2. Einleitung
Für die Interpretation eines Textes setzt Schlegel das Missverstehen voraus. Das heißt, dass literarische Texte vielfach gedeutet werden können und die Unverständlichkeit des Textes zur Interpretationsmaxime wird. Die Interpretation ist demnach ein fortlaufender Prozess, der nicht final ist. Durch diese Theorie in der romantischen Hermeneutik, wird der Rezipient literarischer Texte enorm aufgewertet.
In der rezeptionsästhetischen Schule stellt die Text- Leser- Auseinandersetzung den wichtigsten Bezugspunkt für die Konstitution von Sinn im Konsumieren der textlichen Grundlage dar. Von Konsumenten, als Leser, wird ein Vorwissen erwartet, auf das er zurückgreifen kann. Nur durch Konsultieren seines Weltwissens oder literarischer Vorkenntnis kann sich die Strategie eines Textes für den Rezipienten erfassen und lässt ihn den Text selbst für sich interpretieren und somit hermeneutisch aktiv werden. Im Gegenzug zu den Aussagen eines Sachtextes, benötigt der literarische Text ebenjenes Vorwissen des Lesers, dass er mit den geschilderten Ereignissen und Geschehnissen verbinden muss, um seine eigenen Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Das Konsumieren eines literarischen Textes ist also eine aktive Beschäftigung bei der die offenen Bezügen mit seiner eigenen Erfahrung und Vorwissen gefüllt werden. Wolfgang Iser nennt diese offenen Bezüge „Leerstellen“.
Nehmen wir hingegen die Wirkungsästhetische Seite, so müssen wir uns fragen ob bei dramatischen Texten nicht eher die Produktionsmechanismen untersucht werden sollten, um einen Text zu interpretieren.
Gegenwärtig räumt man ein, dass sowohl die Produktion als auch die Rezeption eines literarischen oder theatralen Werkes erfasst werden sollen und dass man die Produktion von Wirkungen und die Art, wie sie vom Leser bzw. Zuschauer aufgenommen werden, nicht voneinander trennen sollte.
Die vorliegende Arbeit soll sich mit Wolfgang Isers oben erwähnten Leerstellen
und seinen ästhetischen Modellen, wie er sie in Der Akt des Lesens3 entwickelt
hat, aber auch damit, welch große Rolle seine Leerstellen in seiner Rezeptions- bzw. Wirkungsästhetik spielen, beschäftigen. Diese Fragen und Modelle möchte
ich anhand des im Seminar behandelten Stückes Bartsch, Kindermörder von
Oliver Reese überprüfen. Meine Bemühungen werden hierbei besonders sein,
Isers „Leser“ auf einen Theaterrezipenten zu übertragen um dadurch den Umgang
des Zuschauers mit den Leerstellen zu verdeutlichen.
[...]
Inhaltsverzeichnis
- Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Hauptteil
- Vorüberlegung
- Überlegungen zu Bartsch, Kindermörder
- Leerstellen
- Paradigmatische Leerstellen bei Bartsch, Kindermörder
- Negative Paradigmatische Leerstellen
- Kritik und Ergänzungen zu Isers Leerstellentheorie
- Beispiele einiger Leerstellen in Bartsch, Kindermörder
- Zaubertricks
- Zusammenfassung und Schlussfolgerung
- Quellen
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit untersucht die Relevanz von Wolfgang Isers Leerstellentheorie für die Interpretation des Theaterstücks „Bartsch, Kindermörder“ von Oliver Reese. Dabei wird besonderes Augenmerk auf die Rolle des Zuschauers und seine aktive Mitgestaltung des Sinnes im Kontext von Rezeptions- und Wirkungsästhetik gelegt.
- Analyse von Wolfgang Isers Leerstellentheorie im Kontext des Stückes „Bartsch, Kindermörder“
- Untersuchung des Einflusses von Vorwissen auf die Rezeption des Stücks
- Bedeutung der Unbestimmtheitsstellen für die Sinnkonstitution
- Die Rolle des Zuschauers als aktiver Gestalter des Sinnes
- Verknüpfung von Rezeptionsästhetik und Wirkungsästhetik
Zusammenfassung der Kapitel
- Die Einleitung beleuchtet die Bedeutung des Missverstehens für die Interpretation literarischer Texte in der romantischen Hermeneutik sowie die zentrale Rolle des Rezipienten in der Rezeptionsästhetik. Isers Leerstellentheorie wird eingeführt und ihre Relevanz für die aktive Auseinandersetzung des Lesers mit dem Text hervorgehoben. Die Arbeit kündigt eine Untersuchung dieser Theorie am Beispiel von „Bartsch, Kindermörder“ an.
- Die Vorüberlegung beleuchtet Isers These, dass literarische Texte ihren Sinn nicht selbst formulieren, sondern durch bestimmte Strukturen die Rezeption lenken und den Sinn durch die Vorstellung des Lesers vermitteln. Der Rezipient spielt eine entscheidende Rolle bei der Wirkungsentfaltung des Textes. Im Kontext des Theaters wird der Inszenierende als Interpret des Textes betrachtet, der ihm einen aktuellen Sinn verleiht.
- Im Kapitel „Überlegungen zu Bartsch, Kindermörder“ wird die Relevanz von Vorwissen für die Rezeption des Stückes verdeutlicht. Reese montierte den Monolog aus Jürgen Bartschs Briefen an Paul Moor, sodass der Zuschauer als Adressat des Briefwechsels agiert und ein bestimmtes Vorwissen benötigt, um den Text zu verstehen.
- Der Abschnitt über Leerstellen erklärt, dass die „Unbestimmtheitsstellen“ in literarischen Texten vom Rezipienten durch Vorwissen gefüllt werden müssen, um die Unbestimmtheit zu reduzieren. Die Arbeit erläutert die Rolle von „formalen Bedingungen“ und ihre Wirkung auf den Rezipienten.
Schlüsselwörter
Die zentralen Themen der Arbeit sind Leerstellen, Rezeption, Wirkungsästhetik, Vorwissen, Unbestimmtheitsstellen, Interpretation, Theater, „Bartsch, Kindermörder“, Oliver Reese, Jürgen Bartsch, Paul Moor.
- Arbeit zitieren
- Greta Schmidt (Autor:in), 2010, Beleuchtung von Wolfgang Isers Leerstellen bei Oliver Reeses "Bartsch, Kindermörder", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/151935