Vorformen des utopischen Romans: J.A. Comenius "Labyrinth der Welt"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2003

19 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Gatttungsproblematik
2.1. Reiseroman
2.2. Allegorische geistige Reise als Grundgattung des Romans
2.3. Staatsroman
2.4. Entwicklungs- bzw. Bildungsroman
2.5. Traktat
2.6. Motiv des Welttheaters

3. Merkmale einer Utopie bzw. einer Anti-Utopie
3.1. Gemeinsame Elemente der Utopie und Anti-Utopie
3.1.1. Totalität der Darstellung und Systematik
3.1.2. Urbanität und das geometrische Prinzip der Symmetrie
3.1.3. Darstellung der Reise
3.1.4. Die Figuren
3.2. Unterschiedliche Elemente der Utopie und Anti-Utopie.
3.2.1. Anti-Utopische Elemente im ersten Teil
3.2.2. Utopische Elemente im zweiten Teil

4. Fazit

Bibliographie

1. Einleitung

In dieser Arbeit soll gezeigt werden, inwieweit „Labyrinth der Welt und das Paradies des Herzens“ von Comenius als Vorform des utopischen Romans gesehen werden kann. Bevor ich auf diese Frage eingehe, möchte ich zunächst einmal erläutern, was im Rahmen dieser Arbeit unter Utopie bzw. Antiutopie zu verstehen ist und kurz die Entwicklung dieser beiden literarischen Gattungen darstellen.

Hierbei handelt es sich um eines jener sprachlichen Probleme, die immer dann entstehen, wenn allgemeinsprachliche Wörter als Ausgangspunkt fachsprachlicher Begriffe verwendet werden. In dieser Arbeit wird es um den literaturwissenschaftlichen Begriff der Utopie gehen, genauer gesagt um die Bezeichnung einer literarischer Gattung. Man kann die literarische Utopie so definieren: „Eine Utopie ist das literarische Idealbild einer imaginären Staatsordnung“.[1]

Die Bezeichnung kann man dem Griechischen „?? t?p??“ entnehmen, was übersetzt Nirgendland bedeutet. Schon in Platons „Politea“ findet man eine Darstellung des idealen Staates, genau so wie es auch in den späteren utopischen Werken zu sehen ist.[2] Zu den klassischen utopischen Werken gehört „Utopia“ von Thomas Morus von 1516, die der Utopie ihren Namen gegeben hat. In diesem Werk wird ein räumliches Nirgendwo dargestellt, eine Insel, die sich irgendwo in der Welt befindet und ein ideale Staatsordnung aufweist. Auch „Civitas solis“ von Tomasso Campanella und „Nova Atlantis“ von Francis Bacon gehören zu den wichtigsten literarischen Utopien.

Die drei charakteristischen Merkmale einer Utopie sind Systematik, Totalität und Idealität: die Totalität der Darstellung ist dadurch gekennzeichnet, dass alle Bereiche des Lebens ohne Ausnahmen vollständig dargestellt werden. Die fast enzyklopädische Darstellung zeugt von Systematik, und Idealität liegt in der prästabilisierten Harmonie der utopischen Welt.[3]

Die bedeutsamsten Wesenszüge der literarische Utopie sind außerdem: Symmetrie, Uniformität, Kollektivismus, verkehrte Welt, Isolation, kollektives Glücksstreben und harmonische Verhältnisse.[4]

Desweiteren wird zwischen Zeit- und Raum-Utopie differenziert. Während die Raum-Utopie in der Gegenwart situiert und von Außenwelt isoliert ist, ist die Zeit-Utopie in der Zukunft situiert und stellt eine Art der Zukunftsvision dar.

Im 20 Jh. fand eine sowohl inhaltliche als auch strukturelle Umfunktionierung statt. Die positive Utopie verlief in die negative Utopie, oder Anti-Utopie. Für diese Umwandlung war die kritische Gegenbewegung zum utopischen Denken am Anfang des 20 Jh. verantwortlich, aber auch die zunehmende Industrialisierung, und Entwicklung des Sozialismus. Die Anti-Utopie stellt die Welt nicht mehr als harmonische Idealwelt dar, sondern liefert eine Vorstellung von der Welt, wie sie nicht sein soll. Anti-Utopie ist ein Gegenbild der Wirklichkeit im negativen Sinne.[5] Die Wesenszüge der Utopie bleiben verbindlich, auch wenn die Utopie in die negative Utopie umschlägt.[6] Die bedeutendste Werke sind hierzu „Brave New World“ von Aldous Huxley und „Nineteen Eighty-Four“ von George Orwell.

Das Werk „Labyrinth der Welt“ gehört zwar nicht zur Gattung der Utopie, weist aber frappierend viele Merkmale sowohl der positiven als auch negativen Utopie auf. Im Laufe dieser Arbeit werden diese Merkmale aufgezeigt und dargestellt.

In der Arbeit wird folgendermaßen vorgegangen. Zuerst wird die Gattungszugehörigkeit des Werkes bestimmt und literarische Vorbilder von Comenius vorgestellt und dann werden die Merkmale einer Utopie bzw. einer Antiutopie dargestellt.

2. Gattungsproblematik

Das Werk Comenius stellt eine gewisse Gattungsmischung dar. Elemente solcher Gattungen wie allegorische geistige Reise, Traktat, Bildungsroman etc. sind im „Labyrinth“ zu finden.

Im folgenden Kapiteln werden die Gattungen, die für „Labyrinth“ von Bedeutung sind, dargestellt, die Wesensmerkmale jeder einzelnen dargelegt und die Unterschiede zum Werk erläutert. Außerdem wird die Grundgattung bestimmt, und je nach Gattung die literarischen Vorbilder repräsentiert.

2.1. Reiseroman

Man definiert den Begriff Reiseroman als „die Darstellung von Reisen und Reiseerlebnissen innerhalb einer epischen Großform“.[7] Die Tradition solcher Romane geht mit Homers Odyssee als erstes Beispiel für die Einheit von Reise und Abenteuer zurück in die Antike. Folgende Werke sollen als Beispiele für Reiseromane erwähnt werden: „Göttliche Komödie“ von Dante als Beispiel für die Jenseitsreise, „Der goldene Esel“ von Apuleius, Baltasan Gracians „Kritikon“, John Bunyan „The Piligrim´s Progress“, Johann Valentin Andrae „Peregrini in Patria Errores“ und Gogol`s „Mertvye duši“ als Beispiel für den Entwicklungsreiseroman.

Man kann „Labyrinth“ als „Reiseroman“ im weiteren Sinne des Wortes bezeichnen.

Im „Labyrinth“ sieht man die Bewegung des Helden durch den Raum, wobei der Raum sozial bestimmt ist. Der Held lernt auf seiner Wanderschaft verschiedene soziale Milieus kennen.

Eine ganz spezifische Gattung des „Reiseromans“ stellt die allegorische geistige Reise dar. Im nächsten Kapitel wird diese Gattung ausführlich beschrieben.

2.2. Allegorische geistige Reise als Grundgattung des Romans

Die allegorische geistige Reise stellt eine Wanderung der Seele des Menschen durch die Welt dar, mit dem Ziel, die Unbeständigkeit aller irdischen Dingen zu erfahren, eine geistige Schulung zu durchführen, langsam von dieser Welt abzusteigen und zu Gott aufzusteigen und sich mit Gott im Himmel zu vereinigen. Die Wurzeln dieser Gattung liegen in der antiken nicht-christlichen Literatur. Schon der Gilgamesch-Mythos stellt die Geschichte der „geistigen Reise“ dar. Später bei Platon entsteht der Gedanke, dass menschliche Leben sei „Fremd“ für die Seele. Das irdische Leben wird als „Fremde“ empfunden. Auch die Vorstellung vom irdischen Leben als einer Reise war damals schon sehr bekannt.[8]

Im Mittelalter bilden sich langsam die einzelnen Themen heraus. Z.B. wird das Thema des irdischen Lebens als etwas „Fremdes“ für die Seele und Rückkehr zu der „himmlischen Heimat“ sichtbar, oder das Thema der Reise in die himmlische Heimat, wie z.B. die Reise ins Heilige Land, die Reisen in die Hölle oder ins Paradies. Viele Werke haben das Thema des Aufstieges der Seele zum Himmel zum Gegenstand. Auch in Calderóns „El año santo de Roma“ erscheint das Menschenleben als Pilgerfahrt. Ausgehend von den Vorstellungen des christlichen Platonismus und weiter durch die christlicher Denker entwickelt, wurde die Lehre von der Stufenleiter der geistigen Vervollkommnung ausgearbeitet: die menschliche Seele „muss eine Reihe von Stufen auf dem Wege zum himmlischen Vaterland durchlaufen.“[9] Von großer Bedeutung für Comenius ist in diesem Falle die Lehre vom Hl. Bonaventura „Itenerarium mentis ad Deum“. Das wohl bekannteste Beispiel der Entwicklung der Gattung der „geistigen Reise“ im Mittelalter ist ohne Zweifel die „Göttliche Komödie „ von Dante Alighieri.

Im Zeitalter des Barock erreichte die Gattung ihre Blütezeit. Das Barockzeitalter ist bekannt für seine Vorliebe für Allegorien. Die wichtigsten und bedeutendsten Werke wie z.B. das Werk vom Lutherahnischen Theologen Johannes Valentin Andrae „Peregrini in Patria Errores“ oder die klassische Zeitreise „The Piligrims Progress“ von John Bunyan waren die unmittelbaren Vorbilder von Comenius.

Das Motiv der Wanderung, der Figur des Reisenden und seiner Begleiter, und natürlich das allegorische Verfahren sind die Merkmale der Gattung der allegorischen geistigen Reise.[10]

Es muss allerdings auch erwähnt werden, dass es auch Unterschiede innerhalb den Werken der „geistigen Reisen“ gibt. Wenn in den meisten Werken der Literatur dieser Gattung der Reisende eine gewaltige seelische Entwicklung durchmacht und geistig bereichert und entwickelt wird, so ist es im „Labyrinth“ ganz anders. Der Wanderer bei Comenius macht keine geistige Entwicklung durch, er steigt nicht zu Gott auf.[11] Außerdem wird bei Comenius einer der wesentlichen Züge dieser Gattung verdrängt, und zwar die Fiktion.[12] Zudem, wird im „Labyrinth“ keine Reise geschildert, sondern lediglich ein Spaziergang durch die Stadt. Nur die Seereise der Wanderer ist eine authentische Reise.[13] Noch eine wichtige Abweichung von den Regeln dieser Gattung besteht darin, dass die Führer und Begleiter des Reisenden, die in der Gattung allegorische geistige Reise die Funktion der Helfer und Aufklärer haben, hier, ganz im Gegenteil, hindern und desorientieren, anstatt aufzuklären und zu helfen.

[...]


[1] s. Schulte-Hergbrüggen,H. Utopie und Antiutopie. Von der Strukturanalyse zur Strukturtypologie. Bochum,1960.S.7.

[2] vgl. Broich,U. „Die negative Utopie“ in: Gattungen des modernen englischen Romans.Wiesbaden,1975.S.95.

[3] vgl. Erzgräber,W. Utopie und Anti-Utopie. München,1980,S.17

[4] vgl. Biesterfeld, W. Die literarische Utopie. Sammlung Metzler,Bd. 127, Stuttgart 1982

[5] vgl. Schulte-Hergbrüggen, H. Utopie und Antiutopie. Von der Strukturanalyse zur Strukturtypologie. Bochum,1960.S.119

[6] vgl. Biesterfeld, W. Die literarische Utopie. Sammlung Metzler,Bd. 127, Stuttgart 1982

[7] s. Schweikle G. und I.,(Hg), Metzler-Literatur-Lexikon. Stuttgart 1990,S.384

[8] vgl., Tschižewskij, D. „Das Labyrinth der Welt und Paradies des Herzens des J.A.Comenius.Die Thematik und die Quellen des Werkes“ in:Kleinere Schriften.Bd.2: Bohemica,München 1972, ( im weiteren Verlauf als „Tschižewskij, Das Labyrinth“abgekürzt ) S.102

[9] ebd.

[10] vgl. Hodrová, D. „J.A.Komenský: „Labyrint sveta a raj srdce“, in: M.Zeman u.a..,Rozumet literature. Interpretace základních del ceské literatury.Praha 1986,( im weiteren Verlauf als „ Hodrová, Labyrint“ abgekürzt) S.43

[11] siehe Tschižewskij, Das Labyrinth. S.104

[12] vgl. Hodrová, Labyrint. S.45

[13] vgl. Tschižewskij, Das Labyrinth. S.105

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Vorformen des utopischen Romans: J.A. Comenius "Labyrinth der Welt"
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Slawische Philologie)
Note
2
Autor
Jahr
2003
Seiten
19
Katalognummer
V14390
ISBN (eBook)
9783638198066
ISBN (Buch)
9783656379263
Dateigröße
521 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Vorformendes, Romans, Comenius, Labyrinth, Welt
Arbeit zitieren
Margarita Engelbrecht (Autor:in), 2003, Vorformen des utopischen Romans: J.A. Comenius "Labyrinth der Welt", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/14390

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