Leseprobe
Gliederung
1. Einführung
2. Theoretischer Hintergrund
2.1 Zum Einfluss der sozialen Herkunft
2.2 Rational-Choice-Ansatz / SEU-Modell
3. Empirie & Anwendung der Theorie
3.1 Statusreproduktion im deutschen Schulsystem
3.2 Einfluss des Migrationshintergrundes
4. Fazit und bildungspolitischer Ausblick
1. Einführung
In der heutigen Medienlandschaft wird häufig thematisiert und in erster Linie pauschalisiert, dass vor allem Jugendliche mit Migrationshintergrund schulisch schlechter abschneiden und sich somit später im Arbeitsmarkt schlechter eingliedern können. Dies geht hin bis zu bewussten Vorwürfen der Diskriminierung. Es herrscht aber immer noch Freiheit bei der Wahl der Bildungseinrichtung und jedem ist es rechtlich freigestellt seine schulische Laufbahn selbst zu bestimmen.
Nun stellt sich die Frage, ob sich diese Behauptungen empirisch belegen lassen und wenn ja, warum dies so ist. Wäre es denkbar, dass nicht der Migrationshintergrund als solcher die schulische Laufbahn beeinflusst, sondern bestimmte ethnische Gruppen in bestimmten Schichten der deutschen Gesellschaft stärker repräsentiert sind und somit eher die Schichtzugehörigkeit eine Rolle spielt?
Diese Arbeit soll sich vorrangig mit dieser Frage nach dem Einfluss der sozioökonomischen Zugehörigkeit beschäftigen. Als Hilfsmittel dient hierbei auf theoretischer Ebene der Esser'sche Rational-Choice-Ansatz und diverse Studien, die sich sowohl mit dem Einfluss von Schicht- Zugehörigkeit, als auch dem des Migrationshintergrundes auf den schulischen Werdegang beschäftigen. Des weiteren soll die Frage beantwortet werden - sollte ein Effekt der ethnischen Zugehörigkeit vorliegen - ob es Unterschiede zwischen den verschiedenen Gruppen ethnischer Minderheiten in Deutschland gibt, wovon mehrere Studien berichten und warum sich diese auf die Schichten der Gesellschaft verteilen.
Sollte sich am Ende herausstellen, dass es primär ein schichtspezifisches Problem ist, sollte man die Bildungspolitik wohl dahingehend überdenken, dass man nicht nur über die Förderung dieser Minderheiten sinniert, wie es in regelmäßigen Abständen von Politikern getan wird, sondern sich generell den unteren Schichten der Gesellschaft, also auch den bildungsferneren Menschen deutscher Abstammung zuwenden.
Im Fokus soll hierbei der Übergang in die Sekundarstufe 1 behalten werden, da diese Entscheidung stark durch das soziale Umfeld, primär durch die Eltern, maßgeblich beeinflusst wird und zum größten Teil den späteren Werdegang determiniert.
2. Theoretischer Hintergrund
2.1 Zum Einfluss der sozialen Herkunft
Hartmut Esser führt in seinen speziellen Grundlagen der Soziologie: Situationslogik und Handeln zur Wert-Erwartungstheorie folgendes an: „Trotz aller Reformen des Bildungswesens und trotz aller Versuche zur Aufhebung der Bildungshemmnisse in den westlichen Gesellschaften hat sich kaum irgendwo etwas daran geändert, dass die unteren Schichten der Bevölkerung ihre Kinder weniger auf Einrichtungen der weiterführenden Bildung schicken als die mittleren oder die oberen Schichten.“ 1 Laut Esser stehen alle Familien in Deutschland nach der Grundschule vor der Entscheidung, auf welche Schule sie ihre Sprösslinge schicken. Ein Ansatz diese Entscheidung zu verstehen und zu erklären ist hierbei seine Wert-Erwartungstheorie.
2.2 Rational-Choice-Ansatz / SEU-Modell
Es findet ein Abwägen von Kosten und Nutzen unter Einbezug der Wahrscheinlichkeiten ihres Eintretens statt. Zusätzlich werden diese Faktoren in einem Verhältnis zueinander gesehen. Ist ein Nutzen wahrscheinlich, so wird die Entscheidung wohl zu Gunsten der höheren Bildung ausfallen. Überwiegen die Kosten für den Schulbesuch, so sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Weg gewählt wird. Zu beachten sind aber ebenso die Kosten, die entstehen, wenn ein bestimmter Weg nicht gewählt wird. Kosten stellen hierbei nicht nur die direkten Kosten des Schulbesuchs dar, sondern ebenso Opportunitätskosten, d.h. Verdienstausfälle durch den Lohn, der einem entgeht, wenn man sich in einem Erwerbsverhältnis befinden würde. Zusätzlich spielt noch der Statusverlust eine Rolle, auf den ich zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal eingehen werde. Im Modell sieht diese Entscheidung vereinfacht somit wie folgt aus:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
EU steht hierbei für den erwarteten Nutzen ( Expected Utility ). Ist dieser Nutzen wie abgebildet im Fall der weiterführenden Schule höher, so wird dieser Weg gewählt.
Anzumerken ist hierbei noch, dass Esser die reale Entscheidung vereinfacht, indem er die Gymnasium und Realschule als weiterführende Schulen zusammenfasst und ihnen die Hauptschule gegenüberstellt. In der Realität gäbe es jedoch drei Alternativen.
Dieser Nutzen ist wiederum abhängig von diversen Faktoren, die ich der Einfachheit halber nun auflisten werde um dann mit deren Hilfe das Gesamtmodell zu erklären.
SV : Statusverlust
U : Nutzen
C : Kosten
c : Wahrscheinlichkeit des Eintritts des Statusverlustes
p : Wahrscheinlichkeit des erfolgreichen Abschlusses der weiterführenden Schule
Hier kommt der eingangs erwähnte Statusverlust zum tragen: d.h. eine bestimmte Art von Kosten, die ensteht, wenn ein bestimmter Weg nicht gewählt wird. Ein Beispiel wäre hierbei der Ansehensverlust, aber auch der Verlust von zukünftigem Einkommen, d.h. eine Abwärtsmobilität eines Akademiker-Sohnes, der nur die Hauptschule besucht. Aus den zuvor aufgeführten Variablen ergibt sich nun folgendes Modell:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Der Wahrscheinlichkeit des Nutzeneintritts (p*U) wird hierbei die Gegenwahrscheinlichkeit (1-p) - multipliziert mit der Wahrscheinlichkeit des Statusverlustes (c*SV) - abgezogen, ebenso wie die Kosten (C) . Ist dieser Nutzen immer noch größer als der Preis des Statusverlustes, tendiert der Akteur zur höheren Bildung. Dieses Modell lässt sich folgendermaßen umformen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Auf der linken Seite haben wir hierbei die Bildungsmotivation, der auf der rechten Seite das Investitionsrisiko gegenübersteht. Erstere „ist umso höher, je höher der Wert der Bildung eingeschätzt wird und je höher und je sicherer der drohende Statusverlust ohne die Bildung ist.“ 2 Demnach bietet ein niedriger Ausgangsstatus eine geringere Motivation bzw. Bildungsaspiration. Laut Esser steht in diesem Fall nur der Ertrag der Bildung selbst den Kosten gegenüber. Das Risiko wiederum steigt mit zunehmender Unsicherheit des Erfolges. Esser stellt weiterhin fest, dass die Motivation bei einer sehr niedrigen Wahrscheinlichkeit des Erfolges gegen unendlich tendieren muss, um überhaupt zur Wahl der höheren Schule zu führen.3
[...]
1 Esser, Hartmut (2002): Spezielle Grundlagen der Soziologie 1: Situationslogik und Handeln, S. 265
2 Esser, Hartmut (2002): Spezielle Grundlagen der Soziologie 1: Situationslogik und Handeln, S. 270
3 op. cit., S.270