Ausgehend von den Diskussionen über Bildungsungleichheit in der Bundesrepublik Deutschland und die Auswirkungen der sozialen Herkunft auf die Bildungschancen, möchte ich mich tiefergehend mit den selektierenden Faktoren befassen. Um die in Frage kommenden Faktoren zu definieren wähle ich in einem ersten Schritt das Konzept der „Sozialen Lage“ von Stefan Hradil als Hintergrund und Modell für mein Verständnis sozialer Ungleichheit. Dieses Modell gilt es dann zu verdichten, beziehungsweise auf Bildungsungleichheit zu konzentrieren – mit dem Ziel eine Gewichtung der beeinflussenden Faktoren zu entschlüsseln. Die Ergebnisse der Literaturanalyse des theoretischen Modells vergleiche ich dann mit den Erkenntnissen der empirischen Bildungsforschung und prüfe sie auf ihre Gültigkeit. Im Speziellen richtet sich mein Augenmerk dabei auf Faktoren, die Aufschluss geben über den Zusammenhang von Freizeitgestaltung und Bildungschancen im Alltag von Kindern und Jugendlichen. Welche Wechselwirkungen treten hier auf? Findet eine Reproduktion von Bildungsungleichheit im Freizeitverhalten statt?
Inhalt
1. Einleitung
2. Das Konzept der sozialen Lage
2.1 Einordnung des Konzepts in den theoretischen Kontext
2.2 Bezugspunkt der sozialen Lage
2.3 Formale Bildung als dominante Ressource
3. Ursachen von Bildungsungleichheit
3.1 Geschlecht
3.2 Region
3.3 Nationalität
3.4 Soziale Herkunft
4. Reproduktion von Bildungsungleichheit im Freizeitverhalten
5. Fazit
6. Literatur
1. Einleitung
Ausgehend von den Diskussionen im Seminar über Bildungsungleichheit in der Bundesrepublik Deutschland und die Auswirkungen der sozialen Herkunft auf die Bildungschancen, möchte ich mich tiefergehend mit den selektierenden Faktoren befassen.
Um die in Frage kommenden Faktoren zu definieren wähle ich in einem ersten Schritt das Konzept der „Sozialen Lage“ von Stefan Hradil als Hintergrund und Modell für mein Verständnis sozialer Ungleichheit. Dieses Modell gilt es dann zu verdichten, beziehungsweise auf Bildungsungleichheit zu konzentrieren - mit dem Ziel eine Gewichtung der beeinflussenden Faktoren zu entschlüsseln. Die Ergebnisse der Literaturanalyse des theoretischen Modells vergleiche ich dann mit den Erkenntnissen der empirischen Bildungsforschung und prüfe sie auf ihre Gültigkeit. Im Speziellen richtet sich mein Augenmerk dabei auf Faktoren, die Aufschluss geben über den Zusammenhang von Freizeitgestaltung und Bildungschancen im Alltag von Kindern und Jugendlichen. Welche Wechselwirkungen treten hier auf? Findet eine Reproduktion von Bildungsungleichheit im Freizeitverhalten statt?
Meine Fragestellung ist angesiedelt im Grenzbereich soziologischer Ungleichheits- und empirischer Bildungsforschung. Die Literatur zur sozialen Ungleichheit ist breit aufgestellt, daher erscheint die Fokussierung auf das Konzept der „sozialen Lage“ sinnvoll. Hier sind diverse soziologische Lehrbücher zum Verständnis und zur Rezeption der Theorie verfügbar, nicht zuletzt das im Seminar verwandte Werk von Huinink und Schröder Vor dem Hintergrund der aktuellen Debatten über die Benachteiligung von Migranten im deutschen Schulwesen, den selektierenden Effekten des dreigliedrigen Schulsystems und dem sogenannten „PISA-Schock“ wurde ebenfalls entsprechend viel publiziert. Als Standardwerk, das den Forschungsstand der empirischen Aufarbeitung von Bildungsungleichheit umfassend darstellt, erscheint mir jedoch explizit „Bildung als Privileg“ von Becker und Lauterbach. Es stellt daher auch meinen Hauptbezugspunkt für die Faktorenanalyse dar.
Die Literatur zur Rolle des Freizeitverhaltens für Ungleichheits(re)produktion ist jedoch deutlich überschaubarer. Explizit darauf bezogene Werke ließen sich nicht finden, lediglich allgemeine Studien zum Freizeitverhalten bestimmter Zielgruppen sind verfügbar.
Meine Fragestellung erscheint mir daher angemessen, eine eigene Denkleistung zur Verknüpfung der Forschungsfelder ist nötig.
2. Das Konzept der sozialen Lage
2.1 Einordnung des Konzepts in den theoretischen Kontext
„ Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft seines Glaubens, seiner religi ö sen und politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. “
(Grundgesetz der BRD, Art. 3, 3, Satz 1)
Hier wird deutlich, warum soziale Ungleichheit nach wie vor ein Dauerthema ist. Bei aller wissenschaftlichen Neutralität und Objektivität hat der Begriff Ungleichheit stets auch einen Beigeschmack von Ungerechtigkeit. Trotz dem seit den 60er Jahren immer populäreren Drang nach Individualität und Andersartigkeit des Einzelnen, wird diese doch immer dann bedenkenswert, wenn sie in nicht-selbstverschuldeten Vor- oder Nachteilen persistent wird. Dies erklärt zumindest zum Teil die Fülle an Modellen der Sozialstruktur und deren verhältnismäßig lange Entwicklungsgeschichte. Diese erstreckt sich von Klassen und Ständen, im Marx‘schen beziehungsweise Weber‘schen Sinne, über Statusmodelle wie die „Bolte- Zwiebel“, bis hin zu den feinen Unterschieden eines Pierre Bourdieu, der Individuen im sozialen Raum positioniert.
„Soziale Ungleichheit wird […] allgemein als der Ausdruck strukturell angelegter Unterschiede in den Möglichkeiten von Akteuren, Zugang zu erstrebenswerten Gütern und sozialen Positionen zu erhalten, verstanden.“ (Huinink/Schröder 2008:98) Der Großteil der theoretischen Modelle, die sich mit sozialer Ungleichheit beschäftigen, sind keine Erklärungs- sondern eher Darstellungsmodelle. Sie versuchen die Struktur der Gesellschaft abzubilden und damit die einzelnen Unterschiedlichkeiten überhaupt erst einmal sichtbar zu machen. Dabei beschränken sie sich zumeist auf die sogenannten vertikalen (weil in ihren Abstufungen messbaren) Dimensionen sozialer Ungleichheit, wie z.B. Einkommen, formale Bildung, etc.
Das Modell der sozialen Lage dagegen bezieht auch horizontale Merkmale in die Darstellung mit ein (u.A. Geschlecht, Wohnort, soziale Beziehungen, …). Dadurch wird es zwar komplexer und umfangreicher, aber auch akkurater und differenzierter, was einen genaueren Blick auf Details ermöglicht.
„Die Dimensionen sind nicht additiv miteinander verbunden. Hradil unterscheidet zwischen primären oder dominierenden Ressourcen […] und weniger wichtigen Dimensionen für jeweils bestimmte Lagen.“ (Burzan 2007:141) Betrachtet man also beispielsweise einen Jugendlichen ohne reiche Eltern, so wäre die formale Bildung wahrscheinlich die dominierende Ressource, die sich am stärksten auf die individuellen Verwirklichungschancen auswirkt. Sekundäre Ressourcen, die auf die dominante Einfluss haben, könnten in diesem Fall etwa soziale Beziehungen sein (Haben die Eltern studiert? Was macht die Freundin?), oder auch die Freizeitgestaltung (Debattier- oder Fu ß ballclub?).
Es geht für Hradil darum, „charakteristische Lage-Profile mit lebensweltlicher Nähe zu entwickeln“ (Burzan 2007:142), genauer gesagt „typische Kontexte von Handlungsbedingungen, die vergleichsweise gute oder schlechte Chancen zur Befriedigung allgemein anerkannter Bedürfnisse gewähren.“ (Hradil 1987:153)
2.2 Bezugspunkt der sozialen Lage
Ausgehend von Hradils Definition von Ungleichheit als ein Mehr oder Weniger von Lebensbzw. Handlungschancen, stellt sich die Frage, worauf diese Chancen eigentlich abzielen. „Diejenigen Lebensbedingungen gelten als vorteilhaft, die es dem Einzelnen erlauben, so zu handeln, daß er beliebige Ziele erreichen kann.“ (Hradil 1987:141)
Diese „beliebigen Ziele“ werden im Verlauf der Theorieentwicklung konkretisiert auf „Lebensziele“. So versteht Hradil unter subjektiven Lebenszielen die „Wünsche und Interessen, die Menschen bewußt verfolgen“ (1987:142). Objektive Lebensziele werden dagegen nach Maßgabe von Theorien bestimmt, z.B. nach der berühmten Bedürfnistheorie von Abraham Maslow.
Beide Herangehensweisen an das Verständnis von Lebenszielen erscheinen jedoch problematisch, da sie nicht empirisch belegbar sind. Hradil bevorzugt daher eine Definition, die auf der Rezeption von Qualitätsmerkmalen menschlichen Lebens anhand öffentlicher Willensbildung basiert, zum Beispiel abgeleitet aus Gesetzestexten.
- Arbeit zitieren
- Dipl.-Soz.arb./Soz.päd. (FH) Florian Sondermann (Autor:in), 2009, Reproduktion von Bildungsungleichheit im Kontext der sozialen Lage, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/144774
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