In seiner Publikation „Zukunftsforschung und Politik“ aus dem Jahr 1991 spricht Prof. Dr. Rolf Kreibich, einer der Pioniere der deutschen Zukunftsforschung und wissenschaftlicher Direktor und Geschäftsführer des Instituts für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT) in Berlin, von „der desolaten Lage der institutionalisierten Zukunftsforschung und der langfristigen Politikberatung“.
2004 sieht er die Lage immer noch als eine „elende“: Parlamentarische Einrichtungen wie das TAB (Büro für Technikfolgenabschätzung beim deutschen Bundestag) und eben das IZT sind raren Vertreter einer systematischen, die Politik beratenden Zukunftsforschung.
Daneben konkurrieren mehr oder weniger in parlamentarische Prozesse eingebundene, und damit auch mehr oder weniger unabhängige Think Tanks wie das Centrum für angewandte Politikforschung (CAP) mit am privatwirtschaftlichen Markt ausgerichteten und ebenso organisierten „Trendforschern“ um (öffentliche) Aufträge und Wertschätzung, Präsenz in den Medien und legitimierende Glaubwürdigkeit. Viele dieser Akteure beeinflussen den Policy-Prozess hauptsächlich über intermediäre Systeme, selten jedoch durch direkten Kontakt zum politischen System oder seinen Eliten selbst.
Die vorliegende Arbeit soll anhand bestehender Forschungsliteratur und anderer Primärquellen (Berichte der beteiligten Akteure/Institutionen, Medienberichte etc.) klären, inwieweit (und in welcher ihrer konkreten Ausformungen) Zukunftsforschung bereits politikberatend agiert, wie sie in den Policy-Prozess eingebunden ist oder diesen über intermediäre Systeme per Agenda-Setting beeinflusst, und welches Konzept von Politikberatung ihr zu Grunde liegt bzw. welche spezifischen Chancen und Risiken damit verbunden sind.
Hierzu soll Zukunftsforschung in einem ersten Arbeitsschritt (Gliederungspunkte 2.x) als interdisziplinäre „Metawissenschaft“ möglichst trennscharf eingegrenzt und, nach einer Bestandsaufnahme und Bilanzierung der aktuellen Verhältnisse in der BRD (3.x), an einem konkreten Beispiel (4.x) eines von ihr beeinflussten Policy-Prozesses in ihrem potenziellen Nutzen für die Politik überprüft und bewertet werden. Hierzu wurde FUTUR, ein 2001 gestarteter, jedoch durch den Regierungswechsel 2005 vorzeitig beendeter Prozess politikberatender, partizipativer Zukunftsforschung ausgewählt.
Gliederung:
1. Einleitung: Fragestellung und Erkenntnisinteresse
2. Was ist Zukunftsforschung?
2.1. Entstehung und Historie
2.2. Methoden und Forschungsfelder
2.3. Ein Definitionsversuch
2.4. Aufgabe der Zukunftsforschung und Beratungspotenzial/-bedarf in der Politik(beratung)
3. Zukunftsforschung als Politikberatung
3.1. Was ist Politikberatung?
3.2. Parlamentarisch-technisch: TAB, Foresight des BMFB, Kommissionen
3.3. Unabhängige „Unis ohne Studenten“: Das Beispiel IZT
3.4 Politikwissenschaftliche Prognostik: Das Beispiel CAP
3.5 Privatwirtschaftliche Beratungsunternehmen: Das Beispiel Prognos
4. Chancen und Probleme der zukunftsforschenden Politikberatung am Beispiel des „FUTUR“-Prozess
4.1. Die beteiligten Institutionen
4.2. Die Kommunikations-, Beratungs- und Meinungsbildungsprozesse
4.3. Die Ergebnisse
4.4 Ende durch vorgezogene Neuwahlen und Neuordnung des Ministeriums
4.5 Evaluation des Futur-Prozesses und Fazit
5. Fazit
6. Bibliographie
1. Einleitung: Fragestellung und Erkenntnisinteresse
„Kein Volk gibt es, mag es noch so fein und gebildet, noch so roh und unwissend sein, das nicht der Ansicht w ä re, die Zukunft k ö nne von gewissen Leuten erkannt und vorhergesagt werden.“
Cicero, „Von der Weissagung“
In seiner Publikation „Zukunftsforschung und Politik“ von 1991 spricht Prof. Dr. Rolf Kreibich, einer der Pioniere der deutschen Zukunftsforschung und wissenschaftlicher Direktor und Geschäftsführer des Instituts für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT) in Berlin, von „der desolaten Lage der institutionalisierten Zukunftsforschung und der langfristigen Politikberatung“1.
2004 sieht er die Lage immer noch als eine „elende“2: Parlamentarische Einrichtungen wie das TAB (Büro für Technikfolgenabschätzung beim deutschen Bundestag) und eben das IZT sind raren Vertreter einer systematischen, die Politik beratenden Zukunftsforschung. Daneben konkurrieren mehr oder weniger in parlamentarische Prozesse eingebundene, und damit auch mehr oder weniger unabhängige Think Tanks wie das Centrum für angewandte Politikforschung (CAP) mit am privatwirtschaftlichen Markt ausgerichteten und ebenso organisierten „Trendforschern“ um (öffentliche) Aufträge und Wertschätzung, Präsenz in den Medien und legitimierende Glaubwürdigkeit. Viele dieser Akteure beeinflussen den Policy- Prozess hauptsächlich über intermediäre Systeme, selten jedoch durch direkten Kontakt zum politischen System oder seinen Eliten selbst.
Die vorliegende Arbeit soll anhand bestehender Forschungsliteratur und anderer Primärquellen (Berichte der beteiligten Akteure/Institutionen, Medienberichte etc.) klären, inwieweit (und in welcher ihrer konkreten Ausformungen) Zukunftsforschung bereits politikberatend agiert, wie sie in den Policy-Prozess eingebunden ist oder diesen über intermediäre Systeme per Agenda-Setting beeinflusst, und welches Konzept von Politikberatung ihr zu Grunde liegt bzw. welche spezifischen Chancen und Risiken damit verbunden sind.
Hierzu soll Zukunftsforschung in einem ersten Arbeitsschritt (Gliederungspunkte 2.x) als interdisziplinäre „Metawissenschaft“ möglichst trennscharf eingegrenzt und, nach einer Bestandsaufnahme und Bilanzierung der aktuellen Verhältnisse in der BRD (3.x), an einem konkreten Beispiel (4.x) eines von ihr beeinflussten Policy-Prozesses in ihrem potenziellen Nutzen für die Politik überprüft und bewertet werden. Hierzu wurde FUTUR, ein 2001 gestarteter, jedoch durch den Regierungswechsel 2005 vorzeitig beendeter Prozess politikberatender, partizipativer Zukunftsforschung ausgewählt.
2. Was ist Zukunftsforschung?
In wissenschaftlicher und medialer Öffentlichkeit kursieren mindestens so viele Definitionen und Vorstellungen von Zukunftsforschung wie mögliche Zukunftsentwürfe selbst. Dem zu Grunde lag lange die Frage, ob eine wissenschaftliche Beschäftigung mit der Zukunft bzw. wissenschaftlich fundierte Aussagen über dieselbe überhaupt möglich ist und welche Prämissen und Paradigmen dabei gelten müssen. Bevor ein für diese Arbeit geltender Vorschlag zur Eingrenzung von wissenschaftlicher Zukunftsforschung formuliert wird, soll erst ihre Entstehung und Geschichte in der BRD skizziert werden.
2.1 Entstehung und Historie
Die in vergleichbaren Arbeiten gerne aufgeführten, so genannten „ersten Zukunftsforscher“, zu denen römische Auguren und aufklärerische Utopisten gerne verklärt werden, um die lange Tradition der menschlichen Beschäftigung mit Zukunft zu demonstrieren, sollen hier nicht weiter erläutert werden.
Wissenschaftlich relevant wird Zukunftsforschung erst in den 1940er Jahren in den USA als „Futurologie“, ein Begriff, dessen englische Stammform der deutsche Emigrant Ossip K. Flechtheim in den USA der 1940er Jahre prägte („Futurology“)3, welcher aber wiederum in Deutschland (wohin Flechtheim später zurückkehrte) lange als unseriös konnotiert galt. Über das Buch „Die Zukunft hat schon begonnen“, das 1952 von Robert Jungk in Amerika veröffentlicht wurde, schreibt Flechtheim: „Die Zukunft wurde nun `einer neuen Gruppe spezialisierter Wissenschaftler` überantwortet, den Forecasters, die mit Hilfe von Beschleunigungskurven, Zukunftsparabeln, Zukunftszyklen, Strömungsplänen und Wahrscheinlichkeitsrechnungen das Kommende möglichst exakt vorauszusagen versuchen“.4 Im Zuge eines allgemeinen Planungsglauben wurde die Zukunft als klar determinierter, erforsch- und formulierbarer Gegenstand gesehen. In Deutschland jedoch galt die Parole „Keine Experimente“, „in der Ära des politischen Immoralismus blieb die Zukunft ein weißer Fleck auch auf der geistigen Landkarte.“5
So veröffentlichte die Bundesregierung erst im Jahr 1966 eine Vorausschau bezüglich der künftigen Wirtschaftsentwicklung über 5 Jahre, genauso wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung erstmals 1965 einen Ausblick auf die voraussichtliche Entwicklung von Bevölkerung und Erwerbstätigkeit bis 1975 gab.6
Zu dieser Zeit herrschte eine traditionell „technokratische“ Zukunftsforschung vor, deren wichtigster Vertreter, Herrmann Kahn7, für nahezu grenzenlosen Technikoptimismus und gesellschaftliche Restauration einstand.8 Er veröffentlichte als Galionsfigur der Futurologen die erste Prognosen, die bis zum Jahr 2000 reichten.9 Rückblickend muten gerade seine Voraussagen wie „eine in die Zukunft schwadronierende technokratische Faktenhurerei, ein aberwitziges Vertrauen in die Zukunftsfähigkeit damals gerade modischer technischer Trends“10 und damit für heutige Leser seltsam altmodisch und naiv an.
Die vornehmlich technokratische Zukunftsforschung der 1960er Jahre sah die Entwicklung der westlichen Gesellschaft also extrem positiv. Die gesteigerte Beschäftigung mit und das intensive Interesse an Zukunft und ihrer Messbarkeit manifestiert sich in Medienpräsenz (wie dem SPIEGEL-Titel 52/1966 „Futurologie: die Zukunft des Menschen wird geplant.“) und Legitimation durch etablierte Sozialwissenschaftler wie Gert von Eynern. Als beispielhafter deutscher Vertreter einer technokratischen Zukunftsforschung gilt dabei Karl Steinbuch, Direktor des Instituts für Nachrichtenverarbeitung und Nachrichtenübertragung der Universität Karlsruhe, der in zahlreichen Veröffentlichungen (z.B. „Die informierte Gesellschaft“ 1966) eine rationale Beherrschung des technischen und sozialen Fortschritts mit Hilfe der aufkommenden Kybernetik und Computertechnik propagierte.11 Horst Wagenführ hingegen vertrat eine „Ökonomische Futurologie“ oder wirtschaftliche Zukunftsforschung, die, ausgehend von nationalökonomischen Messdaten, Prognosen zur Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft anzustellen versuchte.
Diese Phase des Planungsoptimismus sehen die meisten Zukunftsforscher mit der Veröffentlichung von „Die Grenzen des Wachstums“ von Andy Meadows12 beendet. In diesem ersten Arbeitsbericht des Club of Rome13 wird eine eher technikskeptische Haltung formuliert, die als Urknall für viele soziale Bewegungen gilt, welche wiederum die politische Landschaft gerade in der BRD der 1970er Jahre neu formten. In gewisser Hinsicht können damit die Mitglieder des Club of Rome durchaus als geistige Väter der heutigen Zukunftsforscher betrachtet werden, wirken doch ihre Prognosen und die ihnen immanente (aber auch explizit formulierte) kritische Haltung gegenüber uneingeschränktem, kapitalistisch-technokratisch legitimierten Wachstum bis heute fort. In jedem Fall beeinflussen sie die intellektuelle Klasse und vor allem die Wissenschaftler dieser Zeit immens, was sich in einer Fülle von nachdenklichen Publikationen zum Thema „Zukunft“ in den Folgejahren manifestiert. Die Endlichkeit von Ressourcen wird (an)erkannt und in ökologische Zukunftsperspektiven umgesetzt, die mit dem postmaterialistischen Wertewandel (manifestiert in den so genannten Neuen Sozialen Bewegungen) korrelieren. Diese wachstumsskritische, ökologisch verantwortungsvolle Denkschule fördert das heute gebräuchliche Schlagwort der „Nachhaltigkeit“ zu Tage (welches ursprünglich der Forstwirtschaft als Prämisse diente) und beherrscht, in verschiedener Gewichtung und Ausprägung, den zukunftsforschenden Diskurs in weiten Teilen bis heute.
Kreibich et al. sehen die Zukunftsforschung, auf Grund der Spaltung in technokratisch- optimistische auf der einen, und zukunftsskeptische Lager auf der anderen Seite, in den 1980er Jahren in einer tiefen Krise.14
[...]
1 Vgl. Rolf Kreibich; Weert Canzler; Klaus Burmeister: Zukunftsforschung und Politik in Deutschland, Frankreich, Schweden und Schweiz, Weinheim und Basel: Beltz 1991, S. 11.
2 Vgl. Hans Peter Dürr; Hans Georg Graf; Udo Simonis und Rolf Kreibich: Zukunftsforschung im Spannungsfeld von Visionen und Alltagshandeln. Berlin: Ist, 2004, S. 47.
3 Ossip K. Flechtheim (Hg.): Futurum. München: Minerva 1980, S 1.
4 Vgl. Ossip K. Flechtheim: Der Kampf um die Zukunft. Grundlagen der Futurologie. Bonn, Berlin: Dietz 1980, S. 14.
5 Vgl. Flechtheim 1980 II: 2.
6 Vgl. Flechtheim 1980 II: 9.
7 Kahn war interessanterweise lange Direktor der RAND-Corporation, des als vorbildlich geltenden futurologischen Think Tanks der USA.
8 Vgl. Johann Hendrik Jacob van der Pot: Die Bewertung des technischen Fortschritts. Assen: Van Gorcum 1985, S. 905.
9 Zum Beispiel in seiner Publikation (zusammen mit Anthony J. Weiner) „The Year 2000“ (deutscher Titel: Ihr werdet es erleben), erschienen 1967.
10 Günther Haaf: Ihr werdet es erleben. Die ZEIT 01/1998. Online verfügbar unter: http://www.zeit.de/ 1998/01/Ihr_werdet_es_erleben, letzter Aufruf 30.4.09, 1998, S.1.
11 Vgl. Kreibich 1991: 71 f.
12 Dennis Meadows; Dolen Meadows; Erich Zahn; Peter Milling: Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, 1972.
13 Vgl. Weiterführend zu Zielen und Genese dieser Organisation www.clubofrome.de, letzter Aufruf 23.6.09. 6
14Kreibich et al. 1991: 106.
- Arbeit zitieren
- Friedemann Karig (Autor:in), 2009, Zukunftsforschung in der Politikberatung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/139532