Die Auslegung von Verfügungen von Todes wegen sowie die Zulässigkeit und Rechtswirkungen eines erbrechtlichen Auslegungsvertrags


Seminararbeit, 2009

59 Seiten, Note: 17 Punkte


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Literatur und Abkürzungsverzeichnis

Inhaltliche Ausarbeitung

A. Die Auslegung von Willenserklärungen im allgemeinen Zivilrecht
I. Auslegungsbedürftigkeit und Auslegungsfähigkeit
II. Die gesetzlichen Auslegungsvorschriften §§ 133, 157 BGB
III. Interessengerechtes Ergebnis als Leitbild
1. Kriterium der Empfangsbedürftigkeit
2. Kriterium der Schutzbedürftigkeit

B. Die Auslegung von Willenserklärungen im Erbrecht
I. Die Bedeutung der Auslegung
II. Vorrang des Erblasserwillens
III. Der Wortlaut als Grenze der Auslegung
1. Berücksichtigungsfähige Umstände
2. Maßgebichkeit des Errichtungszeitpunktes
IV. Die Form als Grenze der Auslegung
1. Das Erfordernis der Andeutung des Erblasserwillens im Testament
2. Der Verzicht der Andeutung des Erblasserwillens im Testament
3. Bewertung
a) „falsa demonstratio non nocet“
b) Sinn und Zweck des Formerfordernisses
4. Anforderungen an den Anhalt
V. Die ergänzende Auslegung
1. Abgrenzung, Bezeichnung und Gesetzesgrundlage
2. Bedürfnis
3. Lückenfeststellung
4. Lückenausfüllung
5. Einhaltung des Formzwangs
6. Maßgeblicher Zeitpunkt zur Ermittlung des hypothetisch Erblasserwillen
VI. Besonderheiten bei der Auslegung von Erbverträgen und gemeinschaftlichen Testamenten
1. Erbvertrag
a) einseitige Verfügungen
b) vertragsmäßig bindende Verfügungen
aa) Entgeltlichkeit der vertraglichen Verfügung als Schutzwürdigkeitsvoraussetzung
bb) Bewertung
2. gemeinschaftliches Testament
VII. Die besonderen gesetzlichen Auslegungsvorschriften
1. Der Grundsatz „in favorem testamenti“
a) Die wohlwollende Auslegung
b) Aufrechterhaltung von Teilverfügungen
2. Regeln zur Bestimmung des Bedachten
a) Zuwendungen an Abkömmlinge
b) Zuwendungen an den Ehegatten oder Verlobten
c) Zuwendungen mit Unklarheit über die Person
3. Regeln für bedingte Zuwendungen
a) Grenze der Zulässigkeit
b) Rechtsfolgen bei Unwirksamkeit
4. Verwirkungsklauseln

C. Der erbrechtliche Auslegungsvertrag
I. Bedürfnis
II. Der Auslegungsvertrag als Vergleich
1. Tatbestandliche Voraussetzungen des Vergleichs
a) Rechtsverhältnis
b) Streit oder Ungewissheit
c) Gegenseitiges Nachgeben
2. Rechtswirkungen eines Vergleichs
3. Fazit
III. Wirksamkeitsvoraussetzungen
1. Formvorschrift
2. Kein Tangieren von Drittinteressen
3. Einhaltung der Grenzen einer möglichen Auslegung
IV. Rechtswirkungen
1. dingliche
2. schuldrechtliche
3. präjudizielle
a) Bindung durch den Auslegungsvertrag
b) Bindung durch vorherige Erwirkung eines rechtskräftigen Feststellungsur- teils

D. Schlussbemerkung

Literatur und Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

A. Die Auslegung von Willenserklärungen im allgemeinen Zivilrecht

Auslegung einer Willenserklärung ist die Ermittlung ihres rechtlich maßgeblichen Sinns.1Ausgehend vom Wortlaut der Erklärung2soll der hinter ihr stehende Geschäftswille erforscht werden. Dieser ist im Rechtsverkehr grundsätzlich maßgebend, da der Einzelne – als Ausfluss des Grundsatzes der Privatautonomie – seine privaten Lebensverhältnisse nach seinem Willen gestalten können soll.3Der Raum der Auslegung beginnt dabei dort, wo die Erklärung nicht oder nur unvollkommen dem Willen des Erklärenden entspricht.

I. Auslegungsbedürftigkeit und Auslegungsfähigkeit

Die Auslegungsbedürftigkeit ist stets Voraussetzung der Auslegung.4 Verfehlt ist dabei die Auffassung, die Willenserklärung, die nach Wortlaut und Sinn eindeutig ist, biete der Auslegung keinen Raum mehr5. Dieser Ansicht ist entgegen zuhalten, dass die Feststellung der Eindeutigkeit die Berücksichtigung aller Begleitumstände voraussetzt und daher selbst ein interpretatorischer Vorgang ist.6 Diese sog. de- claris- Regel beruht auf dem Gedanken, dass ein Text nur dann der Auslegung bedürftig sei, wenn er dunkel, zweifelhaft oder unklar ist.7 Sie verkennt dabei aber, dass die Frage der Eindeutigkeit selbst eine revisible Rechtsfrage ist.8Auch eine eindeutige Erklärung ist daher nach zutreffender Ansicht auszulegen.9

Dieser Grundsatz gilt auch für den umgekehrten Fall wider- sprüchlicher und unverständlicher Erklärungen. So kann sich etwa aus den Umständen ergeben, dass trotz eines sich widersprechenden Wortlauts ein eindeutiger Sinn vorhanden ist.10Auch hier muss erst durch Auslegung ermittelt werden, ob tatsächlich ein wider- sprüchlicher Sinn vorliegt und die Willenserklärung insoweit keine Rechtsfolgen entfaltet.11Sie ist aber ebenfalls der Auslegung nicht verschlossen und folglich auslegungsfähig.12

II. Die gesetzlichen Auslegungsvorschriften der §§ 133, 157 BGBund ihr Verhältnis zueinander

Das Gesetz hält mit den §§ 133, 157 zwei grundlegende13 Auslegungs- normen bereit. Gemäß § 133 ist „bei der Auslegung einer Willenserklärung der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften“. Nach § 157 BGB sind Verträge „so auszulegen, wie Treu und Glauben es mit Rücksicht auf die Verkehrssitte erfordern“.

Angesichts der Formulierungen könnte man meinen, dass sich die Auslegung von Willenserklärungen wesentlich von der Vertrags- auslegung unterscheidet. Dem steht aber schon entgegen, dass Verträ- ge regelmäßig aus zwei Willenserklärungen bestehen.14Entgegen dem Wortlaut der §§ 133, 157 werden beide Vorschriften jeweils gemein- sam zur Auslegung herangezogen; sie ergänzen einander und werden daher in der Regel auch zusammen zitiert.15 Aufgabe der Auslegung ist es, die richtige Entscheidung zu finden im Streit zwischen dem Interesse des Erklärenden, nur nach Maßgabe seines subjektiven na- türlichen Willens gebunden zu sein (sog. natürliche Auslegung, § 133) und dem Interesse des Erklärungsempfängers, den Erklärenden an den ersichtlichen, objektiven Gehalt der Erklärung zu binden (sog. objektiv- normative Auslegung, § 157).16

III. Interessengerechtes Ergebnis als Leitbild

Welcher Auslegungsmaßstab (wirklicher Wille – Treu und Glauben – Verkehrssitte) mit welcher Gewichtung im Einzelfall stärker zu betonen ist, hängt von der Frage ab, wie ein möglichst interessenge- rechtes Ergebnis erzielt werden kann.17Dieses Leitbild wird vom Gesetzgeber bestätigt, da man andernfalls den Grundsatz des Vertrauensschutzes (§ 157 i. V. m. § 242) unberücksichtigt lässt und die §§ 119ff. leer laufen würden, wenn die Auslegung in allen Fall- gruppen einen dem wirklichen Willen des Erklärenden entsprechenden Erklärungsinhalt herzustellen hätte.18

1. Kriterium der Empfangsbedürftigkeit

Eine wesentliche Unterscheidung bietet insoweit die Empfangs- bedüftigkeit:19Alleine den Erfolgsinteressen des Erklärenden Rechnung zu tragen, ist nur bei Rechtsgeschäften gerechtfertigt, bei denen keine andere Person vorhanden ist, deren Interessen geschützt werden müssten oder wenn zwar eine andere Person vorhanden ist (Erklärungsempfänger), diese aber ausnahmsweise als nicht schutzwürdig anzusehen ist. Generell berühren empfangsbedürftige Willenserklärungen (§ 130 I) auch die Interessen des Erklärungs- empfängers, da dieser in der Lage sein muss, sich auf die durch die Erklärung geschaffene Rechtslage einzustellen.20Deshalb ist er in seinem Vertrauen auf das Erklärte zu schützen, so dass empfangs- bedüftige Willenserklärungen regelmäßig so auszulegen sind, wie sie der Erklärungsempfänger „nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte und der Umstände des Einzelfalls verstehen durfte (objektiver Empfängerhorizont)“21. Es sind daher auch nur die Umstände zu berücksichtigen, die beim Zugang der Erklärung für den Empfänger erkennbar waren.22Das bedeutet aber nicht, dass der Empfänger der Erklärung einfach den für sich günstigen Sinn beilegen darf. Er ist nach Treu und Glauben seinerseits verpflichtet, unter Berücksichtigung aller ihm erkennbaren Umstände mit gehöriger Aufmerksamkeit zu prüfen, was der Erklärende meinen könnte.23

2. Kriterium der Schutzwürdigkeit

So entfällt daher seine Schutzwürdigkeit nicht nur, wenn beide übereinstimmend ihren – insoweit unrichtig ausgedrückten – Erklärungen denselben Sinn beimessen (sog. „falsa demonstratio non nocet“)24, sondern auch, wenn der Erklärungsempfänger bei Anwendung der ihm zumutbaren Sorgfalt unschwer hätte erkennen können, was mit der Erklärung gemeint war25. Die Umstände der Erklärung finden insoweit entsprechende Berücksichtigung hinsichtlich der Zurechenbarkeit des Erklärungsempfängers. Ergeben sich daraus keine Hinweise auf einen möglichen Irrtum, so geht die irrtümliche Erklärung zu Lasten des Erklärenden. Diese unter- schiedliche Behandlung ist gerechtfertigt, weil letztere seiner Sorgfaltssphäre entspringt.26So zieht die vom wahren Willen abweichende Willenserklärung aber nicht ipso iure die Nichtigkeitsfolge nach sich, sondern es verbleibt die Möglichkeit, diese unter den Voraussetzungen der §§ 119ff. im Wege der Anfech- tung zu beseitigen.27

Ziel der Auslegung ist demnach die Feststellung des der Erklärung innewohnenden Sinnes und zwar unter verschiedenen möglichen Be- deutungen derjenigen, die gerade das Recht im Sinne eines gerechten Interessenausgleiches als die maßgebliche ansieht.28Auf diese Weise kommt es im Rahmen der Auslegung zu einem Ausgleich zwischen dem Schutz der Privatautonomie und dem Schutz des Rechtsverkehrs.

B. Die Auslegung von Willenserklärungen im Erbrecht

I. Bedeutung der Auslegung

Die Relevanz der Auslegung spielt bei Verfügungen von Todes wegen eine erhebliche Rolle. Dieses hängt zum einen damit zusammen, dass die erbrechtlichen Regeln und Begrifflichkeiten Laien regelmäßig nicht oder nur wenig bekannt sind und trotzdem letztwillige Verfügungen oft ohne juristische Beratung abgefasst werden.29 Ferner liegt zwischen Testamentserrichtung und Erbfall nicht selten eine erhebliche Zeitspanne,30 in der sich die tatsächlichen Verhältnisse maßgeblich verändern können.

II. Vorrang des Erblasserwillens

Ziel der Testamentsauslegung ist – insoweit ohne Unterschied zur herkömmlichen Auslegung – die Ermittlung des „rechtlich maßgeb- lichen Sinnes der Erklärung“31; genau genommen „der Klärung der Frage, was der Erblasser mit seinen Worten sagen wollte“32. Besonderheiten bei der Auslegung ergeben sich jedoch aus der Tatsache, dass es sich beim Testament um eine nicht empfangs- bedürftige Willenserklärung handelt, die somit keinen Empfänger im Rechtssinne hat. Einen schutzwürdigen Erklärungsadressaten gibt es demnach nicht, so dass dem in der Regel sonst für die Auslegung maßgeblichen objektiven Empfängerhorizont keine Bedeutung zukommt.33Dieses trifft in gleichem Maße auf den als Äquivalent zum Empfängerhorizont immerhin denkbaren Horizont des von der Verfügung Betroffenen zu.34 Er ist ebenfalls nicht schützenswert, da dem Bedachten zu Lebzeiten keine gesicherte Rechtsposition geschaffen wird und er zudem unentgeltlich erwirbt.35Auch erbringt der Nachlasserbe selbst dann keine Gegenleistung, wenn er mit einem Vermächtnis oder einer Auflage beschwert ist.36Vielmehr obliegt es dem Erblasser, jederzeit sein Testament zu widerrufen §§ 2253, 2258. Der fehlende Vertrauensschutz wird weitergehend vom Gesetz bestätigt, als die Anfechtung (§ 2078 I) auch jeden Motivirrtum des Erblassers genügen lässt37und § 2078 III darüber hinaus eine sonst übliche Entschädigung nach § 122 für die Anfechtung im Erbrecht ausschließt. Insoweit ist es berechtigt, von einem „Willensdogma“38des Erblassers bei der Auslegung von Testamenten zu sprechen; alleiniger Auslegungsmaßstab ist nur nach § 133 der „wirkliche Wille“ des Erblassers.39

Ausnahmen ergeben sich – neben der eingeschränkten Widerrufsfrei- heit beim gemeinschaftlichen Testament und Erbvertrag40– bei solchen Verfügungen, mit denen der Erblasser einen Nachlass- beteiligten zu einem bestimmten Verhalten veranlassen will. So kommen Besonderheiten insbesondere bei Zuwendungen unter einer Potestativbedingung (aufschiebend oder auflösend) sowie bei Teilungsanordnungen oder Anweisungen an den Testaments- vollstrecker in Betracht.41 Sie können nur zu einem Verhalten veranlasst werden, wenn sie die Anordnung auch verstehen können; daher muss sie vernünftigerweise auch vom Horizont des Betroffenen ausgelegt werden.

III. Der Wortlaut als Grenze der Auslegung

Jede Auslegung hat beim Wortlaut der Erklärung anzusetzen, allerdings führt die Analyse des Wortlauts oft nicht zu einem eindeuti- gen Ergebnis.42So darf der Richter sich nach richtiger Auffassung43bei der Auslegung des Testaments nicht auf eine Analyse des Wortlauts beschränken, sondern muss „alle ihm zugänglichen Um- stände außerhalb des Testaments berücksichtigen“44, die zur Ermitt- lung des Erblasserwillens beitragen können.45Für eine Begrenzung sind keine schutzwürdigen Belange anderer Personen erkennbar, wodurch auch in den Fällen klaren und eindeutigen Wortlauts der Auslegung des Testaments keine Grenze gesetzt wird.46

1. Berücksichtigungsfähige Umstände

Die Rechtsfrage, ob eine Verfügung eindeutig oder mehrdeutig ist, kann auch im Erbrecht nur das Ergebnis auslegender Beurteilung sein, so dass schon deshalb auch außerhalb des Textes liegende Umstände zu berücksichtigen sind.47Um dem Anforderungsmaßstab des wörtlich zu nehmenden § 133 weiter gerecht zu werden, kann somit auch ein vom allgemeinen Sprachgebrauch abweichender eigener Sprachge- brauch maßgeblich sein.48Dieses scheint ohnehin mit Blick auf die Verwendung von Fachausdrücken gerechtfertigt, wobei auch hier wie- derum auf die Umstände im Einzelfall Rücksicht genommen werden muss. So ist beispielsweise bei öffentlichen Testamente die Vermutung zur korrekten juristischen Ausdrucksweise aufgrund der notariellen Rechtsbelehrung gemäß § 17 I S. 1 BeurKG erheblich gesteigert.49Praktisch wird aber in jedem Fall ein voreiliges Abschnei- den von Auslegungsproblemen verhindert und einem möglichen Miss- brauch unter Berufung auf einen scheinbar eindeutigen Wortlaut vor- gebeugt.50

2. Maßgeblichkeit des Errichtungszeitpunktes

Außer Betracht bleiben daher nur solche Umstände, die nach der Testamentserrichtung liegen und daher den Erblasserwillen nicht haben beeinflussen können.51Würden spätere Umstände als zum Zeitpunkt des Errichtungszusammenhangs zugelassen, würde man anderenfalls eine Testamentsänderung oder einen Testamentswiderruf ohne Einhaltung der dafür vorgesehenen Formvorschriften akzeptie- ren.52 So würde man dem Prinzip der Verantwortung des Erklärenden nicht mehr gerecht: ihm obliegt es, in diesen Fällen neu zu testieren oder es zu unterlassen.53

Dem Verantwortungsbereich des Testierenden in vernünftigem Aus- maß Rechnung zu tragen, gebietet es zudem, dass nicht vorschnell von den verwendeten Formulierungen im Sinne eines anderen Wortsinns abgewichen wird. Wer eine Erklärung abgibt, wird sich grundsätzlich über den Sinn der verwendeten Worte Gedanken machen bzw. sich darüber informieren.54

IV. Die Form als Grenze der Auslegung

Gelangt man im Wege der Auslegung zu einem Willen des Erblassers, der dem eindeutigen Wortlaut der abgegebenen Erklärung wider- spricht, schließt sich die Frage an, ob dieser ermittelte Wille auch formgerecht erklärt worden ist.55Umstritten ist dabei, ob nicht vielmehr der maßgebliche Wille des Erblassers in der Testaments- urkunde zumindest irgendwie zum Ausdruck gekommen oder ange- deutet sein muss (sog. Anhalts– oder Andeutungstheorie)56.

1. Das Erfordernis der Andeutung des Erblasserwil- lens im Testament

Die Befürworter der Andeutungstheorie spalten sich dabei erneut: so wird für den einen Teil57das Kriterium erst nach Ermittlung des Erb- lasserwillens bei der Formfrage relevant, während sie für einen anderen Teil der Lehre58schon dazu dient, überhaupt nur anhand der vorhandenen Regelungen des Testamentstextes den rechtlich erklärten Erblasserwillen zu ermitteln.59In beiden Fällen wird aber das Erfordernis einer Andeutung des Erblasserwillens im Testament gefordert und zwar jeweils unter Hinzuziehung aller Umstände, auch derer, die außerhalb der Urkunde liegen.60So führen beide Auffassungen regelmäßig zu den gleichen Ergebnissen61und die Unterscheidung ist zumindest bei der Falllösung letztlich rein dogmatischer Natur (umfassende Ermittlung des Erblasserwillens – anschließende Begrenzung anhand der Form / Begrenzung des Erb- lasserwillens bereits bei dessen Feststellung anhand der Urkunde). Anders ist die Situation im Prozess; hier erscheint es wenig sinnvoll, zunächst im Wege einer unter Umständen umfassenden Beweis- aufnahme einen gesamten tatsächlichen Willen zu ermitteln, der anschließend ohnehin mangels Andeutung im Testament keine Gel- tung erlangt.62

2. Der Verzicht der Andeutung des Erblasserwillens im Testament

Die Gegenansicht will jedoch gänzlich auf eine irgendwie geartete Andeutung des Erblasserwillens verzichten. Sie führt ihrer Meinung nach dazu, dass der weitschweifende Erblasser gegenüber dem knapp formulierenden bevorzugt wird63, da sich beim Ersteren schneller und leichter irgendeine Andeutung finden lasse. Zudem nötige die Andeu- tungstheorie somit zu „Wortklaubereien“64. Des weiteren wird als Begründung angeführt, dass sie im Widerspruch zum Grundsatz „falsa demonstratio non nocet“ stehe, der unstrittig auch im Erbrecht gilt.65 Demnach sind Falschbezeichnungen bezüglich des Bedachten unbeachtlich und werden trotzdem auch von den Befürwortern als formgerecht akzeptiert66. Ferner wird behauptet, dass die Andeutungs- theorie zu Rechtsunsicherheit verleite, da es in der Hand des Richters liegt, ob er die Andeutung sieht und insoweit für ausreichend erachtet.67Ohnehin führe das eingeforderte Formerfordernis nur zu einer Begrenzung, als dass somit die Freiheit in der Wahl der Ausdrucksmittel eingeschränkt wird.68

3. Bewertung

Demgegenüber ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der weitschweifige Erblassers nicht das Problem darstellt und eine Bevorzugung nur äußerst selten eintreten wird.69Schwierig sind vielmehr die Fälle, in denen die Andeutungstheorie dem Erblasser- willen entgegensteht, weil dieser eine gewollte Verfügung vergessen hat.70Aber auch hier wird der vielschreibende Erblasser kaum rein zufällig die Verfügung angeordnet haben. Außerdem entspricht es im Bereich von formbedürftigen Erklärungen einer durchaus sachge- rechten Differenzierung, wenn ein in der Erklärung wenigstens angedeuteter Wille anders behandelt wird als ein in der Erklärung überhaupt nicht ausgedrückter. Auch nötigt die Andeutungstheorie nicht zu „Wortklaubereien“, denn sie bezweckt ja gerade nicht, den Erblasserwillen „um jeden Preis durchzuboxen“,71so dass auch kein Druck besteht, einen Wortlaut auch dann als Willen des Erblassers zu interpretieren, wenn dieser in ihm überhaupt nicht enthalten ist. Der Vorwurf der Rechtsunsicherheit ist nicht nur unbelegt, sondern ihm ist entgegen zu halten, dass ein Verzicht auf die Andeutungstheorie die Gefahr noch vergrößert, da sämtliche Parteibehauptungen als erheb- lich eingestuft werden müssten.72Diese würden – auch wenn vom Text der Urkunde in keiner Weise unterstützt – zum Beweisthema gemacht und wären bei Präsentation "geeigneter" Zeugen vermutlich auch noch siegreich.73

a) „falsa demonstratio non nocet“

Ein Widerspruch zum Grundsatz „falsa demonstratio“ erweist sich bei näherer Betrachtung ebenfalls als unhaltbar. In den Fällen der unschädlichen Falschbezeichnung stehen dem Gericht sowohl Erklärender als auch Erklärungsempfänger als Beweismittel zur Verfügung. Zudem ist die zeitliche Differenz zwischen Vertrags- schluss und Rechtsstreit relativ gering, so dass der wirkliche Wille der Parteien wesentlich einfacher ermittelt werden kann. Auch besteht hier von vorne herein eine Beschränkung der Interessen auf die am Vertragsschluss beteiligten Personen.74 Ohnehin beruht die Un- schädlichkeit einer Falschbezeichnung auf dem Gedanken, dass sie sich aus dem Empfängerhorizont als „richtige“ Bezeichnung darstellt. Bei der Testamentsauslegung ist aber alleine auf den Horizont des Erblassers abzustellen.75

b) Sinn und Zweck des Formerfordernisses

Die Ansicht, die Formzwecke im Erbrecht würden sich in der Frage erschöpfen, ob überhaupt ein gültiges Testament vorliegt, aber keine Relevanz für dessen Inhalt entfalten76und generell mehr beschränken als nützen77, wird selbigen in keiner Weise gerecht und verkennt dessen elementare Funktionen.

Die Form soll neben ihrer Beweisfunktion den Erblassers vor Über- eilung schützen und so eine Grenzen zwischen verbindlich Gewolltem gegenüber Vorüberlegungen bzw. Entwürfen ermöglichen.78 Sie schützt die Testierfreiheit des Erblassers in vollem Umfang: dieses betrifft sowohl die positive Freiheit – die es dem Erblasser überlässt, ob und wie er testieren möchte – aber eben auch die negative Freiheit des Erblassers, nicht zu testieren und somit gesetzliche Erbfolge eintreten zu lassen.79So werden durch sie Streitigkeiten zwischen den Erbprätendenten gerade vermieden und das verantwortungsvolle Testieren gefördert, weshalb eine Reduktion auf mündlich geäußerte Erklärungen vernünftigerweise nicht ausreichend sein kann.80Es geht somit nicht nur um das prinzipielle Ernstnehmen der gesetzlichen Form, sondern vor allem um das praktische Anliegen, den Erblasser- willen vor Verfälschung zu schützen.81

So gilt es an der Andeutungstheorie festzuhalten, da sie den Erblasser- willen respektiert und dem Formerfordernis gleichermaßen Rechnung trägt. Die Auslegung findet daher dort ihre Grenze, wo sich für den durch Auslegung ermittelten Willen im Testament keinen Anhalt findet lässt.

4. Anforderungen an den Anhaltpunkt

Gleichwohl wird man sich bei Befürwortung der Andeutungstheorie fragen müssen, wann man von einem, wenn auch unvollkommenen, Anhaltspunkt noch sprechen kann und wann keine hinreichende Stütze im Testament mehr vorliegt. Zunächst ist festzuhalten, dass eine unter- lassene oder vergessene Verfügung von Todes wegen nicht im Wege der einfachen Auslegung nachträglich geschaffen werden kann.82Aufgrund der verschiedensten denkbaren Ausdrucks-möglichkeiten, der Tatsache, dass selbst der scheinbar eindeutige Wortlaut der Interpretation bedarf und jeweils die zu berücksichtigenden Umstände (Textzusammenhang, Wahl der Textform, frühere Verfügungen oder sonstige Erklärungen außerhalb des Testaments) im Einzelfall mit unterschiedlicher Gewichtung zur Beurteilung stehen, ist eine positive Grenzziehung nicht möglich. So verbleibt letztlich nur eine negative Abgrenzung: von einem erklärten Willen kann zumindest dann nicht mehr gesprochen werden, wenn sich der Wortlaut weder nach dem objektiven Sinn noch nach dem Erblasserhorizont als hinreichenden Ausdruck eines Rechtsfolgewillens darstellen lässt.83

[...]


1 Palandt/ Ellenberger, § 133, Rn. 1.

2 Bamberger - Roth/ Wendtland, § 133, Rn. 23.

3 Brox, AT, Rn. 125.

4 Palandt/ Ellenberger, § 133, Rn. 6.

5 So aber: BGHZ 25, 319; 80, 246/ 250.

6 Vgl. Erman/ Palm, § 133, Rn. 12.

7 Meder, 2. Kapitel, S. 17.

8 MüKo/ Mayer- Maly und Busche, § 133, Rn. 46.

9 Brox, AT, Rn. 127.

10 Vgl. BGHZ 20, 110.

11 Vgl. Erman/ Palm, § 133, Rn. 12.

12 So auch: MüKo/ Mayer- Maly und Busche, § 133, Rn. 46; a. A.: RGZ 158, 124.

13 Alle nicht anderweitig gekennzeichneten §§ sind solche des BGB.

14 Schmidt, Rn. 400 – 406.

15 Flume, AT, § 16 3 a).

16 Erman/ Palm, § 133, Rn. 13.

17 Vgl. Brox, AT, Rn. 129.

18 Palandt/ Ellenberger, § 133, Rn. 9.

19 Schmidt, Rn. 400.

20 Vgl. Erman/ Palm, § 133, Rn. 14 – 16.

21 Vgl. BGHZ 36, 33; 47, 78; 103, 280.

23 BGH, NJW 1981, 2296.

24 BGHZ 87, 71.

25 Vgl. BGH, NJW 1981, 2296.

26 Flume, AT, § 16 3 c).

27 Vgl. Brox, AT, Rn. 135.

28 Vgl. Larenz, S. 1.

29 Olzen, Rn. 558.

30 Schlüter, Rn. 190.

31 Lange/ Kuchinke, § 34 III 3a.

32 BGH, NJW 1993, 256.

33 Frank, § 7, Rn. 1.

34 Staudinger/ Otte, Vorbem. zu §§ 2064ff., Rn. 24.

35 Olzen, Rn. 561.

36 Brox, ErbR, Rn. 198.

37 Schlüter, Rn. 191.

38 Soergel/ Loritz, § 2084, Rn. 5; Brox, ErbR, Rn. 195.

39 Vgl. Olzen, Rn. 561.

40 Siehe S. 17 ff.: Besonderheiten bei der Auslegung von Erbverträgen und ge- meinschaftlichen Testamenten.

41 Staudinger/ Otte, Vorbem. zu §§ 2064ff., Rn. 24.

42 MüKo/ Leipold, § 2084, Rn. 17.

43 A. A.: RGZ 142, 171/ 175; BGHZ 26, 204/ 211; 32, 60.

44 Unter Aufgabe der bisherigen Auffassung: BGHZ 86, 41/ 45f.

45 Schlüter, Rn. 192; Soergel/ Loritz, § 2084, Rn. 6; Staudinger/ Otte, Vorbem. zu §§ 2064 ff., Rn. 54 ff.; a. A.: Lange/ Kuchinke, § 34 III 2a.

46 Brox, ErbR, Rn. 200; Soergel/ Loritz, § 2084, Rn. 6.

47 Staudinger/ Otte, Vorbem. zu §§ 2064ff., Rn. 56.

48 Schreiber, Jura 1996, S. 360/ 366; Edenfeld, ZEV 2004, S. 141/ 144ff.

49 Vgl. Frank, § 7, Rn. 2; Olzen, Rn. 568.

50 Vgl. Staudinger/ Otte, Vorbem. zu §§ 2064ff., Rn. 57.

51 Staudinger/ Otte, Vorbem. zu §§ 2064ff., Rn. 60; Foer, AcP 153, S. 492/ 527ff.; a. A.: Lange/ Kuchinke, § 34 III 7a.

52 Olzen, Rn. 569.

53 MüKo/ Leipold, § 2084, Rn. 23.

54 MüKo/ Leipold, § 2084, Rn. 10a.

55 Schlüter, Rn. 192.

56 Brox, ErbR, Rn. 200.

57 BGHZ 86, 41/ 45; Schlüter, Rn. 192.

58 Schreiber, Jura 1996, S. 360/ 365f.; MüKo/ Leipold, § 2084, Rn. 2 m. w. N.

59 Frank, § 7, Rn. 3.

60 Olzen, Rn. 562f.

61 Frank, § 7, Rn. 3; Lange/ Kuchinke, § 34 III 2a.

62 Vgl. Olzen, Rn. 563.

63 Brox, ErbR, Rn. 204.

64 Hasemyer, AcP 188, S. 427/ 428; Harder/ Kroppenberg, Rn. 195ff.; Nomos/ Dörner, § 125, Rn. 19.

65 Brox, JA 1984, S. 549/ 556; Flume, NJW 1983, S. 2007/ 2008f.

66 Foer, Die Regel „falsa demonstratio non nocet“, S. 142.

67 Smid, JuS 1987, S. 283/ 286f.; Brox, ErbR, Rn. 200.

68 Lange/ Kuchinke, § 34 III 2c.

69 Soergel/ Loritz, § 2084, Rn. 8.

70 Olzen, Rn. 572.

71 Staudinger/ Otte, Vorbem. zu §§ 2064ff., Rn. 30.

72 Olzen, Rn. 574.

73 Vgl. Staudinger/ Otte, Vorbem. zu §§ 2064ff., Rn. 30a und 39.

74 Schlüter, Rn. 192.

75 MüKo/ Leipold, § 2084, Rn. 14; Olzen, Rn. 573.

76 So: Smid, JuS 1987, S. 283/ 287f.; Brox, JA 1984, S. 549/ 553.

77 Siehe Fn. 68.

78 Olzen, Rn. 575; BGHZ 80, 241/ 246 und 251.

79 Soergel/ Loritz, § 2084, Rn. 9.

80 Vgl. Schlüter, Rn. 192.

81 Staudinger/ Otte, Vorbem. zu §§ 2064ff., Rn. 39.

82 Wieser, JZ 1985, S. 407; Staudinger/ Otte, Vorbem. zu §§ 2064ff., Rn. 11; konsequenterweise ablehnend: Brox, JA 1984, S. 549/ 557.

83 MüKo/ Leipold, § 2084, Rn. 9.

Ende der Leseprobe aus 59 Seiten

Details

Titel
Die Auslegung von Verfügungen von Todes wegen sowie die Zulässigkeit und Rechtswirkungen eines erbrechtlichen Auslegungsvertrags
Hochschule
Universität Münster
Veranstaltung
Familien- und Erbrecht
Note
17 Punkte
Autor
Jahr
2009
Seiten
59
Katalognummer
V145045
ISBN (eBook)
9783640541942
ISBN (Buch)
9783640542079
Dateigröße
582 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Auslegung, Empfängerhorizont, Erblasser, Erblasserwille, erbrechtliche Auslegungsvertrag
Arbeit zitieren
Julian Fischer (Autor:in), 2009, Die Auslegung von Verfügungen von Todes wegen sowie die Zulässigkeit und Rechtswirkungen eines erbrechtlichen Auslegungsvertrags, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/145045

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