Kreislauf und Flucht im Nachtcafé

Interpretation des zweiten Gedichts aus dem Nachtcafé-Zyklus von Gottfried Benn


Hausarbeit (Hauptseminar), 2009

13 Seiten, Note: 1,0

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Interpretation
2.1 Einleitung
2.2 Beschreibung und Analyse
2.3 Der Kreis und die Flucht
2.4 Gesellschaftskritik

3 Fazit

4. Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Das Nachtcafé als Ort und Thematik innerhalb der Expressionistischen Dichtung und auch Malerei hat zahlreiche Dichter und Künstler beeindruckt. Visuell treten hier die Gemälde von Otto Dix und George Grosz in Erinnerung, die vor allem das Leben in den 1920er Jahren im Malstil der Neuen Sachlichkeit zugespitzt darstellen. Als ihre Vorbilder können sicherlich die Gedichte aus dem Jahrzehnt davor gesehen werden, sind doch der Duktus des Pinsels und der der Sprache von ähnlich grober Art.

Dichter wie Ernst Blass, August Stramm und Jakob van Hoddis verfassten Gedichte über nächtliche Café- und Bordellszenen. Vor allem der Nachtcafé- Zyklus von Gottfried Benn zählt zu einer der bekanntesten Auseinandersetzungen mit dieser Thematik und wurde seiner Zeit mit großem Aufsehen rezipiert − George Grosz widmete ihm 1918 sogar eine Zeichnung[1].

Der Nachtcafé-Zyklus wurde 1917 veröffentlicht und besteht aus fünf Gedichten, die zwischen 1912 und 1914 entstanden sind[2]. In den gesammelten Werken herausgegeben von Dieter Wellershoff[3] werden die Gedichte nicht mehr als Zyklus präsentiert, was auf die chronologische Ordnung der Gedichte zurückzuführen ist. In dieser Interpretation steht das zweite Gedicht des Nachtcafé-Zyklus[4] im Mittelpunkt, einige Bezüge zu den anderen Gedichten sind jedoch für das Verständnis unumgänglich. Die Faszination an der Thematik des Nachtcafés und dessen Symbolhaftigkeit für die Dichter und Maler des Expressionismus und später der neuen Sachlichkeit soll in dieser Arbeit anhand dieses Gedichts untersucht werden.

Nachtcafé II lässt sich zwar klar als Teil des Zyklus begreifen, da die Deutung aufkommender Motive mit der Kenntnis der anderen Gedichte erleichter wird, dennoch weist das Gedicht sowohl inhaltliche als auch sprachliche Besonderheiten auf. Während in den anderen vier Gedichten häufig mit Synekdochen gearbeitet wird, die meist durch abstoßende Wortwahl die Hässlichkeit der Menschen beschreiben und Ekel erregen[5], erscheint Nachtcafé II vergleichsweise „sanft“ in der Wortwahl. Besonders im direkten Vergleich zu Nachtcafé I unterscheidet sich die Schilderung der Menschen in Nachtcafé II durch eine realistischere und weniger abstoßende Beschreibungsart. Das lyrische Ich nimmt eine Rolle als Beobachter ein und ist dennoch Teil des Geschehens. In den anderen Gedichten des Zyklus ist die Rolle des lyrischen Ichs eher marginal. Die Szenen im Nachtcafé werden unpersönlich geschildert und der Beobachter tritt völlig in den Hintergrund. In Nachtcafé II hingegen ist das lyrische Ich zwar immer noch Beobachter, tritt aber viel stärker in Erscheinung. Nicht zuletzt ist die Entwicklung im Gedicht auch auf eine Entwicklung innerhalb des lyrischen Ichs zurückzuführen, denn alle Beschreibungen und Bewertungen gehen auf ihn zurück

Somit nimmt Nachtcafé II innerhalb des Zyklus eine gesonderte Stellung ein.

2 Interpretation

2.1 Einleitung

Das lyrische Ich[6] befindet sich in einem Nachtcafé und beschreibt die dort zu beobachtende Szenerie. Der Beobachter erfasst seine Umgebung mit aufmerksamem Blick, indem er verschiedene Personen fokussiert. Während die analytischen Beschreibungen der Personen und der Interaktionen im Vordergrund stehen und zunächst willkürlich erscheinen − also ohne zeitlichen Ablauf oder Zusammenhang, spitzt sich das Gedicht dennoch auf eine pointierte Handlung zu. Diese endet mit den Worten „Sauve qui peut“[7] und kann im übergreifenden Sinne als Fluchtversuch des lyrischen Ichs aus den Geschehnissen im Café und der ihn umgebenden Gesellschaft gedeutet werden. Das lyrische Ich entfaltet sich für den Leser anhand der sprachlichen Formulierung seiner Beobachtungen. Um diese Entwicklung innerhalb des Gedichts verdeutlichen zu können, bietet es sich an, dem Blick des lyrischen Ichs zu folgen und zunächst die einzelnen Verse jeder Strophe hinsichtlich der Struktur und des Inhalt zu untersuchen. Anschließend können einzelne Motive herausgegriffen werden, die sich im Gedicht entwickeln und die für das Verständnis des Gedichts evident sind. Einige Motive und Stilmittel treten auch in den anderen Gedichten des Nachtcafé-Zyklus in Erscheinung. Aus diesem Grund bietet es sich an, das Gedicht nicht nur als hermetisches Werk zu betrachten, sondern die Gesamtheit des Zyklus für die Leseweise zu berücksichtigen.

2.2 Beschreibung und Analyse

Das Gedicht beginnt mit einem einfachen Hauptsatz, der das Gedicht inhaltlich einzuleiten scheint. Diese reduzierte syntaktische Struktur, die als Feststellung des lyrischen Ichs in Reaktion auf sein Umfeld gelesen werden kann, wiederholt sich im gesamten Gedicht. Sie wird stellenweise, vor allem in der letzten Strophe, von einer komplexeren syntaktischen Bauweise abgelöst wird, die mit einer inhaltlichen Entwicklung einhergeht. Das Gedicht besteht aus 5 Strophen unterschiedlicher Länge. Es weist bis auf einen Paarreim hinsichtlich des Metrums und des Reims keine einheitliche Struktur auf.

So einfach der erste Satz syntaktisch erscheinen mag, ist jedoch sein Inhalt ungleich rätselhafter. Die Patentante, eine Frau die das lyrische Ich offensichtlich kennt und auf ihre Funktion reduziert, wird innerhalb des Gedichts nicht in den familiären Bezug gesetzt, der ihrem Titel entspricht. Ihre zwischenmenschliche Funktion und die Verantwortung, die sie als Patentante gegenüber einer Person trägt, finden keine Wertschätzung. Die Einsamkeit, die hier anklingt, wird typisch für die einzelnen Personen im Café.

Die Verrätselung ihrer Person wird durch die nicht eindeutig verständliche Handlung verstärkt. „Die Patentante liest das Universum“ kann auf eine Art von Prophezeiung hindeuten. Das „Universum“ kann aber auch als Metapher für das Nachtcafé stehen, was schließlich auch vom lyrischen Ich durch genaue Beobachtungen „gelesen“ wird. Die Tätigkeit der Patentante kann somit durchaus mit dem Beobachten des lyrischen Ichs gleichgesetzt werden.

[...]


[1] Kiesel, Helmuth: Geschichte der literarischen Moderne: Sprache, Ästhetik, Dichtung im zwanzigsten Jahrhundert. München 2004. S. 396.

[2] Ridley, Hugh: Gottfried Benn: Ein Schriftsteller zwischen Erneuerung und Reaktion. Opladen 1990. S. 64.

[3] Benn, Gottfried: Gedichte. Gesammelte Werke in vier Bänden, Bd. 3. hrsg. von Dieter Wellershoff. Wiesbaden 1960. Fortan: GW.

[4] im Folgenden bezeichnet als Nachtcafé II; GW S. 372.

[5] Beispiele: „Grüne Zähne, Pickel im Gesicht“ (GW S. 18, Z. 5); „Fleischlaub und Hurenherbste” (GW S. 383, Z. 8.)

[6] Das lyrische Ich kann als männlich identifiziert werden. Dies geht aus der selbst gewählten Abgrenzung zu Frauen hervor („Die Weiber“ GW, S. 372, Z. 17).

[7] Übersetzbar als: „Rette sich wer kann”

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Kreislauf und Flucht im Nachtcafé
Untertitel
Interpretation des zweiten Gedichts aus dem Nachtcafé-Zyklus von Gottfried Benn
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin
Note
1,0
Jahr
2009
Seiten
13
Katalognummer
V144788
ISBN (eBook)
9783640538140
ISBN (Buch)
9783640537815
Dateigröße
418 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gottfried Benn, Nachtcafé, Expressionismus, Lyrik, Gedichtinterpretation, Nachtcafé Zyklus
Arbeit zitieren
Anonym, 2009, Kreislauf und Flucht im Nachtcafé, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/144788

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Kreislauf und Flucht im Nachtcafé



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden