Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. EINLEITUNG
2. DER EXPRESSIONISMUS
2.1. Zeitliche Einordnung
2.2. Wichtige Vertreter in der Literatur
2.3. Themen, Formen und Stil in der Literatur
3. GEDICHTANALYSE UND INTERPRETATION VON GEORG HEYMS „DER GOTT DER STADT“
3.1. Formale Analyse
3.2. Inhaltliche Zusammenfassung der einzelnen Strophen
3.3. Interpretation
3.4. Die semantische Funktion der Adjektive und Verben im Gedicht
4. SCHLUSSBETRACHTUNG: „DER GOTT DER STADT“ ALS MUSTERBEISPIEL FUR DEN LITERARISCHEN EXPRESSIONISMUS?
5. LITERATUR- UND QUELLENVERZEICHNIS
1. Einleitung
Literaturgeschichte und die dazu existierende Forschung sieht sich oftmals mit diver- sen Schwierigkeiten konfrontiert. Schon seit Jahrhunderten mochte sie die unuber- schaubare Vielzahl existierender Werke literarischer Produktion sinnvoll ordnen und gliedern, um den Menschen eine bessere, uberblicksartige Sicht auf diese Masse zu ermoglichen. Dabei entsteht immer wieder eine gewisse Uneinigkeit daruber, wie diese Masse denn zu ordnen sei. Dies liegt daran, dass Epochenabgrenzungen, wie sie in der Literatur- und Kulturgeschichte vorgenommen werden, nur Konstruktionen sind, die nicht wirklich existieren. „Epochen sind Kategorien, mit deren Hilfe die un- ubersehbare Flut von uberlieferten Texten in eine sinnvolle Ordnung gebracht werden kann“[1].
Diese Ordnung ist aber nicht von real existierender Substanz[2], sie kann auch nur selten auf den Tag genau datiert werden. Haufig laufen verschiedene Epochen oder Epochenbegriffe nebeneinander her oder uberschneiden sich. Wenn diese Begriffe eine sinnvolle Ordnung liefern sollen, ist es jedoch immer wieder notig, sich anhand beispielhafter Untersuchungen die Abgrenzungen verschiedener Epochenbegriffe zu vergegenwartigen, da man sonst in der Vielzahl von theoretischen Abhandlungen uber literarische Differenzen unterschiedlichster Epochen wiederum den Sinn fur das Wesentliche verliert: Die Werke der literarischen Produktion selbst.
In den Fokus dieser Abhandlung ruckt die Stromung des Expressionismus und ihr literarisches Werk. Die Kunstrichtung fand im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts eine groOe Anzahl geistiger Vertreter und Anhanger und ist aus der heutigen Sicht eine stilistisch herausragende Bewegung gewesen. Sie ist als eine relativ kurze, aber sehr pragnante Stromung zu beurteilen, die sich kaum unter einem ubergeordneten Epochenbegriff subsumieren lasst, da sie sich eklatant von anderen Bewegungen abhebt. Die stilistischen Merkmale des Expressionismus werden in vielen literatur- wissenschaftlichen Werken genannt, am besten lasst sich jedoch fur den Rezipienten die geistige Grundhaltung und der literarische Stil der Autorschaft an den Werken selbst nachvollziehen. In dieser Ausarbeitung wird zunachst der Expressionismus theoretisch vorgestellt. Dabei geht es zunachst darum, eine zeitliche Verortung vor- zunehmen, bevor auf wichtige Vertreter der Stromung eingegangen wird. Es handelt sich vorwiegend um Autoren, die als Avantgarde der Bewegung gelten oder um Per-sonen, die gerade in der Anfangszeit der Stromung eine groRe Rolle fur ihre Etablie- rung gespielt haben. Im folgenden Gliederungspunkt werden ubergreifende Themen- , Formen- und Stilcharakteristika des Expressionismus vorgestellt. Viele literarische Epochen sind von einer uberwiegend auftretenden Textsorte, bestimmter stilistischer Eigenheiten oder wiederkehrenden thematischen Schwerpunkten gekennzeichnet, was auch auf diese Epoche zutrifft.
Um einen praktischen Bezug zu diesem theoretischen Teil der Abhandlung zu liefern, folgt darauf die Analyse und Interpretation des Gedichts „Der Gott der Stadt“ von Georg Heym. Es wird zunachst formal analysiert, wobei hier neben dem Reimsche- ma und dem Metrum auf die Form der Verse selbst eingegangen wird, was bei ex- pressionistischen Werken eine wichtige Grundlage fur weitere Analysen und Interpre- tationsansatze bieten kann. Danach wird der Inhalt der einzelnen Strophen kurz geschildert, um bei der anschlieRenden Interpretation auf diese im Detail einzugehen und ubergreifende Aspekte des Gedichts beleuchten zu konnen. Im letzten Gliederungspunkt dieser Ausarbeitung wird dann ein ubergreifendes Fazit aus den Er- kenntnissen der Interpretation gezogen. Hierbei wird darauf eingegangen, welche epochentypischen Stil-, Formen- und Themencharakteristika in dem Gedicht vorlie- gen, beziehungsweise inwieweit Abwandlungen und Eigenheiten von Seiten des Autors vorliegen. Es wird am Ende noch angedacht, welche Intention Georg Heym mit dem Gedicht verfolgte und ob diese der geistigen Grundhaltung der ubrigen Au- torschaft entspricht.
2. Der Expressionismus
Das lateinische Wort „expressio“, nach dem die Epoche des Expressionismus be- nannt ist, bedeutet wortlich ubersetzt einfach nur „Ausdruck“[3]. In der Literatur steht dieser Epochenbegriff somit schon rein vom Wortlaut her dafur, dass seine geistigen Vertreter ihre Wahrnehmung der Welt und Gesellschaft in kraftvoller sprachlicher und bildlicher Form wiedergeben.
2.1. Zeitliche Einordnung
Um 1900 gab es eine Vielzahl unterschiedlicher literarischer Stromungen, die heute unter Namen wie „Fin de Siecle“, „Decadence“, „Jugendstil“ und „Symbolismus“ be- kannt sind[4]. Der Expressionismus schlieRt sich diesen Stromungen im Zeitverlauf an, uberlappt mit ihnen aber gleichzeitig auch. Begibt man sich auf die Suche nach einer zeitlichen Verortung der Bewegung, so tritt einem im deutschsprachigen Raum der Begriff „Expressionismus“ das erste Mal im Jahre 1911 entgegen[5]. Eine Gruppe junger bildender Kunstler versuchte sich von den aktuellen Erscheinungen des Natu- ralismus und Impressionismus abzugrenzen und ihre Werke wurden im Vorwort eines Katalogs zu einer Kunstausstellung in Berlin im April 1911 erstmals mit dem Terminus des „Expressionismus“ verknupft[6]. Schon im Sommer des selben Jahres wird der Begriff vom Schriftsteller Kurt Hiller von der Bildenden Kunst auf die Literatur ubertragen, indem er eine Gruppe junger Berliner Autoren als die entsprechende literarische Bewegung kennzeichnete, zu der er sich selbst zahlte[7]. Diese Gruppe, die sich der „Neue Club“ nannte, existierte jedoch bereits seit 1909, weshalb man zurecht fragen darf, ob damit nicht schon in diesem Jahr die Anfange des literari- schen Expressionismus zu suchen sind. Die Schwelle fur den Epochenbeginn setzt die heutige Forschung aber meist „um das Jahr 1910“ an[8]. Dabei wird in der Literatur weitgehend ubereinstimmend das Gedicht „Weltende“ von Jakob van Hoddis als einer der wirkungsmachtigsten Texte genannt, welches den Beginn der Epoche mar- kieren soll[9]. Der „Neue Club“ bietet ab 1910 unter dem Namen „Neopathetisches Cabaret" literarische Abende, bei dem Gedichte, wie van Hoddis’ „Weltende“ vorge- tragen werden, wodurch sich die neue literarische Stromung etablieren kann[10].
Das Ende der Epoche ist etwas schwieriger zu bestimmen, da hier die Meinungen in der Forschung etwas divergieren. Viele expressionistische Autoren selbst sehen ein Ende der Bewegung zwischen 1920 und 1925[11], manche Zeitschriften publizieren jedoch noch Ausgaben bis 1932[12]. Wichtig erscheint, dass sich die Avantgardisten der Bewegung groRtenteils bis 1925 asthetisch vom Expressionismus verabschie- den. Dies lag daran, dass von vielen fruhen Autoren die Massenrezeption und Pro- duktion expressionistischer Literatur und Kunst als eine Art „Verschleiß“, oder auch „Erschlaffen“ gesehen wurde, da die Literatur nun Massenware geworden war[13]. Aus diesem Grund setzen viele Werke der Literaturwissenschaft das Ende der Epoche um das Jahr 1925 an.
2.2. Wichtige Vertreter in der Literatur
In jeder Epoche gibt es wichtige geistige Vertreter, die als die Avantgarde ihrer Be- wegung gesehen und bezeichnet werden. In der Literatur des Expressionismus gibt es hier ebenso einige wichtige Autoren und Personen, die die Bewegung angesto- Ren, aber auch vorangetrieben haben und wichtige Werke zu und von ihr, sowie uber sie veroffentlicht haben. Einige wichtige Vertreter der ersten Stunde wurden bereits im letzten Abschnitt erwahnt. So etwa Jakob van Hoddis, dessen Gedicht „Weltende“ fur viele Forscher der Literaturgeschichte als der literarische Epochenbeginn gesehen wird. Kurt Hiller markiert durch seine Erklarung im Jahre 1911 die Obertragung des Begriffs „Expressionismus“ von der Kunst auf die Literatur und gehort damit ebenso zu einem wichtigen Vertreter der Bewegung[14]. Weitere wichtige Autoren des „Expressionismus“ siedeln sich im „Neuen Club“ an. Zu ihnen gehoren neben van Hoddis etwa Ernst Blass, Ferdinand Hardekopf, Erwin Loewenson und auch Georg Heym[15].
Bereits ab 1910 erscheint die Zeitschrift „Der Sturm“ unter dem Herausgeber Her- warth Walden, die als eines der „zentralen publizistischen Organe der Bewegung“ gesehen werden kann[16]. In der Zeitschrift sind unter anderem Veroffentlichungen von August Stramm, Gottfried Benn und Alfred Doblin zu finden, die ebenfalls zu wichtigen Vertretern gerechnet werden durfen.[17] Doblin veroffentlicht 1913 auRer- dem mit „Ermordung einer Butterblume und andere Erzahlungen“ eines der bekann- testen Prosa-Werke des fruhen Expressionismus[18]. Kurt Pinthus, ein zu dieser Zeit sehr einflussreicher Verlagslektor und Publizist, erkennt in diesem Werk einen Wan-del vom Impressionismus hin zum Expressionismus und bespricht die Übertragung der neuen Strömung, die zuerst in der Malerei zu erkennen war, auf die Literatur.
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[1] Bogner, Ralf Georg: Einfuhrung in die Literatur des Expressionismus. Darmstadt 2005, S. 7.
[2] Vgl. ebd.
[3] Vgl. ebd., S. 8.
[4] Vgl. ebd., S. 12.
[5] Vgl. ebd., S. 8.
[6] Vgl. ebd.
[7] Vgl. ebd.
[8] Vgl. ebd., S. 20.
[9] Vgl. ebd.
[10] Vgl. Vietta, Silvio/Kemper, Hans-Georg: Expressionismus. 6., unveranderte Auflage. Munchen 1997, S. 50.
[11] Vgl. Bogner 2005, S. 21.
[12] Vgl. ebd., S. 22.
[13] Vgl. ebd., S. 21.
[14] Vgl. Anz, Thomas: Literatur des Expressionismus. Stuttgart 2002, S. 5.
[15] Vgl. Ajouri, Philip: Literatur um 1900. Naturalismus - Fin de Siecle - Expressionismus. Berlin 2009, S. 49.
[16] Vgl. Bogner 2005, S. 9.
[17] Vgl. Ajouri 2009, S. 51.
[18] Vgl. Bogner 2005, S. 9.