Wie bereits aus Art. 20 II 2 GG hervorgeht, ist grundsätzlich zwischen unmittelbarer Demokratie (Art. 20 II 2 Alt. 1 GG: hier trifft das Volk die maßgeblichen Sach- und Personalentscheidungen selbst) und repräsentativer Demokratie zu unterscheiden (in letzterer wählt das Volk Repräsentanten, die im Auftrag des Volkes entscheiden , Art. 20 II 2 Alt. 2 GG).
Die BRD ist als repräsentative Demokratie ausgestaltet. Das folgt aus Art. 38 ff., 51, 54, 63 GG (Primat des Parlamentarismus’). Dennoch zählen die Fragen nach der demokratietheoretischen Sinnhaf-tigkeit und verfassungsrechtlichen Machbarkeit einer stärkeren Betonung plebiszitärer Elemente auf Bundesebene zu jenen, die partout nicht verhallen wollen. Beflügelt durch besondere verfassungsrechtliche wie -politische Ereignisse (etwa die Wiedervereinigung) bzw. Entwicklungen (die Forcierung europäischer Einigungsbestrebungen, Stichworte: Maastricht, EU-Verfassung) erfährt die Diskussion um die Stärkung identitärer Elemente auf Bundesebene in unregelmäßigen Abständen immer wieder neuen Schwung. Vor allem unter Rekurs auf die im Rahmen des Europäisierungsprozesses notwendige Angleichung an Verfassungsrecht und Staatspraxis unserer europäischen Nachbarn, aber auch unter Hinweis auf den Umstand, dass etwa die Hälfte aller Weltstaaten auf nationaler Ebene Volksentscheide vorsehen, wird der Ausbau plebiszitärer Elemente hartnäckig beworben.
Nach einer repräsentativen Umfrage der Bertelsmann-Stiftung wünschen sich heute 59% der Deutschen mehr Basisdemokratie auf Bundesebene.
Ob eine derartige Forderung tatsächlich sinnvoll ist oder ob ihr vielmehr aus verfassungsrechtlichen und/oder verfassungspolitischen Gründen eine Absage zu erteilen ist, soll im Folgenden anhand dreier Schritte näher untersucht werden:
Zuerst bedarf es der Konturierung des Begriffs plebiszitärer Elemente (vgl. II.). Im nächsten Schritt ist zu prüfen, ob eine Akzentuierung identitärer Komponenten überhaupt im Einklang mit dem Grundgesetz stünde (de constitutione late/ferenda?), also verfassungsrechtlich zulässig wäre (vgl. III.). Erst dann kann untersucht werden, inwieweit eine Öffnung der repräsentativen Demokratie zugunsten plebiszitärer Elemente über die verfassungsrechtlich bereits implementierten Territorialplebiszite (Art. 29, 118 , 118a GG bzw. so gut wie leer laufende Möglichkeit der Gemeindeversammlung gem. Art. 28 I 4 GG) hinaus verfassungspolitisch wünschenswert ist (vgl. IV.).
Inhaltsverzeichnis
- I. Vorbemerkung/Gang der Untersuchung
- II. Begriff und klassische Erscheinungsformen plebiszitärer Elemente
- 1. Personalplebiszite
- 2. Sachplebiszite
- a. Volksbefragung
- b. Volksinitiative (1. Stufe des Volksgesetzgebungsverfahrens)
- c. Volksbegehren (= 1./2. Stufe des Volksgesetzgebungsverfahrens)
- d. Volksentscheid (2. /3. Stufe des Volksgesetzgebungsverfahrens)
- e. Referendum
- g. Synoptische Darstellung
- III. Zulässigkeit der Akzentuierung identitärer Elemente im Lichte grundgesetzlicher Vorgaben
- 1. Präzisierende Einschränkung der Fragestellung
- 2. Grundhaltung des Grundgesetzes gegenüber plebiszitären Elementen
- 3. Besondere verfassungsrechtliche Anforderungen an die Einführung plebiszitärer Elemente
- a. Plebiszite unter dem Vorbehalt (besonderer) verfassungsrechtlicher Ermächtigung
- b. Vereinbarkeit derartiger Ermächtigungsnormen mit Art. 79 III GG?
- 4. Zwischenergebnis
- IV. Plebiszitäre Elemente auf Bundesebene als verfassungspolitisches Desiderat?
- 1. Für identitäre Komponenten vorgebrachte Argumente
- a. Abbau der Politikverdrossenheit
- b. Demokratische Disziplinierung der Gubernative
- c. Sachlicherer, transparenterer und flexiblerer politischer Diskurs?
- aa. Versachlichung, Transparenz
- bb. Flexibilisierung
- d. Betroffenenpartizipation (= authentischer Volkswille?)
- 2. Gegen identitäre Elemente vorgebrachte Argumente
- a. Historische Einwände
- b. Strukturelle Verfahrensschwächen
- c. Beschränkter, unpolitischer, fauler und leicht beeinflussbarer Bürger?
- aa. Überforderung der Bürger
- bb. Tendenz zu egoistischen und unpolitischen Entscheidungen
- cc. Nachlassende Beteiligung
- dd. Steuerbarkeit der Volksmeinung
- d. Unerwünschte machtpolitische Nebenwirkungen
- aa. Stärkung der ohnehin Starken?
- bb. Unzureichender Minderheitenschutz
- cc. Schwächung des Parlaments
- 1. Für identitäre Komponenten vorgebrachte Argumente
- V. Fazit
- Zusammenfassung in fünf Thesen
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Vereinbarkeit einer Stärkung plebiszitärer Elemente im deutschen Bundesstaat mit dem Grundgesetz. Die Zielsetzung besteht darin, die grundgesetzlichen Vorgaben zu plebiszitären Elementen zu analysieren und deren Verträglichkeit mit dem repräsentativen System zu erörtern. Die Arbeit beleuchtet sowohl Argumente für als auch gegen eine Ausweitung direkter Demokratie auf Bundesebene.
- Das Verhältnis von repräsentativer und direkter Demokratie im Grundgesetz
- Die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Einführung plebiszitärer Elemente
- Argumente für und gegen eine Stärkung plebiszitärer Elemente auf Bundesebene
- Die möglichen Auswirkungen einer Ausweitung direkter Demokratie auf das politische System
- Die demokratische Legitimität plebiszitärer Entscheidungen
Zusammenfassung der Kapitel
I. Vorbemerkung/Gang der Untersuchung: Die Einleitung skizziert die grundlegende Unterscheidung zwischen repräsentativer und direkter Demokratie im deutschen Grundgesetz und benennt die anhaltende Debatte um die Stärkung plebiszitärer Elemente auf Bundesebene. Sie erläutert den Forschungsansatz, der die Begriffsbestimmung plebiszitärer Elemente, deren verfassungsrechtliche Zulässigkeit und die verfassungspolitische Wünschbarkeit ihrer Ausweitung umfasst. Die Einleitung verweist auf den europäischen Kontext und die in der Bevölkerung spürbare Forderung nach mehr Basisdemokratie. Die methodische Vorgehensweise, aufgeteilt in drei Untersuchungsschritte, wird präzise dargelegt.
II. Begriff und klassische Erscheinungsformen plebiszitärer Elemente: Dieses Kapitel definiert den Begriff „plebiszitärer Elemente“ und beschreibt verschiedene Erscheinungsformen wie Personal- und Sachplebiszite (Volksbefragungen, Volksinitiativen, Volksbegehren, Volksentscheide und Referenden). Es differenziert zwischen direkter und repräsentativer Demokratie, wobei der Fokus auf der Selbstbestimmung des Volkes bei direkter Demokratie liegt. Die Klassifizierung der verschiedenen Formen plebiszitärer Elemente bietet ein strukturiertes Verständnis der verschiedenen Möglichkeiten der direkten demokratischen Beteiligung.
Schlüsselwörter
Repräsentative Demokratie, direkte Demokratie, Plebiszit, Grundgesetz, Volksentscheid, Volksbegehren, Volksinitiative, Referendum, Verfassungsrecht, Verfassungspolitik, Identität, Demokratie, Basisdemokratie, Politikverdrossenheit, Bürgerbeteiligung.
Häufig gestellte Fragen zum Dokument: Analyse plebiszitärer Elemente im deutschen Bundesstaat
Was ist das Thema des Dokuments?
Das Dokument analysiert die Vereinbarkeit einer Stärkung plebiszitärer Elemente im deutschen Bundesstaat mit dem Grundgesetz. Es untersucht die grundgesetzlichen Vorgaben zu plebiszitären Elementen und deren Verträglichkeit mit dem repräsentativen System. Der Fokus liegt auf Argumenten für und gegen eine Ausweitung direkter Demokratie auf Bundesebene.
Welche Arten von plebiszitären Elementen werden behandelt?
Das Dokument beschreibt verschiedene Formen plebiszitärer Elemente, darunter Personalplebiszite und Sachplebiszite. Zu den Sachplebisziten zählen Volksbefragungen, Volksinitiativen, Volksbegehren, Volksentscheide und Referenden. Es wird eine detaillierte Unterscheidung und Klassifizierung dieser Formen vorgenommen.
Wie wird der Begriff "plebiszitäre Elemente" definiert?
Der Begriff "plebiszitäre Elemente" wird im Dokument präzise definiert und im Kontext der Unterscheidung zwischen direkter und repräsentativer Demokratie eingeordnet. Der Schwerpunkt liegt auf der Selbstbestimmung des Volkes bei direkter Demokratie.
Welche verfassungsrechtlichen Aspekte werden betrachtet?
Das Dokument analysiert die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Einführung plebiszitärer Elemente im Lichte des Grundgesetzes. Es untersucht insbesondere die Zulässigkeit plebiszitärer Elemente unter dem Vorbehalt besonderer verfassungsrechtlicher Ermächtigung und deren Vereinbarkeit mit Art. 79 III GG.
Welche Argumente werden für eine Stärkung plebiszitärer Elemente auf Bundesebene vorgebracht?
Pro-Argumente beinhalten den Abbau von Politikverdrossenheit, die demokratische Disziplinierung der Regierung, einen sachlicheren und transparenteren politischen Diskurs sowie eine höhere Betroffenenpartizipation und die Annäherung an einen authentischen Volkswillen.
Welche Argumente werden gegen eine Stärkung plebiszitärer Elemente auf Bundesebene vorgebracht?
Contra-Argumente umfassen historische Einwände, strukturelle Verfahrensschwächen, die potenzielle Überforderung und Beeinflussbarkeit der Bürger, egoistische und unpolitische Entscheidungen, nachlassende Beteiligung, die Steuerbarkeit der Volksmeinung und unerwünschte machtpolitische Nebenwirkungen wie die Stärkung der ohnehin Starken, unzureichenden Minderheitenschutz und die Schwächung des Parlaments.
Wie ist der Aufbau des Dokuments?
Das Dokument gliedert sich in fünf Kapitel: Vorbemerkung/Gang der Untersuchung, Begriff und klassische Erscheinungsformen plebiszitärer Elemente, Zulässigkeit der Akzentuierung identitärer Elemente im Lichte grundgesetzlicher Vorgaben, Plebiszitäre Elemente auf Bundesebene als verfassungspolitisches Desiderat? und Fazit. Zusätzlich enthält es ein Inhaltsverzeichnis, die Zielsetzung und Themenschwerpunkte, Kapitelzusammenfassungen und Schlüsselwörter.
Was ist das Fazit des Dokuments?
Das Fazit des Dokuments wird im Kapitel V und der Zusammenfassung in fünf Thesen präsentiert. Es fasst die Ergebnisse der Analyse der Vereinbarkeit von plebiszitären Elementen mit dem Grundgesetz zusammen und bewertet die Argumente für und gegen deren Ausweitung auf Bundesebene.
Welche Schlüsselwörter beschreiben den Inhalt des Dokuments?
Schlüsselwörter sind: Repräsentative Demokratie, direkte Demokratie, Plebiszit, Grundgesetz, Volksentscheid, Volksbegehren, Volksinitiative, Referendum, Verfassungsrecht, Verfassungspolitik, Identität, Demokratie, Basisdemokratie, Politikverdrossenheit, Bürgerbeteiligung.
- Arbeit zitieren
- Dominic Hörauf (Autor:in), 2008, Strukturprinzipien der repräsentativen Demokratie im Widerstreit zu plebiszitären Elementen im Grundgesetz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/155229