Hélène Dutrieu. Die erste Pilotin in Belgien


Fachbuch, 2010

65 Seiten


Leseprobe


Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Helene Dutrieu (1877—1961)
Foto: Library oof Congress, Washington,
Prints and Photographs Division,
Urheber: Bain News Service

Die erste belgische Pilotin war die Sportlerin, Artistin und Schauspielerin Helene Dutrieu (1877—1961). Sie gilt auch als die erste Frau der Welt, die einen Passagier flog. Außerdem stellte sie Weltrekorde im Radrennfahren und in der Luftfahrt auf. Man nannte die vielfach talentierte Frau, die nach ihrer Heirat eine Französin wurde, respektvoll „Falkenmädchen“ oder „Vogelmädchen“.

Helene Dutrieu kam am 10. Juli 1877 in der belgischen Stadt Tournai an der Schelde zur Welt. Ihre Geburtsstadt wird niederländisch als Doornik bezeichnet. Ihr Vater Florent Dutrieu war ein belgischer Armeeoffizier. Ihre Mutter hieß Clothilde van Thieghem. Helene galt als eine gute Schülerin.Als ihre Familie finanziell in Schwierigkeiten geriet, verließ sie im Alter von 14 Jahren die Schule, um zum Lebensunterhalt ihrer Familie beizutragen.

Im Gegensatz zu anderen Mädchen und jungen Frauen ver­diente Helene aber kein Geld mit Handarbeiten wie Klöppeln oder Sticken, sondern strebte nach dem Vorbild ihres Bruders Eugene eine sportliche Karriere im Radrennfahren an. Bald feierte Helene wie Eugene beim Radrennfahren große Trium­phe.

Bereits mit 16 Jahren stellte Helene 1893 einen Frauen­Weltrekord auf. 1895 erreichte sie in Ostende (Belgien) einen Geschwindigkeits-Weltrekord. Sie gehörte dem erfolgreichen „Simpson Lever Chain Racing Team“ an. 1897 und 1898 siegte sie bei der Frauen-Bahnrad-Weltmeisterschaft in Ostende. Im August 1898 gewann sie den „Grand Prix d’Europe“ und im November 1898 bei einem Zwölf-Tage-Rennen („Coupe de 12 Jours“) in London. König Leopold II. von Belgien (1835— 1909) ehrte sie 1898 mit dem „Kreuz von St. Andre mit Diamanten“ für ihre Erfolge als Radfahrerin.

Helene Dutrieu (1877—1961)
im Alter von 16 Jahren
während ihrer Zeit als Radrennfahrerin,
Foto eines unbekannten Fotografen von 1893

Bekannt und berühmt wurde die vielseitige Helene Dutrieu auch als Kunstradfahrerin, Kunstmotorradfahrerin und Autorennfahrerin. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts empörten sich konservative Kreise noch darüber, wenn Frauen auf ein Rad stiegen und Hosenröcke oder Pumphosen trugen. Helene wagte es, in Kniehosen zu radeln, was ebenfalls als un­schicklich galt.

Großes Aufsehen erregte Helene Dutrieu 1903 mit ihrer ner­venaufreibenden Zirkus- und Varietenummer „Der mensch­liche Pfeil“ („La Fleche Humaine“ oder „Human Arrow“). Dabei handelte es sich um eine Radsensationsnummer, zu der mehrere Meter freien Fluges gehörten. Ein Augenzeuge beschrieb dies später so: „Erinnern Sie sich noch an den ,menschlichen Pfeil‘, diesen Schauder, die Angst, dieses Grauen, diese Raserei? Eine unterbrochene Spur, das sich unterbrechende Orchester, der unermeßliche Sprung ins Leere — und das entfesselte Publikum, die freigelegten Nerven, schreiend, brüllend, jubelnd, während auf der anderen Seite (...), die Wangen etwas blass, doch mit unbewegter Stirn, eine winzige Ephebe winkte und lächelte.“

Im Juli 1903 radelte Helene Dutrieu „eine Schleife in einer vertikalen Spur“ an der Eldorado in Marseille (Frankreich). Die erfolgreiche Kunstradfahrerin trat auch als Schauspielerin im Theater auf.

Eine Konkurrentin von Helene Dutrieu war die französische Sensationsartistin Mauricia de Thiers (1880—1964) , die damals mit ihrer „Autobolide“ große Erfolge hatte. Mauricia trug ab 1916 nach ihrer Heirat mit dem Kunstkritiker Gustave Coquoit (1865—1926) den Namen Mauricia Coquoit.

Fahrräder verloren bei Helene Dutrieu ihre Anziehungskraft, als sie sich ab etwa 1898 für Autorennwagen interessierte. Dass

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Brasilianischer Flugpionier
Alberto Santos-Dumont (1873—1932),
Foto: Bibliotheque nationale de France,
Urheber: Agence de presse Meurisse

dieser Sport nicht ungefährlich war, erfuhr sie bei einem Unfall in Berlin, bei dem sie Verletzungen erlitt, von denen sie sich erst nach einem halben Jahr erholte.

Von 1904 bis 1907 wurde Helene Dutrieu von der französi­schen Firma „Clement-Bayard“ als Rennsportlerin gesponsert. Auf Wunsch dieser Firma sollte Helene deren neues und ziemlich zerbrechlich wirkendes Leichtflugzeug „Demoiselle“ („Young Lady“) mit 50-PS-Motor werbewirksam präsentieren. Mit diesem Auftritt wollte man zeigen, dass die „Demoiselle“ so simpel konstruiert war, dass sie von einer Frau beherrscht werden konnte. Hierfür erschien die jugendlich aussehende, zierliche und nicht sehr schwere Helene besonders geeignet. Die Maschine „Demoiselle“ war von dem brasilianischen Flugpionier Alberto Santos-Dumont (1873—1932) entworfen worden und gilt als das erste Leichtbau-Sportflugzeug der Welt. Später wurde der Typ „Demoiselle“ mehrfach kopiert.

Im Dezember 1908 hob die 31 Jahre alte Helene Dutrieu in Issy-Les-Moulineaux südwestlich von Paris zum ersten Mal — ohne vorher Flugstunden genommen zu haben — mit der „Demoiselle“ in die Luft ab. Unerwarteterweise machte sie dabei Bruch und die Maschine wurde schwer beschädigt. Nach dieser Bruchlandung beschloss Helene, das Fliegen richtig zu lernen. Beim Üben mit einer Maschine von Santos-Dumont in Issy-Les-Moulineaux erlebte sie am 21. Januar 1909 ihren nächsten Crash. Nach dem Start auf schlammigem und schwerem Boden beschleunigte sie die Maschine zu stark, weswegen diese plötzlich etwa zehn Meter in die Höhe schoss, einige Minuten flog, dann abrupt nach vorne fiel und senkrecht auf die Erde prallte. Zur Erleichterung der besorgten Augen­zeugen konnte Helene unverletzt aussteigen. Nach diesem unerfreulichen Zwischenfall kündigte sie ihren Vertrag mit der

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Französischer Flieger Roger Sommer (1877—1965),
Foto: Library of Congress, Washington,
Prints and Photographs Division,

Urheber: Bain News Service

Firma „Clement-Bayard“, der ihr monatlich 2.000 Francs garantiert hatte.

In der Folgezeit wurde Helene Dutrieu eine Flugschülerin bei dem französischen Piloten Roger Sommer (1877—1965). Am 9. April 1910 unternahm sie mit einem Fairman-Doppeldecker einen 20 Minuten langen Flug, was für eine Frau damals als Rekord galt und wofür man sie sehr lobte. Der 19. April 1910 wird in den Annalen der Luftfahrt als jener Tag erwähnt, an dem sie als erste Frau der Welt einen Passagier flog. Nämlich ihren Mechaniker Beaud. Einen Monat später flog sie im Mai 1910 bei einer Flugschau in Odessa (Ukraine) zu niedrig, streifte ihre Maschine einen Kamin und stürzte ab. Nun war ihr Ausbildungsvertrag mit Roger Sommer beendet, der glaubte, dass sie nie eine Pilotin werden könnte.

Zurück in Frankreich bat die unglückliche Helene Dutrieu Richard (Dick) Farman (1872—1940) um seine Hilfe. Letzterer war ein Bruder des Luftfahrtpioniers Henri Farman (1874— 1958), der seit 1908 in Buc bei Versailles eine Flugschule betrieb und Helene bereits aus seiner Zeit als Radrennfahrer kannte. Henri Farman lieh Helene ein Flugzeug ohne Motor. Helene beschaffte bei Louis Seguin (1869—1918), dem Direktor der „Gnom“-Motorfabrik, einen Motor und nahm bei Henri Farman weiteren Fluguntericht. Einige Monate später legte sie am 23. August 1910 vermutlich in Frankreich ihre Prüfung für die Pilotenlizenz ab, erhielt die Lizenz Nummer 27 des „Aero Club de Belgique“ aber wegen bürokratischer Probleme erst am 25. November 1910. Damit war sie die erste Pilotin in Belgien und weltweit angeblich die vierte Pilotin.

Vom 7. Januar 1909 bis zum Jahresende 1910 hat der „Aero- Club de France“ insgesamt 345 Flugzeugführerscheine aus­gestellt. Davon waren 53 für ausländische Absolventen fran-

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Plug%eugkonstrukteur und Pilot Henri Farman (1874—1958), Foto: Bibliotheque nationale de France,

Urheber: Agence de presse Meurisse

zösischer Flugschulen. Auf Russland entfielen 16, Groß­britannien 14, Niederlande 6, Deutschland 4, Polen 2, Italien 2, Australien 1, Belgien 1, Chile 1, Luxemburg 1, Peru 1, Schweiz 1, Schweden 1, USA 1, Uruguay 1 Flugschüler. Den Namen von Helene Dutrieu findet man in diesem Zeitraum und auch später nicht in der französischen Flugzeugführerliste. Aus diesem Grund vermutet der Autor Günter Schmitt in seinem Buch „Die Ladys in den fliegenden Kisten“ (1993), Helene Dutrieu habe nach Abschluss ihrer Ausbildung in Frankreich den Flugzeugführerschein in Belgien beantragt und vom „Aero-Club de Belgique“ erhalten. In den internationalen Bestimmungen hieß es, Flugzeugführer seien solche Personen, die das Führerzeugnis irgendeines dem internationalen Verbande angehörenden Vereins erworben haben. Ohne einen solchen Ausweis hätte Helene nicht an französischen Flug­wettbewerben teilnehmen können, die überwiegend unter Aufsicht des „Aero-Clubs de France“ erfolgten.

Im September 1910 erregte Helene Dutrieu mit einem 45 Kilo­meter weiten und 40 Minuten dauernden Nonstop-Flug in Bel­gien von Ostende nach Brügge großes Aufsehen in der Öffent­lichkeit. Bei dieser spektakulären Luftreise stellte sie einen Weltrekord im Langstreckenflug auf, hatte sie den Mechaniker Louis Edouard Beaud als Passagier an Bord, umkreiste den 83 Meter hohen Glockenturm (Belfried) in Brügge und stieg bis in 400 Meter Höhe auf. Unten läuteten Kirchenglocken und eine begeisterte Zuschauermenge klatschte Beifall. Bereits damals machte Helene Dutrieu die seltsame Erfahrung, dass ihr eine Nebensächlichkeit mehr Schlagzeilen in der Presse bescherte, als ihr ungewöhnliches fliegerisches Talent. Sie hatte die Angewohnheit, bei Flügen kein enges Korsett zu tragen, verzichtete aber nicht aus modischen Gründen darauf,

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Helene Dutrieu (1877—1961)
auf einem Foto um 1911
Foto: Library of Congress, Washington,
Prints and Photographs Division,
Urheber: Bain News Service

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Details

Titel
Hélène Dutrieu. Die erste Pilotin in Belgien
Autor
Jahr
2010
Seiten
65
Katalognummer
V147255
ISBN (eBook)
9783640574605
ISBN (Buch)
9783656869191
Dateigröße
2402 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
Hélène Dutrieu, Ernst Probst, Fliegerin, Piilotin, Fliegerinnen, Pilotinnen, Fliegerei, Luftfahrt, Frauenbiographien, Biographien, Kurzbiographien, Frauenbiografien, Biografien, Kurzbiografien
Arbeit zitieren
Ernst Probst (Autor:in), 2010, Hélène Dutrieu. Die erste Pilotin in Belgien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/147255

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