Diese Arbeit wird sich mit dem Phänomen „Gewalt an Schulen“ auseinandersetzen. Dieses Thema paßt in den Trend der 90er, über Jugendgewalt zu berichten. Initiator für die Konjunktur waren die Medien, die sich diesem Thema seit Beginn der 90er Jahre widmen. Dabei wird in der Öffentlichkeit Gewalt immer gleich als körperliche Aggression verstanden, was den Blickwinkel einschränkt. Täter sind immer nur die Schüler/Innen, nicht die Lehrer oder die Institution Schule.
Zunächst werden verschiedene klassische und neuere psychologische sowie soziologische Erklärungsansätze für Gewalt in der Schule vorgestellt (Kapitel 1). Im zweiten Kapitel geht es um Gewaltbelastung und Gewaltentwicklung an Schulen. Das dritte Kapitel behandelt Ausmaß und Erscheinungsformen von Schülergewalt. Dann stelle ich im vierten Kapitel die Befunde nach verschiedenen Differenzierungsmerkmalen vor. Schließlich sollen noch die Entstehungsbedingungen von Gewalt erwähnt werden (Kapitel 5). Die Gewaltprävention wird hier kein Thema sein, da es mir nur darum ging, das Gewaltphänomen an sich darzustellen. Nur in der Schlußbetrachtung werde ich kurz darauf zu sprechen kommen.
Inhaltsverzeichnis:
1.EINLEITUNG
2.ERKLÄRUNGSANSÄTZEFÜRGEWALTINDERSCHULE
3.GEWALTBELASTUNGUNDGEWALTENTWICKLUNGANSCHULEN
4.AUSMAß UND ERSCHEINUNGSFORMEN VON GEWALT
5.BEFUNDENACHVERSCHIEDENENDIFFERENZIERUNGSMERKMALEN
5.1.GESCHLECHT
5.2.SCHULFORM
5.3.ALTERBZW. JAHRGANGSSTUFE
5.4.LEISTUNGSSTATUS
6.ENTSTEHUNGSBEDINGUNGENVONGEWALT
7.SCHLUßBETRACHTUNG
8.LITERATURVERZEICHNIS
1. Einleitung
Diese Arbeit wird sich mit dem Phänomen „Gewalt an Schulen“ auseinandersetzen. Dieses Thema paßt in den Trend der 90er, über Jugendgewalt zu berichten. Initiator für die Konjunktur waren die Medien, die sich diesem Thema seit Beginn der 90er Jahre widmen. Dabei wird in der Öffentlichkeit Gewalt immer gleich als körperliche Aggression verstanden, was den Blickwinkel einschränkt. Täter sind immer nur die Schüler/Innen, nicht die Lehrer oder die Institution Schule.
Wenn die Medien über Jugendgewalt berichten, dann gerät der Blick automatisch auf die Schule als Aufenthaltsort der Jugend. Untersucht man das Gewaltpotential an Schulen erfährt man etwas über Jugendgewalt allgemein.
Diesen Blickwinkel unterstützend, wirkt die Tatsache, daß die Lehrer von einer Gewaltzunahme an Schulen sprechen und sich dadurch in ihrem Berufsalltag gefährdet sehen. Damit wurde die schulinterne Diskussion 1992 ins Rollen gebracht. Dabei geht es um Demotivierung und Zunahme von Aggressionen, die zu einer höheren Belastung im Unterricht führen und die Anforderungen an die Erziehungsarbeit ansteigen lassen. Zeitgleich begann auch die wissenschaftliche Thematisierung dieses Themas. Dabei konnten die empirischen Ergebnisse keine Bestätigung überbordender Gewalt ausmachen. Die Wahrnehmung ansteigender Gewalt muß also eher durch die Sensibilisierung gegenüber Gewalt und der Realitätsverzerrung seitens der Medien erklärt werden. Bisher hat man voreilig familiäre Erziehungsmängel, das Wohnumfeld und Medieneinflüsse als Erklärungsfaktoren herangezogen. Der Einfluß der Schule wird dabei allzu schnell vergessen (vgl. Tillmann 1997, S. 36-40).
Deshalb wird diese Institution hier im Mittelpunkt des Interesses stehen. Die Schule stellt eine wichtige Sozialisationsinstanz dar, in der die Jugendlichen einen Großteil ihrer Zeit verbringen müssen. Hier treffen die jungen Leute auf peer-groups, deren Einfluß, meiner Meinung nach, gerade bezüglich Gewalt nicht unerheblich ist. Aber auch das Schulklima und die Lernkultur sind wichtige Einflußgrößen.
Gut informiert sind wir heute dank der jüngeren Forschung über Formen und Häufigkeiten von Gewalterscheinungen. Die Rangreihe von Gewalthandlungen stimmt bei Lehrern und Schülern überein: Verbale Attacken sind weitverbreitet, während strafrechtlich relevante Delikte selten sind.
Außerdem wissen wir viel über Schulform-, Alters- und Geschlechtsunterschiede beim gewaltförmigen Verhalten: Es gibt massive Geschlechtsunterschiede bei der Gewaltbilligung und -beteiligung, besonders bei körperlicher Gewalt. Hinsichtlich der Schulform tritt körperliche Aggressivität vorwiegend an Sonder- und Hauptschulen auf. Zwischen dreizehn und fünfzehn Jahren bzw. in der 8./9. Jahrgangsstufe ist die Gewalt am ausgeprägtesten, danach nimmt sie wieder ab. Schließlich verfügen wir über eine differenzierte Beschreibung der Beziehungen zwischen Opfer-Sein und Täter-Sein: Vor allem bei massiver Gewalt sind Opfer und Täter nicht eindeutig zu unterscheiden. Viel eher kann man zwischen zwei informellen Kulturen differenzieren: jene, die sich von gewalttätigen Auseinandersetzungen fernhalten und jene, die einer aggressiv orientierten Kultur angehören (vgl. Tillmann 1997, S. 40ff).
Diese hier nur knapp erwähnten Aspekte mit ihren jeweiligen Ausprägungen sollen in den folgenden fünf Kapitel genauer erläutert und um zusätzliche Informationen ergänzt werden.
Zunächst werden verschiedene klassische und neuere psychologische sowie soziologische Erklärungsansätze für Gewalt in der Schule vorgestellt (Kapitel 1). Im zweiten Kapitel geht es um Gewaltbelastung und Gewaltentwicklung an Schulen. Das dritte Kapitel behandelt Ausmaß und Erscheinungsformen von Schülergewalt. Dann stelle ich im vierten Kapitel die Befunde nach verschiedenen Differenzierungsmerkmalen vor. Schließlich sollen noch die Entstehungsbedingungen von Gewalt erwähnt werden (Kapitel 5). Die Gewaltprävention wird hier kein Thema sein, da es mir nur darum ging, das Gewaltphänomen an sich darzustellen. Nur in der Schlußbetrachtung werde ich kurz darauf zu sprechen kommen.
2. Erklärungsansätze für Gewalt in der Schule
Gewalt an Schulen kann auf unterschiedlichste Weise erklärt werden. Psychologische Ansätze erklären Gewalt eher durch psychische Vorgänge einer Person oder Lernprozesse. Die Soziologie rückt das Wirken gesellschaftlicher Bedingungen ins Zentrum.
Zu den traditionellen psychologischen Aggressionstheorien gehören die folgenden:
Triebtheorien: Der Mensch trägt ein angeborenes Aggressionspotential in sich. Aggression ist also Bestandteil der menschlichen Entwicklung.
Frustrationstheorien: Einer Aggression geht stets eine Frustration voraus.
„Frustrationen erhöhen die Wahrscheinlichkeit von Aggressionen, die sich dann in irgendeiner Form äußern“ (Schubarth 1999, S. 29).
Lerntheorien: Aggressionen und Gewalt basieren auf Lernvorgängen: Beobachtung, Nachahmung, Konsequenzen des eigenen Tuns oder kognitive Prozesse.
Psychoanalytische Sicht: Aggression wird als hilfloser Versuch gedeutet, Gefühle der Angst zu kontrollieren. Sie ist ein psychisches Notsignal für Ängste und Ausdruck von wenig erfahrener Akzeptanz, Anerkennung und Zuwendung vor allem in früher Kindheit.
Biologische Theorien: Sie weisen auf verhaltensgenetische und evolutionstheoretische Faktoren hin.
Zu den neueren psychologischen Ansätzen gehören Entwicklungspsychologische Konzepte: Aggression und Gewalt sind typisch für die Kindheits- und Jugendphase und hängen eng mit der kognitiven, moralischen und psychosozialen Entwicklung zusammen. Zu den neueren Ansätzen zählt auch der schulbezogene psychoanalytische Ansatz.
Folgende Ansätze entstammen der klassischen Soziologie:
Anomietheorie: Gewalt wird angewendet, wenn es scheinbar keine alternative Chance gibt, gesellschaftliche Ziele zu erreichen. Hier wird ein Zusammenhang mit der strukturellen Gewalt gesehen.
Subkulturtheorie: Die Gewalt wird als Anpassung an widersprüchliche gesellschaftliche Anforderungen verstanden. Was innerhalb der einen Gruppe als konform erachtet wird, kann in einer anderen Gruppe als abweichend gelten.
Theorien des differentiellen Lernens: Es wird nur von bestimmten Bezugspersonen und nur bestimmte Verhaltensweisen gelernt.
Etikettierungsansatz: Gewalt wird als Zuschreibungsprozeß zu bestimmten Verhaltensweisen im Rahmen von Interaktionen verstanden. Gewalt erscheint als Interaktionsprodukt und als Ergebnis eines Aufschaukelungsprozesses.
Zu den neueren soziologisch-erziehungswissenschaftlichen Ansätzen zählen: Individualisierungstheorie: Gewalt wird aus den Folgen gesellschaftlicher Modernisierung und den damit verbundenen Desintegrations- und Verunsicherungsprozessen angeleitet.
Schulbezogener anomietheoretischer Ansatz: Gewalthandeln in der Schule ist als Anpassungsverhalten an die anomische Struktur von Schule zu deuten. Integrative Ansätze: Sie kombinieren endogene und exogene Faktoren.
Sozialisationstheoretische Perspektive: Gewalt stellt eine Form produktiver Realitätsverarbeitung dar.
Geschlechtsspezifische Sicht: Gewalt ist eine Form männlicher Lebensbewältigung.
Schulbezogener sozialökologischer Ansatz: Dieser Ansatz ist wichtig für die schulische Gewaltprävention, weil er die innerschulischen Bedingungen, wie Schul- und Lernkultur, in den Mittelpunkt stellt. Die Gestaltung der Schul- und Lernkultur beeinflußt die Gewaltentwicklung (vgl. Schubarth 1999, S. 28f).
Ich meine, daß jeder dieser Ansätze ein Stück Wahrheit in sich trägt und doch nicht für sich alleine stehen kann. Es ist vielmehr eine Kombination aus verschiedenen Aspekten, die die Gewalthandlungen einer bestimmten Person beschreiben kann. Die individuellen Merkmale sind dabei ausschlaggebend und sie lasen sich nicht als festes Raster begreifen, d.h. sie sind nie verallgeminerbar.
3. Gewaltbelastung und Gewaltentwicklung an Schulen
Insgesamt ist die Gewaltbelastung an Schulen weder dramatisch noch alarmierend, wie es die Medien immer verkünden. Dennoch sollte das Thema ernstgenommen werden.
„Konsens herrscht auch darüber, daß sich die Schulen in ihrer Gewaltbelastung stark voneinander unterscheiden, wobei die Mehrheit der Schulen nicht von größeren Gewaltproblemen betroffen ist“ (Schubarth 1999, S. 29).
Zur Gewalt im Zeitverlauf schreibt Wilfried Schubarth, daß sie zwar zugenommen hat, jedoch nur leicht. Von einer Gewaltzunahme sind verschiedene Gewaltphänomene und Schülergruppen unterschiedlich stark betroffen. Hauptschulen gelten dabei als Brennpunkt. Qualitative Untersuchungen haben zudem herausgefunden, daß qualitative Veränderungen der Gewaltphänomene existieren (vgl. Schubarth 1999, S. 29).
Tillmann bemerkt in diesem Zusammenhang, daß die öffentliche Diskussion von einer Zunahme der Gewalt an Schulen seit den 70er Jahren spricht. Da allerdings bisher nur Querschnittsuntersuchungen gemacht wurden, läßt sich diese Frage nur schwer beantworten.
Diese empirische Lücke sollt die Bielefelder Studie füllen. Sie wurde im Rahmen des Sonderforschungsbereichs „Prävention und Intervention im Kindes- und
Jugendalter“ durchgeführt. Ausgangspunkt war eine Schülerbefragung zum Thema „abweichendes Verhalten in der Schule“ aus dem Jahre 1972, durchgeführt an Bielefelder Schulen. 1995 fand eine Befragung an hessischen Schulen statt, in der ein Drittel der Fragen aus der Studie von ´72 aufgenommen wurden. Diese Vorgehensweise ermöglicht einen Zeitvergleich, auch weil der Schluß von abweichendem Verhalten auf Gewalt zulässig ist, und die Stichprobenangleichung gelungen ist.
Als Methode wählte man Selbstreports abweichenden Verhaltens bei Schülern der 8., 9. und 10. Jahrgangsstufe. Gefragt wurd nach Schlägereien, Bandenzugehörigkeit, Einbruch, Diebstahl und Zerstörung bzw. Beschädigung in den letzten zwölf Monaten.
„Strafrechtlich relevante Delikte werden 1972 wie 1995 von den allermeisten Schülerinnen und Schülern nicht begangen“ (Tillmann 1997, S. 44). Zugenommen haben Schlägereien (5%-12,5%), Einbrüche (1%-5,3%) und Bandenzugehörigkeit (6%-16%). Korrekterweise muß allerdings angemerkt werden, daß unklar ist, ob die Definition von Gewalt die gleiche ist oder ob die Bereitschaft, Delikte zuzugeben, gestiegen ist. Diesen Einwand halte ich für berechtigt. Ich bin sogar sicher, daß sich in beiden Punkten einige Veränderungen ergeben haben.
Insgesamt hat das abweichende Verhalten zugenommen, aber es wird von einer recht kleinen Minderheit begangen. Die Hauptschulen in den 90ern weisen insgesamt eine höhere Delinquenzbelastung auf als in den 70er Jahren (vgl. Tillmann 1997, S. 42-47). Diesem Ergebnis entspricht ja auch die allgemein zunehmende Gewalt unter Jugendlichen, die ich zwar für noch nicht so bedrohlich halte, wie es in den Medien dargestellt wird, deren Potential aber nicht unterschätzt werden darf. Es sind allerdings nur bestimmte Gruppen davon betroffen, wie auch die Ergebnisse weiter unten zeigen werden.
Schubarth ergänzt diese Angaben noch um die Sicht der Lehrer an sächsischen Schulen: Eine Mehrzahl der Lehrer will einen Gewaltanstieg seit der Wende beobachtet haben. An Förderschulen wird die größte Steigerung wahrgenommen, während an Gymnasien die Hälfte der Lehrer von einer unveränderten Entwicklung spricht. Im Vergleich zu den Schulleitern ist die Einschätzung der Lehrer übrigens deutlich negativer (vgl. Schubarth 1997, S. 69ff), was meiner Meinung nach an der größeren Nähe zum Geschehen liegen mag und daran, daß sie unverblümter darüber sprechen als Direktoren, die die Situation einer Schule ein bißchen als Spiegelbild ihrer eigenen Tätigkeit sehen.
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- Arbeit zitieren
- Laura Dahm (Autor:in), 1999, Gewalt an Schulen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/14708