.

16 Vgl. Genath; Boden (2005), S. 17f.

17 Vgl. Schmidt-Mappes, Isabel: Freundschaften heute. Volkskundliche Untersuchung eines Kulturphänomens.Freiburg 2001, S. 30.

18 Schmidt-Mappes (2001), S. 30.

19 Vgl. Abels, Heinz: Identität. Wiesbaden 2006. Siehe auch Kapitel 2.2 dieser Arbeit.

20 Vgl. Kaschuba, Wolfgang: Einführung in die Europäische Ethnologie, 3. Auflage, München 2006.

21 Vgl. Bahl, Anke: Zwischen On- und Offline. Identität und Selbstdarstellung im Internet. München 1997.

22 Vgl. Bausinger, Hermann: Vom Jagdrecht auf Moorhühner. Anmerkungen zur

kulturwissenschaftlichen Medienforschung, in: Zeitschrift für Volkskunde 97 (2001), S. 1-14, hier S. 2.

23 http://www.ard-zdf-onlinestudie.de/fileadmin/Online09/Busemann_7_09.pdf, Studie von Juli 2008.

24 http://www.google.de/, Zuletzt geprüft am 12. August 2008.

25 Siehe Kapitel 2.2 dieser Arbeit.

26 Schmidt-Lauber, Brigitta: Das qualitative Interview oder: Die Kunst des Reden-Lassens. In: Silke Göttsch/Albrecht Lehmann: Methoden der Volkskunde. Positionen, Quellen, Arbeitsweisen der Europäischen Ethnologie, 2. überarb. u. erw. Auflage, Berlin 2007, S. 165-188, hier: S. 169.

27 Siehe Kapitel 4.2.5 dieser Arbeit.

28 Schmidt- Lauber (2007), S. 170.

29 Lindner, Rolf: Die Angst des Forschers vor dem Feld. Überlegungen zur teilnehmenden

Beobachtung als Interaktionsprozess. In: Zeitschrift für Volkskunde 77 (1981), S. 51-66, hier S. 64.

30 Schmidt- Lauber (2007), S. 170.

31 Hengartner (2007), S. 196.

32 = % ÄEs ist verboten, Inhalte über das StudiVZ-Netzwerk zugänglich zu machen oder zu

verbreiten, wenn und soweit mit diesen gegen gesetzliche Vorschriften, Rechte Dritter oder gegen GLH JXWHQ 6LWWHQ YHUVWR‰HQ ZLUG³ 9JO http://www.studivz.net/l/terms, Stand: 12. August 2008.

33 Vgl.Hänel, Dagmar: Gespräche über Körper im virtuellen Raum. Das Diskussionsforum

www.oschatzdessous.de. In: Binder, Beate; Göttsch, Silke; Kaschuba, Wolfgang; Vanja, Konrad (Hrsg.): Ort. Arbeit. Körper. Münster/New York/München/Berlin 2005, S. 448.

34 Kaschuba (2006), S. 134.

35 Bausinger, Hermann: Zur kulturalen Dimension von Identität. In: Zeitschrift für Volkskunde 73 (1977), S. 210-215, hier S. 210.

36 Bausinger (1977), S.210.

37 Vgl. Döring, Nicola: Sozialpsychologie des Internet. Die Bedeutung des Internet für

Kommunikationsprozesse, Identitäten, Soziale Beziehungen und Gruppen, 2., vollst. überarb. und erw. Auflage, Göttingen 2003.

38 Kaschuba (2006), S. 134.

39 Siller, Hermann Pius: Menschwerden im Aufeinandertreffen und Wandel der Kulturen. Eine Problemskizze. In: Schreijäck, Thomas (Hg.): Menschwerden im Kulturwandel. Kontexte kultureller Identität als Wegmarken interkultureller Kompetenz. Initiatoren und ihre Inkulturationsprozesse. Lutzern 1999, S. 19-40, hier S. 28.

40 Assmann, Aleida: Zum Problem der Identität aus kulturwissenschaftlicher Sicht. In: Lindner, Rolf (Hg.): Die Wiederkehr des Regionalen. Über neue Formen kultureller Identität. Frankfurt/New York 1994, S. 13-35, hier S. 13.

41 Vgl. Erikson, Erik H.: Identität und Lebenszyklus. Frankfurt am Main 1973, S. 106ff.

42 Erikson, (1973), S. 107.

43 Vgl. Misoch, Sabrina: Identitäten im Internet. Selbstdarstellung auf privaten Homepages. Konstanz 2004, S. 29.

44 Aronson et al. (2004), S. 177.

45 Döring (2003), S. 334.

46 Vgl. Schultz, Tanjev: Alles inszeniert und nichts authentisch? Visuelle Kommunikation in den vielschichtigen Kontexten von Inszenierung und Authentizität. In: Knieper, Thomas; Müller, Marion (Hg.): Authentizität und Inszenierung von Bilderwelten. Köln 2003, S.10±24, hier S. 12.

47 Schultz (2003), S. 12.

Ende der Leseprobe aus 55 Seiten

Details

Titel
"Bist du schon drin?" Selbstdarstellung und Netzwerkbildung über Internetplattformen (StudiVZ und Facebook)
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn  (Institut für Kulturanthropologie/Volkskunde)
Note
1,8
Autor
Jahr
2009
Seiten
55
Katalognummer
V139139
ISBN (eBook)
9783640472697
ISBN (Buch)
9783640472345
Dateigröße
1078 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Internet, Social Network, StudiVz, Facebook, Selbstdarstellung, Web 2.0, Netzwerkbildung, Identität, Kultur, Alltag, Internetplattformen, Medien, Kulturwissenschaft, Volkskunde, Online, Zugehörigkeit, Gruppen, soziale Gruppe, Thema Facebook, Soziales Netzwerk, Online Netzwerk, Virtueller Raum, Virtuelle Räume, Virtualität, Realität, Gesellschaft
Arbeit zitieren
Farina Fontaine (Autor:in), 2009, "Bist du schon drin?" Selbstdarstellung und Netzwerkbildung über Internetplattformen (StudiVZ und Facebook), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/139139

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