Seit es Städte gibt, setzen sich Menschen mit dem Leben in ihnen und ihrem eigenen
konkreten Erleben des städtischen Alltags auseinander. Vor allem Künstler und
Geisteswissenschaftler beschäftigten sich in den vergangenen Jahrhunderten in
zunehmendem Maße mit Fragen und Problemen, die das Stadtleben aufwarf. So versuchten
sie zu klären, ob das Leben in einem künstlich geschaffenen Umfeld überhaupt
der Natur des Menschen entspricht, oder ob er daran nicht eher zugrunde geht,
ob er stark und flexibel genug ist, sich neuen Anforderungen zu stellen und anzupassen,
oder aufgrund seiner Unfähigkeit in die Isolation getrieben wird. Seit dem
19.Jahrhundert entstanden immer mehr Großstädte, und die Fragen verschärften sich:
Ist hier ein menschenwürdiges Dasein überhaupt noch möglich? Oder läßt die Flut
von Menschen und Maschinen, das endlos erscheinende Meer von Häusern und
Straßen jede Gefühlsregung verkümmern, erstickt jedes über den profanen Alltag
hinausgehende Denken im Keim?
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Wahrnehmung und Darstellung der
Großstadt vor circa 100 Jahren, speziell im Bereich der Literatur. Sie versteht sich als
Einblick und Anregung, da naturgemäß bereits eine Fülle an Material zu diesem
Thema existiert. In der Einleitung gehe ich kurz auf die Situation der großen Städte in
der damaligen Zeit ein, lasse ein Paar kritische Stimmen zu Wort kommen und stelle
die Ansichten von Georg Simmel (einer der bedeutendsten Soziologen dieser Zeit) zu
diesem Thema vor. Danach wende ich mich Rainer Maria Rilke zu, der – obwohl
eher Lyriker – den "ersten modernen deutschen Roman"1 um diese Zeit geschrieben
hat: "Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge". Der dritte Teil bleibt der frühexpressionistischen
Lyrik vorbehalten; hier soll die Verbindung der prosperierenden
und pulsierenden Großstadt Berlin und dem aufkommenden Expressionismus – der
"ersten wirklichen Großstadtkunst in Deutschland überhaupt"2 – aufgezeigt werden.
1 Rainer Kirsch, Nachwort, in: R. M. Rilke, Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge, Leipzig
1989 (Verlag Phillip Reclam jun.), S.188
2 Jost Hermand, Das Bild der "großen Stadt" im Expressionismus, in: Klaus R. Scherpe, Die
Unwirklichkeit der Städte, Reinbek bei Hamburg 1988, S.66
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort
- Einleitung
- Abriss über die Situation der Großstädte zur Jahrhundertwende
- Zeitgenössische Kritik
- Die Soziologie der Großstadt nach Georg Simmel
- Rainer Maria Rilke "Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge"
- Biographie R. M. Rilke
- Textausschnitt
- Inhalt und Form des Werkes als Reflexion der Dissoziierung und Entfremdung des Großstadtmenschen
- Frühexpressionistische Lyrik
- Berlin als Geburtsstadt des Expressionismus
- Alfred Lichtenstein: "Gesänge an Berlin"
- Expressionismus - Avantgarde ohne konkrete Utopie
- Johannes R. Becher: "De profundis"
- Berlin als Geburtsstadt des Expressionismus
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Darstellung der Großstadt in der Literatur des frühen 20. Jahrhunderts. Sie analysiert, wie Schriftsteller die Herausforderungen und Veränderungen des städtischen Lebens vor circa 100 Jahren erlebten und in ihren Werken widerspiegelten. Die Arbeit befasst sich mit den sozialen und kulturellen Aspekten der Großstadt und untersucht die Verbindung zwischen literarischen Strömungen und der städtischen Realität.
- Die Situation der Großstädte zur Jahrhundertwende
- Die Kritik an der Großstadt in der Literatur
- Die Soziologie der Großstadt nach Georg Simmel
- Die Darstellung der Großstadt in Rilkes "Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge"
- Der Expressionismus als "Großstadtkunst"
Zusammenfassung der Kapitel
Im Vorwort wird die Relevanz der Darstellung der Großstadt in der Literatur des beginnenden 20. Jahrhunderts erläutert und die Themen und Inhalte der Arbeit vorgestellt. Die Einleitung bietet einen Überblick über die Situation der Großstädte zur Jahrhundertwende, beleuchtet die Kritik an den sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Industrialisierung und stellt die soziologische Perspektive von Georg Simmel vor.
Das Kapitel über Rainer Maria Rilke und "Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge" untersucht die Darstellung der Großstadt und ihre Auswirkungen auf das Individuum. Es beleuchtet die biographischen Hintergründe des Autors und analysiert den Inhalt und die Form des Romans als Reflexion der Dissoziierung und Entfremdung des Großstadtmenschen.
Das Kapitel über die frühexpressionistische Lyrik analysiert die Verbindung zwischen der Großstadt Berlin und dem Expressionismus, einer künstlerischen Strömung, die sich intensiv mit den Veränderungen und Herausforderungen des urbanen Lebens auseinandersetzte. Es werden die Werke von Alfred Lichtenstein und Johannes R. Becher als Beispiele für die expressionistische Darstellung der Großstadt vorgestellt.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit den zentralen Themen der Großstadtentwicklung im frühen 20. Jahrhundert, dem Einfluss der Industrialisierung auf das Leben der Menschen, den soziologischen Ansätzen zur Erklärung der Großstadt, der Darstellung von Entfremdung und Dissoziierung in der Literatur, dem Expressionismus und der Rolle der Großstadt in dieser künstlerischen Strömung.
- Arbeit zitieren
- Falko Neubert (Autor:in), 2000, Die Darstellung der Großstadt in der Literatur des beginnenden 20. Jahrhunderts, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/15166