Wünsche und Bedürfnisse an Einrichtungen psychosozialer Versorgung zur hilfreichen Unterstützung bei der Bewältigung psychischen Leidens

Eine Befragung von Menschen mit Psychiatrieerfahrung in Glauchau und Leipzig


Diplomarbeit, 2009

91 Seiten, Note: 1,2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Danksagung

Notwendige Vorbemerkungen

Teil I. Menschen mit Psychiatrieerfahrungen im Kontext mit sich selbst und der Psychiatrie - theoretischer Teil

1 Die „Psychisch Leidende“ im Sprachgebrauch
1.1 Krank, abweichend, verrückt, irre
1.2 Krankheit, Betroffenheit und Kritik
1.3 Zusammenfassung

2 Von der Krise zur „Verrücktheit“
2.1 Die Bedeutung von Krisen
2.2 Entstehen von „Verrücktheit“
2.3 Thesen zum Erleben von Psychosen
2.4 Zusammenfassung

3 Die etikettierte „Verrücktheit“
3.1 Grundsätzliches zum Etikettierungsansatz
3.2 Stabilisierung psychischen Leidens als gesellschaftlich geschaffener Prozess
3.3 Die psychiatrische Etikettierung
3.4 Zusammenfassung

4 Wege der Psychiatrie in Glauchau und Leipzig
4.1 Die sozialpsychiatrische Entwicklung in Leipzig
4.2 Die psychiatriegeschichtliche Entwicklung in Glauchau
4.3 Leipzig und Glauchau - psychosoziale Versorgungsnetze im Vergleich
4.4 Die Psychiatriereform auf Abwegen
4.5 Zusammenfassung

Teil II. Psychiatrieerfahrene Menschen und ihr eigenes Wissen - ausgewählte Einzelinterviews zu Wünschen und Bedürfnissen an die psychosoziale Versorgung in Leipzig und Glauchau

5 Die Interviews
Exkurs: Bedürfnisse von Psychiatrieerfahrenen
5.1 Der methodische Ansatz
5.1.1 Beteiligung psychiatrieerfahrener Menschen an der Forschung
5.1.2 Das halbstrukturierte Interview nach problemzentriertem Ansatz
5.2 Vorgehensweise
5.2.1 Zugang zu den Psychiatrieerfahrenen
5.2.2 Durchführung der Interviews
5.2.3 Auswertung
5.3 Die interviewten Psychiatrieerfahrenen
5.4 Zusammenfassung

6 Aus der Sicht Psychiatrieerfahrener - Ergebnisse einer Befragung
6.1 Erfahrungen mit der eigenen Krise und dem eigenen psychischen Leiden
6.2 Erfahrungen mit der klinischen Psychiatrie
6.3 Erfahrungen mit alternativen Hilfen
6.4 Wünsche und Bedürfnisse psychiatrieerfahrener Menschen

7 Psychiatrie wie sie sein könnte. Ein konzeptioneller Entwurf wirksamer Hilfen zur Bewältigung psychischen Leidens
7.1 Vorschläge für eine hilfreiche Unterstützung
7.2 Gewünschte Unterstützung und vorhandene Hilfeansätze im Vergleich

8 Schlussbetrachtungen

Anlagen

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Danksagung

Ganz herzlich möchte ich mich bei den Frauen und Männern der Selbsthilfegruppe Glauchau, des Psychoseseminars Leipzig und der Psychiatriebetroffeneninitiative „Durchblick e.V.“ Leipzig bedanken, die mich bei der Anfertigung dieser Diplomarbeit unterstützt haben.

Doreen Müller

Im Juni 2009

Notwendige Vorbemerkungen

Was brauchen psychiatrieerfahrene Menschen um die Krise zu überwinden oder das psychische Leiden zu bewältigen? Inwiefern kann eine derzeitige psychosoziale Versorgungsstruktur hier in Sachsen, beispielsweise in Glauchau und Leipzig, Hilfe leisten und wie weit entspricht sie den Bedürfnissen der Psychiatrieerfahrenen. Durch den vergleichenden Blick auf die stationären Dienste und ambulanten, komplementären Angebote soll exemplarisch der Frage nachgegangen werden, inwiefern bei der Bewältigung von Krisen und psychischem Leiden die Handlungs- ansätze der angesprochenen Dienste eine Rolle spielen. Dabei soll Ziel sein die Gegebenheiten der Versorgungsstruktur zu untersuchen und kritisch anzuschauen unter Berücksichtigung der Bedürfnisse und Wünsche der Adressaten. Abschließend sollen eventuell Vorschläge zu betroffenenorientierten Konzepten, für unterstützende Hilfe, gemacht werden. Diese Arbeit ist ein Versuch strikt unter betroffenenorientierter Perspektive die eben genannten Fragen zu untersuchen1:

„Willst du etwas wissen, so frage einen Erfahrenen und keinen Gelehrten.“2

Der theoretische Teil I der vorliegenden Arbeit dient dem Einstieg in die Thematik und der Vorbereitung auf den konzeptionellen Teil. In Kapitel 1 werden die zugrunde- liegenden Begriffe angeschaut. Dabei wird folgendermaßen vorgegangen. Zunächst gibt eine Darstellung mit welchen Begriffen zur Krise und Diagnose in den Einrichtungen gearbeitet wird, einen Einblick. Danach werden einige kritische Überlegungen angestellt und darauf eingegangen wie die Begriffe weiter fundiert benutzt werden. Anschließend folgt im 2. Kapitel die Auseinandersetzung mit der Entstehung von Verrücktheit in Verbindung mit Krisensituationen. Im 3. Kapitel wird auf die gesellschaftlichen Zuschreibungsprozesse eingegangen die, die Sicht auf psychisches Leiden unter näherer Betrachtung des Labeling - Ansatzes wesentlich bestimmen. Außerdem wird die psychiatriegeschichtliche Entwicklung der in dieser Arbeit untersuchten Versorgungsgebiete, in Kapitel 4 betrachtet. Dieses Kapitel enthält neben diesem geschichtlichen Exkurs eine kritische Auseinandersetzung mit den Auswirkungen der Psychiatriereformen und zeigt den Versorgungsstand der heutigen Hilfen in Glauchau und Leipzig auf. Im Teil II der Arbeit wird das methodologische

Vorgehen betrachtet. Zunächst erfolgt ein Exkurs zu Wünschen und Bedürfnissen der Psychiatrieerfahrenen anhand theoretischer Annahmen aus der Psychiatrie-erfahrenen - Literatur. Anschließend wird in Kapitel 5 auf den betroffenenkontrollierten und den betroffenenorientierten Ansatz näher eingegangen. Aufgrund normativer und zeitlicher Bestimmungen für das Anfertigen einer Diplomarbeit geht diese Arbeit nicht betroffenenkontrollierten vor. Der Ansatz bleibt als Wissensgrundlage für diese Untersuchung bedeutend. Weiterhin werden Durchführung und Verlauf der Interviews dargestellt. Die Interviewten werden anhand einiger statistischer Angaben charakterisiert. Im 6. Kapitel erfolgt die Auswertung der geführten Interviews und eine kategorische Zuordnung der qualitativen Aussagen der Psychiatrieerfahrenen. Anhand der Interviewaussagen gemeinsam mit den Ergebnissen aus dem theoretischen Teil werden neue konzeptionelle Überlegungen wirksamer Hilfen für die Bewältigung psychischen Leidens erstellt und mit vorhandenen Ansätzen verglichen.

Die finanziellen und ökonomischen Aspekte finden in dieser Arbeit bewusst keine Beachtung. Nicht die Kosten und die Leistungskriterien sollen entscheidend sein, sondern die Sicht der psychiatrieerfahrenen Menschen und deren Bedürfnisse. Abschließend sei darauf hingewiesen, dass auf die sonst übliche männlich- geschlechtliche Personenzuordnung verzichtet wird und die weibliche Schriftform zur Anwendung kommt.

Teil I. Menschen mit Psychiatrieerfahrungen im Kontext mit sich selbst und der Psychiatrie - theoretischer Teil

1 Die „Psychisch Leidende“ im Sprachgebrauch

Im nachfolgenden Kapitel wird die „Psychisch Kranke“ unter den Sichtweisen von Professionellen und Psychiatrieerfahrenen betrachtet. Hierbei soll zunächst die Definition genauere Beachtung finden und auf die Aspekte Gesundheit und Krankheit eingegangen werden. Des Weiteren wird der Versuch unternommen die Frage zu beantworten wer Krankheit definiert, um so anschließend zu einer kritischen Auseinandersetzung mit den o.g. Begrifflichkeiten zu kommen und zusammenfassend eine Begründung vorzulegen aus welchen Gründen welcher Begriff in dieser Arbeit (keine) Anwendung findet. Dies beinhaltet den Definitionsversuch der „Psychiatrie- erfahrenen“ in Verbindung mit dem Modell der Salutogenese von Aaron Antonovsky.

1.1 Krank, abweichend, verrückt, irre

Aus Sicht der Psychotherapeutinnen leidet die psychisch Erkrankte darunter, dass sie anders denkt, fühlt oder handelt als andere Menschen in ihrem Umfeld. Dieses Leiden drückt sich darin aus, dass die Erkrankte bestimmte Gefühle, wie zum Beispiel Freude, Liebe und gegensätzliche Gefühle, die ihr Leben bestimmen nicht mehr empfinden kann oder sie sich ständigen Gefühlsschwankungen ausgesetzt sieht. Psychische Störungen können sich allerdings auch in körperlichen Beschwerden niederschlagen. Somit gilt die Psychisch Kranke als in ihrem Leben beeinträchtigt und nicht selten ihr Leben direkt als gefährdet (Suizidgefahr) (vgl. www.btpk.de 2009, o.S.). Jedoch sind psychische Krankheiten nicht ausschließlich „Störungen im Ablauf der Lebens- vorgänge, die mit einer Herabsetzung der Leistungsfähigkeit einhergehen und meist mit wahrnehmbaren Veränderungen des Körpers verbunden sind (Dörner/Plog/Teller u.a. 2007, S.36).“ Vielmehr beinhaltet der Krankheitsbegriff einen weiteren Aspekt psychischen Leidens: „dass ein Mensch, der krank, abweichend, irre, verrückt ist, in Beziehung zu Anderen, zu sich selbst und seinen Gefühlen und zu seinem Körper verfehlt handelt. Beginnt man den Aspekt der Beziehung zu berücksichtigen, ist es nicht mehr möglich nur von einzelnen Krankheitsträgern auszugehen und nur diese wahrzunehmen. Es sind auch die anderen Teile des Geflechts mitzusehen. Die Bedingungen des gestörten Handelns sind dann zu erspüren und evtl. zu ändern. Eine solche Sichtweise ermöglicht, dem Begriff „krank“ eine breitere Bedeutung zu geben (ebd. 2007).“ Nach Lazarus und Bosshard, die Antonovskys Konzept der Salutogenese anwenden, sind Menschen nicht entweder gesund oder krank, sondern sie sind immer beides. Ein Mensch ist demnach nie ganz gesund, viel eher gibt es Einschränkungen der Gesundheit durch seelische, körperliche oder soziale Störungen. Ebenso ist ein Mensch nie ganz krank, da die Person immer über etwas verfügt was gesund geblieben ist. Diese ressourcenorientierte Sichtweise sollte in erheblichem Maße Anwendung in der Psychiatrie finden (vgl. Bosshard/Ebert/Lazarus 2007, S. 456).

1.2 Krankheit, Betroffenheit und Kritik

„Alles was der Arzt und die Gesellschaft nicht dem eigenen Wesen als verwandt empfinden kann, der ist verrückt, irre, abweichend nicht normal (vgl. Rufer 1997, S.23).“ Nach Marc Rufer ist es die Psychiatrie, die immer noch die Berechtigung besitzt, zu bestimmen was sein darf und was nicht, zu bestimmen was als gesund und krank gilt und was in Ordnung ist bzw. wer behandlungsbedürftig ist oder verwahrt werden muss. Seine Äußerungen wollen aber nicht diesen Standpunkt befürworten, vielmehr betont Marc Rufer, dass diese Definitionsmacht der Psychiatrie kaum angefochten wird und dass dies als kritisch zu betrachten sei (vgl. ebd. 1997, S.22). Des Weiteren spricht Marc Rufer davon, dass die Psychiaterinnen kaum in der Lage seien echte Psychosen von gespielten oder scheinbaren Psychosen zu unterscheiden. Dies belegt Rufer an dem Experiment von Rosenhan3 (vgl. Rufer 1991, S.56). Dadurch dass die „medizinische Expertokratie“ (Foucault 1973) definiert, was dem Menschen fehlt, wo sich seine Defizite und Mängel befinden, ersterben die Ressourcen und die Entmündigung der psychiatrieerfahrenen Menschen durch die Expertinnen schreitet voran (vgl. Illich 1976 zit. n. Hellerich 2003, S.40). Ebenso kritisch kann die Bezeichnung „Betroffene“ gesehen werden. Die Norwegerin Arnhild Lauveng, klinische Psychologin mit eigenen Psychiatrieerfahrungen beschreibt ihre Sicht: „das Einzige, was das Wort „Betroffener“ wirklich sagt, ist, dass man selbst keine Leistungen anbietet, kein Beobachter oder Angehöriger ist. Oder anders ausgedrückt: Du bist nicht einer „von uns“, du gehörst zu der „anderen Gruppe“ (Lauveng 2008, S.121).“ Demzufolge ist die Definition „Betroffene“ weniger dazu geeignet Vorurteile zu überwinden, sondern verstärkt diese vielmehr (vgl. ebd. 2008).

1.3 Zusammenfassung

Die Verwendung von Begriffen wie „Betroffene“ und „psychisch Kranke“ enthalten etikettierende Haltungen, da sie sich in nicht unbedeutender Weise auf die kranken Anteile des Menschen beziehen und gesellschaftlich ausschließende Wirkung entfalten, wie u.a. das Zitat von Arnhild Lauveng (siehe v. A., S.10f) begründet. Ebenso findet hierbei die Lebensgeschichte des Menschen kaum Beachtung. Hingegen können folgende Aussagen aus dem salutogenetischen Modell4 entnommen werden: Aaron Antonovsky sieht in jedem Ereignis eine Chance zur gesundheitlichen Entwicklung, wodurch der Fokus auf die Stärken des Menschen gelegt wird. Dies beinhaltet u.a. Erfahrungen einer Person, die sie im Laufe ihrer Lebensgeschichte mit der Psychiatrie gemacht hat und die Chance, diese Erfahrung als Potenzial nutzbar zu machen. Eben benannte Erfahrung in Verbindung mit der Psychiatrie spiegelt sich in dem Begriff „Psychiatrieerfahrene“ wieder. Es werden folgende Begrifflichkeiten als Synonyme verwendet: psychiatrieerfahrene Menschen, Menschen mit Psychiatrieerfahrungen und Psychiatrieerfahrene oder Krisenerfahrene. In manchen Abschnitten ist es nicht möglich auf die Definition „Psychisch Kranke“ zu verzichten, daher soll eher der Begriff „Psychisch Leidende“ zur Anwendung kommen.

2 Von der Krise zur Verrücktheit

In diesem Kapitel wird die Bedeutung und Entstehung von Krisen im Zusammenhang mit „Verrücktheit“ untersucht. Weiterhin werden unterschiedliche Blickwinkel professioneller Helferinnen und Psychiatrieerfahrener im Bezug auf das Erleben von Psychosen betrachtet.

2.1 Die Bedeutung von Krisen

Alle Menschen durchlaufen in ihrer Lebensgeschichte stabile und labile Phasen, die sie dazu zwingen sich in ihrem Selbstverständnis neu zu definieren. Gelingt dies nicht entstehen Störungen eines bis dahin ausgeglichenen Zustandes. Dann kann von Krisen oder Notfallsituationen gesprochen werden. Die Krise wird demnach durch ein, als bedrohlich empfundenes Ereignis ausgelöst, welches sich auf einen hohen Verlust, eine hohe Anforderung an die Person, einen ungewollten Wechsel der Lebensbezüge oder auf beängstigende, auf den Einzelnen einwirkende Gedanken bezieht. Es entsteht für den Menschen eine scheinbar unlösbare Problematik, welche dementsprechend ein krisenspezifisches Verhalten und Erleben hervorruft, was sich beispielsweise wie folgt äußern kann: Müdigkeit, Erschöpfung, Hilflosigkeit oder Angstgefühle, um nur wenige zu nennen. Der einzelne Mensch sieht sich in dieser Situation bedroht und vermag das Problem „auch nicht mit den ihm bekannten Bewältigungsstrategien zu lösen (Bosshard/Ebert/Lazarus 2007, S.415).“ Durch fehlende Hilfen und einem Mangel an Ressourcen sowie von außen einwirkenden Faktoren, auch „Stressoren“ (ebd. 2007, S.416) benannt, wie beispielsweise ein schwieriges soziales Umfeld, kann die Krise verstärkt werden und psychische Störungen können die Folge sein (ebd. 2007, S.415f).

Luc Ciompi betrachtet in seinem Krankheitskonzept die Verletzlichkeit des Individuums (Vulnerabilität), u.a. als Dünnhäutigkeit bezeichnet, im Zusammenhang mit den einfließenden Stressoren und dem Vorhandensein oder Fehlen von Bewältigungs- strategien (Vulnerabilitäts - Stress - Bewältigungsmodell) (vgl. Bosshard/ Ebert/Lazarus 2007, S.52). Diese sogenannte Dünnhäutigkeit kann bei Individuen von Geburt an vorhanden sein (Vererbung), dies bedeutet nicht, dass diese Empfindsamkeit gegenüber Krisen unwiderruflich festgelegt sei. Vielmehr bedeutet es, dass diese Gene durch kritische Ereignisse aktiviert werden können oder gar nicht in Erscheinung treten (vgl. Bock/Buck/Dörner et al. 2007, S.13). Der einzelne Mensch bildet laut Luc Ciompi, unter Einfluss biologischer und psychosozialer Faktoren eine besondere Verletzlichkeit aus, welche zu einer Krise führen kann, wenn sie in zusätzlich belastete Situationen gerät und aufgrund mangelnder Ressourcen diese nicht mehr bewältigen kann. Nach Silvia Staub - Bernasconi kann diese Ressourcenausstattung nicht als natürlich gegeben vorausgesetzt werden. Vielmehr ist sie Bestandteil von Teilhabe des Individuums an der Gesellschaft (vgl. Bosshard/Ebert/Lazarus 2007, S.52). Geht diese Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und damit verbundene Lebensfelder, wie beispielsweise Familie, Arbeit, Sportverein, verloren, wird dies „häufig als schwerer Verlust erlebt (ebd. 2007, S.63).“ Das Individuum ist demnach „Symptomträger“ seines sozialen Kontextes und Krisen in die es gerät, stellen so verstanden keine Krankheiten dar sondern eher Lebensbrüche, die sowohl gefährliche Auswirkungen haben aber auch eine Chance bedeuten können (vgl. Hellerich 2003, S.55). So ist der Mensch nicht allein charakterisierbar nach vorhandenen Schwächen, sondern vielmehr besteht nach Thomas Bock eine Gleichzeitigkeit von Störung und Kompetenzen und ein Vorhandensein von anderen Eigenschaften und Aufgaben (vgl. Bock 1999, S.65), demzufolge besteht ebenso eine Gleichzeitigkeit von Krankheit und Gesundheit.

2.2 Entstehen von „Verrücktheit“

Neben der Betrachtungsweise von Bleuler5 gibt es verschiedene Erklärungen was Psychose ist. So wird diese „mit einer tiefen Veränderung des Denkens, Fühlens, Wollens und Erlebens und der Realitätsbezüge benannt“ (Bosshard/Ebert/Lazarus 2007, S.182) oder lässt sich wie folgt begreifen: „Menschen müssen im Unterschied zu anderen Lebewesen um ihr Selbstverständnis ringen. Es gehört zu unseren Möglichkeiten, an uns zu zweifeln und dabei auch zu verzweifeln, über uns hinaus zu denken und uns dabei auch zu verlieren. Dauert dieser Zustand an, sprechen wir von Psychosen (Bombosch/Hansen/Blume 2007, S. 29).“

Für Psychosen gibt es keine eindeutigen und allgemein gültigen Erklärungen (vgl. Bock/Buck/Dörner et al. 2007, S.11). Bei einer Psychose wirken viele unterschiedliche Faktoren zusammen, so dass sich diese nicht allein auf eine Ursache begründen lässt. Vielmehr hat die Psychose „mit den menschlichen Möglichkeiten überhaupt, aber auch mit einer individuellen Person, ihrer besonderen Lebens- geschichte und ihrer konkreten Situation zu tun (Lambert/Burlon/Bock et al. 2009).“ So wie jeder Mensch dazu gezwungen sein kann unter extremer Belastung, Traumatisierung oder Isolation aus der Realität auszusteigen und psychotisch zu werden (vgl. ebd. 2009), so muss auch jede psychotische Erfahrung individuell betrachtet werden. Demzufolge sollte die „Wissenschaft von der Seele“ (Bosshard/Ebert/Lazarus 2007, S.45) sich auf das individuelle Erleben, die Vorgeschichte, den Psychoseinhalten und den Sinneszusammenhängen dazwischen ausrichten und sollte nicht an den Symptomen des Einzelnen festgemacht werden (vgl. ebd. 2007). Thomas Bock bezeichnet diese Betrachtungsweise als „offenes Verständnis“ von Psychosen und vergleicht das psychotische Erleben mit einem traumähnlichen Zustand ohne den Schutz des Schlafes (vgl. ebd. 2007). Diese Erfahrungen werden häufig von anderen Menschen mit Psychiatrieerfahrungen ebenfalls benannt, worauf im nachfolgenden Abschnitt näher eingegangen wird.

2.3 Thesen zum Erleben von Psychosen

„Daß der Mensch depressiv, manisch und schizophren sein kann, hängt mit seinem Menschsein zusammen. Wie notwendig es auch ist, bei schweren Formen dieser Störungen und Leiden den davon betroffenen Menschen zu helfen, so schlimm wäre es, könnte man die Neigung zu solchen Erleben völlig beseitigen (Nafratil 1994 zit. n. Bock 1999, S. 22).“ Demnach würde der Mensch Menschliches verlieren, da Erfahrungen wie Manie und Schizophrenie extreme Ausprägungen menschlicher Erfahrungen sind. Hätte die Psychiatrieerfahrene nicht diese Fähigkeiten, dann würde sie vielleicht auch kein Empfinden in sich tragen, um beispielsweise den Verlust eines nahe stehenden Menschen zu überstehen (vgl. ebd. 1994).

Jede Psychose ist ein individueller Vorgang, der nur im subjektiven und sozialen Kontext verstehbar ist. Eine Psychose ist „nicht per se eine Krankheit. Das betone ich bewusst, weil man ja klar gemacht kriegt: Psychose ist lebenslange Erkrankung (ebd. 2001, S.66).“ Ebenso wiederspricht Prins den Annahmen, dass Menschen mit Psychosen Schwierigkeiten mit Beziehungen haben und kein besonderes Interesse an sozialen Kontakten zeigen: „Ich meine, dass schon allein die Psychose - Inhalte häufig sehr starke soziale Bezüge aufweisen. Stimmenhören zum Beispiel - vielleicht ist der Gesprächspartner bloß imaginiert, vielleicht werden die Stimmen als beängstigend oder bedrohlich erlebt - aber es ist ein, wenn auch bloß subjektives erlebtes, soziales Geschehen (ebd. 2001, S.61)." So wird der psychotische Zustand von Psychiatrie- erfahrenen oftmals als eine Fähigkeit betrachtet, die nur die Psychotische besitzt und ihr neue Chancen und Wege eröffnet. Durch die Psychose tut sich ein „Fundus an Ideen, an Themen, an Erfahrungen, an Bildern, an Sprachschöpfungen, an Einsichten, von denen mehr als man glaubt Bestand haben (ebd. 2001, S.19)“, auf. Von anderen Menschen mit Psychiatrieerfahrungen, wie Dorothea Buck wird die Psychose als ein traumähnlicher Zustand erfahren6. Der Symbolähnliche Charakter der Psychose sei neben dem veränderten Weltgefühl eine der wichtigsten Parallelen zum Traum und biete der Psychiatrieerfahrenen die Möglichkeit sich von dem psychiatrischen Unheilbarkeitsgedanken zu befreien (vgl. Bombosch/Hansen/Blume 2007, S.27). Das psychische Leiden bringt für die Psychiatrieerfahrenen demnach mehrere Dimensionen mit sich. So ist es neben den positiven Erfahrungen häufig ein Leiden, in dem die Psychiatrieerfahrene selbst die Krankheitserfahrung macht und sich als unzulänglich erleben kann. Des Weiteren können die Reaktionen des äußeren Umfeldes das Leiden verstärken, da psychische Erkrankungen nahezu in vielen Bereichen der Gesellschaft, u.a. in der Psychiatrie mit Diskriminierung und Vorurteilen behaftet sind (ebd. 2007, S.173).

2.4 Zusammenfassung

Krisen gelten als im Leben unvermeidbar (vgl. Bock/Buck/Dörner et al. 2007, S.12). Demnach kann jeder Mensch durch besondere Belastungen dünnhäutig werden. Je empfindsamer eine Person ist, desto eher kann sie in eine Krise geraten aus der sie sich ohne Hilfe nicht mehr zu befreien vermag. Dabei stellt sich heraus, dass Krisen krankmachend wirken und Psychosen auslösen können. Es wurde betont dass nicht jede Psychose als gleich zu betrachten ist, da diese oftmals nicht als Krankheit sondern als Chance erlebt werden. Anschließend wurde darauf verwiesen, dass die Entstehung von Psychosen und die psychotische Person an sich, Vorurteilen ausgesetzt ist, welche ihr Leiden verschlimmern können. Im Rahmen von Etikettierung spielen gesellschaftliche Prozesse und psychiatrische Institutionalisierung eine nicht unbedeutende Rolle bei der Verschlimmerung des psychischen Leidens. Dieser Thematik wird im nächsten Abschnitt mehr Beachtung geschenkt.

3 Die etikettierte „Verrücktheit“

In den vorangegangenen Kapiteln wurden zunächst die sprachlichen Definierungen erläutert, denen sich Psychiatrieerfahrene ausgesetzt sehen und die Entstehung von Verrücktheit aus den Perspektiven von Psychiatrieerfahrenen und Professionellen betrachtet. Im Verlaufe dieses Abschnittes soll die Diskussion um die „Verrücktheit“ fortgeführt werden und der Aspekt der Stabilisierung psychischen Leidens durch Etikettierungsprozesse beleuchtet werden. Es erfolgt ein Überblick zum Etikettierungsansatz. Des Weiteren wird das psychische Leiden im Rahmen eines gesellschaftlich entwickelten Karriereprozesses anhand der Modelle von Perucci/Targ und Pelikan/Forster betrachtet. Der professionellen Intervention und psychiatrischen Etikettierung wird in diesem Kapitel ebenso Raum gegeben.

3.1 Grundsätzliches zum Etikettierungsansatz

Der Etikettierungsansatz entstand in den 60er - Jahren als gegensätzliche Bewegung zu damals vorherrschenden medizinischen Konzepten. Frank Tannenbaum, „Urvater“ des Etikettierungs- oder Reaktionsansatzes (Labeling - Theorie) sah bereits 1938 als entscheidende Ursache für das Auftreten abweichenden Verhaltens, die sozialen Reaktionen der Umwelt auf dieses Verhalten. Vertreten durch beispielsweise Keupp, Becker, Scheff und Szasz erschien der Labeling - Ansatz, aufgrund seiner Gegensätzlichkeit, als „Teil des antipsychiatrischen Totalangriffs auf die Existenz von Psychiatrie als Institution (Keupp S. 200).“ Zum einen heißt es z.B. bei Heiner Keupp: Dass „eine wie immer beschaffene psychiatrische oder psychologische Theorie psychischer Störungen (Keupp 1987, S.90)“ nicht erklären könne, wie sich der Übergang eines als normal bezeichneten gesellschaftlichen Mitglieds zur psychisch Kranken vollzieht. Weiterhin erklären diese Theorien nicht inwiefern das gesellschaftliche System etwas unternommen hat um die Störung zu beseitigen, welches wiederum Einfluss auf die von der Norm abweichende Person ausübt. An diesem Punkt, so Keupp, setze der Etikettierungsansatz an (vgl. Keupp 1987, S. 91). Die e.g. Vertreter des Ansatzes sehen so verstanden die „Abweichung“ einer Person nicht in ihrem Verhalten an sich, sondern in der Interaktion zwischen einem Menschen, der eine Handlung begeht und Menschen, die darauf reagieren (Riederer 1999, o.S.).“ Demnach ist das abweichende Verhalten einer Person nicht auf deren Störung zurückzuführen sondern liegt in der, sie umgebenden Gesellschaft begründet. Psychische Störungen und Abweichungen gelten somit als Prozesse sozialer Interaktion und Zuschreibung. Folglich würde das abweichende Verhalten durch gesellschaftliche Reaktionen erst als solches definiert. Thomas J. Scheff sieht in den Etikettierungsprozessen eine der wichtigsten Einzelursachen für die Stabilisierung psychischer Abweichung oder Devianz (vgl. Scheff 1973 zit. n. Keupp 1979, S.205). Die etikettierte Person übernimmt nicht selten die Rolle abnormen Verhaltens, welche ihr durch die Gesellschaft aufgetragen wurde und wird folglich zum „Devianten“ (Becker 1963 zit. n. Riederer 1999, o.S.), einer „Person, der ein Etikett erfolgreich zugeschrieben worden ist (ebd.).“ Die Entstehung psychischen Leidens wird bei Heiner Keupp u.a. als Krankheitsverlauf oder Karriere bezeichnet, welche durch Art und Weise, wie die Gesellschaft auf das abweichende Verhalten einer Person reagiert, bestimmt wird und dadurch Einfluss auf die Entwicklung des individuellen Leidens nimmt (Riederer 1999, o.S.). „Der paradigmatische Kern der Labeling - Perspektive zentriert sich um die Frage, durch welche alltagsgebundenen, professionellen und institutionalisierten Verhaltensweisen jene Wirklichkeit hergestellt wird, die uns als psychisches Leiden begegnet (Keupp 1979 zit. n. Riederer 1999, o.S.).“ Die Betrachtungsweise des Etikettierungsansatzes fokussiert sich auf gesellschaftliche Lebenszusammenhänge und soziale Reaktionen der Gemeinschaft, auf das Herausfallen, der von der Norm abweichenden Person und den sich damit entwickelten Krankheitsverlauf, welcher demnach nicht als „Resultat einer sich entfaltenden „Naturgeschichte“ der Krankheit aufgefasst, sondern als „Sozialgeschichte (Keupp 1979, S.203)“ zu betrachten ist. Der Entstehung von Krankheitskarrieren durch gesellschaftliche Zuschreibungsprozesse wird im Verlaufe des Abschnittes 3.2 (siehe v. A. S.17ff) nach gegangen.

Abschließend lässt sich die Labeling - Perspektive mit folgendem Gedanken: „was aus einer Handlung gesellschaftlich gemacht wird“ (Schur 1980 zit. n. Keupp 1987, S. 92) und mit Hilfe des Schema „Psychosoziale Praxis im gesellschaftlichen Umbruch“ (1987) zusammenfassen. Die Abbildung 1 (siehe Anlage 1, S.2) stellt präzise den Ablaufprozess dar, in dem die Abweichung als sozialer Tatbestand produziert wird7 (vgl. Keupp 1987, S. 92f).

3.2 Stabilisierung psychischen Leidens als gesellschaftlich geschaffener Prozess

Abweichendes Verhalten ist als gesellschaftlich konstruierter Prozess zu verstehen. Hierbei spielt die Bedeutung, die ein Sachverhalt für die Gesellschaft hat und als solcher als rekonstruierbar gilt eine nicht unbedeutende Rolle. Diese Prozesse zu rekonstruieren sei nach Mishler notwendig um abweichendes Verhalten verstehen zu können (vgl. Mishler 1981 zit. n. Keupp 1987, S.94). Abweichendes Verhalten ist so verstanden dadurch möglich, dass Regelverstöße oder Störungen als solche wahrgenommen werden und Reaktionen bedingen, welche bei Keupp als soziale Kontrolle bezeichnet werden. Diesen ist gemeinsam „dass sie die Bandbreite menschlichen Handelns als subjektive Entfaltung (Keupp 1987, S.95)“ einzuengen versuchen. Institutionelle Bereiche realisieren hierbei spezifische Funktionen sozialer Kontrolle. So zum Beispiel sind diese Funktionen Teil eines sich entwickelten Karriereprozesses von Krankheit (siehe v. A. Abschnitt 3.1, S.15f): „Sieht die Person ihr Verhalten weiterhin so, wie es die anderen tun und diese definieren sie weiterhin als krank, dann bedeutet das vermutlich den Beginn einer Krankenrolle (Keupp 1979, S.220)“ oder bei Ervin Goffman benannten „Patientenkarriere“ (Goffman 1972)8. Die Psychiatrie nimmt hierbei einen bedeutenden Stellenwert ein, in dem sie zu der „Ausgrenzung von schwierigen Menschen aus der Lebensalltag“ (Goffman 1972 zit. n. Keupp 1987, S.97) beiträgt. In folgenden neueren Arbeiten zur Labeling - Perspektive konzentriert sich das Hauptaugenmerk auf die Karriereverläufe. So u.a. bei Perucci und Targ (1982), deren Untersuchung richtet sich auf das „Ineinandergreifen von alltagsweltlichen Definitionen und Handlungsweisen in sozialen Netzwerken und den professionellen Dienstleistungssystemen (Keupp 1987, S.99).“ Beide entwickelten ein Karrieremodell (siehe Anlage 2, S.3), dessen Basis intensive qualitative Analysen der psychisch Leidenden bilden. Für jede Karrierestufe ließen sich unterschiedliche Möglichkeiten belegen, welche wiederum differenzielle Karriereverläufe bedingen. Im Besonderen geht aus diesem Modell hervor, dass die Unterschichtnetzwerke dazu neigen, längeren Normalisierungsprozessen zu folgen und die Mittelschicht hingegen schneller professionelle Hilfen aufsuchen. Die geringe soziale Distanz zu dem System führt dazu, dass schneller Kooperationsformen gefunden werden, es zu einer schnelleren Hospitalisierung und begrenzten Klinikaufenthaltes kommt und die abweichende Person meist nach der Entlassung gelingend reintegriert werden kann. Hingegen der Verlauf des zweiten Karriereweges konträr zu sehen ist, da im Alltag keine Bewältigung stattfindet, die psychisch Leidende auch hospitalisiert wird und dies meist zwangsbesetzt erfolgt. Jegliche Ressourcen gelten zu diesem Zeitpunkt als ausgeschöpft so dass keine gemeinsame Abstimmung stattfindet. Vielmehr bestünde nach Perucci und Targ eine soziale Distanz, welche im Nachgang auch die Reintegration negativ beeinflusst. Dieses Modell führte zu kritischen Diskussionen, da es den Funktionswandel, wie er bei Goffman beschrieben wurde, vernachlässigen würde und nicht beachtet, dass die psychiatrischen und psychosozialen Interventionsmöglichkeiten vielfältigen Modernisierungsprozessen unterlagen (vgl. Keupp 1987, S.98ff). Alle diese Veränderung sind so verstanden auf eine intensivwirkende Psychiatriereform zurückzuführen, auf welche unter Kapitel 4 (siehe v. A., S.20ff) eingegangen wird. Weiterhin wird bei Keupp ein weiteres Modell benannt, welches die Interventionsstrategien an einzelnen Karriereentscheidungspunkten anknüpft. Dieses „Prozess - Karriere - Modell“ von Forster und Pelikan (1977) setzt u.a. voraus, dass eine Karriere alternative Verläufe nehmen kann und dieser Verlauf von der jeweiligen Person, anderen Personen und Institutionen abhängig ist, die über bestimmte Steuergrößen verfügen (vgl. Keupp 1987, S. 101). Auf dieses Modell wird nicht näher eingegangen.

3.3 Die psychiatrische Etikettierung

Im vorherigen Abschnitt wurde ersichtlich, dass die psychiatrische Versorgung einen bedeutenden Stellenwert in der Karriere der psychisch Leidenden einnimmt. Dahingehend soll sich folgend der psychiatrischen Etikettierung zugewandt werden. Hintergründlich ist zu beachten, dass sich die Labeling - Perspektive im wesentlichen auf die Analyse von Einweisungen oder Fallkonferenzen in psychiatrischen Kliniken bezieht (vgl. Keupp S.208) und annimmt, dass die Psychiatrie einen Beitrag zur gesellschaftlichen Organisierung des Leidens beiträgt. Heiner Keupp sieht dennoch die Notwendigkeit professioneller Hilfesystem bestehen9 und lässt die Psychiatrie als notwenige Versorgungs- und Hilfeform erscheinen. Im Gegensatz dazu stellt Keupp sich der Frage, wie die Interventionen der Psychiatrie spezifisch auf Karrieren psychischen Leidens einwirken und diese verlängern, abbrechen oder rückgängig machen können. Hierzu merkt er an, dass der Prozess der Leidenskarriere rekonstruiert werden müsse und Entscheidungspunkte, an denen sich für oder gegen das Leiden entschieden wurde, ausfindig gemacht werden müssten. Des Weiteren sei zu prüfen welche Ressourcen dem Psychiatrieerfahrenen gegenwärtig zur Verfügung standen und inwiefern die professionelle Hilfe „die soziale Karriere in eine andere Sequenz gebracht hätte (Keupp 1979, S.209).“ Das Misstrauen gegen professionelle Hilfen gilt als gerechtfertigt, so Keupp, da diese sich einzig auf ihre psychiatrisch- psychologische Diagnostik gründet und am medizinischen Modell festhält. “Das ‚biomedizinische Modell’ psychischer Störungen beraubt das Individuum seiner realen lebensgeschichtlichen Erfahrungen, indem es sein Verhalten auf natürliche Determinanten reduziert. Auch jene Handlungsweisen, die sich in Auseinander- setzungen mit jenen Erfahrungen herausbilden, die man als jemand macht, der aus den alltäglichen Normalitätserwartungen herausfällt, werden den natürlichen Krankheitsursachen zugerechnet. Das Individuum wird zum erfahrungslosen Subjekt (ebd. 1979).“ „Zur gleichen Zeit können - wie er spürt - kleinere Fehler oder zufällige Fehlleistungen als ein direkter Ausdruck seiner stigmatisierten Andersartigkeit interpretiert werden (Goffman 1975, S.25).“ Das medizinische Modell insbesondere die Diagnostik, steht in starker Abhängigkeit zu der jeweiligen Institution, in der sie erfolgt. Dieser institutionelle Kontext fördert weiterhin den typisierten Umgang mit den eingewiesenen Individuen und käme einer psychiatrischen „Serienwirtschaft“ (Keupp 1975) gleich, die als notwenig gilt, um alles Übel zu vereinfachen, das abweichende Verhalten zu kategorisieren und die Individualität zu vernachlässigen (vgl. Keupp 1975, S. 208f). Professor Klaus Weise beschreibt die subjektiven Erfahrungen, welche Psychiatrieerfahrene mit psychiatrischem Handeln und Diagnosen machen, als etwas Fremdes und Bedrohliches was „über sie kommt“. Der Großteil füge sich der „professionellen Macht, dem Expertenurteil (Weise 2003 zit. n. Krisor/Wunderlich 2003, o.S.)“ und verinnerliche diese mit allen Konsequenzen auf Kosten der eigenen Identität und Autonomie. Für Weise sei es erschreckend zu erleben in welcher selbstentfremdeten Form das Denken und Fühlen Psychiatrieerfahrener stattfindet und dies sich u.a. durch den Ausdruck in Fachsprache äußert (vgl. ebd. 2003). Nach Jaccard liegt „das gewaltige Entehrungspotenzial psychiatrischer Etikettierung“ (Jaccard 1983 zit. n. Kempker 1991, S.30) in der Anmaßung, „einen ganz Anderen auf den eigenen Boden ziehen und ihm das Unverwechselbare mit Gewalt und mit der Zustimmung aller austreiben zu wollen (Kempker 1991, S.30).“ Demzufolge bewegt sich die Psychiatrieerfahrene in einem Teufelskreis psychiatrischer Etikettierung, welcher von innen nicht verlassen werden kann und von außen nicht anfechtbar ist. Die Psychiatrieerfahrene soll sich demnach die psychiatrische Sichtweise ihres Leidens aneignen und hat zu tun „was sie tun muß, um ‚zu gesunden’. Ändern kann sie ihre Lage nur, wenn sie ihre ‚kranken’ Vorstellungen aufgibt und sich zu den ‚gesunden’ Ansichten derer bekennt, die, die Macht über sie haben (Spieker 2004, S. 23 Herv. i. Orig.).“ Somit stellt sich die Frage wem psychiatrische Institutionen nützen. Matkas sieht den Nutzen auf mehrere Ebenen verteilt, zum Einen trage die Psychiatrie die Aufgabe zu helfen und zum Anderen soll sie ordnungspolitisch und dem Schutz der Öffentlichkeit vor der „Verrücktheit“ dienen. Beide Nutzen sind nicht identisch. „Wenn es wahr ist, was die Labeling - Theorie behauptet“, so Matkas, „dass psychische Devianz durch einen Prozess sozialer Zuschreibung entsteht oder verstärkt wirdW, sind sie insofern für den Patienten schädlich, stigmatisieren ihn und bekräftigen damit den Zuschreibungsprozeß und damit auch seine Devianz (Matkas 1992 zit. n. Spieker 2004, S.24 Herv. i. Orig.).“

3.4 Zusammenfassung

Im vorliegenden Kapitel wurde auf den Etikettierungsansatz, im Zusammenhang der Entstehung psychischen Leidens und der gesellschaftlichen Zuschreibungsprozesse eingegangen und als fortlaufender Karriereprozess charakterisiert. Des Weiteren fanden unterschiedliche Karrieremodelle Anwendung. So z.B. von Perucci/Targ, die auf den Zusammenhang alltagsweltlicher Handlungsspielräume sozialer Netzwerke und professioneller Hilfe hinweisen. Es folgte eine kurze Darstellung des „Prozess - Karriere - Modells“ von Forster/Pelikan, welche die unterschiedlichen professionellen Interventionsformen stärker einbezogen. Ebenso erhielt die psychiatrische Etikettierung besondere Beachtung, da diese zur Organisierung psychischen Leidens beiträgt. Im folgenden Kapitel soll sich der psychiatriegeschichtlichen Entwicklung, in Leipzig und Glauchau, zugewandt werden.

4 Wege der Psychiatrie in Leipzig und Glauchau

Zu Beginn des Kapitels wird ein Einblick in die psychiatriegeschichtliche Entwicklung der Städte Leipzig und Glauchau gegeben. Anschließend erfolgt die Darstellung der derzeitigen Versorgungsnetze, um so eine Grundlage zu haben, mit der die optimale Hilfe (siehe v. A., S.76ff) abgeglichen werden kann.

4.1 Die sozialpsychiatrische Entwicklung in Leipzig

„Die Fenster waren alle vergittert. Die Säle waren geschlossen. Männer und Frauen waren strikt voneinander getrennt. Der Pfleger und die Schwester, (W) hatten im Grunde nichts anderes als eine Wärterfunktion (W) Das einzige, worauf das Pflegepersonal zu achten hatte, auf hygienische Reinlichkeit. Ansonsten war es im Grunde genommen nur eine Verwahrung der Patienten (Böttcher 2007, S.4 Änd. d. Autorin v. A.).“ So wurde die Ausgangssituation in Leipzig, vor der Reform in den sechziger Jahren beschrieben. Die Sechziger galten als die revolutionärsten Jahre an der Universitätsklinik Leipzig, welche als Vorreiter der Entwicklung gilt. Angeregt durch die italienische, englische und amerikanische Psychiatrie und die bundes- republikanische Psychiatrieentwicklung wurden die ersten rehabilitiven und soziotherapeutischen Methoden, sowie das Offene - Tür - System in der Psychiatrie und die Abschaffung der Gitter und geschlossenen Türen, eingeführt. Im Februar 1963 erfolgte die Gründung eines Patientenrates an o.g. Klinik, welcher als Interessenvertretung innerhalb der Klinik fungierte. 1965 begann die Arbeit der Angehörigen - Gruppen und im Oktober 1967 wurde ein Patientenklub eröffnet, den psychisch Leidende mehrerer Kliniken besuchten. In anderen Krankenhäusern wie im Bezirkskrankenhaus für Psychiatrie Leipzig-Dösen waren vergitterte Fenster und abgeschlossene Türen zu dem Zeitpunkt noch existent. Anfang der siebziger Jahre folgte in Leipzig der Aufbau einer ambulanten psychiatrischen Versorgung (vgl. Böttcher 2007, S.4ff) und die „gemeindenahe Versorgung der psychisch Kranken“ (Böttcher 2007, S.8) sichergestellt. In den weiteren Jahren entstanden neuropsychiatrische Abteilungen an den Polikliniken der Stadt, die nach und nach mit ambulant tätigen Psychiaterinnen besetzt wurden. Diese Zeit brachte nicht unbedeutende Veränderungen am Bezirkskrankenhaus für Psychiatrie, so wurde u.a. um die Verwirklichung der Therapeutischen Gemeinschaft gerungen. Mit der langfristigen Konzeption des Gesundheits- und Sozialwesens wurden 1975 die Entwicklungsaufgaben der Psychiatrie der Stadt Leipzig bis 1990 festgelegt. Dadurch sollte eine grundsätzliche Veränderung der Struktur des Versorgungssystem erfolgen (vgl. ebd. 2007, S.8ff), deren „Hauptziel war die Integration der stationären und ambulanten Einrichtungen der Psychiatrie in das allgemeine Betreuungssystem und den sozialen Lebensraum der Patienten (Böttcher 2007, S.12).“ Als in der DDR einzigartig geltend, wurde 1976 in Leipzig erstmals ein gemeindezentriertes sektorisiertes Betreuungskonzept umgesetzt. Die Basiskliniken, zwei am Bezirkskrankenhaus für Psychiatrie sowie die Klinik für Psychiatrie der Karl-Marx- Universität, übernahmen die psychiatrische Betreuung der Bevölkerung auf der Grundlage einer Kooperationsvereinbarung untereinander. Für den Stadtbezirk Süd übernahm die Universitätsklinik die volle psychiatrische Versorgung. Es wurden komplementäre Einrichtungen, wie z.B. therapeutische Klubs und Tagesstätten gegründet. Daraufhin folgte im Oktober 1978 die Einführung der regionalisierten psychiatrischen Betreuungsstruktur für das gesamte Stadtgebiet und die damit verbundene Integration der ambulanten Versorgungseinrichtungen. 1981 bildete sich am Fachkrankenhaus Altscherbitz eine Basisklinik für den vierten Versorgungsbereich, aufgrund der „Konzeption zur Entwicklung der ambulant-medizinischen Grundbetreuung“ (vgl. Böttcher 2007, S.12ff). Des Weiteren schaffte jedes Stadtgebiet Möglichkeiten des geschützten Wohnens in Form von befürsorgten Wohnungen. Das DDR-Gesundheitsministerium entschied 1980 das Leipziger Modell als Psychiatrieplan für die gesamte DDR zu fördern10.

4.2 Die psychiatriegeschichtliche Entwicklung in Glauchau

Zu Beginn der Psychiatriereform in den 60er Jahren übernahm die Versorgung der Bevölkerung von Glauchau und Umgebung das Psychiatrische Fachkrankenhaus Rodewisch, welche als eine der ersten stationären Einrichtungen, die sich ab 1955 umstrukturierten, gilt. Hierzu gehört u.a. neben der technisch-ökonomischen Verränderung, die diagnostische Unterscheidung der Stationen, die Schaffung therapeutischer Bereiche und die Abschaffung von Zellen und Zwangsjacken. In Anerkennung dessen wurde Rodewisch 1963 Tagungsort des „1. Internationalen Symposium über psychiatrische Rehabilitation“ (vgl. Baron in Zedlick/Müller/Heinze et al. 2000, S.42), wo Sozial - Psychiater „Empfehlungen für die Rehabilitation psychisch akut und chronisch Kranker“ (Rodewischer Thesen) entwickelten. Die Rodewischer Thesen enthalten „nicht nur die Ansage an eine Verwahrpsychiatrie, die Öffnung zur Gesellschaft, die Erweiterung therapeutischen Handelns auf soziale Reintegration sondern als wichtigste Aufgabe den Aufbau umfassender ambulanter, teilstationärer und komplementärer Dienste (Weise in Zedlick/Müller/Heinze et al. 2000, S.36).“ Friedemann Ficker beschreibt die Rodewischer Thesen als Beginn der Qualitätssicherung in der Psychiatrie (vgl. Ficker in Zedlick/Müller/Heinze et al. 2000, S.24). Im Jahre 1970 wurde festgestellt, dass diese Thesen kaum Umsetzung fanden, da die materiellen und finanziellen Mittel der Kliniken kaum ausreichten um die Zustände zu verbessern (vgl. ebd. 2000). Erst mit dem von dem Bundesministerium erstellten Bericht zur „Lage der Psychiatrie in der ehemaligen DDR“ wurde deutlich, dass in den damaligen Versorgungsbereichen hauptsächlich die psychiatrische Versorgung durch die Großkrankenhäuser erfolgte. Empfehlungen des Berichtes, wie z.B. die psychiatrische Versorgung gemeindenaher zu gestalten, wurden in den Landespsychiatrieplan von 1993 aufgenommen. Auf dieser Basis entstanden nach der Wende neue psychiatrische Abteilungen an Allgemeinkrankenhäusern, so auch in Glauchau. Die Abteilung in Glauchau sollte somit das entfernt gelegene Krankenhaus

Rodewisch entlasten (vgl. Waldmann in Zedlick/Müller/Heinze et al. 2000, S.54)11. Die Psychiatrische Abteilung am Krankenhaus Glauchau wurde 1998 eröffnet und folgt dem Konzept der „(früher) offenen geführten und stark sozialpsychiatrisch ausgerichteten Leipziger Universitätsklinik (Mitzscherlich 2000, S.169)“: Zum einen gilt die grundsätzliche Offenheit der einzelnen Stationen. Zum Zweiten existieren weder gesonderte Aufnahmestationen oder diagnostisch unterteilte Stationen, noch werden die Menschen nach Geschlecht und Alter getrennt. Drittens bildet das Prinzip der therapeutischen Gemeinschaft. Die psychiatrieerfahrenen Menschen bekommen die Möglichkeit gemeinsam einen Teil der Alltagsorganisation auf Station zu bewältigen. Unterstützen soll dies die zivile Kleidung der Pflegekräfte und Ärzte. Diese beteiligen sich an den, von den Psychiatrieerfahrenen organisierten Aktivitäten (vgl. Mitzscherlich 2000, S.169f). Die Psychiatrieerfahrenen aus Glauchau, die in dieser Arbeit interviewt wurden haben u.a. Erfahrungen mit der Psychiatrischen Abteilung in Glauchau gemacht und stellen diese in den Interviews dar (siehe v. A., S.39f).

4.3 Leipzig und Glauchau - psychosoziale Versorgungsnetze im Vergleich

Es folgt eine Aufstellung, der zur Zeit der Entstehung dieser Arbeit vorhandenen Hilfsangebote in Leipzig und Glauchau. Die Stadt Glauchau zählt zum Versorgungsgebiet des Chemnitzer Landes und ist unter diesem Blickwinkel zu betrachten. Die Übersicht12 begrenzt sich auf die wesentlichsten Hilfeangebote.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Aus der Übersicht ist ein deutlicher Unterschied in den Versorgungsstrukturen ersichtlich, was vor allem die Versorgung mit ambulanten Angeboten betrifft, wie z.B. die Psychiatriebetroffeneninitiative und Angehörigenvereine. Diese sind nur in Leipzig und nicht Chemnitzer Land zu finden. Jedoch haben beide Gebiete gemeinsam, dass sie weder Projekte, wie Soteria - Projekte oder Weglaufhäuser haben. Die Angebote im Selbsthilfebereich des Chemnitzer Landes sind dünner besiedelt als in Leipzig. So kommt in Glauchau auf 6571 Einwohnerinnen 1 Selbsthilfegruppe, in Leipzig hingegen 1 Selbsthilfegruppe auf 2565 Einwohnerinnen. Als weiteres Beispiel ist die Versorgung mit niedergelassenen Ärzten kritisch zu betrachten: Im Versorgungsgebiet Leipzig kommen auf 513.082 Einwohnerinnen 156 niedergelassene Psychotherapeutinnen und Psychologinnen, daraus ergibt sich eine Versorgung von 1 Arzt zu 3288 Personen. Im Chemnitzer Land hingegen sind 6 niedergelassene Ärzte bekannt. Im Versorgungsgebiet leben ca. 131.431 Einwohnerinnen, daraus ergibt sich eine Versorgung von 1 Arzt zu 21.905 Personen.13 Dadurch wird deutlich, dass im Versorgungsgebiet Chemnitzer Land weitaus weniger ambulante medizinische Angebote zur Verfügung stehen. Welche Erfahrungen mit der Psychiatrie sich daraus ergeben, darauf wird unter Kapitel 6 (siehe v. A., S.34ff) eingegangen.

4.4 Die Psychiatriereform auf Abwegen

Bei Susanne Spieker heißt es, dass einige Psychiatrieerfahrene „am liebsten die ganze Psychiatrie abschaffen würden“ (vgl. Spieker 2004, S.88), da nicht jede psychiatrische Klinik einen Wandel erfahren hat, sondern diese nur modernisiert wurden. An dieser Stelle wird auf Günther Wienberg verwiesen. Er setzte sich u.a. mit den Auswirkungen der Psychiatriereformen in Deutschland auseinander und stellte Thesen auf inwiefern Änderungen in der Psychiatrie erfolgen sollen (vgl. Wienberg 2008, o.S.). Wienberg und Spieker problematisieren das medizinische Krankheitsmodell, welches weiterhin fester Bestandteil der Handlungsansätze in der psychosozialen Versorgung ist und zunehmend an Bedeutung gewinnt. Vorwiegend in der stationären Versorgung wird die psychische Krankheit als Störung wahrgenommen (vgl. Spieker 2004, S.88), was demzufolge nichts mit der „Lebenswirklichkeit, mit der individuellen Person der Betroffenen zu tun (Weise in Krisor/Wunderlich 2003, o.S.)“ hat. „Die subjektiven Erfahrungen der Betroffenen in der Psychose, ihre Deutungsmuster werden deklassiert zu Sammelsurien klinischer Symptome, zu einer anonymen Krankheit auf der Grundlage von Hirnwechselstörungen, die es zu bekämpfen und zu beseitigen gilt (ebd. 2003).“ Daraus kann die Forderung nach einem neuen Verständnis von psychischer Krankheit abgeleitet werden (vgl. ebd. 2003).

[...]


1 Es finden Erfahrungsberichte, Arbeiten und Projekte psychiatrieerfahrener Menschen vermehrt Anwendung; die Erstellung des Interviewleitfadens basiert auf e.g. Quellen und Erfahrungen aus dem Psychoseseminar Leipzig und dem Kontakt zu Sybille Prins (Korrekturvorschläge wurden eingearbeitet und Hinweise zur Durchführung der Interviews beachtet); Fragen, die aus den Interviews resultierten, wurden mit den Interviewten reflektiert; die Auswertung der Ergebnisse richtet sich nach deren Aussagen.

2 ein chinesisches Sprichwort.

3 „..Versuch zur Untersuchung der Zuverlässigkeit psychiatrischer Diagnosen, der 1972 von David Rosenhan durchgeführt wurde. (www.wikipedia.org/wiki/Rosenhan-Experiment verfügbar am 08.07.2009).“

4 In diesem Modell wird überwiegend das Gesundheitspotenzial betont. Das Hauptaugenmerk wird „auf den „Gesundungsweg“ gelegt, zu dem Symptome Hinweise geben können. Damit kann ggfs. sogar eine Stärkung der Ressourcen erreicht werden, mit denen sich der Mensch auf dem Gesundheits-Krankheits- Kontinuum mehr in Richtung Gesundheit bewegen kann (http://de.wikipedia.org/wiki/Saluto genese verfügbar am 08.07.2009)“.

5 „Er (der Begriff der Geisteskrankheit; mr) ist an der persönlichen Erfahrung der gesunden Menschen mit sich selbst und mit seinen gesunden Mitmenschen gebildet. Wen man von dieser Erfahrung aus nicht mehr begreifen, nicht mehr dem eigenen Wesen verwandt empfinden kann, empfindet man als <fremd> (Bleuler 1979 zit. n. Rufer 1997, S.21 Herv. i. Orig.).“

6 In der Psychose wird ähnlich wie im Traum, bisher Unverarbeitetes oder Ungestaltetes symbolisch verarbeitet und dem psychotischen Menschen zugänglich gemacht. Die Psychose enthält, ähnlich wie ein Traum, Wunsch- und Angstanteile, jedoch wird der Mensch nicht wie im Traum vom Schlaf geschützt (vgl. Bombosch/Hansen/Blume 2007, S.27).

7 Die „primäre Abweichung (Devianz)“ wird als Wahrnehmung oder Unterstellung einer regelverletzenden Handlung bezeichnet. Ob dies als Problem wahrgenommen wird, ist abhängig davon, welche Motive und Gründe der Handlung zugeschrieben werden, ob für die Handlung tolerierbare Rechtfertigungen vorliegen und diese akzeptiert oder bestraft werden. Demzufolge kann das Resultat im ersten Fall als Normalisierung angenommen werden und im Letzteren als gesellschaftliche Reaktion, welche den abweichenden Status einer Person feststellt. Es folgt die „sekundäre Abweichung (Devianz)“ in dem sich die Person und ihre Identität als Abweichende verfestigen kann (vgl. Keupp 1987, S. 92f).

8 Goffman unterteilt diese in folgende Phasen: eine vorklinische, die klinische und die nachklinische Phase, wobei er sich ausschließlich auf die ersten Beiden konzentrierte (Goffman 1972).

9 „Durch den zunehmenden Verfall von tradierten Beziehungsnetzen in einer Phase gesellschaftlich fortschreitender Mobilität und durch das Fehlen von funktionierenden Alternativen bedürfnisgerechten Wohnens und Arbeitens wird ein System professionalisierter, psychosozialer Hilfeleistung zur objektiven Notwendigkeit (Keupp 1979, S.208)“

10 Die Entwicklung des Modells wurde bei Böttcher an Personen wie Professor Weise festgemacht, welcher als Vorreiter der sozialpsychiatrischen Reform in Leipzig gilt (vgl. Böttcher 2007, S.16).

11 Der Aufbau einer psychiatrischen Abteilung in einer Gemeinde ohne Erfahrungen einer stationären Psychiatrie birgt nach Weise die Chance, eine stationäre Einrichtung aufzubauen welche keine historische Last zu tragen hat (vgl. Weise in Zedlick/Müller/Heinze et al. 2000, S. 41).

12 Die Grundlage für diese Übersicht bilden „Bedürfnisse und Bedarfe gemeindenaher psychiatrischer Versorgung am Beispiel der Stadt Leipzig“ (vgl. Seyde 2009, S. 43f), die Übersicht über die „Betreuungsangebote in der Stadt Leipzig für Menschen mit psychischen Problemen“ (vgl. www.leipzig.de 2009, o.S.), sowie der „Wegweiser für seelische Gesundheit im Landkreis Chemnitzer Land (vgl. Psychosoziale Arbeitsgemeinschaft des Landkreises Chemnitzer Land 2006, S.5ff).

13 Es ist keine konkrete Zahl bekannt, die tatsächlich die Hilfe benötigen und in Anspruch nehmen. Die Rechnung bezieht sich ganz simpel darauf wie viel Einwohnerinnen auf einen Hilfebereich kommen.

Ende der Leseprobe aus 91 Seiten

Details

Titel
Wünsche und Bedürfnisse an Einrichtungen psychosozialer Versorgung zur hilfreichen Unterstützung bei der Bewältigung psychischen Leidens
Untertitel
Eine Befragung von Menschen mit Psychiatrieerfahrung in Glauchau und Leipzig
Hochschule
Hochschule Mittweida (FH)  (Fachbereich Soziale Arbeit)
Note
1,2
Autor
Jahr
2009
Seiten
91
Katalognummer
V146269
ISBN (eBook)
9783640572717
ISBN (Buch)
9783640572601
Dateigröße
1543 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
In dieser Ausgabe der Diplomarbeit befinden sich die Transkripte der geführten Interviews nicht im Anhang. Der Ausschluß der Interviews geschieht aufgrunde der Wahrung der Anonmyitätsrechte der interviewten Personen.
Schlagworte
Krise, Psychiatrieerfahrung, Psychiatriebetroffenenorientierung, Befragung Leipzig, Befragung Glauchau, Psychische Erkrankung, Stigmatisierung, Wünsche und Bedürfnisse, Hilfreiche Unterstützung, psychisches Leiden, Schizophrenie, Depression, Borderline, Persönlichkeitsstörung, Verrücktheit, Psychose, Etikettierung, Etikettierungsansatz, psychosoziale Versorgung, Psychiatriegeschichte, Alternative
Arbeit zitieren
Doreen Müller (Autor:in), 2009, Wünsche und Bedürfnisse an Einrichtungen psychosozialer Versorgung zur hilfreichen Unterstützung bei der Bewältigung psychischen Leidens, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/146269

Kommentare

  • Hallo liebe Interessierte, ich würde mich freuen wenn Ihr meine Arbeit lest und Ansätze für Eure Arbeit daran finden könnt, da ich auch heute bei meiner Arbeit mit der Psychiatrie merke woran es mangelt und wie unwissend viele Menschen trotz moderner (meist pharamindustriegestützer) Aufklärung sind. Diese Arbeit schlägt nicht in dieselben Kerbe der Pharamindustrie, sondern beschäftigt sich und entstand mit Hilfe derer die es wissen müssen, den Experten des eigenen Lebens. gez. Doreen Müller

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